Shogun – Band
Harald Jacobsen – Aufstand der Mönche
Die Abenteuer des Honda Tametomo Teil 4
1. eBook-Auflage – Juni 2011
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Masayuki Otara
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de
Der Aufstand der Mönche
Von Harald Jacobsen
Es wurde ein wilder Ritt durch die Dunkelheit, der Kenji und seinen Befreier tief in den dunklen Wald am Berg Hiei trug. Immer wieder streiften Zweige sein Gesicht, konnte er im letzten Moment Hindernissen ausweichen. Erst nach einer halben Stunde zügelte der Befreier sein Pferd und ließ es auf einer Lichtung auslaufen. Erleichtert sprang Kenji aus dem Sattel; seine Beine zitterten vor Anstrengung, Schweiß lief über sein Gesicht.
Ab und zu lugte der Mond durch schnell ziehende Wolken hindurch, dann konnte Kenji auch die Pferde dampfen sehen. Die Tiere benötigten ebenfalls dringend eine Pause. Scheinbar kannte der Befreier diesen Teil des Waldes sehr gut, denn er führte die Pferde um ein Gebüsch herum zu einem kleinen Bach. Kenji lehnte sich erschöpft an einen Baum und beruhigte seinen Atem. Nach einer Weile zog der Befreier die Pferde vom Wasser weg und band sie an einen Ast. Er kam dann zu Kenji herüber und zog zum ersten Mal die Kapuze vom Kopf. Als er den Kopf hob, erhellte das Mondlicht für wenige Sekunden sein Gesicht, und Kenji stockte der Atem!
Vor ihm stand der Sohei-Mönch, der im Dojo mit dem Schüler gesprochen hatte. Er will sicherlich den letzten Mitwisser ausschalten – nur dafür hat er mich befreit!, schoss es Kenji voller Entsetzen durch den Kopf. Ein wilder Überlebenswille ließ ihn vom Baum wegschnellen, den Mönch zur Seite stoßen und mit langen Sätzen in den Wald hetzen. Vergessen waren alle Strapazen des Rittes; jetzt konnte er nur noch sein nacktes Leben retten.
Kenji hatte keine Waffen zu seiner Verteidigung, doch im Wald sah er seine Chancen. Erneut peitschten Zweige sein Gesicht, und schnell ging sein Atmen schwer, doch Kenji hetzte weiter. Er umrundete gerade eine Felsformation, als ein harter Schlag ihn von den Beinen holte.
Der Mönch hatte ihn eingeholt und mit brutaler Gewalt zugeschlagen. Kenji schlug hart auf dem Boden auf, Sterne tanzten vor seinen Augen. Trotz heftiger Schmerzen trieb ihn der nackte Überlebenswille zum Weitermachen.
Kenji rollte sich aus dem Gefahrenbereich heraus und sprang auf die Beine, nur um den Mönch wieder vor sich zu sehen. Reflexartig griff Kenji sich einen herumliegenden Ast und nahm die Abwehrstellung ein.
Der Mönch schüttelte den Kopf, knurrte wütend. Dann griff er explosionsartig an; sein kurzer Holzknüppel fegte Kenji den Ast aus der Hand. Glühender Schmerz raste den ganzen Arm bis zur Schulter hinauf und lenkte Kenji einen Sekundenbruchteil ab. Der Mönch setzte erbarmungslos nach und traf Kenji mit einer Serie von Handkantenschlägen. Kenji wehrte einige Schläge ab, doch zu viele fanden ihr Ziel und schwächten ihn zusehends. Voller Verzweiflung wollte er sich mit einem fingierten Beinangriff Luft verschaffen, doch er kam nicht bis zur Ausführung. Zu spät erkannte er eine Faust, die auf seinen Solarplexus zusauste. Der Schmerz ließ Kenji zusammensacken. Sofort setzte der Mönch nach. Eine steinharte Handkante erwischte Kenji am Hals! Gnädige Dunkelheit umfing den Jungen.
Leicht benommen kam Kenji langsam zu sich. Sein ganzer Körper schrie voller Schmerzen, besonders sein Hals meldete sich. Er wollte ihn betasten, doch beide Hände waren aneinandergefesselt. Vorsichtig bewegte er seine Beine, aber auch diese lagen in Fesseln. Kenji war in der Hand des unheimlichen Sohei-Mönches!
Kenji wandte die Atemübungen an, die Akane ihm zur Beruhigung des Geistes beigebracht hatte. Nach einigen Minuten spürte er eine Entspannung, sein Denken wurde wieder klarer. Langsam drehte er den Kopf und sah die beiden angebundenen Pferde. Noch immer schien das Mondlicht nur ab und zu durch die Wolken. Kenji wartete eine Lücke in den Wolken ab, dann hob er vorsichtig den Kopf und schaute sich um.
Der Mönch stand nur drei Meter entfernt, seine dunklen Augen lagen im Schatten. Wortlos näherte er sich Kenji, ging neben ihm in die Knie und nahm seinen Kopf in eine Hand. Mit der anderen führte er eine Schale an Kenjis Mund.
Mit heftigem Rucken versuchte Kenji, den Kopf frei zu bekommen, doch der Griff des Mönches blieb eisern.
„Halt still! Es ist nur Wasser, du Dummkopf!“, schimpfte der Mönch.
Gleich darauf schmeckte auch Kenji das frische Wasser und trank in langen Zügen. Immer wieder setzte der Mönch die Schale ab, gab dem Jungen Gelegenheit zu schlucken. Kenji spürte die belebende Wirkung des Wassers und nickte dem Mönch dankend zu, als die Schale leer war.
„Wieso habt Ihr mich nicht getötet? Ich weiß doch zu viel“, stieß Kenji erbost hervor.
Der Mönch erhob sich und lehnte sich an einen Baum in der Nähe.
„Ich hatte nie vor, dich zu töten. Du glaubst nur zu wissen, doch in Wirklichkeit weißt du überhaupt nichts“, antwortete der Mönch.
Kenji versuchte, den Sinn der Worte zu erfassen, aber es gelang ihm nicht. „Ich verstehe Euch nicht. Warum habt Ihr mich denn entführt, wenn Ihr mich gar nicht töten wollt?“, bohrte er verständnislos nach.
„Ich habe dich befreit, nicht entführt! Sohei-Mönche töten nicht so einfach einen Menschen ohne Anlass“, lautete die Zurechtweisung.
Kenji lacht bitter auf. Seine Erlebnisse sagte ihm etwas anderes. Ihm fiel sofort wieder der Hinterhalt an der Brücke ein, bei dem nur sein Eingreifen den Tod von Honda Tametomo verhindert hatte.
„Die Sohei-Mönche, die ich bisher kennengelernt habe, verhalten sich ganz anders. Sie töten ohne Skrupel für ihre Sache“, beharrte Kenji auf seiner zweifelnden Haltung.
Der Mönch zuckte leicht zusammen, schwieg eine Weile und sah dabei nachdenklich auf den Jungen. „Ja, du hast leider recht. Es gibt zu viele Mönche, die sich nicht mehr an unsere Regeln halten. Selbst die Äbte haben unsere Ziele aus den Augen verloren.“ Besonders bei dem letzten Satz klang große Bitterkeit mit.
Kenji meinte, eine Art Schmerz bei diesen Worten zu hören. Dieser Mönch war offenbar mit dem Verhalten seiner Klosterbrüder wenig einverstanden.
„Warum seid Ihr in die Yoshiokaschule eingedrungen?“, wollte Kenji seine Neugier befriedigt wissen.
„Auch in der Schule gibt es Anhänger des falschen Weges, und die muss ich finden“, lautete die erstaunliche Antwort des Sohei-Mönches.
„Was ist der falsche Weg?“, fragte Kenji unverständig.
Erneut verlegte sich der Mönch aufs Schweigen; der Blick seiner dunklen Augen forschte im Gesicht des ehemaligen Stallburschen. Unvermittelt stieß er sich vom Baum ab und kniete neben Kenji nieder. Der zuckte überrascht zurück, doch dann konnte er auf einmal seine Hände frei bewegen. Während er sie massierte, um die Blutzirkulation wieder in Gang zu setzen, löste der Mönch auch die Beinfesseln. Dann trat dieser zurück an den Baum und lehnte sich erneut an.
Vorsichtig massierte Kenji nun auch seine Beine; heftiges Kribbeln zeigte den Erfolg seiner Bemühungen. Ohne den Mönch aus den Augen zu lassen, setzte Kenji sich mit dem Rücken an den Baum. Er fühlte sich wesentlich wohler, wenn er Hände und Beine bewegen konnte. Doch so ganz vertraute Kenji dem Mann noch nicht wirklich; er lauerte auf eine Falle.
„Es gibt eine Gruppe von Menschen, die mit dem Lauf der Dinge nicht zufrieden sind. Besonders die Politik des Shogun Oda Nobunaga findet ihr Missfallen. Sie planen seine Ermordung und die Übernahme der Regierung“, sprach der Mönch unerwartet und überraschte Kenji erneut mit Aussagen, deren Sinn sich ihm nicht erschließen wollte.
Verwirrt sah Kenji zu dem Mönch auf. Er verstand diese Zusammenhänge nicht völlig. Wie konnte eine Gruppe von Menschen den Shogun ermorden wollen?
„Keine Gruppe ist so stark, dass ein derartiger Plan Erfolg haben könnte. Der Shogun wird sie vernichten und seinen Platz festigen!“, äußerte er seine Gedanken und schüttelte nachdrücklich den Kopf.
„Wäre es nur eine Gruppe, hättest du recht. Doch es sind mehrere Gruppen, die sich für diesen Plan zusammengetan haben“, widersprach der Mönch.
Eine schlimme Ahnung stieg in Kenji auf. „Meint Ihr damit auch die Schulen in Kyoto?“, fragte er schnell.
„Es gibt einige Schulen, die sich komplett dieser Gruppe angeschlossen haben. Andere Schulen, so auch die Yoshiokaschule, haben mit einigen Mitläufern zu kämpfen. Ich wollte diese Mitläufer enttarnen, als du mich im Dojo beobachtet hast“, führte der Mönch sein Ansinnen weiter aus.
„Warum wollt Ihr das tun? Welche Rolle spielen die Sohei-Mönche bei diesen Plänen?“, drängte Kenji auf weitere Informationen.
„Die Äbte des Enryka-Ji-Klosters und des Hiei-Klosters sind die Urheber dieses wahnsinnigen Planes“, stieß der Mönch nach einer kurzen Stille mit angewiderter Stimme hervor.
Kenji glaubte zuerst sich verhört zu haben. „Dann verstehe ich Eure Handlung noch viel weniger! Müsst Ihr Euren Äbten nicht gehorsam sein und ihre Anweisungen ausführen?“, fragte er vollkommen verwirrt nach.
„Doch, aber es gibt eine kleine Gruppe von Mönchen des Hiei-Klosters, die dieser Gefolgschaft nicht mehr nachkommen können. Wir wollen den Plan mit allen Mitteln verhindern“, weihte der Sohei-Mönch ihn ein.
„Warum setzt Ihr den Abt nicht einfach ab und ernennt einen Abt aus Euren Reihen?“ Kenji verstand immer noch nicht, warum die Sache so kompliziert gehandhabt wurde.
„Weil wir zu wenige Anhänger haben; die meisten Mönche folgen unserem Abt blind. Viele neue Mönche haben sowieso keinen Sinn für unsere ursprünglichen Grundsätze. Sie wollen nur plündern und morden unter dem Schutz des Klosters“, bestätigte der Mönch das gängige Bild der Mönche in der Bevölkerung, die sehr unter den herumziehenden Horden litt.
Langsam begriff Kenji die verzweifelte Situation des Mönches.
„Was soll jetzt mit mir geschehen? Welche Pläne verfolgt Ihr?“, fragte er mit leiser Stimme.
„Ich werde dich mit ins Kloster nehmen und dort bei zuverlässigen Brüdern verstecken. Es muss einen Weg geben, die Aufständischen in der Yoshiokaschule ausfindig zu machen. Wir müssen darüber nachdenken“, erklärte der Mönch seine Pläne.
Kenji spürte zunehmendes Vertrauen zu dem gequälten Mann, schenkte dessen Worte Glauben.
„Es hat vielleicht Sinn, über die Geschehnisse an der Schule nach Eurem Verschwinden zu sprechen. Der Meisterschüler Yuu wurde getötet, und ich war es nicht! Also, wer hat ihn ermordet – und warum?“, versuchte Kenji erneut, die Zusammenhänge zu erfassen.
Der Sohei-Mönch nickte zustimmend und stieß sich gleichzeitig vom Baum ab.
„Ja, erzähl mir bitte deine ganze Geschichte. Ich habe nur von deinen Taten als Ninja gehört und war sehr erstaunt, dich als Schüler anzutreffen“, erwiderte der Mönch und warf Kenji nochmals einen sehr nachdenklichen Blick zu, den dieser nicht einordnen konnte.
Kenji erzählte dem Mönch seine Lebensgeschichte, bis hin zum Eintritt in die berühmte Schule. Er verschwieg auch nicht seine Familienschande, als Mongolenblut. Gespannt wartete er am Schluss auf die Reaktion des Sohei-Mönches.
Erstaunt hörte der Mönch Kenji zu, schüttelte ab und zu den Kopf, lächelte über besonders untertriebene Darstellungen des Jungen. Seine Augen leuchteten warm, als Kenji am Ende seiner Erzählung war und ihn fragend anschaute.
„Es ehrt dich sehr, dass du deine Taten so gering schätzt. Erlaube mir, sie ein wenig höher einzuschätzen. Im Kloster wirst du einige Mönche kennenlernen, die ebenso Mongolenblut in ihren Adern haben. Es ist kein Makel für einen wirklichen Sohei-Mönch. Die alten Grundsätze erlauben keine Geringschätzung, und die Brüder wissen mehr über dich“, teilte der Mönch seine überraschende Einschätzung einem verblüfften Kenji mit.
Erfreut leuchteten Kenjis Augen auf. Er war sichtlich beeindruckt von diesem Umstand.
„Könnt Ihr mir über diese alten Grundsätze erzählen, und wie man ein Sohei-Mönch werden kann?“, stellte er die erste Frage, die ihm in den Sinn kam.
„Wir müssen uns beeilen, damit wir noch im Schutz der Dunkelheit das Kloster erreichen. Wir werden uns mit den Brüdern beraten und über die nächsten Schritte nachdenken. Dort werden dann auch alle deine Fragen in Ruhe beantwortet. Lass uns weiterreiten“, wiegelte der Mönch schnell ab.
Kenji hätte am liebsten an Ort und Stelle die offenen Fragen geklärt, erkannte aber auch die Dringlichkeit zum Aufbruch. Er fügte sich und kletterte steifbeinig in den Sattel. Wieder spürte er jeden einzelnen Muskel, vor allem dort, wo der Mönch ihn beim Kampf hart getroffen hatte. Erst jetzt konnte Kenji die große Kampfkunst des Sohei-Mönches würdigen. Dieser Mönch verfügte über ähnliche Kampfkünste wie die Ninja in der Iga-Region. Das war eine neue Erfahrung für Kenji, der die Mönche bisher nicht so hoch eingeschätzt hatte. Seine Neugier wuchs.
Bei diesen Überlegungen streifte eine Frage sein Bewusstsein. Der Mönch hatte vorhin etwas gesagt, dass Kenjis Unterbewusstsein alarmiert hatte. Dummerweise wollte es ihm nicht wieder ins Bewusstsein kommen, obwohl es von großer Wichtigkeit schien.
Während des Rittes erzählte der Mönch von seinem Kontaktmann in der Yoshiokaschule. Er nannte keinen Namen. Kenji zügelte seine Neugier, hatte dann aber doch eine Bitte. Er wollte Honda Tametomo eine Nachricht über diesen Kontaktmann zukommen lassen, damit sein Freund und Mentor über Kenjis derzeitige Lage in Kenntnis war. Der Sohei-Mönch willigte ein und versprach dem Jungen, diese Nachricht weiterleiten zu lassen.
Es dämmerte bereits am Horizont, als die beiden Reiter ihre Pferde an einer kleinen Seitenpforte des Hiei-Klosters zügelten. Der Mönch schob einen losen Stein in der Außenmauer zur Seite und zog mehrfach an einer dort versteckten Schnur. Nur drei Minuten später öffnete sich die Seitentür, und ein anderer Mönch trat ins Freie. Es folgte eine
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: vss-verlag Hermann Schladt
Lektorat: Werner Schubert
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2012
ISBN: 978-3-95500-629-7
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