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Shogun – Band 8
Achim Hiltrop – Das Schwert des Schicksals Teil 2
Die Spur des Magiers
1. eBook-Auflage – Juni 2011
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Masayuki Otara
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de

Das Schwert des Schicksals (2)

Die Spur des Magiers

von Achim Hiltrop

Ein trockener Zweig knackte unter seinen Füßen, und Kiyoshi erstarrte mitten in der Bewegung. Er lauschte angestrengt und wagte vor Angst nicht, sich zu rühren.
Es war still im Wald, wenn man von vereinzelten Vogelstimmen absah. Die einzigen Geräusche, die er hörte, waren das Klopfen seines Herzens und sein eigener gehetzter Atem. Die Sonne schien durch das dichte spätsommerliche Blätterdach und tauchte die Szenerie in ein warmes, grüngoldenes Licht. Der Wald strahlte einen tiefen Frieden und eine Ruhe aus, wie Kiyoshi sie seit Langem nicht mehr erlebt hatte.
Nachdem er sich vergewissert hatte, dass ihm wirklich niemand gefolgt war und die einzigen Geräusche in der näheren Umgebung von ihm selbst stammten, entspannte sich Kiyoshi ein wenig. Seine Sinne mussten ihm einen Streich gespielt haben. Wer aber seit Monaten ein Doppelleben führte und in ständiger Angst leben musste, entdeckt und mit dem Tode bestraft zu werden, entwickelte im Laufe der Zeit verständlicherweise eine gewisse Paranoia.
Kiyoshi atmete tief durch. Er war allein, sagte er sich immer wieder. Niemand war ihm gefolgt. Niemand verdächtigte ihn. Alles war in Ordnung. Er würde tun, was er tun musste, und heute Abend vor Anbruch der Dunkelheit wieder zu Hause in Nagasaki sein.
Wenn da nur nicht diese panische Angst wäre, die ihn überkam, sobald er sich ausmalte, was ihm im Falle seiner Entdeckung blühte. Er fröstelte trotz der sommerlichen Temperaturen bei dem Gedanken daran.
Sein Weg führte ihn immer tiefer in den Wald hinein. Die Stadtgrenze von Nagasaki hatte er schon vor Stunden hinter sich gelassen. Er war der Straße nach Fukahori in die Berge gefolgt, ehe er außer Sichtweite der letzten Häuser vom Weg abgebogen und in Richtung Osten in den Wald gegangen war.
Kiyoshi war ein Stadtmensch und fühlte sich fernab seiner gewohnten Umgebung nicht besonders wohl. Es gelang ihm nur schwer, sich überhaupt zu orientieren. Alles sah so gleich aus in dieser Wildnis. Zu seiner Angst, entdeckt und aufgegriffen zu werden, kam nun noch das mulmige Gefühl, sich verlaufen zu haben. Allmählich fragte er sich, ob es eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen. Aber nun war er hier und musste zu Ende bringen, was er begonnen hatte. Es gab kein Zurück mehr.
Langsam ging er weiter, sich immer wieder umdrehend und nach eventuellen Verfolgern Ausschau haltend. Er war noch immer allein. Es war ihm wirklich niemand auf den Fersen. Keine Schritte, keine Rufe, kein Hufgetrappel, kein Hundegebell. Nichts war zu hören oder zu sehen. Allmählich beruhigte sich sein Puls wieder.
Gerade, als er sich davon überzeugt hatte, dass er im Umkreis von etlichen tausend Shaku der einzige Mensch in dieser Gegend war, trat plötzlich ein Mann hinter einem Baum hervor, und Kiyoshi erschrak beinahe zu Tode. Er stieß einen erstickten Schrei aus und fiel auf die Knie. „Bitte, Herr, tötet mich nicht!“, stammelte er.
Doch der Fremde machte keinerlei Anstalten, ihm gefährlich zu werden. Er stand einfach da, die Hand locker auf dem Griff seines Katanas liegend, und musterte ihn schweigend von oben bis unten. Kiyoshis farbenprächtige Seidengewänder standen im starken Kontrast zu der abgewetzten Rüstung seines Gegenübers, an welcher der Lack an vielen Stellen abgeplatzt war. Auch die bunten Schnüre, welche die Rüstungsteile zusammenhielten, waren fadenscheinig und verschlissen. Die langen schwarzen Haare des Mannes deuteten darauf hin, dass er schon vor Monaten damit aufgehört haben musste, seinen Scheitel zu rasieren. Ganz offensichtlich hatte Kiyoshi einen Samurai vor sich, der schon bessere Zeiten gesehen hatte. Und dann erkannte er endlich, um wen es sich handelte. „Hirata-sama?“, fragte er schüchtern.
Der Angesprochene nickte wortlos.
„Gott sei Dank“, seufzte Kiyoshi. Dass sich der Gesichtsausdruck seines Gegenübers bei diesen Worten verfinsterte, übersah Kiyoshi geflissentlich. „Ich danke Euch, dass Ihr gekommen seid.“
„Ich habe Eure Nachricht erhalten“, entgegnete Hirata kühl. „Ihr braucht also meine Hilfe.“
„So ist es.“
„Ich höre.“
Kiyoshi schürzte die Lippen. „Ich muss aber ein wenig ausholen.“
Hirata zuckte gleichgültig mit den Achseln. „Ich habe den ganzen Tag Zeit.“
„Also schön. Setzen wir uns doch.“ Nachdem er und Hirata es sich auf dem Waldboden bequem gemacht hatten, räusperte Kiyoshi sich. „Habt Ihr schon einmal vom Schwert des Schicksals gehört, Hirata-sama?“
Hirata schüttelte den Kopf. „Was soll das sein?“
„Das Schwert des Schicksals ist auf den ersten Blick ein Schwert wie jedes andere auch“, erklärte Kiyoshi. „Aber nur auf den ersten Blick. Es wurde vor über dreihundert Jahren geschmiedet, als der damalige Shogun noch in Kamakura residierte und die Mongolen in unser Land einfielen.“
„Ein Tachi also“, schlussfolgerte Hirata nach kurzem Überlegen.
„Es war in der Tat ursprünglich ein Tachi“, bestätigte Kiyoshi. „Aber wie so viele Schwerter dieser vergangenen Epoche, wurde auch dieses später auf die Maße eines modernen Katana gekürzt. Das ist es jedoch nicht, was dieses Schwert so einzigartig macht.“
Hirata hob fragend eine Augenbraue. „Sondern?“
Kiyoshi senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. „Man sagt, das Schwert des Schicksals sei verflucht, Hirata-sama. Die Legende erzählt, der Schmied, der es angefertigt habe, sei mit finsteren Mächten im Bunde gewesen. Eine andere Version der Geschichte behauptet, ein Dämon habe das Schwert des Schicksals geschmiedet.“
Hirata lachte spöttisch. „Ich bitte Euch, Kiyoshi-san!“
„Das sind keine Ammenmärchen“, nahm Kiyoshi den Einwand des Kriegers vorweg. „Ich bin sicher, auch in dieser Legende steckt ein wahrer Kern.“
„Meinetwegen“, schmunzelte Hirata. „Aber was macht dieses sagenhafte Schwert denn so schicksalhaft?“
„Das will ich Euch sagen, Hirata-sama. Der erste Besitzer des Schwertes war Shogun Hojo Tokimune, und er taufte es mit dem Blut seiner Feinde. Zehn Botschafter, die Kublai Khan nach dem ersten gescheiterten Invasionsversuch zum Shogun entsandte, wurden mit dieser Klinge enthauptet. Der Shogun trug das Schwert bei sich, als er die zweite Invasion des Kublai Khan zurückschlug. Nur drei Jahre später war Hojo Tokimune tot – er wurde kaum älter als dreißig. Das Schwert des Schicksals wurde daraufhin dem Kaiser Go-Daigo zum Geschenk gemacht, doch statt der Familie Hojo für die geleisteten Dienste und das wertvolle Präsent dankbar zu sein, wendete er sich gegen sie. Er nutzte die Dienste der Familien Ashikaga und Nitta im Genko-Krieg, um sich des Hojo-Clans zu entledigen und seine eigene Machtposition wieder zu stärken.“
Hirata nickte. „Die Rechnung ging aber nicht auf. Die Ashikaga errichteten schließlich ihr eigenes Shogunat, und der Kaiser hatte das Nachsehen.“
„Richtig. Und das, obwohl er Ashikaga Takauji zuvor das Schwert des Schicksals geschenkt hatte“, fügte Kiyoshi hinzu. „Wer das Schwert in den folgenden Jahren besessen hat, ist leider nicht überliefert, aber unter den nächsten Besitzern muss derjenige gewesen sein, der aus dem ursprünglichen Tachi ein Katana machte. Nach über hundert Jahren tauchte das Schwert des Schicksals wieder auf und war einer der Auslöser für den Bruderkrieg innerhalb des Ashikaga-Clans, der letztlich zum Untergang dieser Familie und zur Ära der Streitenden Reiche führte – ganz so, als sei das Schwert der Vollstrecker einer späten Rache des Kaisers Go-Daigo an den Ashikaga.“
Der Krieger grinste. „Es hat nicht den Anschein, dass dieses Schwert demjenigen, der es besitzt oder verschenkt, Glück bringt.“
„Seht Ihr?“, rief Kiyoshi triumphierend. „Das ist es, was ich meinte. Das Schwert des Schicksals ist verflucht.“
„Das alles kann auch ein Zufall sein“, wandte Hirata ein.
„Meint Ihr?“, fragte Kiyoshi pikiert. Er begann, seine Argumente an den Fingern abzuzählen. „Es geht noch weiter. Imagawa Yoshimoto verlor die Schlacht von Okehazama gegen Oda Nobunaga, obwohl er sechsmal mehr Männer befehligte – er besaß leider das Schwert des Schicksals. Oda Nobunaga erbeutete die Waffe und führte dieses Schwert auch beim grausamen Massaker im Enryaku-Tempel auf dem Berg Hiei. Später beging er mit dem Schwert des Schicksals Seppuku, nachdem er von einem seiner eigenen Generäle angegriffen und verwundet worden war. Die Waffe wurde gestohlen und wurde im Jahre des Herrn 1597 wieder gesehen, bei der öffentlichen Hinrichtung von sechsundzwanzig Christen in Nagasaki. Danach verschwand das Schwert erneut für einige Jahre. Es tauchte erst nach der Schlacht von Sekigahara wieder auf.“
Hirata zuckte mit den Schultern. „Das alles überzeugt mich noch nicht. Ich bin sicher, so eine blutige Geschichte ließe sich über jedes beliebige alte Schwert erzählen, das im Laufe der Jahre ein paar Mal den Besitzer gewechselt hat. Vielleicht sogar über mein eigenes.“ Er tätschelte den Griff seiner Waffe bei diesen Worten.
„Das mag sein, Hirata-sama“, räumte Kiyoshi ein. „Aber ich bin davon überzeugt, dass das Schwert des Schicksals von einem bösen Dämon beseelt ist, der Zwietracht sät und nach Blut dürstet.“
„Was macht Euch da so sicher?“
Kiyoshi druckste ein wenig herum. „Es gibt noch eine weitere Legende, die sich um die Historie dieses Schwertes rankt. Es gibt verschiedene übereinstimmende Augenzeugenberichte, die besagen, dass immer dann, wenn das Schwert des Schicksals Blut vergießt, ein hässlicher alter Mann in der Nähe gesehen worden sein soll.“
„Es gibt viele hässliche alte Männer“, wischte Hirata den Einwand beiseite.
„Nein, die Rede ist von immer dem gleichen alten Mann“, betonte Kiyoshi. „Und wir reden von einem Zeitraum von mehr als dreihundert Jahren! So lange lebt kein Mensch.“
Hirata rieb sich nachdenklich das Kinn. „Ich weiß nicht recht, was ich davon halten soll ...“
„Ich habe bis vor Kurzem auch nur die Hälfte von dem gewusst und geglaubt, was ich Euch jetzt erzähle“, gestand Kiyoshi. „Aber dann sah ich das Schwert. Und den alten Mann auch, auf den die Beschreibung passt. Das Schwert gehört heute Sato Tsuyoshi. Er trägt es immer bei sich und hat schon viele Unschuldige damit getötet.“
„Und der alte Mann?“
„Den sah ich bei der letzten öffentlichen Hinrichtung von Christen in der Menschenmenge.“ Kiyoshi bekreuzigte sich flüchtig.
Hirata verschränkte die Arme vor der Brust. „Ehe Ihr weitersprecht, Kiyoshi-san, erlaubt mir eine Frage: seid Ihr etwa ein Christ?“
Kiyoshi wich seinem forschenden Blick nicht aus. „Ja, Herr. Das bin ich.“

*

Hirata Isamu seufzte innerlich. Ein Christ! Ausgerechnet ein Anhänger dieser neumodischen Religion, welche die Portugiesen ins Land eingeschleppt hatten, bedurfte seiner Hilfe. Die Situation entbehrte nicht einer gewissen Ironie, dachte er mit einem gequälten Lächeln.
Vor vierzehn Jahren war Hirata ein Samurai in den Diensten des Daimyo Takayama Ukon gewesen, der die Burg Sawa in der Provinz Yamato für den Shogun verwaltete. Eines Herbsttages war Hirata von seinem Lehnsherrn beauftragt worden, den Räuber Taro dingfest zu machen, der in den Wäldern um Nara sein Unwesen trieb und für Reisende eine ernst zu nehmende Gefahr darstellte. Hirata hatte Wochen gebraucht, bis er Taro aufgespürt hatte. Nach einer Weile aber kannte der Samurai die Wälder mindestens ebenso gut wie der Wegelagerer. Schließlich hatte Hirata den Schlupfwinkel des Räubers entdeckt und ihn gestellt. Taro war nur mit einem Knüppel und einem Messer bewaffnet gewesen, und so war der Kampf zwischen den beiden Männern ungleich und äußerst kurz gewesen. Schon nach wenigen Augenblicken hatte Taros verstümmelter Körper blutüberströmt auf dem Boden seiner Höhle gelegen. Mit dem abgetrennten Kopf des Räubers im Gepäck war Hirata kurz vor Einbruch des Winters zur Burg Sawa zurückgekehrt, doch seine Ankunft dort war alles andere als ein Triumphzug geworden.
Zu seinem Entsetzen hatte Hirata erfahren müssen, dass sein Daimyo, der aus seinem Übertritt zum christlichen Glauben nie einen Hehl gemacht hatte, beim Shogun in Ungnade gefallen war. Da sich Takayama geweigert hatte, dem Christentum abzuschwören, war er kurzerhand des Landes verwiesen worden. Hirata hatte seinen Herrn nur um zwei Tage verpasst. Er war ihm immerhin noch bis Nagasaki nachgereist, doch auch dort war er zu spät eingetroffen: nur wenige Stunden zuvor hatte das Schiff, das den verbannten Daimyo ins Exil bringen sollte, den Hafen mit unbekanntem Ziel verlassen.
Hirata war völlig verzweifelt gewesen. Über Nacht war er von einem angesehenen Samurai im Haushalt eines wohlhabenden Fürsten zu einem herrenlosen Ronin geworden. Der neue Verwalter der Burg Sawa hatte ihm bereits bei seiner Ankunft dort unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er niemanden um sich haben wollte, der schon unter dem verhassten christlichen Daimyo gedient hatte. Auch die benachbarten Provinzfürsten waren sehr zurückhaltend gewesen. Niemand wollte sich den Zorn des Shogun zuziehen. Einen Samurai von Takayama Ukon aufzunehmen, hätte als Sympathiebekundung für die mittlerweile verbotene christliche Religion missverstanden werden können, und so fand sich auch nach hartnäckiger Suche kein neuer Herr für Hirata.
Dabei hatte er selbst sich niemals für den Glauben, dem sein Lehnsherr angehört hatte, interessiert. Er wusste nur wenig über Christen – außer, dass sie nur an einen einzigen Gott glaubten – und hatte nun noch weniger Lust als jemals zuvor, sich mit ihnen zu befassen. War diese Sekte nicht letztlich der Grund für seine gegenwärtige Misere und damit die Wurzel allen Übels? Hätten die Missionare aus Europa nicht ihren Glauben überall im Reich verbreitet und Takayama Ukon getauft, dann wäre das alles nicht passiert, folgerte Hirata. Takayama Ukon hätte sich nicht zum Christentum bekannt, er wäre nicht seiner Ämter enthoben und verbannt worden, und Hirata wäre weiterhin ein angesehener Samurai im Dienste der Burg Sawa geworden.
Verbittert hatte er sich mit seinem Schicksal abgefunden, fortan als Ronin und Söldner seinen Lebensunterhalt bestreiten zu müssen. Die Jahre vergingen. Er beschützte reisende Kaufleute als Yojimbo, bewachte Schweineställe vor Viehdieben und nahm zähneknirschend auch den einen oder anderen Auftragsmord an, um sich Wein und Reis zu verdienen. Er zog ein Leben am Rande der Gesellschaft

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: vss-verlag Hermann Schladt
Lektorat: Werner Schubert
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2012
ISBN: 978-3-95500-628-0

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