Shogun – Band 6
Harald Jacobsen – In den Fängen der Sohei
Die Abenteuer des Honda Tametomo Teil 3
1. eBook-Auflage – Juni 2011
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Masayuki Otara
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de
In den Fängen der Sohei
Dritter Roman um Honda Tametomo
von Harald Jacobsen
Der aus vielen Wunden blutende Mönch sah auf zu dem Mann, der neben seinen Folterer getreten war. Voller Abscheu erkannte er den Abt des Klosters Enryka-Ji.
„Euer schändliches Tun hat bald ein Ende, Abt!“, schleuderte er mit brechender Stimme dem Oberhaupt des Klosters entgegen.
Mit kalten, mitleidlosen Blicken maß der Abt den Sohei- Mönch.
„Dein Glaube an den Weg der Gerechten ist naiv, Mönch. Die Fäden der Macht werden von Menschen mit Mut und Entschlossenheit gesponnen. Bald schon werden wir über mehr Macht verfügen, als ihr es euch jemals erträumt habt“, kam die zynische Antwort.
Da sprang ein harter Funke in die Augen des tödlich verwundeten Mönches, was den Abt unwillkürlich einen Schritt zurücktreten ließ.
„Nein, Abt. Mich müsst ihr nicht fürchten. Aber der Anführer der Gerechten, der wird euch das Fürchten lehren. Die Götter haben ihn bereits nach Kyoto gesandt!“, rief er mit letzter Kraft und sackte dann tot zu Boden.
Der Abt erbleichte und wich erschrocken vom dem Leichnam zurück. Selbst der stumpfsinnige Folterknecht fuhr sich mit zitternder Hand übers Gesicht.
„Es gibt einen neuen Anführer der Gerechten? Hier in Kyoto?“, wisperte der Folterer ungläubig und starrte seinen Herrn voller Entsetzen an.
„Schweig! Zu niemandem ein Wort oder es war dein letztes“, fuhr der Abt den Mann an und eilte aus dem Raum.
*
Die Sonne brannte heiß vom Himmel auf die beiden Reiter, die Seite an Seite durch die Iga-Region ritten. Honda Tametomo trug wie immer die Kleidung eines Samurai, während Kenji sein neues Gewand anhatte. Für seinen Antritt in der berühmten Yoshiokaschule hatten Honda und Akane den ehemaligen Stallburschen neu eingekleidet. Er trug eien guten Baumwollkimono, wie es sich für den Neffen eines Fürsten gehörte. Kenji selbst wäre lieber weiterhin bei der schwarzen Kleidung geblieben, die er seit dem letzten Abenteuer als Ninja getragen hatte. Doch an der Fechtschule würde er einen schlechten Start haben, wenn man ihn dort als Ninja erkennen würde. Immer wieder kratzte sich Kenji, die ungewohnte Kleidung störte ihn noch.
„Na, Kenji. Meinst du, bis Kyoto kannst du so aussehen, als gehörten dir die Sachen?“, fragte Honda spöttisch.
Sofort hörte Kenji auf, sich zu kratzen und schaute schuldbewusst zu Honda.
„Tut mir leid, verehrter Honda. Ich werde Euch nicht blamieren“, versicherte er eifrig.
Honda lächelte dem jungen Burschen aufmunternd zu, er vertraute Kenji. Seit dem mutigen Eingreifen vor wenigen Wochen hatte Honda ein neues Bild vom ehemaligen Stallburschen aus Ueno. Ohne Kenjis gute Bogenkenntnisse hätten die Sohei-Mönche dem Samurai das Leben genommen und wahrscheinlich hätte er nie den Hof des Fürsten erreicht. Auch wenn ihr neues Abenteuer vermutlich noch gefährlicher werden würde, Kenji verdiente sein vollstes Vertrauen. Er würde seine Rolle als Neffe des Fürsten Shingen sicherlich gut ausfüllen. Honda spürte aber auch die Unruhe bei Kenji.
„Mach dir keine Gedanken. Meister Nitobe und Meister Toshihiro werden dich an der Schule genauso unterstützen wie ich. Du wirst es bestimmt schaffen“, redete er dem Jungen gut zu.
„Euer Vertrauen ehrt mich. Ich werde es nicht enttäuschen“, versprach Kenji im Brustton der Überzeugung.
Honda war sich nicht sicher, ob er den Jungen wirklich beruhigt hatte. Seine Gedanken wurden jedoch von einer Gestalt abgelenkt, die vor ihnen auftauchte. Der große Ochse zog mühelos das Gespann des fliegenden Händlers mit der gewohnten stoischen Gleichgültigkeit dieser Tiere. Das ledrige Ge sicht des Mannes auf dem Kutschbock leuchtete auf, als er die beiden Reiter vor sich erkannte. Grüßend hob er eine schwielige Hand.
„Ah, der verehrte Honda Tametomo. Ich habe schon in Kyoto von Euren neuesten Heldentaten gehört, ihr macht dem Kamihattori-Clan viel Ehre! Wer ist denn dieser junge Mann an Eurer Seite? Sein Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor“, grüßte er ehrerbietig und verneigte sich vor den Reitern.
„Ich habe nur meine Aufgabe erfüllt, Händler. Es würde mich wundern, wenn Ihr den Neffen des Fürsten Shingen kennen würdet. Er ist das erste Mal in der Iga-Region“, gewährte Honda dem Mann eine knappe Antwort.
Für einen Augenblick musterte der Händler das Gesicht von Kenji, doch dann zuckte er gleichgültig seine Achseln. Mit einer erneuten grüßenden Handbewegung trieb er den Ochsen wieder an und schon zuckelte die Kutsche um die nächste Kurve. Auch Honda und Kenji setzten ihren Ritt fort. Zwei Stunden später erreichten sie die Stadtgrenze von Kyoto, dem Sitz des Shoguns. Die herum streifenden Soldaten des Shoguns nahmen nur wenig Notiz von den beiden Reitern. Ihr Augenmerk richtete sich vor allem auf die vielen Sohei-Mönche, die neuerdings in der Stadt auftauchten.
Auch Honda bemerkte nicht nur Kampfmönche vom Berg Hiei, sondern zu seiner Überraschung auch Mönche des Enryka-Ji- Klosters. Während ihres Rittes durch die engen Seitenstraßen war eine deutliche Anspannung bei der Bevölkerung zu spüren. Sobald die Menschen den Samurai mit dem gut gekleideten jungen Mann an der Seite erblickten, schienen sie geradezu erleichtert aufzuatmen. Kenji war jedoch viel zu gefesselt von dem hektischen Treiben auf den Straßen und in den offenen Schankstuben, um die angespannte Atmosphäre zu bemerken. Er war erst zum zweiten Mal in dieser lebhaften Stadt und schaute mit weit aufgerissenen Augen von links nach rechts. Schließlich erreichten sie den Innenhof der Yoshiokaschule und wurden dort von zwei aufmerksamen Schülern empfangen. Respektvoll verneigten sie sich vor Honda und dann vor Kenji.
„Willkommen in der Yoshiokaschule, Meister Tametomo. Meister Nitobe erwartet Euch in seinen Räumen“, entbot der ältere Schüler den Gruß.
Während der jüngere Schüler die beiden Pferde übernahm, führte der andere Schüler Honda und Kenji zu den Räumen des Leiters der Schule. Meister Nitobe und Meister Toshihiro saßen bei einer Schale Tee. Honda und Kenji verneigten sich respektvoll vor den beiden Meistern, die den Gruß freundlich erwiderten.
„Trinkt eine Schale Tee mit uns. Meister Toshihiro wird dich später mit in den Unterricht nehmen, Kenji. Meister Tametomo und ich kommen dann ins Dojo“, lud der Leiter der Fechtschule beide ein.
Kenji genoss sichtlich den ungewohnten respektvollen Umgang mit seiner Person. Als Stallbursche mit mongolischem Blut in den Adern hatte er bisher nur wenig Respekt erfahren. Erst durch seine Taten im Zusammenhang mit der Befreiung von Misaki Yoshiomoto, der Tochter des Fürsten Yoshiomoto, hatte sich sein Ansehen wesentlich verändert. In der Iga-Region wurde er bereits als Krieger akzeptiert.
Honda musste sich noch an den neuen Titel des Meisters in der Fechtschule gewöhnen. Schon vor vielen Jahren sollte er nach dem Willen Meister Nitobes diesen Titel erhalten. Seine Leistungen als Meisterschüler hatten ihn dazu befähigt, doch das Familienschicksal hatte einen anderen Weg für ihn vorgesehen. Wie seine Vorfahren wurde auch er Samurai am Hofe eines Fürsten. Erst die hinterhältige Intrige des ältesten Sohnes des Fürsten hatte ihn aus der Bahn geworfen. Doch die mutige Aufklärung der schändlichen Tat und die Abenteuer um die Burg des Shoguns in der Iga-Region hatten ihn zum Samurai des Kamihattori- Clans gemacht. Sogar sein persönliches Glück hatte er mit der schönen Akane Taira gefunden, die seit wenigen Tagen seine Frau war. Die angespannte Lage in Kyoto und besonders an der Yoshiokaschule gewährte jedoch keinen Raum für einen ruhigen Start in sein neues Leben. Mit dem heutigen Tag würde er als Meister an der Schule seinem alten Meister Nitobe helfen. Er selbst wollte sich um weitere Unterstützung durch ehemalige Schüler des Meisters kümmern, während Meister Toshihiro die Ausbildung von Kenji übernehmen würde. Es galt, die Stellung der Schule wieder zu stärken, um die Machtverhältnisse in Kyoto zu stabilisieren.
*
Nachdem sie ihre Schale Tee getrunken hatten und Meister Nitobe sie kurzweilig mit Geschichten aus Kyoto unterhalten hatte, erhoben sich Meister Toshihiro und Kenji.
„Mit Eurer Erlaubnis gehen der Schüler Kenji und ich zur ersten heutigen Trainingseinheit, verehrter Meister Nitobe“, verabschiedete sich Meister Toshihiro mit seinem neuen Schüler.
Nach der Verbeugung, eilten beide aus dem Raum. Meister Nitobe schenkte neuen Tee ein und deutete dadurch ein weiteres Gespräch an.
„Ich bin Euch zu großem Dank verpflichtet, verehrter Honda. Gestern haben bereits zwei Meister die Schule verlassen und heute wird ein Dritter folgen. Ich kann einen Teil des Unterrichts übernehmen, doch mit Eurer Hilfe wird es wesentlich leichter“, führte der berühmte Leiter der Fechtschule aus und gewährte Honda damit einen Einblick in die sich verschlechternde Lage der Yoshiokaschule.
„Ich bin stolz darauf, meine bescheidenen Kenntnisse in den Dienst der berühmten Yoshiokaschule stellen zu dürfen“, versicherte Honda mit einer leichten Verbeugung.
„Ich werde Euch nach unserem Gespräch der gesamten Schule als neuen Meister vorstellen. Vorher möchte ich Euch jedoch über weitere Zwischenfälle mit Mönchen des Kloster
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: vss-verlag Hermann Schladt
Lektorat: Werner Schubert
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2012
ISBN: 978-3-95500-626-6
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