Shogun – Band 5
Achim Hiltrop – Das Schwert des Schicksals Teil 1
Tetsuo der Schmied
1. eBook-Auflage – Juni 2011
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Masayuki Otara
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de
Shogun – Band 5
Das Schwert des Schicksals
Band 1: Tetsuo der Schmied
von Achim Hiltrop
Die Sonne stieg über den Berg Ikoma und tauchte den Himmel über den schneebedeckten Dächern von Naniwa in ein milchiges Licht. Einige Krähen erhoben sich krächzend in die Lüfte, um über der Stadt ihre Kreise zu ziehen. In den engen Gassen bellte irgendwo ein Hund. Langsam kam wieder Leben in die Stadt, über die sich die winterliche Kälte wie ein Leichentuch gelegt hatte. Frost und Nässe waren durch die dünnen Wände aus Holz, Lehm und Reispapier gekrochen und hatten die Tatami-Matten, mit denen die Häuser ausgelegt waren, gefrieren lassen. So schwül und heiß die Bucht von Naniwa im Sommer auch war, so eisig wurde es hier im Winter. Die Einheimischen scherzten oft, es gäbe in der Region nur zwei Temperaturen – zu heiß und zu kalt.
Tetsuo fror nicht. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bürgern der Stadt war er bereits seit über einer Stunde auf den Beinen. Er liebte diese Tageszeit unmittelbar vor dem Sonnenaufgang und arbeitete gerne schon so früh. Niemand störte ihn, er konnte sich konzentrieren und musste sich auch nicht unruhig im Bett herumwälzen und an die schlimmen Ereignisse des vergangenen Herbstes denken. Die völlige Versenkung in seine Arbeit war für ihn Meditation und Therapie zugleich.
Mit wuchtigen Hammerschlägen brachte er ein Stück Eisen in Form. In einigen Tagen würde daraus eine Klinge für einen Tantō entstehen, das Kampfmesser eines Samurais. Zuvor lag aber noch ein hartes Stück Arbeit vor Tetsuo. Es war heiß in der kleinen Schmiede und der Schweiß lief ihm in Bächen den nackten Oberkörper hinab. Davon, dass draußen tiefster Winter herrschte, bemerkte er hier drin nichts. Das knisternde Kohlefeuer und die Arbeit hielten ihn warm.
Mit dreiundzwanzig Jahren war Tetsuo noch recht jung für seine Position als Schmied im Haushalt des Samurais Takahashi Katsuro, aber er hatte schon eine Menge Erfahrung gesammelt. Seine Zeit als Lehrling hatte Tetsuo mit Bravour bestanden, und nach dem Tode seines Meisters im letzten Herbst hatte Takahashi ihm die Waffenschmiede seines Anwesens überlassen. Seither war der Samurai mit allem, was Tetsuo für ihn angefertigt hatte, mehr als zufrieden gewesen.
Das Anwesen der Familie Takahashi lag am Rande von Naniwa auf einer kleinen Anhöhe, von der aus man die Lastkähne auf dem Yodogawa sehen konnte. Naniwa war keine besonders große Hafenstadt und hatte ihre Blütezeit bereits hinter sich, aber der Fluss war noch immer eine viel befahrene Verkehrsverbindung, auf der Waren von der Küste nach Ōtsu im Landesinneren transportiert wurden. Die Takahashi waren eine alte Kriegerfamilie, die bei ihrem Lehnsherren, dem Daimyō, hohes Ansehen genoss. Bei der Schlacht von Bun'ei in der Nähe der Stadt Hakata hatte sich insbesondere Takahashi Katsuro durch seine Tapferkeit ausgezeichnet. Auch bei den Bewohnern von Naniwa, die unter dem Schutz der Takahashis standen, hatte die Familie einen guten Ruf.
Tetsuo hielt einen Moment inne und atmete tief durch. Die Schlacht gegen die Mongolen im Herbst des zehnten Jahres der Ära Bun'ei hatte in der Tat die Welt verändert. Das Ansehen der Takahashis hatte sich durch den Mut des Familienoberhauptes vergrößert. Tetsuo hatte eine ehrbare und gut entlohnte Stellung im Haushalt des Samurais erhalten. Sein alter Lehrmeister Tsutomu jedoch hatte sein Leben an jenem Strand ausgehaucht, an dem die Invasionstruppen des mongolischen Kaisers Kublai Khan gelandet waren. Seit dem unverhofften Sieg über die Invasoren vom Festland lebte ganz Japan in gespannter Erwartung. Sowohl Shōgun Hōjō Tokimune im fernen Kamakura als auch Kaiser Go-Uda in Heian rechneten damit, dass die Mongolen früher oder später wieder angreifen würden – die Frage war nur, wo und wann. Jedenfalls gab es für Waffenschmiede im Moment mehr als genug Arbeit, dachte Tetsuo zufrieden. Die Schwerter und die Rüstungen der Takahashis mussten gepflegt und gewartet werden, und auch die Fußsoldaten, welche neuerdings den Takahashis unterstellt waren, benötigten neue Klingen, Pfeilspitzen und Lanzen. Wenn die Mongolen wirklich zurückkamen, wollte man schließlich vorbereitet sein.
Der Schmied wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Klinge nahm allmählich Gestalt an. Nur noch ein paar Handgriffe, und sein Werk war getan. Schon bald würde die Klinge ein schönes Stichblatt haben, dann fehlte nur noch der Griff, und dann...
"Du und dein Amboss, ihr nehmt dem Hahn die Arbeit weg!"
Tetsuo sah auf. Seine Frau stand in der Tür der Schmiede. Masako war deutlich jünger als er, fast noch ein Kind, und wunderschön, auch wenn sie noch unausgeschlafen wirkte und ihr langes schwarzes Haar etwas zerzaust war. Tetsuo und Masako hatten zwar damals nicht aus Liebe geheiratet, sich aber inzwischen aneinander gewöhnt. Was Tetsuo anging, hatte er in den vergangenen drei Jahren sogar so etwas wie Zuneigung für das Mädchen entwickelt. Manchmal fragte er sich, was sie wirklich für ihn empfand, aber sie sprachen nie darüber.
Inzwischen erwartete sie ihr erstes Kind. Voraussichtlich zum Frühlingsanfang würden sie zu dritt sein. Seit sie schwanger war, wirkte Masako noch weiblicher und hübscher, aber sie war auch launischer geworden, unberechenbar und zuweilen sogar streitsüchtig. Tetsuo wusste bisher nur vom Hörensagen, dass Frauen in der Schwangerschaft ein Wechselbad der Gefühle durchlebten. Inzwischen hatte er verstanden, was mit dieser Redensart gemeint war.
Er lächelte schief. "Falsch, meine Liebe. Der Gockel der Takahashis kräht nicht mehr, wenn die Sonne aufgeht, sondern er richtet sich danach, wann ich anfange zu arbeiten."
Masako verneigte sich, und Tetsuo glaubte zu bemerken, dass sie dabei spöttisch grinste. "Ganz wie du meinst. Aber bei dem Lärm kann kein anständiger Mensch schlafen.
" Tetsuo runzelte in gespieltem Erstaunen die Stirn. "Anständige Menschen? Etwa hier in Naniwa?"
Masako zuckte gleichgültig mit den Achseln. Tetsuo schnaubte verächtlich. Aufgrund der geographischen Lage der Stadt und der Stellung des Hafens als Verkehrsknotenpunkt und Warenumschlagplatz ergab es sich, dass ein großer Teil der Bevölkerung von Naniwa seinen Lebensunterhalt mit dem Handel verdiente. Tetsuo hatte wie die meisten Handwerker, Krieger und Bauern eine gewisse Abneigung gegen Menschen, die ihren Reis nicht mit ihrer Hände Arbeit verdienten, und ließ auch keine Gelegenheit aus, dies kund zu tun.
Er legte seine Werkzeuge beiseite. "Wie wäre es mit Frühstück?"
Seine Frau lächelte süßlich.
"Deswegen bin ich hier. Dein Frühstück steht bereit."
"Gut."
Er folgte Masako über den schneebedeckten Innenhof zu dem kleinen Haus neben der Schmiede, in dem das Paar wohnte. Nachdem er die Schuhe abgestreift hatte, ließ er sich mit gekreuzten Beinen auf den Tatami-Matten nieder, mit denen der würfelförmige Innenraum ausgelegt war. Masako stellte ein kleines Lacktablett mit Reisklößen und Tee vor ihm ab. "Ich hoffe, der Tee ist noch heiß."
"Schon gut." Tetsuo nippte an der Teetasse. Das bittere Getränk war bei den winterlichen Temperaturen schnell abgekühlt und nur noch lauwarm. Er ließ sich aber nichts anmerken. "Lecker."
Masako lächelte wissend und verschwand im Nebenraum, während Tetsuo den Reis in sich hineinschaufelte und seinen Gedanken nachhing, die wie so oft um Meister Tsutomu kreisten. Er vermisste den alten Schmied sehr, der immer wie ein Vater für ihn gesorgt hatte. Warum nur hatte der alte Narr darauf bestanden, mit dem Fußvolk der Familie Takahashi gegen die Invasoren vom Festland in die Schlacht zu ziehen? Sein Platz war doch hier gewesen, in der Schmiede, fernab vom Schlachtfeld. Tetsuo kaute schweigend, während vor seinem inneren Auge erneut das Bild von Meister Tsutomu aufstieg, wie er mit starrem Blick in einer größer werdenden Blutlache lag, zerfetzt von den Schwarzpulvergranaten der heranstürmenden Mongolen. Er würde diesen Anblick nie vergessen können, das wusste er. Er zog aus dieser Erinnerung aber auch die Kraft und die Motivation, ein noch besserer Waffenschmied zu werden als Meister Tsutomu es gewesen war. Wenn es nach Tetsuo ging, dann würden seine Waffen die Familie Takahashi und ihre Soldaten unbesiegbar machen – und es würden seine Waffen sein, mit denen sie es den Mongolen heimzahlten!
*
Der nächste Besucher, der Tetsuo bei seiner Arbeit in der Schmiede unterbrach, war ein gutaussehender Mann mittleren Alters, dessen Kopf bis auf einen majestätischen, schwarz glänzenden Haarknoten kahlrasiert war. Tetsuo legte seinen Hammer beiseite und verbeugte sich tief, als Takahashi Katsuro eintrat. Es geschah nicht oft, dass sich das Oberhaupt der Familie zu dem Schmied in dessen Werkstatt begab. Sofort ging Tetsuo im Geiste sein Sündenregister durch: hatte er sich etwas zu Schulden kommen lassen, das den Samurai verärgert hatte?
"Guten Morgen, Meister Tetsuo", sagte Takahashi förmlich.
Nun, da er angesprochen worden war, durfte Tetsuo den Samurai anreden. "Seid willkommen, Herr. Was ist Euer Begehr?"
Takahashi wandte sich brüsk von Tetsuo ab und begann, nachdenklich in der Schmiede auf und ab zu gehen. Vor einem Regal, in dem einige von Tetsuos halbfertigen Schwertern lagerten, blieb er stehen. "Ich habe einen Auftrag für Euch, Meister Tetsuo."
Tetsuo nickte eifrig. "Was immer Ihr wünscht, Herr. Ich stehe Euch zu Diensten."
In der Wange des Samurais zuckte ein Muskel. Der Blick, den er dem Schmied zu warf, verhieß nichts Gutes. "Wollt Ihr nicht erst wissen, was es ist, das ich von Euch verlange?"
Tetsuo stutzte. Worauf wollte Takahashi hinaus? Er arbeitete doch im Haushalt des Samurais, hatte sein Häuschen und seine Schmiede auf dem Gelände seiner Residenz, und alles, was ihn von einem Leibeigenen im klassischen Sinne unterschied, war das Ansehen, welches sein Handwerk genoss, und der Lohn, den ihm seine Arbeit einbrachte. "Wozu, Herr? Ihr gebietet, ich gehorche. So einfach ist das."
Takahashis Mundwinkel wanderten in die Höhe. Sein strenger Gesichtsausdruck wich einem gewinnenden Lächeln. "Ihr seid ein kluger Mann, Meister Tetsuo. Ihr ahnt gar nicht, wie viel Wahrheit in Euren Worten steckt." Er setzte sich auf einen Schemel und verscheuchte mit einer Hanbewegung Tetsuos Katze, die der Suche nach Mäusen in die Schmiede gekommen war.
Tetsuo sah seinen Gebieter ratlos an. "Ich kann Euch nicht ganz folgen, Herr."
Takahashi verschränkte die Arme vor der Brust. "Was wisst Ihr über die Geschichte der Stadt Naniwa?"
"Naniwa." Tetsuo zog die Stirn kraus. "Dies war einmal die Hauptstadt des Reiches unter Kaiser Kotoku. Die Stadt war reich und ein wichtiger Hafen. Seitdem... nun, ohne Euch oder sonst jemandem nahe treten zu wollen, aber ich fürchte, unsere Stadt hat schon bessere Tage gesehen. Man rühmt uns vielleicht noch wegen unserer guten Küche und wegen des Shitennoji-Tempels, aber ansonsten schicken sich die Kaufleute an, das Gesicht der Stadt zu prägen."
"Ich finde Eure Offenheit sehr erfrischend, Meister Tetsuo", schmunzelte Takahashi. "Was meint Ihr, was fehlt der Stadt, um ihr wieder mehr Bedeutung zu verleihen?"
Tetsuo sah verlegen zu Boden. Dass in der Stadt einiges im Argen lag, das war ihm wohl klar, und er hatte das auch oft und laut beklagt. Aber was man tun konnte, um das Ansehen von Naniwa im Reich zu verbessern, darauf wusste er keine Antwort. "Ich weiß es nicht, Herr."
Takahashi schlug sich auf die Schenkel. "Eine Burg, Meister Tetsuo! Naniwa braucht eine Burg!"
Tetsuos Mund blieb offen stehen. Eine Festungsanlage? Hier, in seiner Stadt? Das würde Naniwa in der Tat einen unverhofften Schub geben. Der Bau einer Burg bedeutete, dass die Zimmerleute und Steinmetze im Ort auf Jahre genügend zu tun haben würden. Und da eine Burg auch eine deutlich stärkere Garnison von Soldaten beheimaten würde, verhieß dies auch zusätzliche Arbeit für den Waffenschmied der einflussreichsten Samurai-Familie von Naniwa.
"Ich verstehe", sagte er heiser.
"Der Daimyō und ich, wir haben bereits ausgiebig über diese Idee gesprochen. Wir sind uns einig, dass Naniwa ein idealer Standort für eine neue Burg wäre", fuhr Takahashi fort. "Die gute Nachricht ist nun, dass wir die Obrigkeit in Kamakura nicht mehr von der grundsätzlichen Notwendigkeit neuer Festungsanlagen überzeugen müssen. Nach der gescheiterten Invasion des Kublai Khan hat der Shōgun befohlen, dass ab sofort die Heimatverteidigung höchste Priorität hat. Das schließt den Bau neuer Wachtürme und Burgen ein."
Tetsuo runzelte die Stirn. "Und die schlechte Nachricht?"
Takahashi seufzte theatralisch. "Die schlechte Nachricht, mein Freund, ist die: Naniwa liegt auf der falschen Seite der Insel. Es wird bei Hofe davon ausgegangen, dass die nächste Invasion – wenn sie denn kommt – erneut an der Westküste erfolgen wird, und vermutlich wieder auf Kyushu. Vielleicht sogar wieder in der Gegend von Hakata. Das wäre jedenfalls die kürzeste Entfernung zum Festland, und der Gedanke ist naheliegend, dass der Kommandeur der Mongolen es vermutlich wieder dort versuchen wird. Jedenfalls wäre das militärische Risiko deutlich geringer, als unsere Inseln einmal ganz zu umrunden, um dann in Naniwa zuzuschlagen."
"Aber wenn Kublai Khan genau das tut?", wandte Tetsuo ein. "Naniwa wäre doch sicher ein lohnendes Ziel!"
Der Samurai nickte. "Die Stadt ist zwar nicht mehr so reich wie einst, aber immer noch wohlhabend genug, um eine Menge Beute abzuwerfen. Vom militärischen Wert des Hafens ganz zu schweigen. Der Daimyō und ich könnten uns durchaus vorstellen, dass die Mongolen solche Pläne haben und dass sie diesmal etwas anderes versuchen."
"Verzeiht meine Frage, Herr", sagte Tetsuo vorsichtig, "aber kann eine Burg überhaupt rechtzeitig vor dem nächsten Angriff fertig werden?"
Takahashi fletschte angriffslustig die Zähne. "Der Sturm hat den Kublai Khan so ziemlich seine gesamte Kriegsflotte gekostet. Es wird Jahre dauern, bis er wieder genügend Schiffe hat, um ein Heer übersetzen zu können. Und diese Zeit gilt es zu nutzen. Der Daimyō, ich und einige andere Samurai dieser Gegend haben eine Petition an den Shōgun unterzeichnet und ihn gebeten, Mittel für den Bau einer Festungsanlage am Ufer des Yodogawa zur Verfügung zu stellen. Wenn er einwilligt, bekommen wir die nötigen Ressourcen, um sofort mit dem Bau zu beginnen."
"Das freut mich zu hören, Herr", strahlte Tetsuo. "Ich werde dafür beten, dass Euch Shōgun Hōjō Tokimune wohl gesonnen sein wird und Eurem Anliegen zustimmt."
Takahashi machte eine Pause, ehe er fortfuhr. "Das hängt ganz von Euch ab, Meister Tetsuo."
Tetsuos Magen krampfte sich zusammen, als habe er schlechten Sake getrunken. "Von mir, Herr?"
"Unsere Petition an Shōgun Hōjō Tokimune soll von einem Geschenk begleitet werden, welches dem Anlass und dem Empfänger des Schreibens angemessen ist. Wir dachten da an ein besonders schönes Tachi. Ihr seid der beste Waffenschmied in der Provinz des Daimyō, Meister Tetsuo. Als solcher wird Euch die Ehre zuteil, das besagte Schwert anzufertigen." Takahashi sah den Schmied
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: vss-verlag Hermann Schladt
Lektorat: Werner Schubert
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2012
ISBN: 978-3-95500-625-9
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