Shogun – Band 2
Harald Jacobsen – Die Burg des Shogun
Die Abenteuer des Honda Tametomo Teil 1
1. eBook-Auflage – Juni 2011
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Masayuki Otara
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de
Die Burg des Shogun
von Harald Jacobsen
Prolog
Leichter Wind treibt die letzten Nebelschwaden durch den Park; die roten Dachschindeln des herrschaftlichen Hauses glänzen feucht im ersten Tageslicht. Ein alter Gärtner stutzt Büsche im weit entfernten Beet. Auf der breiten Terrasse meditiert ein edel gekleideter Mann. Völlig unbeweglich, die Augen geschlossen und die Hände flach auf den Oberschenkeln, wirkt er fast wie eine Statue. Weder der Gärtner noch der Edelmann haben die schwarze Gestalt bemerkt, die im Unterholz rechts des Hauses schleicht. Zwei dunkle Augen mustern die Umgebung scharf und kalt. Nur diese Augen sind erkennbar. Der restliche Körper des Mannes ist komplett von schwarzer Kleidung umhüllt. Minutenlang harrt diese unheimliche Gestalt völlig reglos aus; keine Bewegung entgeht ihren scharfen Augen, kein Geräusch überhört das geschulte Ohr. Unvermittelt zuckt die rechte Hand in Richtung des Edelmannes; ein dunkler Gegenstand rast lautlos durch die Luft. Mit wenigen Sätzen ist die Gestalt bei dem immer noch knienden Edelmann, zieht einen Metallstern aus dessen Brust und verschwindet unbemerkt wieder im Unterholz.
Der Gärtner schneidet weiter die Büsche.
Er hat nichts bemerkt ...
Kapitel 1
Honda Tametomo hat seinen morgendlichen Rundgang um das herrschaftliche Anwesen fast beendet. Er ist der erste Samurai des Fürsten und als solcher für dessen persönliche Sicherheit verantwortlich. Er nimmt diese Ehre sehr ernst und überlässt daher keinem anderen Kämpfer diese regelmäßigen Kontrollgänge. Nur leise knirscht der Kies unter seinen Füssen, als er um die Rückseite des Hauses biegt. Er nimmt den arbeitenden Gärtner zur Kenntnis, dann bleibt sein Blick an dem meditierenden Fürsten hängen. Sein Herr lebt äußerst diszipliniert und auch seine Meditationen laufen nach einem strengen Zeitplan ab. Und nach diesem dürfte er jetzt nicht mehr auf der Terrasse sein.
Vorsichtig nähert der Samurai sich seinem Herrn. Ein eisiger Schreck rast durch seine Adern, als er die seltsame Haltung bemerkt. Mit einem Satz kniet Tametomo neben dem Fürsten, erkennt sofort, dass der Mann tot ist. Der Samurai sieht den feinen Riss im Kimono. Er öffnet das Gewand des Toten, erblickt eine Wunde über dem Herzen und weiß sofort, woher sie rührt. Ein Shuriken hat seinen Herrn getötet. Nur heimtückische Ninja benutzen diese mit Gift getränkten Wurfsterne, die jeden Mann in Sekundenbruchteilen lautlos töten.
Mit einem lauten Schrei alarmiert der Samurai das Haus; erschreckt den alten Gärtner dabei fast zu Tode. Honda ahnt den Fluchtweg des Mörders und ist mit wenigen Sätzen im Unterholz. Die Verzweiflung treibt ihn in wahnwitzigem Tempo durch den kleinen Wald. Minuten später erreicht der Samurai einen Weg. Er liest die Spuren und erkennt sein ganzes Versagen: Sein Fürst wurde getötet, und er konnte nicht einmal den Mörder stellen!
Sein Leben ist verwirkt.
*
Die helle Morgensonne schickt ihr wärmendes Licht in den Raum, auf dessen blitzsauberem Holzfußboden Honda Tametomo mit demütig gesenktem Kopf kniet. Vor ihm steht der älteste Sohn des Fürsten, der nun der neue Herrscher der Region ist. In dessen blassem Gesicht ist keine Emotion abzulesen, nur in seinen Augen glüht ein mörderisches Feuer.
„Versagt! Du hast deinen Fürsten schändlich im Stich gelassen und dadurch seinen Tod verschuldet! Deine Familie hat meiner Familie in vielen Generationen treu gedient, und nur deswegen verurteile ich dich nicht zum Tode. Noch heute verlässt du die Provinz und wirst nie wieder einen Fuß auf ihren Boden setzen!“
Brüsk wendet der neue Herrscher sich ab und geht. Der kniende Honda Tametomo wartet, bis sich die Tür hinter dem Mann lautlos schließt. Erst dann steht er auf und eilt aus dem Haus. Er ist kein Samurai mehr. Nur zwei Wege stehen dem Kämpfer jetzt noch offen. Er könnte Seppuku begehen, den ehrenvollen Tod durch eigene Hand, oder den Mörder seines Herrn finden und töten. Durch den Tod des Mörders könnte er seine Ehre als Samurai wieder erlangen und müsste nicht länger als ehrloser Ronin leben. Tametomo hat seine Entscheidung schon kurz nach der Rückkehr zum Haus getroffen. Er wird seinen Weg als Ronin gehen und den Mörder seines ehemaligen Herrn finden. Im offenen Kampf wird der Tod des Fürsten dann gerächt werden. Dann ist die Ehre der Tametomos wieder hergestellt, dieser großen Familie der Samurai. Ein wichtiger Gedankengang hat Honda zu diesem Entschluss geführt: Die Tat des Ninja hat einen Anstifter, der die offene Auseinandersetzung scheut. Keiner der anderen Provinzfürsten hätte einen Meuchelmörder geschickt, sondern wäre mit seinem Heer in die Provinz marschiert. Im offenen Kampf hätten dann die Samurai der beiden Fürsten den Krieg entschieden.
Wer also hatte diese feige Tat veranlasst?
Honda Tametomo hat bereits einen Verdacht. Dieser schlimme Verdacht hat seine Wahl der Verfolgung des Mörders und des damit verbundenen ehrlosen Lebens als Ronin bewirkt. Seine Sachen sind gepackt und liegen im Stall bei seinem Pferd. Honda geht am Quartier der anderen Samurai vorbei, zaudert kurz. Keiner der langen Weggefährten befindet sich auf dem Platz, alle scheinen im Dojo zu trainieren. Ihr Leben geht in den üblichen Abläufen weiter; sie müssen ihre täglichen Übungen absolvieren. Honda gehört nun nicht mehr dazu und ist auch nicht mehr erwünscht. Er unterdrückt den Drang, sich wenigstens von den engsten Freunden zu verabschieden, erspart sich und ihnen den Gesichtsverlust. Im Stall sattelt er sein Pferd, schnallt das Bündel hinter den Sattel und reitet vom Hof. Weder der Stallbursche noch einer der vielen anderen Bediensteten schenkt ihm Aufmerksamkeit oder gar Respekt. Honda muss sich erst noch an diese Verachtung gewöhnen, zu lange ist ihm Respekt zuteil geworden. Er nimmt die Drohung des neuen Fürsten sehr ernst und treibt sein Pferd scharf an. Wenn er nur die für sein Pferd nötigsten Pausen einlegt, kann er am späten Abend in einer der Nachbarprovinzen sein. Damit wäre er der direkten Bedrohung seines Lebens durch die Samurai des neuen Fürsten entkommen. Nicht, dass dadurch sein Leben in Sicherheit wäre; jedoch bestünde keine akute Gefahr mehr.
Auf seinem Ritt durchlebt er nochmals alle Momente vom Auffinden des toten Fürsten bis zu seinem Landesverweis durch dessen Sohn. Die Art der Ermordung liefert ihm einen wichtigen Hinweis, denn nicht alle Ninja-Clans benutzen die Wurfsterne für ihre Taten. Auch die Spuren, die er auf dem Rückweg von dem Pfad im Wald bis zum Unterholz beim Haus gefunden hat, geben ihm wertvolle Informationen. Genau genommen ist es das völlige Fehlen solcher Spuren, was ihm aufgefallen ist. Der Mörder hat das Haus nicht lange beobachtet, um den besten Moment für seine Tat zu finden. Vielmehr wusste er bereits alles, was er für den Mord wissen musste. Wer hatte ihm diese Informationen gegeben?
Diese Art des Vorgehens spricht für einen gut ausgebildeten Ninja und nicht etwa für einen herumstreifenden Ronin. Die Clans der Iga-Region bilden ihre Kämpfer von Kindesbeinen in vielen Techniken aus. Nicht nur Kampftechniken, sondern auch besondere körperliche Belastungen werden trainiert. Diese Krieger verfügen über sehr viel Wissen in verschiedenen Gebieten und nutzen Waffen, die für einen Samurai nicht in Frage kommen. Sie sind sehr gefährliche Gegner und auch im offenen Kampf nicht zu unterschätzen.
Honda legt sich eine Reiseroute im Kopf zurecht, da er sein Ziel nun kennt. Er muss in die Iga-Region und zuerst den Clan finden, dessen Krieger den Auftrag zu dem Mord übernommen hat. Dann wird er den tatsächlichen Mörder ausfindig machen und ihn zum offenen Kampf stellen.
Kapitel 2
Erst Stunden nach dem Sonnenuntergang erreicht Tametomo die nächste Provinz. Aus Vorsicht ist er vom üblichen Handelsweg abgebogen und über kleine Waldpfade weitergeritten. Es ist nur ein ungutes Gefühl, das ihn zu diesem Verhalten veranlasst. Aus irgendeinem unklaren Grund hegt er Zweifel an dem Wort des neuen Provinzfürsten. Als er die Grenzmarkierungen endlich passiert und auf der anderen Seite in den Wald eintaucht, entspannt der erfahrene Krieger sich ein wenig.
Für sein Nachtlager sucht er nach einem Wasserlauf, da er sein Pferd zunächst gut versorgen möchte. Bald vernimmt er ein leises Plätschern und folgt dem Geräusch, bis er an einen kleinen Fluss gelangt. Noch unter den Bäumen hält er an und sucht mit allen Sinnen die nähere Umgebung ab. Minutenlang sitzt er bewegungslos auf seinem Pferd, das sich ebenfalls völlig still verhält. Es ist ein sehr erfahrenes Tier und kennt seine Rolle. Schließlich führt Tametomo sein Pferd mit leichtem Schenkeldruck auf die Lichtung, steigt ab, nimmt Sattel und Beutel ab und führt das Tier am Kopfgeschirr zum Wasser. Während das Pferd sofort durstig sein Maul in das frische Nass steckt, mustert sein Reiter erneut sorgfältig die Umgebung. Es gibt hier auch Raubtiere, und möglicherweise kommen sie ausgerechnet an diese Furt, um ihren Durst zu stillen oder leichte Beute zu machen.
Seine scharfen Augen suchen das Ufer nach Spuren ab, doch er kann keine verdächtigen Abdrücke entdecken. Honda nimmt daraufhin seine Jacke und legt sorgsam seine beiden Schwerter darauf ab. Dann schlüpft er aus dem weiten Hemd und schöpft kühles Wasser über Kopf und Oberkörper. Als er sich ausreichend erfrischt hat, zieht er schnell wieder seine Kleidung an und führt das Pferd zurück unter die Bäume. Tametomo sucht sich einen natürlichen Unterschlupf aus Büschen und Bäumen. Er biegt einige Zweige eines Busches zur Seite und zieht sein Pferd unter das grüne Dach. Kaum haben sich die Zweige zurückgebogen, sind Mensch und Tier vor neugierigen Blicken geschützt. Es sind drei ausladende Büsche, die um zwei Bäume stehen. Unter den Zweigen ist eine kleine Höhle von zehn bis zwölf Quadratmetern entstanden. Tametomo bindet das Pferd an einen kräftigen Zweig und macht sich mit dem Sattel als Kopfstütze ein Lager. Schließlich liegt er entspannt auf dem Rücken, kaut ein Stück Trockenfleisch und behält seine rechte Hand am Katana. Nachdem er den letzten Bissen hinuntergeschluckt hat, schließt er die Augen.
*
Leises Schnauben weckt Tametomo. Ohne sich zu bewegen, öffnet er seine Augen. Sein Pferd hat nervös die Ohren nach vorne gerichtet und schnaubt erneut. Irgendetwas macht dem Tier Angst. Honda hört ein gereiztes Fauchen vom Fluss und ahnt den Anlass für die Unruhe seines Pferdes. Leise kriecht er unter den Büschen hindurch, bis er durch die Bäume zum Wasser blicken kann. Seine Ahnung wird bestätigt, als er zwei Wildkatzen im niedrigen Wasser stehen sieht. Die eine Wildkatze hat einen Fisch im Fang, während die etwas kleinere Katze sie scharf anfaucht. Tametomo beobachtet das Schauspiel einen Augenblick. Dann kommt ihm eine Idee. Mit lautem Schreien bricht er durch die Büsche und rennt auf die Wildtiere zu. Alarmiert fahren beide Katzen herum, sehen den herannahenden Menschen und flüchten. Wie erwartet lässt die größere Wildkatze den Fisch fallen, so dass Tametomo nun sein Frühstück nur noch aufsammeln muss. Zufrieden mit seiner kleinen List macht er ein Feuer und bereitet den Fisch zu.
Eine Stunde später sitzt Tametomo bereits wieder im Sattel und treibt sein Pferd in Richtung Kyoto. Er will seinen alten Meister in der Yoshiokaschule aufsuchen und dessen Rat einholen. Der große Fechtmeister hat viele Kontakte und verfügt über ungeheures Wissen, das sich Honda zu Nutze machen möchte.
Auf seinem Ritt begegnet Tametomo vielen anderen Reisenden und wird wiederholt misstrauisch beäugt. An seine neue Rolle als Ronin muss er sich noch gewöhnen; mehrfach fährt er Leute herrisch an. Ihre Reaktionen beweisen ihm immer wieder, wie wenig Respekt und wie viel mehr Angst die Menschen vor einem Ronin haben. Seine Motivation, den Mord an seinen Herrn zu rächen, erhält weitere Nahrung und lässt ihn sein Pferd zu einer schnellen Gangart antreiben. Er macht nur zwei kurze Pausen und erreicht Kyoto am frühen Abend.
Durch die vollen Straßen der großen Stadt kann Tametomo nur im Schritt reiten. Fast vergessene Gerüche und Geräusche umgeben ihn auf dem Weg zur Schule. Viele Jahre ist er als Schüler durch diese Straßen geeilt; damals gehörten diese Gerüche und Geräusche zu seinem täglichen Leben.
„Aus dem Weg! Mach gefälligst Platz, wenn dir ehrenvolle Samurai begegnen! Weg da, du Strolch!“
Die barsche Stimme holt Tametomo in die Gegenwart zurück. Kalt will er dieser Frechheit schon begegnen, da fällt ihm seine Lage wieder ein. Schnell senkt er den Blick und zieht sein Pferd zur Seite. Drei Samurai auf ihren wertvollen Pferden reiten an ihm vorbei, würdigen ihn keines Blickes mehr. Einige Fußgänger verfolgen die Szene neugierig, vereinzeltes Kichern erklingt. Ronin sind eben keine beliebten Mitmenschen, doch nur Samurai fordern sie dermaßen offen. Niedergeschlagen reitet Tametomo weiter zur Yoshiokaschule und gleitet dort auf dem Hof vom Pferd. Kaum berühren seine Füße den Boden, stellen sich zwei Kämpfer der Schule in seinen Weg.
„Was willst du hier? Herumziehende Strolche empfängt der Meister nicht!“
Harte
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: vss-verlag Hermann Schladt
Lektorat: Werner Schubert
Tag der Veröffentlichung: 03.11.2012
ISBN: 978-3-95500-622-8
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