Ken Norton – Band 3
Lothar Gräner – Priester des Dämonengottes
1. eBook-Auflage – Juni 2011
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Allan Bruder
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de
Ken Norton
Das große Fantasy-Abenteuer Nr. 3
Priester des Dämonengottes
von
Lothar Gräner
Charles M. Webber stieg mit klopfendem Herzen aus dem Taxi. Dem englischen Geschäftsführer der irischen Whiskyfabrik Buchannan Ltd. war alles andere als wohl in seiner Haut bei dem Gedanken an das, was er vorhatte. Seit dem Verschwinden seines Arbeitgebers vor einigen Tagen hatte er nach der Rückkehr von einer Geschäftsreise untätig in seinem Zimmer des Luxushotels gesessen und vergeblich auf John Buchannan gewartet.
Der Ire war wie vom Erdboden verschwunden. Dabei gab es eine Spur. Webber selbst hatte seinen Chef und dessen Begleiter, einen Franzosen namens Jean Picard, in ein Haus gehen sehen, das einer gewissen Madame Bourgardez gehörte. Webber hatte zunächst unschlüssig abgewartet, doch als die beiden nicht wieder aus dem Haus kamen musste er unverrichteter Dinge ins Hotel zurückfahren. Sein Flugzeug ging früh am nächsten Morgen, und er musste pünktlich in Singapur ankommen, sollte das Millionengeschäft mit den chinesischen Handelspartnern nicht platzen.
Nachdem der Vertrag unterzeichnet war, flog Webber sofort nach Südfrankreich zurück. Seine Hoffnung, John Buchannan im Hotel anzutreffen, erfüllte sich allerdings nicht.
Noch immer waren John Buchannan und Jean Picard verschwunden.
Der Engländer suchte das Haus der mysteriösen Madame Bourgardez auf und erkundigte sich nach dem Verbleib seines Chefs. Die Frau bestritt, den Mann überhaupt zu kennen, und Webber blieb nichts anderes übrig, als wieder zu gehen.
Fünf Tage waren seit dem Verschwinden seines Arbeitgebers vergangen. Seit zwei Tagen hielt sich Webber wieder in Cannes auf. Während er wartete und hoffte, führte er zahlreiche Telefongespräche mit der Firma. Sein Stellvertreter wunderte sich schon gar nicht mehr über die unzähligen Anrufe. Er konnte immer nur wiederholen, der Boss sei nicht da und habe sich auch nicht gemeldet.
Für Webber konnte das nur heißen: Valerie Bourgardez hatte gelogen. John Buchannan und Jean Picard hielten sich immer noch in deren Haus auf, wurden möglicherweise dort gefangen gehalten.
Was das bedeutete, war dem Engländer ein Rätsel. Er ahnte nur, dass es etwas mit dem seltsamen Hobby seines Bosses zu tun haben müsse. Als er ihn und den Franzosen vor ein paar Tagen zu dem Haus begleitet hatte, war Mr. Buchannan etwas gesprächiger gewesen und hatte erzählt, dass mit dieser Frau etwas Fürchterliches geschehen wäre. Webber stellten sich jetzt noch die Nackenhaare auf, wenn er daran dachte.
Jean Picard hatte Valerie Bourgardez besuchen wollen. Als auf sein Klopfen und Rufen hin niemand öffnete, suchte er sie im Haus und fand sie in ihrem Schlafzimmer liegend, aus dem Leib der Frau schlugen – Flammen!
Der Franzose löschte das Feuer und rettete der Frau das Leben.
Dabei habe es sich um das Phänomen der spontanen Selbstentzündung gehandelt, erfuhr Charles M. Webber. Was es damit auf sich hatte, wusste er nicht. Er verstand ohnehin nichts von solchen Dingen. John Buchannan hingegen konnte man als Experten bezeichnen. Seit frühester Jugend befasste er sich mit okkulten und parapsychologischen Dingen und besaß eine große Sammlung von Gegenständen, Büchern und Fetischen. Über ein Magazin, das ausschließlich grenzwissenschaftliche Themen behandelte, war der Ire mit Jean Picard in Kontakt gekommen. Sie verabredeten ein Treffen, um gemeinsam Valerie Bourgardez zu besuchen. John Buchannan wollte sich unbedingt mit dieser geheimnisvollen Frau zu unterhalten.
Das sollte an dem Abend geschehen, als die beiden Männer verschwanden
Charles M. Webber sah dem davonfahrenden Taxi hinterher. Ein unheimliches Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit beschlich ihn dabei. Um ihn herum waren die seltsamsten Geräusche zu hören. Es war Abend über der Provence, und der Wind strich durch die dürren Äste der Olivenbäume, Zikaden zirpten, und der Geruch von Lavendel und wilden Kräutern stieg Webber in die Nase.
Das Haus lag auf einem Hügel. Im Licht des aufgehenden Mondes wirkte es geradezu gespenstisch auf den anschleichenden Mann. Was er sich vorgenommen hatte, war für den Engländer mehr als ein Abenteuer. Es war ein Selbstmordkommando – zumindest kam es ihm so vor. Denn er war alles andere als ein Held. Eher ein Hasenfuß, der das geregelte Leben liebte. Aber für seinen Boss wäre Webber mit nackten Füßen über glühende Kohlen gelaufen; er hätte ihn sogar aus der Hölle zurückgeholt.
Und genau so kam er sich auch vor – als wäre er auf dem Weg in die Hölle!
Indes war er ein wenig vorbereitet. Als Geschäftsführer der Buchannan Whisky Ltd. erschien Webber stets sorgfältig und korrekt gekleidet im schwarzen Anzug, Bowler auf dem Kopf und mit dem unvermeidlichen Regenschirm bewaffnet in der Firma. Anzug und Bowler hingen jetzt im Hotelzimmer, auch auf den Regenschirm hatte er verzichtet. Am Nachmittag war der Engländer einkaufen gegangen und hatte in einem Geschäft für Freizeitbekleidung eine dunkle Hose, ein eng anliegende, dunkle Jacke und Schuhe mit dicken Kreppsohlen erstanden – freilich nicht ohne zu überlegen, ob der in seinen Augen unverschämte Geldbetrag, den er bezahlen musste, als Betriebsausgabe steuerlich absetzbar war. Als er sich jetzt an das Haus heranschlich, knirschte es leise unter seinen Schuhen. Die Fenster vor ihm waren dunkel, kein Geräusch war sonst zu hören. Webber presste sich an die graue, von der Sonne tagsüber aufgeheizte Wand neben der Eingangstür und hielt den Atem an. Er war sicher, dass diese Französin seinen Boss und dessen Begleiter in ihrer Gewalt hatte, und er fragte sich, was sie damit bezweckte. Um eine Entführung konnte es sich nicht handeln, eine Geldforderung war bisher weder im Hotel noch in der Firma in Irland eingegangen.
Webber wartete eine gute Viertelstunde. Dann umrundete er das Haus. Von der Frau war bisher nichts zu sehen oder hören gewesen. Der Engländer fand eine Hintertür, die vom Haus in den verwilderten Garten führte. Als er die Klinke hinunterdrückte, ließ sie sich aufschieben. Dunkelheit umgab ihn, als er sich in den Raum dahinter schob, und seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich daran gewöhnt hatten. Dann konnte er die grauen Umrisse erkennen. Er stand in der Küche. Vorsichtig ging er um den Tisch herum, erreichte die andere Tür und zog sie auf.
Mit dem Mut eines Löwen und dem Herzen eines Hasen betrat er den Flur.
*
Zwei Tagesritte von der argoonischen Hauptstadt entfernt begann ein riesiges, kaum zu durchdringendes Waldgebiet. Die Bäume standen so dicht beieinander, dass sie fast eine Mauer bildeten. Und doch gab es Stellen, die einen Durchschlupf gewährten. Eine Schar Reiter zwängte sich durch so einen Durchlass. Jurak U’Shaine führte sie an. Er war abgestiegen und hatte die Zügel seines Pferdes in die Hand genommen. Ihm folgte Aylisha. Die Trauer um den ermordeten Vater stand der Prinzessin und Nachfolgerin auf dem Thron König Urdaks immer noch ins Gesicht geschrieben. Doch auch Zorn und Hass auf die Mörder waren darin zu lesen. Seit ihrer Flucht aus Bel-achay hatte Aylisha immer wieder beteuert, dass sie nicht ruhen würde, bis der Tod ihres Vaters gerächt und sie Königin sein würde.
Es waren kaum mehr als zwanzig Krieger, die sich um die Prinzessin geschart hatten. Sie waren dem Königshaus treu ergeben und hatten nun den Treueid auf die Prinzessin geschworen. Doch handelte es nicht nur um Argoonier, die bereit waren, an diesem Kampf teilzunehmen. Unter ihnen befanden sich drei Menschen, die ein schreckliches Schicksal aus ihrer Welt herausgerissen hatte, und die sich nun einem Leben gegenübersahen, wie es im tiefsten Mittelalter auf der Erde geherrscht haben mochte.
Ken Norton, ein englischer Anthropologe und Abenteurer, hatte in Marrakesch nach der ›Blume des Lebens‹ gesucht. Ohne zu ahnen, dass sein Auftraggeber, der zwielichtige Graf Raymond de Chanfray, ihn damit geradewegs in die Hölle schickte.
Norton hatte alte Beziehungen spielen lassen und Kontakt zu einem Händler aufgenommen. Mustafa Terjoong entpuppte sich indes nicht nur als Kunstdieb und Anführer einer solchen Bande, sondern auch als Anhänger eines dämonischen Kultes. Um in der Hierarchie der Sekte nach oben zu steigen, benötigte Terjoong ein Menschenopfer, und der Engländer war dazu ausersehen.
Doch als das Ritual vollzogen werden sollte, ging etwas schief. My-Tharn-yarl verschmähte das angebotene Opfer und bestrafte seinen Diener. Ken Norton aber fand sich in einer unwirtlichen Gegend wieder und wusste noch nicht, dass es für ihn keine Rückkehr geben würde.
Vorerst zumindest. Eine Karawane, die sich auf dem Weg nach Bel-achay befand, rettete ihm das Leben. In der argoonischen Königsstadt machte Norton die Bekanntschaft eines Gauklers. Tam y Lin bot sich ihm als Fremdenführer an – jedoch nicht ohne Hintergedanken. Zusammen wurden sie Zeugen des Attentats auf König Urdak, und wenn Ken Norton auch in den Kampf eingriff, so gelang es ihm doch nicht, den Mord zu verhindern. Immerhin konnte er das Leben des Waffenmeisters retten.
Die beiden anderen Männer gelangten auf einem nicht weniger abenteuerlichen Weg in diese archaische Welt. John Buchannan und Jean Picard waren nur knapp dem Tode entkommen, als sie im Haus der Madame Bourgardez von einem Dämon angegriffen wurden. Als sie wieder erwachten, fanden sie sich in einem Höhlensystem wieder, aus dem es scheinbar kein Entrinnen gab. Ein Zwerg zeigte ihnen schließlich den Weg und gab ihnen den Auftrag, den Mann mit dem goldenen Helm zu suchen, den dieser einst den Zwergen gestohlen hatte.
John Buchannan und Jean Picard trafen etwa zur selben Zeit in Bel-achay ein wie Ken Norton. Auch sie griffen in den Kampf auf dem Tempelvorplatz ein und schlossen sich den Rebellen gegen Nergal, den Oberpriester und Drahtzieher des Anschlags auf das Königshaus, an.
»Wie weit mag es wohl noch sein?«, stöhnte Jean Picard.
Mit einem wohligen Seufzer war der Franzose aus dem Sattel geglitten. Er war das Reiten nicht gewohnt, und sein Hinterteil protestierte entsprechend heftig.
John Buchannan zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung«, erwiderte er. »Aber vielleicht kann unser englischer Freund das herausfinden.«
Er blickte sich nach Ken Norton um, der hinter ihm schritt.
»Sieht so aus, als würdest du dich hier ziemlich gut verständigen können. Frage doch mal unseren Anführer, wann wir das Versteck erreichen.«
Der Anthropologe hatte bei seiner Ankunft in dieser Welt die erstaunliche Entdeckung gemacht, dass die Menschen hier eine Sprache verwendeten, die einem Dialekt aus dem Sanskrit ähnelte. Ken hatte daher keine Schwierigkeiten gehabt, sich verständlich zu machen.
»Der Waffenmeister sagte, dass wir es bis zum Sonnenuntergang schaffen würden«, erwiderte Norton und blickte zum Himmel.
Hoch über den Männern waren schwarze Wolken aufgezogen. Jurak U’Shaine war stehen geblieben. Seine Augen folgten Kens Blick.
»Es scheint, als beschwöre Nergal schon die dunklen Mächte herauf«, stieß er hervor. »Es sind keine natürlichen Wolken, die Ihr dort seht.«
Er zog sein Schwert und bahnte sich mit der Klinge einen Weg durch das Unterholz. Die Männer folgten ihm. Nach einer Weile wurde der Weg breiter, aber immer noch mussten sie ihre Pferde am Zügel führen. Immer tiefer ging es in den Wald hinein, bis sie eine Stelle erreichten, wo die Bäume sich lichteten.
»Wir rasten hier«, wies Jurak U’Shaine die Gruppe an. »Mit Chrios’ Hilfe werden wir morgen ein noch sichereres Versteck erreicht haben. Bis dahin müssen wir wachsam sein.«
Er teilte die Wachen ein. Ein Feuer konnten sie nicht entfachen, und so gab es nur Wasser aus Schläuchen, die sie unterwegs an einem Arm der Straße der Legenden gefüllt hatten. Bei ihrer überstürzten Flucht aus Bel-achay war keine Zeit gewesen, Proviant mitzunehmen. Ein Umstand, der besonders John Buchannan zu schaffen machte. Seine letzte Mahlzeit war das Frühstück in der Herberge gewesen, und der Ire dachte mit Wehmut an das Festessen, das Moran ihnen – im wahrsten Sinne des Wortes – gezaubert hatte.
Die Männer, die nicht zur Wache eingeteilt waren, suchten sich einen Platz zum Schlafen. Jurak U’Shaine sorgte dafür, dass Prinzessin Aylisha eine Bettstatt hinter einem dichten Busch bekam, wo sie ungestört war. Ken Norton hatte seine Dschellaba ausgezogen und auf dem Boden ausgebreitet. John und der Franzose gesellten sich zu ihm.
Die drei sahen sich an, und plötzlich mussten sie schmunzeln.
»Wie hat es dich denn in diese seltsame Welt verschlagen?«, fragte der Whiskyfabrikant, der sich nach nichts mehr sehnte als nach einem kräftigen Schluck seines eigenen Erzeugnisses. Nach dem Kampf auf dem Tempelvorplatz und der Flucht aus der Königsstadt hatten sie keine Gelegenheit gehabt, sich weiter miteinander bekannt zu machen, als ihre Namen zu nennen. Nun wollten sie sich näher kennenlernen.
Der Engländer erzählte ihm von dem Auftrag des französischen Grafen, der ihn zuerst nach Marrakesch und schließlich hierher verschlagen hatte. Jean Picard schnappte nach Luft, als er den Namen Chanfray hörte.
»Kennst du
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: vss-verlag Hermann Schladt
Lektorat: Werner Schubert
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2012
ISBN: 978-3-95500-603-7
Alle Rechte vorbehalten