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Ken Norton – Band 1
Lothar Gräner – Das Zepter der Finsternis
1. eBook-Auflage – Juni 2011
© vss-verlag Hermann Schladt
Titelbild: Allan Bruder
Lektorat: Werner Schubert
www.vss-verlag.de


KEN NORTON
Das große Fantasy—Abenteuer
Nr. 1

Das Zepter der Finsternis
von
Lothar Gräner

Von den Höhen der Dasachannberge ergießt sich ein gewaltiger Fluss, der einen ganzen Kontinent durchfließt und mit seinem Wasser nährt. Die Völker, die an seinen Ufern leben, gaben ihm den Namen „Die Straße der Legenden“, denn so bunt und vielfältig wie diese Völker sind die Sagen und Legenden, die sich um den Fluss ranken und die des Abends an den Feuern der Hirten und Karawansereien erzählt werden.
Wie die Legende vom „Zepter der Finsternis“.
Vor Urzeiten schuf der Gott My-Tharn-yarl die Welt. Er verliebte sich in Neira, die Göttin der Meere und allen Wassers. Doch Neira erwiderte diese Liebe nicht. Voller Verlangen nach ihrem Körper nahm My-Tharn-yarl die Gestalt eines schönen Jünglings an und verführte die Meeresgöttin.
Sie gebar die Zwillinge Chrios und Nheli, zwei Töchter, die gegensätzlicher nicht hätten sein können. Während Chrios rein und voller Licht war, brach aus Nheli die dunkle Seite ihres Vaters hervor. Auf Geheiß des großen Gottes wurde Chrios die Göttin des Lichts, während seine Lieblingstochter die dunkle Seite seiner Macht verkörperte.
Während die einen Chrios verehrten, beteten andere die Göttin der Finsternis an. Eines Tages kam es zum Streit um die Herrschaft über die Welt, und ein großer Kampf begann. Lange Zeit war der Himmel über der Straße der Legenden verdunkelt, während sich das Wasser des Flusses von dem Blut der Toten rot färbte. In einer letzten großen Schlacht gelang es Chrios, ihre Schwester zu besiegen und sie bannte die dunklen Kräfte in einen Kristall.
Gil-Em-lot, der Schmied der Götter, schuf ein goldenes Zepter, das von diesem Kristall geziert wurde. Chrios machte das Zepter den Menschen zum Geschenk, als Zeichen des Bundes zwischen ihnen. Seit jenen fernen Tagen wurde das Zepter der Finsternis im Lichttempel von Bel-achay bewahrt. Jedes Jahr, am Tage des Sieges über die Finsternis, zeigte man es dem Volk, und der Bund wurde erneuert. Pilger aus aller Herren Länder kamen in die Hauptstadt des argoonischen Königreiches, und es herrschte ein buntes Treiben und ausgelassene Stimmung. Auf dem Höhepunkt der Feierlichkeiten wurde das Zepter den Menschen gezeigt, um ihnen vor Augen zu führen, dass Chrios, die Lichtgöttin, über sie wacht.
Doch eines Tages verschwand das Zepter aus dem Tempel, und die Anhänger der Göttin Nheli erstarkten. Dunkle Mächte streckten ihre Hände aus nach den Ländern an den Straßen der Legenden, und Tod und Verderben kam über alle Königreiche.
Dies geschah vor vielen Zeitaltern, doch noch immer tobt der Kampf zwischen Gut und Böse. Niemand kann sich ihm entziehen, denn die Macht des Dämonengottes ist bis in ferne Welten spürbar.
My-Tharn-yarl lebt, und seine Anhänger streben danach, Nheli aus ihrem Kristallgefängnis zu befreien, um der Finsternis Tür und Tor zu öffnen.

Die Gestalt drückte sich an die Mauer, die das Château Chanfray umgab, und verharrte einen Moment still. Sie trug einen eng anliegenden Anzug aus schwarzem Latex, der sich kaum von den dunkeln Steinen der Schlossmauer abhob.
Schwarz war auch die Maschinenpistole, die über der Schulter des ungebetenen Besuchers hing ...
Am Himmel stand der silberne Mond. Es war so hell, dass der Mann genug sehen konnte. Er schlich langsam weiter zum Tor. Wie erwartet, war die schmale Tür daneben verschlossen, doch für den Eindringling war das kein Hindernis. Er zog einen Bund aus der Tasche seiner eng anliegenden Jacke, an dem verschiedene Dietriche hingen. Er benötigte mehrere Versuche, bis sich die Tür mit einem leisen Klicken öffnete. Rasch schlüpfte der Mann hindurch und drückte sie hinter sich wieder zu.
Ein kurzer Blick, dann lief er über den Schlosshof, erreichte die Treppe, die zum Eingang empor führte, und blieb dort leise atmend stehen.
Bis hierher hatte er es geschafft. Es war ein Kinderspiel gewesen; der schwierigste Teil seiner Mission lag noch vor ihm.
Er schaute auf die Reihe Autos, die im Schlosshof standen. Teure Modelle; für jedes einzelne konnte man gut und gerne ein Einfamilienhaus kaufen. Der Mann grinste. Raymond de Chanfray hatte illustere Gäste geladen. Sie alle gehörten zu dem Kreis Eingeweihter, die an diesem Abend an einem ganz besonderen Ritual teilnahmen.
Ein Ritual, das zu stören er gekommen war ...
Die Eingangstür war nicht verschlossen. Der Mann warf einen kurzen Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk, bevor er die Halle betrat. Viel Zeit blieb ihm nicht mehr. Wenn sein Plan gelingen sollte, musste er sich beeilen.
Er orientierte sich kurz. Es war schon lange her, dass der Hausherr ihn in seinem Château empfangen hatte. Damals hatte es nur wenig Gelegenheit gegeben, sich genau umzusehen, aber ihm hatte es gereicht. Immerhin wusste er, dass sich der Altarraum im Keller befand, genau wie das Zimmer, in dem sich die Gäste umzogen.
Die Stille war beinahe beängstigend. Aber Angst hatte er nie gekannt. Außerdem konnte er beruhigt sein, denn außer der Versammlung unten im Keller war sonst niemand im Schloss; der Graf hatte seiner Dienerschaft, wie immer an solchen Tagen, freigegeben.
Er durchquerte die Halle, die mit alten, kostbaren Möbeln vollgestellt war. An den Wänden hingen wertvolle Bilder. De Chanfrays Ahnengalerie, aber auch Werke bekannter Maler wie Degas, Monet oder Picasso. Unter anderen Umständen hätte er sich mit diesen Gemälden befasst, doch heute war er nicht gekommen, um Kunstschätze zu stehlen, sondern etwas viel Wertvolleres ...
Vor ihm lag eine Treppe, die in den Keller führte. Ein fahles Licht brannte und erhellte sie nur unzureichend. Der Eindringling tastete sich langsam die Stufen hinunter. Unten angekommen wandte er sich dem rechten Gang zu; der linke führte, wie er wusste, zum Weinkeller. Der Gang mündete vor einer Tür. Dahinter befand sich ein großer Raum, von dem wiederum mehrere Türen abzweigten. Hinter einer von ihnen hörte er Stimmen.
Jetzt galt es, schnell zu handeln; offenbar befanden sie sich schon im Altarraum!
Er öffnete die Tür neben sich und stand in dem Zimmer, in dem er sich schon einmal umgezogen hatte. Ein schwarzer Umhang hing noch an einem Haken. Der Mann nahm ihn und streifte ihn über, die Kapuze verdeckte seinen Kopf. Dabei zog er die Maschinenpistole nach vorne, so dass sie vor seinem Bauch hing, vom Umhang aber verborgen war. Dann verließ er das Zimmer wieder und ging entschlossen zu der Tür, die zum Allerheiligsten führte. Ohne zu zögern drückte er die Klinke hinunter und trat ein.
Die Wände des Altarraumes waren mit schwarzer Seide bespannt. An den Seiten standen Feuerschalen auf mannshohen Ständern. Ihr Licht flackerte und warf gespenstische Schatten auf die Anwesenden. Gespannte Ruhe herrschte hier drinnen. Sie alle warteten auf den Beginn des großen Rituals. In dieser Nacht würde einer von ihnen den Weg gehen, und damit würde ihre Macht ein weiteres Mal gestärkt. Jedes Opfer brachte sie ihrem Ziel einen Schritt näher auf dem Weg, an dessen Ende das lag, wonach alle hier Versammelten strebten – Unsterblichkeit!
Allerdings ahnten sie nicht, dass unter ihnen ein Eindringling war. Einer, der nicht zu ihnen gehörte, der vielmehr gekommen war, um ihnen das Kostbarste zu nehmen, das sie besaßen.
Das Zepter der Finsternis!

*

Der Mann wusste, dass er sterben würde, aber er sah der Stunde seines Todes gelassen entgegen. Man hatte ihn aus dem Zimmer geholt, in dem er eine Woche ohne Speisen und Getränke zugebracht hatte. Drogen vernebelten sein Gehirn, und in seinen Träumen sah er sich bereits in der anderen Welt. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis er über die Schwelle vom Leben zum Tode trat, und er konnte den Moment kaum noch erwarten.
An der Stirnseite des Raumes war ein Altar aufgebaut, vor dem eine Gestalt kniete. Sie trug einen schwarzen Umhang, wie alle anderen, nur besaß ihrer zusätzlich ein blutrotes Innenfutter.
Der Mann in dem Umhang hatte sein stummes Gebet verrichtet und erhob sich. Langsam drehte er sich zu seinen Anhängern um, hob den rechten Arm und rief mit schneidender Stimme: „Bringt das Opfer!“
Aus dem Hintergrund waren Geräusche zu hören. Zwei Gestalten schleppten den Mann heran. Er war nackt, hing zwischen ihnen, hielt den Kopf gesenkt, seine Augen waren geschlossen. Gegenwehr ging von ihm nicht aus. Sie brachten ihn zum Altar und legten ihn darauf.
Der Anführer der Sekte breitete die Arme aus.
„My-Tharn-yarl, Gott der Dämonen, Herrscher über das Reich der Finsternis, wir bitten dich, nimm das Opfer gnädig an und erweise ihm die Gunst des ewigen Lebens.“
Ein Raunen ging durch das Kellerverlies, als der Mann in dem Umhang zum Altar ging und das geweihte Zepter in die Hand nahm. Ehrfürchtig küsste er es, bevor er sich wieder umdrehte.
„Dies ist die Stunde des Todes und des Lebens“, sagte er. „Unser Bruder hat den Weg gewählt. Mit seinem Fortgang aus dieser Welt wird er in eine neue gehen. Er hat alle Stufen seines irdischen Daseins durchschritten und sich würdig gezeigt, ein Diener der Finsternis zu werden.“
Wieder raunte es. Die Anhänger des unheimlichen Kultes verzehrten sich danach, an der Stelle des Mannes zu sein, der auf dem Altar lag. Denn am Ende des Weges würde ein anderes Leben stehen. Ein Leben, das ihnen Macht und Reichtum versprach und – Unsterblichkeit!
Raymond de Chanfray küsste das Zepter erneut, bevor er es an seinen Platz zurücklegte. Dann griff er unter seinen Umhang und zog einen Dolch hervor. Niemand sah das triumphierende Lächeln in seinem Gesicht, als er die Spitze auf die Brust des Opfers setzte.
„Halt!“
Eine donnernde Stimme störte das Ritual. Verstört sah de Chanfray sich um. Im selben Moment ertönte eine Salve von Schüssen. Die Vermummten schrieen durcheinander und flüchteten in eine Ecke des Altarraumes. Panik breitete sich aus.
De Chanfray starrte entsetzt auf die Gestalt, die sich langsam dem Altar näherte. Sie trug einen Umhang wie alle anderen, und ihr Kopf war verborgen. Das einzige, was der Graf deutlich erkannte, war eine Maschinenpistole, deren Lauf auf ihn gerichtet war.
Er wich zurück, als der Mann, offenbar ein Eindringling, der nicht zu der Gruppe gehörte, sich ihm näherte. Doch Raymond de Chanfray schien nicht sein Ziel zu sein. Der Vermummte betrat das Podest, auf dem der Altar stand, warf einen kurzen Blick auf die Gestalten, die immer noch verängstigt in der Ecke kauerten, und griff nach dem Zepter.
Ein Stöhnen entrang sich de Chanfrays Brust als er sah, wie das Zepter unter dem Umhang verschwand. Es schien, als werfe der Frevler noch einen Blick auf den Mann auf dem Altar, dann wandte er sich um und schritt rückwärts zur Tür.
„Wer mir folgt, bekommt eine Kugel!“, warnte er, bevor er die Tür aufdrückte, hindurchschlüpfte, sich von außen dagegen warf und den Riegel umlegte.
Rasch entledigte er sich seines Umhangs, der ihm bei der Flucht nur hinderlich gewesen wäre, und rannte die Treppe hinauf.
Im Verlies gewann Raymond de Chanfray als erster seine Fassung zurück.
„Ihm nach!“, brüllte er mit überschnappender Stimme. „Wir müssen ihn einholen! Er darf das Zepter nicht von hier fortbringen!“
Doch seine Worte verhallten, ohne dass sich jemand geregt hätte. Er rannte zur Tür und warf sich dagegen. Ohne irgendeine Wirkung. Das zentimeterdicke Stahlblech hielt jedem Ausbruchsversuch stand. Er selbst hatte angeordnet, dass die Tür so solide gebaut wurde. Ohnmächtig trommelte der Graf dagegen und brüllte aus Leibeskräften.
Gleichzeitig wurde ihm bewusst, wie unsinnig sein Unterfangen war. Außen ihnen hier unten war niemand im Schloss. Er selber hatte den Bediensteten freigegeben, um das Ritual ungestört durchführen zu können. Jetzt mussten sie warten, bis die Leute, die im Schloss arbeiteten, zurückkamen und die Rufe der Eingeschlossenen hörten.
Doch das würde nicht vor dem nächsten Morgen sein.
Den Mann auf dem Altar beachtete de Chanfray nicht mehr. Das Opfer war nutzlos geworden; sie konnten das Ritual ohne das Zepter nicht durchführen und mussten hoffen, dass der Dämonengott sich ihnen gnädig zeigte und sie nicht mit seinem ganzen Zorn bestrafte.
Die

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: vss-verlag Hermann Schladt
Lektorat: Werner Schubert
Tag der Veröffentlichung: 02.11.2012
ISBN: 978-3-95500-600-6

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