1 Einleitung
Seit Jahren interessiere ich mich dafür, mehr über das Abendmahl zu erfahren, weil meine lutherische Prägung mit der Lehre kollidierte, die ich über das Abendmahl gehört hatte. Als ich dann begann Material für eine Arbeit zu sammeln, stieß ich auf das Thema Passahmahl und Abendmahl. Je mehr ich darüber las, desto interessanter wurde es. Als ich dann aus organisatorischen Gründen das Thema eingrenzen musste, war es keine Frage, dass ich über den Zusammenhang zwischen Passahmahl und Abendmahl schreiben wollte.
Mein Ziel mit dieser Arbeit ist hauptsächlich den Zusammenhang zwischen Passahmahl und Abendmahl darzustellen und damit vielleicht neue Einsicht in die Bedeutung des Abendmahls und seiner praktischen Umsetzung zu gewinnen.
Dazu wird im Gliederungspunkt 2 untersucht werden, ob das Abendmahl tatsächlich einen Zusammenhang mit dem Passahmahl hat, insbesondere ob es in Verbindung mit einem Passahfest eingesetzt wurde. Danach wird im 3. Gliederungspunkt analysiert, welche Bedeutung das Passahmahl hatte und wie es eingesetzt wurde. Nachdem dasselbe im Gliederungspunkt 4 auch für das Abendmahl geklärt wurde, insbesondere durch eine Betrachtung der neutestamentlichen Bibelstellen, wird im Gliederungspunkt 5.1 die Verbindung zwischen den beiden Mahlen dargestellt werden. Daraufhin wird kurz im Punkt 5.2 die Präsenz Christi beim Abendmahl erörtert und schließlich in Punkt 5.3 praktische Umsetzungsmöglichkeiten, die sich aus dem vorherigen ergeben, betrachtet. Dann erfolgt eine Zusammenfassung im Gliederungspunkt 6, dessen was erarbeitet wurde und ein kurzes Fazit wird gezogen werden.
Dabei werden bibelkritische Fragen nicht erörtert, da ich einen Glauben an die Inspiration der Schrift als gegeben voraussetze.
Zuerst soll nun untersucht werden, ob das Abendmahl im Rahmen eins Passahmahls eingesetzt wurde.
2 War das letzte Mahl Jesu ein Passahmahl?
2.1 Problemstellung
2.2 Die Argumentation von Joachim Jeremias
2.3 Gegenargumente zur Argumentation von Jeremias
2.4 Bewertung der Argumentationsketten
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2.5 Lösungsansätze der Diskrepanz
2.6 Zusammenfassung
2.1 Problemstellung
Um die Verbindung zwischen Passahmahl und Abendmahl zu untersuchen, muss zuerst geklärt werden, ob das Abendmahl tatsächlich im Rahmen eines Passahmahles eingesetzt worden ist. Das ist wesentlich komplizierter als es zunächst den Anschein hat. Zwar bezeichnen die Synoptiker das letzte Mahl Jesu als Passahmahl:
"Aber am ersten Tage der Ungesäuerten Brote traten die Jünger zu Jesus und fragten: Wo willst du, daß wir dir das Passalamm zum Essen bereiten?" (Mt. 26,17) [1].
"Und am ersten Tage der Ungesäuerten Brote, als man das Passalamm opferte, sprachen seine Jünger zu ihm: Wo willst du, daß wir hingehen und das Passalamm bereiten, damit du es essen kannst?" (Mk 14,12)
"Es kam nun der Tag der Ungesäuerten Brote, an dem man das Passalamm opfern mußte.
Und er sandte Petrus und Johannes und sprach: Geht hin und bereitet uns das Passalamm, damit wir's essen." (Lk. 22, 7-8).
[1] Soweit nicht anders gekennzeichnet, erfolgen Bibelzitate nach der Lutherübersetzung 1984.
Johannes jedoch gibt eine andere Perspektive:
"Da führten sie Jesus von Kaiphas zum Prätorium; es war früh am Morgen. Und sie gingen nicht hinein, damit sie nicht unrein würden, sondern das Passamahl essen könnten." (Jh. 18,28).
"Es war aber am Rüsttag für das Passafest um die sechste Stunde. Und er spricht zu den Juden: Seht, das ist euer König!" (Joh. 19,14)
Demnach hätte am Tag der Gerichtsverhandlungen Jesu das Passahmahl noch nicht stattgefunden gehabt, sondern es stand noch bevor. Damit wäre Jesu Tod etwa zur gleichen Zeit wie die Schlachtung der Passahlämmer im Tempel geschehen, was gut zur Absicht des Johannes passt, Jesus als das perfekte Passahlamm darzustellen.
Folglich setzen die Synoptiker das letzte Mahl Jesu auf den 14. Nisan und seinen Todestag auf den 15. Nisan, Johannes dagegen das Abendmahl (auch wenn er es nicht ausdrücklich erwähnt) auf den 13. Nisan, Jesu Todestag jedoch auf den 14. Nisan, der Tag an dem nach alttestamentlicher Vorschrift die Passahlämmer geschlachtet werden.
Allen Evangelien gemeinsam sind die Wochentage des Passionsgeschehens:
- am Donnerstagabend fand das letzte Mahl Jesu statt,
- am Freitagmorgen die Gerichtsverhandlungen,
- am Freitagnachmittag die Kreuzigung,
- am Freitagabend die Grablegung und
- am Sonntagmorgen die Auferstehung.
Neben der erwähnten Diskrepanz stellen sich jedoch auch noch weitere Fragen:
- Wenn das letzte Mahl Jesu ein Passahmahl war, wie kommt es, dass die üblichen Passahzutaten (Passahlamm, Bitterkräuter, Mazzen) in den Evangelien, die über das Mahl berichten, völlig fehlen?
- Wenn das Passahfest zur Zeit des letzten Mahles Jesu von ganz Israel gefeiert wurde, wäre der Todestag Jesu ein sehr hoher Feiertag gewesen, an dem wie auch am Wochensabbat viele Beschäftigungen verboten waren, wie z. B.:
- Das Tragen von Waffen (vgl. Jh. 18,3)
- Gerichtssitzungen (vgl. z. B. Mt. 26,57ff.; 27,1)
- Hinrichtungen (vgl. z. B. Mt. 27,31ff)
- Feldarbeit (Mt. 27,32; Simon von Kyrene, der vom Feld kam)
Es gibt jedoch Indizien, die trotzdem für die Einsetzung des Abendmahles im Rahmen eines Passahmahles sprechen.
2.2 Die Argumentation von Joachim Jeremias
Folgende Indizien für die Feier eines Passahmahles hat Joachim Jeremias zusammengetragen:
- Jesu letztes Mahl fand in Jerusalem statt (Mk. 14,13; Jh. 18,1), was nicht selbstverständlich ist, wenn man bedenkt, dass sich zu der Zeit dort ca. 85.000 – 125.000 Wallfahrer und dazu die Einwohner Jerusalems befanden.
- Dieses Mahl wurde in der Nacht abgehalten (1. Kor. 11,23; Jh. 13,30), was für normale Mahlzeiten unüblich war. Im Normalfall gab es zwei Tagesmahlzeiten, ein Frühstück zwischen 10.00 und 11.00 Uhr und die Hauptmahlzeit am Nachmittag. Für die Feier des Passahmahles jedoch war das Essen während der Nacht Vorschrift (Ex. 12,8).
- Das letzte Mahl Jesu fand ausschließlich zusammen mit den zwölf Jüngern statt (Mt. 26,20), was für Jesus sonst unüblich war, denn normalerweise aß er mit Zuhörern oder war eingeladen. Diese Zusammensetzung entsprach jedoch den Passahvorschriften, nach denen eine Gruppe groß genug sein musste, um ein Lamm zu verzehren (üblicherweise ca. 10 Personen).
- Jesus und die Jünger lagen bei dieser Mahlzeit zu Tisch (Mk. 14,18), was bei normalen Mahlzeiten nicht der Fall war, sondern was höchstens noch bei der Feier von Gastmählern üblich war, wie z. B. einem Hochzeitsmahl. Für das Passahmahl jedoch war die liegende Stellung eine rituelle Pflicht.
- Das Brotbrechen fand im Verlauf der Mahlzeit statt (Mk. 14,22), bei einer gewöhnlichen Mahlzeit jedoch leitete das Brotbrechen die Mahlzeit ein. Während der Passahliturgie jedoch ging das sogenannte Schüsselgericht dem Brotbrechen voran.
- (a) Beim letzten Mahl Jesu wurde Wein getrunken (Mk. 14,23). Wein gab es in Israel nur zu festlichen Gelegenheiten, wie zu den Familienfeiern und den Jahresfesten. Für das Passahmahl jedoch waren vier Becher Wein Pflicht, selbst für die Armen. (b) Der Vergleich zwischen Wein und Blut lässt darauf schließen, dass beim letzten Mahl Jesu Rotwein getrunken wurde. Auch hier war Rotwein für das Passahmahl Vorschrift.
- Der Auftrag Jesu an Judas, den Armen Geld zu geben (so interpretierten jedenfalls die Jünger die Worte Jesu, vgl. Jh. 13,29), ist im Rahmen einer Passahfeier verständlich, da es in der Passahnacht üblich war, den Armen Geld zu geben, damit auch sie den Passahvorschriften folgen konnten.
- Das letzte Mahl Jesu endete mit einem Lobgesang. Während eine normale Mahlzeit mit einem Dankgebet endete, wurde am Ende des Passahmahles die zweite Hälfte des Passah-Hallels gesungen (Ps. 114 – 118)
- Jesus kehrte nach dem Mahl nicht nach Bethanien zurück, wo er vorher übernachtet hatte, sondern ging zum Ölberg (Mk. 14,26). Nach den Passahvorschriften war jeder Pilger verpflichtet, die Nacht in Jerusalem zu verbringen. Wegen der Vielzahl der Teilnehmer wurde dazu der Stadtbezirk von Jerusalem erweitert auf die angrenzende Region. Bethanien gehörte jedoch nicht mehr dazu.
- Die Ankündigung von Jesu Leiden durch die Deuteworte zu Brot und Wein sind im Einklang mit der Passahliturgie, wo der Hausvater zwischen Vorspeise und 2. Becher das Passahlamm, die Bitterkräuter und das ungesäuerte Brot deutete. Das ungesäuerte Brot mit den Worten gedeutet: „Siehe, das ist das elende Brot, das unsere Väter gegessen haben, die aus Ägypten auszogen“. Bis heute sind diese Worte ein Teil der Passah-Haggadah. Möglich waren jedoch auch andere allegorische Deutungen.
Joachim Jeremias hält diese Argumentationskette für einen schlüssigen Beweis dafür, dass das letzte Mahl Jesu tatsächlich ein Passahmahl war. Es gibt jedoch auch Theologen, die dazu anderer Meinung sind. Ihre Argumente sollen im Folgenden dargelegt werden.
2.3 Gegenargumente zur Argumentation von Jeremias
Xavier Léon-Dufour betont, dass das letzte Mahl Christi „Jesu Passah“ gewesen sei, worunter er versteht, dass es kein eigentliches Passahmahl gewesen wäre, sondern ein feierliches Abschiedsmahl, das von Passahatmosphäre umgeben war. Im Einzelnen kritisiert er an der Argumentation von Jeremias:
- Es sei wohl möglich, aber nicht zwingend, gewesen, dass Jesus wegen des Passahmahles in Jerusalem geblieben war.
- Festmahle fanden häufig abends statt, die Tatsache, dass das letzte Mahl Jesu in der Nacht stattfand, sei kein eigentlicher Hinweis auf ein Passahmahl.
- Dass Jesus mit den Jüngern allein gegessen habe, sei kein Beweis, dass es sich dabei um ein Passahmahl gehandelt habe.
- Da es sich beim letzten Mahl Jesu unbedingt um ein Festmahl handelte, sei die Tatsache, dass Jesus und die Jünger zu Tisch lagen, kein Beweis für ein Passahmahl, da dies bei jeder Art von Festmahl üblich gewesen sei.
- Dass das Brotbrechen im Verlauf des Mahls stattfand, sei ebenfalls kein Indiz für ein Passahmahl, da auch bei anderen feierlichen Mahlzeiten das Brot nach der Vorspeise gebrochen wurde, wonach dann die Hauptmahlzeit stattfand.
- Dass Wein getrunken wurde, sei kein eigentliches Kennzeichen für ein Passahmahl, da das auf viele Festmahle zutreffe.
- Die Belege, dass Rotwein beim Passahfest getrunken werde, stammten aus dem Talmud aus späterer Zeit.
- Dass das Hallel das Ende der Mahlzeit anzeigte, sei nicht nur beim Passahfest so gewesen, sondern z. B. auch beim Therapeutenmahl in Ägypten.
- Jesu Deuteworte zum Brot erklärten sich nicht aus der Passah-Haggadah, sondern seien eine prophetische Handlung gewesen und nicht auf Vergangenes bezogen.
- Prinzipiell sei der Vergleich Jeremias’ falsch gewesen, da er nicht zwischen Passahmahl und Festmahl, sondern zwischen Passahmahl und normalen Mahlzeiten unterschieden habe. Beim Abschiedsmahl Jesu handele es sich aber keinesfalls um eine normale Mahlzeit.
Somit zieht er den Schluss, dass die Synoptiker nicht von einem Passahmahl Jesu, sondern vom Passah Jesu (bei dem Jesus das eigentliche Passahlamm ist) sprechen.
Arnold fasst die folgenden Einwände zusammen, die von Theologen gegen den Passahcharakter des letzten Mahles Jesu vorgebracht werden:
- Juristische Gründe: Jesu Kreuzigung am 15. Nissan (Feiertag) stehen im Widerspruch zu den Feiertagsvorschriften, im Einzelnen:
- Jesu Gang nach Gethsemane
- Das Waffentragen der Häscher Jesu
- Die Gerichtssitzungen in der Festnacht und am Festmorgen
- Das Kommen Simons von Kyrene vom Feld
- Der Einkauf von Linnen durch Joseph von Arimathäa (Mk. 15,46)
- Das Begräbnis des Leichnams mit dem Wälzen des Grabsteines. (Mk. 15,46)
- Die Zubereitung von Salben (Lk. 23,56)