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Der Geist der Dunkelheit

 

Da war sie, mit ihrem dunkelblauen Sommerkleid, den dunklen Haaren und dem bleichen Gesicht. Sie schwebte durch die Tür auf ihn zu und blieb dann kurz vor ihm stehen.
Dann spürte er einen leisen Lufthauch an seiner Wange und schmiegte sich an die durchsichtige Hand, die ihm liebevoll darüber strich.
Als wäre ein Bann gebrochen worden, liefen ihm die Tränen in Strömen das Gesicht hinunter und schließlich brachen sich laute Schluchzer ihre Bahn aus seiner Kehle.
Die Beine gaben unter ihm nach und er lag wimmernd, zusammengerollt wie eine Katze, auf dem Boden. Die Arme hatte er um seine Knie geschlungen und so wiegte er sich apathisch immer wieder vor und zurück.
Da er die Augen fest geschlossen hatte und seine Schluchzer jedes Geräusch in dem Raum übertönten, zeigte ihm nur der Lufthauch an seiner tränenfeuchten Wange, dass sie noch immer da war.
Als er sich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder beruhigt hatte, rappelte er sich wieder auf, strich sich das feuchte Haar aus dem Gesicht und schlurfte dann hinüber ins Badezimmer. Dort klatschte er sich erstmal eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht.
Beim Aufrichten starrte ihn ein bleiches Etwas aus dem Spiegel an, die grauen Augen trüb und dunkel, die schwarzen Haare strähnig und wie mit einem Grauschleier überzogen.
Er fuhr sich mit nassen Händen durchs Haar und dann drehte er sich um. Da stand sie vor ihm, der Körper nur eine blasse Silhouette und die einst so leuchtenden grünen Augen nun glanzlos und ohne das Funkeln, das sie einst beherbergten.
Ohne ein Wort zu sagen, ging er aus dem Bad zurück ins Wohnzimmer. Dort setzte er sich aufs Sofa und wartete bis sie auftauchte.
Dann stand sie in der Tür und bewegte sich nicht. Also erhob er sich wieder und wanderte in ihre Richtung.
Ich vermisse dich so sehr. Warum musstest du bloß so früh von uns gehen? Das hätte nicht passieren dürfen. An deiner Stelle hätte ich sterben sollen!
Du weißt, dass das nicht stimmt. Es ist richtig so, wie es jetzt ist. Du hast mich nicht verloren, denn ich bin immer bei dir. Durch Erinnerungen und die Gedanken an mich, behältst du mich in deinem Herzen und solange du lebst, lebe ich auch weiter. Vielleicht nicht in deiner Welt, aber in dir und durch dich.

Ihm liefen wieder die Tränen, denn er wusste, dass sie Recht hatte, aber verstand sie denn nicht, dass er sie so gerne wieder in die Arme nehmen würde? Dass ihre physische Anwesenheit fehlte und es ihn schmerzte, nie wieder neben ihr aufwachen zu können.
Es gab Tage, da schaffte er es nicht mal aus dem Bett, aß nichts, trank nur sehr wenig und würde am liebsten nicht mehr leben.
Ich weiß das doch alles, das habe ich nach deinem Tod so oft hören müssen, von jedem um mich herum. Aber es ist so schwer, du bist einfach nicht mehr da und ich weiß nicht, wie es weitergehen soll.
Seine Stimme versagte und dann sackte er in sich zusammen und lehnte an der Wand neben der Wohnzimmertüre. Ein letztes Mal bewegte sich die helle Gestalt auf ihn zu, strich mit der Hand sanft über seine Wange, hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn und verschwand dann.
Einfach so, als wäre sie nie dagewesen und ihm war es, als fehle ihm die Kraft, dieses Leben zu überstehen.
Nach ein paar Minuten straffte sich sein Körper, denn er hatte eine Entscheidung getroffen. Diese war bestimmt nur für sehr wenige nachvollziehbar, aber ihm erschien sie als der letzte Ausweg aus einer Situation, die für ihn unerträglich war. Im Bad fand er die Pillen, die seit ihrem Tod dort im Toilettenkasten lagerten und die er sich für genauso einen Moment aufgehoben hatte. In den letzten Monaten war der Drang, sie zu nutzen, immer stärker geworden und fast wäre es schon so weit gewesen, doch immer hatte er sich davon abhalten können. Meistens nur deswegen, weil er an die Zukunft dachte, die noch so viel für ihn bereithalten würde, wenn er es nur schaffte, die Trauer zu überwinden.
Doch jetzt war die Zeit gekommen, sie zu nehmen und das zu tun, was er schon lange hätte tun sollen: Er packte die Tabletten aus der kleinen Tüte, nahm sie eine nach der anderen ein und trank einen großen Schluck Wasser aus dem Wasserhahn hinterher.
Dann begab er sich in sein Schlafzimmer, legte sich aufs Bett und sah sich ein letztes Mal das gemeinsame Bild auf dem Nachttisch an, bevor er die Augen schloss und langsam wegdämmerte.
Als er das nächste Mal die Augen öffnete, befand er sich auf einer grünen Wiese und in der Nähe sah er die lichte Gestalt, die ihn so oft daheim besucht hatte. Sie drehte ihm den Rücken zu und erst als er sich aufrappelte und die Bewegung einen leichten Wind verursachten, wandte sie sich ihm zu. Ihre Augen wirkten so alt und traurig in dem jungen Gesicht und er fragte sich, wo er jetzt wohl gerade war.
Was hast du getan? Du solltest doch leben! Das wollte ich nicht. Wenn ich schon nicht leben kann, dann wenigstens du. Aber du…!
Er war also tot. Hatte er es also geschafft. Er war für immer bei ihr, so, wie er es gewollt hatte.
Lieber bin ich tot und bei dir, als lebendig und ohne dich in meinem Leben. So, wie es jetzt ist, fühle ich mich wohler und ich bin froh, dass ich nun auf Ewigkeit mit dir zusammen sein kann.

Sie kam immer näher auf ihn zu und stand dann direkt vor ihm. Als sie jetzt die Hände an seine Wangen legte, spürte er die Berührung so, als wären sie beide lebendig. Auch der Kuss fühlte sich so reell an, dass er fast glaubte, wieder am Leben zu sein. Doch sie beide waren tot und zusammen an einem Ort, den man nicht beschreiben konnte.
Er war glücklich, diese Entscheidung getroffen zu haben und auch sie wirkte befreit, ihn nicht immer ständig in seinem Elend baden zu sehen.
Nach dem Kuss sahen sie sich tief in die Augen und ohne Worte übermittelten sie sich ihre gegenseitige ewige Liebe und gingen dann Hand in Hand über die Wiese davon in eine glückliche Ewigkeit, oder bis sie beide langsam verblassen würden, wenn die Erinnerungen in den lebenden Menschen immer weniger wurden und schließlich keine mehr existieren würden. Dann wären auch sie verschwunden und trotzdem bis in alle Ewigkeit durch ihre Liebe verbunden. Denn Liebe besteht und nichts kann sie trennen, wenn es denn die wahre Liebe ist.

Impressum

Texte: Dieser Text ist geistiges Eigentum der Autorin Elaya Flynn!
Bildmaterialien: www.pixabay.com & www.pexels.com
Tag der Veröffentlichung: 08.01.2017

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