„So Frau Wayne, gleich haben wir es geschafft.“
Wie ich Zahnarztbesuche hasse. Schon beim Kontrollieren sind meine Hände fest im Sitz verankert. Man nennt Leute wie mich Angstpatienten. Das hört sich lächerlich an. Ich würde eher von Todesängsten sprechen!
Dr. Care ist kalt wie ein Eisblog. Warum? Schließlich habe ich meinen Charme sprühen lassen. Das muss er doch gemerkt haben oder nicht?
Es liegt bestimmt an der Füllung, die er heute machen musste. Ja, genau. Die Füllung hat mir alles zunichte gemacht. Nur eine ganz winzige, wie der Doktor jetzt sagen würde. Selbstverständlich mit Betäubungsspritze. Kurzum Höllenqualen waren durchzustehen. Es war so furchtbar, das könnt ihr euch gar nicht vorstellen. Allein die Vorstellung, dass ich eine Füllung bekomme. So ein hässliches Ding. Schon die zweite in meinem Leben. Schrecklich!
Gut das es inzwischen wenigstens zahnfarbene Füllungen gibt. Wie würde das denn aussehen - eine Kosmetikerin voller dicker Plomben? Die Kunden würden schreiend davon rennen. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich daran denke.
Es könnte sein, dass ich mich wie ein kleines Mädchen angestellt habe und mich weigerte meinen Mund zu öffnen. Eine halbe Stunde lang verhärtete Fronten. Erst als Doktor Care mich angefleht hat, musste ich einfach weich werden. Aber wer wird denn gleich so nachtragend sein? Unser Date heute Abend steht doch sicher noch. Also nicht, dass er mich gefragt hätte. Das kommt ganz bestimmt noch.
„Denken sie daran, immer schön putzen“ ,sagt er und grinst mit seinem Zahnpastalächeln. Ha, Dr. Care ist aber auch ein Schnuckelchen.
Aber Moment mal, was hat er gerade gesagt? Ich kann den Spruch schon nicht mehr hören. Denkt er etwa, dass ich zu faul zum Putzen bin? Na toll, ich sag´s doch, die Füllung war´s. War ja klar, dass er das denkt. Innerlich rolle ich mit den Augen.
Also, ich meine, wer putzt seine Zähne nicht? Ehrlich, so eine blöde Floskel. Der hat gut reden. Mit dem weißesten Weiß, das ich je gesehen habe.
Vielleicht hat er doch recht? Vielleicht sollte ich auf Arbeit eine Kaffeetasse weniger trinken. Ich meine, nur im äußersten Notfall. Eine weniger von fünf am Morgen kann ja nicht schaden. Oder? Eine Art Wut wallt in mir auf. Nein, ganz sicher nicht. Ganz sicher verzichte ich nicht auf meinen Kaffee. Das ist so was wie das Lebenselixier, um den Tag zu überstehen. Seine Zähne sind bestimmt auch nur gebleacht. Heimvorteil. Er sitzt an der Quelle!
Natürlich putze ich immer schön. Sogar 5 Minuten länger als empfohlen. Hätte ich mich am liebsten gerechtfertigt. Was denkt er, wer ich bin? Hallo, ich arbeite in einem Kosmetikstudio. Aussehen war für mich schon immer besonders wichtig! Stattdessen lege ich meine Hand an die Stirn, wie ein Matrose: „Ay, ay. Captain Soir.“ Dabei schenke ich ihm das strahlendste Lächeln, das ich zu bieten habe. Die einzige Gefühlsregung von ihm ist ein leichtes Zucken unter dem linken Auge. Na, super gemacht, Clare. Wahrscheinlich hält er mich jetzt nicht nur für faul, sondern auch noch für dumm. Na, das war ja mal wieder ein glatter Erfolg. Man sollte eben seine Vorstellungen nicht so hoch schrauben.
Wieso eigentlich nicht? Ein schnuckeliger Zahnarzt mit sehr gut bezahlter Festanstellung...Man wird ja wohl noch träumen dürfen? Außerdem hätte sein Nachname perfekt zu meinem Vornamen gepasst. Ihr müsst schon zugeben Clare Care, das hat doch was. Na gut, man muss ja nicht gleich heiraten. Aber ein Date wäre ja wohl wenigstens drin gewesen. Ja, genau. Sch...wenn die Füllung nicht gewesen wäre. Ich wusste, dass es keine gute Idee war, mit dem Zahnarzt zu flirten. Warum habe ich immer Pech mit den Männern? Eigentlich sollte ich doch dazugelernt haben.
Ich räuspere mich als ich merke, dass von ihm nichts mehr zu erwarten ist.„Ähm, na dann Thüß.“ Er nickt. In gefühlter Zeitlupe schreite ich durch den Raum der Tür zu. In Gedanken sehe ich vor mir, wie er mich aufhält, um mir doch noch seine Telefonnummer zu geben. Oder vielleicht steckt er mir seine Karte ja heimlich zu? Vielleicht in diesem Moment? Während ich mit dem Rücken zu ihm stehe?
Hör auf zu träumen, der hat dich längst abgeschrieben, rufe ich mich selbst zur Räson. Als ich durch die Tür schreite, sagt er: „Frau Wayne“. Ein vorfreudiges Kribbeln erfasst mich. Ich drehe mich erwartungsvoll um. „Ja?“ „Und immer schön putzen, nicht vergessen.“
Hmm, vor Weihnachten werde ich ganz bestimmt schreckliche Zahnschmerzen haben. Sie wissen schon. Ein neuer Termin, eine neue Chance auf ein Date mit Doktor Care. Oh ja, ich fühle bereits wie der Schmerz einsetzt.
So, wie spät ist es eigentlich? Als ich aus der Zahnarztpraxis komme entsinne ich mich irgendwo in meinem Hinterstübchen das heute Abend eine Geburtstagsfeier ist. Es ist nicht nur irgendeine Feier. Nein, meine beste Freundin Emelie feiert ihren 30. Runder Geburtstag und dann auch noch der 30. Eben was ganz Besonderes. Zudem ist Emelie nicht nur meine beste Freundin. Nein, wir arbeiten auch seid Jahren zusammen im Kosmetikstudio.
Na, eigentlich heißt sie Amalie. Wir im Kosmetikstudio nennen sie bloß alle Emelie. Wie einen Spitznamen eben. Wie wir darauf gekommen sind? Keine Ahnung. Aber es klingt doch wesentlich freundlicher. Nicht so hoch herrschaftlich wie Amalie, eben. Und ...ach, du Sch... ich habe noch kein Geschenk, blitzt es durch meine Gedanken. Wie spät ist es?Schnell auf´s Handy gucken.
Ich gucke übrigens immer auf´s Handy um zu wissen wie spät es ist. Uhren finde ich hässlich. Zudem stören sie nur bei der Arbeit.
Angestrengt krame ich im Futter meiner Jackentasche nach meinem Firmenhandy. Denk nach Clare, was könntest du auf die schnelle Organisieren? Und es muss zu dem auch noch Emelie gefallen.
Was Emelie gefallen könnte? Ja, das ist wirklich eine gute Frage. Emelie hat doch eigentlich schon alles. Es ist gar nicht so leicht ihr etwas zu schenken das sie wirklich haben will. Vielleicht passt Amalie ja doch besser zu ihr. Wegen Wählerisch und so. Eben hoch herrschaftlich. Das Waffeleisen war keine gute Idee, sie hatte schon eines. Der Toaster, passte Farblich nicht mit den anderen Elektrogeräten. Den Mixer hat sie noch nie benutzt. Von dem Bräter brauchen wir gar nicht erst sprechen. Ich meine hätten sie so ganz bestimmt gewusst das Emelie Vegetarier ist? Ich auch nicht.
Vor meinem inneren Auge sehe ich mich vor ihr stehen mit einer in Geschenkpapier eingewickelten Klopapierrolle und folgendem Gedicht:
„Mit Freuden habe ich´s vernommen,
bin gern zu deinem Fest gekommen,
um mit guten Wünschen und Gläserklingen
den festlichen Tag mit dir zu verbringen.
Doch vorher stellte sich die schwere Frage:
Womit erfreuen wir dich an diesem Tage?
Ideen verpuffen nach dreierlei Sicht:
Das hast du schon.
Das brauchst du nicht.
Das kriegst du nicht, das ist zu teuer.
Fernseher und Tageszeitung,
Spülklosett und Wasserleitung,
Badewanne-Telefon
hast du schon.
Discoplayer - Telespiel,
Fahrradpumpe - Besenstiel,
Schönheitspackung für´s Gesicht,
brauchst du nicht.
Ferienhaus an Spaniens Küste,
ein Kamelritt durch die Wüste,
Expedition mit Lagerfeuer,
kriegst du nicht, das ist zu teuer.
Kegelschuhe - Rosenstock,
Gummistiefel – Wanderstock,
großer Atlas – Lexikon,
hast du schon.
Hängematte - Gartenzwerge,
Fahnenmast und Blumenkörbe,
einen Papagei, der spricht,
brauchst du nicht.
Luxusauto mit Chauffeur,
eine Kreuzfahrt übers Meer,
die Bezahlung dieser Feier,
kriegst du nicht, das ist zu teuer.
Schränke – Stühle – Tisch und Sessel,
Kannen – Töpfe – Wasserkessel,
eine Dose für Bonbon,
hast du schon.
Ein Gerät zum Rüben hacken,
Luftgewehr und Angelhaken,
einen Nachttopf, der ist dicht,
brauchst du nicht.
Ein Mercedes – Cabriolet,
ein drapiertes Himmelbett,
Hut mit Feder, Schmuck vom Reiher,
kriegst du nicht, das ist zu teuer.
Was kann´s nur sein, das dich erfreut und dich erinnert gern an heut?
Es soll doch Freude machen vor allem und dir möglichst auch gefallen.
Denn manch Geschenk liegt sonst, ich wette, ganz ungenutzt in einer Ecke.
Drum bin ich zu dem Schluß gekommen und habe mich wie folgt besonnen.
Es gibt etwas auf dieser Welt, wenn man´s nicht hat, es dringend fehlt.
Und selbst wenn man es mal besessen – nur kurz gebraucht – kann man´s vergessen.
Auch den Gebrauch von beiden Seiten, kann man zumindest stark bestreiten.
Und erst wenn man mal wandern geht und nirgendwo ein Häuschen steht,
dann ist man froh, wenn man ihn hat,
den neuen Notdurft – Apparat!“
Nein, denke ich. Das kannst du nicht schon wieder bringen. Das habe ich ihr vor zwei Jahren schon geschenkt. Meine Kollegen haben schrecklich gelacht. Wenn man schon etwas persönliches, humorvolles Schenken will dann sollte man den Text vielleicht doch nicht aus dem Internet ziehen? Denn wenn das jeder macht, haben die Sachen auch einen grauen Bart. Warum müssen wir auf Arbeit auch so dicke sein, das wir uns prompt solche privaten Dinge erzählen? Ich schüttle meinen Kopf. Lästig. Wirklich überaus lästig ist das. Warum können wir nicht Zickenkrieg haben wie in anderen ganz normalen Kosmetikpraxen? Dann wäre das nie aufgeflogen. Aber wir sind eben keine normale Praxis! Sie hält es mir übrigens immer noch unter die Nase! Wirklich keine gute Idee.
Wie viel Zeit mir wohl noch bleibt ein exquisites Geschenk zu finden? In Gedanken sehe ich mich ihr eine glänzend goldene Verpackung feierlich überreichen. „Hier, ein exquisites Geschenk für meine exquisite Freundin!“
Als beim dritten mal in die Tasche Greifen sich immer noch kein Handy fühlen lässt, werde ich etwas unwirsch.
Nun, komm schon. Irgendwo muss es doch hier sein. Die Taschentuchpackung zum dritten mal, mein Schlüsselring zum fünften mal, kein Handy. Eine böse Ahnung macht sich breit. Panisch greife ich erneut in meine Tasche. Nein, das kann nicht sein. Mein Handy ist weg. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. Eine Woge der Verzweiflung rollt über mich hinweg. Sch...warum nur habe ich einen Zahnarzttermin direkt nach der Arbeit gemacht? Warum nur habe ich ausgerechnet heute mein Firmenhandy nach der Dienstzeit nicht an Emelie abgegeben? Das machen wir immer so. Und das muss mir gerade dann passieren wenn die Firma einen neuen Chef bekommt. Ich bin bestimmt die Erste die fliegt.
Zugegeben wir haben wirklich ein nettes kleines Kosmetikstudio in Potsdam Babelsberg. Ein super Team. Nur mit den Finanzen haben wir es anscheinend nicht so. Wir kämpfen schon seit Jahren um das Bestehen. Und vor kurzem war es dann so weit. Irgend so ein Großkonzern hat uns aufgekauft. Der neue Chef kann quasi jeden Moment mir nichts dir nichts einfach hereinspazieren, alles überprüfen und dann fallen fehlende Handys natürlich auf. Meistens ist das ja gerade der Sinn wenn große Konzerne kleine Unternehmen aufkaufen. Raus holen was geht und dann abschreiben. Wobei Kündigungen vorprogrammiert sind. Sch...
Warum habe ich es heute vergessen? Vielleicht hätte nicht ich sondern Emelie es dann heute verloren. Ich schüttle den Kopf. Was für düstere Gedanken. Die kommen ganz bestimmt nicht von mir. Nein, auch wenn mein Job auf dem Spiel steht. So eine Person bin ich nicht.
Erst kein Date, kein Firmenhandy, kein Geschenk für Emelie und morgen schon kein Job mehr. Ist heute nicht mein Tag! Herje, genug dunkle Gedanken. Es wird ja wohl noch was positives geben!
Zum Glück habe ich noch mein privates Handy. Ehrlich so ganz ohne Handy unterwegs? Für niemanden Erreichbar? Keine neusten Neuigkeiten mit den Freunden austauschen? Gruselige Vorstellung.
Während ich meinen Gedanken so nachhänge machen meine Füße einen Schritt vor den Anderen und eh ich mich versehe bin ich auf dem großen Parkweg angekommen. Die Arztpraxis liegt weit hinter mir. Die Sonne steht schon ziemlich weit unten. Es wird bald dunkel werden. Der Wind weht eine frische Brise durch die Birkenallee. Herrlich! Und was sehen meine Augen denn da? Verdutzt bleibe ich mitten auf dem Weg stehen. Ein Mann mit nacktem Oberkörper und einer kurzen Hose.
Eine kurze Hose. Wohlgemerkt im Herbst. Richtung Winter. Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Das muss ich mir einbilden oder? Ich zwang mich weg zu gucken. Aber die Muskeln die sich unter den gleichmäßigen Schritten bewegten zogen mich wie Magisch in ihren Bann. Normalerweise lässt mich der pure Gedanke bei so kalten Temperaturen dünn bekleidet zu sein schon frösteln. Normalerweise!
Federleicht gleitet er barfuß über die Steine des Gehweges. Ganz recht. Barfuß ist der Gute auch noch!
Normalerweise fröstelt mich schon der Anblick von Frauen mit Strumpfhosen und kurzen Röcken im Herbst. Vor allem weil ich selbst welche trage und entsetzlich friere. Man muss eben was man muss. Kann mir schließlich keinen modischen Fauxpas leisten.
Aber, man sind das Muskeln! Jammi, jammi! Da sieht man auch gern zweimal hin. Wann habe ich noch gleich das letzte mal einen Mann unbekleidet gesehen? Es ist zu lange her. Eindeutig. Viel zu lange. Und jetzt läuft einer direkt auf mich zu. So als liefe er direkt in meine Arme. Ist das ein Traum oder Wirklichkeit?
Moment mal der rennt ja wirklich in meine Richtung. Er steuert unaufhörlich auf mich zu. Langsam wird mir doch unbehaglich zumute. „Hey, halt stopp!“, will ich rufen, „du wirst mich noch umrennen.“ Aber ich kriege meinen Mund nicht auf. Meine Augen können sich einfach nicht von diesem Body lösen. Wenn nicht bald etwas passiert sabbere ich noch bei diesem Anblick. Und bevor ich noch so richtig begreife was los ist, ist es schon passiert.
BAM... mein Rücken brennt wie Feuer. Verzweifelt versuche ich meine Augen von juckenden Schlamm zu befreien. Als wenn es nicht reichen würde mit jemanden zusammen zu prallen. Nein! Clare hat natürlich das Glück dabei auch noch in einer Pfütze zu landen.
Er war viel schneller da als ich dachte. Keine Chance mehr zum ausweichen. Nun liege ich unter ihm begraben. Das Gewicht seiner unglaublichen Masse an Muskelbergen raubt mir den Atem. Die Tränen die mir in die Augen schießen wollen kämpfe ich tapfer nieder.
Clare, du solltest vielleicht vorsichtiger mit dem sein was du dir wünscht! Jetzt ist es wirklich eingetroffen. Jetzt weißt du es wohl ziemlich deutlich. Keine Frage, der ist echt!
Ungläubig blicken mich zwei rehbraunen Augen an, so fern ich das unter einer geballten Ladung Schlamm jedenfalls sagen kann. Er scheint genauso geschockt zu sein wie ich. Hat der mich denn nicht gesehen?
Eine Ewigkeit scheint so zu verstreichen. Auge in Auge. Keiner traut sich etwas zu sagen. Geschweige sich nur zu rühren. Sein Körper auf meinem ist unglaublich warm. Wie er sich wohl unter meinen Händen anfühlt?
Clare, wie kannst du nur? Du kennst den Mann überhaupt nicht.
Trotzdem kann ich nicht gegen die wachsende Neugier in meinem Körper ankämpfen. Verrückt wie wir da so liegen, als wäre es das Normalste der Welt. Als wären wir füreinander geschaffen. Instinktiv beugt er sein Gesicht näher zu mir. Sein schneller Atem streift meine Lippen. Denkt er etwa das Gleiche wie ich?
Abrupt steht er auf und eilt wie vom Blitz getroffen davon.
Beschwingten Schrittes trete ich nach einem schwergewichtigen Meeting in meine Firma. „Hier kommt Metthew Andrewson, der Jungunternehmer des Jahres.“ Hallt es immer wieder durch meinen Kopf. „Der Mann des Monats. Der Held des Tages.“ Mit einem breiten selbstgefälligen Grinsen und einer von stolz geschwellten Brust betrete ich den Raum. Natürlich habe ich den Auftrag bekommen! Natürlich habe ich mal wieder alles geregelt. Alles ist im Lot. Unter Dach und Fach wie man so schön sagt. Ich will es gerade meinen Sekretärinnen verkünden. Die bestimmt schon wie ein dankbares Publikum nur darauf warten das ich zur Tür herein komme und sie mich heimlich bewundern können. Da stelle ich fest das Nummer 1 nicht auf ihrem Arbeitsplatz sitzt.
Nicht nur das, es ist überhaupt niemand im Büro. Was ist denn hier los? Wie kann Nummer 1 es wagen, so kurz vor , während ihrer kostbaren Arbeitszeit auf Toilette zu gehen? Na schön, nicht drüber nachdenken. Keine kostbare Arbeitszeit verlieren. Ich fahre den Laptop in meinem Büro hoch und rufe mit der gewohnten Donnerstimme, „Kaffee“. Der Monitor meines Laptop´s ist hochgefahren. Normalerweise würde Nummer 1 mir spätestens jetzt mit einem ergebenen Lächeln einen frischen Kaffee servieren. Etwas grummelig rufe ich das neue Arbeitsprojekt auf. Wenn Nummer 1 schon nicht meint der Kaffee ihres Chefs wäre wichtig, wo bleiben dann Nummer 2 und 3?
Wie heißen sie noch gleich?
Na, die mit der rosa Brille und die mit der Prada Handtasche eben. Namen werden sowieso überbewertet. Vielleicht sollte ich tatsächlich gleich Nummern in der nächsten Firma die ich aufkaufe verteilen, das erleichtert ungemein die Arbeit.
Jedenfalls, warum bringen sie mir nicht den Kaffee? Hier ist doch irgendwas im Busch. Ich rufe da jetzt an. Mein silbernes neues Smartphone hat im Adressbuch aber keine Nummer 1 zu stehen.
Mist, ich wusste das es ein Fehler war meine Kontakte von den Sekretärinnen speichern zu lassen. Sch...wie könnte sie nur heißen? Welcher Name würde wohl zu einer Sekretärin mit langen blond gefärbten Haaren passen. Hmm? Wenn ich es mir recht überlege, ist das nicht mal ihr Markenzeichen. Alle meine Sekretärinnen haben blonde oder blond gefärbte Haare. Ich scrolle das Adressbuch runter bis ich einen Namen entdecke der passen könnte und rufe auf gut Glück an. Kaum nimmt einer ab brülle ich hinein.„Wo sind sie.“ Oh, so wütend wollte ich jetzt auch wieder nicht klingen. Aber ja, ich bin ziemlich ungehalten im Moment! Sie weiß genau wie wichtig der Auftrag für mich ist. Um genau zu sein, wie wichtig alle Aufträge für mich sind. Meint sie denn im Ernst ich gebe den Titel „Jungunternehmer des Jahres“ freiwillig an irgendein dahergelaufenen Konkurrenten ab? Für den Titel habe ich hart gearbeitet. Ich werde es allen schon zeigen. Den lasse ich mir nicht so leicht nehmen.
„Mister Andrewson“, erklingt eine weibliche Stimme am anderen Ende leicht verstört. Na also, geht doch! „Hier ist Stacy. Wollten sie mich sprechen?“
Wollten sie mich sprechen? Hallo, will sie mich auf den Arm nehmen?
„Wo immer sie auch sind, kommen sie gefälligst sofort ins Büro! Es gibt noch eine menge zu tun. Sie wissen genau wie wichtig der Auftrag für die Firma ist!“ Stacy schnappt nach Luft. Erwartungsvoll grinse ich ins Smartphone hinein. Jetzt kommt mit Sicherheit eine laaaange Entschuldigungsrede und irgendwelche Ausflüchte warum sie nicht an ihrem Arbeitsplatz sitzt. Und nicht zu vergessen, mir wie gewohnt den Kaffee bringt.
„Ich kann nicht“, haucht die feine Stimme ganz zart.
„Wie bitte?“ Mir wäre fast das Telefon aus der Hand gefallen. „Ich kann nicht“, sagt sie nun etwas bestimmter. „Ich sitze gerade im Cleopatrabad.“ Ihre Stimme klingt beschwingt. Nein, Stacy, das glaube ich jetzt nicht. Tun sie mir das bitte nicht an! „Teste das Kosmetikstudio das sie letzten Monat aufgekauft haben quasi privat.“ Kurzes Schweigen. „Ich habe doch meinen Jahresurlaub genommen, haben sie das etwa vergessen Herr Andrewson?“
Jetzt ist es tatsächlich passiert. Das nigelnagelneue Smartphone liegt unten. Es ist mir vor lauter Schreck aus der Hand gerutscht. Stacy quatscht einfach weiter munter drauf los. Sie kann wohl kein Wässerchen trüben. Ich verstehe noch so etwas wie: „wenn sie ihre E-Mails lesen würden wüssten sie das.“ Wütend greife ich das Phone. Meine Stimme ist belegt. Ich bringe nur heraus: „Habe den Urlaub nicht bestätigt. Schwingen sie ihren Arsch sofort hier her.“ Ich klinge wie eine Lachnummer von mir selbst. „Nana,“ tadelt mich eine zuckersüße Stimme. „Irgendwann muss ihre Sekretärin den Jahresurlaub aber nehmen und das Jahr ist nun mal bald vorbei. Wer wird denn da so ein Miesepeter sein? Mitten in einer Wellnessbehandlung anrufen, also wo gibt’s denn so was? Wir werden ihr doch nicht den wohl verdienten Urlaub verderben wollen?“ Diese impertinente Frau, was glaubt sie wer sie ist? Was mischt sich diese Wellness Tussi überhaupt in ein Geschäftsgespräch ein? „Außerdem wenn die Aufsichtsbehörde kommt was würden DIE wohl dazu sagen?“ Autsch, der hat gesessen. Hätte ich gewusst das sich derart widerspenstige Mitarbeiter in dem Kosmetikstudio befinden hätte ich es mit Sicherheit nicht aufgekauft. „Was ist mit der die eine Prada Tasche hat und Miss rosa Brille?“ Inzwischen klinge ich fast verzweifelt. „Wenn sie damit Jordan und Tracy meinen, die Beiden haben heute morgen gekündigt. Die Papiere müssen irgendwo da, auf dem großen Haufen Papier, auf ihrem Schreibtisch liegen. Sie nehmen auch noch ihren Urlaub, dann sind die Tage eh voll, da sie auch noch keinen Urlaub im Jahr hatten. Sie sollten sich also dringend nach neuen Sekretärinnen umsehen.“ „Das ist nicht ihr ernst Stacy?“ Erwidere ich schwach. „Doch, Herr Adrewson. Ich habe das ganze Jahr nuuur an die Firma gedacht und jetzt denke ich auch mal an mich. Sie müssen sich vorübergehend ihren Kaffee alleine kochen fürchte ich.“ Ungläubig starre ich mein Smartphone an. Mit diesen Worten hat sie tatsächlich aufgelegt. Die hat ja nerven? Weiber, pa! Dieses unnütze Volk. War ja wider klar das auf die kein Verlass ist. Alles muss „Mann“ hier alleine machen. Ich hätte niemals, niemals weibliche Sekretärinnen einstellen sollen! Frauen bringen nur Ärger Metthew Andrewson. Wann lernst du das endlich? Das sollte dir nach der kürzlich gescheiterten Erfahrung eigentlich einleuchten. Keine Beziehungen mehr. Schwöre es! Nur noch Sex und vergnügen, und das war´s. Alles andere bringt nur Probleme. Probleme und vor allem gebrochene Herzen, sinniere ich vor mich hin.
Und jetzt lassen mich die Weiber hier auch noch im Stich. Mein Herz krampft sich seltsam zusammen. Womit habe ich das nur verdient? Ich bin doch immer so ein guter Chef für sie gewesen. Die paar Überstunden. Na gut, und immer wieder den Urlaub verschieben. Das geht doch noch! Ich weiß gar nicht wo eigentlich das Problem ist.
„Ach...hmhm,hmhm...“ Ich versuche interessiert zu klingen- ,weil mein Freund Matthew mir die Ohren voll-jammert, während ich mich aus der Arbeitskleidung pelle.
Der weiße Kittel klebt an mir wie ein nasser Sack. Puh, weit weg mit dem Zeug. Besser gerochen habe ich auch schon allemal. Wenn mir vorher einer gesagt hätte, dass selbst ein Zahnarzt in seinem Beruf ins Schwitzen kommt, hätte ich auch gleich Automechaniker werden können.
Matthew und ich haben uns beim vierteljährlichen Autorennen kennen gelernt. Ein Jobausgleich sozusagen. Er hat es erstaunlich sportlich genommen, dass ich ihn auf den zweiten Platz verwiesen habe. Zumal er Aufgrund seiner kleinen Körpergröße eine Art komplex hat immer wieder beweisen zu wollen das er gut, nein der Beste ist. Das muss wohl irgendwie mit seinem Vater zu tun haben. Mr. Alexson ein großer Hai an der Börse. Aber da wollte ich nie sticheln.
Jedenfalls an diesem Tag hat er auch Annabel kennen lernte. Die Frau mit den blonden Haaren, den rosa Fingernägeln und Pompons. Ich glaube sie hielt sich selbst für Barbie. So wirkte sie jedenfalls nach außen.
„Was? Deine Sekretärin hat sich einfach ihren Jahresurlaub genommen?“
„Kannst du das glauben? Und dann sagt sie mir auch noch seelenruhig, dass Pradatasche und Miss rosa Brille gekündigt haben.“
„Nein, das ist nicht ihr Ernst?“
„Doch, sie hatte sogar den Nerv zu sagen, ich soll mir meinen Kaffee alleine kochen.“
„Neeein“, Ich versuche entrüstet zu klingen, aber das verdammte Grinsen will angesichts dieser schwerwiegenden Problemchen nicht aus meinem Gesicht weichen. Mein Freund wettert eifrig weiter.
Und das geht schon seit Tagen so. Nein, eigentlich erst seit der Trennung von Annabel.
Ob jetzt der geeignete Moment ist, ihm zu gestehen, dass seine „Ach so tolle Ex“ mit mir zeitgleich im Bett gewesen war und dass ich die Beziehung, als ich es raus gefunden habe, sofort beendet habe?
Nein, ich glaub, das ist keine gute Idee. Für ihn ist sie immer noch so etwas wie eine Heilige. Denn so sehr er auch tut, als ob alles wieder seinen Gang geht, er die Frauen nicht bräuchte, hat er die Trennung eigentlich noch nicht verwunden.
Aber was soll ich denn sagen? Naiv wie ich war, habe ich Annabel abgekauft, das sie die Belastung in unserer Beziehung nicht mehr aushält. Ich hätte mich damals zu intensiv um meinen plötzlich an Demenz erkrankten Vater gekümmert. Das ist jetzt zwei Jahre her und ich weiche den Frauen immer noch aus als wären sie die Pest in Person. Fragt mich also bitte nicht, wie lange mein letztes Date zurückliegt.
Heute hätte ich Blödmann bestimmt eines haben können. Mir jucken die Finger immer noch bei dem Gedanken an meine gut aussehende blonde Patientin vorhin. Die hat aber mächtig geflirtet, da war ich ganz schön in Versuchung. Eben eine blonde Frau, seufz. Gut bezahlter Job, das scheint die Frauen magnetisch anzuziehen. So war es wohl auch bei Annabel. Aber ich habe keine Lust, mir wieder die Finger zu verbrennen. Eine Frau sollte mich attraktiv finden und nicht mein Geld. Wunschvorstellung?! Ich weiß.
„Du, ich muss jetzt Schluss machen, will noch die übliche Runde joggen,“ wimmle ich Matthew mitten im Gespräch ab.
Bloß raus hier, endlich Feierabend. Zielstrebig laufe ich von der Praxis auf die Birkenallee zu. Ein frischer Wind umspielt meine überhitzte Haut. Eine wohl tat ohne T-Shirt joggen gehen. Das ist Freiheit für mich.
Meine Beine setzen kraftvolle Stöße vom Boden ab und mein Atem geht gewohnt gleichmäßig, wie automatisch. Angestrengt versuche ich den Tag hinter mir zu lassen, das Gespräch mit allen aufgewühlten Erinnerungen zu vergessen.
Im nächsten Augenblick sehe ich eine Frau vor mir. Und bevor ich noch so richtig begreife was los ist, ist es schon passiert.
BAM...sie kam wie aus dem Nichts. Keine Chance mehr zum Ausweichen. Nun liege ich auf ihr. Als der erste Schock verstrichen ist versuche ich mein Gewicht auf meine Hände zu verlagern. Keine gute Idee. Meine männlichen Sinne sind hellwach.
Andrew, du hast ein Date. Wenn auch ein ziemlich außergewöhnliches.
Steh auf...steh auf, sagt die Stimme der Vernunft. Doch irgendetwas hält mich zurück. Es ist als ob sie mich magisch anzieht.
Sie ist so zart, fast zerbrechlich, und unglaublich weich. Jedenfalls so weit ich das beurteilen kann. Gestreichelt habe ich sie ja noch nicht.
Andrew, jetzt ist aber Schluss! Reiß dich zusammen. Das ist doch verrückt! Ihr könnt doch nicht einfach so daliegen als wäre es das Normalste der Welt.
Ihre geschwungenen erdbeerroten Lippen blinken mir im Schein der untergehenden Sonne entgegen. Ich kann nicht gegen die wachsende Neugier in meinem Körper ankämpfen. Instinktiv beuge ich mich näher zu ihr. Ich fühle ihr Herz schneller schlagen. In meinem Augenwinkel blitzen ihre goldblonden Haare auf und ich halte abrupt inne.
Was mache ich hier überhaupt? Die Frau hat Schlamm im Gesicht. Ich bin durch und durch verdorben, auch nur zu denken...
So schnell ich kann, suche ich das Weite.
Siggi, mein 5 Jähriger Sohn, wälzt sich mal wieder wütend um sich tretend auf dem Boden. Schön das er meint vor allen Gästen rumbocken zu müssen. Nur weil er nicht einsieht das er am Geburtstag seiner Mutter nicht den ganzen Tag vor der Wii sitzen sollte. Durch die Reihe der Gäste ging ein wirres Murmeln. Ich kann ihre Blicke förmlich in meinem Rücken spüren. Statt zu helfen, wird geglotzt wie ich jetzt mit dem Kind umgehe - wie im Zoo. Na, herzlichen Dank auch! Dieses lebhafte Kind, womit habe ich das verdient? Wo bleibt Clare eigentlich. Wollte sie mir nicht bei den Vorbereitungen helfen?
Da schrillt die Klingel. Pünktlich. Ganze fünfzehn Minuten zu spät.
Ich halte mir selbst den Kopf und muss schmunzeln. Hätte ich mir ja denken können.
Als ich die Tür öffne schielt Clare nervös auf ihr Handy. Sie hat die Zeit mal wieder völlig vergessen. Nicht gerade klug eine notorische Zuspätkommerin zu fragen ob sie bei den Vorbereitungen hilft.
Auf den zweiten Blick fällt mir auf das sie gar nicht feierlich gekleidet ist. Ungläubig blinzle ich.
„Oh, sch..., wie siehst du denn aus?“
Eine braune klebrige Erdmasse zieht sich von ihrem Hals bis zur Hüfte runter.
Clare zuckte mit den Schultern: „Bin unterwegs umgerannt worden.“
„Siggi, Tante Clare und ich haben noch was dringendes zu besprechen. Geh doch mit den anderen Gästen schon mal in den Garten.“ Befehle ich über die Schulter hinweg in Richtung Wohnzimmer, wo alle warten und hoffe einfach mal das dieses mal folge geleistet wird. Hektisch winke ich dann Clare Richtung Tür.
„Komm schnell rein, bevor dich noch einer so sieht. Also an deinem Outfit müssen wir dringend etwas ändern.“
Clares Ohren zucken leicht als sie eintritt und sagt: „Dein Geschenk ist dabei leider kaputt gegangen. Ich besorge dir ein Neues.“
Ihr Ohr hat gezuckt, das heißt sie Lügt. Mit Sicherheit hat sie das Geschenk verpeilt. Würde mich nicht wundern wenn sie sogar vergessen hätte das sie heute zur Feier eingeladen war. Sogar ihre Tage vergisst sie von Zeit zu Zeit. Weshalb überall in ihrer Wohnung kleinere Anhäufungen von Tampons verteilt sind.
Da Clare aber ein süßer, liebevoller, herzlicher Mensch ist mit dem man sich gerne umgibt, sieht ihr wohl jeder dieses kleine Manko nach. Jeder hat ja so seine Fehler.
Vorsichtshalber gehe ich Rückwärts Richtung Bad, so das mein Körper ihren möglichst verdeckt. Man weiß ja nicht.
Leicht entnervt reiche ich ihr endlich im Bad angekommen ein Handtuch.
„Hier. Warte ich hole dir noch was zum anziehen.“ Mit einem Augenrollen suche ich im Kleiderschrank meines Schlafzimmers ein fuchsiefarbenes Etuikleid für sie raus während ich mich innerlich ärgere nur ecrufarbene Handtücher zu besitzen. Zu einer solchen Gelegenheit wäre es Vorteilhafter gewesen auch andere Farben im Haus zu haben. Hätte ich ja auch gleich Schlammfarben kaufen können. Denke ich und mustere die Weißen, und cappucchinofarbene Tapete meiner Wohnung.
„Hmm, hmm“, erschallt ein Raunen aus dem Garten der gelangweilten Gäste. Wie peinlich. Binnen einer Minute hat Clare das Kleid, die Geburtstagstorte ist im Garten angeschnitten und das Büfett eröffnet.
Tag der Veröffentlichung: 25.12.2014
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