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Essen und Sex



FIZ, Mittwoch 18:30 Uhr, im beruhigten, hantelfreien Bereich, der ausschließlich ohne Schuhe betreten werden darf. Es liegen: zwei Männer – Nummer 1) Ende Zwanzig, Durchschnittsmaße, ca. 175 cm, unauffällig; Nummer 2) Anfang Dreißig, untersetzt, nach hinten gekämmtes, schulterlanges volles Haar von der Farbe schmutziggelben, gefallenen Laubes. Verwässert feiste Züge und Bauchansatz. Um sie herum zwei bis drei der leichten Bauchtrainergeräte, deren Werbung zu Zeiten gut verkaufter Aerobic-Videos alá Jane Fonda und Cindy Crawford verspricht, dass man mit diesen Konstruktionen binnen drei Wochen sichtbare Erfolge verzeichnet… man kennt und erinnert sich vielleicht.

„Sie ist ein ganzes Stück älter als ich“
„Ach, wirklich? Sie sieht aber noch jung aus“ (der Unauffällige).
„Ja, ja aber nee, sie ist wesentlich älter. Sie hat auch so was leicht prolliges.“
„Was sind denn ihre Eltern von Beruf? Auch Akademiker?“
„Also ihre Mutter ist auch Lehrerin. Aber da liegen Welten dazwischen. Weißt du wie ich das meine? Also wenn ich meine Mutter anschaue, die hat dafür studiert, ja, also nicht so wie IHRE Mutter, die halt Lehrerin geworden ist und fertig. Das merkt man.“
„Hm. Unterstufenlehrerin oder Hauptschule oder…“
„Weiß ich jetzt nicht, ich glaub schon ältere Klassen“ leicht gereizt. „Aber nee, also ihre Ausdrucksweise manchmal! Naja und das färbt natürlich auch auf die Tochter ab. Die hat dann zum Teil Sachen von sich gegeben, das hätt’ ich nicht gedacht, also schon irgendwie ziemlich proletenhaft.“
„Sie ist ja ziemlich strange

manchmal oder?“
„Ja, sie ist ja sogar so drauf, dass sie echt dann und wann Hilfe braucht. Als ich mit ihr Schluss gemacht habe, ist sie erst mal eine Woche in die Psychiatrie gegangen“ „Ja, echt, ohne Flax“ sein Bauch wabbelt wellenförmig als er lacht.
„Ach nee, is nich wahr?!“
„Ja, doch, wenn ich’s Dir sage! Da habe ich dann dort mal angerufen und meine Hilfe angeboten, und da hat man mir durch die Blume zu verstehen gegeben, dass ich zu meiner eigenen Sicherheit mal besser fern bleiben sollte, weil die wohl total meschugge wäre.“
„Ist auch besser. Du wirst da schon drüber wegkommen“
„Ach ja, klar, das sowieso. Aber hier… die kleine Süße da, so etwa 20.“
„Hm, ist auch viel eher was, ne, so ne kleine Ärztetochter – hähähä“ der Dünnere lacht flapsig. Sein Leberfleck über der Oberlippe bewegt sich dabei rhythmisch.
Süffisant lächelt der andere und bleckt die Zähne. Dann blickt er auf eine der großen Bahnhofsuhren, die an den Seiten des Fitnesscenters hängen und sagt drängend: „Eh, ich muss langsam mal nach Hause“. Der Dünnere lässt ein gequältes „Hm-rg, joh“ hören und müht sich flach am Boden liegend weiter mit dem Bauchtrainer.
„Ist schon 20 vor sieben!“ und „Das bringt doch nicht wirklich was, was du da machst.“
„…hmpf, hab da so Rollen… müssen weg…“ Stöhnen, Anstrengungsbekundung.
„Musst Du mal aufhören abends soviel zu essen.“
„Ja, ne, also das kann ich nicht.“
„Genau, das kenne ich. Mir graust schon, wenn ich mir vorstelle, jetzt zum Abendbrot nur so’n Brötchen – ohr nä, das geht ja gar nich!“
Beide erheben sich. Ihre Körperabdrücke bleiben noch kurz auf den dünnen blauen Matten, bevor sich diese wieder voll entfalten und alle Spuren verschwinden.
„Da gibt es nur eins, was dagegen hilft“ Der Untersetzte verzieht sein Gesicht zu einem Grinsen und beide sagen synchron „Sex!“


Und morgen dann Frühstück bei IKEA



Sie – blond, Pferdeschwanz, leuchtend blaue Trainingshosen, weißes Poloshirt Größe S, getuschte Wimpern, freies Gesicht. Er, schwarzhaarig, groß, weißes T-Shirt, rasiert, Typ: passabler Schwiegersohn, nicht problembehaftet, zielstrebig.
Sie gehören offensichtlich zusammen und vielleicht auch einander.

„Was muss ich an dem Gerät genau machen?“ fragt sie mit weiblicher, leicht kindlicher Stimme.
„Rücken!“
„Also Rumpfheben“ fügt er auf ihren fragenden Blick hin schnell hinzu und macht es ihr vor, betont korrekt und langsam. Dann lässt er sie beginnen.
„Ich habe das Gefühl das geht so leicht, vielleicht mache ich zu schnell?“ sie blickt zu ihm auf – große Augen unter schwarzen dicken Wimpern.
„Ja, wahrscheinlich, mach gleich noch mal. 15 Wiederholungen“ diktiert er.
Sie wartet geduldig während er nach ihr seine Übungen absolviert, dann führt er sie zu diversen Bauchtrainern.
Seitliche Bauchmuskulatur. Sie fängt schon mal an, während er zurück zum letzten Gerät geht, um den Schlüssel vom Spind zu holen, den sie liegengelassen hat.
Als er wiederkommt, setzt sie sich gerade auf die Bank.
„Und die andere Seite?“ fragt er in trainerhaftem Ton.
„Oh, ich mache immer erst eine, dann einige Minuten Pause und dann die andere Seite.“
„Das ist aber nicht gut.“ Eine Falte bildet sich zwischen seinen Augenbrauen.
„Weshalb?“ fragt sie irritiert. „Weil sonst die erste Seite in den paar Minuten kräftiger wird als die andere und dann schief?“ beantwortet sie ihre Frage selbst.
„Ja“ sagt er und nuschelt etwas von „ausgleichen und Stabilität“.
Sie begibt sich sofort ans Gerät um nun die rechte Seite zu trainieren. „Bin ich so richtig drin? Ich hab immer so Angst, dass ich runterfalle oder das Ding umfällt.“ (Das Gerät ist ein stabiler Aufsteller, der mit dem Boden einen 60° Winkel beschreibt, die Auflagefläche befindet sich in Oberschenkelhöhe – selbst bei einem Trainingsgewicht von 200 oder mehr Kilogramm würde sich das Gerät keinen Millimeter bewegen, es sei denn, man verrückt es manuell). Sie lächelt hilflos. Das entgeht ihm aber er hilft ihr trotzdem.
Während er seine Wiederholungen macht, hüpft sie neben ihm auf einem grünen Gymnastikball. Es ist einer ohne Haltegriffe, ganz rund. Er tut selbiges als sie sich am Gerät wieder abwechseln. „Hattest du auch so ein Ding wo man vorne greifen konnte und hüpfen?“
„Ja, genau“ sagt er freudig zustimmend ohne dass ihm die Komik des Dialogs bewusst wird.
„Ich habe das geliebt, das war so klasse, ich habe Stunden darauf zugebracht“ sinniert sie während sie ihre linke Seite trainiert.
„Wir müssen noch dehnen gehen.“ Er wird wieder sachlich. Sie folgt ihm.
„Dann kommst du heute Abend zu mir?“ fragt sie.
„Ja, was wollen wir essen?“
„Hm, weiß nicht. Bolognese? Da gibt es so eine ganz leckere, die ist neu bei SKY, ich hab sie noch nicht versucht.“
„Woher weißt du dann, dass sie lecker ist?“ fragt er und runzelt schon wieder die Stirn.
„Naja, sie sieht lecker aus und schmeckt bestimmt auch so.“
Er schaut zu ihr herab. „Und dazu? Nudeln?“
„Hm-Hm, ich hab noch welche.“ flötet sie zurück. „Dann kannst du mir ja auch gleich meine restlichen Sachen mitbringen wenn du heute Abend zu mir kommst. Dann muss ich jetzt, nachher, nicht noch mal zu dir.“
„Das ist doch so viel!“ protestiert er.
„Das ist doch nur die Tasse und die Schüssel, oder?“
„Das ist SOO ein Karton.“ Er deutet in etwa 80x50 cm an und seine Augen werden vorwurfsvoll groß.
„Dann muss ich das morgen holen. Geht das?“ fragt sie.
„Morgen, ja, ist ok.“
„Also dann heute Nudeln, bei mir.“
Er gähnt, blickt sich um. „Und morgen dann aber Frühstück bei IKEA, ja.“ legt er fest.
„Ja“ sagt sie fröhlich.


Juristen



Neulich, wieder mal in der „Relax“-Ecke, einem abgegrenzten 5x5 m Bereich, ausgelegt mit rauem, orange-gelben Filz. Schmale Matten mit gerippter Oberfläche, dunkel marinefarben, liegen ordentlich nebeneinander aufgereiht. Dazwischen einige Bauchtrainer, leichte metallene Konstruktionen mit Polsterungen für Kopf und Arme. Funktionslos, wenn man kritisch urteilt, aber das hatten wir ja schon.
Er: Kurze dunkle Haare, massiver Schädel, Typ „guter Futterverwerter“, niedersächsischer Dialekt, Mitte/Ende Zwanzig. Student. Er liegt einfach nur so da, auf dem Rücken, auf einer der handtuchbreiten Matten.
Sie: Mittelgroß, dunkler Pferdeschwanz, junges Gesicht. Anfang/Mitte Zwanzig. Naive Stimme, unbedarfter Eindruck.

„...den habe ich letztens erst gesehen.“ Sie verleiert angewidert die Augen.
„Ja, der ist schon seltsam. Ich kenn’ ihn nicht weiter, aber was ich so weiß... na ja, da möchte ich lieber nicht mehr wissen.“
„Er kann ja auch nett sein“ beschwichtigt sie.
„Aber scheinbar ja nicht so nett, als dass Du mit ihm näher zu tun haben möchtest?“
Schüchternes Lächeln, Abwiegeln „Hihi“, kichert sie und „Nein, ach, hm“.
„Obwohl, auf der Party letztens fand ich ihn auch gut, als er mir ein Getränk spendiert hat. Aber er ist Jurist, die sind alle irgendwie, na ja...“
Sie blickt ihn nicht an. „Er ist wohl in einer Verbindung.“
„Ja, ich kenne seine auch. Also, ich mein, die Verbindung in der er ist. Aber die sind da alle irgendwie so drauf.“
„Bist du auch in einer Verbindung?“ zart klingt etwas Abfälliges mit.
Zögerliches „Ja...“
„In einer schlagenden?“
„Ja, in einer schlagenden.“ „Aber ich bin ein ganz Lieber“ setzt er sanft hinzu und dreht frivol schmunzelnd seinen Kopf zu ihr.
„Ich habe doch so schön Federball mit dir gespielt. Böse Menschen spielen nicht Federball. Oder?“ der Versuch charmant und überzeugend zu lächeln.
Verlegenes Glucksen von ihr, während sie ihre Beine dehnt.
„Also wenn ich die Kerle nicht alle kennen würde... Weißt Du, das können die absoluten Kumpels sein, mit denen kannst Du über alles reden, Abende beim Bier verbringen, total on Ordnung. Aber sobald Frauen auftauchen, drehen die alle am Rad. Da geht gar nichts mehr. Da sind das plötzlich die totalen Arschlöcher!“ seine Ohren röten sich, ganz leicht, vom plötzlichen Redefluss.
„Hm, ja, das glaube ich. Ich find’ die auch immer so wenn wir die mal treffen.“
„Also vielleicht solltest Du von denen besser die Finger lassen.“ Er grinst. „Schau mal, ich, ich bin ganz harmlos. Mit mir kannst Du sogar Federball spielen.“
Sie weiß nicht recht, was sie darauf erwidern soll und lacht gehemmt.
„Ich muss jetzt gehen.“ sagt sie dann.
„Bist Du schon durch?“ Er kratzt sich am Bauch. „Also ich ja schon längst.“
Sie erhebt sich, zieht ihr Sportschuhe wieder an und dreht sich nicht nach ihm um. Hastig greift er sein Handtuch und geht ihr nach zum Ausgang.


Pfui Spinne



„Iiieh! Ich muss sofort die Übung abbrechen!“
Er schaut sie verstört an.
„Ja! Hier ist so was wie ne Spinne… oder ne Ameise! Ich weiß nich.“ (Der Arthropod, der da am Boden vor sich hinwankt hat wohlgemerkt einen kompakten Körper und acht Beine, was ihn nicht als Ameise ausweist. Er sieht geschwächt aus bei all dem Linoleum und der Heizungsluft im Raum.)„Ich hasse Spinnen. Ich hab da totale Panik vor! Da kann ich nicht trainieren…“ quäkt sie. Ihr Begleiter schüttelt sich eine Haarsträhne aus der Stirn noch während er liegend seine Bauchmuskelübungen auf dem Trainingsgerät absolviert. Er nimmt sie offenbar nicht ganz ernst oder ihm geht ihr ständiges „ich“ auf die Nerven. Sie springt von der blauen Matte am Boden auf. „Ich kann hier nicht bleiben.“ Jetzt bemerkt er, dass sie bewusst übertreibt und lacht. Sie wechseln die Positionen: sie auf dem Gerät, er am Boden.
„Ohhr man, das tut richtig weh am Bauch.“
„Hm“ macht er.
„Warum gibt es nicht einfach so’n Gürtel, den man sich umschnallt und alles geht von alleine, ohne dass man sich quälen muss?“
„Ja, ne“ gibt er mitteilsam zurück.
„Was machen wir’n jetzt?“ fragt sie ihn.
„Hm, da rüber, Arme, Hanteln“ seinen Sätzen fehlen die Verben.
Sie stellen sich nebeneinander vor den großen, an der Wand angeschraubten Spiegelflächen auf, in jeder Hand eine silberfarbene Hantel. Deltatraining. Sie führt die Übung exakt aus. Für ihn sind die Hanteln zu schwer, seine Armbewegungen wirken wie mattes Flügelschlagen.
„Aua“ gibt er von sich und lächelt gequält.
Sie grinst kurz und hebt ihre Arme noch kraftvoller.
„Die Party gestern… gut?“ fragt er ablenkend.
„Naja, ich fand’s nicht so super toll. Verena, Lena und Laura waren auch da.“
„Lena und Laura…?“ echot er.
„Ja, beide ziemlich aufgedonnert“ missbilligend zieht sie ihre Mundwinkel nach unten.
„Sehen aber eigentlich appetietlich aus“ grinst er.
„Naja, ich weiß ja nich. Wie Vorstadtnutten“ das Quäken in ihrer Stimme gewinnt an Schärfe.
„Hm, war eigentlich Thorben auch da?“
„Ne, hab ich nich gesehen.“ Die Luft ist raus, sie ist verstimmt.
Sie trainiert verbissen, er eher missmutig.
„Wusstest du eigentlich, dass deine Ex nicht mehr mit ihrem Freund zusammen ist?“ sie schaut zu ihm rüber.
„Ne, wieso? Ist mir eigentlich egal…“ irritiert. „Wer sagt das?“ setzt er nach.
„Der Freund vom Schwager meiner besten Freundin. Nina, kennst du?“
Er arbeitet noch an der Schwager-Freund-Freundin-Konstellation und antwortet mechanisch „Ne, glaub nicht.“
„Hm, tja tut mir leid für sie. Und wieso erzählt sie… äh ER dir das?“
„Nicht er, Nina hat’s gesagt. Naja, ihr Schwager war ja auch mal mit der Freundin von dem Typen deiner Ex zusammen. Dem EX-Typen deiner Ehemaligen.“
„A-ha…“ mehr fällt ihm nicht ein. Er ist überfordert, nicht haptisch, aber logistisch. Er überlegt zwanghaft wie der letzte Kerl von Anita, seiner „Ex-Freundin“, hieß. Es fällt ihm nicht ein.
„Wie hieß er eigentlich?“
„Wer?“ fragt sie und legt die Hanteln beiseite.
„Na der Kerl, von dem sie sich getrennt hat?“
„Arne. Arne Schäfer. Der Reitlehrer deiner Schwester. Du hast sie doch selber miteinander bekannt gemacht!“ ein leichter Ton der Verachtung schwingt im Quäken mit.
„Hab ich…?“ er kann nicht beides, solche Dinge besprechen und trainieren und legt ebenfalls die Hanteln weg. Endlich.
„So, wir haben noch gar nicht Rücken gemacht. Da drüben, oder?“
„Oh, ja.“ Sie übernimmt ganz unbewusst die Führung und er folgt ihr.
In seinem Hirn schmettern ihre letzten gequäkten Worte. Auf seinem Gesicht spiegeln sich die Regungen in der Reihenfolge seiner Gedankengänge (und den Schlussfolgerungen zu denen sie führen) wieder. Folgerichtige Reaktionen, wie eine Kette fallender Dominosteine….


Die liest ja die BILD!



Die eine blond, die andere brünett, beide jung, nicht zu klein, nicht zu zart. Trägerhemdchen. Die Brünette trägt eine seriöse, unauffällige Brille. Jede geht auf eines der Geräte für Rumpfhebeübungen zu.
Die Blonde weiß nicht, wie sie die Höhe des Gerätes für ihre Größe angemessen einstellen kann. Sie schraubt und dreht die Halterung bis sie völlig lose ist und nur noch der Sicherungsbolzen verhindert, dass der Vorderbau des Gerätes nicht auf die unterste Stufe rutscht. Ihr Gesicht sieht bereits verblüfft aus, bevor dies passiert.
Der 1. Satz, 10 Wiederholungen, scheinbar mühelos beugen sich beider Oberkörper im 90-Grad Winkel synchron auf und ab.
Wie Vögel an der Schwelle zum Erwachsenwerden zwitschern sie leise mit einander (wenn sie älter sind, wandelt sich dies vermutlich zum Zischen):
„…die ist so naiv zum Teil! Letztens waren wir bei ihrer Party. Ich hab dann da gleich übernachtet, weil ich sonst ewig weit mit Rad zurückgemusst hätte.“ „Nachts!“ betont die Blonde. „Na, und da haben wir noch so kurz gequatscht bevor wir ins Bett sind. Über ihre Reise, ich glaub nach Dubai oder so. Ich weiß ja auch nicht, was manche Jungs bloß an ihr finden?!“
„Hm, nee, das frag ich mich auch. Und die Bücher, die sie liest! Sie hatte mal so’n 3-Groschenroman glaub ich mit. Damit saß sie dann in der Mensa.“ Kichern.
„…und dann am nächsten Tag saß ich da mit ihr am Frühstückstisch und da schlägt die dann die BILD-Zeitung auf – also nee!!“
„Oh Gott, also so voll das Klischee?!“ Sie feixen.
„Ja, da wundert mich auch gar nichts mehr!“
Die Brünette rückt indigniert ihre Brille zurecht und macht sich, noch immer mit verzogenen Mundwinkeln, an die nächsten 10 Rumpfbeugen. Ihre blonde Gesprächspartnerin tut es ihr am benachbarten Gerät gleich.
Dann wieder Pause und, als hätte es nie eine Unterbrechung gegeben, nimmt die Brünette den Faden ohne nachzudenken wieder auf. „Wir sind ja auch mal nach Dubai geflogen, ich glaub’ wir waren 8, 9 Mädels, vom Studium aus.“
„Ach so? Weiß ich gar nicht.“
„Und auf dem Flughafen da meinte dann eine: Da drüben sitzt Dieter Bohlen… Krass!“
„Echt?! Ach ne?!“ gibt die Blonde von sich und macht große Augen.
„Ja, und wir dann alle so nacheinander aufs Klo, an ihm vorbei, und da saß der WIRKLICH! Neben ihm seine Freundin. Und ich dachte auch so: Boah, ne, Dieter Bohlen!“ Hihi. Beide lächeln und scheinen ihre Umgebung vollkommen vergessen zu haben. Sie genießen ihre Plauderei, lüstern, lästern. Die Geräte erinnern sie an ihren nächsten Satz und holen sie zurück. Fleißig schafft jede von ihnen ihre 10, vielleicht sogar 12 Wiederholungen. Zügig. Dann kurzer Blickwechsel, ab zum nächsten Gerät. Ihre sauberen Handtücher flattern wie Flügel an ihren Seiten.


Katzenmilben für Menschen



„Ich habe dann den Arzt gefragt, bei dem er in Behandlung ist, ob es so etwas wie Katzenmilben im Ohr auch beim Menschen gibt. Er meinte Nein!“
„Oh Gott!“ das Mädchen auf der Gymnastikmatte macht große Augen und krümmt sich vor Lachen.
„Und ich frag’ nochmals und er verneint wieder, diesmal ganz strikt. Er war wahrscheinlich der Meinung ich spinne.“ Sie schaut leicht empört und belustigt. „Als Vatter auch weiterhin die Beschwerden hatte, habe ich dann mal eben so ein zähflüssiges Mittel gegen Katzenmilben gekauft und es ihm in die Ohren gekippt.“
„Unglaublich!“ die andere kann es nicht fassen und hält sich betont die Hand vor den vor Staunen offenen Mund.
„Ja, nee“ Grinsen seitens der Tochter des besagten Vaters.
„Hat es geholfen?!“
„Er meinte danach, er höre nichts mehr.“
„Und was hast du dann gemacht?“
„Mir eine Alkohollösung besorgt und diese radikal nachgekippt.“
„Unglaublich!“ wiederholt die andere.
„Nach ein paar Tagen meinte er, nun höre er zumindest wieder. Aber das war dann auch bald wieder vorbei.“
Beide lachen besorgt, sich der anklingenden Schadenfreude und des schwarzen Humors, welcher der Sache anhaftet, bewusst.
„Er ist ja aber auch so schon recht verpeilt. Da er eh etwas schwer hört, hatte er letztens im Auto die Klassik-CD, die ich ihm geschenkt habe, ziemlich laut aufgedreht. Er steht da ja total drauf und war ganz entzückt, als er sie bekam. Wahrscheinlich war er völlig hin und weg beim zuhören und schwups – war er an der Ausfahrt nach Kiel vorbeigefahren.“
„Oh nein! Oh Gott!“
„Und du kennst mein’ Vatter, der braucht dann ne ganze Weile, bis er weiß, wo er ist und er musste über die ganzen Dörfer nach Kiel ´reinfahren. Da hat er sich wohl auch noch mal vertan und ist einen riesigen Bogen gefahren. Ich glaube, er hat unterwegs noch eine Katze oder einen Igel mitgenommen…“
„Abgefahrn!“
„…es klebte da irgendetwas an seinem Vorderreifen.“
„Hey, naaa, hallo ihr beiden!“ Ein braunhaariger Jüngling nähert sich den beiden noch immer am Boden auf Gymnastikmatten liegenden Mädchen. Das Gespräch dreht sich nun, auf seine Initiative hin, um den Geburtstag vom Heiner bei Dittmarschen, um Handball, Uni, Bekannte und dessen Einstellung zur Deutschen Bahn.
Lediglich eine der beiden Mädchen, jene mit dem schwer hörenden Vater, beteiligt sich mit aufgesetztem, höflichem Interesse an dem Dialog. Die andere hängt, ihrem Schmunzeln nach zu urteilen, wahrscheinlich noch der vorangegangen Geschichte nach. Sie hätte Lust, dieser Familie mit dem „verpeilten“ Vater an einem Sonntag-Nachmittag einmal beizuwohnen. Sie würde sich wohlfühlen, denkt sie.


Schneeweißchen und…



Back Corner, Dienstagabend, 18:10 Uhr.
Beide laufen zielstrebig auf einen der Bauchtrainer zu, die ausschauen wie vorgeformte schwarze Rückenstützen auf Stelzen. Die Beiden allerdings sehen aus wie Schneeweißchen und Schneewittchen, South-Park-Edition, der eine blond gelockt, Fasonschnitt, Turnschuhe von Kangaroo, sauberes weißes Polo-Shirt, graue Outdoor-Shorts. Der andere mit schwarzem, bewusst zerwühltem Schopf, sonnengelbe Hosen von Nike, schwarzes Polo-Shirt.
„Soll ich anfangen“ fragt der Blonde und lässt die metallisch glänzenden 4-Kilo-Hanteln auf die Holzbank fallen, dass es kracht. „Ja, mach’ mal.“
Der Blonde stöhnt gequält während der Übung.
„An manchen Tagen... fällt es echt schwer“ gibt er gepresst von sich.
„Du hängst ja jetzt schon total durch“ meint der Schwarzhaarige nicht ohne Häme.
„Hast du denn nun endlich Dein Abitur?“
„Ja, klar.“
„Und was machst du nun?“
„Hm, mal sehen, weiß ich noch nicht. Hab mich erst mal für Maschinenbau eingeschrieben.“
„Der Olaf - kennst du doch noch?“
„Hm“ der Blonde macht ein verkniffenes Gesicht.
„...der macht jetzt Bund.“
„Hm?“
„Also er geht zum Bund, mein ich. In vier Wochen glaub ich.“
„Ah-ja?“
„Der ist echt verrückt. Der checkt doch im Internet immer so Gruppen ab und quatscht da die Mädels an.“
„Ach echt? Was denn für Gruppen?“
„Na du weißt schon, keine Ahnung, na so Singlegruppen und so’n Zeug.“
„Ne, woher soll ich denn das wissen?“ der Blonde setzt sich auf.
Kurzes Schweigen.
„Und was schreibt er da so?“
„Ja, ich weiß auch nicht. Letztens hat er erzählt, dass er da eben mit einer so gechattet hat und sie dann so gemeint hat: Na sag’s doch einfach: ich find dich nett, willst du mit mir schlafen? ey!“ Der Schwarzhaarige feixt während er auf dem Rücken liegend erzählt.
„Na und er?“ fragt der Blonde unbefangen.
„Weiß nicht, was er geantwortet hat aber er will sich heute mit einer treffen.“
„Welcher?“
„Irgendeiner, sagt er.“
„Pff“ macht der Blonde verächtlich.
„Ich hab’s auch nicht geglaubt, aber er sagt, er macht es.“
Der Blonde macht den nächsten Satz seiner Bauchmuskelübung und schweigt, bis auf das verhaltene Stöhnen vor Anstrengung.
Der Schwarzhaarige wechselt das Thema: „Wer kommt denn da heute alles?“.
„Phillip, Felix und wahrscheinlich Malte.“
„Felix? Kenn ich gar nich.“
„Dann wird’s Zeit, dass Du ihn kennenlernst“ wirft der Blonde schnippisch zurück.
„Hm, weiß noch nich was ich heute Abend mache, also ob ich überhaupt Zeit hab.“
„Du weißt ja nicht, was dir entgeht.“
Ein letztes Stöhnen, der Blonde lässt sich erschöpft zurückfallen. „Fertig.“
Schneewittchen lässt die Übung ausfallen. Beide sammeln Handy, Schlüssel und Handtücher zusammen und trollen sich Richtung Butterfly. Schneeweißchen murmelt noch etwas wie „...du kannst Geschichten erzählen...“, dann sind sie fort.


Impressum

Texte: copyright by horstbocke
Tag der Veröffentlichung: 20.12.2008

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
für alle die, die es schon immer wussten: Kommunikation braucht keinen Inhalt

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