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Ein Moment der Wärme

Ein Teelicht. Ein kleines, zerbrechliches.
Nicht weiß, sondern sand.

Ich nehme es aus der Schatulle. Ja, die ist weiß. Aber das Teelicht, das kleine zerbrechliche, das ist nicht weiß. Es ist sand.
Es ist kein gewöhnliches Teelicht.

Der Docht mündet im Wachs. Ja, wie bei jedem Teelicht. Aber auf dem Wachs des Teelichts befindet sich eine Muschel. Auch die ist aus Wachs.
Die Farbe der Muschel ist sand. Wie der Wachs des Teelichts.

Ich nehme ein Streichholz aus der Schachtel und zünde es mit einer schnellen Bewegung an.
Die Flamme ist warm. Sie leuchtet auf. Sie ist sehr warm. Sie spiegelt mit ihrer Wärme eine Art der Liebe wieder. Eine ungreifbare. Eine herzliche und warme Liebe. Die Flamme. Sie ist sehr warm.

Langsam, mit aller Vorsicht, bewege ich das brennende Streichholz auf den Docht zu.

Der weiße Docht des kleinen Teelichts in sand, des kleinen, zerbrechlichen, beginnt zu brennen.
Ja, zuerst wird der Docht blau und dann schwarz. Wie Kohle, wenn sie im Feuer liegt. Um sie herum brennt das Feuer. Wärme. Sie ist in einen Mantel aus Licht und Wärme gehüllt. So wie der Docht. Die schwarze Farbe nähert sich immer schneller dem Wachs.

Ich puste das Streichholz aus.
Die Flamme um den Docht wird größer und wärmer.
Das Wachs dieses besonderen Teelichts beginnt durch die atemberaubende Wärme flüssig zu werden. In der Stille die herrscht hört man das leise Knistern.
Es ist zu vergleichen mit dem Knistern von Holz, wenn man es ins Feuer wirft.

Langsam bricht die Muschel aus Wachs, die, die sich auf dem Wachs des kleinen, zerbrechlichen Teelichts befindet. Sie öffnet sich.

Ich beobachte die Kerze.
Aus der Öffnung der Muschel läuft heißer, flüssiger Wachs.
Er ist in derselben Farbe wie flüssiges, mildes Karamel. Das heiße Wachs läuft aus der Öffnung.
Es läuft an der Muschel herab, stößt auf das Wachs des Teelichts und hinterlässt eine dünne Spur.
Die Spur ist heller als das Wachs, das aus der Öffnung der Muschel läuft. Das ist in der Farbe von Karamell, aber die Spur in der Farbe von mildem Karamell.

Die Spur ist nicht gerade. Sie hat kleine Kurven. Langsam bildet sich ein Loch in der Öffnung der Muschel.
Die Muschel zerläuft. Das Wachs verbreitet einen warmen Weihnachtsduft. Eine Mischung aus frisch gebackenen Plätzchen, Tannennadeln und Nelken in Orangen.

Mit der Zeit, mit jeder Minute verwandelt sich durch das warme Licht, das heiße Feuer das feste Wachs in flüssiges Wachs.

Der Duft breitet sich immer weiter aus. Es ist herrlich.
Die Zeit scheint still zu stehen.

Tief in meinem Inneren weiß ich, es ist bald zu Ende. Doch die Wärme hält mich fest, der Duft zieht mich in seinen Bann. Ich kann nicht wegsehen, nicht die Augen schließen. Nur die einzigartige Kerze. Die Flamme betrachten, den Duft riechen und dem Knistern lauschen.

Immer weiter fließt das flüssige Wachs in der runden Metallform.

Die Wärme ist wundervoll. Ich bin erfüllt von dieser Wärme. Sie ist wundervoll. Der Moment ist wundervoll.

Der Docht geht zu Neige. Schwarz ist er jetzt schon auf dem Grund des Kerzenbehältnisses. Lange wird sie nicht mehr brennen.

Ein letztes Mal flammt das Feuer auf. Ein helles Licht voller Wärme & Liebe. Der Duft wird sehr intensiev. Ein Knistern.
Ein letztes Mal.

Dann erlischt das Feuer.
Doch die Wärme, die voller Liebe, und der Duft, der weihnachtliche, die bleiben.
Für einen Moment. Einen wundervollen Moment. Einen Moment der Wärme & Liebe.

Ich stehe auf. Und die Hektik beginnt wieder. Die alltägliche. Ich bin wieder im Hier & Jetzt. Im 21. Jahrhundert.

Doch ich mache die Augen auf. Ich lasse mich nicht unterdrücken. Ich lasse mir nichts nehmen.

Ich suche nach dem Besonderen & ich werde es finden.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 27.12.2010

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