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Wie klaue ich einen Maibaum?
- Oder wie stellt man sich am dümmsten dazu an??



Vorwort


Das Maibaumklauen ist eine beliebte Tradition in Bayern. Zumindest hier, am wunderschönen Ostufer des Starnberger Sees. Meist geschieht es im März oder April. Gerne auch richtig kurzfristig vor der Maifeier. Und bevor ich ein paar Geschichten über das Maibaumklauen erzähl, möcht ich erst noch ein paar Regeln erwähnen. (Nur so am Rande).
Der Maibaum darf nur innerhalb des Ortes geklaut werden und sobald ein Mitglied der örtlichen Burschenschaft oder ein Bürger dieses Ortes die Hand auf den Maibaum legt und sagt: „Der bleibt da!“ Darf der Baum nicht weiter entwendet werden.
Natürlich darf kein anderer Verein aus dem eigenen Ort (z. B. Feuerwehr, Fußballverein usw.) den Maibaum klauen (wäre ja auch irgendwie dumm).
Und es darf auch keine Gewalt gegenüber den Maibaumwächtern angewandt werden.
Ganz wichtig ist auch: Der Baum muss ganz und unbeschädigt bleiben!
Es darf auch nur der Baum geklaut werden. Zunftschilder, Kränze und Fähnchen bleiben da wo sie sind!
Ein Baum darf auch erst gestohlen werden, wenn er innerhalb der Ortsgrenze aufbewahrt wird.
Es ist auch klar, dass der Baum nur heimlich gestohlen werden darf. Je cleverer die Diebe dabei vorgehen, desto besser!
Sollte der Diebstahl geglückt sein und der gestohlene Maibaum nicht eingelöst werden, so dürfen ihn die Diebe aufstellen, oder ihn als „Schandbaum“ neben ihren eigenen Baum stellen.
Das Stehlen des Baumes muss so gehandhabt werden, dass das Einschalten von Polizei und Gericht nicht nötig sein sollte.
Und die Regel für die, die wirklich keine Ahnung haben:
Nach dem Aufstellen am 1. Mai darf der Baum nicht mehr gestohlen werden.
(Ist zwar logisch, aber man weiß ja nie, was für Deppen es gibt).

Ist ja alles schön und gut, aber der Baum hat natürlich eine etwas längere Geschichte, als nur das Bewachen, dass ab März beginnt (zumindest hier, am Starnberger See):
Im Regelfall werden die Maibäume im Dezember gefällt und zum Austrocknen abgelegt.
Die wunderschönen, geraden Bäume werden immer mit Blasmusik in die Ortschaft eingefahren.
Bei uns hier, am Starnberger See werden die Bäume auf Wunsch König Ludwigs Weiß-Blau (nicht Blau-Weiß!!!) gestrichen, sagt man.
Ganz wichtig sind auch die Zunftschilder am Maibaum. Diese stehen für das örtliche Handwerk. Eine uralte Tradition, die den Handwerksbetrieben auch nach wie vor wichtig ist.

So, das wichtigste hab ich jetzt gesagt, jetzt erzähl ich mal ein paar Geschichten, wie ein paar Burschenschaften versucht haben, sich gegenseitig den Maibaum zu stehlen. Da ich keine Unstimmigkeiten unter den Burschenschaften verursachen möchte, nenne ich keine Namen.


Ein klassischer Versuch:


Es war Nacht und der Himmel sternenklar. Der April neigte sich schon dem Ende zu und der Maibaum lag fertig angestrichen unter seiner Abdeckung.
Lautlos pirschte sich die fremde Burschenschaft an. Jeder Schritt wurde bedacht geplant um ja keine Geräusche zu verursachen. Dann warteten sie. Warteten darauf, dass die bewachenden Burschen und Madln die so genannte „Wachhüttn“ verließen und zur Arbeit fuhren oder übermüdet nach Hause gingen.
Es war halb sechs Uhr in der Früh als die Tür aufging und sich die ersten Madln verabschiedeten. Sie hofften noch auf eine Stunde Schlaf, bevor ihr Wecker gegen sieben Uhr klingelte und sie zur Arbeit rief.
Langsam ergraute der Himmel schon. Die Sterne verblassten am Himmelszelt und vereinzelte Sonnenstrahlen schoben sich über den Horizont. Stille herrschte unter den wartenden Dieben. Keiner gab auch nur den kleinsten Laut von sich.
Erneut schwang die knarrende Tür der Hütte auf. Jetzt verließ auch der Rest der Wache die einfache Holzhütte. Einige von ihnen waren angetrunken und viele übermüdet. Trotz der harten Nacht lag ein Lächeln auf ihren Lippen, als sie den Baum betrachteten. Es war ja auch ein Prachtstück von Maibaum. Über 30 Meter hoch und kerzengerade. Gutes, stabiles Fichtenholz. Liebevoll angestrichen in den bayrischen Farben Weiß und Blau.
Leise verließen sie das Maibaumlager.
Die Maibaumdiebe blieben noch eine Weile im kniehohen Gras liegen, bis sie sich ganz sicher waren, dass die bewachende Burschenschaft wirklich weg war. Erst dann wagten sie sich aus ihrem Versteck und schritten siegesgewiss auf den Maibaum zu.
„Okay, zieht mal den Baumwagen den Hang hoch.“ Befahl der Oberbursche seinen kräftigen Burschen und Madln.
Es dauerte nur zehn Minuten, dann stand der Wagen bereit. Der Baum konnte aufgeladen werden.
Mit vereinten Kräften stemmten sie den Maibaum hoch und trugen ihn zu ihrem Wagen.
„Gut gemacht, jetzt müssen wir ihn nur noch hier raus bringen.“ Meinte eines der Madln triumphierend.
„Halt, nicht so schnell! Der Baum bleibt da!“ Rief jemand hinter ihr.
Erschrocken drehte sich die gesamte Burschenschaft herum.
Da stand sie. In Skibekleidung und mit einem spöttischem Grinsen im Gesicht. Die rechte Hand auf dem Maibaum.
Erst herrschte ein Moment der Stille.
Dann riefen alle durcheinander. Beleidigungen prasselten auf die Bürgerin ein, die es gewagt hatte, sich ihnen in den Weg zu stellen.
Widerstrebend hievten sie den Baum wieder auf seinen Platz und zogen schmollend mit dem leeren Baumwagen zurück in ihr Dorf.

Tja, es hat bei dieser Burschenschaft leider nicht mit dem Klauen geklappt. Nur zur Information: Dass sie die Bürgerin am Ende beleidigt haben, gehört sich einfach nicht. Das ist unhöflich und beschämend. Schließlich geht es beim Maibaumklauen ausschließlich um Spaß. Ob sie den Baum bekommen oder nicht ist doch egal. Hauptsache es ist lustig.


Auf ein Neues. Neue Burschenschaft, neuer Maibaum:


Diese Burschenschaft stellte es cleverer an.
Drei Leute schickten sie zur Ablenkung in die andere Wachhüttn. Ein gut durchdachter Plan.
Wie Schatten schlichen sie auf den Maibaum zu, der gut abgedeckt am Rand einer Kuhweide stand. Nebelfetzen hingen in der Luft. Zogen über die freie Fläche vor ihnen, wie Geister. Der Maibaum war ein Prachtstück (wenn auch nicht so schön, wie der vorhin genannte Baum). Ein freudiges Kribbeln durchfuhr die 45 Burschen und Madln. Sie waren ihrem Ziel so nah. Es war wirklich leicht. Einfach den Baum anheben und dann…
Ein schrilles Pfeifen zerriss die angenehme Stille, die sich über die Wiese gelegt hatte.
Alarmanlage! Der Baum war durch eine Alarmanlage gesichert! Panik machte sich unter den Maibaumräubern breit. Gleich würden sie entdeckt werden!

Als die Alarmanlage losging zuckten die drei Burschen in der Wachhüttn erschrocken zusammen.
Sie schauten sich an und wussten: Jetzt war es aus. Sie waren aufgeflogen. Vorbei das Ganze. Alles war umsonst gewesen.
„Was ist denn das für ein Piepsen?“ Fragte einer der bewachenden Burschen in die Runde.
Verdutzt schauten die drei ihn an.
„Unsere Autoalarmanlage.“ Meinte einer schnell. „Ich geh sie ausschalten.“ Er erhob sich von seinem Stuhl und schlurfte durch den Raum. Nach außen hin wirkte es gelangweilt, aber in Wahrheit durchfuhr ihn ein Adrenalinstoß nach dem anderen.
Sie wussten es nicht! Sie wussten nicht, dass ihr eigener Baum durch eine Alarmanlage gesichert war!
Jetzt aber schnell die Anlage ausstellen, sonst würde es auffallen.
Er hastete zum Baum. Verwirrt starrten die anderen ihn an.
„Jetzt macht schon die scheiß Anlage aus!“ Zischte er.
Immer noch verwirrt folgten sie seiner Anweisung.
„Hä? Warum kommen die anderen nicht raus?“
Ein verächtliches Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Burschen aus. „Die wissen irgendwie nichts von ihrer Alarmanlage. Sie glauben, es ist unser Auto!“
„Okay, das hatten wir auch noch nicht.“ Meinte eine junge Frau weiter hinten und kicherte leise.
Der Bursche lief mit einem leichten Grinsen im Gesicht wieder in die Hütte und setzte sich auf seinen Stuhl.
Mit Mühe konnten die drei ihre Siegesgewissheit nur noch unterdrücken.
Es klopfte leise an der Tür. Im nächsten Moment schwang sie auf und ein Mädchen blickte schlaftrunken in die Wachhüttn.
„Ist es normal, dass um diese Uhrzeit so viele Leute euren Maibaum streichen?“
Erschrocken fuhren die Bewacher hoch und rannten nach draußen.
Fluchend folgten die drei Burschen, die für Ablenkung hätten sorgen sollen. Natürlich blieb der Baum in der Ortschaft.

Es war ein guter Plan gewesen, soviel steht ja wohl fest. Vor allem als die Alarmanlage losgegangen war. Warum die Wächter nicht wussten, dass ihr Baum durch eine Alarmanlage gesichert war, ist mir aber irgendwie ein Rätsel. Die Diebe hatten es mit reiner Muskelkraft versucht und die Wachenden auch nicht in ihrer Hütte eingesperrt, wie es manch andere Burschenschaft macht. Dies ist aber nicht mehr traditionsbewusst.


So, probieren wir es doch noch einmal:


14.00 Uhr Ortszeit. Ein sanfter Windhauch streifte durch den friedlichen Ort. Die Sonne schien und kleine Schäfchenwolken hatten sich am fernen Horizont gebildet. Eine angenehme Stille umgab die viele Häuschen und Gärten der Ortschaft. Familien saßen beim Mittagessen im Garten und blickten auf ihren Teich oder Brunnen. Ein idyllisches Bild. Voller Frieden und Ruhe.
Wären da nicht sie gewesen.
Das scharfe Geräusch eines Traktorenmotors zerriss die Stille. Viele der Familien dachten, es wäre einer der Bauern, der sein Gras mähen würde und beachteten das Ganze nicht weiter. Doch es war kein Bauer, der mit seinem großen Anhänger durch das Dorf fuhr. Nein, es waren sechs Leute einer Burschenschaft, die es auf den wunderschönen Maibaum abgesehen hatten.
Unaufhaltsam fuhren sie auf den Baum zu, parkten ihren Traktor im richtigen Winkel, sodass man den Baum nur noch auf den Baumwagen legen musste.
Grinsend hoben die Burschen den Maibaum des nördlich gelegenen Ortes an und hievten ihn auf den Wagen.
Fertig. Nur noch abfahren.
Lachend schwangen sich die übermütigen Burschen und Madln wieder auf den Wagen und öffneten sich einige Bierflaschen. Sie stießen auf ihren gelungenen Diebstahl an. Das Bier rann kühl ihre Kehle hinab und der bittere Hopfengeschmack breitete sich in ihren Mündern aus. Es war so einfach gewesen. Tagsüber, alle in der Arbeit, der Baum ungeschützt.
Laut donnerte der Traktor, als der Oberbursch ihn anließ. Alle freuten sich schon auf die bevorstehende Auslöse des Maibaums, in Form von Bier und einer anständigen Brotzeit, wie es üblich war.
Der Traktor rollte an und zog seine schwere Last aus dem Maibaumlagerplatz.
Grinsend betrachteten die Diebe ihre Beute.
Eine Familie, die in der angrenzenden Ferienwohnung Urlaub machte, betrachteten den Diebstahl neugierig. Sie kamen aus einem anderen Bundesland und dachten, dass der Baum jetzt zum Lackieren gebracht würde.
Plötzlich blieb der Traktor stehen. Erstaunt drehten die Burschen ihre Köpfe nach vorne. Erst konnten sie den Grund für den Stopp nicht erkennen, da sahen sie, wie sich eine Hand auf den riesigen Maibaum legte und eine klare, belustigte Stimme ertönte.
„Der Baum bleibt da!“
Erst jetzt sahen sie den Burschen, der sich ihnen in den Weg stellte. Er grinste sie triumphierend an, das Hendl, das er sich als Mittagessen zum Maibaum mitnehmen wollte in der linken Hand. Die rechte Hand lag gespreizt auf dem Baum. Pech!
Ein wenig mürrisch fuhren die Burschen den Maibaum zurück auf seinen Lagerplatz und zogen sich dann langsam mit ihrem Traktor zurück.

Unter Tags den Baum klauen. Nicht üblich, aber auch nicht verboten. Eigentlich sogar frech. Was die Maschinenkraft angeht, na ja, es macht man normalerweise nicht auf diese Art. Traditionell wird ein Baum mit reiner Muskelkraft aus dem Dorf gezogen. Dazu wird er auf den dafür gefertigten Baumwagen gelegt und die gesamte Burschenschaft packt mit an.
Aber wie man hier sieht, kann man es auch anders machen.


Neues Jahr, neues Glück:


Es war drei Uhr in der Nacht. Käsig hing der volle Mond am Himmel und strahlte sein milchiges Licht auf die Wiese, die von dunklen Schatten überzogen war.
Doch halt! Es waren keine Schatten auf der Wiese, es waren Menschen.
Fast 70 Burschen und Madln kauerten im kniehohen Gras. Es war nicht nur eine Burschenschaft, sondern Zwei. Und sie warteten. Warteten darauf, dass sie ihn mitnehmen konnten: Den Maibaum.
Es war nicht gerade ein Bilderbuchbaum, soviel stand fest. Zwar war er groß, aber ein wenig schief. Aber das war eigentlich egal. Maibaum war Maibaum. Und dieser musste mit. Ohne ihn wollten sie nicht mehr gehen.
Für diesen Diebstahl hatten die zwei Burschenschaften sich zusammengeschlossen. Teamwork eben.
Sie lagen alle samt Baumwagen auf der Wiese hinter der Wachhüttn. Das kniehohe Gras versteckte sie vor den aufmerksamen Blicken der Maibaumwächter. Und in dieser Nacht war nicht nur die eigene Burschenschaft bei ihrem Maibaum. Sie hatten auch noch Gäste da, was die Situation für die Diebe erheblich erschwerte.
Und die Burschen warteten. Zumindest der Großteil. Sechs der Burschen allerdings bereiteten schon alles für ihren Diebstahl vor. Der Maibaum lag in einer Scheune und vor dem Tor parkte ein Auto! Aber die geübten Diebe wussten sich zu helfen:
Sie schoben das Auto einfach kurzerhand beiseite.
Krachend schwang die Tür der Wachhüttn auf. Gäste liefen zu ihren Autos und holten sich Jacken, weil der Wind aufgefrischt hatte. Sie zündeten sich ihre Zigaretten an und setzten sich an die Türschwelle der Hütte.
Die Maibaumdiebe hielten inne. Noch waren sie nicht entdeckt worden. Immer mehr Gäste und Burschen liefen an ihnen vorbei.
Leise arbeiteten die sechs Burschen weiter. Sie öffneten das Scheunentor und demontierten noch schnell einen Gartenzaun.
Als die anderen ihre Zigaretten zu Ende geraucht hatten und wieder in die Hütte gingen, schickten sie den Sechs eine SMS. Das war das Startsignal auf das alle gewartet hatten. Sie beeilten sich mit dem Baumwagen in die Scheune zu kommen.
Zuerst luden sie den vorderen Teil des noch unangestrichenen Maibaums auf. Dann den Hinteren.
Wieder schwang die Tür auf und einer der Wachen kam aus der Hütte. Die Diebe hielten den Atem an. Ihr Herz schlug schnell in diesem Moment, doch der Bursche ging an ihnen vorbei und realisierte sie nicht. Ein allgemeines Aufatmen war zu hören.
Sie fixierten den Maibaum noch gründlich, da kam der Bursche wieder. Absolute Stille herrschte unter den Maibaumdieben
- Und er lief wieder vorbei!
Grinsend schoben die Maibaumräuber den Wagen aus der Scheune. Der Traktor, der den Baum abholen sollte war schon unterwegs.
Und dann geschah es:
Der eben vorbeigelaufene Bursche blickte noch einmal aus der Hütte und sah den Diebstahl. Ganz knapp vor der Ortsgrenze! Zerknirscht brachten die Burschen den Baum wieder zurück an seinen abgestammten Platz.

War ein knapper Versuch, aber sie haben den Baum wieder nicht bekommen.
Die meisten Burschenschaften verstehen sich recht gut untereinander. Aber es gibt auch Streit unter den Burschenschaften. Diese dauern manchmal sogar über Generationen an. Den Grund weiß am Ende keiner mehr.


Jetzt muss es doch auch mal klappen:


Es war eisig kalt in der Nacht, als sich eine Burschenschaft erneut aufmachte, den Baum einer Nachbarortschaft zu klauen.
Der Maibaum wirkte fast einsam auf dem Sportplatz des Gymnasiums und Teilinternats. Die Wachhüttn stand ungefähr fünfzehn Meter weg von ihm. Außerhalb des Schulgeländes. Die Hütte war nur schwach erleuchtet und wirkte verloren in dieser mondlosen Nacht. Es waren nicht allzu viele Leute in der Hütte. Die bewachenden Burschen dachten, ihr Baum wäre sicher. Ihn umgab ein Zaun und die Fenster der Internatszimmer lagen auch zum Sportplatz hinaus. Sicherer war (fast) unmöglich.
Der Sportplatz war nur durch einen schmalen Weg vom Starnberger See abgegrenzt, dessen Oberfläche sich im kalten Ostwind kräuselte.
Im Schatten der Baume, die den Weg umsäumten standen sie.
Unruhig glitten die Blicke der Burschen zur Wachhüttn. Kein Geräusch drang heraus, nichts. War es möglich, dass die Wachen eingeschlafen waren?! Nein, so unvorsichtig würden sie doch nicht sein, oder?!
Sie schielten zum Maibaum hinüber. Da lag er, so nah. Selbst die zahlreichen Fenster des Internats waren dunkel. Musste aber nichts heißen. Vielleicht saß ja ein pflichtbewusster Schüler vor einem der dunklen Fenster und bewachte den Maibaum. Aber das war eher unwahrscheinlich. Und wenn es doch so war, dann war es jetzt egal. Sie mussten es einfach versuchen. Alles war schon vorbereitet. Lautlos schlichen sie auf das breite Metalltor zu. Jemand rüttelte daran und es schwang quietschend auf. Erschrocken zuckten die Diebe zusammen. Hektisch blickten sie zwischen dem Internat und der Wachhüttn hin und her, aber alles blieb still. Kein Licht ging in den Zimmern an und auch in der Hütte rührte sich nichts.
Langsam entspannten sich die nächtlichen Diebe wieder. Sie traten durch das Tor. Sie pressten sich eng an den Zaun und schlichen langsam vorwärts. Ja kein Fehltritt!
Jetzt standen sie vor dem Maibaum. Es war nicht gerade der Größte, aber das war den Dieben egal. Nun mussten sie ihn nur noch hier raus schaffen.
Mit geballter Muskelkraft hoben sie den Baum an. Schwer lag die Last auf ihren Schultern, aber sie bissen die Zähne zusammen. Trugen ihn mit ganzer Kraft leise aus dem Sportplatz. Nur noch ein paar Meter. Was der Baum nicht an Größe hatte, hatte er eindeutig im Gewicht. Abwechselnd seufzten und stöhnten sie unter ihrer schweren Last auf. Aber aufgeben galt nicht! Sie waren ihrem Ziel schon so nahe gekommen.
Langsam gingen sie auf den See zu und machten auch nicht halt, als das kühle Wasser schon ihre Knöchel umspülte.
Als sie tief genug im See waren, blickten sie sich suchend um. Wo blieb das Boot nur?
„Verdammt, wo bleibt der denn schon wieder?“ Knurrte jemand, der den Baum am hinteren Ende trug.
Ein allgemeines Fluchen ging durch die Reihe der strammen Burschen. Der Maibaum hatte doch ein sehr beachtliches Gewicht und das Boot, das ihn abtransportieren sollte, ließ sich einfach nicht blicken.
Das leise Summen eines Motors ließ die Burschen verstummen. Na endlich.
„Wurde aber auch mal Zeit.“ Meinte einer der Burschen.
Schnell vertäuten sie den Baum und liefen aus dem Wasser. Sie winkten dem Bootsfahrer noch einmal zu und liefen zu ihren Autos. Nichts wie weg vom Tatort!
Am anderen Ufer zogen sie den Baum wieder aus dem Wasser und brachten ihn in ihr Dorf. Es hatte geklappt! Freudig pfiffen die Burschen durch die Nacht. Der Baum war ihrer!
Die Auslöse fand einige Zeit danach statt. Es gab reichlich zu Essen und zu Trinken.
Über ihre eigene Dummheit lachend, brachte die andere Burschenschaft ihren Maibaum schließlich zurück in ihr Dorf.

Jetzt hat es doch einmal geklappt. Mit viel List und Körpereinsatz haben die Burschen den Baum doch noch ins Dorf gebracht. Auf die Idee muss man doch erst mal kommen, den Baum über den See zu transportieren. Aber die Burschen und Madln sind ja nicht dumm! Als Auslöse gibt es immer Bier und (eine gescheite) Brotzeit. Das ist Tradition.

Nachwort:


Das Maibaumklauen ist schon eine lustige Tradition. Aber in der heutigen Zeit so gut wie unmöglich. Die Bäume liegen meist in dicht besiedelten Wohngebieten, sodass sie fast gar nicht mehr bewacht werden müssen. Aber trotzdem versuchen immer wieder Burschenschaften, die Bäume zu klauen. Es geht ja auch nur um viel Spaß bei der ganzen Sache.
Was auch noch erwähnenswert ist, ist die Tradition, dass der alte Maibaum wenige Tage vor dem 1. Mai in einige Teile zerschnitten und versteigert wird. Meist ersteigern die Burschen die Maibaumstücke, um eine Erinnerung an die lustige Zeit zu haben. Aber auch Dorfbewohner, die nicht in der Burschenschaft sind, steigern mit. Manche versuchen wiederum nur den Preis der einzelnen Stücke hoch zu treiben. Dabei kann es auch passieren, dass dann auf einmal ein Stück Maibaum im Garten steht (Ich schaue aus dem Fenster und muss grinsen).

Der Erlös kommt ausschließlich der Burschenschaft zu Gute.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen beim Autor.
Tag der Veröffentlichung: 17.08.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für die Berger Burschenschaft, weil sie den schönsten Maibaum haben!!!

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