Cover

Seufzend schlug ich die Augen auf. Missmutig tastete ich mich zu meiner Brille durch und setzte sie auf, um die Ziffern meines Weckers, den ich wegen seines Tickens ans andere Ende des Raumes verbannt hatte, zu erkennen. Kurz nach halb neun Uhr in der Nacht. Der Arbeitstag beginnt. Ich glitt aus meinem Bett und tapste in die kleine, aber gemütliche Küche meines Appartements. Dort goss ich mir ein Glas kühlschrankkalte Milch ein und trank es mit einem Zug leer. Dann ging ich ins Bad und betrachtete mich kurz im Spiegel, ehe ich zu meinen Kontaktlinsen griff. Nie im Leben würde ich mich mit dieser verhassten Brille in der Öffentlichkeit zeigen! Das hatte ich schon beschlossen, bevor ich zu dem geworden bin, was ich jetzt bin. Eine Halbvampirin und Jägerin dunkler Kreaturen jeder Art. Meinem Beruf hatte ich einem ziemlich gut aussehenden Vampir namens Lucian zu verdanken, als er mich durch einen Biss in einer mondlosen Nacht zu seiner Blutsklavin machte. Ich hätte sein Blut trinken und ebenfalls eine Vampirin werden können, doch ich sträubte mich schon bei dem Gedanken auch nur einen Tropfen Blut zu schlucken und somit zu ewiger Nacht verdammt zu werden, also rammte ich ihm einen Holzpfahl in die Brust und beförderte ihn somit ins Jenseits. Das war vor ungefähr dreißig Jahren und seitdem bin ich keinen Tag gealtert. Seit dem stecke ich in meinem siebzehnjährigen Körper fest.
Nachdem ich mit die Kontaktlinsen eingesetzt hatte und mein schwarzes Haar (dass nach der Meinung anderer einen leichten Blaustich hatte) gekämmt hatte, zog ich mir eine schwarze Stoffhose und ein hellgrünes Top an. Dann griff ich nach meiner Lederjacke, meiner Tasche und meinem Motorradhelm und verließ die kleine Wohnung. Zum Glück war ich laut meinem gefälschten Ausweis achtzehn und konnte Auto- und Motorradfahren.
Zügig lief ich zum Stellplatz für mein Bike. Ich schwang mich auf die nachtschwarze Maschine und ließ den Motor aufheulen, was die unangenehme Stille der Nacht durchriss. Dann raste ich den leeren Highway entlang in die Stadt, dem Ort, an dem ich arbeitete. Kein normaler Mensch weis, wie viele Dämonen und Vampire in der Stadt nachts ihr Unwesen trieben. Und ich war mir sicher, dass sie es auch gar nicht wissen wollen. Selten verirrte sich ein Werwolf in mein Jagdgebiet und noch seltener kam er lebend dort wieder heraus. Nur Alphatiere hatten die Gabe ihre inneren Organe zu verschieben, was mir erschwerte, sie zu beseitigen. Noch nie hatte ich das Glück die Welt von einen zu befreien.
In einer dunklen, feuchten Seitenstraße blieb ich stehen und stellte mein Motorrad ab. Dann schnappte ich mir meine Tasche und begann, mich mit meinen Waffen zu versehen. Es waren nicht wirklich viele. Zumindest nicht viele wirksame Waffen. Ein Silberdolch, eine kleine Pistole mit drei Silberkugeln, vier Holzpflöcke und noch vier oder fünf kleine Taschenmesser. Jetzt kletterte ich über eine Mülltonne aufs Dach einer Disco. Dort war ich nicht allein. Hinter einem Kamin versteckte sich ein Vampir und wartete darauf, dass ein ahnungsloses Opfer herauskam, das er dann in eine enge Seitengasse zerren konnte. Ich bewegte mich schnell und leise. Ohne, dass er auch nur mitbekam, dass ich da war, rammte ich ihm schon meinen Dolch in die Brust. Er zischte erbost, bevor er zu Asche zerfiel. Nummer eins.
Ich setzte mich im Schatten des Kamins hin und beobachtete weiter die leeren Straßen. Ab und zu fuhr mal ein Auto vorbei. Sonst blieb alles still. Ich beschloss weiter zu gehen.
Mit einem gezielten Sprung war ich auch schon auf dem nächsten Hausdach und blickte mich suchend um. Leise, wie eine Katze schlich ich weiter, von Hausdach zu Hausdach, bis ich an der kleinen Kirche ankam, die in der großen Stadt ziemlich verloren wirkte. Ich betrat den heiligen Grund und mein Körper fühlte sich an, als ob er in Flammen stünde. Vampire verbrannten bei geweihten Dingen, aber ich hatte lediglich das Gefühl in Flammen zu stehen. Auch nicht sehr angenehm.
Schnell rannte ich zu dem kleinen Weihwasserbecken am Eingang und tauchte drei meiner Taschenmesser ein und murmelte das Vaterunser. Auch diese Worte fühlten sich an, als ob sie mich innerlich verbrennen wollten.
Als ich fertig war, steckte ich die Messer wieder ein und verließ so schnell ich konnte die geweihte Erde.
Jetzt war ich auch für die Jagd nach Dämonen gerüstet, die man nur mit geweihten Gegenständen vernichten konnte. Nicht weit von mir huschte ein Schatten vorbei.
Ich folgte ihm, wobei ich auf einen gewissen Abstand zwischen uns achtete, damit er nicht das Weihwasser, das an meinen Messern hing, roch.
Der Dämon war für normale, menschliche Augen unsichtbar, aber für meine vampirischen gut sichtbar (was ich unter anderem auch meinen Linsen verdanken konnte). Die sechsarmige Kreatur kletterte eine Hauswand empor und es war zeit für mich, aus meinem Versteck zu treten.
»Hey Dämon! Suchst du wieder Frischfleisch für deinen Herrn?« Rief ich ihm zu.
Die schwarze Gestalt knurrte erbost und blickte sich zu mir um. Seine gelben Augen fixierten mich und er kauerte sich zum Sprung hin. An seiner Augenfarbe konnte ich erkennen, dass es ein junger Dämon war. Wäre er mittel alt, dann wären seine Augen rot. Erst mit dem vollen Alter von hundert Jahren würden sie schwarz sein und er noch unsichtbarer, als er jetzt schon war. Dieser hier war gerade mal zwanzig, wenn überhaupt.
Er sprang ab und ich riss ein geweihtes Messer mit meiner behandschuhten Hand aus meiner Jackentasche, so dass ich kein Brennen spürte. Augenblicklich wich der Dämon zurück, als er das Weihwasser roch, dass von der scharfen Klinge tropfte.
»Komm, wenn du dich traust!« Forderte ich ihn auf.
Doch anstelle auf meine Forderung einzugehen begann er zu laufen. Ich rannte ihm hinter her, doch ich war nicht so schnell wie die Schattenwesen. Wie auch, wenn ich nur ein Halbvampir war?!
Seufzend ließ ich mich an einer Straßenecke nieder und blickte mich um. Es war so selten, dass ich ein Wesen nicht erwischte. Aber dieses eine Mal machte mir mehr zu Schaffen, als alles andere. Die anderen Wesen waren entweder ausgewachsene Dämonen oder Alphawölfe gewesen, die mit der Fähigkeit ihre Organe zu verschieben gesegnet waren.
Ich kämpfte gegen die Tränen der Wut an, die mir über die Wangen laufen wollten und schleuderte das geweihte Messer in die Nacht hinein. Ein leises Zischen erklang.
Vampir! Mein Instinkt war schneller wie mein Verstand und trieb mich auf die Beine. Wenn ich schon diesen Dämon nicht erwischen konnte, dann musste wenigstens dieser verdammte Vampir daran glauben.
Mit neuem Elan jagte ich durch die Straße.
Er stand auf einer Mülltonne und starrte abwechselnd das Messer und dann mich erbost an. Bei seiner Verwandlung konnte er nicht älter als zwölf gewesen sein. Das hieß aber nicht, dass er schon hunderte von Jahren alt sein konnte.
»Na, hab ich dich erschreckt?« Fragte ich ironisch.
»Was machst du hier, Sklavin, wo ist dein Herr?«
»Mein Herr ist dort, wo du auch gleich sein wirst, Verdammter.«
»Wer bist du?« Seine Stimme klang ein klein wenig höher und er suchte hektisch nach einem Ausweg aus dieser Lage.
»Dein schlimmster Albtraum!« Zischte ich und warf das geweihte Messer nach ihm.
Mit einem qualvollen kreischen, zu hoch für menschliche Ohren ging er zu Boden. Seine menschliche Seele entschwand und verflog mit dem leichten Wind. Das schwarze aber in ihm kämpfte weiter mit dem Weihwasser.
Genervt zog ich meinen Silberdolch und setzte seinem Leiden ein Ende.
Plötzlich zischte erneut etwas dicht neben mir. Ein weiterer Vampir. Es kam selten vor, dass sie nicht allein waren.
Die Zweite war weiblich und filigran gebaut. Ihr aschblondes Haar war zerzaust und blutig. Offenbar war sie die Gefährtin des anderen gewesen. Aber da war ein Geräusch. Ein Geräusch, das darauf schließen ließ, dass sie kein Vampir war. Ihr Herzschlag.
Dieser Mistkerl von Vampir hatte sich eine Blutsklavin gehalten! Die Halbvampirin sah mich gehetzt an. Offenbar hatte sie erkannt, dass ich so wie sie war.
»Hat dein Meister dich geschickt?« Fragte sie argwöhnisch.
»Nein.«
»Warum hast du Will dann getötet? Wenn nicht im Auftrag deines Meisters, Halbvampirin?«
»Ich habe keinen Meister und ich hatte auch nie einen.«
Sie wich erschrocken zurück. Dann begann sie zu rennen. Ich ließ sie ziehen. Sie war nun ohne ihren Meister nicht mehr so gefährlich. Kopfschüttelnd sah ich der Frau hinterher.
Ich ging zurück zu meinem Motorrad und ließ den Motor an, um nach Hause zu fahren, als ein wohlbekannter, sechsarmiger Schatten an mir vorbeihuschte.
Ohne lange zu überlegen fuhr ich ihm hinterher.
Seine gelben Augen fixierten mich einen Moment lang, dann bog er ohne Vorwarnung in eine noch kleinere und dunklere Seitenstraße ein. Ich beschleunigte und fuhr hinterher.
Mit quietschenden Bremsen blieb ich stehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Vor mir standen ungefähr dreizehn Dämonen. Einige waren jung und leicht zu erledigen. Die anderen waren älter. Und fünf von ihnen waren hunderte von Jahren alt. Ich schluckte.
»Shit.« Entfuhr es mir. Ich hatte nicht genug geweihte Waffen dabei, um sie alle zurück in die Hölle zu schicken.
Bevor ich wusste, was los war hatten sie mich schon umkreist und kamen drohend näher. Ihre sechs Arme hatten sie weit von sich ausgestreckt um größer zu wirken. Ich zog meine Waffen. Zwei geweihte Messer hatte ich noch. Und natürlich die Silberwaffen, aber die nützten mir überhaupt nichts. Ich konnte die Dämonen nicht einmal damit verletzen. Sie kamen näher.
Einer der jungen konnte nicht abwarten und stürzte sich auf meinen linken Arm und somit direkt in das Messer. Sofort löste er sich in nach Schwefel riechende Asche auf. Die anderen sahen mich erbost an.
Oh wäre ich doch ein Werwolf! Dachte ich. Das waren die einzigen Kreaturen, die Dämonen mit ihren bloßen Klauen töten konnten.
Ich hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht, als auch schon ein markerschütterndes Heulen ertönte. Unmöglich, dachte ich, aber da stand er auf einer Mülltonne.
Sein dunkelbraunes Fell glänzte im Mondlicht und seine Augen sahen erst mich an und dann die Dämonen, die zurückwichen und schließlich in der Dunkelheit verschwanden. Jetzt war ich auf mich allein gestellt. Und gegenüber stand mir der riesigste Werwolf, den ich je gesehen hatte. Wahrscheinlich auch noch ein Alphatier. Ich zog meinen Dolch und nahm die Pistole mit den Silberkugeln in die andere Hand. Er sprang ab und riss mir die Pistole aus der Hand. In dem Moment rammte ich meinen Dolch in seine Brust.
Kein Zucken. Kein Blut. Wie ich vermutet hatte. Ein Alphawolf.
Dann geschah etwas, dass mich noch mehr verwunderte, wie das Auftauchen des Wolfes.
Er verwandelte sich langsam zurück in seine menschliche Gestalt. Sein dunkelbraunes Haar war kinnlang und seine Augen dunkelblau. Unter dem dünnen schwarzen T-Shirt konnte ich seine stattliche Brust erkennen. Sein Gesicht war fein, aber auch kantig. Der Traummann einer jeden Frau. Und ein Werwolf.
Er kam auf mich zu und ich wich zurück, bis ich an die Wand stieß.
»Was willst du?« Fragte ich barsch. Nur keine Angst zeigen. Ich konnte meine Augen nicht von seinem Gesicht lösen.
»Ich habe einen Auftrag für Sie, Ciara.« Ich war nicht verwundert, dass er meinen Namen kannte. Nur die wenigsten wussten nicht, dass eine von ihnen (im Auftrag der Kirche wohlgemerkt) zu ihrem Feind geworden war. Sein schottischer Akzent war irgendwie niedlich.
»Ach echt? Ein Auftrag von einem Werwolf?« Obwohl ich ganz allein in einer Gasse stand, mit einem Monster, dem selbst Weihwasser nichts tat, musste ich lachen.
»Ja.« Sagte er mit zusammengebissenen Zähnen.
»Welchen, wenn ich fragen darf?« Immer noch musste ich kichern.
»Helfen Sie mir, meine Schwester zurück zu holen.« Sagte er.
»Ich kann keine Toten zurückholen, dass…« begann ich, doch er unterbrach mich.
»Sie ist nicht tot. Noch nicht. Sie wird gefangen gehalten. Von einem anderen Rudel.«
»Und sie wollen, dass ich sie zurückhole.« Ungläubig starrte ich ihn an
»Ja.« Seine Stimme war ernst.
»Das ist doch ein Scherz oder? Was wollen Sie wirklich?«
»Nein, es ist kein Scherz. Ich will, dass sie mir helfen, meine Schwester zu retten.«
»Ich soll einen Werwolf retten?! Ein Wesen, das ich bekämpfe?! Das ist wirklich witzig.« Wieder lachte ich auf.
»Ich weis selbst, dass ich das Unmögliche von Ihnen verlange. Aber bitte, helfen Sie mir.« Seine Stimme klang so flehend, dass ich am liebsten zugesagt hätte.
»Mal angenommen, ich sage zu. Wie soll ich das anstellen? Wie soll ich am Alphatier vorbeikommen.« Ich wies auf den Dolch, der am Boden zwischen uns lag. »Und warum sollte ich? Was springt für mich dabei raus?«
»Um das Alphatier kümmern wir uns. Und was das andere betrifft… wie wäre es, wenn ich Ihnen anbiete, mich danach umzubringen? Einen Alphawolf.«
Dieses Angebot musste ich erst einmal verdauen. Einen Alphawolf umbringen. Mit dessen Zusage! Und dagegen ein unterwürfiges Weibchen retten, ohne das mir der andere Alphawolf im Weg steht. Verlockend… und vollkommen irreal.
»Okay, wo ist die Pointe?« Fragte ich.
»Es ist kein Scherz! Ich will nur, dass meine Schwester sicher ist, mein eigenes Leben ist mir egal. Na los, sagen sie zu.« Seine Stimme war nun laut, aggressiv.
»Moment mal, sie haben vorhin gesagt, wir kümmern uns um den Alphawolf, richtig?« Als er nickte fuhr ich fort. »Das heißt, ich muss mitten in ein Werwolfrudel und ich werde danach ihren Anführer umbringen, wenn alles glatt läuft. Wie soll das gehen?«
»Von unserer Vereinbarung werde ich nichts sagen und solange Sie nicht versuchen einen von uns umzubringen werden sie auch Sie in Ruhe lassen.«
»Sind sie sich da so sicher?« Skeptisch schaute ich ihn an.
»Ja, meine Leute sind ehrliche Leute. Sie hören auf mich, wenn auch manchmal nicht gern. Also, helfen Sie mir Nelly zu retten?« Er schaute mir in die Augen. Sein Blick war so flehend.
»Und was ist, wenn ich es nicht kann?« Flüsterte ich.
»Dann werde ich Sie gehen lassen und Sie werden nie wieder was von mir oder meinem Rudel hören. Also, was ist?«
»Okay, ich bin dabei.« Meinte ich. Wie konnte ich ihm auch die Bitte abschlagen. Bei diesen unglaublichen Augen.
»Danke. Ich hole Sie morgen Abend, Punkt sechs Uhr hier wieder ab. Packen Sie Ihre Taschen, es wird sicher länger als ein paar Tage dauern.
Ich nickte. Und dann war er auch schon in der Gasse verschwunden. Ebenso plötzlich, wie er gekommen war.
Ungläubig starrte ich ihm hinterher. Ich hatte gerade eben einen Auftrag von einem Werwolf angenommen! Spinne ich jetzt total?! Fragte ich mich in Gedanken.
Kopfschüttelnd schwang ich mich auf mein Motorrad und fuhr ohne Umwege nach Hause.

Impressum

Texte: Alle Rechte liegen beim Autor
Tag der Veröffentlichung: 17.05.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für alle, die es lesen wollen...

Nächste Seite
Seite 1 /