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Kapitel 1: „Schatz“

Heute erzähle ich euch eine Geschichte aus meinem Leben als junges Mädchen, so mit 13 oder 14 Jahren. Damals war ich in einen Jungen verliebt, der zwei oder drei Jahre älter als ich war. Aber jetzt erstmal alles der Reihe nach:
Es begann an einem regnerischen Herbstnachmittag. Ich sollte mit dem Hund gassi gehen – und das bei dem Regen! „Mama, ich gehe doch nicht bei diesem Wetter raus! Meinetwegen, wenn der Regen aufgehört hat, aber nicht bei diesen Strömen!“ „Mein liebes Kind, hör mir mal zu: Letzte Woche hast du dich geweigert, weil es draußen zu warm war, die Woche davor wolltest du nicht, weil dir dein Bein wehtat, am Nachmittag konntest du dann plötlzich wieder Wettrennen laufen und jetzt kommst du damit! Raus mit dir, das hast du nun von deinen ganzen Ausreden!“ Bei dem Regen gassi gehen! Doch das Schlimmste war, dass sie auch noch Recht hatte! Jede Woche wiegerte ich mich aufs Neue und dachte mir Ausreden aus. Nun fühlte ich mich geschlagen. Also zog ich meine Schuhe und meine Jacke an, nahm den Hund an die Leine und ging mit einem „Tschüß!“ nach draußen. In den Regen. In den Wald. So schlimm war es eigentlich gar nicht. Ich war zwar klitschnass, aber- mir kam jemand entgegen und es war nicht nur irgendjemand: Es war... er! Der perfekte Mann. Ich meine, wir waren zwar noch Teenager, aber irgendwie passte es genau. Und ich hatte mich unsterblich in ihn verliebt. Ich war stehen geblieben. Vor mir steht der am besten, klügsten und witzigsten aussehenste Typ im ganzen Universum! Plötzlich rief ein Mädchen von weiter vorne: „Julian, Schatz, warte doch!“ Er drehte sich um und küsste das Mädchen, das angelaufen kam, auf den Mund. Mir fielen fast die Augen aus dem Kopf. Er hatte also eine Freundin. Scheiße. Niedergeschlagen ging ich nach Hause. Als ich da war verzog ich mich sofort in mein langweiliges Zimmer. Dort sah ich meinen scheiß Schreibtisch auf dem mein scheiß Computer stand, den mein Uropa wahrscheinlich schon benutzt hatte. Alles war einfach nur noch scheiße. Dann kam auch noch meine Mutter mit ihrer piepsig hohen Stimme und rief mir von der Küch aus hoch: „Schatz, was ist denn los?“ Schatz, Schatz! Wie sehr ich dieses Wort auf einmal hasste! Sie war schlank, hatte obenrum was und war größer als er. Wahrscheinlich stand er nur auf Mädchen mit einer guten Figur. Logische Konsequenz: Ich musste abnehmen! Auf einmal riss mich ein Bellen aus den Gedanken. Man, musste dieser verdammte Hund immer so laut kleffen?! Dann wurde ich runtergerufen: „Julia, Schatz, Besuch für dich!“ Schatz.... Ich kam runtergerannt und sah Tobias, einen Klassenkamerad. So fein angezogen sah ich ihn zuletzt beim Fototermin der Klasse.„Hallo.“, sagte ich überrascht und auch fragend. „Hallo! Ähm... kann ich mit dir kurz alleine sprechen?“ Ich schickte meinen Bruder, meine Mutter und meine Schwester weg. Kaum stand ein Junge für mich an der Tür, versammelten sich alle hier. „Was ist?“, fragte ich ihn. „Ähm... ich wollte fragen, ob du... ich meine, nur wenn du Lust hast... ob du dann... ähm ich meine, nur wenn du wirklich Lust hast-“ „Tobias, komm zur Sache!“, sagte ich genervt. Was dachte der sich eigentlich, kam hierher und laberte mich zu. Tobias begann wieder zu reden: „Ja, also, ich wollte fragen, ob du Lust hast mit mir ins Kino zu gehen?“ Ich war vollkommen perplex. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Also sagte ich nur: „Schön!“ Und machte die Tür zu. Einfach so. Kopfschüttelnd ging ich in mein Zimmer. Ich legte mich auf mein Bett und starrte die mattweiße Decke an. Liegend dachte ich darüber nach: Warum müssen sich eigentlich immer nur solche Schwachköpfe wie Tobias Thomsen für mich interessieren?! Warum konnten es nicht ganz normale Jungs sein? Wieso mussten es immer solche Idioten, wie Tobias Thompson oder Eric Fletcher sein? Das verstehe ich bis heute nicht! Und es ist immerhin schon ein paar Jahre her. Aber jetzt wieder zur Sache: Meine Mutter rief die Treppe hinauf: „Julia, Schatz, essen!“ Dieses Wort! Wie affig das schon klang: 'Schatz'. Bäh. Wiederlich! „Julia, komm doch bitte zum Essen runter!“, rief meine Mutter abermals. Doch ich ging nicht runter, ich hatte keinen Hunger. Ganz im Gegenteil, ich hatte eher das Gefühl mich gleich übergeben zu müssen. Das war einfach zu viel: zuerst die fünf in Bio heute morgen, dann dieser süße Typ im Wald und jetzt Tobias mit dem Kino. Damit wird doch kein normaler Mensch fertig, oder?
Nach ungefähr einer Stunde des Nachdenkens, Grübelns und Jammerns schlief ich endlich ein. Am nächsten Morgen kam ich fast zu spät zur Schule. Stundenlang hatte ich vor dem Spiegel gestanden und meinen fetten hässlichen Körper betrachtet. In der Schule lief alles normal. Zuhause angekommen verschwand ich schnell wieder in meinem Zimmer, um Fragen wie: 'Was wollte Tobias gestern Abend eigentlich von dir?' oder 'Wie war die Schule, Schatz?'. Also setzte ich mich an meinen Schreibtisch und machte Hausaufgaben. Na gut, ich versuchte es wenigstens, denn nach fünf Minuten rief meine Ma die Treppe hoch: „Julia, Mittagessen!“ „Ich hab keinen Hunger, Ma!“, war meine Antwort. „Aber du hast doch heute Morgen schon nichts gegessen!“ Sie ließ wirklich nicht locker. „Mama, ich habe keinen Hunger!“, sagte ich energisch zu ihr. Danach sagte sie nichts mehr, worüber ich sehr froh war. Nun konnte ich mich wieder meinen Hausaufgaben widmen.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 24.06.2009

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ach Amela, unser tolles Buch<3

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