Cover

Eins




Schulwechsel sind etwas, über das man sich streiten kann.
Zum einen sind sie eine Veränderung, ein Schritt auf seinen Abschluss zu und ein Erfolgserlebnis, schließlich wurde man überhaupt wegen einer gewissen Qualifikation auf dieser Schule genommen.
Andererseits wird man nun mal aus seinem vorherigen Umfeld gerissen, lässt alle seine Freunde zurück und muss sich in eine neue Gesellschaft eingliedern.
In meinem Fall ist das nicht sonderlich schwer, ich gliedere mich ungern ein.
Ich mag Menschen nicht.
Wenn man sie braucht, sind sie nicht da und wenn man sie gerade überhaupt nicht gebrauchen kann rennen sie einem in den Füßen rum.
Was mich persönlich an meinem neuen Schulwechsel störte, war die Tatsache, dass es ein Internat war und ich somit mit einigen anderen zusammen in einem Zimmer schlafen und mich somit auch oft mit ihnen abgeben musste- zumindest Nachts und das war schon zu viel.

Man hatte mir gesagt, mein Zimmer wäre im zweiten Stock im linken Korridor.
So ging ich nun mit meinem Koffer, der mich fast zum umfallen brachte und meinem Rucksack an den Zimmern vorbei und suchte gelangweilt meinen Namen.
Nebenbei machte ich mich über die Namen der anderen lustig.
Wofka Kaliska. Der arme Kerl hieß doch tatsächlich Wofka.
Circa in der Mitte des Korridors prangte Der Zettel-„Kain Akatsuma, Nythan Cooper“ an einer der Türen. Endlich, mein Zimmer.
Der Schlüssel steckte außen, an dem billig wirkenden Schlüsselring befand sich noch ein weiterer Schlüssel, der wohl für meinen Zimmerkumpanen war.
Ich schloss kurzerhand auf und warf meine Tasche auf das Bett, dass sich rechts direkt neben der Tür befand.
Mein Zimmernachbar war wohl Japaner. Zumindest klang sein Name so- hoffentlich nervt der nicht, hoffte ich innerlich.
Sollte der Japse doch das Bett an der anderen Wand haben.
zwischen den Kopfenden beider Betten stand ein langer Schreibtisch mit zwei Schreibtischstühlen daran.
am anderen Ende stand ein großer Kleiderschrank, den ich mir wohl mit dem Japaner teilen musste und gegenüber von der Tür, die sehr weit Links im Raum gelegen war, befand sich eine Glastür, die auf den Balkon hinaus führte.
Es war also ein großes, schönes Zimmer, man konnte sich nicht beklagen.
Mir fiel gerade durch die Balkontür der Wald auf, der zum Internatsgrundstück gehörte, als mir die Tür gegen den Rücken gerammt wurde.
„Eh, Sorry Mann, helf mir ma die Tasche reinziehn...“, nuschelte eine Stimme hinter mir.
Ich öffnete, mir das Kreuz haltend, gänzlich die Tür und dort stand ein recht großer Kerl, die wilden dunkelbraunen Haare zu einem unordentlichen Zopf zusammengefasst und mich aus überraschend großen, braunen Asiaten-Augen ansah, er lächelte.
Ich lächelte schief zurück, blickte dann auf den Zettel, der noch immer außen auf der Tür klebte.
„Du bist also Kain… irgendwas.“, gab ich ohne zu zögern von mir, ganz gleich ob ihn das beleidigte oder nicht. Wie schon gesagt, ich mochte Menschen nicht sonderlich.
„Akatsuma, du musst einfach das U schlucken, dann hastes.“, sagte er und lächelte. „Du musst dann Nathan Cooper sein.“
„Nythan“, berichtete ich ihn, blickte ziellos hinter ihn in den irgendwie dunkel erscheinenden Korridor.
Ohne ein weiteres Wort schob er sich an mir vorbei in den Raum und war seine Tasche auf das andere freie Bett.
„Ist nett hier.“, bemerkte er.
„Schon.“, sagte ich und ließ mich auf mein Bett sinken.
Er zog sich sein Zopfgummie aus den Haaren und wuschelte sich durch die dunkelbraune Mähne. Es war echt unglaublich wie viele Haare dieser Kerl hatte!
„Ich bin übrigens 19, du?“, fragte er plötzlich.
„Was? Ah, 18.“, antwortete ich. Der Typ wollte sich echt mit mir anfreunden.
„Und… wo kommst du her?“
„Umkreis Frankfurt, du?“
„Aus Berlin.“ Kain lachte auf.
„Berlin?!“, stieß ich aus. „Das ist an der anderen Seite von Deutschland! Wieso zur Hölle suchst du dir eine Schule in Bayern aus?!“
„Aus reiner Willkür.“, antwortete er und grinste mich schelmisch an, bevor er sich ohne jegliche Vorwarnung seines Shirts entledigte. „Is verdammt warm in so‘nem Auto.“, gab er als Erklärung und durchwühlte gleich darauf seine Tasche nach einem Frischen Shirt.
Er war gut trainiert. Nicht so trainiert, dass man das Gefühl hat, vor einem riesigen Stein zu stehen, eher so, dass man einfach anfängt zu sabbern. Mädchen. Mädchen machen das. Ich nicht. Nein…
Sogleich zog er ein Shirt aus seiner Tasche und hielt es mir vor die Nase.
„Schau mal! Naruto!“
Aua. Stereotyp eins wurde erfüllt.
Das konnte doch nicht wahr sein, der Kerl lief tatsächlich in Anime-Shirts durch die Gegend.
„Cool…“, stieß ich mit einem solchen Desinteresse aus, dass er eigentlich hätte reagieren müssen, doch er kicherte nur und zog es sich über.
„Wir brauchen beide noch Bettzeug.“, stellte er fest.
„Ich hol welches.“, sagte ich und stand auf. Auf dem Hinweg hatte ich die Bettwäsche-Ausgabe in dem Gang mit dem Speisesaal gesehen.
Ohne ein weiteres Wort an Kain marschierte ich durch die Tür und hörte nur noch, wie er mir ein: „Danke Mann!“ hinterher rief.
Ich konnte mit dem Kerl nicht in einem Zimmer schlafen. Wie sollte ich in Ruhe lernen, wenn er ständig neben mir saß und mich mit Mangas vollquasselte. Der schien ein echter Klischeejapaner zu sein.
Am Waschraum angekommen schnappte ich mir gleich zwei Kopfkissenbezüge und wollte gerade zu den Spannbetttüchern greifen, da giftete mich eine Frau aus dem inneren des Waschraums an: „HEY! IMMER NUR EINS!“
„Ich nehme auch Bettwäsche für meinen Zimmerkameraden mit.“, erklärte ich.
Sie schnaubte laut und ging wieder ihrer Arbeit nach, was immer sie da tat, das konnte man bei Schulangestellten bekanntlich nie so genau sagen.
Nachdem ich alles hatte lief ich wieder die Treppen hinauf und den Gang entlang, beim öffnen der Tür fiel mir auf, dass die Schlüssel außen noch steckten.
So betrat ich den Raum blind, ließ die Bettwäsche auf mein Bett fallen und ging wieder zur Tür, um den Schlüssel abzuziehen.
Mit dem Schlüssel in der Hand kam ich zurück in den Raum und erschrak.
Kain hatte alle seine Sachen quer auf sein Bett verteilt. Bücher, Stifte, Hemden, Hosen, Schuhe, ein Laptop, Plüschtiere, alles lag in einem großen Haufen darauf und Kain selbst stand fast in seiner Seite des Kleiderschranks und baute die Regale um.
„…Was…?!“, stieß ich aus.
Kain kletterte aus dem Schrank, ein Holzregal in der Hand. „Was denn? Ich räum doch nur meine Tasche aus.“
„Das kann man doch direkt machen.“, sagte ich, in meinem Gesicht war das pure entsetzen zu sehen, ich blickte förmlich in meine Zukunft und sah mich in diesem Chaos ersticken, sah dieses Jahr als eines der schlimmsten meines Lebens an.
Doch Kain begann zu lachen. Ehe ich mich versah, stand er vor mir und hatte die Arme um mich gelegt.
„Du bist vielleicht süß, ich räum’s doch weg, hab dich nicht so.“
Mir viel nun vieles auf. Er war nicht nur wesentlich größer, sondern auch wesentlich breiter als ich, was nicht sonderlich schwer war. Ich war 1,70 groß und verdammt dünn, was mich zugegebenermaßen nicht im Geringsten interessierte. So stand er wie ein Bär vor mir und drückte mein Gesicht an seine Brust, mit seinen gefühlten, für Japaner untypischen 1,90.
Dann war er verdammt warm.
Und sein Aftershave oder Deo oder was auch immer roch höllisch gut.
Ich stemmte die Hände gegen seine Brust. „Lass das…“, jammerte ich, er lachte weiter, ließ mich jedoch sofort los, wobei er mir fast das Holzregal gegen den Kopf schlug.
Er ging zurück zum Schrank und schob es hinein.
Auch ich ging zu meinem Schrank und gerade, als ich fragen wollte, weshalb er die Regale herausgenommen hatte, öffnete ich den Schrank und fand alle meine Regalbretter auf dessen Boden vor.
„Ja, das ist voll scheiße, die haben einfach alle Regale ausgebaut und auf den Boden gelegt, die müssen dann erst eingebaut werden.“, sagte Kain. „Ich kann das für dich machen, wenn du magst. Die Bretter sind recht schwer und“ er schob sich ohne eine weitere Frage vor mich. „sie müssen auch recht weit oben angebracht werden.“
Er nahm sich einfach ein Brett vom Boden und begann, die Regale einzubauen.
Ich war recht dankbar darum, diese Arbeit nicht erledigen zu müssen und stellte stattdessen meine Tasche auf den Holzboden (Ich bin mir nicht sicher, ob es echtes Holz war, oder nur so aussah), um mein Bett zu beziehen.
Die Bettwäsche war blütenweiß. Dort würde man jeden Fleck sofort sehen. Also musste man das auch ständig wechseln. So ein Mist.
Als ich gerade dabei war, das Kissen zu beziehen, sah ich, dass Kain mich anblickte. Er war wohl mit den Regalen fertig und stand schief grinsend in der Schranktür.
„Bekomm ich jetzt nen Kuss für meine Harte Arbeit?“, fragte er und sein Grinsen wurde breiter.
Was war das denn für ein Typ?!
„Nein?!“, erwiderte ich.
„Schade.“ Er lachte leise und ging zu seinem Bett um mit dem Einräumen seines Schrankes zu beginnen.
Verängstigt starrte ich ihn an. Das Bild, das ich mir von diesem Jahr machte, nahm plötzlich eine ganz andere Gestalt an, ich musste zugeben sogar ein bisschen Angst bekommen zu haben.



Zwei




Nachdem die Schränke vollständig eingeräumt und die Betten bezogen waren, hatten wir noch zehn Minuten, bis wir uns für die Willkommensrede des Schulleiters in der Aula einfinden sollten.
Ich wollte schon vorgehen, aber irgendetwas in mir hielt mich an, auf Kain zu warten. War das eine soziale Ader? Waren das andere Blähungen? Ich wusste es nicht, aber was immer es war, es zwang mich auf meinem Bett sitzen zu bleiben und Kain dabei zuzusehen, wie er etwas auf seinem Handy tippte. Ein Smartphone hatte der also auch noch.
„Wir haben nicht mehr so viel Zeit.“, bemerkte er.
Am liebsten hätte ich ein lautes, gespielt ungläubiges „Nein?! Wirklich?!“ ausgestoßen, doch ich machte stattdessen nur „Hm“, da ich ihn nicht auszählen wollte.
Im Laufe der letzten vierzig Minuten war ich zu dem Entschluss gekommen, in Zukunft keinen dummen Menschen seines Intellektes wegen zu verspotten, ohne sie gäbe es schließlich auch keine Intelligenten.
Er steckte sich das Handy in die Hosentasche und stand auf.
„Komm, lass und gehen, am Ende müssen wir irgendwo hinten an der Wand stehen.“, sagte er und streckte mir seine Hände hin.
Von mir bekam er nur einen verwirrten Blick. Warum?
„Komm, ich helf dir hoch.“, sagte er, um mir auf die Sprünge zu helfen.
Woher sollte ich solche zwischenmenschlichen Gesten denn kennen. Aufstehen konnte ich schließlich auf alleine, da brauchte ich niemanden, der mich hochzog.
Ohne es wirklich zu verstehen legte ich meine Hände in seine und ließ mich auf die Füße ziehen, ich kam direkt vor ihm zum stehen, hatte das Gefühl, ich sei für ihn nur eine Feder.
Er lächelte, als habe er meine Gedanken gelesen und ließ meine eine Hand los, die andere packte er am Handgelenk, lief los und schleifte mich daran hinter sich her.

Ich schaffte es erst zwei Gänge später mich aus dem Griff dieses Gorillas zu befreien.
Gorilla.
Bär.
All diese Tiernamen wirkten so schrecklich niedlich auf mich. Ich hatte das Gefühl, der Kerl wäre ein echtes Monster, der konnte vermutlich auch noch Gedanken lesen.
Wer wusste schon, zu was diese Asiaten fähig sind.
Er war ohnehin eine Mutation, hatte schließlich braune Haare und war hochgewachsen wie ein Westeuropäer.
Nicht, dass ich Körpergrößen Landstrichen zuteilen würde, genügend Studien bewiesen, dass das nicht stimmte, aber Asiaten waren doch für gewöhnlich klein, oder?

So ging das schier endlos, das sinnlose Geplapper in meinem Kopf schien gar kein Ende zu nehmen, für gewöhnlich dachte ich auch überhaupt nicht über solche Belanglosigkeiten nach, doch dieser Kerl machte mich kirre.
Nach nur einer Treppe und zwei Gängen gelangten wir an eine große Flügeltür, durch die wir in einen Saal mit vielen einzeln gestellten Stühlen kamen.
Kain lief nun hinter mir, da er mir die Tür aufgehalten hatte. Ich hatte keine Anstalten gemacht, mich bei ihm zu bedanken, was ihn offensichtlich nicht mal störte.
Ich lief die Reihen der Stühle entlang, schlängelte mich durch gesprächige Gruppen und war mir schon recht sicher, dass dieser Bär mich verloren hatte, da drückte eben dieser mich von hinten in eine Sitzreihe.
„Ich kann weiter vorne nicht sitzen, das stört viele, außerdem sollten wir vorne doch eher für die Mädchen freihalten.“, sagte er und schmunzelte. Elender Aufreißer.
Ich setzte mich neben einen jungen Mann mit gestylten Haaren im Hipster-Outfit, dieses typische irgendwie moderne Zeug, fette Brille, fette Turnschuhe, fette Kopfhörer, bunte Hose, buntes Hemd.
Er starrte vor sich hin und aß Chips. Ketchup-Geschmack. Hmmmmm, der Geruch in der Luft war doch herrlich, nicht?
Ich blickte ihn angewidert an und wand dann den Kopf in Richtung einer kleinen Bühne, auf der ein Rednerpult stand.
„Auch welche?“ Ich zuckte. Als ich meinen Kopf zur Seite drehte, sah ich, dass der Hipster-Typ mir seine Chipsdose unter die Nase hielt.
„Erm… ne, danke.“, erwiderte ich und schrak zurück, als mir einige Mädchen, die eine Reihe vor mir versuchten, mit ihren Stöckelschuhen zu den Stühlen weiter links zu kommen, versehentlich ihre Hinterteile ins Gesicht drückten.
Kain kicherte.
„Was ist los?“, fragte ich genervt.
„Ach, nichts.“, antwortete er.

Schon bald saßen alle, die kurz zuvor noch gestanden und geredet hatten, schweigend auf den Stühlen und eine alte Frau mit dem Gesicht einer Beispieloma stellte sich hinter das Rednerpult.
„Is das Ding schon an?“, fragte sie mit heiserer Stimme und blickte dann durch ihre runde Brille, die ihre Augen unmenschlich groß erscheinen ließ, gelangweilt in ihr Publikum. „Oh, Entschuldigung.“, warf sie noch schnell hinterher.
Die Rede danach hat mich nicht im geringsten interessiert. Ich glaube ehrlich gesagt, dass sie die Oma, die wohl die Schulleiterin war, was für ihr Alter beachtlich war, sofern sie so alt war, wie sie aussah, auch nur irgendwie interessiert hat.
Selbst die wenigen Lehrer, die man anhand ihres Alters zwischen den neuen Schülern erkennen konnte, gähnten ziemlich oft, manche lasen Bücher, andere tippten gelangweilt irgendetwas in ihre Handys ein.
Ich ließ den Blick über die Menge schweifen, begann bei dem Hipster-Kerl links von mir, blickte auf etliche Hinterköpfe und kam schließlich bei Kain wieder an.
Auch er hatte sein Handy wieder rausgeholt. Er spielte Tetris und da das interessanter schien, als die Rede, sah ich ihm dabei zu.
Er schien das öfters zu machen, denn er verlor nicht so oft, wie ich es bei dem Spiel tat.
Die Rede schien kein Ende zu nehmen und irgendwann fand ich mich, mit der Wange an Kains Oberarm klebend wieder, die Augen halb geschlossen, drauf und dran einzuschlafen.„Oh, Verzeihung.“, flüsterte ich. Kain zuckte nur mit den Schultern, er spielte noch immer Tetris.
Doch die Stimme der Alten lullte mich erneut ein und als ich das nächste Mal mit dem Gesicht an seinem Oberarm klebte, fragte ich mich, ob es nicht vollkommen egal war.
Wenn ich tatsächlich einschlief, hatte ich eine Begründung für diese Haltung.
Er war schön warm.
Und er roch noch immer nach diesem Deo oder was immer das war… auf jeden Fall roch er wunderbar.
Ich spürte, wie sich ein Lächeln auf mein Gesicht bahnte, machte jedoch keinerlei Anstalten, es zu verhindern.
Blauer Stein, der muss nach rechts, dachte ich- Kain setzte ihn nach links und löste damit die unteren beiden Reihen auf.
Ich ließ meine Augen zufallen, es gab nicht sonderlich viel zu sehen außer die bunten Steine auf Kains Smartphone und mit diesen schien ich tatsächlich gänzlich zu verzweifeln.
„Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.“, sprach die Frau ins Mikrofon, allgemein wurden Handys in Hosentaschen gesteckt, Bücher zugeklappt, die Menschen setzten sich wieder gerade hin und es wurde applaudiert, hier und da streckte sich jemand und gähnte herzhaft.
Kain sperrte den Bildschirm seines Handys und ließ sein Genick knacken. Dann sah er mich an und lächelte breit.
„Was?“, fragte ich. Wieso lachte dieser Kerl immer über mich?
„Du bist so klein…“, sagte er und grinste böse, dann kraulte er mir kurz durch die Haare.
Was… was war das? So klein war ich doch nicht! 1,70 war nicht klein! Vielleicht für ihn, aber er war ja auch ein Riese!
Gut, zugegeben, ich war immer einer der kleinsten Jungs in meinen Klassen gewesen, doch viele Mädchen waren noch immer kleiner, als ich.
Na gut.
Ich bin klein.
Als nächstes trat ein Mann ans Pult. Er trug einen Anzug und strahlte übers ganze Gesicht.
„Hallo! Auch ich darf sie herzlich an dieser Schule begrüßen!“
Das Formelle Blabla kann der sich ruhig schenken, dachte ich.
„Ich bin Herr Konrad, der Klassenlehrer für die erste Klasse, ich bitte sie vor zu kommen, sobald ich ihren Namen aufgerufen habe.
Es folgten einige Namen.
Wofka war in seiner Klasse. Wofka erschien mir sehr sympathisch, nicht etwa, weil er kleiner schein, als ich es war, sondern weil er die ganze Zeit über aussah, als würde er alle anwesenden brennen sehen wollen.
Vielleicht würde ich mich mit Wofka anfreunden, dann wären wir zu zweit, ich dann bestimmt leichter, diese Welt anzuzünden.
Weder mein Name, noch der von Kain war dabei.
Der Hipster saß auch noch immer schweigend neben mir und aß seine Ketchupchips. Hmmmmm. Dieser Geruch…
Als nächstes kam eine junge, hübsche Frau hinter das Rednerpult.
„Hallo! Ich bin Lilly Hansen und ich übernehme die zweite Klasse.“
Nachdem sie gesprochen hatte, wollte ich weinen gehen. So eine bodenlos dämliche Tonlage hatte ich seit dem Kindergarten nicht mehr gehört.
Auch sie rief einige Leute auf, wieder war ich nicht dabei, der Saal wirkte plötzlich schrecklich leer und nun trat ein mittelalter Mann hinter das Rednerpult.
„So, liebe Schüler, sie sind wohl alle in meiner Klasse.“
Der gefiel mir schon eher, feste Stimme, klare Ansage und wenigstens wurden wir nicht einzeln aufgerufen, wies schien.
„Ich bin Peter Kalisky und ich werde euch so gut ich kann durch dieses Schuljahr führen. Wenn sie mir bitte folgen würden.“
Er marschierte von der Bühne und lief seitlich an den Stuhlreihen vorbei durch die Flügeltür in den Gang.
Alle anderen Klassen standen noch hinter der Bühne und warteten auf ihren Einsatz, dieser Lehrer schien einfach zu machen, was er wollte. Diese Abneigung gegen Eingliederung in die Reihe gefiel mir.

Während er mit seinen Schülern, also dem Hipster, Kain, mir und einigen weiteren den Gang entlang lief, zog er einen halt zerknäulten Zettel aus seiner Hosentasche- das gefiel mir schon eher weniger.
„Gehen wir mal mit der Anwesenheit los.
„Luis Henninger“ Ein recht großer Kerl meldete sich.
Ich war allgemein von großen Kerlen umgeben, die Mädchen waren alle recht zierlich, die Kerle hingegen schwenkten von Bären, wie Kain zu langen schlaksigen, wie Goofy.
„Kain Akatsuma“
„Akatsuma.“, berichtigte Kain die Aussprache des Lehrers. „Sie müssen-„
„Yoseob Kim“ Der Lehrer fuhr fort, als habe Kain niemals etwas gesagt.
Ich begann, diesen Mann zu lieben.
„Oliver Gauss“
Der Hipster, der unmittelbar hinter mir noch immer seine Ketchupchips aß, rief kurz angebunden „hier“, ehe seine Hand wieder in der Chipsdose verschwand.
„Heechul Choi… beim nächsten Asiaten schlag‘ ich ein Rad.“, scherzte Herr Kalisky. Niemand lachte.
etliche Namen später (es waren keine Asiaten mehr dabei), kam endlich „Nythan Cooper“
„Ja!“, antwortete ich.
Nach mir kamen nur drei weitere Namen, auch keine Asiaten.
Nachdem er alle Namen vorgelesen hatte, drehte er sich lächelnd zu uns um.
„Ich soll ihnen mitteilen, dass morgen Abend eine Einschulungsparty stattfindet. Für Alkohol und das ganze Zeug ist gesorgt, sie müssen es nur bezahlen und dürfen nichts selbst mitbringen. Damit sind sie entlassen.“
Er machte auf dem Absatz kehrt und eilte den Korridor entlang, an dessen Ende er nach rechts verschwand.

Drei




Nachdem wir wieder auf unser Zimmer gekommen waren, hatte Kain sich direkt auf sein Bett gefläzt und angefangen, mit seinem Handy rumzuspielen. Das Ding schien ihn echt von innen her aufzufressen.
Vielleicht tat es das wirklich. Vielleicht war gerade das der tiefere Plan der Handyhersteller. Der Beginn der von der Menschheit schon lange befürchteten Zombie-Apokalypse.
Ich hatte nicht mal ein Buch mitgenommen, zwar besaß ich auch ein Smartphone, aber ich besaß es zum Telefonieren, nicht zum Rumspielen.
„Und, was ziehst du morgen Abend an?“, fragte er mich aus heiterem Himmel.
„Was weiß ich denn, ich will da doch nicht mal hin.“, antwortete ich und ließ mich auf mein Bett sinken.
„Komm schon, da kann man die ganzen anderen kennen lernen.“, versuchte er mich zu überzeugen. Er hatte seinen Handybildschirm gesperrt und es in seine Hosentasche gleiten lassen.
„Und?“ Meiner Stimme war das Desinteresse voll anzumerken.
„Ich versteh dich nicht.“, antwortete er, setzte sich auf und richtete sein Shirt zu recht.
„Ich frag mich ohnehin, weshalb wir nicht erst am Sonntag anreisen sollten und dann direkt in den Unterricht eingestiegen sind. Stattdessen sollten wir schon freitags erscheinen um dann noch hier rumzusitzen.“
„Das ist die Kennenlernphase.“, sagte er langsam und deutlich, er schien das wirklich ernst zu nehmen.
Ich schnaubte, stand auf und ging zur Zimmertür. „Ich bin mal eben im Bad.“
„Okay“, sagte er mit besorgter Stimme, so, als ob man sich um meinen Zustand sorgen musste. Was ein Kerl das einfach war…

Als ich in das einzige Bad im Gang kam, stand bereits jemand an einem der Waschbecken.
Es war das arme Kind, das man Wofka getauft hat.
„Na, mit was hat man dich gesegnet?“, fragte er und blickte mich aus grauen Augen an, in denen sich das Desinteresse an dieser Welt nur zu deutlich abzeichnete.
„Mit nem Japaner, dich?“
„Mit Ketchupchips.“ Ich musste fast anfangen zu lachen. Dieser Oliver war also mit ihm in einem Zimmer, armer Kerl.
Ich grinste. „Tut mir leid.“
„Der Kerl ist sogar ganz ok“, begann Wofka. „Redet zum Glück nicht viel, liest den ganzen Tag lang Comics. Ist recht bequem. Bei dir?“
„Der Kerl ist unglaublich, will mich voll in die Gesellschaft reißen und auf beste Freunde spielen.“
Nun grinste Wofka. „Du ärmster.“
„Nichts ist schlimmer, als der Geruch nach Ketchupchips.“
„Du sagst es.“
Ich stellte mich an das Waschbecken neben seinem und blickte in den Spiegel davor.
Leichte Ringe lagen unter meinen Augen, nicht so schlimm wie unter denen Wofkas, doch so stark, dass man sie gut erkennen konnte.
Meine Haut war farblos, wie die eines Geistes, woran sich meine grau-grünen Augen nur zu gut anpassten, meine komisch-blonden Haare schienen sich auch daran anzulehnen. Ich sah aus, wie ein toter, fand ich.
Ich bückte mich zum Wasserhahn, um mir Wasser ins Gesicht zu werfen.
Ich fühlte mich alt, das tat mir nicht gut, doch ich hatte nicht die geringste Lust, etwas an meiner Situation zu ändern. Der Weg der Änderung wäre über die Integration in die Gesellschaft gegangen und da ich Menschen hasste war dies leider keine Möglichkeit.
„Du siehst scheiße aus.“, äußerte sich ‚Wofka von der Seite.
„Danke.“, fauchte ich zurück. „Du auch.“
Eine Weile starrten wir uns böse aus den Augenwinkeln an, dann begann er plötzlich zu lachen.
„Du gefällst mir… als ersten von allen.“, sagte er und lächelte.
Er war sogar ganz hübsch, wenn er lächelte, selbst wenn es nicht in sein düsteres Gesicht passte.
Ich lächelte verlegen zurück, irgendwas Einschüchterndes hatte dieser Kerl, vielleicht hatte ich das ja auch- jedenfalls konnte ich mich mit ihm identifizieren und das machte mich auf eine merkwürdige Art und Weise glücklich.

Ich schwenkte meine Hände zwei Mal über dem Waschbecken, um sie mehr oder minder trocken zu bekommen und ließ sie dann in meine Hosentaschen gleiten, wo sich durch die gebliebene Nässe der Stoff an meine Finger klebte.
Wofka wischte sich die Hände umständlich an der schwarzen Hose an und schob sich vor mich, um mir das Öffnen der Tür abzunehmen- oder um einfach früher draußen zu sein.
wir trotteten den Gang entlang, bis wir schließlich vor meiner Zimmertür standen. Der Zettel mit Kains und meinem Namen klebte noch immer daran, Wofka unterdrückte ein Lachen.
Ich schnaubte und riss den Zettel kurzerhand ab, bevor ich die Tür aufschloss.
Kain war nicht allein. Bei ihm saß der Hipster, sie starrten zu zweit auf Kains Handy.
Das Ding schien wirklich toll zu sein.
Ohne zu fragen drückte Wofka sich an mir vorbei ins Zimmer und ließ sich auf mein Bett sinken.
Währen ich noch meiner Privatsphäre und meinem Glück zuwinkte, war Kain aufgestanden, um hinter mir die Tür zu schließen.
„Ich hab das Fenster aufgemacht, es zieht sonst.“, versuchte er zu erklären, während sein Handy in den Händen des Hipsters ruhte.
Er schlurfte zurück und nahm es ihm wieder aus der Hand, sperrte den Bildschirm und steckte es sich in die Hosentasche, ohne auch nur ein Wort zu verlieren.
Oliver nahm es gleichgültig hin und starrte auf den Fußboden zwischen den Betten.
Zombies. Wirklich.
„Ich hab n bisschen mit Oliver geredet, ers ganz cool.“, sagte Kain.
„Super.“, meinte ich und setzte mich neben Wofka aufs Bett. „Und das ist Wofka.“
Kain grinste kurz breit, dann hielt er Wofka seine Hand hin. „Ich bin Kain.“
„Ich dachte, Japsen verbäugen sich.“, erwiderte Wofka mit gleichgültiger Miene, nachdem er zuerst auf Kain Hand geblickt hatte und dann den Blick langsam auf sein Gesicht hatte wandern lassen.
„Was seid ihr eigentlich alle so rassistisch?!“, stieß Kain aus. „Ich bin nicht mal ein ‚richtiger‘ Japaner! Mein Vater kam ursprünglich mal von da, ich selbst kann nur sowas wie ‚Hallo‘ auf Japanisch!“ Er wirkte nicht wirklich aufgebracht, aber er sah aus, als wolle er das klarstellen.
Das erklärte so einiges.
Weshalb er nicht diesen bescheuerten Akzent hatte, weshalb er so unglaublich groß war und weshalb seine Haare nicht schwarz, sondern braun waren. Er war also kein Mutant, er war einfach kein Japaner.
Wofka blickte ihn unverändert gelangweilt an. „Bist du fertig?“, fragte er.
„Bist du blöd?“, fragte Kain genervt zurück.
Wofka grinste. Der Kerl schaffte es doch tatsächlich selbst einen Sonnenschein ins Negative zu wenden.
„Übrigens hat Oliver gesagt, er und Wofka würden mit uns zur Party gehen.“, sagte Kain.
„Nein.“, gab Wofka ohne jeden ersichtlichen Kontext von sich.
„Wie, nein?“, fragte Kain.
„Weil ich da überhaupt nicht hingehen werde.“
Ich lächelte. „Das bedeutet, wir könnten dann n bisschen reden oder so, ich gehe nämlich-„
„Nythan kommt auch mit.“, unterbrach mich Kain und starrte mich mit nachdrücklicher Miene an.
Ich musste schlucken.
Zum ersten Mal erhob Oliver die Stimme. „Ich verstehe euch nicht.“, sagte er und starrte noch immer ausdruckslos auf den Boden, als habe man ihm die Emotionen durch die Nase weggesaugt.
War bestimmt sein Smartphone, ich möchte gar nicht wissen, was die alles auslösen.
„Wird doch ein schöner Abend, ihr könnt doch wenigstens mal vorbei schauen und dann wieder verschwinden.“
Ich seufzte. Menschen waren anstrengend.
„Lass uns wieder zurück in unser Zimmer gehen.“, sagte Wofka gelangweilt mit einem Blick zu Oliver.
Oliver stand auf und lief auf Kain zu. „Bye alter, wir sehn uns morgen.“, murmelte er und schlug bei Kain ein.
„Tschö.“, sagte Kain und zog ihn an der Hand in eine kurze Umarmung.
„Auf Wiedersehn.“, sagte Wofka an mich gewandt und verzog die Mundwinkel, vermutlich wollte er lächeln.
„Ja, Tschüss.“, sagte ich und lächelte zurück. Wofka stand auf und beide verließen das Zimmer.
Kain streckte sich, wobei ihm das Shirt hochrutschte. Er gähnte herzhaft und ließ sich auf sein Bett fallen.
„Du kommst doch mit, oder?“, fragte er und blickte mich aus bettelnden Augen an.
Ich seufzte erneut. „Oke.“, sagte ich dann. „Ich bin ja dabei.“
Er lächelte breit. „Super!“
Nach einigen Minuten, in denen wir uns schweigend angeschaut hatten, fragte er plötzlich: „Hast du Geschwister?“
„Nein.“, antwortete ich trocken. „Meine Familie besteht aus meinem Vater und mir.“
„Das ist traurig.“, sagte Kain. „Ich lebe mit meinem Vater, meiner Oma und meiner Halbschwester.“ Er lachte kurz auf. „Die Kleine ist jetzt vier und sie vermisst mich schon ganz schrecklich, hat mein Vater mir geschrieben.“ Er holte sein Handy raus und ließ seine Finger einige Male auf den Bildschirm klatschen.
„Hier.“ Er stand auf und setzt sich neben mich auf mein Bett. „Das ist ein Foto von ihr.“
Er hielt mir sein Handy hin. Das Foto zeigte ein kleines, asiatisch wirkendes Mädchen, das schief in die Kamera lächelte. Die hatte braune Haare, die zu zwei Zöpfchen zusammengefasst waren und trug ein süßes Kleidchen, unter dem weiße Söckchen raus blitzten.
Ich mochte keine Menschen, erstrecht keine Kinder, aber Bilder von Kindern waren in Ordnung und diese kleine Puppe sah wirklich niedlich aus.
Ich spürte plötzlich, dass ich angefangen hatte zu lächeln und sah, dass Kain mich wieder angrinste.
Ich wurde sofort rot. Wegen dem Foto eines kleinen Mädchens zu lächeln, sowas von peinlich…
„Sie ist echt niedlich.“, murmelte ich.
„Ich weiß.“, sagte Kain, sperrte seinen Bildschirm und schob sich das Handy in die Hosentasche.
Er schien nie zurück auf den Homescreen zu gehen, bevor er den Bildschirm sperrte, es war ihm wohl vollkommen gleich.
„Ich kümmere mich unglaublich gern um sie.“, sagte er.
Urplötzlich kam mir ein Bild von ihm in den Kopf, wie er dieses kleine Geschöpf hochhob, dieses breite, schelmische Grinsen auf den Lippen, das auf eine komische Art und Weise so gut zu ihm passte.
Wieder musste ich lächeln und wieder regte ich mich über meine eigenen Gedanken auf.
Als ich zu ihm herüberschaute, sah ich, dass er mich wieder anlächelte und errötete nur noch dunkler. Warum musste ich mich auch so komisch verhalten? Naja, woher sollte ich denn auch wissen, wie man sich Menschen gegenüber verhält, habe es ja noch nie gemacht, natürlich war ich eigenartig.
„Ich freu mich schon auf morgen Abend“, sagte er, stand auf und lief hinaus auf den Balkon.

Vier




Man sagte ja immer viel über Jugendherbergsbetten, über Jugendhotelbetten und Betten in ähnlichen Einrichtungen, sie wären so unbequem, die Matratzen seien so ausgelegen und hart, man könne die Nächte nicht durchschlafen und der Tag wäre von Rückenschmerzen gesegnet.
Ich kann hier ein Veto einlegen, ich habe die Nacht geschlafen, wie ein Baby. Das Bett war wundervoll weich gewesen und die Bettwäsche hatte nicht einmal nach Waschmittel gerochen.
Ich öffnete langsam die Augen, da wir uns noch in der Eingewöhnungsphase befanden, konnten wir ausschlafen.
Das erste, was ich sah, war Kain, wie er Oben-ohne auf seinem Bett saß und wieder sein Handy streichelte.
Seine zerzausten Haare waren wie eine Löwenmähne, ich wunderte mich, wie er das denn noch kämmen konnte und sie passten so schön zu der Farbe seiner Haut.
„Guten Morgen“, murmelte ich zu ihm hinüber, irgendwie fühlte ich mich unglaublich glücklich.
Er blickte erst verwirrt auf, dann schienen seine Augen zu blitzen, er sperrte seinen Handybildschirm und drehte sich mir vollkommen zu. „Hi.“, sagte er. „Na, gut geschlafen?“
„Ja, und wie.“, antwortete ich und lächelte. Woher kam nur diese plötzliche soziale Ader?
„Ja Mann, die Betten hier sind ein Traum!“, lachte er und streckte sich. Er war unter den Armen rasiert. Das stand ihm verdammt gut.

Nachdem wir uns angezogen hatten, gingen wir gemeinsam ins Bad. Dort standen einige andere aus unserem Gang, zwei von ihnen standen mit ihren Smartphones an der Wand und schwenkten diese von links nach rechts, als würden sie im kleinsten Kreis nach Empfang suchen und drei weitere standen an den vier Waschbecken. Einer von ihnen blickte bloß in sein Spiegelbild und strich sich durch die Haare.
„Sorry Mann, aber wir müssen uns die Zähne putzen.“, sagte Kain. Er wirkte gelangweilt.
„Da ist doch noch ein Waschbecken frei.“, antwortete der Junge.
„Ja, aber wir sind zwei Leute.“
„Dann quetscht euch halt.“
Kain hatte keine Miene verzogen, atmete tief ein und auf und drängte sich vor den Jungen, der ihn nur geschockt ansah.
„Eh, tickst du noch ganz richtig?!“, rief er. „Du musst ja wohl nen Schaden haben!“
„Leck mich.“, gab Kain trocken von sich und machte sich Zahnpasta auf seine Zahnbürste. Mich verwunderte sein Verhalten. Vielleicht war er einfach ein Morgenmuffel, lediglich meine überraschend gute Laune hatten ihn positiv gestimmt, dieser Kerl schien nicht seine Sonnenseite abzubekommen.
Dennoch lächelte ich. Dieser Kerl hatte wirklich nichts sinnvolles mehr gemacht und Kains verhalten nahm es mir ab, dem Kerl die Meinung zu sagen. Also stellte ich mich grinsend an das andere Waschbecken.
„Eh, du, sag doch ma was, nich nur so dahinstellen, sag doch ma was gegen den.“, fuhr mich der Junge an.
„…Warum?“, murmelte ich zurück und schob mir meine Zahnbürste in den Mund.
Der Kerl schrie auf. „Ihr seid doch alle schrecklich, alter! Ich frag heute, ob ich den Gang wechseln kann, ihr seid doch unmöglich!“ So wirbelte das Prinzesschen herum und glitzerte mit all seinem Feenstaub aus dem Bad.
Als die Badtür zufiel, begann ein allgemeiner Lachanfall- an dem alle beteiligt waren, außer Kain.
„Was ist los?“, fragte er, nachdem er seinen Zahnpastaschaum ausgespuckt hatte.
„Der Kerl ging mir schon die ganze Zeit auf die Eier!“, rief einer der Anwesenden. „Ständig hat der sich verhalten wie so ne behinderte Prinzessin und hat immer nur gefordert und jetzt wechselt der den Gang, dass der sich nicht mal zusammenreißen konnte…“
Auch Kain lachte kurz auf, bevor er sich die Zahnbürste wieder in den Mund schob.
Die anderen Gangmitglieder wirkten sehr offen, sie nervten, weil sie nur über belangloses Zeug redeten, aber sie waren wenigstens einigermaßen intelligent.

Kain uns ich verließen das Bad wieder und als wir auf den Gang traten, sahen wir, dass Oliver an unserer Tür wartete.
„Jungs, ich hab drei Mal geklopft, warum macht ihr nicht auf?“
Meinte er das ernst?!
„Wir waren im Bad.“, meine Kain, schlug bei ihm ein und zog ihn in eine Umarmung.
Oliver trug noch seinen Schlafanzug.
„Habt ihr ne Ahnung, wo Wofka steckt?“, fragte er. Durch die Zusammenhangslosigkeit und die von mir vermisste Logik merkte ich, dass er wohl noch verdammt müde war.
„Ne, sind selbst vorhin erst aufgestanden.“, antwortete Kain trocken.
„Ich bin eben aufgewacht und er war einfach weg, vielleicht ist er irgendwohin, ich weiß, dass er mich nicht mag, gerade deshalb wollte ich mehr mit ihm reden, damit er wenigstens nicht immer so ein Gesicht zieht, wenn ich da bin. Er muss ohnehin mal was tun, so geht er noch kaputt, dabei ist er so ein hübscher Junge…“ Oliver kratzte sich am Kopf. „Musst du eigentlich auch, du siehst auch voll krank aus.“, meinte er und kraulte mir auf eine komische Art und Weise durch die Haare. Ich entwich ihm und zog die Augenbrauen hoch.
„Nythan ist oke.“, sagte Kain und lächelte breit. „Den bekomm ich schon hin.“ Er zog mich an der Hüfte näher zu sich und gab mir einen Kuss auf die Wange woraufhin ich ihn nur erschrocken musterte.
Was war mit den Beiden los?
Ich entwand mich seinem Griff und wühlte den Schlüssel aus meiner Hosentasche, dann schloss ich auf, stürmte hinein und rannte auf den Balkon.
Ich hörte, wie die Beiden vor der Tür lachten. Oh Mann kommt schon, das war kein besonders guter Scherz!
„Aber ich weiß, was du gemeint hast.“, sagte Oliver mit weicher Stimme. Beide kicherten.
„Also, bis dann!“, sagte Kain und ich hörte, wie die Tür geschlossen wurde und sich mir Schritte näherten.
Ich drehte mich nicht um und schenkte ihm keinen Blick, als er neben mir am Geländer stand. All meine Aufmerksamkeit galt dem Wald.
„Der ist verdammt schön.“, sagte Kain und ich hörte aus seiner Stimme, dass er wirklich beeindruckt war.
Es war einer der Wälder, in denen man sich Einhörner und Feen vorstellen konnte. Schon außen wuchsen riesige, bemooste Bäume und wenn man näher hinein blickte, sah man schmale Lichtstrahlen, die nicht durch das Blätterdach abgefangen werden konnten.
Der Wald schien zu leuchten.
Ich antwortete ihm nicht, sein Verhalten von vorhin verwirrte mich noch immer und ich wusste nicht, ob er nochmal so reagieren würde.

Fünf




Die Uhr auf meinem Handy, welches ich nur zu diesem Zweck aus meiner Jacke gekramt und eingeschaltet hatte, zeigte 20 vor sechs.
Noch 20 Minuten, dann wurden wir in die Aula gelassen, in der laut einiger Mitschüler eine halbe Disco aufgebaut war.
Kain trug nun ein schwarzes Muskelshirt und eine hellblaue Baggy Pants. Beides stand ihm ausgezeichnet, fand ich.
Ich war einfach so geblieben, wie ich von Anfang an gewesen war, hatte mir lediglich die Haare nochmal gekämmt.
Kain hatte gerade eine Flasche Deo aus seinem Nachtschrank geholt und begonnen, sich damit von allen Seiten einzusprühen. Das war es also gewesen, was an ihm so fantastisch gerochen hatte.
„Du auch?“ Er hielt mir sein Deo hin und blickte mich fragend an.
Ich schüttelte den Kopf. „Ne danke.“
Es klopfte. Kain warf das Deo auf sein Bett, sprang auf, eilte zu Tür und öffnete sie.
„Hey alter, wir wollten euch abholen, damit wir uns nicht so in den Raum quetschen müssen später.“ An der Stimme konnte ich erkennen, dass es Oliver war.
Hatte er ‚wir‘ gesagt? Wer war noch dabei? Wofka wollte nicht kommen.
Auch ich trat nun zur Tür und tatsächlich, dort standen Oliver und Wofka, Oliver mit der gewöhnlich gleichgültigen Miene, die sich hinter seiner verwirrend bunten Kleidung verbarg und hinter ihm Wofka, der mit dem größten Hassblick, den ich je gesehen hatte, die Tür hinein starrte.
„Okay, wir können dann, oder?“, fragte er, an mich gewandt. Ich nickte.
So verließen wir das Zimmer, schlossen ab und liefen die Gänge hinab, bis wir schließlich vor einer kleinen Menschengruppe zum stehen kamen, der sich vor der sich vor der Flügeltür, die zur Aula führte, versammelt hatte.
„Jetzt heißts warten.“, sagte Kain, lachte und wollte mich wieder an der Hüfte zu sich herüber ziehen, doch ich entwich ihm rechtzeitig und stellte mich näher an Wofka, der die Hände tief in seinen Taschen vergraben hatte.
„Mach doch was draus.“, sagte ich. „Selbst wenn man sie alle nicht leiden kann, man kann doch wenigstens für jetzt so tun.“
Er warf mir einen vernichtenden Blick zu. „Ich wird so früh wie möglich wieder verschwinden, ich will überhaupt nicht.“
Ich schwieg weiterhin. Wollte nicht zu Kain, weil er mir komisch vorkam, nicht zu Oliver, da ich ihn nicht kannte und Wofka war so negativ drauf, dass man lieber Abstand von ihm halten sollte.
Pünktlich um sechs öffneten sich die Türen zur Aula und der inzwischen viel größer gewordene Pulg bewegte sich langsam hinein.
Es gab keine Stempel, man sollte einfach hinein gehen.
Drinnen hatten sie eine Bar aufgebaut, an den Seiten standen kleine Tische mit Stühlen dran und die Mitte war frei, zum tanzen.
Kain griff nach meinem Handgelenk und stürmte auf einen Tisch zu, der in der Nähe der Bar stand. Er setzte sich schnell und ich ließ mich neben ihn sinken, Oliver und Wofka trotteten hinter uns her und setzten sich kurz später zu uns dazu, der Tisch war nun voll.
„Ich bin mal gespannt, wie der Abend so abläuft“, sagte Kain, lächelte und blickte in die Runde, bis schließlich sein Blick bei mir hängen blieb. Er lächelte noch etwas breiter, ich wusste nicht, wie ich das deuten sollte.

Nach ein paar Minuten hörten wir die Rückkuppelungen eines Mikrofons und drehten uns zur Mitte des Raumes, wo Herr Kaliska stand und auf einem Mikrofon herum trommelte. Ein paar Sekunden später nahm er das Mikrofon zum Mund.
„Guten Abend Ladies’n’Gentlemen.“
„Ich mag den Typ nicht.“, bemerkte Kain.
„Ich will keine große, langweilige Rede schwingen.“
„Der meint er wär der größte und labert eine Scheiße zusammen…“
„Dort drüben befindet sich die Bar, hier ist die Tanzfläche, fangt an!“
„Siehst du, das meine ich!“, sagte Kain zum Abschluss und stieg trotzdem in den Applaus ein.
„Ich finde das nicht so schlimm, er sagt nun mal nur, was wichtig ist und schweift nicht so weit aus.“, bemerkte ich.
„Er könnte schon etwas sozialer sein.“, motzte Kain.
‚Er könnte uns auch jedem hundert Euro in die Hand drücken‘, dachte ich mir. ‚Wen interessiert es denn, wie der sich verhält?‘
Der Raum wurde abgedunkelt und die Musik angeschaltet, die ersten rannten zur Bar und holten sich etwas zum Trinken.
„Was magst du haben?“, fragte er mich.
„Wie, was?“ Ich blickte ihn verwirrt an, er zeigte auf die Bar. „Achso, ja, irgendetwas, ich geb dir auch Geld.“
„Lass stecken.“, sagte er, grinste und ging los.
Ich blickte ihm noch eine Weile hinterher, wie er den kurzen Weg zur Bar lief und sich dann zur Menge davor quetschte, dann wand ich den Blick wieder den Beiden vor mir zu, die sich in einem leisen Streit verloren hatten.
Ich konnte sie nicht verstehen, aber soweit ich das Geld in Wofkas Hand und Olivers ablehnende Gesten deuten konnte, wollte Oliver für Wofka etwas ausgeben und Wofka war hartnäckiger, als ich, womit er Oliver sein Geld aufzwingen wollte.
Ich blickte wieder zu Kain herüber. Er wurde gerade von einem Mädchen angesprochen. Er wirbelte herum, sah sie, setzte sein wunderschönes Engelslächeln auf und ließ sich von ihr Geld in die Hand drücken.
Sie war recht klein, vermutlich wurde sie überhaupt nicht gesehen.
Kain hingegen beäugte das Geld verwirrt, gab es ihr zurück und hob sie an den Hüften über die Menge auf die Bar zu, das arme Ding hatte ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen keine Ahnung, was er vorhatte.
Nachdem er von einem der Barkeeper wahrgenommen wurde, setzte er sie ab und bestellte.
Plötzlich tippte mir einer auf die Schulter, ich schrak aus meiner Konzentration.
„Nythan! Hörst du mir überhaupt zu?!“
Ich drehte erschrocken den Kopf zur Seite und sah Wofka, er funkelte mich böse an.
„Was glotzt du wie ein Geist zur Bar?!“
„Ich weiß nicht…“, antwortete ich und kratzte mich am Hinterkopf.
gerade in dem Moment kam Kain wieder und stellte mir ein großes Glas mit durchsichtiger Flüssigkeit auf den Tisch, in dem sich ein schwarzer Strohhalm, viele Eiswürfel und mehrere Limetten befanden.
„Einen Caipirinha für dich.“, sagte er und grinste mich breit an.
Ich lächelte unbeholfen zurück. „Danke.“
„Nichts zu danken Süßer.“
Ich zuckte. Hatte er mich gerade ‚Süßer‘ genannt? Ernsthaft?!
Ich schnappte mir den Strohhalm und nahm einen großen Schluck. Dann verzog ich das Gesicht.
Kain lachte. „Langsamer!“
Ja, es schmeckte gut. Ich mochte das Zeug, Kain holte mir nach diesem Glas noch ein weiteres und noch eins, ohne mich überhaupt zu fragen und ehe ich mich versah erzählte ich ihm schon von Dingen, die ich nicht mal mit selbst eingestehen wollte.
„Ich bin eigentlich ein ganz komischer Kerl.“, säuselte ich irgendwann. „Ich rede mit… niemandem… und denke viel.“ Kain lachte laut, hatte schließlich auch schon einiges getrunken, es war inzwischen halb zehn.
„Nich lachen, das mein ich in echt so.“ Ich blickte ihm in die tiefen dunklen Augen und nur Sekunden später lachten wir beide wieder los. Es war echt vorbei.
Wofka erging es ähnlich. Er hatte zwar nur Bier getrunken, schien aber ebenso wenig an Alkohol gewöhnt zu sein, wie ich und lallte somit bei Oliver vor sich hin, wie schlimm die Welt doch sei.
Oliver hingegen erzählte ihm, dass er ihn lieben würde und was Liebe eigentlich bedeuten würde, soweit ich das verstanden habe.
Irgendwann blickte ich mich um, die Barkeeper räumten ein, nur noch an vereinzelten Tischen saßen Schüler und lachten laut, die Musik war schon aus und die Lichter, die sie zwischenzeitlich für die Disco angemacht hatten, waren auch bereits ausgeschaltet.
„Wie spät issesenn?“, fragte ich und rieb mir die Augen.
„zwansch vor elf.“, antwortete Kain und starrte noch ein Wenig auf sein Handy. „Zeit… für eine SMS an Papa.“
Ich nahm ihm das Handy ab. „Ne, jetz keine SMS an Papa.“ Soweit konnte ich noch denken, der arme Mann schlief vermutlich schon längst. „Jetz is zeit zum ins Bett gehen.“
Kain stand wackelig auf. „Stimmt…“, sagte er. „Oliver und… Wofka sind schließlich auch schon längt weg.“
Er lief überraschend gerade um meinen Stuhl herum und zog mich schließlich hoch. Als ich zum stehen kam legte er die Hände auf meine Hüften und drückte so meinen Körper gegen den seinen.
„...Kommt heute für mich nochma was bei raus?“, fragte er, er stank nach Schnaps.
„Was meinst du?“, lachte ich und lehnte mich gegen seine Brust. So… warm…

Ich weiß nicht mehr, wie wir zu unserer Zimmertür gekommen sind. Es gibt fetzen in meinem Kopf, da standen wir lachend an einer Treppe, aber mehr weiß ich nicht mehr.
Wir kamen jedoch an einem Stück, ohne jegliche Schmerzen bei unserem Zimmer an.
Kain wühlte den Schlüssel hervor, hielt sich am Türrahmen fest und hielt den Schlüssel in Richtung Tür, dann stach er nach vorne, der Schlüssle knallte geräuschvoll gegens Holz.
„Warte. Ichkanndas.“, versicherte er mir.
Wieder knallte er mit dem Schlüssel gegens Holz.
„Ich machdas ma.“, lallte ich, zog mich an der Wand entlang und zog meinen Schlüssel aus der Tasche.
Als ich mit dem Schlüssel zustach, traf ich zumindest mal das Metall rund um das Schlüsselloch. Ich ließ den Schlüssel darauf entlang kratzen, bis er schließlich im Loch einrastete.
„Siesdu, ich habsgeschafft.“, verkündete ich glücklich. Ich schloss auf und trat hinein, wobei ich den Schlüssel außen stecken ließ. Ich blieb Planlos in der Mitte des Raumes stehen.
Kain folgte mir, auch er zog den Schlüssel nicht ab, ließ lediglich die Tür ins Schloss fallen.
Jetzt waren wir allein.

Sechs




Ich hörte seine Schritte hinter mir, in der Dunkelheit.
Er lief um mich herum, ich sah nur seine Haare, ein bisschen Reflektion des Mondlichts auf seiner Haut.
Er blieb vor mir stehen, Bauch an Bauch.
„Unjetz?“, flüsterte er.
„Weißnich.“, flüsterte ich zurück, mir war ganz warm.
Er zog mich an der Taille auf sich zu und drückte mir einen Kuss auf die Lippen, etwas in mir sagte mir, ich sollte mich wehren, sollte laufen, doch statt auf es zu hören legte ich ihm die Arme um die Schultern und schloss die Augen, obwohl ich ohnehin nichts sehen konnte.
Ich musste den Kopf ins Genick legen, um ihn erreichen zu können.
Er legte den Kopf schief, öffnete die Lippen leicht, ich tat es ihm nach, hatte keine Ahnung von all dem.
Vorsichtig leckte er meine Lippen entlang, zunächst zuckte ich leicht, dann entspannte ich mich wieder.
Seine Zunge rutschte gänzlich in meinen Mund, ich schwankte, der drückte mich vollkommen gegen seinen Körper und hob eine Hand an meinen Hinterkopf.
Ich war nun so in seinen Armen, dass ich überhaupt nicht mehr selbst stehen musste.

Gorilla.
Bär.
All diese Tiernamen wirkten so bösartig auf mich. Er behandelte mich, als sei ich aus Zucker, doch trotzdem mit einem leichten druck, das gefiel mir, ich fühlte mich wohl an seinem Körper…
Er war ein Kuscheltier, ein riesiges Kuscheltier, welches man nirgendwo für Geld kaufen kann.
Seine Zunge strich an der meinen entlang, ganz vorsichtig. Mein Herzschlag pochte mir in den Ohren, meine Sinne waren vernebelt und ich nahm nur den Geruch von Schweiß, Schnapsatem und Kains Deo wahr.
Er machte einige Schritte rückwärts, bis sich schließlich mit mir gemeinsam umdrehte und mich auf sein Bett setzte.
Zum ersten Mal brach er unseren Kuss ab. Als er mich aus glasigen Augen anschaute, spürte ich die Röte in meinem Gesicht, die Hitze in meinen Ohren, meinen Herzschlag, der so unglaublich laut war, dass ich ihn als dauerhaften Rhythmus wahrnahm und das Kribbeln, das sich langsam in meinem Lendenbereich ausbreitete.
Kain strich mir vorsichtig über den Schritt, ich kniff die Augen zusammen, war dort noch nie berührt worden, kannte das Gefühl an sich, doch das hier war schon ein anderes Extrem.
Er schien meine Unsicherheit zu bemerken und leckte mir wieder kurz über die Lippen, bevor er seine Zunge wieder in meinem Mund gleiten ließ und seine Lippen wieder auf meine senkte.
Wieder strich er mir über den Schritt, wieder zuckte ich, schien mich nie daran zu gewöhnen, doch diesmal nahm er seine Hand nicht weg, stattdessen griff er mit der vollen Hand danach.
Wäre es nach mir gegangen, hätte er sie Hand dort auch nie wieder wegnehmen können.
Mein Atem wurde lauter, das Kribbeln in der Lendengegend stärker und mein Schritt unbehaglicher. Wie auf ein Stichwort machte er meinen Hosenknopf auf und zog den Reißverschluss hinab.
Dann drückte er meinen Oberkörper aufs Bett und schob meinen Körper komplett auf die Matratze, spreizte meine Beine ein Wenig und setzte sich dazwischen.
Dann kicherte er leise.
„Schuheausziehn.“, nuschelte er, wischte sich mir der Hand übers Gesicht, zog erst sich selbst, dann mir, die Schuhe von den Füßen und warf beide Paare unachtsam auf den Boden.
Dann beugte er sich zu mir, gab mir einen sanften Kuss und ließ seine Hand über mein nun steifes Glied fahren, ich keuchte, meine Unterwäsche hatte ich zwar noch an, aber ich kannte dieses Gefühl nicht so, wie ich es fühlte.
Er öffnete den Knopf meiner Boxershorts und strich mir über die Spitze meines Penisses. Ich klammerte meine Arme um seinen Hals und krallte meine Finger in seine Löwenmähne.
Ein leises Stöhnen entwich meinen Lippen.
Zu meinem Schrecken unterbrach er den Kuss, lächelte mich an und kniete sich zwischen meine Beine.
Ich atmete tief durch, krallte mich in das schlecht bezogene Bettlaken und versuchte mich irgendwie auf das kommende vorzubereiten.
„Entspann dich.“, raunte er mir zu, seine Stimme beruhigte mich.
Ich ließ locker, atmete nochmal tief durch und gerade, als ich ausatmen wollte, leckte er mir über die Eichel.
Ein etwas lauteres Stöhnen entwich meinen Lippen, ich befahl mir selbst, mich zu entspannen, doch das war schwerer, als ich gedacht hatte.
Ich hof den Kopf und mir wurde ganz schummerig, als ich sag, wie er meinen Penis entlang leckte und dabei die Lippen daran entlang gleiten ließ.
Als er wieder an der sitze angekommen war, öffnete er den Mund und nahm meine Eichel komplett in den Mund, dann fuhr er langsam an ihm entlang, bis er einen Großteil davon im Mund hatte.
Ich stöhnte bei jedem Atemzug leise, um meine Konzentration war es geschehen, mein Gesamtes Gehirn war lahm gelegt, nicht mal meine Gliedmaßen hatte ich richtig unter Kontrolle.
Während ich unkontrolliert mit meinem rechten Fuß zuckte, verkrampfte ich eine Hand ganz komisch in meinen Haaren, die andere Hand im Bettlaken, die Augen hatte ich zugekniffen und aus meinem Mund kam weiterhin dieses unaufhaltsame Stöhnen, welches nur noch lauter wurde, als er mir mit der einen Hand innen am Oberschenkel entlang strich.
Es sollte nicht aufhören. Dieses Gefühl sollte immer weiter gehen, niemals…
Seine Hand geriet immer wieder gegen meine Hoden. Mein stöhnen wurde lauter, schließlich sah ich nur noch Sternchen vor den Augen und kam mit einem kurzen schrei.
Ich atmete ziemlich hektisch, Kain setzte sich mit glasigem Blick auf, leckte sich etwas Weißes von der Oberlippe- er schien alles geschluckt zu haben.
Selbst hatte er sich die Hose und Boxershorts schon aufgeknöpft soweit ich sehen konnte.
Auch ich setzte mich noch auf, wusste nicht, ob das Chaos in meinem Kopf mit ihm oder mit dem geschehenen oder mit dem Alkohol zutun hatte, jedoch war es mir vollkommen egal.
Vorsichtig küsste ich ihn, wusste nicht, was ich genau tun sollte, doch ich wollte wenigstens anfangen, bevor ich überhaupt nichts tat.
Vorsichtig strich ich ihm über die Eichel, er zeigte keine Reaktion.
Ein gewisser Ärger breitete sich in mir aus, ich griff mir seinen ganzen Penis und begann, ihn durch meine Hand geleiten zu lassen, immer schneller, bis er schließlich nach meiner Hand griff.
„Nichso schnell…“, lallte er. Er war errötet. „Aber mach weiter.“
Wieder ließ ich seinen Penis durch meine Hand gleiten, langsamer, trotzdem etwas fest und ich konnte mich nicht mehr auf den Kuss konzentrieren, sein lauter werdender Atem peitschte mir entgegen, Schnaps, Schweiß, Deo, alles war mir gleich, nur seine Stimme wollte ich hören. „Etwas schneller…“, bat er mich und blieb kurz vor meinen Lippen stehen, begann zu stöhnen

Ich drückte meine Lippen wieder gegen seine, meine Zunge glitt in seinen Mund und plötzlich war seine Hand an meine, durch sein Stöhnen wieder ein Wenig hart gewordenen Penis und tat das gleiche, wie ich es bei ihm tat.
Ich wusste nicht, wie lang es ging, doch irgendwann stieß er mich wieder aufs Bett, warf sich auf mich und nahm nun beide Penisse in seine rechte Hand und rieb sie gleichermaßen.
Ich mochte das Gefühl, wie er auf mir lag.
Erst küsste er mich auf den Mund, dann wanderten seine Küsse meinen ganzen Hals hinab, er zog meinen Ausschnitt zur Seite, ich merkte es nicht, doch am nächsten Tag sah ich, dass er es zerrissen hatte, seine Zunge glitt meinen Brustkorb entlang, blieb bei meinen Nippeln stehen, er leckte darüber, sie waren inzwischen hart geworden.
Ich wollte auch seinen Oberkörper sehen, griff sein Shirt am Rückenteil und zog es ihm vom Kopf. Schnell zog er es sich noch von den Armen und machte weiter, sein nackter Oberkörper ruhte auf mir.
Ich kam erneut mit einem schrei, er folgt wenige Sekunden später. Sein Kopf fiel neben den Meinen und er wisperte: „Nythan…“
Das konnte gar nicht gut für mein Herz sein, so schnell schlug es.
Wieder: „Nythan…“
„Hm?“, machte ich.
„Ichglaube… ichab… mich…“ Er atmete aus, ich war durcheinander. „ich dich verliebt.“
Ich legte die Arme um ihn, wusste nicht, was ich antworten sollte, war verwirrt, er schien jedoch auch keine Antwort zu erwarten, denn er setzte sich neben mich, beugte sich zu mir herunter und gab mir einen langen, sanften Kuss.
Kurz darauf zog er erst sich selbst die Hose aus, dann mir, ich fragte mich schon, was er als nächstes vorhatte, da zog er die Decke unter uns hervor.
„Ich bin müde.“, sagte er als Erklärung.
Ich knöpfte meine Boxershorts wieder zu, er tat es mir nach, dann legte ich mich hin und drehte mich ihm zu.
Er legte die Decke über uns, gab mir einen weiteren Kuss, sag mich nochmal an.
Dann legte er die Arme um mich und während ich auf seinen wundervoll gleichmäßigen Herzschlag hörte, schlief ich ein.

Sieben



Als ich langsam wach wurde, nahm ich nur drei Dinge wahr.
Mir war verdammt warm.
Ich fühlte mich, als habe mir jemand die komplette Wirbelsäule und meine Schultern demoliert.
Und ich spürte, dass da jemand war.

Ich schlug die Augen auf, blickte nach rechts und sah direkt in Kains Gesicht, die wilden Haarsträhnen hingen ihm im Gesicht, er hatte die Arme um mich gelegt und seine dunklen Augen waren verschlafen auf mich gerichtet.
Im ersten Moment hatte ich keine Ahnung, was denn überhaupt passiert war, nahm nur wahr, dass wir bis auf die Unterwäsche ausgezogen waren und er mich noch immer an sich drückte, als wäre ich ein Plüschtier.
Da ich komplett vergessen hatte, was in der Nacht davor geschehen war, stieß ich einen Schrei aus, der in einem erbärmlichen Wimmern endete.
„Hey, was ist los?“, fragte Kain, blickte mich erst misstrauisch an, dann wollte er mich dichter an sich ziehen.
„GEH WEG GEH WEG GEH WEG GEH WEG!“, schrie ich und drückte ihn mit all meiner Kraft weg, nun war ich bis zu beiden Ohren errötet, die Situation gefiel mir einfach nicht!
Er ließ mich los, blickte mich geschockt an. „Was ist denn?“, fragte er vorsichtig, schien jedoch auch Angst vor etwas zu haben.
„Das… ist gruselig!“, schrie ich, sprang aus seinem Bett und krabbelte unter meine Decke. Ich war erst glücklich, als ich zusammengerollt unter ihr lag, und die Enden mit meinem Körper nach unten drückte, sodass man nichts mehr von mir sehen konnte.
Ich konnte hier lediglich ersticken, doch das wäre mir in diesem Moment sogar entgegen gekommen.

Ich wusste nicht, wie lange ich so dagelegen hatte, aber ich hatte es am Ende geschafft, mein gesamtes Gedächtnis wieder zusammen zu bringen.
Ich musste zugeben, nicht besonders begeistert davon gewesen zu sein.
Da war dieses Alkoholzeugs, das Kain mir geholt hatte, Wofkas und Olivers sinnloses Gerede, mein sinnloses Gerede… wie ich es fertig bekommen hatte, die Zimmertür aufzuschließen und wie er mich letzten Endes geküsst hatte. Das danach mochte ich nicht mal aufzählen, mein Herz schlug mir bis zum Hals.
Scheiße.
In was hattest du dich da nur reingeritten?!
Irgendwann hörte ich Schritte vor meinem Bett und spürte einen Finger, der mir ein paar Mal an die Schulter piekte.
„Bist du okay?“, fragte Kain sanftmütig.
„Nein.“, antwortete ich trocken, meine Stimme war erstaunlich fest.
„Hör zu, es tut mir Leid, sollte das gestern Abend nicht in deinem Interesse gewesen sein.“ Ich zuckte. Er wollte jetzt nicht darüber reden, oder?!
„…Aber ich hätte aufgehört, hätte ich gemerkt, dass du es nicht gewollt hast, jedoch hast du gar nicht abgeneigt gewirkt…“
„Halts Maul verdammt!“, schrie ich und drückte mir die Hände auf die Ohren.
„Hör zu, ich geh dann duschen, danach-„
„MACH VERDAMMT NOCH MAL WAS DU WILLST!“ Ich zog mir mit einem Ruck die Decke vom Kopf und starrte ihn mit einem tötenden Blick an, der leider an meinen zutiefst erröteten Wangen und Ohren scheiterte.
Dennoch wich er erschrocken zurück, blickte dann betreten zu Boden und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.
Ich setzte mich auf und zog die Knie an, gegen die ich dann mein glühendes Gesicht presste.
Nein. Das konnte alles jetzt nicht echt sein.
Im Idealfall wache ich gleich auf, liege mit einem höllischen Kater in der Aula und werde von einem Hygieneangestellten mit dem Besen aus dem Raum geschoben.
Doch so war es nicht, ich saß eine ganze Weile so da, bis sich die Zimmertür wieder öffnete.
Im Flur konnte ich Gelächter hören und nachdem Kain das Zimmer betreten hatte, schlug er kräftig die Tür zu.
Was für seine Verhältnisse kräftig war, war für normale Menschen übermenschlich, weshalb es auch einen ganz schönen schlag tat.
Ich klammerte mich fester an meine Beine, als er auf mich zukam und sich auf mein Bett fallen ließ.
Wer weiß, was er vorhatte, nachdem er die Tür zerlegt hatte.
Er legte mir vorsichtig die Hand auf die ihm zugewandte Schulter, zog sie aber sofort zurück, als ich mein Gesicht ruckartig in seine Richtung drehte.
Dir Tür war noch heil.
Kain hatte sich das Handtuch um den Kopf gewickelt und trug nur eine Jeans, unter der man noch das obere Ende einer Boxershorts sehen konnte.
„Ich würde an deiner Stelle heute nicht rausgehen.“, sagte er vorsichtig.
Nein. Sag bloß, die-
Ich starrte ihn ungläubig an.
Wenn die Leute über mich gelacht hatten, war das bis jetzt immer gewesen, weil ich unhöflich, freudlos, eigenartig und einsam gewesen war, doch das Wort „Schwuchtel“ hatte bis jetzt noch niemand in den Mund genommen.
Ich hatte mich noch nicht mal selbst mit sowas vertraut gemacht, war generell im homosexuellen Gebiet vollkommen unbelesen und hätte niemals gedacht, dass es einmal so weit kommen würde.
Er schenkte mir ein erzwungenes Lächeln.
„Brauchst gar nicht so behindert zu grinsen.“, schalt ich ihn und drückte mein Gesicht wieder gegen meine Beine.
„Es tut mir leid.“, murmelte er, hatte wohl das Gesicht in seine Hände gepresst.
„Nichts tut dir Leid.“ Mein Gesicht glühte wieder. Dieser Kerl machte mich sowas von sauer!
Er schwieg. Das gefiel mir nicht.
Ich war unausstehlich, launisch und einfach nur unsozial, hatte noch nie eine zwischenmenschliche Beziehung geführt und hatte mir auch nie vorstellen können, mal eine zu haben.
Und dann kam Kain und rannte mir zum ersten Mal mit seiner Nettigkeit hinterher und dann ist er zu weit gegangen und jetzt war ich noch unausstehlicher zu ihm, als zu irgendwem sonst oder wie?!
Etwas in mir wollte ihm verzeihen oder wollte überhaupt nicht wahrnehmen, dass er etwas falsch gemacht hatte.
Doch da war dann noch dieser unglaubliche Trotz und alles zusammen, sein Schweigen, diese innere Unsicherheit und die Tatsache, dass ich womöglich für den Rest des Jahres aufgezogen werden würde, brachten mich just in diesem Moment zum weinen.
„Hey, hey, hey, nicht weinen, alles ist gut…“ Kain blickte mich aus großen Hundeaugen an und nahm mich einfach in seine Arme.
Ich gab mir gar keine Mühe, ihn wegzustoßen, wollte nicht mehr, es war doch alles vollkommen egal, da es ohnehin vorbei war.
Er hatte sein Deo noch nicht verwendet, roch also nur nach Duschgel.
„Das ist alles deine Schuld“, wimmerte ich an seiner Schulter. „Ohne dich wäre das nicht passiert du wir säßen jetzt nicht hier und…“
„kschhh…“, machte er. „Es ist alles halb so schlimm, wie es aussieht. Ich bin ja bei dir.“
„Dich braucht doch keiner.“
„Stech weiter rein, nur zu.“ Seine Stimme wirkte plötzlich erkaltet.
Erschrocken blickte ich auf, in seinen Augen glitzerten Tränen, die er rasch wieder wegblinzelte.
Stimmt.
Er hatte gesagt, er würde mich lieben.
Oder es wenigstens glauben.
Ich verstand nichts davon oder zumindest wusste ich nicht, wie ich ihn nun trösten konnte.
Ohnehin war die Möglichkeit, dass er nach so kurzer Zeit in mich verliebt war unheimlich gering. Wir kannten uns jetzt seit gerademal zwei Tagen, sogar etwas weniger, Liebe braucht da bekanntlich länger.
Wobei die bloße Existenz von Liebe einfach zu behaupten auch ziemlich gewagt ist.
Er schien meine Unsicherheit und die plötzliche Verwirrung zu bemerken und streichelte mir durch die Haare.
„Ist oke.“, sagte er. „Sag sowas nur nicht mehr. Ich helfe dir, wo ich nur kann, nimm das einfach hin. Und, ich bin so frei, du siehst nicht gerade aus, als könntest du dich anständig verteidigen.“
Ich atmete tief durch und wischte mir die letzten tränen auf dem Gesicht. Meine Wangen klebten.
„Ich wollte aber auch noch duschen gehen.“, sagte ich mit einem Blick auf meine Fingernägel.
„Dann warte damit noch bis zum Nachmittag, dann sind die meisten Schätzungsweise nicht mehr auf dem Gang.“, riet Kain mir, blickte mich unschlüssig an und stand dann auf, ging zu seinem Schrank und holte sich ein Shirt, das er sich dann gleich überzog.
Ist doch alles scheiße, dachte ich mir und holte mir auch etwas zum Anziehen aus meinem schrank heraus.

Acht



Nachdem ich endlich duschen war, kehrte ich ins Zimmer zurück.
Ich mochte kein Wasser, weshalb ich mich beim Duschen kurz gefasst hatte und Gott sei Dank war mir auf dem Gang auch niemand begegnet.
Als ich das Zimmer betrat, nur mit einem Handtuch bekleidet, stand Kain auf dem Balkon, mit dem Rücken zur Balkontür.
Schnell zog ich mir etwas an, wischte mir die nassen Haare über den Kopf aus dem Gesicht und kam zu Kain auf dem Balkon.
Es war schön warm draußen. Die Sonne stand hoch, auf der Wiese vor dem Wald spielten einige Fußball und ein leichter Wind fegte an mir vorbei, sodass ich die eigentliche Hitze überhaupt nicht mehr wahrnahm.
Doch im gleichen Zug bemerkte ich einen stechenden Geruch und hellgrauen Qualm in der Luft.
„Das ist nicht dein Ernst.“, schnaubte ich und wand mich angeekelt Kain zu.
Er setzte gerade die Zigarette ab. „Was meinst du?“, fragte er scheinheilig zurück, während seiner Worte drang ihm der Rauch zwischen den Zähnen hervor.
Ich seufzte und schüttelte den Kopf.
„Achso.“ Er blickte auf die Zigarette in seiner Hand, bevor er wieder daran zog.
Schön tief in die Lunge. Allein der Anblick löste in mir einen Hustenreiz aus.
„Ich rauche immer, wenn ich stress habe.“, erklärte er und blies wieder eine Rauchwolke in die Luft.
Zigarettenqualm stand neben dem Geruch von Ketchupchips ganz oben auf der Liste von schrecklichen Gerüchen.
„Oder wenn ich nervös bin.“, fügte er hinzu.
„Ah.“, machte ich und verzog das Gesicht.
Plötzlich hielt er mir seine Kippe hin. „Du auch?“, fragte er.
Tat er das gerade wirklich? Ich stand da, verzog angeekelt von dem Gequalme das Gesicht und untermalte meine Abscheu noch mit lauten und er bot mir seine Zigarette an?!
„Ne danke.“, antwortete ich trocken. Und wand mein Gesicht wieder dem Wald zu.
plötzlich klopfte es an unserer Zimmertür.
„Gehst du?“, fragte Kain, der noch immer nicht aufgeraucht hatte.
Ich nickte, wedelte mir den Rauch vor der Nase weg und lief zur Tür, um aufzumachen.
Davor stand Wofka, eine Miene wie sieben Tage Regenwetter und die üblichen grauen Klamotten an.
„Du Idiot.“, sagte er und starrte mich weiterhin an.
„Was?“, fragte ich, der Kerl verwirrte mich.
Er legte den Kopf leicht schief. „Bist du blöd?“ kurz starrte er mich noch an, dann schob er sich an mir vorbei, ich hatte noch immer nicht verstanden, was er denn wollte.
Er setzte sich auf mein Bett und blickte kurz zu Kain herüber, der zur Begrüßung die Hand hob.
„Der Raucht doch nicht ernsthaft, oder?“, fragte er in aller Seelenruhe.
„Doch.“, antwortete ich drängelnd. Was war so wichtig, dass er unbedingt rüber kommen musste, um es mir zu erzählen?!
„Die reden über dich.“, sagte er schließlich, den Blick noch immer auf Kain geheftet.
Ich seufzte. „Ich weiß.“, antwortete ich.
„Und nach allem… was ich mitbekommen habe… warum bist du noch bei ihm?“
Kain hatte aufgeraucht, stand jedoch noch immer auf den Balkon, mit dem Rücken zum Zimmer.
„Ich will nicht nach draußen gehen.“, antwortete ich und schloss die Augen.
Wofka lachte leise. „Wie niedlich, Angst vor den Leuten…“ Ich öffnete sie wieder, Wofka grinste, schaute mich aber noch immer nicht an.
Kain wiederum zündete sich gerade die zweite Zigarette an. Mir fiel auf, dass die Balkontür offen stand.
„Lass uns gehen.“, sagte ich laut. „Irgendwo in Ruhe reden.
Ich zog meine Schuhe an und schließlich verließen Wofka und ich das Zimmer.

„Wohin sollen wir gehen?“, fragte Wofka, nachdem wir im freien angekommen waren.
„Ich wollte zum Wald…“, antwortete ich und zeigte durch die Gruppe Fußballspieler hindurch zur Baumansammlung.
Wir liefen schweigend los, als wir am Fußballfeld vorbei kamen, stieß mich einer der Jungs an.
„Na, Spaß gehabt?“
Ich zuckte, errötete leicht und beschleunigte meinen Schritt.
Hinter mir hörte ich lautes Gelächter.
Ich war dankbar darum, dass Wofka mich jetzt nicht auf meine Reaktion ansprach.
Beim Wald angekommen setzte ich mich im Schatten auf einen Stein, er setzte sich vor mir ins Gras, die grauen Augen auf mein Gesicht geheftet.
„Was ist gestern genau passiert?“, fragte er ungewöhnlich sanft.
Ich schluckte. „Naja… wir… sind aufs Zimmer gegangen und er…“ Ich errötete dunkel. „Er hat…“
„Okay, dann erzähls mir nicht.“, unterbrach er mich und zwang sich zu einem Lächeln.
Das sah unbeschreiblich grotesk aus.
Ich lächelte vorsichtig zurück.
Plötzlich drang Gelächter aus dem Wald, gefolgt von einigen einzelnen Stimmen.
„Eh, das is doch der, oder?“
„Ja Mann! Das is der!“
Ich wollte mich nicht umdrehen.
„Dass der noch sitzen kann…“
Wieder lachten sie. Die Stimmen klangen dümmlich, zumindest in meinen Augen.
Doch besonders vor dummen Menschen sollte man Angst haben. Sie sind meist nicht mal intelligent genug, zu diskutieren, schlagen gleich um sich, wenn es ihnen zu hoch wird.
Wofka stand auf und ließ die Hände in seinen Hosentaschen verschwinden.
Neben mir ertönte Getrampel im Gras, dann setzte sich jemand neben mich, ich blickte ihn an, ein bleicher Kerl mit grün-braunen Augen und Pickeln im Gesicht, die strohigen blonden Haare ragten wild unter seiner Basecap hervor.
Er grinste mich dämlich an. „Na, willst du auch was mit einem von uns anfangen?!“
Ich errötete. „Nein“, wollte ich fauchen, doch es endete in einem gewimmerten Flüstern.
Der Kerl war groß, aber im Gegensatz zu Kain würden ihm zwei/drei Muskeln schon gut tun, der Kerl war einfach fett.
„Was, sind wir dir nicht beherrschend genug, hä?!“ Er kam meinem Gesicht immer Näher. Der Kerl hatte Mundgeruch, ich wich immer weiter zurück. „Bist wohl sone kleine Sado-Maso Schlampe!“
„Jim!“, rief einer von den Jungs und zeigte in Richtung des Schulgebäudes.
Da rannte Wofka, als wäre er von etwas gestochen worden.
Super, dachte ich mir. Ganz klasse war der Typ drauf, einfach weglaufen, wenn ich drauf und dran war, zu sterben.
„Lass den Emo wieder in seine Ecke gehen, der interessiert doch eh keinen.“ Jim drehte sich wieder mir zu. „Weißt du, was kleine Schwuchteln wie du mit mir machen?!“, rief er und packte mein rechtes Handgelenk. „Sie machen, dass ich jeden Knochen von ihnen brechen möchte. Und da bin ich nicht der Einzigste.“
Ich war ohnehin so gut wie tot, dachte ich mir, also Carpe Diem. „Der Einzige.“, korrigierte ich ihn. „Man kann einzig nicht stei-„ ich wurde dadurch unterbrochen, dass der Griff um mein Handgelenk fester wurde, seine Fingernägel bohrten sich in mein Fleisch.
Ich kniff die Augen zusammen. Der Kerl war ekelhaft. Er stank, hatte Pickel, war hässlich und er wollte mich umbringen, das war wohl genug, um Abscheu vor einem Menschen zu haben. Genau wegen diesen Menschen und diesen Situationen wollte ich eigentlich überhaupt nichts
Plötzlich schallte eine Stimme aus nicht allzu weiter Ferne zu uns herüber und mein Herz machte einen kleinen Hüpfer.
„Lasst ihn los oder ich bring euch alle um!“, schrie Kain von nicht allzu weiter Ferne. Er schritt wie ein Tier, oder besser- wie ein Untier auf uns zu. Jim ließ meinen Arm los und sprang auf.
„Chill! Chill! Chill!“, schrie er schnell, machte aber keine Anstalten wegzulaufen. Was dachte er sich? Dass er drei Mal irgendein Slangwort schrie und Kain ihn freundschaftlich in seine Arme schließen würde?
In die Arme schließen vielleicht, freundschaftlich eher weniger.
Dank seines schnellen Schrittes stand Kain auch schon vor ihm, Wofka war hinterher gewuselt und stand nun in sicherer Entfernung weiter hinten und winkte mich zu sich, ich konnte mich jedoch nicht bewegen, bis eben hatte ich noch dem sicheren Tod ins Auge geblickt und plötzlich stand da der Kerl, der mich meiner Meinung nach am letzten Abend vergewaltigt hatte und wollte diesen fetten Idioten zusammenschlagen, der mich kurz zuvor umbringen wollte!
„Reg dich ab, Mann!“, sagte Jim und schrumpfte leicht zusammen.
Kain lachte gekünstelt. „Schnauze du Hurensohn.“, knurrte er.
„Ich wollte doch nur mit ihm spielen!“, rief der Kerl, nun klang er leicht panisch und selbst, wenn ich von solchen Situationen nichts verstand- er hätte alles sagen sollen, nur das nicht.
Kain schnaubte, ließ sein Genick knacken, holte aus und beförderte Jim mit nur einem Schlag zu Boden.
Jims Kumpels schraken zurück, Jim lag erst starr am Boden, setzte sich dann langsam auf.
Die anderen Jungs ergriffen die Flucht, als Jim das merkte, rappelte er sich auf und rannte hinterher.
Kain kam direkt auf mich zu. Er setzte sich neben mich und blickte mich traurig an.
„Haben die Kerle dir was getan?“, fragte er zärtlich.
Ich errötete. „Nein… du warst ja… sofort da.“ Schau ihn nicht an, sagte ich mir selbst.
„Gott sei Dank.“, sagte er. „Ich hatte gesehen, die diese Typen ankamen und war losgegangen, dann kam Wofka mit entgegen und hat gesagt, dass du Hilfe brauchst und Gott, was machst du denn auch?!“ Er fiel mir um den Hals.
Der Geruch seines Deos stieg mir wieder in die Nase, mir wurde warm.
„Es… ist ja alles gut.“, sagte ich und lächelte. Warum lächelte ich?! Ich hatte keine Ahnung.
Ich zuckte, als er mit einen kleinen Kuss an die Halsbeuge hauchte und mich dann anlächelte.
Mit schoss das Blut wieder ins Gesicht.
Diese Menschen machten doch nur Ärger.

Als wir wieder in unserem Zimmer waren, lief Kain sofort zum Balkon und zog sich sein Zigarettenpäckchen aus der Hosentasche.
„Du machst mich noch wirklich zum Raucher.“, sagte er und lächelte.
Ich stellte mich zu ihm auf den Balkon, die Fußballspieler waren auch inzwischen hinein gegangen und hinter dem Wald legte sich ein schmaler orangener Schimmer auf den Horizont.
Kain steckte sich die Zigarette in den Mund und zündete sie sich mit einem schwarzen Feuerzeug an.
Ich dachte nach.
Er sagte, er würde es zum stressabbauen benutzen. Und wenn er nervös war.
Ich konnte mich nicht entscheiden, was von beiden auf mich zutraf, vielleicht auch beides.
„Darf ich auch eine?“, fragte ich.
„Klar.“, antwortete er, zog eine weitere Zigarette aus dem Kästchen und hielt sie mir hin.
Zögerlich nahm ich sie an.
„Hast du Feuer?“, fragte ich.
Er lächelte, nickte, legte seine Zigarette auf den Glastisch, der auf unserem Balkon stand und nahm mir die Zigarette aus der Hand, um sie sich selbst in den Mund zu stecken und anzuzünden.
Den ersten Zug schien er schon genommen zu haben, denn er blies direkt wieder gräulichen Rauch in die Luft. Er setzte sie sich wieder ab und hielt sie mir hin.
Ich nahm sie an. „Was sollte das denn jetzt?“
„Du siehst nicht so aus, als hättest du das schon mal gemacht.“, sagte er zur Erklärung.
Ich sah ihm dabei zu, wie er noch einen Zug von seiner Zigarette nahm, ausatmete und setzte die Kippe an.
Kurz atmete ich ein, nicht besonders tief, hatte das Zeug nur im Mund und atmete es gleich wieder aus.
Er stöhnte auf. „Nein, das ist sinnlose Geldverschwendung, du musst nachatmen. Mach nochmal.“
Ich verstand nicht ganz, was er meinte, nahm noch einen Zug, genau wie davor.
„Und jetzt einatmen.“, sagte er, als ich den Rauch gerade im Mund hatte, ich atmete etwas tiefer ein und musste unwillkürlich ein paar Mal husten, Kain lachte.
„Das gibt sich noch.“, sagte er.
Ich versuchte es nochmal, diesmal funktionierte alles blendend.
„Du siehst nicht aus, als würdest du rauchen.“, bemerkte ich beiläufig.
„Achja? Wie sieht denn jemand aus, der raucht?“, fragte er und lachte kurz auf.
Ich verdrehte die Augen. „So meinte ich das nicht. Du siehst aus wie einer der Menschen, die möglichst gesund leben wollen und deshalb auf alles, angefangen von Alkohol über Zigaretten und Drogen bis hin zu Energy-Drinks und Schokolade verweigern.“
„Das ist dämliches Geschwätz.“, sagte er und atmete ruhig aus. „Das einzige, was ich will, ist glücklich durchs Leben gehen zu können.“, erklärte er mir. „Ich hab ne ganz schön beschissene Zeit hinter mir.“
„Ah.“, gab ich zurück und schluckte, vielleicht sollte ich nicht fragen.
Plötzlich lehnte er sich an die Hauswand und ließ sich daran hinunterrutschen, bis er auf dem Boden saß. Mit einer Geste wies er mir an, mich neben ihn zu setzen.
So tat ich es ihm nach und so saßen wir da. Ich schnickte ein Wenig Asche von meiner Kippe.
„Ich sollte eine Art Ascher besorgen.“, bemerkte er. „Das nimmt hier doch tatsächlich Ausmaße an, hätte ich nicht gedacht, wirklich.“
Wir schwiegen, bliesen Rauch in die Luft, ich wusste nicht, ob mir die Situation behagte oder nicht, jedenfalls war ich angespannt.
„Warum… hast du das gestern Abend gemacht?“ Die Worte kamen von irgendwo aus mir heraus, ich wusste nicht, warum und weshalb ich nicht vorher irgendwie gewarnt worden war.
Ich wollte überhaupt keine Antwort haben, ich wollte nicht hören, was er sagen würde, irgendwie hatte ich Angst davor.
Doch noch bevor ich sie zurücknehmen konnte, antwortete er mir.
„Naja… wie soll ich sagen…“
„Du musst nicht.“, versuchte ich seine Unsicherheit auszunutzen.
„Ich will aber.“, erwiderte er. Ein eiskalter Schauer jagte mir den Rücken hinab.
„Du hast mich von Anfang an schon angezogen, warst zwar eiskalt zu mir, aber ich wollte unbedingt in deine Achtung kommen, mich wenigstens gut mit dir verstehen. Und dann war da die Party und der Alkohol und mein Gott, du standest da so unschlüssig im Raum herum, ich wollte es einfach versuchen, hättest du mich abgewehrt, hätte ich sofort aufgehört, aber das hast du nicht.
Ich war echt unglaublich glücklich.“
Meine Ohren waren warm geworden und als ich zu Kain herüber blickte, sah ich, dass er errötet war.
„Du hast dich generell nicht gewehrt, weshalb ich dachte, es gefällt dir… Ich hab mir auch echt Mühe gegeben, wenn das irgendetwas hilft…“
Wir zogen fast gleichzeitig tief an unseren Zigaretten, ich musste leicht husten. Als ich kurz darauf wieder die Asche wegschnickte, sah ich, dass ich schon fast beim Filter angekommen war.
Gerade, als ich zum letzten Zug ansetzen wollte, nahm Kain sie mir aus der Hand.
„Lass das, das macht Krebs.“, antwortete er trocken, drückte sie am Kachelboden aus und legte sie in eine leere Zigarettenpackung, die er wohl als Abfalleimer verwendete, seine schien sich bereits darin zu befinden.
Mühe gegeben. Ich erinnerte mich an seine Taten, errötete, mir wurde flau. Schnell verwarf ich meine Gedanken wieder.
„Ich könnte es verstehen, wenn du es überhaupt nicht versuchen möchtest.“, sagte er.
Was versuchen?!
„Dennoch… würde ich mich sehr freuen, würdest dus tun.“ Er blickte mich an und lächelte warm, mir wurde noch flauer.
Was denn versuchen?!
Ich stand wirklich total auf dem Schlauch, hatte ich irgendwann nicht ganz zugehört? Konnte mich nicht entsinnen, etwas verpasst zu haben…
Er blickte mir tief in die Augen, erwartete wohl eine Antwort und wollte diese vermutlich noch beeinflussen, ich wusste jedoch gerade überhaupt nichts mehr.
Unsere Schultern berührten sich.
Das sagte nicht besonders viel aus, da seine Schultern breit wie ein Schrank waren, doch mir wurde trotzdem durch diese kleine Berührung wieder warm, als habe er meinen Körper damit dressiert.
Vorsichtig legte er eine Hand auf mein Knie, kraulte es ein Wenig, blickte erst nach unten, dann wieder in meine Augen.
Ich schluckte, die Tiefe dieser dunklen Augen war unglaublich. Seine Nase stieß gegen die Meine, langsam schloss er seine Augen, ich tat es ihm wie automatisch nach und plötzlich drückte er seine Lippen auf die meinen.
Sie waren wunderschön weich. Mein Gewissen riet mir, abzubrechen, aber irgendwie fühlte ich mich gerade so großartig, dass ich mir vornahm, nur ein bisschen mitzumachen.
Nur ein kleinwenig.
Er löste seine Lippen für eine Millisekunde von den meinen, sie begannen zu kribbeln und als er sie wieder auf den meinen niederließ, strich ich ihm langsam durch den Zopf, den er sich wieder gemacht hatte.
Vorsichtig fuhr er mit seiner leicht rauen Zunge an meinen Lippen entlang, ich zögerte, öffnete sie jedoch trotzdem überraschend willig einen Spalt breit.
Er leckte vorsichtig an meiner Zunge entlang, ich spürte es in mir pulsieren, wieder meinen Puls in meinen Ohren, wie ein dauerhaftes Metronom.
Ein letztes Mal strich er mir mit der Zunge die Unterlippe entlang, dann ließ er von mir ab und als ich die Augen wieder öffnete war mir, als könnte ich genau das noch mal vertragen.

Neun



Ich blickte ihn eine Weile wortlos an, es war, als habe mein Hals sich zugezogen, selbst das Atmen fiel mir schwer.
Ich blickte ihm nur in die tiefen, braunen Augen und kämpfte gegen die Leere in meinem Kopf.
Dann schloss ich die Augen und presste die Lippen aufeinander. Bevor ich sprach, atmete ich tief durch.
„Ich… weiß nicht…“ ich brach ab, er sah, dass ich komplett durcheinander war, drückte mir einen Kuss auf die Stirn und holte sein Zigarettenpäckchen wieder raus.
„Noch eine?“, fragte er.
„Nein, danke.“, antwortete ich. Man konnte nicht alles mit Nikotin bekämpfen, so ganz schien er das auch noch nicht verstanden zu haben.
Er steckte das Päckchen wieder weg.
„Tut mir leid.“, sagte er.
Ich wollte nicht, dass er sich wieder bei mir entschuldigte, auch wenn er meiner Meinung nach allen Grund dazu hatte. Oder auch nicht, ich wusste überhaupt nichts mehr.
Kain blickte auf sein Handy.
„Es ist schon elf.“, stellte er fest. „Und morgen ist der erste Schultag, da sollten wir vielleicht ausgeschlafen sein.“
Ich nickte, er stand auf und hielt mir eine Hand hin.
Fragend blickte ich ihn an.
„Soll ich dir aufhelfen?“, fragte er.
Ich lächelte vorsichtig. „Okay.“ Und legte meine Hand in die Seine, an der er mich auch gleich mit viel Schwung hochzog.
Wie letztes Mal stolperte ich geradewegs in seine Arme, doch diesmal grub ich die Finger in sein Shirt und wollte möglichst viel von seinem Geruch in mich aufsaugen, ich war vollkommen Geistesabwesend.
Er strich mir durch die Haare und legte die Arme um mich, bevor er mir noch einen Kuss auf die Stirn hauchte.
„Auf, geh schon rein.“, forderte er mich auf und schob mich bereits in Richtung Tür.
Unbeholfen taumelte ich von ihm weg und tapste zu meinem Bett, zog mir mein Shirt und meine Jeans aus und wollte mich darauf schmeißen, da drehte ich ihm den Kopf zu, etwas in mir wollte, dass er mich ansah.
Er war jedoch gerade damit beschäftigt, seinen Gürtel zu öffnen und ich schien ihn tatsächlich vollkommen kalt zu lassen. Umgekehrt war dies jedoch nicht der Fall.
So stand ich da und beobachtete ihn andächtig beim Ausziehen seiner Hose. Plötzlich drehte er mir den Kopf zu, ich errötete bis zu den Ohren und warf mich schnell auf mein Bett.
Wie komisch das ausgesehen haben muss. Man schaut einen Kerl an, der nur in Unterwäsche dasteht und einen beobachtet, daraufhin wird der Typ knallrot und wirft sich rücklings aufs Bett.
Ich wollte Kains Reaktion überhaupt nicht sehen und drückte mein Gesicht in mein Kissen.
Da spürte ich, wie die Matratze sich an einer Seite senkte und mir sanft durch die Haare gestrichen wurde.
Daraufhin hauchte er mir einen Kuss ins Genick.
„Gute Nacht.“, flüsterte er, die Matratze hob sich wieder und er zog mir mit einem Ruck die Bettdecke unter dem Körper weg, wie diese Leute, die die Tischdecke so unter dem Geschirr rausziehen können, dass das Geschirr sauber auf dem Tisch stehen bleibt.
Er legte sie mir über und gleich darauf spürte ich seine Anwesenheit nicht mehr.
Trotzdem blieb ich ein Wenig so liegen. Mir war kalt.
Als ich dann irgendwann aufblickte, lag er bereits in seinem Bett, mir den Rücken zugekehrt und der Schlaf ließ lange auf sich warten.

Ich fand mich in einem schwarzen Raum wieder, der voller Menschen war, diese Menschen starrten mich alle an, bewegten keinen Muskel, sprachen nicht, schienen nicht mal zu atmen.
Ich saß in ihrer Mitte und blickte mich um, ich kam dort nicht raus, sie standen dicht an dicht, die kleinen vor den Großen, ich wollte sie erkennen, doch bevor ich sie genauer betrachten konnte, verschwammen die Gesichter und ich blickte schnell weg.
Plötzlich erhob sich unter mir die Erde und formte sich zu einer Kreatur, an die ich mich klammerte, auf ihr bildete sich ein Pelz.
Sie brüllte die Menge an, einzelne drehten uns wie mechanisch den Rücken zu.
Ich realisierte, dass es ein Löwe war.
Das mächtige Tier brüllte nochmal, die Menschen lösten sich einer nach dem anderen auf und übrig blieb nur eine Stille, die sich auf Mund und Ohren legte und einem das Gehirn zerdrückte.
Erst viel zu spät nahm ich wahr, dass das Tier sich bewegte, es rannte durch die Dunkelheit.
Nach einer gefühlten Ewigkeit tauchte an einer Art Horizont ein See auf. An diesem See stand ein Storch, sein Gefieder war löchrig, als sei er an einen unliebsamen Hund gekommen und eigentlich weiße Federn ergraut, wie die der Störche in Großstadtzoos.
Er wirkte alt und gebrechlich wie ein Greis.
Als wir an dem See ankamen, blieb der Löwe kurz stehen.
„Guten Abend.“, sagte er.
„Guten Abend“, antwortete der Storch mit kratziger Stimme.
Ich blickte ihn an, er sah traurig aus.
„Lasst mich nicht alleine.“, bat er uns.
„Wir müssen, es ist gegen die Regeln zu bleiben.“, antwortete der Löwe und setzte wieder zum Sprung an.
„Ich weiß.“, antwortete der Strauß. „Guten Abend.“
„Guten Abend.“, antwortete der Löwe und lief weiter.
Unermüdlich lief er weiter, ich klammerte mich an seinen Pelz, er war so schön warm.
Und er roch nach etwas, das ich kannte, mir fiel aber nicht ein, was es war.
Jedenfalls fühlte ich mich plötzlich geborgen und kuschelte mich richtig in seine Mähne hinein.
Plötzlich hielt er wieder an, ich spähte durch seine Mähne, da stand ein Baum und auf dem Baum saß ein Chamäleon, das zunächst die Farbe des Baumes hatte, dann jedoch das Schwarz der Umgebung annahm und schließlich vor lauter Verwirrung ein schrilles Gelb annahm.
„Guten Mittag.“, sagte der Löwe.
„Guten Mittag.“, antwortete das Chamäleon. Schnell wechselte er seinen Körper in das schöne Braun der Löwenmähne.
„Es ist so trist hier. Ich möchte zum See gehen, aber der Storch mag mich nicht dort haben.“, beklagte es sich.
„Bloß weil er so weit weg ist, bedeutet das nicht, dass er dich nicht mag.“, erklärte der Löwe.
„Guten Mittag.“, sagte das Chamäleon.
„Guten Mittag.“, antwortete der Löwe und mit einem Mal verschwand das Chamäleon im Nichts.
Der Löwe ließ sich nieder.
Nachdem ich von ihm heruntergestiegen war, setzte ich mich neben ihn und strich ihm durch die Mähne. Mit einer seiner Pfoten zog er mich zu sich hin, ich kraulte ihn, er schloss die Augen.
„Wer bist du?“, fragte ich irgendwann.
„Was bedeutet das schon.“, antwortete der Löwe und reckte seinen Hals, damit ich ihn besser kraulen konnte.
„Warum konnten wir nicht am See bleiben, aber am Baum?“
„Weil der Storch am See ist.“
„Warum konnte er nicht weggehen?“
„Weil wir weggegangen sind.“
Das machte keinen Sinn.
„Und wohin“, fragte ich weiter „Ich das Chamäleon verschwunden?“
„Zum Storch.“, antwortete der Löwe.
„Warum kann das Chamäleon zum Storch gehen und wir nicht?“
„Weil das so ist.“, antwortete der Löwe und schlug die Augen auf. „Du stellst Fragen, als hättest du noch nie in der Gesellschaft gelebt.“, stellte er fest.
Ich blickte ihm in seine tiefbraunen Augen und wollte ihm gerade wieder mein Gesicht in die weiche, schöne Mähne drücken, da wurde alles durch ein jähes, durchdringendes Piepen zerrissen, der Löwe und der Baum verschwanden und zurück blieb nur schwarz, bis ich meine Augen aufschlug und Kains Gesicht erblickte.



„Aufstehen.“, sagte er. „Wenn wir uns nicht beeilen, verpassen wir das Frühstück.“

Zehn



Wenig später saßen wir jeder mit einem Tablett an einem der Tische in der Cafeteria.
Zum ersten Mal waren auch die Schüler da, die diese Schule schon länger besuchten, sie schienen am Vorabend gekommen zu sein.
Einige trugen noch ihre Schlafanzüge.
„Guten Morgen.“, brummte jemand. Ich blickte auf und sah Oliver, der sein Tablett vorsichtig auf den Tisch stellte, damit sein Orangensaft nicht überschwappte.
Kurz nach ihm kam Wofka, knallte sein Tablett auf den Tisch, sodass die Hälfte seines Kaffees sich quer über seinem Tablett verteilte. „Tag.“, gab er von sich und ließ sich auf den Stuhl fallen.
Er hatte uns bis jetzt noch keines Blickes gewürdigt.
Ich nippte an meinem Kaffe. Was ein lasches Zeug, schmeckte, als sei es verdünnt worden.
„Ihr wart letzte Nacht erstaunlich ruhig.“, stellte Wofka fest und ich spuckte den Kaffee direkt wieder zurück in die Tasse.
„Ihr aber auch.“, erwiderte Kain trocken. Erm, was?
„So weit bin ich noch nicht. Ich überstürze es nicht so, wie du.“, erklärte Oliver.
Wofka und ich starrten uns an, unsere Blicke sagten so viel wie: „Was bitte?!“ und als Kain und Oliver uns sahen brachen sie in schallendes Gelächter aus.
Der Rest des Frühstücks verlief schweigend.
Als wir fertig waren gingen wir gebündelt los und brachten unsere Tablette und das Geschirr weg und gingen zunächst zurück in unsere Zimmer, um die Sachen zu packen.
„Was nimmst du mit?“, fragte Kain, als er unschlüssig vor seinem leeren Rucksack saß.
„Einen Block und einen Kugelschreiber, was soll ich denn sonst mitnehmen?“, fragte ich zurück.
„Okay.“, kam es von ihm und er zog einen Block unter seinem Bett raus. Was machte das da?
Gleich nachdem er den Block in seiner Tasche verstaut hatte, holte er noch ein unglaublich großes Federmäppchen hervor.
„Wozu nimmst du so viele Stifte mit?!“, fragte ich und zog die Oberlippe nach oben, warum?!
„Ich kritzel gern vor mich hin.“, sagte er. „Deshalb brauche ich auch die ganzen Stifte.“
Ich nickte. Es leuchtete mir noch immer nicht der Sinn davon ein, aber ein Grund war es alle Mal.
Wir schnappten unsere Taschen, verließen das Zimmer und klopften an der Zimmertür von Wofka und Oliver.
Uns öffnete niemand, auch nach wiederholtem Klopfen nicht.
„Die sind schon vorgegangen.“, knurrte Kain.
„Vielleicht hatten sie noch etwas vor.“, versuchte ich sie zu verteidigen, ich wollte es ihnen Ersparen, unter Kains Räder zu kommen.
Er drehte sich ohne ein weiteres Wort von der Tür weg und wir traten den Weg zu den Klassenräumen an.
Die erste Stunde hatten wir in Raum 312, wir liefen den Gang entlang und schließlich fanden wir den richtigen Raum.
Kain stieß die Tür auf und gemeinsam betraten wir das Klassenzimmer.
Einige Schüler standen noch und unterhielten sich, anderen hatten sich bereits einen Tisch gesucht und saßen gelangweilt herum, wenn sie nicht schon ihren Kopf auf die Arme gelegt hatten.
Ich steuerte direkt einen Platz in der ersten Reihe an und wollte gerade meine Tasche auf den Tisch donnern, da griff Kain mich plötzlich fest an der Hand, zog mich weiter und rief: „JA! In der letzten Reihe sind noch Plätze frei!“
Er zog mich zu einem Tisch direkt an der hinteren Wand, legte seine Tasche darauf und setzte sich an einen der Stühle. An jedem Tisch konnten mindestens drei Schüler Platz finden, aber es waren immer nur zwei Stühle daran gestellt, was wohl sagen sollte, dass jeweils nur zwei Platz nehmen sollten.
Ich seufzte, knallte meine Tasche neben die Seine auf den Tisch und ließ mich auf den Stuhl neben mir fallen.
Plötzlich stand ein Mädchen vor unserem Tisch, sie blickte verlegen auf den Boden, dann legte sie einen Zettel auf Kains Tasche und lief schnell ans andere Ende des Klassenzimmers.
„…was…?“, konnte Kain noch gerade von sich geben, da war sie jedoch auch schon weg.
Sie hatte sich zu einem anderen Mädchen gestellt, das uns mit mitleidiger Miene ansah.
Kain schnappte sich den Zettel und las, ich las mit.

Hey du.
Ich hab Gerüchte über dich gehört.
Stimmen die? Wenn ja, total cool :D
Außerdem siehst du total gut aus!
Stella



Kain grinste.
„He, du, komm doch mal her.“, rief er durch den Raum.
Stella errötete und redete hektisch mit dem Mädchen neben sich, das sie schließlich hinter sich her schleifte.
Schließlich stand sie wieder vor ihrem Tisch, diesmal mit dem anderen Mädchen neben sich.
„Ja, stimmt alles und danke.“, sagte Kain trocken und grinste. Stella kicherte.
„Ich find sowas ja total super!“, begann sie. Oder vielmehr… ES BEGANN. „Also, ich war auch mit nem Schwulen auf meiner alten Schule befreundet und oh mein Gott, der hatte so einen tollen Kleidungsstil! Er kommt zwar körperlich nicht an dich heran, aber er ist auch total der Traumtyp aber jetzt musste ich ja hier auf die Schule wechseln und naja, ich vermisse ihn ganz schrecklich. Wir sind immer zusammen shoppen gegangen und…“
Ab dem Moment gingen ihre Worte zu einem meiner Ohren rein und zum anderen wieder raus. Das andere Mädchen blickte mich mitleidig an, ich blickte ebenso mitleidig zurück und plötzlich musste sie kichern.
„…und dann hat der doch tatsächlich- Kara, was ist los?“ Stella hatte wohl endlich mal ihren Redeschwall abgebrochen und sah ihre Freundin verwirrt an.
„Ach, nichts.“, antwortete sie und kicherte nochmal.
„Alle setzen, wer in 10 Sekunden noch steht, fliegt raus.“, ertönte es plötzlich im Klassenraum, die Schüler fuhren herum, auch die beiden Mädchen und plötzlich saßen alle auf irgendwelchen Stühlen und allmählich kehrte Ruhe ein.

Elf



Die Stunden waren mehr oder minder anstrengend, wir holten unsere Bücher, haben ein bescheuertes Kennenlern-Spiel gespielt und haben noch über irgendetwas Mathematisches geredet.
Doch endlich waren wir befreit, ich hätte Luftsprünge gemacht, wenn das nicht irgendwie eigenartig gewesen wäre.
„Habt ihr heute irgendetwas vor?“, fragte Kara, die mich auf dem Gang eingeholt hatte, ich blieb stehen, Kain, der kurz vor mir gelaufen war, drehte sich um und blickte uns gedankenverloren an.
„Nicht wirklich…“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Dann lasst uns doch in die Stadt hier in der Nähe gehen, das ist nur 20 Minuten von hier entfernt, wie ich gesehen habe.“, schlug sie vor. „Zu viert, du, der Gorilla, Stella und ich.“
Ich musste grinsen. Der Gorilla. Das passte.
Von hinten sprang Stella heran. „Was?! Wir vier?! Nach München?! Au ja!“, rief sie und fiel Kara um den Hals.
„Gern.“, sagte Kain. „Was gibt es da denn so?“
Kara zuckte mir den Schultern. „Nichts besonderes, es ist nun mal eine kleine Stadt, ein Paar Läden und…“ sie wurde von Stella unterbrochen.
„Da sind ganz viele kleine Boutiquen, in die ich unbedingt rein will! Deshalb freue ich mich so, dass ihr mit und hingeht, weil Kara mit mir alleine gestorben wäre und ich auch und jetzt habe ich Leute dabei, mit denen ich viel mehr unternehmen kann!“
„Ah.“, machte ich zur Antwort.
Kain und ich stellten unsere Taschen aufs Zimmer und waren gerade auf dem Weg in die Eingangshalle, da stand plötzlich Wofka im Gang.
„Wo geht’s denn hin?“, fragte er, für seine Verhältnisse überraschend gut gelaunt. Was hatten die in der Schule gemacht?
„In die Stadt, mit ein paar Mädchen.“, antwortete Kain und lächelte.
„Achja, erst ne Nummer schieben, sodass der ganze Gang davon mitbekommt und dann schnell mal eben n paar Weiber aufreißen, so schaut‘s aus ihr lieben.“, kicherte Wofka und ging lachend in sein Zimmer zurück.
Die Tür ging auf, eine Wolke des Ketchupchipgeruchs strömte hinaus in den Gang und Wofka war verschwunden.
Wir setzten unseren Weg in die Eingangshalle fort, wo die Mädchen schon auf uns warteten.
Stella grinste, als habe sie diesmal mehr LDS genommen, als sonst und Kara stand, die Hände in den Hosentaschen, nebendran und blickte uns leicht lächelnd entgegen.

Während wie liefen redete Stella ununterbrochen über scheinbar alles, was es auf dieser Welt gibt. Dennoch schaffte ich es, komplett abzuschalten, was ich erst merkte, als Kain mich vorsichtig bei der Hand nahm. Ich schüttelte ihn leicht errötet wieder ab.
„Hast du eigentlich nen Schaden?!“, zischte ich ihn an.
„Nein, aber du scheinst momentan wirklich ein Totalausfall zu sein.“, zischte er zurück.
Was?
Momentan?
„Ich sag dir jetzt mal was.“, legte ich los, hatte die Stimme erhoben. „Du bist hier derjenige, der-„ Kain hielt mir den Mund zu.
„Sei doch nicht so schrecklich laut!“, fauchte er, Kara und Stella starrten uns schon an, ja, Stella hatte tatsächlich aufgehört, zu reden.
Kain lächelte sie an und forderte sie zum weitergehen auf. Kurz warf er mir noch einen vernichtenden Blick zu, dann folgten wir ihnen.
Kains plötzliches Verhalten verwirrte mich. Irgendwie war er angespannt, ich hatte ihn nur abgestoßen, wie sonst auch und er war gleich aus der Haut gefahren.
Gott sei Dank, dachte ich mir, bin ich relativ ruhig geblieben, sonst könnte man mich jetzt in einer Plastiktüte zurück in die Schule tragen.

Wir besuchten etliche Läden und plötzlich fiel mir wieder ein, weshalb andere es immer umgingen, mit Mädchen einkaufen zu gehen.
Es endete damit, dass Stella Kain und mir ständig irgendwelche Tüten in die Hände drückte.
Kain nahm mir die, die sie mir gab, jedes Mal sofort wieder ab, weshalb er irgendwann eine Tüte Schuhe, fünf mit jeweils einem T-Shirt, eine mit Bilderrahmen darin und eine weitere, von der wir den Inhalt nicht gesehen hatten. In den Händen hatte und mir recht stumpfer Miene der lieben Stella dabei zusah, wie sie ein weiteres Paar Schuhe bezahlte.
Mit einem Mal nahm sie Kain alle Tüten ab, nahm die weitere vom Tresen noch dazu und verließ, überraschender Weise Wortlos den Laden. Draußen ging es jedoch gleich wieder los.
„Danke, dass ihr mitgekommen seid, mit euch hat es gleich viel mehr Spaß gemacht, als mir Kara alleine, danke auch, dass ihr meine Tüten getragen habt.
„Kein Ding.“, antwortete Kain und lächelte sie an.
Sie errötete und kicherte. „Ihr könnt noch ein Wenig bleiben, wenn ihr wollt, es ist schon sieben, ich gehe jetzt zurück in die Schule.“
„Ich auch.“, meinte Kara und nahm ihr einige der Tüten ab, damit sie nicht so schwer zu tragen hatte.
„Ich würd ganz gern noch ein Wenig bleiben.“, sagte Kain und sah mich fragend an. Ich wollte in die Schule zurück, wollte mich alleine in das Zimmer setzen und ein gutes Buch lesen oder einfach nur mein Sein genießen.
Die Mädchen lächelten mich an, Kain blickte mir bittend in die Augen, die Mädchen lächelten nur, Kains dunkle Augen glänzten im letzten Sonnenlicht, die Mädchen lächelte, Kain biss sich verlegen auf der Unterlippe herum…
„Okay, ich bleibe auch.“, sagte ich schließlich. Ich hatte mein Gewissen einfach nicht dazu bringen können, nein zu sagen.
So verschwanden die Mädchen und Kain und ich liefen in Richtung des Flussufers.
„Hast du… über irgendetwas nachgedacht?“, fragte Kain.
Irgendetwas. Sag doch einfach, über was ich nachgedacht haben soll. Irgendetwas bedeutet bestimmt etwas bestimmtes.
Ich zuckte die Schultern.
„Nicht so. Du?“ Etwas versetzte mir einen Stich in die Magengegend und ich hatte das plötzliche Bedürfnis, mich selbst zu Ohrfeigen.
Was war das?
Eine soziale Ader? Mein Blinddarm? Ich wusste es nicht.
„Ich schon.“ Seine Stimme war ernster geworden. Wir standen nun an einer Wiese, an deren Ende eine Betonmauer hinunter, bis zum Flussbett, war.
Kain setzte sich auf die Mauer und ließ seine Füße baumeln, ich setzte mich mit ein Wenig Abstand neben ihn.
„Denkst du, ich würde dich quälen?“, kam es plötzlich aus ihm heraus.
„Nein.“, antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Warum reagierst du dann so auf mich?“ Er hatte mir den Kopf zugedreht, seine Augen glitzerten. „Du stößt mich immer weg, doch wenn ich ein Mal etwas mache, um dich zu testen, sagst du überhaupt nichts und siehst auch noch so aus, als würde es dir gefallen, natürlich mache ich mir dann gottverdammte Hoffnungen.“ Er wischte sich über die Augen.
„Tut mir leid.“ Das stechen in meiner Magengegend wurde immer stärker, je mehr er so schrecklich traurig aussah. „Ich… Ich weiß einfach nicht, was ich denken soll.“
Wo kamen diese Worte her? Aus meinem Mund bestimmt nicht, solche Sätze befanden sich doch überhaupt nicht in meinem Vokabular!„Ich bin vollkommen durcheinander und...“ Er rückte näher an mich heran. „und… erm…. Ich… weiß nicht.“
„Ich auch nicht.“, sagte er und schniefte. Kain schniefte. Der Löwe, der Gorilla, dieses unglaublich große Wuschelmonster konnte doch jetzt nicht weinen!
Überfordert blickte ich ihn an, wie er sich wieder die kommenden Tränen aus den Augen wischte und trotzdem bei meinem Anblick lachen musste.
Noch immer zog es in meiner Magengegend und es stach mir ganz eigenartig ins Herz, ihn so zu sehen, beinahe kamen mir selbst die Tränen.
Ich konnte nicht mehr. Mein unglaublicher Ego, mein Trotz, meine Wut auf die Menschen dieser Erde und meine eigentliche innerliche Isolation schienen zusammenzubrechen und ich schlang ihm die Arme um den Hals.
Er…war, schon wieder, noch immer und einfach so unglaublich wundervoll warm. Nachdem er die Arme um mich gelegt hat und mich richtig an sich ran gedrückt hat, schniefte er noch einige Male.
Ich wollte nicht wissen, warum ich das getan hatte, warum er das getan hatte, warum überhaupt jemand so etwas tat oder warum es geschah, weshalb wir uns begegnet waren und warum, wieso, es interessierte mich nicht mehr. In meinem Kopf schienen alle Fragen zu verschwinden, es war wie Müdigkeit- nur wacher, lebendiger.
Ich drehte meinen Kopf langsam in seine Richtung, bemerkte es nicht mal selbst wirklich und schließlich drückte er mir einen zarten Kuss auf die Lippen, löste sich komplett von mir und sah mich an.
Mein Gesicht glühte und, ohne dass ich es bemerkt hatte, hatten die Tränen sich einen Weg über mein ganzes Gesicht gebahnt. Schnell wischte ich sie mir mit dem Ärmel weg, dann sah ich ihn wieder an, entspannte all meine Gesichtszüge und schloss die Augen.
Mein Mut reichte nicht aus, um ihn selbst zu küssen, ich wollte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, sein Kichern zu hören genügte mir, doch darauf reagieren wollte ich auch nicht.
Erneut küsste er mich. Diesmal gefühlvoller, ich schmeckte ihn richtig auf meiner Zunge.
Noch einmal ließ er von mir ab, blickte mir in die Augen.
Er lächelte mich glücklich an.
Und ich lächelte zurück.

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 06.07.2012

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ich widme dieses Buch Lara und Carina, da beide auf heiße Typen stehen und der Co-Protagonist ein heißer Typ ist. Hihihi :D

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