„Spuck doch endlich mal deinen Kaugummi aus.“, nörgelte Klee, der sich vor Glen aufs Pult gesetzt hatte. „Der hat doch so wie so keinen Geschmack mehr!“
„Das ist mir egal.“, brummte Glen. Er konnte den Anblick dieser Hackfresse nicht weiter ertragen. Clay Crimson. Er hatte sich frech in sein Leben gedrängt und es nicht einmal bemerkt.
„Was willst du eigentlich?“, fragte Glen belanglos.
„Ich weis genau, dass du dich ohne mich einsam fühlst. Du hast außer mir niemanden!“, antwortete Klee und beuge sich zu Glen runter.
„Ich hab noch Finlay. Ich bin also nicht auf dich angewiesen.“ Glen blickte stur in die andere Richtung.
„Du magst Finlay nicht sonderlich. Er ist dir eine Spur zu pervers.“ Klee zog sich das Band aus dem schulterlangen, kupferfarbenen Haar und schüttelte es auf. Glen beneidete ihn um diese Haarfarbe. Auch Klees graugrüne Augen machten ihn wahnsinnig eifersüchtig. Er stand da, mit seinen mittelblonden Haaren und seinen blauen Augen. Glen mutmaßte, dass jeder dritte blaue Augen und blonde Haare hatte. Noch dazu lockten sich die seinen leicht, sodass er sie sich jeden Morgen glätten musste. Dieses Problem hatte Klee mit seinen Engelshaaren nicht.
„Kann dir doch alles egal sein!“, rief Glen und stand auf.
„Wenn du meinst... sieht nicht gerade erbaulich aus, ganz alleine rum zu sitzen...“, sagte Klee, währendem er sich das Band erneut in die Haare band.
„Fuck mich nicht ab!“, rief Glen und stolzierte aus dem Klassenraum. Er brauchte Ruhe.
Auf dem Gang kamen ihm ein sehr wohlhabend aussehender Geschäftsmann und (unverkennbar) sein Sohn entgegen. Der Mann lächelte Glen zu, der Junge bedachte ihn mit einem recht merkwürdigen Blick, als würde er ihn gleich fressen wollen. Das jagte Glen einen Schauer den Rücken hinunter aber- Moment- was machten Menschen diese Schlags auf einer öffentlichen Jungenschule?
Glen drehte sich noch einmal nach ihnen um und sah, dass der Junge stehen geblieben war, auf Glen zeigte und seinem Vater etwas zuflüsterte. Sofort lächelte der Mann breiter als zuvor und kam auf Glen zu.
„Gestatten: George Brundon. Leiter einer großen Filiale. Mein Sohn ist an dir interessiert.“
„Ah.“, machte Glen. „Und weiter?“
„Mein Sohn, Ragel sein Name, ist momentan dabei mit Ölfarben zu malen. Er... will dich als sein Modell haben.“ Man sah, dass Mr Brundon sich an Glens Desinteresse störte.
„Warum redet er nicht selbst mit mir?“, fragte Glen.
„Er fühlt sich nicht in Stimmung.“, antwortete der Mann und Glen konnte sich nicht mehr halten.
„Nicht in Stimmung...“, prustete er „Das ist ja geil, das muss ich mir echt merken!“
„Was ist daran so komisch?“, fragte Ragel. Er schien leicht empört.
„Ganz einfach: wenn ich meinem Vater sage, ich hab gerade keinen Bock mit irgend einem Typen zu reden und er soll das gefälligst machen, knallt er mir eine!“, sprachs, drehte sich um und ging von dannen.
„Ich würde dich auch bezahlen.“, schlug der Junge vor, doch Glen antwortete: „Ich bin nicht die Art von Mensch, der seinen Körper verkauft. Guten Tag.“
Glen lief die Treppe hinunter und durch die Fluchttreppe wieder hoch zum Klassenraum zurück. Das war vielleicht ein komischer Typ.
Der Rest des Tagen verlief vollkommen belanglos. Als Glen nach hause kam, rastete sein Vater aus und Ohrfeigte ihn, weil er sich schon wieder neue Wimperntusche gekauft hatte. Das war aber Alltag und er wusste immer schon im Voraus, was geschehen würde. Neue Wimperntusche, eine Ohrfeige. Ein BL Buch, Zimmerarrest für eine Woche. Und so weiter.
Später am Abend hatte er Fußballtraining. Er hasste Fußball, ging aber nur hin um seinen Vater friedlich zu stimmen.
Auf dem Rückweg vom Sportplatz begegnete Glen einigen Männern mit Kapuzen. Zunächst liefen sie an ihm vorbei, doch als er erleichtert aufatmete drehten sie sich um.
„Du hast also Angst vor uns, was kleine?“ Kleine? Die hielten ihn wohl für ein Mädchen!
„Was machen wir denn jetzt mit dir?“ Die Stimme des Mannes klang rau und ohne weiter nach zu denken, rannte Glen los. Die Typen folgten ihm und schon bald wurde er zu Boden gedrückt.
„Was machst du denn?“, fragte der Mann mit der rauen Stimme und drehte ihn um. Dann presste er ihm die Hände auf die Brust und rief verwundert: „Eh?! Das is ja n Kerl!“
„Das is doch total egal!“, lachte ein anderer. „Komm schon, Rammy, zieh ihn aus!“
Mit dem größten Vergnügen und einem breiten Lächeln auf den Lippen begann Rammy an Glens Knopf rum zu fummeln, währendem er diesem den Mund zu hielt. Er schaffte es. Glen kam endlich zum schreien, als Rammy ihm die Hose runter zog. „Hört auf!“, schrie er, doch da war auch schon ein anderer der Männer und hielt ihm an statt seines Kumpanen den Mund zu.
„Komm schon, Kleiner- Mach die Beine Breit!“, lachte Rammy und drückte Glen die Knie auseinander.
Glen hatte nicht die Kraft, sich gegen die Männer zu wehren. Aber noch bevor Rammy dazu kam, ihn an zu fassen, sagte eine tiefe, laute Stimme: „Lasst ihn in Ruhe.“
„Oder was?“, fragte Rammy frech und grinste eine Person an, die Glen nicht sehen konnte.
Ohne zu antworten, trat der Sprecher dem Mann, der Glen den Mund zu gehalten hatte, ins Gesicht. Der Kerl schrie und hielt sich die blutige Nase. Rammy sprang auf und zückte ein Taschenmesser.
„Verschwinde, Junge.“ Und mit einem Blick auf Glen, der versuchte, sich auf zu rappeln, fügte er hinzu: „Und du bewege dich nicht!“
„Du widerlicher, dummer...“, begann der Junge und sprang über Glen drüber, um den verblüfften Rammy mit einem gekonnt platzierten Fausthieb außer Gefecht zu setzten.
Ragel streckte Glen die Hand hin. „Geht es dir gut?“, fragte er. Glen starrte die Hand nur an. Dann setzte er sich auf und begann zu realisieren, was gerade passiert war.
„Du atmest noch ziemlich schwer. Willst du erstmal mit zu mir kommen?“ Wieder dieser Blick, der Glen so Angst machte.
„Lass mich...“, sagte er, stand auf und zog sich die Hose wieder hoch. Seine Hände zitterten so stark, dass er es nicht fertig brachte den Knopf zu schließen. Ragel wollte ihm helfen, doch Glen schlug seine Hand weg.
“Fass mich nicht an.“, brummte er und schaffte es schließlich, den Knopf alleine zu schließen. Ragel nahm ihn in die Arme.
„Reg dich erstmal ab.“, sagte er und Glen wollte sich wehren, stand aber so neben sich und war schon so fertig, dass er einfach einschlief.
Das Erste, das Glen nach seinem Erwachen sah, war ein Kamin. Ein echter Kamin und er nahm den Geruch von Schwarztee wahr. Dann kam bruchstückhaft der Rest der Szene. Er lag, oben ohne auf einem Sofa, den Kopf nach rechts gedreht und das linke Bein aufgestellt. Links vom Kamin war eine Staffelei, an der ein junger Mann stand und pinselte. Das ganze spielte in einem traumhaft großen Raum, der rustikal eingerichtet war. An den Wänden hingen Köpfe von Elchen, Hirschen und einmal sogar der eines Bären.
Der Raum gefiel Glen und es war auch schön warm, doch wusste er nicht, wie er dort hinein gekommen war.
Sein Blick fiel erneut auf den Jungen an der Staffelei und just in diesem Moment rief dieser: „Ich habe es geschafft!“ Er trat hinter der Staffelei hervor und Glen brauchte ein Weile, bis er begriff: Er war bei Ragel.
Glen fuhr hoch. „Was?!“, rief er mit aufgerissenen Augen. „Wieso bin ich hier?!“
„Dich haben doch diese Perversen Männer angegriffen, stimmts?“, fragte Ragel, wieder mit diesem Blick in den Augen. „Daraufhin bist du kollabiert und ich habe dich mit hier her gebracht. Solltest du dir Sorgen um deinen Vater machen, den habe ich mit Geld abgespeist und für den Rest der Woche gehst du nicht zur Schule, mein Vater hat das geklärt. Du bist also ganz für mich da...“
Verkauft. Vom eigenen Vater.
„Ich habe auch schon die nächste Kulisse vorbereitet. Wenn du mir bitte folgen würdest...?“
Glen blieb nichts anderes übrig, als hinter Ragel her zu laufen. Er führte ihn in einen Raum, in dem auf einem großen Podest ein Himmelbett stand. In einer Ecke des Raume befand sich eine weitere Staffelei.
„Knie dich mal auf das Bett da.“ Glen tat wie ihm geheißen, lies nur aus purem Widerwillen die Füße neben dem Körper.
„Das sieht schon ganz gut aus.“, meine Ragel mit leicht rauchiger Stimme und diesem Blick. Er kam näher und legte Glen die Hände auf die Oberschenkel.
„Lass das!“, fuhr ihn dieser an und stieß ihn weg.
„Ich will dich nur richtig platzieren. Schließlich bist du das Modell...“ Und wieder legte er Glen die Hände auf die Schenkel und bog sie langsam auseinander. Seine Hände wanderten dabei immer höher und irgendwann hielt Glen seine Handgelenke fest.
„Du bist ja ganz rot...“, bemerkte Ragel und Glen schloss die Augen. Er wusste selber nicht warum, aber auf jeden Fall wollte er da nicht berührt werden.
„Du bist süß, wenn du rot wirst...“, murmelte Ragel und kam immer näher an Glen ran. „Du bist auch... generell... ziemlich niedlich...“ Ragel küsste Glen und warf ihn Rücklinks aufs Bett.
„Lass das!“, rief Glen erneut und versuchte Ragel weg zu drücken, doch dieser war zu stark und als er begann, Glen den Hals hoch zu küssen, legte das in Glen eine Art Schalter um und er konnte sich nicht mehr wehren.
Ragel leckte Glen über die Brust und dieser bekam ganz langsam Herzklopfen.
Die Tür quietschte. „Sir Ragel, ihr Vater...“ Ragel schrak hoch. Er war errötet und atmete schwer.
Ein alter Mann mit zurück gegeelten Haaren und einem Anzug stand mit versteinerter Miene in der Tür. Auch Glen setzte sich nun auf. Der Mann verließ geradewegs wieder den Raum und Ragel drehte sich zu Glen hin. Er kam ihm so nahe, dass sich ihre Lippen fast berührten und flüsterte ihm schmeichelnde Sachen zu.
„Hör auf...“, flüsterte Glen, konnte aber ein Lächeln nicht verhindern. Er war durcheinander.
„Küss mich, wenn du willst...“, bot Ragel an und zunächst wehrte sich Glen, dann kam er aber seinem Herzen nach und küsste Ragel. Es schmeckte so gut...
„Ich... hab es wohl geschafft. Ich habe dir den Kopf verdreht...“, sagte Ragel und legte Glen die Hand auf die Wange. Glen kuschelte sich zwar in Ragels Handfläche hinein, fragte aber: „Wie jetzt... hast du mich nur verarscht, oder was?“
„Nein... aber seit ich dich das erste Mal gesehen habe... heute... in der Schule... glaubte ich, mich zu dir hingezogen zu fühlen...“
„Hör endlich auf... mir sowas peinliches zu sagen...“ Glen errötete noch mehr.
„Ragel, er hat recht... es ist ziemlich schmierig. Noch dazu bist du, genau wie er, ein Junge. Homosexualität ist nicht erstrebenswert.“ Mr Brundon war im Zimmer erschienen, neben ihm der Mann im Anzug.
„Aber, Vater- ich liebe ihn.“, erklärte Ragel und Glen drehte fast durch.
„Trotzdem- was denkst du denn, wie mein Ansehen sinkt, wenn heraus kommt, dass du homosexuell veranlagt bist?“, empörte sich der Vater.
„Das ist mir egal, ich liebe ihn und ich will einfach bei ihm sein. Es muss ja nicht groß raus kommen.“ Glen konnte nicht mehr anders und fiel Ragel von hinten um den Hals. Tränen liefen ihm die Wangen hinunter und er wimmerte: „Warum sagst du sowas? Warum magst du mich überhaupt?“
Das schockte Ragel. „Wieso ich dich mag?“, fragte er verblüfft. „Ganz einfach: Du bist hübsch und niedlich und wie ich im Nachhinein festgestellt habe, auch noch wirklich liebenswert.“
„Aber... sonst mag mich ja auch Keiner...“
Ragel drehte sich um, legte Glen beide Hänge auf die Wangen und küsste ihn auf den Mund.
„Du sollst die wieder allein sein.“, flüsterte er in einer kurzen Pause und machte dann weiter. Glen wusste nicht mehr, was er noch fühlen sollte. Er vergaß die beiden Männer an der Tür und wollte einfach nur noch Ragel gehören.
Plötzlich lies Ragel von ihm ab und stieg vom Bett runter.
„Für heute war es wirklich genug.“, sagte er und lächelte. Glen sah ihn verliebt an.
„Mach doch weiter...“ Er hatte nicht mal seine Worte unter Kontrolle.
„Nein, es ist viel zu spät. Das hier ist übrigens auch dein Zimmer.“
Das war das letzte, das Ragel zu ihm sagte, bevor er durch die Tür verschwand. Mr Brundon verließ den Raum ebenfalls, doch der andere Mann warnte Glen noch: „Du darfst dich in diesem Haus frei bewegen, aber sei deinen Grenzen bewusst.“ Auch er ging davon.
Nun saß Glen in diesem großen, leeren Raum und war mit seinen Gefühlen auf sich gestellt. Sein Herzklopfen machte ihn wahnsinnig und er wusste, es konnte nur helfen an etwas anderes als an Ragel zu denken- aber das war schier unmöglich. Ragels dunkelblaue Augen, seine kurzen, braunen Haare, seine Lippen... All das machte Glen schummrig und er wünschte, er wäre ihm nie begegnet. Vermutlich wäre auch nichts passiert, wenn Ragel ihn nicht so angefasst hätte.
Glen konnte in dieser Nacht nicht schlafen. Sein Herz poche unaufhörlich und er spürte immer wieder, wie heiß sein Gesicht war. Er war wohl puterrot. Immer wieder ertappte er sich bei dem Wunsch, Ragel zu sehen, nur bei ihm zu sein. Aber das war so unmöglich, dass er den Gedanken immer wieder fort wischte. Als es schon dämmerte, schlief Glen endlich ein.
Glen erwachte, als sein Handy klingelte. Er ging ran.
„Hey, wo warst du denn den ganzen Tag lang?“ Klee.
„Nirgendwo.“, antwortete Glen, erinnerte sich an letzte Nacht und errötete. Gott sei dank konnte man das durch das Telephon nicht sehen, dass ersparte ihm lange Erklärungen.
„Was meinst du mit Nirgendwo?!“, rief Klee empört.
„Klee, ich...“, begann Glen, doch ihm wurde verwunderlicher Weise der Hörer aus der Hand gerissen. Ragel wahr wohl schon länger im Raum gewesen.
„Glen hat zu arbeiten, also stören sie ihn nicht mit ihren lächerlichen Kindereien.“, sagte er und klappte das Handy zu. „Guten Morgen.“, sagte er zärtlich an Glen gewandt. Dieser bekam Herzklopfen und errötete noch mehr. „Morgen...“, flüsterte er.
„Hör mal, Süßer, wenn du weiterhin so verspannt bist, kannst du nie richtig mir mir reden.“, sagte Ragel, setzte sich an das Bett und strich Glen durch die Haare. „Was zum Anziehen hole ich dir auch noch.“, meinte Ragel und küsste Glen erneut. „Du glättest für gewöhnlich deine Haare... Lass das weg. So siehst du viel hübscher aus.“
„Und ich frage dich erneut: Was findest du an mir?“, fragte Glen.
„Du... bist süß... liebenswert und... keine Ahnung. Ich liebe dich einfach.“ Nach diesen Worten warf Ragel Glen wieder rückwärts aufs Bett und Und küsste ihm den Hals hoch.
„Sag nicht ständig, dass du mich liebst.“, flüsterte Glen währendem. „Wir kennen uns gerade mal einen Tag lang. Das geht viel zu schnell...“
„Dein Herz klopft doch auch bei jedem Gedanken an mich schneller, oder?“, fragte Ragel und legte seinen Kopf auf Glens Brust. „Ich muss heute noch etwas malen, sonst schmeißt mein Vater dich raus...“
„Das kommt schneller, als du denkst!“, rief Mr Brundon von der Tür her. Die beiden Jungs blickten erschrocken auf. „Ich habe die Ganze Nacht lang darüber nachgedacht, was ich tun soll und es gibt nur einen Ausweg aus dieser Krise: Er muss weg!“ Dabei zeigte er auf Glen, der total starr auf dem Bett saß, unfähig etwas zu sagen. Der Mann vom vorigen Abend erschien in der Tür und stieg auf das Podest, auf dem das Bett stand. Dann legte er Glens T-shirt auf die Matratze und ging einen Schritt zurück.
„Das kannst du nicht tun!“, rief Ragel und legte Glen einen Arm um die Taille, mit dem anderen Arm drückte er sich seinen Kopf gegen die Brust. Ragels Herz klopfte ziemlich schnell.
„Und ob ich kann. Ihr werdet drüber hinweg kommen. Liebe ist etwas relatives, das vergeht auch wieder.“, meinte Der Vater, der Butler schnappte sich Ragels Arm und zog ihn aus dem Raum.
Mr Brundon blickte Glen finster an.
„Es tut mir sehr Leid, aber du musst ihn vergessen. Ich habe keine Wahl, verstehst du? Ich würde mein gesamtes Ansehen verlieren...“, sagte er und verließ den Raum ebenfalls.
Glen berührte seine Wange spürte, dass sie nass war. Er hatte gar nicht bemerkt, dass er zu weinen begonnen hatte.
Langsam zog er sich sein T-shirt über und lief raus auf den Korridor. Er hatte immer noch nicht ganz begriffen, was geschehen war. Irgendwann traf er wieder auf den Butler, der ihn dann zur Tür begleitete.
„Ich weis, du kannst nichts dafür...“, begann der Butler. „Aber D´der Herr wünscht nicht dich jemals wieder zu sehen.“, sagte er, schob Glen zur Tür raus und schloss diese hinter ihm wieder.
Glen lief über das große Gelände, in dem einige Leute mit der Gartenarbeit beschäftigt waren und passierte das Tor. Es erinnerte alles sehr an ein Schloss, aber das nahm Glen nicht mal wahr. Er würde Ragel nie wieder sehen.
Er lief durch die Straßen Londons, mehr oder weniger. Viel mehr Lief sein Körper, seine Seele war einfach weg.
Glen taumelte gegen eine Mauer und rutschte daran hinunter. Wie konnte man jemandem nur so verfallen sein...
„Hä? Glen, was ist denn los?“ Er blickte auf und sah vor sich Clay, Zig und Jojo, die wohl alle zusammen shoppen waren, nach den Tüten zu urteilen.
„Du bist ja total verschmiert im Gesicht und dann warst du heute nicht in der Schule- Was ist passiert?“
„Das geht dich als allerletzten etwas an!“, schnaubte Glen und versuchte sich mit dem Zeigefinger die verschmierte Wimperntusche unter den Augen weg zu machen.
„Du siehst gar nicht gut aus... willst du mit zu mir kommen?“, fragte Clay, doch Glen schubste ihn reflexartig weg.
„Verschwinde! Ich will zu niemandem mehr mitkommen!“, rief er und rannte in Richtung seines Hauses.
Sein Vater öffnete ihm widerwillig.
„Was willst du hier?!“, rief er, als Glen eintrat. „Die Leute haben mir Geld für dich gegeben- das kann ich jetzt nicht mehr zurück zahlen!“
Das Haus sah schrecklich aus. Überall lagen zerbrochene Bierflaschen rum und in der Küche standen weitere 3 Kästen Bier, 1 Kasten Wodka und ein paar einzelne Flaschen Schnaps. Auf der Treppe war eine Frau erschienen. Sie trug nur Unterwäsche.
„Was will das Kind hier?“, fragte sie mit Schlafzimmerstimme.
„Er... geht bestimmt gleich wieder.“ Glens Vater lächelte sie an und blickte anschließend seinen Sohn mit eisiger Miene ins Gesicht. „Verschwinde in dein Zimmer!“, schrie er ihn an.
„Nein.“, antwortete Glen. Wieder liefen ihm Tränen die Wangen Hinunter und sein Vater kam einen Schritt näher.
„Hörst du nicht!“, schrie dieser und Ohrfeigte Glen wieder.
Glen blickte zu Boden. Ihm blieb mal wieder nichts anderes übrig, als sich dem zu fügen, was die anderen von ihm verlangten. Als er die Treppe, an der Frau vorbei, in Sein Zimmer hoch stieg, fühlte er sich benutzt, missbraucht und einfach nur leer. Dieses leere Gefühl überkam ihn in letzter Zeit öfter, doch nun war es stärker als je zuvor.
Es überkam ihn ein Schock, als Glen in sein Zimmer trat. Sein Nachtschrank war umgeworfen, seine Schranktüren raus gerissen und seine wenigen Habseligkeiten auf dem Boden verstreut. Dazu kam ein riesiges Brandloch im Teppich, das dem Ganzen einen noch verwahrlosteren Eindruck gab. „Was ist hier passiert...?“, wimmerte Glen. Er lief auf den Fleck im Boden zu und blickte hinein. Darin befand sich nichts als schwarze Asche und... einige Papierfetzen. Die Fotos. Er rannte zum Nachtschrank, riss alle Schubladen auf, doch nichts. In seinen zerstörten Schränken befand sich auch nichts mehr und die wenigen Dinge, die auf dem Boden Lagen erweckten nicht gerade den Eindruck von Bildern.
„Er hat sie verbrannt...“, flüsterte Glen und brach vor dem Brandloch zusammen. „Er hat sie alle verbrannt!“ Den letzten Satz schrie er. Diese Fotos waren das letzte gewesen, an dem er sich hätte festhalten können. Er konnte seine Mutter nicht mal anrufen, da sie um diese Zeit arbeitete.
Glen wühlte mit beiden Händen in der Asche herum, nach Überbleibseln suchend, doch da waren nur noch ein paar Ecken, sonst war nichts übrig. Dieses leere Gefühl machte ihn wahnsinnig und er kannte nur noch einen Ausweg: Er musste Klee anrufen. Er musste ihm alles erzählen. All die Jahre hatte er nur Klee gehabt. Dieser verabscheuenswerte Clay tat sicherlich immer nur so freundlich und hilfsbereit. Dabei war er wie die anderen.
Glen klappte sein Handy auf und wählte Klees Nummer.
„Was ist los?“, fragte Klee. „Ich stecke mitten in den Hausaufgaben, was willst du?“
Diese Begrüßung hatte er nicht erwartet.
„Ich... würdest du mir zuhören?“, fragte er vorsichtig, aber Klee antwortete gelangweilt: „Nee, hab gerade keine Zeit, ich ruf dich dann zurück.“ und legte auf.
Glen starrte sein Handy an. Selbst die Notlösung hatte ihn weg gestoßen. Wirklich niemand schien sich darum zu kümmern, wie er sich fühlte.
Damals, als sich sein Vater und seine Mutter hatten scheiden lassen, war seine Mutter noch Drogenabhängig gewesen. Sein Vater war zwar Alkoholiker, was seine Mutter immer wieder wiederholte, aber sie wurde nicht erhört. Der Vater bekam das Sorgerecht, die Mutter durfte Glen nur ein mal in 2 Wochen besuchen. Sie war in der Zwischenzeit von den Drogen weg, hatte sich eine gute Arbeitsstelle gesucht und lebte jetzt in einem recht guten Umfeld, aber der Vater war immer noch in dem Selben Loch wie damals und suhlte sich darin wie ein widerliches Mastschwein.
Glen wischte sich mit den ascheverschmierten Händen die Tränen aus dem Gesicht. Er sah nichts mehr vor lauter Tränen.
„Alles ist vorbei...“, murmelte er. „Warum lebe ich überhaupt noch...“
Weinend, mit Asche im Gesicht und an den Händen, nicht fähig einen einzelnen klaren Gedanken zu fassen, stand Glen auf und tastete sich die Treppe hinunter in die Küche. Dort angekommen, kämpfte er dich durch ein Meer von Bierflaschen und ging an die Besteckschublade.
Brotmesser konnte er nicht gebrauchen. Die waren zu stumpf, ebenso wie Kneibchen. Er brauchte etwas, das schnell ging... für den Anfang so schmerzlos wie möglich. Da war das Messer, mit dem seine Mutter damals immer Fleisch geschnitten hatte... es wurde schon lange nicht mehr gebraucht. Es müsste also noch scharf genug sein.
Glen wog das Messer in der Hand. Es war ziemlich schwer. Nachdem er mit dem Zeigefinger über die Klinke gefahren war, ran ihm ein ein Tropfen Blut den Finger hinunter.
„Scharf genug...“, murmelte Glen und lächelte. Er legte die Klinge auf seinen Unterarm und schnitt sich sauber ins Fleisch. Blut tropfte auf den Boden, doch das war ihm egal. Er leckte sich über den Arm.
„Das... hört ja gar nicht mehr auf...“, bemerkte Glen und starrte seinen Arm an. Dann ging er, mit dem Messer in der Hand die Treppe hoch in sein Zimmer.
Glen verließ am nächsten Morgen das Haus, als sein Vater noch schlief. Er lief durch die Straßen, ohne den Weg überhaupt richtig wahr zu nehmen.
Am Vorabend hatte er das Messer in seinen wieder aufgestellten Nachtschrank gelegt. Sein Vater würde nie merken, dass gerade das schärfst Messer im Haus weg war.
In der Schule fiel er ungemein auf. Sein Blick war leer, um seinen rechten Arm ein ziemlich blutiger Verband und er hatte es nicht geschafft, sich die ganze Asche aus dem Gesicht zu waschen. Er sah ohnehin schon bleich aus. Aber das Grau der Asche lies ihn richtig fahl wirken und seine geknickte Haltung machte diese Eindrücke auch alles andere als wett.
„Was ist den jetzt schon wieder?“, stöhnte Klee auf, als er Glen sah. „Du siehst richtig dick scheiße aus.“
„Nichts weiter.“ Glen vermied es, ihn an zu sehen. Klee war das egal. Er drehte sich um und lief zu Finlay rüber, der ihn sofort mit einer Geschichte bombardierte.
Clay hatte schon öfter zu Glen rüber geblickt. Zig und den anderen war es wie immer egal, was mit ihm los war, aber Clay wirkte echt besorgt.
„Alles nur Fake...“, murmelte Glen, doch bevor er noch einmal zu Clay rüber gucken konnte, stand dieser auch schon vor ihm.
„Was ist los?“, fragte er zaghaft. „Du siehst schlecht aus. Geht es dir nicht gut?“
„Es ist nichts.“ Es wunderte Glen, wie dünn seine Stimme war. „Verpiss dich.“
„Nein, das werde ich nicht tun.“, sagte Crimson mit Nachdruck. „Ich sehe doch, dass etwas mit dir nicht stimmt.“
„Es ist aber alles in Ordnung!“, rief Glen, aber es klang fiel mehr wie ein Hilfeschrei. Er hatte seine Stimme wieder mal nicht mehr unter Kontrolle. Als Glen weglaufen wollte, hielt Clay seinen Arm fest.
„Ich will nur wissen, was los ist!“, rief er.
„Hör auf, du tust mir weh!“, schrie Glen. Clay hatte begonnen, den Verband ab zu wickeln. „Das... das war ein Unfall! Ein Missgeschick! Ich habe...“, versuchte Glen zu erklären, aber Clay unterbrach ihn. „Du hast dich geritzt. Das kann man erkennen.“
Und wieder liefen Glen Tränen die Wangen hinunter. Klee hätte sowas nie bemerkt, aber Dieser bescheuerte, dumme, hässliche, billige Clay hatte auf ihn geachtet. Er wollte ihn vermutlich nur peinigen.
„Lass mich endlich los!“, schrie ihn Glen an, doch Clay hielt ihn nur noch fester.
„Nein, wir gehen jetzt ins Sekretariat. Dann bekommst du eine richtige Wundbehandlung! Danach gehst du nach...“
„ICH WILL NICHT NACH HAUSE!“ Alle in der Pausenhalle drehten sich um. „Das ist der letzte Ort, an den ich gehen will...“ Nein, dachte Glen, ich habe zu viel gesagt...
„Warum willst du nicht nach hause?“, fragte Clay und ließ Glen los.
„Lass mich... einfach in Ruhe...“, wimmerte dieser und wickelte sich den schmutzigen Verband wieder um den Arm.
Der Unterricht verlief ziemlich belanglos, wie jeden Tag. Er wurde zwar von einigen Lehrern auf das Fehlen des letzten Tages angesprochen, aber er antwortete auf alle Fragen nur mit „Ich war krank.“
Niemand sonst sprach ihn auf den Verband an. Ein paar andere tuschelten über ihn, doch er ignorierte sie so gut es ging. Aber diese Leere ein seinem Kopf breitete sich immer weiter aus.
Als er nach Hause kam, schrie ihn sein Vater an: „Du verdammtes Stück Dreck, was hast du wieder gemacht?!“ Er deutete auf eine Stelle an der Wand, an der die Tapete abgerissen war. „Das machst du sofort wieder weg!“ Er schubste Glen ein Stück weiter ins Haus und knallte die Tür hinter ihm zu. Glen stellte seine Tasche ab und begann, das Stück Tapete mit Klebstoff wieder fest zu kleben.
Er fühlte sich wie immer benutzt.
Und die Leere breitete sich weiter aus.
Die Nacht brach an und Glen hatte den Tag damit verbracht, in seinem Zimmer zu sitzen und die kahle Wand an zu starren. Er atmete tief durch.
„Ich will das alles nicht mehr.“, murmelte er und nahm sich das Messer aus seinem Nachtschrank. Dann setzte er die Klinge etwas weiter über der Wunde vom Vorigen Abend an und schnitt sich erneut ins Fleisch. Es blutete wieder wie verrückt, aber Glen merkte, dass er den Schmerz zu genießen schien.
„So kann das doch nicht weiter gehen...“, murmelte er, lies seinen Arm sinken und lies das Blut auf Hose und Boden tropfen.
„Ich weis...“ Wie ferngesteuert lief Glen dir aus seinem Zimmer und die Treppe hinunter. Sein Vater sah sich eine Comedy-Show im Fernsehen an und lachte laut. Ohne etwas zu sagen, verließ Glen das Haus und ging in die Garage. Darin befand sich ein Schrank, lange unberührt, mit Gartengeräten. Glen öffnete den verrosteten Schrank und besah sich die Geräte. An einem Nagel an der Rückwand hing ein dickes Seil. Glen nahm es sich und verließ die Garage.
Er musste zum Park. Dort befand sich ein großer Baum, mit vielen Ästen. Auf dem Weg machte er in eine Seite des Seils eine Schlaufe.
Dort angekommen stellte er sich vor eben den Baum. Ihn verließ der Mut. Aber er konnte nicht mehr zurück. Wenn er es nicht heute Nacht tat, würde er es in der Nächsten tun. Er stieg auf einen Ast des Baumes und versuchte, das Seil mit dem schlaufenlosen Ende an einen höheren Ast zu hängen, aber seine Arme waren zu kurz.
Zu ungefähr der Zeit, in der Glen auf halbem Weg zum Park war, klingelte Ragel an Glens Haustür. Der Vater öffnete.
„Huh?“, machte er und blickte Ragel abfällig an. „Was willst du?!“
„Ich... ist Glen zu sprechen?“, fragte Ragel und machte sich automatisch etwas kleiner.
„Nein. Der is gerade weg gegangen.“, antwortete der Vater gleichgültig. „Verschwinde.“
„Wo ist er denn hin...“ Er knallte Ragel die Tür vor der Nase zu.
„Was war das denn...“, murmelte dieser verwundert und lief die Straße in irgendeine Richtung entlang.
In Filmen ging das einfache Volk, wenn es allein sein wollte, immer in den Park oder ans Meer und manchmal auch auf einen einsamen Spielplatz. Ragel wusste, dass sich in dieser Gegend ein Park befand. Das war sein nächstes Ziel.
Glen kletterte noch einen Ast weiter hoch. Er musste es schaffen, irgendwie diesen einen Ast zu erwischen, aber er konzentrierte sich nicht richtig darauf, was er tat und rutschte auf den Ästen ab. Dabei riss er sich die Hose auf. Sein Knie blutete, aber er nahm es kaum wahr. Wird es wehtun?, fragte er sich ständig. Was passiert mit mir, wenn es vorbei ist? Komme ich dann in eine bessere Welt? Ist das vielleicht der Weg, den jeder früher oder später gehen muss?
Glen erreichte den Ast. Er schwang das Seil um das Holz und machte einen festen Knoten. Das musste halten. Als er so dastand, die Schlaufe in den Händen, fiel ihm ein, dass er die Garage offen gelassen hatte. Er lachte. Jetzt das war ja egal.
Ein Mann lief durch den Park. Glen rührte sich nicht. Ein falscher Ton und er würde entdeckt. Der Mann telefonierte hektisch mit einem Geschäftspartner. „Ah- liegen die Koalitionen dieses Jahr richtig? Das ist gut- ja! Dann schaffen wir es noch! In spätestens 2 Monaten haben wir es auf den Markt gebracht...“
Auch, wenn Glen nicht mehr da war, würde die Welt sich weiter drehen. Alles würde seinen Lauf nehmen, niemand würde sich darum scheren. Wie bei einer lästigen Fliege, die man mit einem Lexikon erschlägt.
Als der Mann außer Reichweite war, legte Glen sich die Schlaufe um den Hals. Wieder fragte er sich, ob es schmerzen würde. Seine Haare wehten im Wind. Hatte er etwas vergessen?
Ja, habe ich, dachte Glen. Ich muss nochmal an Ragel denken, bevor ich sterbe. Vielleicht verhindert das den direkten Weg in die Hölle.
Ragel stand in einer Sackgasse. „Scheiße!“, fluchte er. „Wo bin ich hier überhaupt?“
Er lief zurück auf die Straße und sah sich um. Weit und Breit kein Baum, nichts als langweilige Hochhäuser. Er lief die Straße entlang, mehr oder weniger Ziellos und suchte nach einem Fleckchen Grün. Da sah er es, das Blätterwerk eines riesigen Baumes. Er rannte auf die Stelle zu.
Ragels Haare, seine Augen... selbst diesen Blick würde er vermissen. Aber sollte es wirklich weiter gehen, würde er das alles so wie so vergessen. Aber er wollte es nicht vergessen. Das waren bis jetzt seine wertvollsten Erinnerungen. Sie erwärmten sein Herz und er war fast dabei, wieder vom Baum zu steigen, aber er fasste sich wieder. Er schloss die Augen und lies einen Fuß vom Ast rutschen. Noch ein mal Atmen... Vielleicht noch ein zweites mal... ein drittes mal wäre auch nicht schlecht... So stand Glen ein paar Atemzüge lang da, bis er sich selbst einen Ruck gab, noch einmal tief Luft holte und dann mit dem noch auf dem Ast stehenden Fuß In die Knöchel ging. Ausatmen. Glen sprang im hohen Bogen vom Ast. Seine Hände umklammerten wie von selbst die Schlinge an beiden Seiten, sein Körper wehrte sich gegen den Tod. Glen würgte.
Ragel rannte die Straße entlang und in den Park hinein. Er blickte sich um. Glen schien nicht hier zu sein, aber... was war das? In diesem Moment erschallte kurz ein leises Gurgelgeräusch. Ragel Blickte etwas höher umher und sein Herz blieb fast stehen.
Glen hing mit einem Seil um den Hals an einem Baum, mit den Füßen zappelnd und die Hände krampfhaft um die Schlinge geklammert.
„GLEN!“, schrie Ragel. Glen reagierte nicht. Ragel sprang, so schnell es seine Rhetorik erlaubte, von Ast zu Ast, um an Glen ran zu kommen. Ein Ast war voll mit Fußabdrücken. Von da aus musste er gesprungen sein. Ragel dachte darüber gar nicht erst nach, sondern stieg auf eben den Ast und hob Glen an, sodass dieser wieder einiger Maßen atmen konnte. Dann holte er ein Taschenmesser aus seiner Hosentasche. Gott sei dank hatte er es gebraucht, um von zu hause weg zu laufen. Er schnitt das Seil an einem recht hohen Punkt ab. Dann nahm er Glen sicherer und krabbelte ganz vorsichtig den Stamm hinunter. Am Boden angekommen legte er Glen auf die Erde. Tränen liefen ihm die Wangen hinunter, als er ihm die Hand auf die Brust legte. Kein Puls. Er drückte ein Wenig. Immer noch nichts. Dann fiel ihm ein, dass sich das Herz auf der linken Seite befand. Ein ganz schwaches Klopfen ging von Glens Herz aus. Ragel atmete auf. Er musste die letzte Minute lang die Luft angehalten haben.
Da fiel ein Schatten auf ihn.
„Hat er sich endlich aufgehängt?“ Das war Glens Vater. „Wurde auch langsam mal Zeit.“
„Was hat das zu bedeuten?“, fragte Ragel empört.
„Ich wusste schon lange, dass er depressiv war. Lebt er überhaupt noch oder hat er zur Abwechslung mal was richtig gemacht?“
Ragel klappte die Kinnlade runter. „Wie können sie so etwas sagen?!“, schrie er ihn an. „Das ist schließlich ihr Sohn!“
„Mein Sohn? Pah. Das ist wohl eher meine Tochter, so wie der sich aufführt. Mit Mädchen kann ich nicht umgehen, genauso wenig wie mit Schwuchteln. Und nochmal die frage, Lebt der noch oder isser schon tot?“
„Er lebt! Er hat es auch verdient, im Gegensatz zu ihnen!“ Ragel sagte einfach, was er dachte, ohne nach zu denken. Der Vater zögerte auch nicht. Er holte aus und trat Ragel gegen den Bauch. Dieser spuckte Blut und presste sich beide Arme gegen den Magen.
„Du verdammte Drecksgöre! Was hast du mit diesem... diesem Ding zu schaffen?!“
Wie dieser Mann von seinem Sohn redete. Als wäre er ein Stück Dreck.
„Ich...“, begann Ragel. „Ich... BIN SEIN GELIEBTER!“ Der Vater starrte ihn an.
„Was hast du da gesagt?!“, rief er erzürnt. „Du bist genau so eine Schwuchtel! Nur bei dir muss ich keine Angst vor dem Jugendamt haben!“ Er trat nochmal zu. Ragel bewegte sich nicht mehr. Er achtete auf jede Bewegung des Vaters. Dieser blickte noch ein Mal auf seinen Sohn herab, lachte und ging aus dem Park.
Ragel klappte sein Handy auf. Er wählte die Nummer des Chauffeurs, der konnte Glen und ihn mitnehmen. Sein Dad würde nicht anders können, als Glen von seinem Vater zu befreien, sonst stünde er noch schlechter da.
Der Mann ging ran. „Ja? Junger Herr, was kann ich für dich tun?“
„Howard, ich brauche sie! Kommen sie zu diesem kleinen Park... sie wissen schon wo!“
„Ich bin sofort da.“, antwortete Howard und legte auf.
Ragel entspannte sich. Das tat gut. Immer noch lief ihm Blut aus den Mundwinkeln. Er dachte an Glen. Sein Gesicht, als er erwacht war und ihn gesehen hatte. Total verliebt. Und Glen lebte. Er atmete und sein Herz schlug weiter und... Ein Käfer fuhr vor den Parkausgang. Ein Mann stieg aus,der die Uniform eines Chauffeurs trug.
„Was ist denn mit ihnen passiert, junger Herr?“, fragte Howard und kam näher.
„Erzähle ich ihnen alles später, wenn Vater dabei ist... tragen sie erstmal ihn in das... Mit was sind sie denn her gefahren?“
„Ach... das... das ist mein eigenes Auto. Die Limousiene hätte zu viel Aufsehen erregt.“
Howard hob Glen an und als er den Bewegungslosen Jungen zum Auto trug, wurde Ragel ziemlich eifersüchtig. Er selbst hätte Glen gerne so getragen. Seine Gedanken schweiften ab und als Howard ihn hoch heben wollte, fragte dieser: „Warum sind sie denn so rot?“ Ragel schrak aus seinen Träumereien hoch.
„Ähm... Nichts. Howard, auf direktem Weg nach hause bitte.“
Howard trug auch Ragel ins Auto und fuhr los.
Im Haus erzählte Ragel seinem Vater und einigen Hausangestellten, was passiert war.
Glen erwachte und sah Ragels Gesicht. War er im Himmel? Ja, es konnte nur der Himmel sein. Alles war so hell und einladend. Er musste auf Wolken liegen, so weich war sein Untergrund. Wenn er im Himmel war, konnte er sich ja ganz Ragel hingeben... Also legte er ihm die Arme um den Hals und küsste ihn. Er liebte Ragel einfach. Dabei hatte er gedacht, nach dem Tod folgt nichts mehr.
„Ich bin so froh, dass du noch lebst...“, murmelte Ragel. Hä? Was? Ich lebe noch?, wunderte sich Glen und blickte Ragel tief in die Augen.
„Ich lebe noch...?“, fragte er langsam.
„Ja, du hast sogar sozusagen ein zweites Leben bekommen!“, sagte Ragel glücklich und lachte. „Mein Vater hat den deinen vor das Jugendamt gestellt! Du kommst entweder zu deiner Mutter oder zu uns und... alles wird gut.“ Glen glaube gar nicht, was er da hörte. Nach ein paar Minuten, in denen er das verarbeitete was er gerade gehört hatte, fiel er Ragel um den Hals, wobei er ihn umwarf. „Ich liebe dich.“, sagte Glen und küsste ihn. „Ich liebe dich einfach nur... da gibt es nichts anderes mehr zu fühlen!“
„Sie... Akzeptieren das so... Sir?“, fragte der Butler, als Mr Brundon mit ihm in der Tür stand und dem Treiben seines Sohnes zusah.
„Mir bleibt nichts anderes übrig... wenn er etwas haben wollte, war er schon immer sehr stur.“, antwortete Brundon und lächelte. „Anderer Seits war er immer so... verschlossen und bei allem desinteressiert. Ich bin froh, ihn so glücklich zu sehen.“
Der Butler lächelte. Naja, dachte er. Mir solls recht sein.
Tag der Veröffentlichung: 03.07.2010
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