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Er stand auf dem Berg, dort wo es hell war und das gleichgültige Gleißen des heißen Tages alles mit seinem lähmenden Atem umschlang und an sich band. Das dichte Flirren des wallenden Lichtes ließ hier nichts so, wie es wirklich war, sondern formte es nach seinem Bilde neu, sodass alles ebenso klar und offensichtlich war wie die Helligkeit selbst. Nichts konnte sich verstecken, nichts konnte flüstern und nichts war fähig zu verstehen.

Er sah hinab in das Tal, in dem er das erste Dämmern des nahenden Abends zu erahnen schien. Aber das grelle Brennen des Lichtes machte ihn beinahe blind. Die Hoffnung war ihm fast fremd geworden und er glaubte schon nicht mehr daran, dass sie überhaupt noch existierte.

Doch da trat sie aus dem Wald der schlafenden Schatten zu ihm, mit feuchten Füßen, die das kühle Moos des Grundes sachte streichelte; sie kam langsam auf ihn zu und mit ihr senkte sich eine junge, zerbrechliche Nacht schüchtern über das verbrannte Land; bedächtig blickte sie ihn an und benetzte seine trüben Augen mit dem Tau der Finsternis, damit sie endlich aus dem tauben Taumel des Tages erwachten und sie erkennen konnten.

"Wer bist du?", waren seine erstickten Worte, die er in die schwere Wärme hauchte, ohne sie selbst zu vernehmen.

"Ich bin die, die du vermisst hast", sprach sie zu ihm wie ein Schwall aus befreiender Düsternis, "ich war all die Zeit bei dir, doch du konntest mich nicht sehen; ich bin die, die du gesucht hast; ich habe mich vor dem Tag gefürchtet wie du selbst, doch nun kehrt die Dunkelheit wieder und lässt mich leben; ich bin die, die du erschaffen hast; ich bin die Nacht in deiner Seele, die jetzt von Neuem wachsen kann, weil du mir begegnet bist. So werde ich dich nicht verlassen."

Da entschwand das letzte rote Himmelsfeuer der sinkenden Sonne und gewährte der Welt des Verborgenen ein weiteres zitterndes Leben, das zaghaft sich entfaltete im schummrigen Schweben der lau flüsternden Luft; und endlich schaute er in ihr mildes Gesicht und erkannte, wer sie war.

"Warum nur habe ich dich vergessen?", fragte er voll Schmerz.

Doch ihr Lächeln kühlte das glimmende Fieber seiner Gedanken: "Der Tag ist viel zu heiß, als dass ihn ein bunter Schatten überstehen könnte. Genesen wirst du nun in der Nacht, denn sie ist so wie du, ein unergründbares Geheimnis, das immerfort wundervoll wispert, ein wogendes Meer sich sehnender Geschichten, von denen ich diejenige bin, die dich trägt, auch wenn es hell ist um dich herum und du nichts sehen kannst; denn solange du hoffst, werde ich leben; doch du hoffst so inniglich, dass mein Leben einzigartig ist, unendlich gefühlvoll und unfassbar finster. Selbst wenn deine Erinnerung im fahlen Morgen schwindet, werde ich dich wiederfinden, sobald die Sonne sich wendet, denn ich bin die Letzte, die je von dir fortgehen wird."

Und die Hoffnung lebte in der Nacht.


Impressum

Texte: (C) 2013 Andreas F.
Bildmaterialien: Coverbeabeitung (C) 2015 Caro Sodar, Coverfoto (C) Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 04.03.2013

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