Kinski sitzt auf seiner Yacht namens „Clowdy Britain“ und träumt...
Das Segelboot war in die Jahre gekommen, genau wie er so sicher wie das Amen in der Kirche mittlerweile in Richtung Midlife Crisis zusteuerte. Es war immer noch der größte „Kahn“ am Bodensee, der südlichsten Provinz Deutschlands, ein Schiff ganz aus Mahagoni Holz getäfelt, für mindestens zehn Personen, einschließlich der Kajütenplätze unter Deck ausgelegt.
Kinski hatte einen Faible für alles Britische. Ob es nun sein alter Mini Cooper in klassisch Racing Green war oder sein Triumph, der in der Garage auf ein neues Face Lifting hoffte. Besonders gefiel ihm auch der Union Jack. Die Flagge, welche überdimensional groß am Heck des Schiffes thronte.
Der Segler sah wirklich schnittig aus, aber hier und da bröckelte dezent der Lack - und an manchen Stellen war dieser einfach nicht mehr ganz dicht. Wie Kinski eben!
Aber es war sein Boot, dass er sich nur gelegentlich mit seinem Vater teilte. Der alte Herr hatte die letzte Zeit nur noch wenig Interesse an seinem Spielzeug gezeigt. Lag wohl daran, dass einige kostspielige Reparaturen fällig geworden waren, die der Vater natürlich gönnerhaft gern dem Sohn überließ.
Kinski liebte den Segel Sport, symbolisierte er doch für ihn die Einfahrt in die Prachtstraße namens „Freiheit“. Bei der Reise durch den Alltag und die Wirren des Lebens brauchte man einfach eine verlässliche und schöne Begleitung.
Mit einem für ihn typischen spitzbübischen Lächeln um den Mundwinkeln herum lehnte er gechillt an der Reeling steuerbord und zog bedächtig an seiner selbst gedrehten Zippe. Den starken, blauen Dunst natürlich! Was sonst??? Freiheit war schließlich nichts für die heute so beliebten Lifestyle ‘Light’ Luschen. Er lebte und liebte das Drama! Den Stoff aus dem Shakespeare’s Helden geformt sind !!
Hier war unser Fährmann der Kapitän seines Lebens, während da draußen auf dem Meer des Alltags die Wellen der Sehnsucht, die des täglichen Überlebenskampfes und unerfüllten Wünsche tobten.
Gerade die meter hohen Wellen namens „Frauen“ ließen ihn und seine Yacht über die Jahre hinweg durch die Gischt der Liebe oft an felsigen und undurchsichtigen, scharf-zackigen Klippen vorbeischiffen. Bei manchen dieser „Bermuda-Dreiecken“ tobte wahrlich die Brandung. Bei anderen bewegte sich das Boot in der Windstille der Erinnerungen aber auch so gar nicht vom Fleck. Ein ganz grauer Fleck aus seiner Vergangenheit hieß zum Beipiel Hergard – ein Name wie eine lahme, langweilige Neufundländer Deck Stute. Die Engländer würden dazu sagen: just forget it.
Mensch, was hatte er schon alles durch die Weiber erleben dürfen ?! Frauen - ein Buch mit sieben Siegeln damals - genauso wie heute. Aber - wie in jedem zweitklassigen Groschenroman, den je ein Menschenleben schrieb, gab es auch „DIE EINE“ - und sonst keine. Zwanzig Jahre hatte er nur einen einzigen Gedanken gehabt - wie zum Teufel erobere ich - Anna...!
Kinski selbst war ein stattlicher, gut aussehender Bursche, großgewachsen, charmant mit großen, blau-grünen, klaren, wachen Augen. Einer von jenen blonden Hünen aus dem hohen Norden, die einen durchdringend, fragend und gleichzeitig aufgeweckt und natürlich abgrundtief neugierig durchbohren konnten.
Sein Körperbau war schlank und sehnig in der Statur. Wenn er nicht gerade mal wieder einen ordentlich über den Durst kippte und zugleich dem guten Essen frönte, fraß er Tafel weise Schokolade, ohne auch nur ein Hundertstel Gramm zuzulegen. Unverschämtheit!!
Das einzig wirklich kräftige an ihm waren seine Unterarme, die schon so manchen Freund aus der Patsche gezogen hatten - und sein durch französischen Rotwein, mit Vorliebe Bordeaux, angefeuertes impulsives Herz. Gelegentlich, damit seine Britannien Treue erhalten blieb, genehmigte er sich auch den einen oder anderen Gin. Kurzum, keiner wusste so genau wie viel Treibstoff der alte Segler nun tatsächlich schluckte.
Natürlich stand auch heute wieder eine Pulle direkt neben ihm. Wenn ihm auch alles durch Zeit und Raum vergänglich schien, ein gut gereifter Wein war in seiner Lieblichkeit so beständig wie die Weinberge der Auvigne oder ein Landschaftsgemälde von Monet.
Es war ein wunderschöner, warmer Sommertag im Juli. Der Himmel strahlend blau, nur hier und da eine kleine Schäfchen Wolke und die Sonnenstrahlen reflektierten auf der glatten Oberfläche des Seees wie ein Spiegel. Schon seit einigen Stunden war es absolut windstill gewesen. Das einzige was sich bewegte war der Rauch seiner Zigarette. Weit und breit war auch kein einziges Schiff zu sehen. Klingt unwahrscheinlich? Ist es normalerweise an diesem Touristen verseuchten Ort auch. Aber heute war der Tag des Fußball-Endspiels Deutschland gegen die Türkei. Und da allein dieses Erlebnis alle „normalen Leute“ in einem Ausnahme Zustand versetzte, daher nicht sonderlich verwunderlich.
Ganz Deutschland saß in diesen Minuten, die Türen und Fenster verrammelt, vor der Glotze und befürchtete den III. Weltkrieg, sollten die Türken gewinnen. Allah ist gütig, Allah ist groß!
Das einzige aber, was sich hier draußen auf dem See bewegte, war er selbst. - Kinski machte sich nichts aus Fußball, die einzige Sportart, die ihn locken konnte war das „Pferderennen“. Genauer gesagt, die damit verbundenen Wettbüros und das „Viewing“ der Möchtegern Ascot Schicksen. Wenn man Glück hatte erblickte „Mann“ bei manchen Rennen eine Mustang Stute, aber an den meisten Tagen jedoch waren es eben nur „Neufundländer“, welche die Szenerie rund um die Rennbahn ausmachten. Seine feurige Stute war eh die Schönste!! Ach Anna, Anna Belle - du bist so herrlich unkonventionell....tja, sie war so gut - und machte seine heile Welt kaputt!!
Während er seicht und voll des mundigen Weines so vor sich hindämmerte, tat es plötzlich einen wahnsinnigen Ruck. Flash, Boom, Zoing!!! - die Pulle Rotwein ging sofort über Bord und Kinski um Haaresbreite fast hinterher. Was war das denn ?!?
Wie vom Donner getroffen sprang er auf, um zu sehen was zum Teufel überhaupt los war. Er blickte auf die Stelle des sich nun vor ihm aufbrechenden Seees, woher die Erschütterung gekommen war - und traute seinen Augen nicht. Vor ihm baute sich schemenhaft ein schwarzes, riesiges Untier auf, was zunächst so aussah, wie die Rückenflosse eines Wales. Komisch, soviel hatte er ja nun auch nicht gesoffen, Wale im Bodensee - ob das noch die Kiff-Rückstände der letzten durchzechten Nacht mit seinen Kumpels gewesen waren....äh, öh, wie unangenehm?!
„Da...die...da....das gibt es doch gar nicht !!!“. Langsam wurde erkennbar, um was es sich eigentlich handelte, da das Ding immer größer wurde und sein Schiff eine merkliche Schräglage annahm: ein U-Boot? - WOW.
Was für ein komischer Film? Kinski stand genauso da wie Henry VIII. in Madame Tussaud`s Wachsfigurenkabinett. Mit schreckgeweitetem, bleichem und unbeweglichem Gesicht, aber senkrecht!
Quietsch, ratter, schepper, schraub...
Da ging mit lautem Getöse die Klappe auf und heraus lugte ein bärtiges, ungepflegtes Etwas, genauer gesagt ein faltiger Kerl, mit einem Rübezahl Bart, kurz rasiertem Haaren (heute würde man sagen, im stylishen Britney-Look) und kantigem, von Wind und Wetter gegerbten Gesicht mit einem französischem Barrét auf dem Kopf.
„Äh, qu’est-ce que c’est? Alors, merde, cet horrible bateau ca me nerve, ca me fait malade“! - Ein Geschrei begleitet von Spuck Lauten und einem missmutigen Gesichtsausdruck bot sich Kinski dar.
„Äh, bonjour Monsieur“. Zunächst folgten beiderseitig ungläubige Blicke. Der Franzose erblickt die Backbord-Seite von Kinskis Schiff und schaut geradewegs auf die englische Flagge. Er stammelt in krächzendem Blech Ton: „Äh, cääään yu tell mieee, watt is ce merde ċa“??
Öhmt. Kinski rang um Fassung und räusperte sich. Aber ganz Gentleman, und immer wieder gerne Sonntags unterwegs, näselte er in astreinem Schulfranzösisch: „Pardon Monsieur, je m’appele Kinski et vous etes au mieux du Lac de Constance, et qu’est ce que vous faites ici??? Je ne suis pas Anglais, je suis Allemand. » „Ah bien, un boche“.
Der U-Boot Hooligan kratzte sich unflätig am Kopf und sprach weiter „Et bon, da bin ische abäh froh, habe isch schonä gedachtä, abe ische angebümst eine schwüle Engländäää!!!“
Jetzt mussten beide Haudegen erst einmal kräftig lachen, wobei aber Kinski schon leichtes Augen Zucken, hinsichtlich der komischen Situation und der mit Sicherheit bald bevorstehenden Eintreffen der Wasserschutzpolizei hegte.
Die für den feucht-fröhlichen Vorabend typische Kiffer-Paranoia überkam ihn. Komisch - wie war so etwas überhaupt möglich? Konnte doch tatsächlich irgend so ein kaputter Idiot mitten im See mit einem U-Boot unbehelligt auftauchen? Kinski verstand die Welt nicht mehr. Was machte der Kerl hier, wie kam er mit diesem Ungetüm überhaupt in den See - ja, und schlimmer noch - wie konnte der Typ wieder unbehelligt seines Weges ziehen? Wenn die Polizei hier auftaucht, Helikopter, Menschenmassen und, und, und. Fragen über Fragen durchfluteten Kinskis Hirn.
Noch bevor er irgendwie weiterdenken konnte übernahm der Franzose das Wort. „Oh pardon Monsieur, darf ische mich vorschtellen, ische eiße Antoine Vendu und ich muse geschtähen, es ischte mir äußerste peinlisch, weil es ist mir widerfahren diese böse Fähler. Aber isch war unterwegs von Strassbourg, wo ich wohne, promenieren so über die Rhein unde unterwägs gerade vorher ist mir perdu gegangen die genaue Aussicht von die Periskop. So, dass ist passiert. Nun als ich Sie angebümst abbäh, weil da war alles von mir schwarz für eine Augenblicke. Wenn ische bin wieder daeim unde ische werden von diese diable „Camille“, kriegen meine noch restlichen Öro, ische werde das Periskop sofort wieder machen ganz.
Wie isch aber sähä, ist ihrem schönen bateau nix passierte. Mon dieu, quel disastre, habe ische doch gehabte die bonheur in die malheur. Mein Freund darf ich Sie einladän auf eine Bouteille Absinth, parlieren über mon histoire und vielleicht Sie werden mich verstäh n!“
Tja, Kinski hatte ja gerade nichts anderes vor und irgendwie gefiel ihm dieser komische Kauz. Nachdem er sich schnell nach allen Seiten umgedreht hatte, ob auch ja kein anderer Segler, geschweige denn die Wasserschutzpolizei in der Nähe war -aber auch die saßen wohl auch alle geschlossen vor dem Bildschirm- inspizierte er nochmals die angefahrene Seite seines Bootes.
Tatsächlich nichts passiert! Die Bojen und Schwimmreifen hatten den Stoß gut abgefangen und waren - wenn auch auf eine höchst merkwürdige Art- nun doch zum erstmaligen Einsatz gekommen. Es gibt Momente im Leben, da macht sich Ordnung tatsächlich bezahlt!
„Ah, Monsieur, darf ische vorschlagen, dass ische komme toute suite auf ihr Boot, après ische gegangen bin wieder mit die „Archimède“ unter Wasser, weil das ist mieux assuré vor die Poliypen. Ische habe die spezielle Taucheranzüge noch von die II.ième guerrè und ich werde gehen hier vingt metres unter die Wasser. Äh machte nixe, kann gut schwimmen und nous serons avoir du temps à parler.“
„Gut, ich warte“, erwiderte Kinski, „aber wir müssen uns beeilen, in einer knappen Stunde wird auf dem See wieder die Hölle los sein.“ Mein Gott, was für eine Schnapsidee mit dieser Blechtonne durch den Rhein zu schippern! Archimède, so hieß das U-Boot also - griechisch - auch das noch! So verheißungsvoll wieder der Untergang Trojas.
Quietsch, Schraub, Schepper.
Die Klappe von diesem Ungetüm, schätzungsweise acht Meter lang, schloss sich genauso schnell wieder wie sie sich geöffnet hatte und mit ihm verschwand unser kauziger Freund. Brodel, brodel, ratter, weg glucker. Das U-Boot begann sich langsam abzusenken.
Kinski musste sofort eine rauchen. Wie lange würde dieser Kauz wohl brauchen um an die Oberfläche zu tauchen und was mochte das wohl für eine Taucherausrüstung sein, die ihn sicher wieder an die Wasseroberfläche bringen sollte? Endlich bekam sein Hirn in diesen Minuten wieder Futter. Was das wohl für ein U-Boot sein mochte und warum fuhr einer in einer Metall Gurke durch die Unterwasser Welt? Na, ob der Kerl vielleicht was auf dem Kerbholz hat und sich verbergen muss? Ah, halt - der erwähnte doch diesen Namen - Camille und irgendwie schien die Dame ihm wohl noch Geld zu schulden. Mhm, komisch, manche Geschichten kommen einem so bekannt vor als wäre es die eigene!
Wahrscheinlich wieder einer dieser obskuren Scheidungsfälle, wie Kinski sie gerade zuhauf in seinem Freundeskreis erleben durfte. Untertauchen im Jahre 2004 - pah! Würde Jules Verne noch leben, hätte dieser sich die Haare gerauft, dass einer seine merkwürdige Nautilus-Geschichte tatsächlich realisiert. Nichts ist unmöglich.....
Von dem U-Boot war keine Spur mehr zu sehen. An dieser Stelle hier barg der Bodensee seine Untiefen, es dürften ca. 80-100 Meter Wassertiefe sein. Wie dunkel und kalt es dort unten auf dem Grund wohl sein musste - wie in einer Gruft. Puh, wie gespenstisch!
Um keinen Preis der Welt wollte Kinski mit ihm tauschen. Mein Gott, er würde schon an der Wasseroberfläche in dieser Röhre Platz Angst bekommen! Er schaute auf seine Uhr. Fossil natürlich. 20 Minuten waren jetzt vergangen - von Antoine noch immer nichts zu sehen.
Da! Cirka 10 Meter vom Segelschiff entfernt, stiegen kreisrund unzählige Luftblasen auf, das Wasser brodelte und zischte. Ah! Erkennbar waren aber zunächst nur zwei riesige Sauerstofftanks und irgendwas glitschig Aussehendes zappelte daran. Das konnte wohl nur Antoine sein !
Kinski staunte nicht schlecht. Der Kerl war für sein Alter ganz schön fit und flink. Einen Kopf kleiner als er, aber genauso sehnig und drahtig. Erinnerte ihn irgendwie an eine Sardine. Kinski beugte sich über die Reling, um seinen neu gewonnen See Kameraden aus dem Wasser zu ziehen.
Antoine schüttelte sich, riss die Tauchermaske vom Gesicht und grunzte: „Uff, tout est bon. Premier, wir werden trinken auf unsere Rendezvous“. Er zog an dem Reißverschluss seines Taucheranzugs der, nebenbei bemerkt -aussah wie ein platt gefahrener Goodyear Reifen- und zog aus dem Schritt eine Flasche Absinth hervor.
„C’est absolutement froid, est-ce ne pas bon, äh“?! Antoine griente über beide Backen. Erst jetzt fiel Kinski auf, dass ihm der rechte Schneidezahn fehlte. Der Haudegen bemerkte Kinskis neugierigen Blick, aber meinte nur „ eh voilà, das war meine Camille, sie ist parfois eine Femme Fatale et mon amour fou“. Aber sie ist heiß in die Bette comme le chauffage carbonnière von die Titanic.“ Aha. Na dann :„ A votre santé!“!
Es war Kinski schleierhaft wie so ein alter Knacker überhaupt noch an Sex denken konnte. Wahrscheinlich geht es auf Französisch doch in allen Lebenslagen einfach unkomplizierter!
Nachdem Antoine seine Taucher Flossen und den Anzug vollständig abgelegt und neben Kinski auf den Mahagoni getäfelten und blank geschrubbten Holzboden mit ordentlich „Schmackes“ hin geschmissen hatte, setzte er sich direkt neben ihn und begann zu erzählen.
Antoine war jetzt siebzig Jahre alt und wohnte zusammen mit seiner Angetrauten Camille, die aber erst vierzig Jahre alt war, in einem alten Bauernhof in Strassbourg. Sie hatten sich vor fünfzehn Jahren in Paris zufällig in „Les Halles“ kennen- und lieben gelernt. Damals gab es dort noch einige riesige Markthallen, die ausschließlich Fisch darboten. Antoine arbeitete dort neben seiner spärlichen Kriegs Rente als Verkäufer.
Nachdem er mit zwanzig als U-Boots Mart auf der Archimède angeheuert hatte, fuhr er sein ganzes Leben lang zur See. Seine Mannschaft bestand damals aus fünf Kameraden und sie alle waren während des Krieges kurzzeitig eingesetzt gewesen als Spähtrupp, vor Marseille. Das U-Boot besaß, außer ein paar Schnellfeuerwaffen, die seitlich an den Back- und Steuerbord Flanken postiert waren, keine Kanonen. Die Archimède machte so an die dreißig Knoten Spitze, für ein U-Boot dieser Größenordnung eine recht passable Geschwindigkeit. Antoines Crew bestand damals aus einem Haufen zusammengewürfelter junger Burschen, die alle aus ehemaligen Kolonien kamen. Sein damaliger Kapitän war früher Korvettenkapitän gewesen, aber aus politischen Gründen, wurde er auf dieses U-Boot versetzt. Tja, als der Krieg vorüber war, wurde die Archimède ausgemustert, da sie doch bei einem ihrer damaligen Einsätze einen Torpedo mitten in die Steuerung abbekommen hatte. Er konnte sich noch gut erinnern, wie sie damals (eigentlich wie heute Nachmittag) plan- und ziellos durchs Meer irrten.
Damals bekamen sie Hilfe von einem spanischen U-Boot, was sehr dicht vor ihnen kreuzte, aber kurz darauf selbst von einem Torpedo getroffen wurde und auf den Meeresgrund versank. Antoines Gesicht bekam jetzt einen traurigen und wehmütigen Ausdruck.
Er bezahlte damals nur wenige Franc für sein Wrack, denn bei Kriegsende wollte niemand mehr an die Geschehnisse erinnert werden. Er restaurierte und reparierte es Stück für Stück. Es war für ihn ja monatelang wie ein Zuhause gewesen. Während dieser Zeit verdiente er sich seine Brötchen durch Fischerei auf den großen alten Schiffs Kuttern rund um Marseille. Ein Seemanns Spleen eben!
Die Archimède hatte Antoine lange Zeit bei einem ehemaligen alten Crew Kameraden unweit von Marseille aus Platzgründen postiert.
Als er dann mit Camille beschlossen hatte den alten Bauernhof in Strassbourg zu kaufen, besorgte er sich einen Traktor und Trailer gleich mit dazu und holte seinen „Liebling“ heim. Da heute wieder so ein typisch langweiliger Sonntag war, wollte er mal wieder eine kleine Ausflugsfahrt machen, um zu gucken, ob seine „petit cigar“ überhaupt noch richtig flutete. Das war der eine Grund, der andere war - Camille nicht umzulegen!
Das „Rheinstück“ von Strassbourg über Schaffhausen in den Bodensee eignet sich aufgrund der Tiefe bestens für solche Ausflugsfahrten, erklärte er. Außerdem hatte er sich mit Camille mal wieder ordentlich in die Haare bekommen und über Geld gestritten.
Hatte sich die dusslige Kuh doch von den von ihm die letzten Monate mühevoll ersparten Francs ein paar Sommer-Kleider gekauft. Dieses Geld war aber von ihm eigens für Reparaturen an der Archimède zurückgelegt worden. Diese Schlampe ! Er hatte sich darüber so geärgert, dass er beschloss mal wieder allein „auf Tour“ zu gehen. Pah! Die Fußball Weltmeisterschaft interessierte ihn auch einen Dreck, war doch Frankreich schon im Vorfeld übelst abgeschmiert.
Natürlich fuhr kein normaler Mensch einfach so mit einem U-Boot durch die Gegend und, klar, illegal war es auch - aber was hatte ein Mann seines Alters noch zu verlieren ? Eine Konventional Strafe zu kassieren war ihm allemal lieber als an Arthrose oder an der Melancholie der nicht gelebten Träume zu verrecken !
Kinski lauschte wie gebannt seinen Worten. Nun, wo er Recht hatte, hatte er recht.
Was für ein irrer Typ ! Er zuckte leicht zusammen und schaute auf die Uhr. Mon dieu - die Zeit war im Flug vergangen und planmäßig würde in fünf Minuten der „Abpfiff“ vom Schiedsrichter gepfiffen. Wie das Spiel wohl ausgegangen sein mochte ???
Kinskis Unruhe bemerkend, leerte Antoine jetzt sein drittes Glas Absinth in einem Zug.
„Olala, ische glaube ische muse wieder los, quel dommage“.
Antoine erhob sich, griff nach seinem Taucheranzug, zog die Flossen an und schaute Kinski lang und tief in die Augen. „
„Alors, mein Freund, merci bien pour votre hospitalité, c’était très agréable chez vous. Es gibt wenige Menschen in dieser schnellen Zeit, die freundlich sinde unde auch noch zuören können. Au revoir à Strassbourg mon ami et n’oblier pas: Pour gagnier une vie en rose, on doit vivire sa rêve !!“
So wie Antoine plötzlich aus dem Nichts gekommen war, so verschwand er auch wieder. Kinski winkte ihm noch ein letztes Mal nach als er sich ins Wasser plumpsen ließ und betrachtete nachdenklich die auf ein letztes Glas geschrumpfte Flasche Absinth. Er drehte sich mit zittrigen Fingern eine Zippe und lief zum Heck. Er wollte den Außenborder starten, um jetzt gemütlich in den Konstanzer Hafen einzulaufen. Egal welches Spektakel ihn dort erwarten würde - nichts, aber auch gar nichts käme an seine Geschichte und an die Begegnung mit Antoine heran.
Auf einen Kilometer Entfernung hörte er schon das Hupen der Autos auf dem Hafengelände und sah das bunte Farben Meer. Das Geplärr von Lautsprecher Chören „Deutschland, Deutschland“ war nun in greifbarer Nähe zu hören. Das Ganze untermalt von dem Geräuschpegel Tausender kreischender, aber friedlichen Fans – im stillen Abendrot.
Kinski fuhr schweigend, schmunzelnd und glücklich zurück an seinen Anlegeplatz.
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Texte: Bettina Alexandra Benzmann
Bildmaterialien: unionjackwear.com
Tag der Veröffentlichung: 21.10.2012
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