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Eigentlich nannte sich Bert Theodor Rug am liebsten B.T. Rug, aber für dieses Vorhaben erschien ihm dies doch nicht ratsam – so ließ er sich diesmal Visitenkarten für Theorie Gut drucken und machte sich an diesem Dezembervormittag auf den Weg, als die Sonne den Nebel langsam auflöste.
Zunächst stattete er dem Heim einen Besuch ab, in dem er anfangs aufgewachsen war, bevor ihn ein Ehepaar adoptiert hatte, welches inzwischen verstorben war.
Hier begrüßten ihn die Heimleiterin, deren Haare inzwischen grau geworden waren, sowie die Kinder, denen sie erklärte:
„Seht, was für ein erfolgreicher Geschäftsmann aus einem geworden ist, der einmal wie ihr aufgewachsen ist!“
Ein paar Kinder reichten ihm selbst gemalte Bilder und selbst Gebasteltes, unter anderem einen Weihnachtsbaum aus Pappe – mit einem Specht an seinem Stamm.
Da kam B.T.Rug ein Einfall, und er eilte gedankenverloren davon, ohne sich noch weiter um das Heim und die Kinder zu kümmern.
In seinem Zuhause, welches immer noch aus einem 20qm-Appartment bestand, was er aber niemandem erzählte, besah er sich diese Bastelei und nahm einen alten Stein hervor, den er damals kurz vor seiner Adoption noch im Garten des Kinderheimes ausgegraben hatte. Damals hatte ein ehemaliger Heimbewohner erzählt, dass Steine, die in einem solchen Moment ausgegraben wurden, einem später einen Wunsch erfüllten. Geglaubt hatte er daran nicht wirklich, aber nun ließ ihn der Gedanke nicht los, und er holte diesen Stein hervor…
Da ertönte die Stimme des Spechtes an dem Pappbaumstamm:

„Ich bin der Specht Schlecht-über-Recht,
ich sag zu allem: Echt, echt, echt!“

Genau so etwas hatte sich B.T. Rug vorgestellt, und er fragte den Specht:
„Wenn die Rede auf eine Klinke kommt, was sagst du dann?“
„Dann sage ich:
Ich bin die Klinke
Ums-Geld-Linke!“

„Schon einmal ein richtiger Ansatz“, meinte B.T. Rug, erklärte aber gleich darauf:
„Mit exakt diesem Spruch können wir aber nicht unsere Kunden aufsuchen – wirst du da einen Spruch aufsagen, den ich mir in Gedanken vorstelle?“
„Das kann

ich tun!“ erwiderte der Specht.
„Gut“, sagte B.T. Rug und fuhr mit dieser Bastelei los.

Zuerst suchten sie Herrn Saus auf, einen Bekannten seiner Adoptiveltern, der an seinem Haus schon allerhand Weihnachtsschmuck befestigt hatte, der bei Nacht weithin leuchten würde. Noch bevor er klingeln konnte, öffnete Herr Saus schon die Tür, und der Specht sagte einen Spruch auf:

„Ich bin die Klinke
Schönbuchfinke,
ich sag zum Wandschmuck: Blinke, blinke!“

„Das ist aber schön, dass du mich aufsuchst“, meinte Herr Saus und fuhr sogleich fort:
„Hier, nimm all dies Geld – ich verreise jetzt gleich, bevor mich meine Verwandten aufsuchen – und ehe diese dann später allzu viel von mir möchten, soll am besten gar nicht mehr so viel da sein!“
Da bedankte sich B.T. Rug und fuhr nach einem kurzen Plausch weiter – zu Patrizia, einer ehemaligen Bekannten, die ihre Erbschaft gut versteckte – sofern noch etwas davon übrig war. Vor einiger Zeit war sie in eine andere Straße gezogen. Noch bevor er bei ihr klingelte, bemerkte er, dass im Treppenhaus viel Putz abbröckelte, und neben ihrer Klingel stand ihr Name handgeschrieben auf einem Schmierzettel.
Als sie öffnete, roch sie nach Schnaps, und ihre Schminke war sehr verblichen. In der Wohnung schienen kaum noch Möbel zu stehen. Der Specht ließ sogleich einen Spruch los:

„Ich bin die Klinke
Besttropfentrinke,
ich sag zu dir schon: Winke, winke!“

B.T. Rug holte währenddessen ein Formular mit der fetten Überschrift WUNSCHERFÜLLUNG sowie einem Überweisungsvordruck hervor und ergänzte:
„Hier habe ich für dich die Chance, dass ein Wunsch in Erfüllung geht, für eine geringe Investition!“
Doch sie lallte nur: „Verschwinde!“ und schlug die Tür zu.

„Das war wohl nichts“, meinte B.T. Rug, als sie wieder draußen waren. „Da hätte ich mir rasch einen anderen Spruch überlegen müssen! Fahren wir jetzt zu einem Mädchen, das ich nicht richtig kenne - bei der kann ich meinen neuen Namen nennen! Und sie wird sich bestimmt über ein Winken freuen!“

Sie hieß Anna Fink und wollte immer gern Annfina genannt werden. Ihre Wohnung befand sich in einem Neubauhaus, und ihr Name war neben der Klingel in Gold gestanzt.
Gerade war sie dabei, ihr neuestes Parfüm auszuprobieren, als es klingelte. Kurzzeitig abgelenkt, sprühte sie sich versehentlich etwas zuviel Parfüm.
Dem Besucher, der sich als Theorie Gut vorstellte und ein Schreiben hervorholte, präsentierte sie sich schon mit geschminkten Wimpern und glatt gekämmten, glänzend schwarzen Haaren, nur mit etwas zuviel Parfüm.
Jetzt ertönte eine andere Stimme:
„Ich bin die Klinke
Annannfinke,
und dazu sag ich: Stinke, stinke!“

Da schubste sie ihren Besucher weg, der daraufhin hinterrücks die Treppe hinunter purzelte, und schlug die Tür zu.
Zum Glück befanden sie sich nur im leicht erhöhten Erdgeschoss, und die Treppe war nicht allzu hoch. Dennoch fühlte sich B.T. Rug wie im Traum, als er die Stimme des Spechtes vernahm:
„Ich habe nur erklärt, dass ich aussprechen kann

, was du dir gerade denkst – aber nicht, dass ich es auch immer tun mag!
Aber fällt dir jetzt nichts Besseres ein?“
Da kam B.T. spontan der Gedanke:
„Eigentlich nicht so schön, wie ich Hals über Kopf das Heim verlassen habe! Habe ich mich überhaupt bedankt?“
„Zweimal klopf – das heißt Nein!“ erwiderte der Specht, und so humpelte B.T. hinaus, musste erst ein wenig in der frischen Luft durchatmen, fuhr dann aber zurück ins Heim und rief dort aus, immer noch leicht benommen:
„Seht her, was für Spenden ich für euch gesammelt habe!“
Dazu holte er den Umschlag von Herrn Saus hervor.

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Tag der Veröffentlichung: 15.12.2009

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