Ich widme dieses Buch all den Kindern,
die damals bei der Bombenexplosion uns leben
gekommen sind.
Und auch den Menschen die mir durch ihre Erzählungen,
es ermöglich haben dieses Buch zu schreiben.
Aus rechtlichen Gründen und zum Shutz der Personen,
wurden alle Namen in diesem Buch und somit in dieser
Geschichte geändert und frei erfunden.
Die Namensgleichheit mit anderen Personen ist
ungewollt und nur zufällig.
Nun war die kleine Karla, schon ein paar Jahre auf dieser Welt und fragte sich immer wieder, was sie überhaupt hier sollte. Sie fragte sich auch schon kurz nach ihrer Geburt, womit sie es verdient hatte, dass sie dieses Elend mitbekommen musste. Überall sah sie Frauen und Männer, die immer wieder weinten, sie weinten um eins ihrer Kinder oder um den geliebten Ehemann, der irgendwo an der Front gefallen war, oder durch die vielen Bomben ums Leben kamen, die hier fielen. Karla hatte aber noch großes Glück, denn sie war ja noch zu klein, um für ihr Vaterland in einen Kampf zuziehen. Sie dachte jedes Mal, wenn bei ihnen Soldaten vorbeimarschierten, dass es gut so war, dass sie ein Mädchen gewesen war. Karla spielte auch viel lieber draußen in der mittags Sonne. Sie spielte immer vorn, auf dem Gehweg vor dem großen Haus wo sie mit ihrer Mutter und Schwester wohnte. Oder lief mit ihrer Mutter sowie mit ihrer kleinen Schwester Christel zum Stadtpark, wenn ihre Mutter die Zeit dafür hatte. Umso, wie sie es immer nannte, die Enten und die Heimatmöwen zu füttern, aber auch ein wenig im Wasser zu spielen, solange es ihre Mutter erlaubte. Karla lebte mit ihrer Mutter und ihre Schwester allein in Kiel in der Jungmannstraße, in eine zweieinhalb Zimmerwohnung, sie waren aber trotzdem eine glückliche Familie. Obwohl, ihr Vater schon lange im Krieg war, er kam hin und wieder auf Heimaturlaub, doch dieses kam nicht oft vor, und wenn er kam, war es auch nur für einige Tage. So musste Karlas Mutter, obwohl sie Wehrsold für ihr Mann bekam, noch etwas bei fremden Leuten zuverdienen, damit sie und ihre Kinder über die Runden kamen. Sie sorgte dafür, dass immer genügend zu Essen im Haus war und dass sie auch immer etwas zum Anziehen im Schrank hatten, Karlas Mutter sagte immer.
„Auch wenn wir Krieg haben, wollen wir nicht an Hunger leiden, wir müssen auch nicht nackend herumlaufen.“
Ihre Mutter war eine stolze Frau, die sich auch von keinen, etwas schenken ließ. Wenn sie nicht dafür bezahlen konnte, oder etwas als Gegenleistung machen konnte, dann verzichtete sie lieber darauf und nahm es nicht an. Da sie schon eine ganze Weile in dieser Straße gewohnt haben, kannten die Leute Paula und ihre Kinder auch schon. Alle Nachbarn waren immer ganz lieb zu ihnen und beschenkten ihnen auch hin und wieder, mit etwas zum Naschen, obwohl Paula es nicht gerne sah, ab und zu schimpfte sie auch.
Doch Karlas Mutter hatte sich immer schnell wieder beruhigt und bedankte sich meisten mit ein Stück selbst gebackenen Kuchen, den sie immer zu ihnen brachte, als Wiedergutmachung. Und so war es auch an den einen Tag, wo Karlas Mutter sich und ihr ganz fein angezogen hatte, denn sie wollte sich beim Onkel Sauer und seine Frau bedanken gehen. Onkel Sauer war der Kohlenmann, in der Straße und er hatte wieder einmal Kohlenreste zusammengefegt und hatte sie zum Haus von Paula gebracht.
Da Paula ihn Geld dafür geben wollte, doch er es nicht annahm, backte sie kurzerhand wieder mal einen Kuchen. Sie hatte auch noch ein paar Blumen, für seine Frau mitgebracht, diese hatte sie aber unten aus dem kleinen Garten, hinter dem Haus gepflückt und so standen sie jetzt vor seiner Tür.
Als sie davorstanden, klopfe sie ganz leise an der Wohnungstür an, denn sie wollte nicht, dass sich die alten Leute erschraken. Herr Sauer und seine Frau waren ja nicht mehr die Jüngsten, sie führten das Geschäft auch nur so lange weiter, bis ihr Sohn aus dem Krieg wieder heimkam, denn sie hofften, dass er das Geschäft dann übernehmen würde. Nachdem Karla ihre Mutter an die Tür geklopft hatte, mussten sie noch einige Zeit lang warten, bis die Frau Sauer die Tür öffnete. Als sie schließlich die Tür geöffnet hatte und die zwei dort stehen sah, begrüßte Frau Sauer zuerst Paula und anschließend Karla herzlich.
„Einen schönen guten Tag, Frau Krögler! Wie geht es ihnen und was kann ich für Sie tun?“, fragte sie, als sie Paula gegenüberstand. „Oh, das Wichtigste habe ich ja vergessen“, sagte sie und bückte sich zu Karla runter, danach nahm sie ihre Hand und streichelte sie über ihre lockigen Haare und sagte. „Na meine kleine Karla, wie geht es dir denn so?“
„Mir geht es gut Frau Sauer!“, antwortete Karla mit leiser Stimme.
„Wolltest du auch mal, die Tante Sauer besuchen?“, fragte sie Karla höflich.
„Ja! Mama wollte hierher und Kuchen zu euch bringen, für dich und Onkel Sauer“, erwiderte Karla.
„Das ist aber fein meine Kleine, da wird Onkel Sauer, sich freuen“, sagte Frau Sauer, wobei sie Karla anlächelte.
„Den hat Mama heute für euch gebacken, da ihr immer so lieb zu uns seid!“, erzählte Karla weiter.
„Womit haben wir das denn verdient, Frau Krögler?“, fragte sie neugierig.
„Ihr Mann und Sie sind immer so gut zu meinen Kindern und zu mir. Außerdem sind da ja auch noch die Kohlen, die ich immer von Ihnen und ihrem Mann bekomme.“
„Ach die paar, das lohnt sich überhaupt nicht, dass man darüber spricht, außerdem sind es doch nur Reste“, antwortete Frau Sauer.
„Doch-doch, auch wenn es nur immer ein paar sind, es kommen doch einige zusammen. Aus diesem Grund habe ich mir gedacht, dass ich es auch einmal wieder gut machen müsste. So habe ich Ihnen beiden, diesen Kuchen hier gebacken“, meinte Paula und überreichte ihn an Frau Sauer.
„Oh nein Frau Krögler! Das hätten Sie, aber nicht müssen, das Mehl hätten Sie doch sicherlich für ihre Kinder und sie gebraucht.“
„Nein-nein! Es ist schon gut so, nehmen Sie ihn man ruhig und lassen sie ihn sich mit ihrem Mann gut schmecken“, sagte Paula.
Paula nahm die Hand von ihrer Tochter Karla wieder in ihrer und zog sie an sich ran.
„So und nun müssen wir auch wieder nach Haus, denn deine Schwester wartet bei Tante Ida bestimmt auch schon auf uns!“, sagte sie und verabschiedete sich noch einmal von Frau Sauer. „Ich wünsche Ihnen und ihren Mann noch einen schönen Tag“, sagte Paula und Karla streckte ihre Hand Frau Sauer entgegen und verabschiedete sich auch.
Paula drehte sich um und zusammen mit Karla lief sie wieder los und machte sich auf den Heimweg. Auch Frau Sauer wünschte ihnen, noch einen schönen Tag und verschloss hinter sich wieder ihre Haustür. Karla und ihre Mutter waren noch nicht ganz über dem Hof gelaufen, da öffnete sich hinter ihnen wieder die Eingangstür der Frau Sauer, doch dieses Mal stand der alte Herr Sauer, dort in der Tür und rief den beiden hinterher.
„Entschuldigen sie Frau Krögler, dass ich Ihnen nachrufe! Aber hätten Sie und ihre kleine Tochter nicht Lust, mit meiner Frau und mir eine Tasse Kaffee zu trinken? Für die Kleine haben wir auch noch ein wenig Johannisbeersaft. Den kocht meine Frau immer selbst ein und so haben wir auch immer etwas, für unsere kleinen Gäste.“
„Normalerweise habe ich ja keine Zeit, denn meine andere Tochter wartet ja schon auf uns, doch wenn man so höflich eingeladen wird, dann kann man ja nicht nein sagen“, meinte Paula und von Karla hörte man nur ein.
„Oh ja, fein Saft!“
Die beiden drehten wieder um und liefen mit dem Herrn Sauer in sein Haus hinein, wo auch schon seine Frau wartete.
„Frau Krögler, Sie müssen mich schon entschuldigen, dass ich nicht von selber darauf gekommen bin, Sie und ihre reizende Tochter einzuladen. Das ist mir jetzt aber peinlich, dass mich mein Mann erst draufbringen musste.“
„Ja so ist es eben, wenn man nicht überlegt!“, kam es nur von ihrem Mann.
„Es kommt sicherlich davon, dass man in dieser Zeit, nicht mehr so viel Besuch bekommt und dass man sein gutes Benehmen verliert“, meinte Frau Sauer.
„Es ist ja nicht so schlimm, da machen Sie sich man nichts draus“, antwortete Karlas Mutter.
„Frau Krögler, sie stehen ja immer noch?“, meinte der alte Herr Sauer, als er sie dort stehen sah.
„Setzen Sie sich doch schon mal hin und auch du Karla“, forderte jetzt auch Frau Sauer die beiden auf. „Vater und was stehst du da noch herum? Willst du nicht, den Mantel der Frau Krögler abnehmen und ihm an der Garderobe hängen?“
„Doch meine liebe, das will ich doch auch, deshalb stehe ich doch noch hier“, erwiderte ihr Mann darauf.
Nachdem Frau Sauer den Kaffee fertig hatte, kam auch sie mit der Kanne aus der Küche zur Stube und setzte sich mit zu ihnen am Tisch. „Wie sieht es aus, nehmen sie Zucker und Milch, oder nur eines von beiden?“, fragte Frau Sauer.
„Nein danke, keines von beiden ich trinke ihn immer schwarz“, antwortete Paula höflich.
„Und du Karla, was möchtest du haben?“, fragte Frau Sauer.
„Vielleicht ein Stückchen von dem Kuchen und etwas Johannisbeersaft?“, fragte ihr jetzt der Herr Sauer, bevor seine Frau noch etwas fragen konnte, er hob dabei die Karaffe, wo drin sich der Saft befand in die Höhe.
„Oh ja, das hätte ich gern, wenn ich darf! Kann ich auch ein dickes Stück Kuchen haben?“, kam es mit einem Lächeln über Karlas Lippen.
„Karla musst du wieder mal unverschämt sein?“, schimpfte nun ihre Mutter mit ihr.
„Ach Frau Krögler, seien sie nicht so streng mit ihrer Tochter. Sie ist ja noch so klein und sie weiß ja noch nicht, wie man sich benehmen muss“, nahm Frau Sauer sie in Schutz und streichelte Karla wieder über ihr Haar.
„Nein so geht es nicht, das muss sie lernen!“, meinte Karlas Mutter verärgert, sie hob dabei ihre Tasse an, führte sie zum Mund und trank einen Schluck.
Als sie nun so dort am Tisch saßen, unterhielten sie sich über alle möglichen Dinge. So wie, wie lange wohl noch der Krieg ging und wann der Sohn von den Eheleuten Sauer, so wie Paulas Ehemann wieder nach Haus kommen würde und ob sie noch gesund sind.
„Wenn ich mal fragen dürfte, wie lange ist ihr Sohn denn schon fort?“, fragte Paula die Eheleute Sauer.
„Ach unser Willi! Der ist schon sehr lange fort und wir haben auch lange nichts mehr von ihm gehört. Am Anfang kamen ja noch Briefe von ihm, aber seit einem Jahr hören wir von unserem Willi nichts mehr, nicht Vater“, antwortete Frau sauer auf Paulas Frage, man merkte es sie an, dass sie immer trauriger wurde, umso mehr sie von ihrem Sohn erzählte.
„Ja, der verdammte Krieg macht so manche Familie kaputt, unser großer Führer hätte den Krieg man nicht anfangen sollen, oder noch besser, er wäre dortgeblieben, wo er hergekommen ist. Hatten wir nicht mit einem Krieg genug, brauchten wir jetzt noch einen weiteren?“, sagte jetzt der alte Herr Sauer und wurde dabei immer zorniger.
„Ach Vaters, du sollst doch nicht so reden, der Führer weiß schon, was er macht und außerdem geht uns es ja auch nicht so schlecht“, sagte Frau Sauer.
Aber man konnte es ihr ansehen, dass sie Angst hatte, wegen der Äußerung, die ihr Mann über den Führer gesagt hatte. Sie hatten es ja auch schon oft gesehen und mitbekommen, dass sie Leute abgeholt haben, die so wie ihr Mann geredet haben und man hatte diese Leute auch nicht wieder gesehen. Paula schaute sich noch einmal in der Stube um und vergewisserte sich, dass auch alle Fenster geschlossen waren, und sprach.
„Liebe Frau Sauer, sie brauchen sich keine Sorgen machen, alles, was wir hier reden, ist bei mir gut aufgehoben. Außerdem ist ihr Mann nicht der Einzige, der so denkt“, sagte sie und schaute sich abermals um.
„Karla willst du, nicht noch ein bisschen nach draußen gehen und mit den Hühnern spielen?“, fragte Herr Sauer auf einmal der Kleinen.
„Oh ja! Wenn ich darf, wenn Mama mir es erlaubt?“, sagte Karla und freute sich schon da drauf.
„Ja, doch nur wenn du dich nicht so schmutzig machst und nicht von Hof läufst! Hast du gehört Karla?“, fragte ihre Mutter ihr.
Karlas Mutter hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da war Karla auch schon vom Tisch hochgesprungen und hinaus auf den Hof gelaufen. Denn die Gelegenheit wollte sie sich nicht entgehen lassen, um mit den Hühnern zuspielen. Doch es dauerte nicht lange, da wurde es Karla zu langweilig und sie suchte sich eine andere Beschäftigung. Sie dachte, wo Hühner sind, da müssen doch auch irgendwo Eier sein und so fing sie an zu suchen. Karla schaute überall nach, in jeder Ecke, doch sie fand nur zwei Eier und so lief sie auch in die Ecke, wo sich die Kohlen befanden. Sie hatte auch schon wieder vergessen, was ihre Mutter gesagt hatte, und so kletterte sie, mit ihrem weißen Kleid und mit ihrer großen rosa Haarschleife auf die Kohle hinauf und wischte sich die Hände in ihr Kleid sauber. Als sie den ersten Haufen geschafft hatte, konnte man aber nicht mehr viel von dem weißen Kleid erkennen. Auch ihr Gesicht war schwarz wie die Kohlen, die dort lagen. Dieses war Karla egal, denn sie hatte gefunden, nach, was sie gesucht hatte, dort zwischen den Kohlen war ein großes Nest mit vielen braunen Eiern. Karla nahm eines nach dem anderen auf und legte sie in ihrem Kleid, was sie extra hochgenommen hatte und mit der einen Hand festhielt. Als sie nun alle Eier eingesammelt hatte, wollte sie schon wieder von den Kohlen hinuntersteigen, doch da sah sie etwas weiter weg von ihr, noch zwei Eier liegen. Diese wollte sie auch noch unbedingt haben und so lief sie auf den Kohlen dort hinüber. Als sie die Eier erreicht hatte, bückte sie sich und wollte sie mit beiden Händen aufheben und so ließ Karla ihr Kleid los. Womit sie aber nicht gerechnet hatte, war das die Eier zu Boden vielen, da sie ja nicht mehr ihr Kleid festhielt, und so schaute sie nur noch den Eiern hinterher. Sie verzog ihre Lippen und schaute ganz verdutz, sie versuchte noch etwas von dem Eiweiß und dem Eigelb in ihrem Kleid zu sammeln, doch dieses gelang ihr nicht. Als sie die zerbrochene Eierschale so hin und her schob, bemerkte sie, dass dort noch zwei Eier ganz geblieben waren, und sie hob sie ganz vorsichtig auf und lief auch ganz vorsichtig von den Kohlen wieder hinunter. Nachdem Karla so dort unten stand, schaute sie sich die Eier an und überlegte, was sie mit ihnen machen könnte. Da noch nichts von ihrer Mutter zusehen war, schaute sie sich noch einmal dort draußen um, wischte noch einmal mit ihren Händen, wo drinnen sich noch die Eier befanden, über ihr Kleid und wollte es noch ein wenig reinigen. Sie schmollte noch einmal mit ihren Lippen und lief schließlich mit großen Schritten von Hof, auf dem Gehweg an der Straße. Sie wusste ganz genau, wo sie hinwollte, so lief sie auf dem Gehweg vorbei am Milchgeschäft, wo sonst ihre Mutter immer die Milch kaufte. Als sie dort vorbeilief, winkte sie noch einmal in das Schaufenster, wo sie den Milchmann Herrn Schumacher stehen sah. Als er die Kleine sah, winkte er freundlich zurück, denn er kannte Karla ja auch, denn sie war ja auch oft mit ihrer Mutter bei ihm im Laden. Er war im ersten Augenblick ganz verwundert, denn so hatte er sie noch nie gesehen, so verschmutzt und so lief er zu seiner Ladentür hinaus und rief Karla nach.
„Hallo kleine Karla, wo willst du denn hin und wie siehst du denn aus?“
„Ich gehe Enten füttern“, rief Karla zurück, da sie ja ein ganzes Stück von ihm entfernt stand.
„Wie Enten füttern?“
„Ja Enten füttern, Karla geht Enten füttern!“, rief sie erneut.
„Weiß deine Mama denn, wo du bist?“, fragte er ihr.
„Ja, ich glaube schon!“, meinte sie nur.
Sie drehte sich wieder um und lief weiter die lange Straße hinunter, denn sie wollte ja zur Straßenbahnhaltestelle, von wo sie immer mit ihrer Mutter fuhr, wenn sie zum Park wollten. Den Weg dorthin kannte sie schon aus dem Kopf, obwohl sie noch so klein war. Sie brauchte zwar einige Zeit, doch sie kam schließlich an der Haltestelle an und auch wenn die Straßenbahn schon weg war, machte ihr es nichts aus. Karla setzte sich dort auf der braunen Bank, die dort stand und wartete auf die nächste Bahn. Als sie dort so saß, dauerte es auch nicht lange und sie konnte auch schon die ankommende Bahn hören, denn sie läutete immer vorher schon mit ihrer Glocke. Als Karla das hörte, stand sie auf und stellte sich vorsichtig an der Bordsteinkante hin und wartete dort, dass die Straßenbahn hielt und sich die Tür öffnete.
„Wem haben wir denn hier?“, fragte der freundliche Straßenbahnfahrer, als er Karla dort sah.
Da er Karlas Mutter nicht sah, die sonst immer dabei war, stand er auf und ging zur Einstiegstür und schaute noch nach links, anschließend noch einmal nach rechts. Doch er konnte die Mutter nicht sehen und so beugte er sich zu Karla runter und fragte sie.
„Wo ist denn heute deine Mama?“
„Die ist bei Onkel Sauer und trinkt Kaffee“, erzählte Karla ihm.
„So, so, beim Onkel Sauer! Und wo willst du denn nun hin kleines Fräulein?“
„Ich will Enten füttern“, erzählte Karla ihm und zeigte ihn, ihre zwei Eier, die sie immer noch in ihren Händen hielt.
„Was ist denn da vorne los, warum geht es denn nicht weiter? Ich habe doch nicht den ganzen Tag Zeit“, schimpfte ein anderer Fahrgast.
„Die Kleine hier ist doch allein und ich muss doch erst mal fragen, wo ihre Mutter oder Vater ist“, sagte der Straßenbahnfahrer zum Fremden.
„Was geht mir das Kind an, sehen Sie zu, dass Sie weiterfahren, oder ich werde mich Beschwerden“, drohte der Fahrgast.
In der Zwischenzeit hatte der Fahrer, Karla auf seinem Arm genommen und hatte sich wieder auf seinem Platz gesetzt. Aber auch sein Kollege war in den Straßenbahnwaggon gekommen und hatte den Aufstand von dem Fahrgast mitbekommen und so sagte er zu ihm.
„Mein Herr die Fahrkarte bitte.“
„Was wollen Sie von mir? Ich habe meine Fahrkarte doch vorhin schon, einmal gezeigt“, meinte der Fahrgast verärgert.
„Ja das schon, das mag ja auch sein, aber ich muss sie noch einmal sehen, es tut mir ja auch leid, aber Vorschrift ist Vorschrift“, sagte er und fing dabei an zu husten.
„Na schön, wenn Sie unbedingt darauf bestehen“, sagte der Gast und kramte in seiner Hosentasche herum und holte schließlich die Fahrkarte heraus und übergab sie an den Kontrolleur.
„Oh-oh! Ich glaube es nicht“, sagte er. „Wir haben hier einen Schwarzfahrer Karl, der ohne eine gültige Fahrkarte fährt.“
„Das Datum ist abgelaufen, man kann es auf jeden Fall, nicht mehr so richtig erkennen“, rief er seinen Kollegen zu.
„Was soll ich jetzt mit ihm machen Karl, wollen wir die Polizei rufen, oder was meinst du?“, rief er fragend seinen Kollegen zu.
Der war in der Zwischenzeit, weitergefahren und hatte Karla hinter sich auf einem Platz gesetzt.
„Schmeiß ihn an der nächsten Haltestelle raus, wer keine gültige Fahrkarte hat, der muss aussteigen, dann kann er ja mal ein Stück zu Fuß laufen“, meinte Karl.
Wie gesagt so getan, die Bahn hielt an der nächsten Haltestelle und der Fahrgast musste aussteigen. Beim Aussteigen schimpfte er noch und rief ihnen zu.
„Sie werden sich noch umschauen, ich habe Beziehungen, das wird sie noch leidtun.“
„Das macht nichts, ich bin Kummer gewöhnt!“, rief der Kontrolleur ihm nach.
„Sie wissen wohl nicht, mit, wenn Sie es zu tun haben?“
„Nein, müssen wir es denn, wissen?“, rief Karl sein Kollege den Fahrgast noch nach.
„Ich bin in der Partei! Ich werde dafür sorgen, dass Sie ihre Stelle loswerden“, pöbelte der Fremde sie an.
Die anderen Fahrgäste schüttelten nur mit ihren Köpfen, als sie das Pöbeln mitbekamen, doch Karl rief nur.
„Vorsicht, die Türen schließen!“, rief er und setzte seine Straßenbahn wieder in Bewegung.
Jetzt wo Karls Kollege, alle Fahrgäste kontrolliert hatte, kam er auch nach vorne und stellte sich neben Karl.
„Na, alles in Ordnung?“, fragte er ihm.
„Ja warum nicht und bei dir?“, fragte er seinen Kollegen Fritz. „Und bei dir, ist auch alles in Ordnung kleine Prinzessin?“, fragte er Karla, Karla verstand zwar nicht die Frage, aber sie antwortete mit.
„Ja alles in Ordnung!“
„Wo will die Kleine denn hin?“, fragte Fritz seinen Kollegen.
„Was glaubst du denn?“, stellte der die Gegenfrage.
Fritz zuckte aber nur mit seiner Schulter, denn er konnte sich es nicht denken, wo sie hinwollte.
„Sie will zum Entenfüttern und was meinst du, mit was sie die Enten füttern will?“, fragte Karl ihn noch.
Doch Fritz zuckte nur wieder mit seiner Schulter und sagte.
„Du wirst es mir doch bestimmt gleich sagen.“
„Ja stimmt, schau doch nur in ihren Händen, was sie dort hat“, sagte Karl zu ihm, was Fritz auch darauf tat.
„Oh! Was für zwei schöne große Eier hast du da, willst du damit die Enten füttern?“, fragte er Karla, doch die antwortete nur, mit einem Kurzen und knappen.
„Ja, das will ich!“
„Die sind doch schön groß und werden die Enten gut schmecken“, meinte Karla nur.
„Weiß du was? Wir beide tauschen einfach, denn die Enten mögen nicht so gerne rohe Eier. Du bekommst von mir etwas Brot und damit kannst du denn die Enten füttern“, machte Fritz ihr den Vorschlag und holte aus seiner Arbeitstasche eine Scheibe Brot heraus.
„Die ist zwar mit Leberwurst bestrichen, aber das ist nicht so schlimm“, sagte er und überreichte sie Karla, die sich darüber sehr freute.
Im Gegenzug überreichte sie ihn, ihre zwei Eier und machte sich fertig, denn sie kamen an der Haltestelle an, wo sie aussteigen musste, als sie ausgestiegen war, sagte Karl noch zu ihr.
„Hör zu, wenn du fertig bist, mit deinem Entenfüttern, dann kommst du hier wieder her und wartest hier auf uns.“
„Wie kommen bald wieder hier vorbei und dann nehmen wir dich wieder mit zurück nach Haus“, sagte Fritz noch zu ihr, doch da sie nicht darauf geantwortet hatte, fragte er. „Hast du mich verstanden?“, und sie antwortete nur, mit einem Kurzen.
„Ja habe ich Onkel Fritz!“
„Und noch etwas kleines Fräulein, bleibe von dem Wasser weg und gehe nicht so dicht daran! Hast du das auch verstanden?“, fragte er sie noch einmal.
Aber Karla lief einfach weiter, ohne ihm noch eine Antwort darauf zu geben, und er rief nur noch.
„Vorsicht Türen schießen!“
Nachdem Fritz ihr noch einmal gewarnt hatte, gab Fritz Karl ein Zeichen und da der das Zeichen von Fritz gesehen hatte, ließ er seine Straßenbahn sich wieder in Bewegung setzen und fuhr davon. Karla schaute ihn noch einmal nach und lief ein kleines Stückchen mit ihrem Leberwurstbrot in ihrer Hand weiter. Kurz vor ihr Ziel hob sie das Brot hoch und schaute es sich an.
„Du siehst richtig lecker aus“, sagte sie zum Brot.
Sie führte sie sich zu ihrer Nase und roch zweimal an der Scheibe, doch ehe sie sich versah, hatte sie auch schon abgebissen. Es dauerte auch nicht lange, da war die Scheibe Brot verputzt und am Ende war da nur noch eine kleine Brotkante übriggeblieben. Karla schaute sich jetzt die Brotkante an und schaute in Richtung Park und wieder zur Brotkante.
„Ich weiß nicht! Das lohnt sich nicht mehr mit dir, zu meinen Enten zu gehen“, sagte sie und schaute sich dabei die Brotkante erneut noch einmal an.
Doch Karla warf sie schließlich zwischen ein paar Sträuchern, die dort am Gehweg standen. Anschließend wischte sie sich, noch einmal ihre Hände in ihr Kleid ab und machte sich wieder auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle, wo sie ja wieder hinkommen sollte.
Da die Mutter von Karla, ja schon so lange bei den Eheleuten Sauer gewesen war und da es jetzt auch für sie Zeit wurde, mal wieder nach Hause zukommen verabschiedete sie sich von den beiden. Sie zog ihre Jacke wieder über und machte sich nach draußen auf den Hof, wo sie ja Karla vermutete. Als sie nun dort stand und sie Karla nicht sah, rief sie ihren Namen.
„Karla, komm doch, wir müssen los“, doch da keine Antwort von Karla kam, rief sie erneut. „Karla, wo bist du jetzt schon wieder? Dich kann man auch nicht einmal alleine lassen!“, rief sie und lief so wie Karla von Hof der Eheleute Sauer.
Karlas Mutter lief den gleichen Weg, denn sie konnte sich schon denken, wo sie mal wieder hingelaufen war, denn das war ja nicht das erste Mal, das Karla es gemacht hatte. Auch Karlas Mutter musste so auch an den Laden des Milchmannes Schumacher vorbei, der auch gerade draußen war, und die Scheibe putzte.
„Einen schönen guten Tag Frau Krögler“, grüßte er sie, als sie an ihm vorbeilief und er pfiff sie noch einmal hinterher. „Sie sehen mal wieder reizend aus, wenn ich Ihnen das mal sagen darf“, rief er sie hinterher.
Denn er mochte sie doch Recht leiden, doch sie schaute nicht zurück und gab ihn auch keine Antwort.
„Oh, Entschuldigung noch mal Frau Krögler!“, sagte er, als er auf einmal neben ihr stand, denn er war sie nachgelaufen.
„Was wollen Sie denn schon wieder von mir?“, fragte Paula etwas herrischer, denn sie war ganz schön genervt.
„Es ist ja nur wegen ihrer Tochter, sie ist dort hinuntergelaufen, Karla wollte Enten füttern“, erzählte er ihr.
Er hoffte nun, dass sie zu mindestens Danke sagen würde, doch sie tat es nicht, sondern sagte.
„Herr Schumacher, ich möchte Sie bitten, dass Sie mit dem Gepfeife aufhören, es mag ja für andere sehr schön sein, doch nicht für mich, ich bin verheiratet, merken Sie es sich“, pflaumte Paula ihn an und lief weiter, er schaute sie noch etwas hinterher und meinte nur.
„Und wenn schon!“, sagte er nur, danach machte er sich auch wieder an seine Arbeit.
Karlas Mutter, hatte die Straßenbahn auch schon fast erreicht, da kam die Bahn auch schon wieder an der Haltestelle an, als sie dort hielt, stieg ihre kleine Tochter aus und machte sich wieder auf den Weg nach Haus. Karla war so in ihren Gedanken vertieft, dass sie gar nicht ihre Mutter sah und so fast an ihr vorbeilief. Als Paula ihre Tochter jetzt richtig sah, da sie ja jetzt neben ihr lief, wäre sie fast in Ohnmacht gefallen. Denn so etwas Schmutziges hatte sie noch nie gesehen, von Karlas schönem weißen Kleid war nicht mehr viel zu erkennen und auch ihre rosa Haarschleife hing nur noch irgendwie an ihr Haar dort runter.
„Karla!“, rief Paula auf einmal, nachdem sie sich vom Schock erholt hatte. „Wo kommst du her und wie siehst du aus? Kannst du mir es mal sagen!“, schrie Paula sie an.
Karla wäre vor Schreck, fast auf ihrem Hosenboden gelandet, denn mit ihrer Mutter hatte sie jetzt aber nicht gerechnet und so fing sie auch gleich an zu weinen. Mutter Krögler nahm ihre Tochter, an ihrer Hand und machte sich mit schnellen Schritten auf dem Heimweg und schimpfte.
„Nun höre endlich auf, zu heulen, wenn einer heulen muss, dann bin ich es! Wer hat denn jetzt die Arbeit und muss alles wieder reinigen? Das bin ich doch, oder etwa nicht?“
„Mama, ich kann dich doch, beim Saubermachen helfen“, meinte Karla, denn sie witterte wieder eine Chance im Wasser zu planschen.
„Das fehlt mir auch noch!“, sagte ihre Mutter und gab Karla einen leichten Klaps auf ihren Hintern.
Denn sie war ihre Tochter auch schon nicht mehr böse, dass sie weggegangen war, ohne vorher Bescheid zugeben und dass sie so aussah. Als die beiden, nun beim Milchgeschäft wieder vorbeikamen und der Herr Schumacher immer noch dort draußen war, hielt Karlas Mutter kurz an und sagte zu ihm.
„Herr Schumacher, ich möchte mich bei Ihnen, wegen vorhin entschuldigen, dass ich so aufbrausend war, ich war ganz nervös wegen meiner Tochter, dass sie einfach fortgelaufen war“, entschuldigte Paula sich bei ihm.
„Sie brauchen sich nicht entschuldigen, ich kann es ja verstehen, ich würde ja vielleicht genauso gewesen und hätte so reagiert“, sagte er. „Aber wenn Sie es wieder gut machen wollen, dann gehen Sie doch mit mir, am Sonntag zum Tanzen am Hafen.“
„Das kann ich doch nicht machen, das schickt sich doch nicht!“, antwortete sie, obwohl sie gerne gegangen wäre.
„Wieso denn nicht? Ach, kommen Sie mit, bitte, es ist doch nur Tanzen und außerdem ist es am Nachmittag“, versuchte er sie zu überreden. „Was soll da denn schon Schlimmes bei sein“, fügte er noch hinzu.
„Na schön, ich werde mir es noch einmal überlegen!“, versprach sie ihm und nahm Karla wieder an ihrer Hand. „Ich wünsche Ihnen, noch einen schönen Tag“, sagte sie noch und lief weiter.
Als sie ein Stück gelaufen war, hörte sie wieder, wie er ihr hinterherpfiff, und sagte zu sich.
„Er kann es nicht lassen.“
„Wer kann was nicht lassen, Mama?“, fragte Karla neugierig.
„Ach niemand, der Wind pustet nur so in mein Gesicht“, antwortete ihre Mutter.
„Ich merke gar nichts“, sagte Karla zu ihrer Mutter, doch die musste nur schmunzeln.
Doch schließlich waren sie wieder am Haus angekommen, Paula wollte gerade die Eingangstür wieder öffnen, da ertönten wieder diese hässlichen Sirenen, die Karla überhaupt nicht mochte, als Karlas Mutter sie hörte, schrie sie auch gleich.
„Oh nein, nicht schon wieder! Karla bleibe hier stehen, ich hole nur deine Schwester und Tante Ida raus, bitte laufe nicht weg, wir müssen in den Schutzraum! Hast du mich verstanden Karla?“
„Ja Mama, ja habe ich, doch ich habe Angst“, antwortete Karla und machte sich ganz klein. „Gleich kommt wieder bum, bum“, rief sie und hielt sich dabei ihre Ohren zu.
Ihre Mutter dagegen war in der Zwischenzeit auch schnell ins Haus gelaufen, sie stürmte in ihrer Wohnung und nahm Karlas Schwester aus ihrem Laufgitter heraus. Ihre Freundin Ida hatte sie, am Arm zufassen bekommen und mit sich gerissen, Ida wusste gar nicht, was los war. Anscheint hatte Ida es nicht gehört, dass die Sirenen heulten, denn sie war etwas schwerhörig.
„Was ist denn mit dir?“, fragte sie Paula.
„Hast du denn die Sirenen nicht gehört? Wir haben wieder einen Luftangriff und müssen schnell in den Bunker, beeile dich ein wenig“, schrie sie Ida jetzt an, da sie immer noch so langsam war.
Als sie das Haus verlassen hatten, konnten sie auch schon die ersten Schüsse von den Flakgeschützen hören und so beeilten sie sich noch ein wenig schneller. Paula hatte Karla auf der einen Seite an der Hand, und auf der anderen Seite hatte sie sich Karlas Schwester Christel unter ihrem Arm geklemmt, gleichzeitig zog sie auch noch ihre Freundin Ida mit sich mit. Zum Glück hatten sie es nicht sehr weit, bis zum Bunker und waren bald darauf dort in Sicherheit. Soweit niemand mehr draußen war, wurde der Bunker von Soldaten von drinnen verschlossen und er wurde erst nach der Entwarnung wieder geöffnet. Die Leute, die es nicht mehr rechtzeitig geschafft hatten, mussten draußen bleiben, sie mussten sich wo anders in Sicherheit bringen, denn der Bunker wurde nicht noch einmal geöffnet. Dieses Mal dauerte der Angriff, jedoch besonders lange und so saßen sie, ganz dicht zusammen gekauert dort unten. Auch Frau Sauer und ihr Mann, so wie auch der Milchmann Herr Schumacher, waren dort unten, doch niemand von ihnen sagte nur ein Wort. Sie hatten doch alle ein wenig Angst, dass der Bunker nicht halten würde, wenn er mal getroffen würde. Es rumpelte und rüttelte ja, bei jedem Einschlag in ihrer Nähe, außerdem hörte man es auch. Dieses Mal dauerte der Angriff ungefähr zwei Stunden, bevor es wieder Entwarnung gab. Doch endlich gab es wieder Entwarnung und der Bunker wurde wieder geöffnet. Alle Leute konnten wieder nach draußen gehen und in ihren Wohnungen zurückkehren.
So auch Paula, sie nahm ihre beiden Kinder und ihre Freundin Ida und machte sich auf dem Weg zu ihrer Wohnung. Sie mussten auch an zerbombte Häuser vorbei, die vorher noch ganz waren, als sie auf dem Weg zum Bunker waren. Hin und wieder mussten sie auch an tote Menschen oder Tiere vorbeilaufen, die es nicht mehr geschafft hatten, sich in Sicherheit zu bringen und nun dort zwischen den Schutt lagen. Paula hielt ihren Kindern aber jedes Mal die Augen zu, denn sie sollten so viel Leid nicht sehen. Als sie die ganzen zerbombten Häuser sah, hatte sie schon Angst, dass auch ihr Haus, wo sie ihre Wohnung hatten, auch zerbombt war. Doch als sie dichter kamen, sah Karla, dass sie noch einmal Glück gehabt hatten und das Haus noch stand, es hatte nicht einen Treffer abbekommen.
„Die armen Menschen, die heute wieder gestorben sind, das ist doch einfach nur traurig. Nimmt es denn gar kein Ende mehr?“, sagte die alte Ida zu Paula und ihre Kinder.
Ida konnte einfach damit nicht fertig werden, dass überall in ihrer geliebten Stadt Kiel so viel zerstört wurde. Ida lebte, schon solange sie denken konnte, hier in Kiel und sie würde auch nirgendwo anders wohnen und leben wollen als hier.
„Gott sei Dank Paula, unser Haus steht noch, was bin ich bloß froh“, sagte Ida vor Freude.
„Ich bin es auch, wir haben noch ein Zuhause“, erwiderte Paula und viel Ida um ihren Hals. „Weiß du was Ida, komm doch noch mit nach oben, du kannst gleich mit uns Abendbrot essen, dann bis du auch nicht so alleine“, machte Paula ihr den Vorschlag.
„O ja, wenn ich darf, komme ich gerne mit Paula, danke für die Einladung!“, bedankte sie sich und nahm ihr die kleine Christel aus dem Arm und lief schon mal vor.
Als sie nun so dort oben bei Paula und ihre Kinder war und am Tisch saß, unterhielten sie sich noch. Paula erzählte Ida auch, von der Einladung, die sie von Herrn Schumacher bekommen hatte.
„Ida was hältst du davon und vor allem was sagst du da zu, wenn ich die Einladung annehme?“, wollte Paula jetzt von ihrer Freundin wissen.
„Das musst du allein entscheiden, aber es ist ja auch nichts dabei, wenn du am Tag mit ihm tanzen gehst. Wie Frauen können ja auch nicht nur Trübsal blasen und nur hier zu Haus sitzen“, meinte Ida. „Außerdem bis du ja auch noch jung!“, fügte sie noch hinzu.
Ida war es aber normalerweise egal, denn sie würde ja sowieso nicht mehr zum Tanzen gehen, denn dafür war sie einfach schon zu alt. Sie hatte die meiste Zeit ihres Leben, ja schon hinter sich und so, wie sie es immer erzählt hatte, auch genossen. Ida hatte auch nie geheiratet und hatte auch keine eigenen Kinder und seitdem ihre Eltern verstorben waren, lebte Ida allein.
„Weiß du was Ida, du hast recht, ich werde mit ihm gehen, es ist ja auch nichts dabei“, sagte Paula, doch im selben Augenblick, sagte sie. „Doch wer passt denn auf meine Mädchen auf?“
„Dumme Frage, na wer schon, ich natürlich mein Mädchen!“, antwortete Ida daraufhin.
„Das würdest du machen?“, fragte Paula.
„Das sag ich doch, oder hörst du schlecht?“, fragte Ida ihr. „Außerdem was war das überhaupt für eine Frage, ich habe doch immer auf deine Kinder aufgepasst, oder etwa nicht? Also werde ich es doch wohl auch Sonntag machen!“
„Das finde ich ganz lieb von dir, dann kann ich ihn ja morgen Bescheid geben, wenn du einverstanden bist“, meinte Paula.
„Mädchen das kannst du! Doch nun lass uns über etwas anderem reden und nicht nur über das Tanzen und Männer Geschichten“, meinte Ida.
Paula und Ida saßen noch eine ganze Zeit, dort oben in der Küche beisammen und unterhielten sich. Karla sowie auch ihre Schwester Christel waren noch wach und spielten noch, denn ihre Mutter schickte sie nie allein ins Bett, sie wollte nicht, dass sie alleine in ihrem Zimmer lagen. Paula wollte ihre Kinder immer in ihre Nähe wissen, falls es wieder Fliegeralarm geben würde und sie zum Bunker mussten. Da es mittlerweile doch spät geworden war, verabschiedete sich Ida auch und ging eine Etage tiefer nach unten in ihrer Wohnung.
„Ich wünsche dir, noch eine gute Nacht“, rief Paula ihre Freundin noch hinterher.
Denn sie wartete dort oben auf den Flur, bis Ida in ihrer Wohnung war und ihre Tür hinter sich schloss. Nach und nach erlosch auch das letzte Licht im Haus, denn es waren ja auch nur noch Paula und Ida, die so lange wach gewesen waren und es kehrte jetzt auch Ruhe ein. In dieser Nacht hatten sie aber Ruhe und sie brauchten nicht in den Bunker zu flüchten, denn es gab kein Fliegeralarm.
Ganz früh, war auch schon das Läuten von der Straßenbahn zu hören und ganz langsam wurden alle Bewohner im Haus wieder wach. So auch Karla und ihre Schwester Christel, sie standen immer vor ihrer Mutter auf und gingen zum offenen Fenster in der Küche. Dieses hatte die Mutter offengelassen, denn dort sollte der Rauch von Idas Zigaretten abziehen und außerdem, war es auch heiß in dieser Nacht gewesen. Karla und ihre Schwester schoben einen Stuhl zum Fenster und kletterten auf die Fensterbank, sie wollten dort hinausschauen. Obwohl ihre Mutter es ihnen verboten hatte, dass sie ans Fenster gingen, doch Paula hätte es wissen müssen, dass ihre älteste Tochter es auch schon wieder vergessen hatte. Karla war einfach viel zu neugierig und wollte jetzt mit ihrer Schwester sehen, was dort draußen zu sehen war. Karla fasste den einen Fensterflügel an und wollte ihn noch weiter aufmachen, sodass ihre Schwester auch hinausschauen konnte. Als sie dabei auf das Nachbarhaus schaute, bemerkte sie einen schwarzen Mann auf dem Dach, es war der Schornsteinfeger, den sie jetzt dort sahen. Schlagartig schlug Karla das Fenster wieder zu, als sie ihn dort auf dem Dach gesehen hatte, es war ihr auch egal, dass Christel dabei vom Stuhl viel und auf den Fußboden landete. Sie hatte es nicht vergessen, was ihre Mutter ihr einmal erzählt hatte, dass der schwarze Mann übers Dach kommt und alle Kinder, die nicht gehorchen einsammelte und in seinen schwarzen Sack steckte. Da sich Christel doch ein wenig wehgetan hatte, bei dem Sturz vom Stuhl, fing sie an zu weinen und so wurde Paula auch wach und rief.
„Was ist denn jetzt schon wieder, bei euch los, könnt ihr mich nicht einmal länger schlafen lassen?“
„Doch, doch Mama, das wollten wir ja nicht!“, rief Karla zurück.
„Warum schafft ihr es nicht, einmal in Ruhe zu spielen? Ohne dass ihr Radau macht und eine von euch weint“, fragte Paula ganz verschlafen und stand auf.
Als sie sich jetzt anziehen wollte, musste sie feststellen, dass ihre Sachen im ganzen Zimmer verstreut waren, und so rief sie wieder.
„Karla und Christel, was habt ihr schon wieder gemacht? Ihr sollt, meine Sachen in Ruhe lassen! Könnt ihr nicht einmal hören?“
„Doch Mama das können wir!“, rief Karla ihr zu und im selben Augenblick schellte es an der Wohnungstür.
„Mama hast du gehört, es hat geklingelt, soll ich aufmachen?“, rief Karla ihr zu und machte sich auf zur Wohnungstür.
„Nein-nein! Ich bin gleich fertig und dann mache ich auf“, rief sie zwar noch, doch da war es auch schon zu spät und Karla hatte die Tür schon geöffnet.
„Guten Morgen Tante Ida, komme doch rein, du kannst mit uns spielen, Mama schläft ja noch“, sagte Karla.
„Wie, eure Mutter schläft noch? Es ist doch schon so spät, ich glaube, dann werde ich sie wohl wecken müssen“, sagte Tante Ida und rief nach Paula. „Paula schläfst du noch?“, rief sie, bevor sie die Tür zum Schlafzimmer öffnete.
„Nein ich schlafe nicht mehr“, antwortete Paula. „Wie soll ich denn noch schlafen, wenn meine Plagegeister mich nicht ausschlafen lassen. Die rauben mir noch den letzten Nerv, ab und zu könnte ich verzweifeln“, sagte Paula zu Ida.
„Na so schlimm, wird es wohl nicht sein, wie du jetzt tust!“, erwiderte Ida. „Aber weiß du was? Ich setze für uns erst einmal ein Kaffee auf und du machst dich fertig, dann können wir uns noch einmal unterhalten über deine Kinder. Ach, noch etwas! Da war wohl schon ganz früh ein guter Geist vor deiner Tür hier, der hat für dich ein Paket abgelegt“, erzählte Ida ihr, wobei sich auf den Weg zur Küche machte.
„Wie so ein Paket?“, fragte Paula noch einmal nach.
„Mache dich doch erst einmal fertig, dann kannst du es dir ja anschauen, du wirst staunen, was da drinnen ist und von wem es ist“, machte Ida ihr jetzt neugierig und grinste dabei, denn sie wusste ja, von wem es war.
Ida ging indessen in der Küche und setzte Wasser auf, doch vorher musste sie noch den Kohleofen anzünden, der dort in einer Ecke stand, denn er brannte nicht mehr, er war über Nacht ausgegangen. Als sie ihn angezündet hatte und Wasser aufgesetzt hatte, ging sie hinüber zum Küchenschrank und holte dort Brot, Erdbeermarmelade und die Margarine heraus, außerdem stellte sie Tassen und Teller auf den Tisch. Paula, indessen hatte sich, eine Schüssel Wasser in ihr Schlafzimmer geholt und wusch sich, um ein wenig frisch zu sein. Sie hatte sich auch ihre Haare gewaschen, anschließend hatte sie sich ein Handtuch um ihren Kopf gewickelt, da die Haare noch nass waren, es dauerte immer etwas länger, bis Paulas Haare trocken waren, denn sie besaß ja längeres Haar, da es Ida doch zu lange dauerte, rief sie.
„Paula was ist jetzt mit dir, wie lange dauert es denn noch? Der Kaffee ist auch gleich fertig!“
Doch es stimmte gar nicht, denn das Wasser kochte ja noch nicht so richtig, dass hatte Ida auch nur so gesagt, damit Paula sich ein wenig beeilen sollte. Ida war ja nur gespannt, was Paula sagen würde, wenn sie das sah, was dort in dem Paket drinnen war. Ida hatte es ja schon aufgemacht, da dort ja keine Adresse geschweige ein Absender draufstand.
„Tante Ida weiß du was?“, fragte Karla ihr.
„Nein, was soll ich denn wissen? Doch so, wie ich dich kenne, wirst du mir es doch bestimmt gleich erzählen! Was gibt es denn, was Tante Ida wissen soll?“, fragte sie.
„Na da draußen ist der schwarze Mann und der ist schon wieder auf der Suche, nach Kindern, die unartig sind“, erzählte Karla ihr.
„Da habt ihr beide noch mal glückgehabt, dass ihr ja nicht ungezogen seid“, antwortete Ida und schmunzelte.
„Ja das stimmt! Da magst du recht haben“, erwiderte Karla mit kesser Stimme.
„Dann wollen wir nur hoffen, dass es so bleibt!“, meinte Ida zu den beiden.
„Wir sind doch auch immer artig und lieb“, sagte Karla zu ihrer Schwester.
Doch Christel sagte gar nichts, denn sie war viel zu beschäftigt mit dem Essen. Ida hatte beide Mädchen eine Scheibe Brot geschmiert und etwas Milch in einen Becher gegeben. Ida dachte schon, dass Paula überhaupt nicht mehr kommen würde, und wollte schon wieder den Tisch abdecken, doch da kam sie schließlich.
„Meine Güte! Ich dachte, du kommst überhaupt nicht mehr“, meinte Ida, als sie ihre Freundin sah.
„Ach Ida, du weiß doch, bei mir dauert es immer etwas länger“, antwortete Paula.
Sie lief hinüber zum Tisch, nahm eine Tasse in ihre Hand und mit der anderen nahm sie die Kanne und goss sich einen Kaffee ein.
„Du sagtest etwas von einem Paket!“, fragte sie Ida.
„Ach ja stimmt! Das hätte ich ja fast vergessen“, meinte Ida darauf, obwohl es nicht stimmte, sie wollte Paula nur hochnehmen.
„Ida, lasse es doch sein, mich immer zu ärgern! Sage mir lieber, von wem es kommt?“
„Das steht zwar da nicht drauf, doch ich weiß es trotzdem, von wem es ist“, meinte Ida.
Ida hob ein paar Seidenstrümpfe in die Höhe und mit der anderen Hand hob sie ein Pralinenkasten an und zeigte beide Teile.
„Was meinst du denn, von wem diese denn wohl sind, na fällt dir es nicht ein?“, fragte sie und wackelte mit den Seidenstrümpfen in der Luft herum, da Paula nichts darauf sagte, meinte Ida nur. „Tanz mit mir, Tanz mit mir.“
„Weiß du was Ida? Ich gehe nicht mehr mit ihm zum Tanzen, was glaub der denn, was ich für eine bin, dass er mich Seidenstrümpfe schenken kann“, schimpfte Paula. „Das ist doch eine Frechheit von ihm, wenn ich mit ihm zum Tanzen gehe, mache ich es doch nicht deshalb, um etwas von ihm zubekommen.“
„Jetzt komme erst einmal wieder herunter, Paula er hat es wohl auch nicht so gemeint, er wollte bestimmt nur, dass du dich fein anziehen kannst!“
„Meinst du das?“, fragte Paula und tat nun ganz schüchtern.
„Ich bin ganz sicher! Das ist nicht so einer, wie die anderen Kerle“, kam es aus Ida ihr Mund.
Doch nach einer kurzen Zeit war Paula wieder wie umgewandelt und freute sich auch schon wieder darüber, dass sie endlich einmal wieder zum Tanzen gehen konnte.
„Ida, ich habe mich auch schon Gedanken gemacht, was für ein Kleid ich anziehen soll. Du kannst ja mal mit mir kommen, ich will sie dir mal zeigen“, schlug Paula Ida vor und zog Ida an ihrem Arm mit sich mit.
„Paula, was soll denn das? Du kannst sie mir doch nachher zeigen, lass uns doch erst mal zu Ende Kaffee trinken“, sagte Ida.
„Ach stelle dich nicht so an, wir können danach den Kaffee weiter trinken“, meinte Paula und riss Ida weiter mit sich.
„Mama, Karla will auch zum Tanzen“, sagte die Kleine.
Sie hatte das Gespräch mitbekommen und wollte gerade von ihrem Stuhl aufstehen und mit ins Schlafzimmer gehen.
„Karla, du bleibst dort sitzen und rührst dich nicht vom Fleck, hast du mich verstanden? Sonst gibt es Ärger!“, drohte ihre Mutter ihr.
„Ja, bleib du mal dort und passt auf deine Schwester auf und höre einmal auf deiner Mutter“, erwiderte auch Ida und verschwand mit Paula ins Schlafzimmer, damit sie von Paula Ruhe hatte.
Dort holte Paula ein blaues Kleid mit Blümchen und ein schlichtes hellgrünes heraus und legte es auf ihrem Bett.
„Was meinst du, das oder dieses hier?“, wollte Paula von ihr wissen und zeigte auf das Hellgrüne.
Ida stellte sich vor den Kleidern und betrachtete sie eine ganze Weile, doch schließlich antwortete sie.
„Lass mich noch einmal überlegen“, sagte Ida und hielt sich dabei ihr Kinn fest.
In der Zwischenzeit waren auch Karla und ihre Schwester aufgestanden und hatten sich den Marmeladentopf vom Tisch genommen. Und waren mit denselben unter den Küchentisch gekrabbelt, außerdem hatten sie die Tischdecke etwas weiter zu ihrer Seite heruntergezogen. Sodass ihre Mama, sie nicht gleichsehen konnte, wenn sie wieder mit Ida zurück in der Küche kam. Jeder von ihnen durfte einmal mit seiner Hand, in den Topf mit der Marmelade greifen und sich etwas herausnehmen. Er konnte selbst entscheiden, was er damit machen wollte, ob er es essen oder sonst etwas damit machen wollte. Karlas Schwester entschied sich für sonst etwas und schmierte den ganzen Küchen Tisch von unten voll. Karla war auch nicht besser, obwohl sie die Marmelade gegessen hatte, war auch ihr Rock so wie auch ihre Kittelschürze voller Marmelade. Als sie nun sah, wie es dort unten aussah, nahm sie den Marmeladentopf, von ihrem Schoß und gab ihn ihre Schwester Christel in der Hand. Anschließend krabbelte sie wieder unter dem Tisch hervor und setzte sich wieder an dem Tisch und tat so, als ob nichts gewesen war. Nachdem Paula, sich schließlich entschieden hatte, welches Kleid sie anziehen wollte, kamen beide Frauen auch wieder zurück in die Küche. Paula und Ida setzten sich am Tisch und gossen sich noch ein Schluck Kaffee ein, im ersten Augenblick viel ihnen auch nicht auf, dass dort jemand fehlte. Ida holte ihre Schachtel Zigaretten aus ihrer Schürze und wollte sich gerade eine Zigarette anzünden, da fiel ihr die Zigarette aus der Hand und landete auf dem Boden. Ida bückte sich zum Boden, um die Zigarette wieder aufzuheben, als sie unterem Tisch sah, rief sie nur.
„Ach du meine Güte! Was ist denn mit dir passiert?“, fragte sie Christel, die immer noch dort unten saß und mit die Marmelade herumschmierte.
„Mama auch Marmelade haben und Ida auch?“, fragte die kleine Christel und reichte den Topf an Ida weiter.
„Paula schau da bloß jetzt nicht runter, dann fällst du um“, warnte Ida ihr.
„Wieso?“, fragte Paula und hob die Tischdecke langsam in die Höhe und schaute doch.
Als sie ihre jüngste Tochter dort so sah, viel sie fast von Glauben, damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Christel war von unten bis oben mit Marmelade beschmiert, und als sie auch noch den Tisch von unten sah, wäre sie am liebsten angefangen zu schreien. Doch Ida versuchte sie immer wieder zu beruhigen und half sie auch dabei alles wieder sauber zu bekommen.
„Da hast du aber zwei Pracht Exemplare zur Welt gebracht“, meinte Ida nur und lachte dabei, als sie Karla saubere Sachen anzog.
„Das kannst du laut sagen, doch was soll ich machen, sie gehören ja zu mir“, meinte Paula nur.
Als sie nun endlich wieder fertig waren und die Kinder auf den Fußboden spielten, wollten sie sich noch ein wenig ausruhen und sich unterhalten. Doch dazu kam es nicht mehr, denn sie hörten auf einmal wieder die Sirenen und sie mussten so schnell wie möglich in dem Bunker. Ida schnappte sich Christel, die dort auf den Boden mit ihrem Teddybären spielte und Paula griff nach Karla, und riss sie hoch. Dabei verlor Karla ihre Puppe Klärchen, die zu Boden gefallen war. Beide Frauen liefen so schnell, wie sie nur konnten, mit den Kindern aus der Wohnung, doch als Paula auf dem Flur war, rief sie auf einmal.
„Warte ich habe noch etwas vergessen!“
Sie stellte Karla neben Ida hin und lief noch mal in die Wohnung zurück.
„Paula, wo willst du denn hin, komm schon wir müssen doch los“, rief Ida ihr hinterher.
Doch Paula hörte nicht auf sie und lief in die Küche, sie wollte ja noch das Fenster schließen, denn es stand immer noch offen. Sie hatte grade den Fensterriegel nach unten gedrückt, da schlug eine Bombe in der Nachbarschaft ein. Durch die Druckwelle flogen auch in der Küche bei Paula die Scheiben aus dem Fensterrahmen. Einige Splitter trafen auch Paula, sie bohrten sich tief in ihren Arm und Blut überströmt kam Paula wieder auf den Flur, wo Ida immer noch mit Paulas Kinder wartete.
„Paula was hast du denn gemacht, was ist dir?“, rief Ida ihr schreiend entgegen, doch es kam nicht viel aus Paula ihr Mund, sie sagte nur.
„Ida, wir müssen los, komm!“, und Ida fragte nur.
„Mädchen-Mädchen was ist nur mit dir geschehen?“
Ida nahm jetzt auch noch Karla an ihrer Hand und lief mit ihnen die Treppe hinunter und sie achtete auch darauf, dass Paula mitkam.
„Warum musstest du auch noch mal zurückgehen und die Fenster zu schließen? Scheiß auf die Fenster!“, schimpfte Ida, doch nun war es ja zu spät.
Es sah im ersten Augenblick, gar nicht so gut mit Paula aus und Ida machte sich große Sorgen um ihre Freundin. Paula, ihr Arm war von oben bis unten voller Blut und es hörte auch nicht auf zu bluten. Nachdem auch die Mädchen von Paula es mitbekamen, dass ihre Mama so blutete, schrien und weinten die Kinder, als sie ihre Mutter voller Blut sahen und Karla schrie.
„Mama-Mama, nicht sterben, oh nein!“
„Karla, du brauchst nicht weinen, eure Mama wird schon nicht sterben“, beruhigte Ida die Mädchen. Sie versuchte, die Mädchen zu trösten, und lief mit ihnen die Treppe weiter runter. Schließlich hatten sie es auch geschafft und waren aus dem Haus und Ida rief sofort um Hilfe und es kamen auch gleich zwei Soldaten, die in der Nähe waren und kamen zu ihnen hingelaufen und halfen Paula und Ida. Sie konnten sich aber nicht weiter um die Verletzung von Paula kümmern, denn sie mussten ja sehen, dass sie in den Bunker kamen. Dieses Mal hatten die Sirenen zu spät geheult und die Flugzeuge waren eher da, als was sie gedacht hatten. Die Soldaten nahmen Paula unter ihre Arme und liefen mit ihr los, in Richtung Bunker. Da sie mitbekamen, dass Ida mit den Kindern zurückblieb, riefen sie immer wieder.
„Schneller, schneller, laufen Sie, sehen sie zu wir müssen rein!“
„Ich kann doch nicht so schnell“, rief Ida zurück.
Ida ließ für einen kurzen Augenblick Karla los, um Christel richtig in ihren Arm zunehmen und vergaß, Karla wieder anzufassen, und so lief Karla allein nebenher. Der Abstand zwischen Karla und Ida wurde immer größer und bald waren Ida und Christel auch schon nicht mehr zu sehen. Der Abstand zwischen Ida und Karla war einfach zu groß, so konnte Karla sie auch nicht mehr einholen und so lief sie alleine weiter, denn sie kannte ja auch schon den Weg zum Bunker.
„Endlich haben wir es geschafft“, rief Ida, als sie mit Christel vor der Bunkertür stand.
Karla wurde von ihr überhaupt nicht vermisst, denn Ida war ja der Meinung, dass Karla mit ihrer Mutter schon im Bunker war und so antwortete sie auch, als sie von einem Soldaten gefragt wurde.
„Kommt dort noch jemand?“ und sie antwortete mit einem Kurzen und knappen.
„Nein, es kommt niemand mehr.“
Und so verschlossen die Soldaten den Bunker, denn es wurde auch höchste Zeit, denn die Flieger kamen noch einmal zurück und kamen den Bunker immer näher. Man hörte überall die Einschläge von den Bomben, die sie auf Kiel warfen, und die kleine Karla lief immer noch da draußen alleine herum. Karla war schließlich auch am Bunker angekommen und klopfte mit ihrer kleinen Hand gegen die Bunkertür. Sie konnte noch so viel dagegen klopfen, die dort drinnen konnten das Klopfen von ihr aber nicht hören.
Karla klopfte immer wieder dort gegen und sagte.
„Karla will auch rein, mach die Tür auf, hier draußen ist so viel bum, bum“, rief sie ganz verstört und fing an zu weinen.
Nach einer Weile, als sie sich ein wenig beruhigt hatte, setzte sie sich neben der Bunkertür in einer Ecke, die dort war, und schaute sich um. Da sah sie Alte, Bombensplitter überall verstreut dort auf den Boden liegen. Karla krabbelte zu ihnen hinüber und sammelte, ein nach den anderen ein und krabbelte wieder zurück zur Eingangstür in der Ecke und fing an, dort draußen mit dem Bombensplitter zu spielen.
Da Paula ja verletzt war, hatten die Soldaten Paula zum Sanitäter gebracht, der mit im Bunker war, es dauerte eine ganze Zeit, bevor er ihren Arm versorgt hatte. Die Wunde war einfach zu groß und außerdem musste er auch Glasstücke aus ihrem Arm herausholen, danach hatte er die Schnittverletzungen genäht. Erst nachdem der Sanitäter Paula versorgt hatte, viel es ihr dort drinnen auf, dass ihre Tochter Karla nicht bei ihnen war und Paula rief immer wieder ihren Namen.
„Karla, Karla, komm zu deiner Mama!“, rief sie immer wieder.
Da Karla aber nicht kam, suchte sie den ganzen Bunker nach ihr ab, doch sie fand ihre Tochter nicht.
„Ida, wo hast du meine Tochter gelassen, sie war doch bei dir!“, schrie sie.
Ida schaute ihr nur an, denn erst jetzt fiel ihr auf, das Karla nicht dort war und Paula fragte erneut.
„Wo hast du Karla, sie war doch bei dir?“
Erst jetzt schaute auch Ida sich um und sagte.
„Oh nein Karla! Wo ist sie, habe ich sie denn nicht mit reingenommen?“, rief Ida jetzt auch.
„Du alte Frau, du kannst noch nicht einmal, auf ein Kind aufpassen“, schrie Paula und machte jetzt ihre Freundin Vorwürfe.
„Ich weiß es nicht, sie war doch noch bei mir, doch ich habe gedacht, sie wäre schon mit dir im Bunker hineingegangen“, antwortete Ida ganz aufgeregt.
„Wie mit mir? Sie war doch bei dir die ganze Zeit, du hattest sie doch an der Hand“, schrie Paula Ida an.
„Ich dachte, sie wäre bei dir, darum habe ich mich auch nicht mehr darum gekümmert“, sagte Ida und fing an zu weinen, Ida machte sich selber jetzt auch große Vorwürfe.
„Du bist eben eine alte dumme Frau“, schrie Paula ihr immer wieder an.
Paula war kurz vor einem Nervenzusammenbruch und die Soldaten hatten große Mühe, Paula von der Tür fernzuhalten, denn sie wollte sie öffnen, damit sie aus dem Bunker rauskonnte.
„Lassen sie mich gehen, ich muss zu meinem Kind, lassen sie mich bitte“, schrie Paula die Soldaten an, wobei sie einen Soldaten auf seine Brust schlug. „Karla, Karla“, schrie sie immer wieder. „Meine Tochter ist noch da draußen, lassen sie mich zu ihr“, flehte sie den Soldaten an und weinte bitterlich.
„Wir können nicht den Bunker aufmachen, gute Frau“, sagte einer der Soldaten zu ihr.
Es hatten noch mehrere Menschen, es an diesen Tag nicht geschafft den Bunker zu erreichen und mussten dort draußen versuchen zu überleben, das bekam Paula jedoch noch zu sehen, wenn sie sich wieder auf den Weg nach Hause machten, sobald der Bunker wieder geöffnet wurde. Karla hatte indessen großes Glück gehabt, es waren keine Bomben in der Nähe von dem Bunker gefallen. Sie hatte auch nicht mehr viel von dem Luftangriff mitbekommen, denn sie war viel zu beschäftigt mit den Bombensplittern, womit sie spielte. Irgendwann am Vormittag ertönte wieder die Sirene, für die Entwarnung und es öffnete sich wieder der Bunker, alle Leute kamen nach und nach wieder heraus und waren froh, dass es vorbei war. Als die Leute aus dem Bunker herauskamen, stellten sie sich alle um Karla, sie waren ganz erstaunt, dass die Kleine nichts geschehen war und dass sie dort spielte. Paula hatte im ersten Moment, aber gar nicht mitbekommen, dass sie dort nur alle wegen Karla standen, sie bemerkte, es erst als ein Mann Karla hochhob und ihr fragte.
„Woher kommst du denn und wo hast du deine Mutter gelassen?“
„Karla da bist du ja!“, rief Paula, als sie ihre Tochter sah und lief mit Christel auf dem Arm, auf sie zu und setzte Christel auf dem Boden.
„Mama, Mama! Ich habe dich immer gerufen, doch du hast mich nicht aufgemacht.“
„Oh meine kleine Karla!“, sagte sie und kniete sich zu ihr runter.
„Mama warum denn nicht?“, fragte Karla noch mal.
„Es tut mir leid Karla, es tut mir so leid, es kommt nie wieder vor!“, sagte Paula und drückte ihre Tochter noch einmal, sie war überglücklich, dass ihr nichts geschehen war.
Danach ging sie zu dem Mann, um sich bei ihm zu bedanken, sie sagte nur.
„Danke!“, sagte sie und umarmte ihn mit ihrem gesunden Arm.
Danach nahm Paula Karla noch einmal in ihren Arm und drückte sie ganz fest und untersuchte sie, ob sie auch nichts geschehen war.
„Mama, warum habt ihr denn nicht aufgemacht? Ich wollte doch auch in das Haus wegen dem bum, bum“, sagte Karla, sie konnte es nicht verstehen und begreifen, dass ihre Mama nicht aufgemacht hatte.
„Ich weiß mein Engel, ich weiß und es tut mir ja auch leid, doch Mama konnte die Tür nicht aufbekommen“, antwortete Paula, wobei ihr ein paar Tränen über ihr Gesicht liefen, wobei sie Karla noch doller drückte. „Sag mal, warum bist du denn nicht bei Tante Ida geblieben?“, fragte Paula ihre Tochter.
„Sie war doch zu schnell und du auch mit dem Onkel, ich kann nicht so schnell laufen“, meinte Karla.
„Doch Gott sei Dank, dir ist nicht geschehen“, sagte Paula und drückte sie abermals.
„Sie hatte wohl, einen ganz besonderen Schutzengel gehabt“, meinte der fremde Mann, der immer noch dort bei ihnen stand.
Er streichelte Karla noch einmal über den Kopf und ließ sie schließlich mit deren Mutter allein zurück. Auch all die anderen Menschen, die mit im Bunker waren, waren mittlerweile schon fort, denn sie hatten ja alle ihre eigenen Sorgen. Paula setzte Karla wieder ab, lief zu Christel und nahm sie wieder in den Arm. Sie machte noch einmal ihr Kleid sauber und faste Karla an der Hand. Paula wollte gerade mit ihren Kindern loslaufen, doch da schaute sie einmal zurück und da sah sie ihre Freundin Ida, die immer noch wie ein Häufen Unglück vor der Bunkertür stand.
„Ida es tut mir leid, dass im Bunker, was ich zu dir gesagt habe“, rief sie zu ihrer Freundin rüber. „Komm, lass uns es alles wieder Vergessen und lass uns wieder Freunde sein.“
„Ja das können wir, gehe man schon vor, ich komme gleich nach“, rief Ida mit trauriger Stimme.
Die Worte von Paula haben ihr doch nachdenklich gemacht, sie musste feststellen, dass Paula damit recht hatte. Dass sie eine alte dumme Frau war, die noch nicht mal mehr auf ein kleines Kind aufpassen konnte, ohne dass es ihr verloren ging. Ida dachte auch, wie es dann wäre, wenn sie irgendwann allein wieder wäre. Wenn der Krieg vorüber ist und Paulas Mann wieder bei Paula wäre, dann würde sie von niemand mehr gebraucht und so wäre sie wieder allein. Ida stand immer noch dort und überlegte, da rief Paula erneut.
„Was ist Ida? Komm endlich mit, es tut mir auch leid, was ich zu dir gesagt habe, es ist nicht so, verzeih mir“, rief sie.
„Geht man schon vor, ich komme gleich nach“, rief Ida ihr zu. „Ich habe noch etwas vergessen“, rief Ida und tat so, als ginge sie noch einmal in den Bunker hinein.
„Na schön! Doch beeile dich Ida, wir wollen doch nach Haus“, rief Paula und lief mit ihre Kinder weiter.
Paula musste mit ihre Kinder, auch wieder beim Milchgeschäft vorbei, doch erst als sie dichter am Geschäft waren, viel ihr auf, dass sie den Herrn Schumacher überhaupt nicht im Bunker gesehen hatte, genauso wie die Eheleute Sauer. Als sie nun noch dichter kamen, sah sie das dort, wo vorher noch das Milchgeschäft stand, eine große Lücke zwischen den Häusern war und das dort jetzt nur ein Haufen Bauschutt lag. Und es liefen dort ganz viele Leute herum, die dort den Schutt bei Seite räumten. Einige von ihren hörte sie sagen, dass sie ihm wohl nicht lebend dort herausholen würden und dass sie aufhören konnten, den Schutt zur Seite zu schaffen.
„Entschuldigen Sie bitte, wem suchen Sie denn dort noch?“, fragte Paula einen Sanitäter, der dort mit war und half.
„Der Eigentümer soll sich noch unter dem Schutt befinden, der wird es wohl nicht überlebt haben“, antwortete der Sanitäter.
„Warum fragen sie?“, fragte ein anderer Anlieger.
„Sind Sie mit ihn verwand?“, fragte der Sanitäter ihr.
„Nein, nein! Ich kenne ihn nur“, erwiderte Paula nur.
Sie schaute noch einmal zu dem Schutthaufen und lief schließlich mit ihren Kindern weiter, sie hatte es doch ein wenig mitgenommen, auch wenn sie nicht mit seinen plumpen Annäherungsversuchen einverstanden war. Sie konnte ihn doch irgendwie leiden, auch wenn sie es ihn nie gesagt hatte. Paula lief langsam weiter, denn sie wollte es nicht sehen, wenn sie ihn irgendwo dort unter den Schutt herausholen würden. Sie schaute sich noch einmal um, als sie etwas weiter entfernt war und sagte.
„Ich wünsche ihnen, wo immer sie jetzt auch sind, dass sie dort glücklich werden und in Frieden leben und das sie jemanden gefunden haben, der an ihrer Seite ist“, sagte sie, danach drehte sie sich wieder um und lief weiter.
„Mama bekommen wir denn jetzt gar keine Milch mehr, wo doch das Haus weg ist und auch der Onkel Schumacher!“, fragte Karla.
„Doch warum nicht, wir müssen nur etwas weiterlaufen und können nicht mehr zu dem Onkel Schumacher“, beruhigt Paula ihre Tochter.
„Aber warum soll Onkel Schumacher glücklich werden, wo er jetzt ist?“, fragte Karla. „Er kann doch wieder zurückkommen“, meinte Karla und fragte ihre Mutter, warum sie jetzt so traurig schaute.
„Ich schaue doch immer so und außerdem ist nichts“, antwortete Paula auf ihrer Frage.
Doch Paula sollte etwas später noch feststellen, dass noch mehr gute Freunde gegangen waren, die es nicht mehr geschafft haben. Als sie auch dichter an das Haus von den Eheleuten Sauer gekommen war, sah sie wie der Herr Sauer, auf einen hohen Berg Schutt kniete, und rief immer wieder.
„Erna, ich komme, ich habe es bald geschafft und dann bist du wieder frei, Erna ich bin bald bei dir“, rief er immer und immer wieder, wobei er den Schutt zur Seite warf, um zu seiner Frau zu gelangen.
Er war ganz verzweifelt und mit bloßen Händen, hob der alte Mann die Schuttteile an und schmiss sie zur Seite, doch umso mehr er wegnahm, umso mehr kam nach gerutscht und er hatte keine Chance. Als Paula das sah, wollte sie ihn erst helfen, doch als sie noch dichter an ihm dran war, sah sie ein Bein von der Frau Sauer, dort unter Hervorschauen. Es war abgetrennt und der Rest von ihrem Körper war nicht zu sehen. Paula hielt sofort die Augen von Karla zu und drehte sich auch gleich so um, sodass auch Christel nicht davon sah. Da sie ja die Kinder bei sich hatte, lief Paula lieber weiter, denn sie konnte ihm mit seiner Frau, doch nicht mehr helfen. Paula musste jetzt doch schlucken, denn ihr tat es auch weh, dass die Frau Sauer ums Leben gekommen war, und schließlich liefen auch Paula Tränen über ihr Gesicht. Als Karla es sah, dass ihre Mutter weinte, sagte sie zu ihr.
„Muss nicht traurig sein und muss nicht weinen Mama. Du hast doch uns, Christel und Karla, wir werden dich nicht allein lassen, so wie die Tante Sauer.“
„Ist ja schon gut Karla, ich weine ja auch schon nicht mehr“, antwortete Paula und wischte sich mit ihrem Verband, den sie trug, ihre Tränen aus ihrem Gesicht.
Ida, die immer noch am Bunkereingang stand, wollte gerade loslaufen, da hörte sie eine Stimme sie rufen.
„He sie da vorne, warten sie mal“, rief ein Soldat ihr zu.
Ida schaute sich dort draußen um, ob dort noch jemand anderes war, der gerufen wurde, doch sie musste feststellen, dass sie die Einzige war, die dort stand und so fragte sie.
„Meinen sie vielleicht mich?“, rief sie wieder den Soldaten zu, der jetzt auch schon fast zu ihr gelaufen war.
„Ja, wem denn sonst, sehen Sie hier denn sonst noch einen anderen?“, fragte der Soldat.
„Nein sehe ich nicht“, antwortete Ida.
„Na also! Sie kommen doch immer mit der Frau hierher, Sie wissen schon, welche ich meine? Die Verrückte, die heute aus dem Bunker raus wollte“, sagte der Soldat zu Ida.
„Ja ich kenne sie, aber meine Freundin ist nicht verrückt, sie hatte ja nur Angst um ihre Tochter“, verteidigte Ida sie.
„Das ist mir auch egal, was die Frau hat, ich habe hier nur ihre Tasche gefunden, sie wird sie wohl heute hier vergessen haben“, sagte der Soldat und hielt sie in Richtung Ida.
„Wie ihre Tasche ist noch hier?“, fragte Ida.
„Ja, was kann man da nicht dran verstehen? Da Sie gesagt haben, dass es ihre Freundin ist, können Sie ja ihr auch die Tasche wieder mitnehmen und sie ihr geben, denn dort sind all ihre Papiere drin, die sie vielleicht noch mal braucht“, sagte der Soldat.
„Die hat sie wohl ganz in Gedanken vergessen“, meinte Ida und bedankte sich bei ihm.
„Davon gehe ich aus, doch so genau, weiß ich es auch nicht“, sagte der Soldat.
„Ich werde die Tasche ihr wieder geben“, erwiderte Ida.
Der Soldat überreichte Ida die Tasche und lief einige Schritte bei Seite und setzte sich dort auf einen Mauervorsprung, der beim Bunker war, und steckte sich eine Zigarette an, man konnte richtig hören, wie er an seiner Zigarette zog. Und so dachte Ida noch, dass ihn seine Zigarette schmecken musste, so hörte es sich jedenfalls an. Ida nahm Paulas Tasche unterm Arm und machte sich jetzt doch auf den Weg nach Haus. Paula war mittlerweile auch wieder am Haus, wo sie mit ihren Kinder wohnten, angekommen und sie wollte nur noch in ihre Wohnung.
„Mama kann ich nicht noch etwas draußen bleiben?“, fragte Karla ihr, denn sie wusste ja gar nicht, was sie schon dort oben sollte, denn es war doch so ein schönes Wetter.
„Nein Karla, komm mit nach oben, du kannst mit deiner Schwester spielen“, sagte ihre Mutter zu ihr.
Paula wollte sich nicht, noch mehr Sorgen machen müssen, wenn sie Karla dort allein draußen ließ. Zusammen liefen Paula und ihre beiden Kinder die alte Holztreppe, die in ihre Wohnung führte nach oben. Es dauerte dieses Mal doch etwas länger als sonst, denn Paula war mit ihren Gedanken ganz weit weg. Als sie schließlich die Wohnungstür erreicht hatte, nahm sie ihren Schlüssel, aus ihrer Rocktasche in ihrer Hand und schloss auf. Sie drückte die Türklinke langsam nach unten und öffnete die Tür. Als Erstes wollte Karla in die Wohnung hineinlaufen, doch Paula konnte Karla grade noch mit ihrer einen Hand halten, sonst wer sie wohl in die Tiefe gestürzt. Denn was man nicht von draußen sehen konnte, war das, dass sich hinter der Tür ein tiefer Abgrund jetzt auftat, wo vorher noch, die Wohnung von Paula und ihre beiden Kinder gewesen war.
„Halt nicht weiter!“, schrie Paula nur und zog Karla wieder an ihren Kragen zurück und schmiss die Tür wieder zu.
„Mama, warum hast du mir wehgetan und hast die Tür wieder zugemacht? Ich will doch hinein“, sagte Karla.
„Es geht nicht Karla“, antwortete Paula nur und musste den Schock erst mal verdauen.
„Mama, wir Wohnen doch hier, mache doch die Tür wieder auf und lass uns hinein gehen“, forderte Karla ihre Mama auf.
„Nein, du hast doch gehört!“, schrie Paula erneut. „Karla es geht nicht“, sagte sie und öffnete ganz vorsichtig die Tür noch einmal, ein kleines Stück. „Karla, du bleibst hier vorne stehen, hast du mich verstanden“, sagte sie noch und öffnete die Tür ganz langsam und vorsichtig weiter. „Schau doch selbst, wir haben keine Wohnung mehr, sie ist weg“, sagte sie und fiel auf ihre Knie und weinte wieder los.
Karla, die neben ihrer Mutter stand, wusste auch nicht, was sie sagen sollte, und hielt nur ihre Hände vor ihrem Gesicht und blinzelte zwischen ihre Finger hindurch.
„Das darf doch wohl nicht wahr sein, erst bekomme ich die Glassplitter in meinen Arm, dann verliere ich dich, außerdem sind fast alle meine Freunde jetzt tot und nun auch noch das, ich halte es nicht mehr aus und ich kann auch nicht mehr!“, schrie Paula laut auf.
„Mama weine nicht, ich und Christel sind doch noch da, du hast uns doch als Freunde“, versuchte Karla ihre Mutter zu beruhigen und fuhr ihre Mutter mit einer Hand über die Haare, doch auch Christel sagte zu ihr.
„Weine nicht Mama, nicht weinen, ich mach besser.“
Karla drehte sich wieder um und machte einen langen Hals, dabei stellte sie sich auf ihre Zehenspitzen, denn sie suchte dort unten etwas, es war ihre Puppe, die hatte sie ja in der Wohnung gelassen, als sie zum Bunker laufen mussten, sie konnte ja die Puppe nicht so schnell finden, um sie mitzunehmen. Als Karla eine längere Zeit dort runter gesehen hatte, konnte sie ihre Puppe auch schließlich dort unten im Schutt erkennen, doch von ihrer Puppe war nicht viel übriggeblieben. Ein Arm und ein Bein waren ab, außerdem hatte sie auch ein riesiges Loch am Hinterkopf.
„Mama schau dort unten ist Klärchen“, sagte Karla und zeigte mit ihrem Finger dorthin, wo die Puppe lag.
„Wo ist sie?“, fragte Paula ihr und wischte sich die Tränen aus ihrem Gesicht.
„Na dort unten liegt sie! Siehst du sie nicht? Sie liegt dort unten, sie ist auch tot“, schrie Karla und fing selbst an zu weinen.
Denn ihre geliebte Puppe gab es jetzt auch nicht mehr, die sie von ihrem Papa bekommen hatte und die sie gehütet hatte wie ein Schatz.
„Doch jetzt sehe ich sie auch, du hast recht, sie ist ganz kaputt“, sagte Paula, nachdem sie eine ganze Zeit dort hinuntergesehen hatte.
„Können wir sie nicht holen?“, fragte Karla ihr.
„Nein Karla, das lohnt sich nicht. Doch weiß du was? Wir kaufen dir bei Gelegenheit eine Neue, das verspreche ich dir“, versprach sie um Karla zu trösten.
„Mama wir müssen sie aber doch holen, ich muss sie doch auch in die Erde vergraben, dann kommt sie auch in den Himmel“, sagte die Kleine, wobei sie schluckte.
„Das brauchen wir nicht, das ist doch nur eine Puppe“, erwiderte ihre Mutter.
„Tante Sauer wird doch auch in der Erde vergraben, kam es jetzt über Karlas Lippen, das hast du mir doch mal erzählt, dass wenn man tot ist, in die Erde vergraben wird.“
Damit hatte Paula jetzt nicht gerechnet, das zu hören, also hatte Karla es ja doch mitbekommen, dass Frau Sauer tot war, dachte sie.
„Komm lieber mit mir, lass uns runtergehen und auf Tante Ida warten, wir können hier doch nichts mehr machen“, sagte Paula und nahm ihre Kinder mit nach unten.
Als sie unten wieder angekommen waren, setzten sie sich auf der Treppenstufe vor dem Haus und warteten auf Ida.
„Schau mal dort Mama, da kommen noch mehr Leute und sie haben noch mehr tote Menschen dabei und schieben sie durch die Stadt“, meinte Karla.
„Nein sie bringen sie zum Friedhof, wo alle beerdigt, werden“, erzählte ihre Mutter ihr.
„Na dann komm und lass uns Klärchen auch dort hinbringen“, meinte Karla.
„Karla nun zum letzten Mal, Klärchen war nur eine Puppe, die kommt nicht unter die Erde und außerdem dürfen wir dort nicht rumkrabbeln. Wenn dort noch etwas einstürzt, dann müssen wir vielleicht auch sterben und willst du das?“
„Nein, nein, das will ich nicht!“, meinte Karla nun, nachdem sie das gehört hatte.
„Na also, dann höre davon auf und spiele ein wenig mit deiner Schwester.“
„Hallo ihr drei!“, hörten sie auf einmal, es war Ida, die dort kam und sie hob Paulas Tasche in die Höhe. „Schaut mal, was ich hier habe“, rief sie.
„Oh nein, meine Tasche! Wo hast du die denn her?“, fragte Paula leise.
„Ja, da staunst du was?“
„Wo kommst du denn dabei?“, fragte Paula Ida erneut, als sie nun neben ihr stand.
„Die hast du dort heute vergessen, ein Soldat hat sie dort liegen sehen, und da er uns schon öfters dort zusammen gesehen hatte, gab er sie mir. Aber was machts du denn noch hier unten, warum gehst du nicht hinauf und warum siehst du so verweint aus?“
„Ich kann nicht mehr in meine Wohnung, ich habe keine mehr“, erzählte Paula ihr.
„Wieso, keine Wohnung mehr?“, fragte Ida.
„Geh doch hoch und schaue selbst“, forderte Paula sie auf.
„Das verstehe ich nicht, ich weiß gar nicht, was du meinst?“, meinte Ida nur und zuckte mit ihrer Schulter.
„Geh und schau, dann wirst du schon sehen, doch sei vorsichtig, wenn du die Tür öffnest.“
Ida hielt sich am Treppengeländer fest und lief langsam die Treppenstufen nach oben rauf. Ida konnte sich gar nicht denken, was Paula damit gemeint hatte, sie hätte keine Wohnung mehr. Denn auch Ida konnte nichts auf den Flur sehen, das etwas hier im Haus nicht stimmte. Als sie oben angekommen war, öffnete sie ganz vorsichtig die Wohnungstür von Paulas Wohnung, so wie Paula ihr es geraten hatte, und schaute hinein.
„Ach du meine Güte! Was ist denn hier geschehen?“, rief sie mit lauter Stimme.
Als sie dort so stand, schaute sie sich die Bescherung ganz genau an und jetzt wusste sie auch, warum Paula unten saß. Doch auch Ida war jetzt sprachlos und hielt eine Hand vor ihren Mund und schüttelt nur ihren Kopf. Nachdem sie sich eine Zeit lang dort umgesehen hatte, machte sie sich wieder auf den Weg nach unten, zu Paula und ihre Kinder. Ganz vorsichtig und ein wenig ängstlich ging Ida die Treppe wieder runter, denn sie hatte Angst, dass die Treppe auch einstürzen würde, wenn sie zu schnell runter lief. Nachdem sie wieder neben Paula und ihre Kinder stand, sagte sie ihr.
„Paula deine Wohnung ist ja ganz kaputt, da ist ja gar nichts mehr!“, sagte sie zu ihr. „Und was nun, was machst du jetzt, was machst du ohne Wohnung?“
Paula, die dort unten immer noch auf der Treppe saß, zuckte nur mit ihren Schultern, denn was sollte sie auch noch großartig dazu sagen. Da die Haushälfte, wo Ida ihre Wohnung war, noch ganz war und von dem Bombeneinschlag verschont geblieben war, sagte Ida zu Paula.
„Wenn du willst, kannst du mit deine Kinder, ja bei mir wohnen“, machte Ida ihr den Vorschlag. „Denn meine Wohnung hat ja nichts abbekommen. Was hältst du von meinem Vorschlag?“
„Ich weiß nicht, auf Dauer wird es wohl zu eng für uns alle bei dir sein, aber trotzdem vielen Dank für dein Angebot.“
„Wenn wir jedoch so lange, bis ich etwas anderes gefunden habe, bei dir bleiben dürften, das wäre schön“, sagte Paula und schaute Ida dabei an.
„Du kannst bleiben, solange wie du willst“, meinte Ida noch, Ida hatte es noch nicht ganz ausgesprochen, da stand Paula auf und rief.
„Ich hab’s, ich fahre mit die Kinder zu meiner Schwiegermutter nach Itzehoe! Dort kann ich bestimmt bleiben, meine Schwiegermutter nimmt uns bestimmt auf.“
„Wieso denn das?“, fragte Ida ihr. „Ich habe dir und deine Kinder doch bei mir einen Platz angeboten“, sagte Ida enttäuscht, denn das wollte und konnte sie nicht begreifen.
„Na ja! Itzehoe es doch nicht so groß und von meiner Schwiegermutter weiß ich, dass es dort viel ruhiger ist. Sie haben auch nicht so viele Bombenangriffe wie hier bei uns. Denn sie haben dort auch nicht so viel Industrie, wie wir hier und deshalb lohnt es sich wohl auch nicht, dass sie dort die Bomben werfen. So hat sie mir es auf jeden Fall einmal in einen Brief geschrieben und auch das ich jede Zeit dort hinkommen könnte, mir ist es jetzt erst wieder eingefallen“, erzählte Paula Ida nun.
„Und was wird denn aus mir, wenn du gehst?“, fragte Ida ihr.
„Du brauchst dir keine Sorgen machen, ich hole dich nach, sobald ich dort eine Wohnung gefunden habe, das verspreche ich dir Ida“, beruhigte Paula ihr.
Ida schaute ein bisschen ungläubig und auch traurig, denn so recht glauben wollte sie es aber nicht, was Paula ihr versprochen hatte.
„Wenn du meinst, dann soll es so sein“, sagte Ida trotzdem, obwohl sie nicht so recht daran glaubte.
Ich muss auch noch, meine neue Adresse für Walter, zur Wehrmachtsverwaltung bringen, sonst weiß er ja gar nicht wo ich abgeblieben bin und seine Briefe kommen dann auch nicht mehr bei mir an.“
„Das können wir ja morgen machen“, meinte Ida.
„Nein! Das lass uns doch noch heute erledigen, dann kann ich morgen schon mit den Kindern fahren und den ersten Zug nehmen, der nach Itzehoe fährt“, sagte Paula und schaute dabei zu Ida. Paula nahm ihre beiden Kinder an der Hand und lief mit ihnen los. „Was ist, willst du nicht mit?“, rief sie Ida zu, als sie sah, dass Ida nicht mitkam. „Auf was wartest du, komm endlich mit Ida“, rief sie nochmals, da Ida sich immer noch nicht rührte.
Ida überlegte noch mal, sie sah es schließlich auch ein, dass es das Beste für Paula war und zusammen mit den Kindern, machten sie sich auf den Weg.
„Wir können ja auch noch, am Bahnhof vorbeigehen und uns erkundigen, wann morgen der erste Zug fährt und wo ich aussteigen muss“, sagte Paula.
„Mama wo fahren wir denn hin, wenn wir auf den Bahnhof sind?“, wollte Karla von ihrer Mutter wissen.
„Wir wollen Morgen zu Oma fahren und wollen dort bei ihr erst einmal wohnen“, erzählte Paula ihre Tochter.
„Oh ja, das ist fein, dann kann ich ja mit Oma spielen“, sagte Karla und freute sich. „Hast du es gehört wir fahren zu Oma Christel“, sagte sie freudestrahlend zu ihrer kleinen Schwester.
Normalerweise konnte Karla sich aber gar nicht an ihre Oma erinnern, denn als sie die Oma zuletzt gesehen hatte, war sie ja viel zu klein. So konnte sie sich auch nicht an sie erinnern und schon gar nicht Christel, die war ja noch viel kleiner. Karla löcherte ihre Mutter über und über mit Fragen. Wo es war und wie es bei der Oma denn aussieht, ob sie sich dann auch freute, wenn sie kämen und ob dort auch so viele Bomben geworfen werden, wie hier, aber ihre Mutter verneinte es.
„Es soll dort ziemlich friedlich sein“, meinte sie nur.
„Hast du es gehört? Wir fahren nach meiner Oma und dort soll es ganz schön sein“, sagte Karla zu Ida, die sie an der Hand hielt und neben ihrer Mutter lief.
„Ja ihr habt es vielleicht gut und was soll ich hier denn alleine machen?“, fragte Ida traurig.
„Komme doch mit uns, Oma wird sich bestimmt freuen“, schlug Karla Ida vor.
„Das glaube ich nicht, sie ist froh, wenn nur ihr bei ihr wohnt und außerdem ist die Wohnung doch bestimmt viel zu klein für alle“, meinte Ida.
„Tante Ida, du kannst doch bei mir im Bett mit schlafen, ich bin ja noch klein und brauche nicht so viel Platz“, meinte Karla und sagte. „Stimmt doch Mama, oder!“
„Ach Karla, Tante Ida kommt nach, sobald ich für uns eine Wohnung gefunden habe“, sagte ihre Mutter noch einmal.
„Vielen Dank für dein Angebot Karla, ich freue mich sehr darüber, doch solange können wir uns ja auch schreiben, bis deine Mutter eine Wohnung gefunden hat“, stimmte Ida zu.
Nach und nach erledigten sie alles, beim Wehrmachtsamt und auch auf den Bahnhof, obwohl es dort auf den Bahnhof viel zu sehen gab, machten sie sich aber wieder auf dem Heimweg. Sie mussten den ganzen hin und Rückweg laufen, denn auf mehrere Stellen, lagen von den kaputten Häusern, Mauerwerk auf den Gleisen und so konnte die Straßenbahn nicht fahren. Doch das machte Paula und ihre Kinder nichts aus, sie wussten ja das Heute für sie, der letzte Tag in Kiel war und das sie es ab morgen ruhiger hätten bei ihrer Oma, so glaubten sie zu Mendes. Ida redete auch nicht mehr davon, sie war einfach traurig darüber, dass ihre beste Freundin fortging. Als sie so dort liefen, sahen sie wieder ein Haufen von Menschen dort vor dem Haus der Eheleute Sauer stehen, einige hielten sich eine Hand am Kopf und schüttelten ihren Kopf nur und von anderen, konnte man hören.
„Wieso hat er es getan?“, und wieder andere sagten. „Der Mann muss seine Frau aber sehr geliebt haben!“
Als Paula und Ida dichter am Haus waren, oder mehr an die Überreste von dem Haus der Sauers gekommen waren, mussten sie aber wieder die Kinder die Augen zuhalten. Paula und Ida konnten noch sehen, wie einige Männer den Herrn Sauer von einem Balken abgeschnitten hatten, denn er hatte sich das Leben genommen und hing dort an ein Seil. Er konnte den Verlust von seiner Frau nicht überwinden, denn sie fehlte ihm so sehr, und da er nicht alleine sein wollte, hing er sich auf.
„Der arme Mann, der muss seine Frau aber geliebt haben“, sagte jetzt auch Ida, als sie es sah.
„Wie kommen sie denn darauf, es war ja nicht nur das“, sagte ein anderer Bewohner der Straße.
„Wieso? War da denn, noch etwas anderes?“, fragte Paula, denn normalerweise wüsste sie es doch.
„Ja, haben sie es denn nicht mitbekommen, die Eheleute Sauer haben doch vor dem Luftangriff ein Brief erhalten, dass ihr Sohn Willi gefallen sei, man konnte ihn auch nicht mehr helfen, die Verletzungen sollen zu schwer gewesen sein“, erzählte der Nachbar.
„Der arme Mann“, hörte man jetzt von Paula und seufzte. „Das ist noch ein Grund mehr, um von hier zu verschwinden“, sagte sie und verabschiedete sich von den Nachbarn und lief weiter. „Das haben sie aber nicht verdient, sie haben so auf ihren Sohn gewartet und gehofft, dass er bald heimkam“, meinte Paula noch.
„Ja! Das Leben kann schon grausam sein“, sagte der Nachbar und ging wieder fort.
Paula schaute sich noch einmal um und sah, wie sie den Herrn Sauer auf einen Handkarren legten und schoben mit ihm davon.
„Kommt schnell von hier fort, wir müssen noch Sachen packen“, sagte Paula zu Ida und den Kindern und lief schneller.
„Hey Paula, was für Sachen denn?“, fragte Ida ihre Freundin. „Du hast doch gar keine mehr und du brauchst auch nicht so zu rennen, dir geschieht nichts mehr, beruhige dich doch“, sagte Ida noch, denn Ida konnte sehen, dass Paula ganz nervös war.
„Du hast vielleicht gut reden, dir macht es vielleicht auch nicht aus, wenn deine Freunde sterben, doch mir macht es schon etwas aus“, sagte Paula mit etwas lautere und trauriger Stimme.
„Doch mir macht es auch etwas aus, wenn Freunde von mir gehen, auch wenn diese Freunde nicht tot sind, sondern nur woanders hinziehen“, meinte Ida. „Denn auch ich habe ein Herz und es ist auch ein Abschied, wenn Freunde gehen“, sagte sie noch hinterher.
Mittlerweile war es auch schon spät geworden, denn sie liefen auch nicht mehr allzu schnell.
„Mama, was machen wir denn bis morgen, bleiben wir denn so lange hier draußen?“, fragte Karla ihrer Mutter.
„Wie kommst du denn darauf?“, fragte Ida ihr. „Ihr bleibt doch natürlich bei mir über Nacht.“
„Ja und wo sollen wir denn alle schlafen Tante Ida, du hast doch nur ein Bett, da passen wir doch nicht alle hinein?“, erwiderte Karla.
„Da mach dir man keine Sorgen, ich und meine Eltern und meine Tante und mein Onkel haben schon ganz woanders übernachtet“, erzählte Ida der kleinen.
„Lass dich man überraschen“, meinte auch ihre Mutter.
Endlich waren sie auch wieder zu Hause angekommen und Paula setzte sich wieder vorne auf die Treppenstufen, wo sie vorher ja schon mal gesessen hatte, bevor sie losgezogen waren. Ida dagegen lief ins Haus, denn sie wollte schon für die Nacht alles herrichten. Sie war gerade dabei, die Wohnungstür aufzuschließen, da ertönten schon wieder die verdammten Sirenen. Paula riss sofort die Eingangstür auf und rief in den Flur hinein.
„Ida, komm dort sofort raus, wir müssen wieder zurück in den Bunker, beeile dich Ida.“
Als Ida das von Paula hörte, ließ sie die Tür verschlossen und lief wieder aus dem Haus. Paula hatte auch schon ihre jüngste Tochter auf den Arm und Karla an ihrer Hand und war auch schon losgelaufen. Da Ida nicht so schnell konnte, rief sie, als sie sah, dass die drei schon vorgelaufen waren, und beeilte sich, damit sie hinter ihnen herkam.
„Paula warte doch auf mich!“
Paula hatte es auch nicht mitbekommen, dass ihr Arm wieder stark blutete, es kam dadurch, da sie ihre Tochter Christel immer auf diesem Arm trug.
„Paula gebe mir doch Christel, ich trage sie für dich, schau dir doch nur einmal deinen Arm an, dort aus dem Verband kommt das Blut ja schon wieder durch“, wies Ida ihr drauf hin.
„Na schön! Aber vergesse sie nicht hier draußen“, sagte Paula zu ihr.
„Das werde ich schon nicht, das passiert mir nur einmal“, meinte Ida darauf. „Daran hättest du mich aber nicht erinnern brauchen“, sagte sie noch beleidig.
Ida wusste ja, dass sie ein Fehler gemacht hatte, aber nun war es ja zu spät und sie konnte es ja nicht rückgängig machen. Zusammen machten die zwei Frauen sich auf den Weg, zum Bunker, doch dieses Mal, waren sie nicht die Letzten und waren rechtzeitig noch dort angekommen. Dieses Mal wurde an der Eingangstür zum Bunker geschubst und gedrängelt, doch auch Paulas Frage hatte sich jetzt erübrig, wo sie und ihre Kinder die letzte Nacht verbringen sollten. Denn der Bunker wurde nicht vor den anderen Morgen wieder geöffnet. Als sie schon einige Zeit dort drinnen waren, suchte Paula aber noch einmal, einen Sanitäter auf und ließ sich ihren Arm noch einmal neu verbinden. Danach kehrte sie wieder zu ihren Kindern und zu Ida zurück und setzte sich zu ihnen auf dem Boden. Von draußen hörten sie, immer wieder Einschläge von den Bomben, die über der Stadt abgeworfen wurden und bei jedem Einschlag in der Nähe des Bunkers zuckten sie alle zusammen.
„Ich kann es schon gar nicht mehr mit anhören“, sagte Paula. „Ich werde sonst noch verrückt!“
„Du hörst es ja vielleicht, heute das letzte Mal“, erwiderte Ida.
„Das wollen wir nur hoffen und ich hoffe, dass meine Schwiegermutter nicht gelogen hat, was sie in ihren Briefen geschrieben hat, dass es bei ihnen ziemlich friedlich sein soll“, meinte Paula.
Sie hatten es jetzt auch erst bemerkt, dass die beiden Kinder trotz des Angriffs eingeschlafen waren.
„Schau, wie friedlich sie doch schlafen“, meinte Ida.
„Ja! Könnte es doch immer so sein“, antwortete Paula und streichelte ihre Mädchen über ihre Köpfe.
„Es wird schon irgendwann wieder so sein, der Krieg kann ja nicht ewig dauern, oder doch?“, sagte Ida.
Als dort unten ein Soldat an ihnen vorbeilief, fragte Paula ihn.
„Entschuldigen Sie bitte, ich hätte mal eine Frage“, sagte sie zu dem Soldaten und er blieb kurz vor ihr stehen und fragte.
„Was möchten Sie denn wissen? Ich weiß aber nicht, ob ich Ihren die Frage beantworten kann.“
„Wie lange, müssen wir denn heute hier unten bleiben, können Sie mir es sagen?“, fragte Paula.
„So viel ich mitbekommen habe, rechnen wir, dass es die ganze Nacht Angriffe gibt“, antwortete der Soldat. „Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen“, fügte er noch hinzu und ließ die Zwei dort allein zurück und lief weiter, denn er musste ja seine Runde laufen, er hatte den Auftrag im Bunker alles zu kontrollieren.
Da sie nun genauso schlau waren, wie vorher, sagte Paula zu Ida.
„Weiß du was? Ich werde auch versuchen, etwas zu schlafen, das solltest du man auch machen. Wer weiß, wann sie uns hier wieder rauslassen, und so habe ich zu Mendes ausgeschlafen.“
„Das mach man, ich versuche auch, ein wenig zu schlafen“, sagte nun auch ihre Freundin Ida und schloss ihre Augen.
Denn Paula ging das ewige Licht an und wieder Licht aus auf die Nerven, das war auch ein Grund mehr für sie die Augen zu schließen. So musste sie das flackernde Licht nicht länger ertragen und sie erschrak auch nicht jedes Mal dabei, wenn es an und ausging. Sie waren auch nicht die Einzigen, die dort unten schliefen, es schliefen fast alle Leute dort unten, was sollten sie auch sonst anderes machen. Nur die Soldaten hielten Wache und machten ihre Rundgänge. Als es langsam wieder draußen hell wurde und die ersten Sonnenstrahlen hinter den Wolken hervorkamen, öffnete sich auch die Bunkertür wieder, denn sie rechneten mit keinem Angriff mehr. Paula
Verlag: BookRix GmbH & Co. KG
Texte: Holly J. Black
Bildmaterialien: Holger Schostack
Cover: Holger Schostack
Tag der Veröffentlichung: 02.02.2013
ISBN: 978-3-7309-8523-6
Alle Rechte vorbehalten
Widmung:
Man sollte seine kleinen Geschichten immer zu Papier bringen, damit sie für die Nachwelt erhalten bleiben. Das Leben schreibt meistens die besten Geschichten so wie mit der kleinen Karla in der Geschichte die Kohlenbande, ich hoffe es hat euch ein wenig gefallen.