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Samstagfrüh, 14 Uhr. Ich stehe auf und mache mir eine Kleinigkeit zum Frühstück: zwei Tassen Espresso. Es ist ruhig. Sehr ruhig.
Ist mir aber auch ganz recht, da der letzte Abend recht lang wurde und ich heute auch ein wenig brauche, um so richtig fit zu werden. Klar, Bier gab’s gestern auch.
Die Anlage bleibt heute aus. Keinen Bock auf Rocksender. Auch die CDs können von mir aus heute in ihrem Regal verstauben. Ich huste. Staub muss ich wohl auch mal wieder wischen. Stapfe um ca. halb fünf durch eine Staubdüne in die Küche. Stelle meine Espresso-Tasse auf den Geschirrturm in der Spüle. War da was? Horche angestrengt an dem Abwasserrohr, welches von oben nach unten durch meine Küche geht. Nein, nichts. Kein Geräusch, nicht mal von abfließendem Dreckwasser. Mitunter kann man die Gespräche meiner Nachbarn aus der vierten oder dritten Etage ganz gut verstehen. Wie neulich, als beratschlagt wurde, ob der Alice-Vertreter nun nach dem Zerteilen mariniert oder paniert werden solle.
Bekomme bei der Erinnerung Appetit auf was Herzhaftes.
Mache die Tür des Kühlschranks auf und inspiziere dessen Innenraum. Wie eigentlich erwartet, ist dieser leer und gähnt mich an.
Na dann muss ich wohl mal wieder einkaufen gehen, Nahrhaftes besorgen. Schließlich ist Wochenende. Ich hasse es, zum Wochenende Besorgungen zu machen. Man hat immer den Eindruck, dass alle anderen nur darauf gewartet haben, dass es endlich Wochenende wird. Freitagabend und am Samstag scheint sich der ganze Bezirk in gesamter Einwohnerstärke in den Gängen der Einkaufstempel und Supermärkte zu befinden. Die Schlange an der Kasse vom Real im Schillerpark-Center reicht dann meist bis zum drei Kilometer entfernten U-Bahnhof Rehberge. Das ist Stress. Stress den ich so gar nicht mag. Am liebsten gehe ich an einem Mittwochabend einkaufen. Da ist schön leer. Und die Sonderposten- und Aktions-Artikel für die Werbung ab Donnerstag, werden meist schon auf- und hingestellt.
Doch der Hunger und die Angst am Sonntag kläglich ohne Nahrung und Getränke zu verenden, treiben mich raus. Raus auf die leere Straße. Nun gut, es ist sonnig: die werden alle am Plötzensee sein. Ich steige in mein Kraftfahrzeug und lenke es aus meiner Straße auf die Hauptverkehrsader. Das gelingt mühelos, da die ganze Straße leer ist.
Langsam wird mir jetzt doch mulmig. Habe ich etwa in meinem Dusel etwas Entscheidendes verpasst?
Fahre ins Parkhaus und finde auf Anhieb einen Parkplatz. Nahezu direkt an der Rolltreppe. Fantastisch. So brauche ich nachher nicht so weit mit den Einkäufen, um diese im Kofferraum zu verstauen. Schaue mich um. Das ganze Parkdeck ist bis auf ein zweites Fahrzeug leer. Dieses zweite Fahrzeug scheint da an seiner Stelle schon eine Weile zu stehen. Trüb und staubig verklebt sind die Scheiben. Von der Lackfarbe ist kaum noch was auszumachen. Mir stehen die Haare im Nacken und es fröstelt mich. Unbehagen kriecht meinen Körper hinauf. Was ist hier los? Das hat was von Endzeitstimmung. Wie in dem Kino-Film “I am Legend”, wo nach einer Katastrophe nur noch Will Smith als letzter Überlebender durch das entleerte New York streift.
Mist, dann ist es jetzt wohl geschehen. Als Kind in den Siebzigern und Achtzigern habe ich ständig in der Angst vor der drohenden Katastrophe eines Dritten Weltkrieges, eines endgültigen und alles auslöschenden Atomschlages, gelebt. Überall waren sie um uns herum: Pershings, SS20-Raketen, Cruise-Missiles. Russen, Amerikaner. Und erst neulich hat wieder dieser seltsame Iraner gedroht, mit einer neuen Raketentechnik den atomaren Krieg gegen Israel und dessen Verbündete zu führen.
Nun muss es wohl geschehen sein. Dann bin ich wohl der letzte Einwohner dieses Kiezes, ja vielleicht sogar dieser Stadt. Ich werde ruhiger. Das Frösteln wechselt mit einer Art Hochstimmung. Dann bin ich also der neue Will “legend” Smith.
Es ist zwischenzeitlich schon nach 19 Uhr und ich schiebe bedächtig meinen Einkaufswagen durch die menschenleeren Gänge. Ich nähere mich den Kassen und bleibe dann stehen. Ich möchte auf jeden Fall zahlen, sonst hätte ich auf ewig ein mich zermarterndes schlechtes Gewissen. Da es keine Schlangen vor den Kassen gibt, kann ich mich nicht entscheiden, welche ich jetzt nehmen sollte. Normalerweise stelle ich mich an der längeren Warteschlange an. Nach Murphies Gesetz stellt man sich eh immer in die falsche Wartegemeinschaft, und erfahrungsgemäß, geht es an der kürzeren Schlange meist nicht schneller sondern im Gegenteil. Dort steht man oft doppelt so lange an.
Es gibt keine Warteschlangen an den Kassen. Ich muss eine Entscheidung treffen: welche nehme ich jetzt bloß?
Nach einer Dreiviertelstunde schaffe ich es dann, scanne die Waren selbst ein und lege das Geld an der Kasse ab. Passend.
Mich werden die nicht schaffen. Vielleicht waren es ja auch nicht die Iraner sondern Außerirdische. Sie beobachten mich nun und erforschen, wie ich auf diese veränderten Lebensumstände reagiere. Bin nicht Will Legend sondern ein Versuchskaninchen. Und die Außerirdischen sind Katzen.
Das macht alles Sinn. Denn nun verstehe ich auch die Ereignisse um Freund und Kollege Martin. Den vermisse ich schon länger. Das letzte Telefonat ist schon eine Weile her. Er erzählte, dass er zu seinen Stubentigern noch weitere der Gattung Felidae in Pflege genommen habe, und deshalb seine Zeit radikal eingeschränkt ist. Danach dann nur noch E-Mails: anfangs in der von ihm gewohnten mehrseitigen Länge, dann immer kürzer und unverständlicher werdend. In seiner allerletzten E-Mail schrieb er sinngemäß, er müsse sich ständig mit der Pfote hinterm Ohr Kratzen, vielleicht eine Zecke, und zum Abendbrot gäbe es Thunfisch in Jelly.
Sie haben ihn umgewandelt. Diese Katzen-Schweine.

Ich verstaue die Einkäufe im Auto und höre plötzlich ein Kratzen auf dem Beton des Parkhausbodens. Ich erschrecke: ich bin doch nicht Legend Holger, ich bin nicht der einzige und letzte Überlebende.
Einer dieser obdachlosen Alkoholiker, wie sie auch immer am Leopoldplatz rumlungern, nähert sich mir.
“Wie steht’s denn?”, röchelt er mich fragend an.
“Ähem…..? Ich versteh nicht ganz.”, antworte ich.
“Na, wer gewinnt den…?”, setzt er nach und der Alkoholnebel macht mich fast blind.
Das ist eine Falle, denke ich mir.
“Momentan wohl Eins zu Null für Iran oder die Katzen!”
“Häh?”, nun ist er es, der nicht versteht. “Iran spielt doch gar nicht mit!”

Ich lasse den armen Kerl zurück. Habe ihm vorher noch erklärt, wo im Markt die Alkoholika stehen.
Es dämmert als ich daheim die erstandenen Waren in Kühl- und Hängeschrank einsortiere. Es staubt dabei mächtig. Danach mache ich das Radio an und höre eine Stimme. Bin nicht beunruhigt und habe mich schon damit abgefunden, dass es wohl doch noch einige Überlebende gibt.
“Russland kämpft weiter, um seine Führung auszubauen….”, quäkt es aus den Lautsprecherboxen. Also doch keine Iraner, keine außerirdischen Katzenwesen. Die Russen sind es! Aber gegen wen und warum führen sie Krieg? Haben sie die Neutronenwaffe gezündet? Oder waren es die anderen?
“Griechenland muss in der Defensive weiter an sich arbeiten….”
Die Russen gegen die Griechen? Gut, ich hab in der letzten Zeit wenig Nachrichten verfolgt, da ich ständig irgendwo aufgetreten bin, oder neue Texte geschrieben habe.
“Das sind nicht die Ottonen, die wir uns wünschten,. Der Titelverteidiger wird hier im eigenen Raum konstruktiv auseinandergenommen. Wer hätte gedacht, dass die EURO 2008 noch solche Überraschungen bietet….?!”
Ich schalte das Radiogerät wieder aus. Hol mir ein Bier aus dem Kühlschrank.
Kein Weltkrieg. Nur Fußball. Na dann ist alles gut!

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Tag der Veröffentlichung: 26.03.2009

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