1. Tag
Sonntag der 14. September 2003 7.00 Uhr
Als Vogelgezwitscher mich weckte, schlug ich die Augen auf und war sogleich guter Stimmung. Erstens war es Sonntag und Zweitens weil heute unser Kurztrip nach Bulgarien beginnen sollte.
Wir, meine Frau Rita und ich, wollten vor dem Winter noch einmal richtig Sonne tanken und hatten aus diesem Grund zusammen mit unseren Freunden Roswitha und Helmut eine Reise von 7 Tagen nach Bulgarien gebucht.
Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, das das Wetter heute ausgesprochen schön zu werden versprach. Im Nachhinein kann man sogar sagen, es war der wärmste und schönste Tag des ganzen Septembers gewesen. Nichts deutete auf das kommende Fiasko hin, das noch drohend vor uns lag.
Auf die Idee eines zweiten Flugurlaubs kamen wir sinnigerweise im Urlaub. Den dies jährigen Haupturlaub hatten wir wieder einmal im Mai in der Türkei verbracht. Wir flogen seit einigen Jahren in dieses Urlaubsland zusammen mit unseren Freunden, die wir auch auf einem dieser Trips kennen gelernt hatten.
Das Ehepaar war wie wir Ende vierzig und hatte zwei erwachsene Töchter. Da auch unser Sohn inzwischen lange der Schule entronnen war, konnten wir unsere Urlaubszeit nach Lust und Laune festlegen. Natürlich suchten wir uns die besten Zeiten und die günstigsten Schnäppchen dafür aus.
Roswitha und Helmut, die aus der alten Ruhrgebietsstadt Bottrop kamen, hatten ähnliche Interessen wie wir und verstanden uns sehr gut, meist ohne große Worte. Unser gemeinsames Hobby im Urlaub war faulenzen, kühles Bier und abendliches Rommespielen.
Da aber auch die Türkei jedes Jahr teurer wurde, suchten wir nach günstigen Alternativen. Nach wälzen der Urlaubskataloge kamen wir zu dem Schluss es einmal mit Bulgarien zu versuchen. Die Preise waren dort mehr als moderat und Getränke sowie Speisen sollten auch extrem niedrig sein. Unsere Finanzen waren gut gewesen in diesem Jahr und Urlaubszeit war auch genügend vorhanden. Nach einigen Treffen hatten wir nicht nur die Zeit für den Urlaub festgelegt, sondern auch den Strand und das Hotel.
Die Auswahl war wegen der kurzfristigen Buchung leider mehr als dürftig. Es gab nur noch einen Flug zum Goldstrand. Der Sonnenstrand in Bulgarien war leider schon total ausgebucht. Der für den Goldstrand zuständige Flughafen befindet sich in Varna, Bulgariens drittgrößte Stadt
Die Hotelauswahl war alles andere als gut in der von uns gewünschten Preisklasse. In den drei Sterne Hotels gab es nur noch wenig freie Betten.
Wir einigten uns auf Sonntag den 13. September für den Abflug und als Hotel wählten wir ein Drei Sterne Haus namens Akazia II mit Halbpension am Goldstrand.
Während wir für unsere Türkeiurlaube immer „All Inclusive“ buchten, hielten wir dies bei Bulgarien nicht für nötig. Sollte das Essen im Hotel nicht unseren Ansprüchen genügen, würden wir uns für diese paar Tage eben ein Restaurant leisten. Bei den dortigen Preisen dürfte das unseren Geldbeutel nicht all zu sehr strapazieren.
Also raus aus den Federn, kurz geduscht, Landfein gemacht und den bereits am Vorabend gepackten Koffer nach unten gewuchtet.
Da unser Flug erst um 12:00 Uhr ab Düsseldorf Flughafen gehen sollte, blieb also genügend Zeit für ein anständiges Frühstück.
In Gedanken sah ich mich schon am Nachmittag am Strand liegen, mit einem kühlen Bier in der Hand und die Sonne genießen.
Von unserem Wohnort im Rothaargebirge ist es etwas über eine Stunde Fahrt bis zum Düsseldorfer Flughafen. Dort wollten wir uns mit Helmut und Roswitha gegen 10 Uhr treffen und gemeinsam einchecken. Für diese Fahrt hatten wir unseren Sohn verpflichtet. Er sollte uns mit seinem alten Mazda 323 nach Düsseldorf fahren und dafür hatte ich ihm reichlich Spritgeld gegeben. Es ist ja schließlich das einzige Kind und da will man nicht knauserig sein.
Punkt halb Neun hielt ein dunkelblauer, tiefer gelegter fünfer BMW vor unserer Tür. Dennis, der Freund unseres Sohnes, stieg aus, kam herein und meinte:
„Na, alles fertig für die Abfahrt? Wir können von mir aus losfahren.“
Mein Nachwuchs, der inzwischen auch dazu gestoßen war, grinste über alle Backen:
„Freust du dich?“, fragte er mich. „Jetzt wirst du in einem vernünftigen Wagen zum Flughafen gebracht.“
Auf meine Gegenfrage warum er uns nicht selbst fahren würde, schloss er die Heckklappe seines Wagens auf und deutete auf eine riesig große, schwarze Trommel und einige in Aluminium blinkende Geräte. Das alles füllte den ganzen Kofferraum aus.
„Meine neue Basstrommel. Die kann ich unmöglich ausbauen und ein Koffer passt da nicht mehr rein.“
Das Equipment hatte vermutlich mehr Power als der kleine Motor der vorne unter der Haube saß.
Aber ich musste ihm Recht geben. Vielleicht passte noch eine Handtasche hinein, allerdings nur eine kleine und nur wenn nichts darin war.
„Und außerdem“, raunte er mir zu, „fährt Dennis uns für die Hälfte von dem was du mir gegeben hast.“
Dennis, sein Freund, war Hilfsarbeiter in einer Lackiererei gewesen und hatte sich bereits nach der ersten Löhnung diesen Luxusschlitten geleistet. Selbst wenn ich noch 25 Jahre arbeiten würde, könnte ich mir solch ein Modell nicht leisten. Seit einigen Monaten war der Junge auch noch arbeitslos und lies seinen Superschlitten nur noch sporadisch in den Sommermonaten zu. Er musste bis über beide Ohren für die nächsten 20 Jahre verschuldet sein und war somit für jeden Euro dankbar, der es ihm erlaubte, seinen Flitzer auszuführen.
Ich gönnte ihm also das Spritgeld, fand allerdings nicht nett, das mein Sohn ihn auch noch übers Ohr gehauen hatte und die andere Hälfte selber einstrich Ich wollte mir aber den Sonntag nicht verderben und gönnte es beiden.
Kurz vor neun Uhr fuhren wir auf mein Drängen endlich los.
„Keine Angst Papa, wir sind schneller da als du glaubst.“, grinste mich mein Sprössling an und mir schwante übles.
Und tatsächlich. Es war Sonntagmorgen und die Autobahn so gut wie leergefegt. Dennis zeigte uns was aus dieser Mühle herauszuholen war. Mit über 200 km/h raste er Richtung Düsseldorf.
Ich war froh hinten zu sitzen, klammerte mich an den Seitengriff und schloss meist die Augen. Dösen konnte man leider dabei nicht, dazu war die donnernde Rappmusik von den Rücklautsprechern etwas zu laut. Keine Ahnung auch ob der Wagen schnurrte oder überhaupt Geräusche von sich gegeben hatte, da mein Gehör erst wieder etliche Minuten nach unserer Ankunft am Flughafen seine Arbeit aufnahm.
Nach einer kurzen Umarmung und guten Wünschen zogen die beiden Superrapper ihre obercoolen Sonnenbrillen auf, stiegen ein und verließen den Abflugbereich mit quietschenden Reifen und in einer Wolke blauen Dunstes. So ziemlich alle Leute in unserer Umgebung starrten erst dem Wagen nach und dann uns an. Ich tat so als hätte ich keinen Sohn, schnappte mir den Koffer und sah zu das ich ins Innere des Gebäudes kam.
Meine Frau starrte dem Wagen noch etwas hinterher und genoss einen Moment die Blicke der Umherstehenden bevor sie hinter mir her stolperte.
Eine Anmutige, Licht durchflutete Konstruktion mit viel Glas und wenig Stahl erwartete uns. Das Terminal war 90 Meter breit und zog sich rechts wie links einige hundert Meter in die Länge. Das Ende konnte man nicht erkennen, da das Terminal leicht gebogen verläuft.
Überwältigt musste ich erst einmal Luft holen und alles genau betrachten.
Noch mit Staunen beschäftigt schlug mir jemand kräftig auf die Schulter. Roswitha und Helmut standen grinsend hinter uns.
„Wat war dat denn forn Affe.“, fragte Helmut und zeigte mit dem Daumen nach draußen. Das unsere Freunde aus dem Ruhrpott stammen kann man auch sehr gut an ihrer Aussprache erkennen.
„Keine Ahnung.“, verleugnete ich abermals meinen Filius und grinste zurück.
„Hai Schätzken.“, flötete Roswitha und drückte mir nach der Umarmung einen dicken Kuss auf die Wange. „Schön dasser ändlich da seid. Dann kannet ja losgehn.“
Wir umarmten uns alle kräftig und ausdauernd, da wir uns seit Wochen nicht mehr gesehen hatten. Danach machten wir uns auf die Suche nach unserem Eincheckschalter. Der befand sich, wie gehabt bei unserem Glück, am Ende des langen Terminals. Also Koffer und Tasche gepackt und losmarschiert.
Vor dem Schalter befanden sich bereits mehrere lange Passagierschlangen, die durch rote Bänder, die zwischen Stahlstangen gespannt waren, geschickt im Zickzack eingefädelt wurden. Wir suchten uns die kleinste Schlange aus und stellten uns an.
Es ging relativ flott. Bereits nach 20 Minuten waren wir die schweren Koffer los und hatten unsere Bordkarten in der Hand.
Wir nutzten die Gunst der Stunde und bummelten eine Weile durch die berühmten Airport Arkaden und staunten. Eine richtige Einkaufswelt für sich. Sehenswert aber auch teuer.
Gegen elf Uhr spazierten wir langsam in Richtung Abflugbereich. Um zu den Abflügen zu gelangen, mussten wir uns eine Ebene höher bemühen. Eine breite Treppe führte dort hinauf, an der aber bereits eine Schlange gebildet hatte. Dort oben stand schon das erste Hindernis in Form einer grünen Uniform.
Wir stellten uns wie gut erzogene Menschen hinten an, wurden aber zu unserem Erstaunen von vielen Leuten rechts und links überholt, die ganz einfach die Treppe stürmten. Von diesem Beispiel verführt ging dann die ganze Meute in fast wilden Galopp über und stürmte nach oben.
Nach viel Geschimpfe und Gedrängel durfte der Uniformierte auch auf unsere Bordkarten einen Blick werfen und winkte uns durch.
Es sollten also nur Leute diese heiligen Bereiche betreten die auch ein gültiges Flugticket hatten.
Von hier verteilte sich die Menge auf mehrere Röntgenschleusen, die auch alle besetzt waren. Wir stellten uns an und begannen die diversen Metallgegenstände, die man am Körper trägt, zu lösen. Also Uhren, Halskette, Geldtasche, Gürtel usw. Es rückte langsam vorwärts.
An der Nebenschleuse gab es währenddessen einen Aufstand. Ein Pärchen in Treckingkleidung und mit überdimensionalen Treckingrucksäcken bestückt, versuchte einen uniformierten zu überzeugen, dass das ihr Handgepäck wäre. Diese Treckingrucksäcke hatten einen Leichtmetallrahmen und ragten beim tragen weit über ihre Köpfe hinaus. Damit nicht genug trug jeder auch noch zwei große Taschen in den Händen.
Wir genossen das Schauspiel. Es wurde wild herumgestikuliert und heiß diskutiert. Allein was die beiden auf Ihrem Rücken trugen war mehr als wir vorher beim einchecken als Koffer abgegeben hatten. Mir war es ein Rätsel wie man so etwas im Handgepäckkasten unterbringen konnte.
Durch diese Kurzweil abgelenkt verging die Wartezeit wie im Fluge. Unser Handgepäck, das aus einem kleinen Rucksack bestand, musste auf ein Förderband gelegt werden und fuhr so alleine durch die Röntgenschleuse. Die Uhren, Geldbörsen und Ketten kamen in eine Plastikschale.
Unsere Sachen schoben sich langsam durch die Schleuse und einer nach dem anderen musste durch den Metalldetektor treten um sich danach nochmals mit Handsensoren abtasten zu lassen.
Ein älteres Ehepaar vor uns hielt den ganzen Verkehr auf.
Die Kontrolle hatte einen verdächtig aussehenden Gegenstand erkannt und sofort Alarm geschlagen. Beide wurden leichenblass. Ein heftiges Wühlen und Suchen begann in ihrem Handgepäck.
„Keine Ahnung was sie in meiner Handtasche gesehen haben. Ich hab da gar nichts drin. Reine Schikane ist das hier!“, keifte die ältere Dame.
Die uniformierte, aber schwergewichtige Dame hinter dem Röntgentisch, blieb ganz ruhig. Sie wühlte sich durch immer tiefere Schichten der Handtasche. Mit einem triumphierenden Grinsen zog sie plötzlich ein kleines, zusammengeklapptes Schweizer Taschenmesser hervor.
„Und was ist das?“, hielt sie dem Ehepaar das Teil höhnisch vor die Nase. Die Frau lachte schrill auf.
„Ist doch wohl nicht ihr ernst. Das ist ein winziges Schweizer Taschenmesser. Die Klinge da drin ist keine 3 Zentimeter lang.“
„Sie können sich ihr Messer“, und das Wort Messer betonte die Kontrolleurin besonders, „nach ihrem Urlaub hier in sechs Wochen wieder abholen.“ sprachs und tat das Messerchen in eine Tüte.
Die beiden Leutchen sahen sich fassungslos an.
„Name und Anschrift bitte auf diese Tüte schreiben. Machen Sie bitte platz damit der nächste Herr vorbei kann.“ Mit diesen Worten war dann ich dran.
Inzwischen war mir doch mulmig geworden. Da ich Diabetiker bin und dem Koffertransfer nicht besonders traue, verstaue ich meine Spritze sowie das Insulin immer im Handgepäck. Mein Arzt hatte mir zwar eine Diabetikerbescheinigung ausgestellt, aber vielleicht hatte die resolute Dame dort vorne ja Angst, ich könnte mit der Penspitze von 8mm den Piloten bedrohen. Mehr als auf sein Auge zielen konnte ich damit allerdings nicht.
Und tatsächlich wurde das Spritzbesteck entdeckt und hervorgeholt. Sie klappte alles auf, fragte mich ob ich Diabetiker sei, nickte dann und ließ mich durch.
Na bitte. Es geht doch, dachte ich bei mir. Lächelnd trat ich zurück um auf den Rest meiner kleinen Reisegruppe zu warten. Auch meine Frau und die Kinder Bottrops kamen ungeschoren durch die Inspektion.
Langsam spazierten wir weiter ins Innere dieser brandneuen Anlage.
Noch mehr Läden! Seit die Staaten der Europäischen Union dichter aneinander gerückt sind, heißen die Duty-Free-Geschäfte "Travelvalue-Shops". Sie suggerieren den Passagieren, dass man hier vor dem Abflug kräftig sparen kann.
Das einzige das wir uns ersparten war Durst.
„Bierken, Hämann?“, fragte mich Helmut mit einem so trockenen Grinsen das ich unmöglich Nein sagen konnte.
Wir gönnten uns, da ja auch bereits 11 Uhr durch war, unser erstes Bier. Es blieb bei diesem einen. Nicht nur der strafenden Blicke unserer Frauen wegen sondern auch mit dem Gedanken an unseren Geldbeutel. Noch 3 bis 4 Stunden und wir konnten uns dieses Edle Gesöff Literweise für den halben Preis bringen lassen. Hier musste man es sich für 5 Euro das Glas sogar noch selber an der Theke des Flughafenlokals abholen.
Um elf Uhr kam der Aufruf für den Flug nach Varna. Wir reihten uns wiederum ein, damit die Zollbeamten einen Blick in unseren dekorativen Reisepass werfen konnten. Danach durften wir im Warteraum Platz nehmen, der sich bereits gut gefüllt hatte.
Endlich, um 10 vor zwölf, wurde die Kette vor dem Gang zum Flugzeug entfernt und die Stewardessen bauten sich davor auf um unsere Bordkarten entgegen zu nehmen. Da ja alle mitgenommen werden, beeilten wir uns nicht wie die anderen Idioten, die nach vorne stürmten, sondern blieben erst einmal sitzen und beobachteten den Ansturm. Die Ersten trabten fast im Laufschrift zur Gangway, als wenn der Flieger bereits am abheben wäre.
Doch was war das!
Die noch eben nach vorne gestürmten Passagiere kamen zögernd zurückgelaufen. Sie wirkten verstört und schauten sich immer wieder um. Ihnen auf dem Fuße folgten Zollbeamte. Nachdem alle Passagiere im Warteraum versammelt waren, wurde auch wieder die Kette vor dem Gangwayzugang gehängt.
Ein leichtes Raunen ging durch die Menge.
Wir schauten uns verdutzt an.
Die Passagiere hatten sich inzwischen alle erhoben und drängten nach vorne.
„Meine Damen und Herren, wir bitten Sie, diesen Warteraum zu verlassen und wieder in den Eingangsbereich zurückzukehren.“, kam eine Durchsage von der vorne stehenden Stewardess.
Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge. Diese Durchsage wiederholte sie mehrere male. Stimmen wurden laut. Empörte Rufe hallten durch den Wartebereich.
Die Stewardess hingegen wiederholte monoton ihren Spruch. Kurz entschlossen ging einer der grün Uniformierten zur Eingangstür, riss diese weit auf und winkte mit beiden Armen fordernd den nächststehenden Passagieren zu.
Die meinten das tatsächlich ernst.
Einige Leute kicherten etwas hilflos. Zögernd verließen die ersten Passagiere den Warteraum.
„Na gut. Wenn sie denn meinen.“, sprach ich aufmunternd zu meinen Reisefreunden, „Dann gehen wir eben wieder hinaus.“
Gelassen machten auch wir uns auf dem Weg in den Vorraum. Hinter uns kam zögernd die ganze Meute. Als wir die Ladenpassage betraten bemerkten wir, dass auch die anderen Gates ihre Türen geöffnet hatten und die Leute nur so heraus strömten.
Langsam füllte sich auch der Vorraum zwischen den Läden.
Nach einigen Minuten kam die nächste Durchsage:
„Bitte verlassen sie das Flughafengebäude.“
Wir starrten uns sprachlos an.
„Heisst dat wir solln aunoch aussem Djutiefri?“, stotterte Helmut, „Dann könnwo nachhär ja dä ganze Scheiss mitt dat röntchen un die abklopperei nochma machen.“
„Genau mein Freund. Sieht ganz so aus.“, stimmte ich ihm zu.
Mit all den Leuten schoben wir uns Stückchen weise an den Röntgenkontrollen vorbei und die Kontrolltreppe hinunter in den riesigen Terminal.
Auch das riesige Terminal füllte sich allmählich mit Menschen. Obwohl es einige Fußballfelder groß war, herrschte bald ein richtiges Gedränge. Im Minutentakt kam die Durchsage, man möge das Flughafengebäude verlassen. Viele hielten das zunächst alles für einen großen Scherz.
„Solln wo etwa widda na Hause faarn?“, jammerte Roswitha, „Dat könn die doch nich im ärns meinen.“
Nach einiger Zeit begann das Flughafenpersonal den Terminal von hinten aufzurollen. Sie drängten die Leute immer weiter nach vorne Richtung Ausgänge. Gezwungenermaßen wurden wir mit einer Welle durch die großen, weit geöffneten Terminaltüren nach draußen gespült.
dpa-Meldung vom 14.09.2003:
In der Telefonzentrale von Deutschlands drittgrößtem Flughafen waren insgesamt sieben Drohungen eingegangen. Sie richteten sich sowohl gegen das Flughafengebäude als auch gegen Maschinen einzelner Fluggesellschaften. Im Laufe des Sonntags hätten sich diese Drohungen konkretisiert, so ein BGS-Sprecher. Um 11.35 Uhr wurde der Flughafen gesperrt. Das Zentralgebäude, und die Terminals wurden evakuiert, Parkhäuser, Zu- und Abfahrtswege geräumt. Nicht nur am Flughafen selbst, sondern auch auf den Zubringerautobahnen brach ein Chaos aus
Das Wetter hielt was es morgens versprochen hatte und war wunderschön. Stahlblauer Himmel und eine heiße Mittagssonne erwartete uns. Und kein Schatten in Sicht
Die wildesten Gerüchte schwirrten umher. Die genauen Einzelheiten erfuhren wir erst aus der Zeitung nach unserem Urlaub. Aber das es sich um eine Bombendrohung handelte, wurde auch hier schon klar.
Sämtliche Flüge von und nach Düsseldorf waren gestrichen.
Hinter den nun geschlossenen Terminaltüren nahmen Flughafenleute Aufstellung und vor dem Gebäude herrschte inzwischen ein fürchterliches Gedränge und Geschiebe. Viele Leute standen noch mit ihrem ganzen Gepäck in der Hand fassungslos herum. Wir waren froh, dass wir nur noch unser Handgepäck zu tragen hatten. Nun begann eine lange Zeit des Wartens.
dpa-Meldung vom 14.09.2003:
Von der Sperrung des Düsseldorfer Flughafens waren mehrere zehntausend Reisende betroffen. Am letzten Tag der NRW-Sommerferien wurden 64.000 Fluggäste in Düsseldorf erwartet, 20.000 mehr als an normalen Tagen. Letztlich waren nach Angaben des Flughafens 10.000 bis 15.000 Fluggäste von der Schließung der Terminals betroffen.
Vor dem Flughafenterminal verläuft eine breite, vierspurige Straße die geteilt war von einem großen Fußgängerweg. Geschäfte oder Toiletten waren weit und breit keine in Sicht. Diese befanden sich alle im Inneren des Flughafens.
Zum Schutz vor Regen ragten große verzinkte Stahlrohre aus dem Terminalgebäude heraus. Abgedeckt waren diese mit Plexiglasscheiben. Dadurch fand man zwar ausreichend Schutz vor Regen, nur die Sonne konnte dadurch ungehindert auf die Menschenmassen knallen. Schattenplätze gab es aus diesem Grund wenig. Die Sonne brannte gnadenlos herunter und die zwei Fleckchen mit Schatten wurden von dutzenden Leuten besetzt und nicht mehr freigegeben.
Die ersten Fragen nach Toiletten und Getränken wurden laut. Vor allem auch wie es denn überhaupt und wann weitergehen sollte. Der einzige Vorteil den die Fluggäste mit großen Koffern hatten, war, dass sie diese als Sitzgelegenheit benutzen konnten.
Nachdem wir über eine Stunde gestanden hatten, suchten auch wir uns eine Stelle am Mittelstreifen um einen halben Meter Bordstein zu besetzen. Endlich einmal sitzen. Aus meinem Handgepäck entnahm ich den Knirps, den ich vorsorglich des unbekannten Wetters in Bulgarien mitgenommen hatte. Ich spannte ihn auf und war zusammen mit meiner Frau erst einmal der glühenden Sonne entronnen.
Die ersten Reporter mit umgehängten Fotoapparaten durchstreiften die Menge wie Hyänen auf Beutejagd. Inzwischen waren auch jede Menge Einsatzfahrzeuge des Bundesgrenzschutzes aufgefahren und hunderte von Beamten waren im Gebäude verschwunden.
dpa-Meldung vom 14.09.2003
180 Beamte von Bundesgrenzschutz und Polizei suchten das gesamte Gelände nach möglichen Bomben ab, fanden jedoch nichts
In weiter Ferne, also am Anfang des Terminals, kam plötzlich Bewegung in die Massen. Ein großer Flughafenbus war vorgefahren und füllte sich zunächst zögernd mit Passagieren. Schon hielt ein zweiter Bus dahinter der schon entschlossener gestürmt wurde.
Nach wenigen Augenblicken waren diese beiden Busse übervoll und schoben sich langsam durch die Menschenmenge. Viele Idioten versuchten nun mit ihrem ganzen Gepäck in Richtung der Bushaltestellen zu wandern. Bei diesem Gedränge ein unmögliches Unterfangen. Wir ließen uns von der allgemeinen Hysterie nicht anstecken und blieben vorerst wo wir waren.
Und wieder hielten zwei Busse und waren in sekundenschnelle voll gestopft. Das ging nun fast im 10 Minuten Takt. Nach einer Stunde hatte sich die Menschenmenge etwas gelichtet und die Busse hielten nun auch schon ganz in unserer Nähe. Nur wo diese hinfuhren war uns immer noch nicht bekannt. Flughafenpersonal, das man hätte befragen können, war weit und breit nicht in Sicht und die Ein- und Ausgangstüren zum Terminal waren immer noch fest verschlossen.
Seit einiger Zeit stand auch ein älterer Herr mit einem riesigen Gepäckhaufen vor uns und zitterte vor Ungeduld. Er lauerte förmlich auf die Ankunft des nächsten Busses. Man sah ihm an, dass er kurz vor einer Panikattacke stand und es nicht abwarten konnte, einzusteigen.
Und wirklich, als endlich auch vor uns ein leerer Bus hielt, stürmte der Mann mit seinen Koffern und seiner Frau im Schlepp rücksichtslos nach vorne ohne sich um die Proteste der Leute zu kümmern. Auch ich sprang noch so eben zur Seite um einer Kollision mit seinem Koffer auszuweichen.
Dicht gedrängt standen wir in dem Bus und waren gespannt wohin wir nun gefahren würden. Die ersten Gerüchte, wir würden nach Frankfurt oder anderen Flughäfen gefahren, waren allerdings aus der Luft gegriffen. Helmut und ich hatten seit einiger Zeit bemerkt, dass immer wieder die gleichen Busse nach cirka 20 Minuten das Terminal anfuhren. Man hatte also die Leute nicht weit von hier wieder ausgeladen.
Wir fuhren mit dem Bus einmal rund ums Terminal, dann um das Parkhaus, kreuzten mehrere Fahrbahnebenen und fuhren einige Zeit am Flugfeld entlang. Die Fahrt dauerte vielleicht 15 Minuten.
Wir hielten auf einer breiten Straße die cirka 300 Meter lang war. Auf der rechten Seite lagen einige ein- und zweigeschossige Gebäude. Auf der linken begrenzte ein hoher Metallzaun gesäumt mit Büschen und Bäumen die Fahrbahn. Davor befanden sich Parkbuchten, die alle mit Autos besetzt waren.
Am Anfang dieser Straße war ein großer Platz, auf dem die Busse auch nach ihrer Entladung wieder wenden konnten. Auf der Straße selber wimmelten Menschen so weit das Auge reichte.
Wir stiegen alle aus und schauten uns zuerst einmal um. Nach und nach wurde mir klar wo wir uns jetzt befanden. Die zu Büroräumen umfunktionierten Gebäude auf der rechten Seite waren die ehemaligen Abfertigungshallen des alten Düsseldorfer Flughafens. Ende der siebziger Jahre hatte man mit dem Bau eines neuen, größeren Terminals begonnen. Nach dem Bau des zweiten Terminals wurden diese alten Gebäude nicht mehr für die Abfertigung benötigt. Hier waren nun die Büros diverser Fluggesellschaften, die Feuerwehr und auch die Kantine für das Flughafenpersonal untergebracht.
Nachdem ich meinen Standort erst einmal sicher bestimmt hatte, sah ich mich weiter um. In meinem Rücken fand ich dann den eben verlassenen Terminal. Eine große Wendeltreppe, die zur nächsten Straßenebene führte, war keine 50 Meter entfernt. Von der höheren Straßenebene waren es noch 20 Meter bis zum Anfang des riesigen neuen Terminals.
Anstatt mit dem Bus zu fahren, hätten wir die Strecke auch zu Fuß in drei Minuten zurücklegen können.
Während wir um uns herum alles betrachteten schlenderten wir langsam die Straße entlang. Inzwischen war es halb drei. Um diese Zeit war eigentlich unsere Ankunft in Varna geplant.
Die Sonne knallte immer noch sehr heiß herunter und wir suchten verzweifelt einen Getränkeautomaten oder eine Stelle, wo man zumindest Wasser bekommen konnte.
Die letzten Jahre hatten uns gezeigt, dass es immer angebracht ist, auf den großen Flughäfen eigenes Mineralwasser mitzunehmen. Zum einen war in den Warteräumen nicht immer der Erwerb eines Getränks möglich. Andererseits waren, wenn es denn möglich war, die Preise astronomisch hoch.
Bei diesem Trip allerdings hatten wir wegen dem kurzen Flug und der mittäglichen Abflugzeit auf die Mitnahme von Wasser verzichtet. Ein großer Fehler wie sich herausstellte.
Nach kurzem Suchen fanden wir auch einige Toiletten, die bereits stark besucht wurden. Das zumindest war gewährleistet.
Nachdem wir einmal die Straße rauf und auch wieder herunter spaziert waren, suchten wir nach Sitzmöglichkeiten. Helmut kann seit einem schweren Verkehrsunfall vor vielen Jahren mit seinem lädierten Bein nicht mehr lange Zeit laufen. An der Seite eines Gebäudes schwang sich eine große Außentreppe hinauf zum zweiten Stock. Auf diesem zweiten Stock befand sich die Kantine für das Flughafenpersonal. Natürlich war sonntags geschlossen.
Die untersten Stufen der Treppe waren bereits dicht besetzt.
Also schlängelten wir uns bis ganz nach oben. Dort angelangt freuten wir uns auch über den Schatten der über den oberen Teil der Treppe lag. Wir ließen uns auf die Stufen zur Kantine nieder und durchsuchten zuerst einmal unsere Vorräte. Eine halbe rolle saurer Drops kam dabei zum Vorschein. Und das war alles. Ich hatte nicht einmal Traubenzucker für eine eventuelle Unterzuckerung dabei. Der steckte in einer anderen Jacke zu Hause und hing sicher am Garderobenhaken.
Meine Frau war deshalb schon fast einer Panik nahe. Zur Sicherheit prüfte ich meinen Zucker mit dem Messgerät das ich immer bei mir führe und konnte alle beruhigen. Er lag noch im Normalbereich.
Nach einer Stunde Sitzen wurde ich unruhig und begann zwischen den Menschen zu wandern. Viele Gerüchte und Gesprächsfetzen konnte ich dabei auffangen.
Bombendrohungen sollten der Grund für das Aussperren aus den Terminals sein. Dies zumindest war der Grundtenor. Allerdings sollten sich diese Bombendrohungen nicht nur auf den hiesigen Flughafen alleine beschränken. Die Meinungen gingen weit auseinander. Von Düsseldorf, Frankfurt und Berlin war die Rede, einige sprachen von ganz Deutschland und auch in Europa würde sich kein Flugzeug mehr bewegen.
Wer genau für dieses ganze Chaos verantwortlich war, stellte sich erst Wochen nach unserem Urlaub heraus. Interessiert verfolgten wir das ganze in der Presse.
dpa-Meldung vom 08.04.2004
Im Prozess um die telefonischen Bombendrohungen gegen den Düsseldorfer Flughafen hat das Landgericht Düsseldorf die angeklagte Studentin am Donnerstag zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf vier Jahre festgelegt
Allein bei den Menschen, die alle einer Panik oder Hysterie nahe waren, kochten die Gerüchte zu unglaublichen Formen hoch. Wie nüchtern las sich dann Wochen und Monate später der tatsächliche Ablauf der Geschehnisse.
dpa-Meldung vom 08.04.2004:
Die Frau hatte laut Gericht nicht nur dem Düsseldorfer Flughafen mit Bombensprengungen gedroht, sondern auch den Airports in Köln-Bonn und Frankfurt. Die Richter berücksichtigten nach Gerichtsangaben zudem, dass die 28-Jährige ein Leben lang die Folgen der Tat zu tragen habe: Ihr drohen Schadenersatzforderungen von 1,2 Millionen Euro. "Sie wird den Schaden in ihrem Leben nicht mehr gutmachen können", sagt der Richter in seiner Urteilsbegründung: Marina B. werde von nun an "ständig an der Armutsgrenze leben".
Gegen sechzehn Uhr rollten die ersten Übertragungswagen des WDR und von RTL auf den Vorplatz. Sofort wurden diese staunend umringt. Fernsehleute mit Kameras und Mikrophonen bewaffnet mischten sich unter die Wartenden. Von unserem erhöhten Standpunkt aus hatte man einen wahrhaft herrlichen Überblick über das ganze Chaos. Kurz vorher war ein kleiner Lieferwagen mit Wasserflaschen von der Menge blitzartig gestürmt worden und leer geräumt.
Meine Frau, die für uns eine Flasche ergattern wollte, drehte schon am Treppenansatz wieder um. So flott war die ganze Aktion abgelaufen.
Um halb fünf fuhren wiederum zwei große Lastautos, die bis obenhin mit Wasserkästen gefüllt waren, auf den Platz. Diesmal war meine Frau schneller und setzte sich rigoros durch.
Mit den Rufen: “Mein Mann ist Diabetiker. Geben Sie mir Wasser oder wir brauchen gleich einen Arzt.“, eroberte sie mehrere Wasserflaschen. Mit einem triumphierenden Grinsen trug sie ihre Beute nach oben. Wir hatten alles von der Treppe aus mit Wohlwollen beobachtet und spendeten laut Beifall.
Plötzlich öffnete sich eine Stahltüre die sich unterhalb unserer Treppe befand. Mehrere Personen in Kochuniformen schoben einige Edelstahlwagen voll mit belegten Brötchen hinaus. Sie bauten die Tabletts und Wagen direkt vor unseren Augen auf.
Meine Frau warf uns die Wasserflaschen zu und war wie der Teufel die Treppe wieder hinab geschossen. Sie musste sich trotzdem an eine lange Schlange hinten anstellen, da diese Magenprovokation bereits von etlichen Leuten beobachtet worden war.
Die Brötchen wurden für ein Euro das Stück verkauft. Die Größe der Dinger schwankte zwischen Ei Groß und einer kleiner Kartoffel. Im normalen Ladenverkauf hätte diese Größe einen schweren Lebensmittelaufstand bei den Frühstückskunden der Bäckereien verursacht. Für ausgehungerte Fluggäste und gestrandete Urlauber war das aber völlig ausreichend. Nach cirka fünf Minuten war alles ausverkauft.
Siegreich kam meine Frau mit 4 dieser winzigen Brötchen wieder die Treppe hinauf.
Damit hatte sie sich wiederum einen tosenden Beifall verdient.
Nach einer weiteren halben Stunde öffnete sich die Stahltüre wiederum und nochmals wurden diverse Wagen mit belegten Brötchen hinaus geschoben. Diesmal allerdings wurden diese kostenlos an alle Hungrigen verteilt. Seltsame Flughafenpolitik.
Vielleicht lag es ja auch an den inzwischen filmenden Kameraleuten, dass man Seitens des Flughafens einen gewissen guten Willen demonstrieren wollte. Man hatte sicher Angst, dass in den Nachrichten wütende Passagiere zu sehen waren, die sich um ein Stück Brot und ein Tässchen Wasser prügelten.
Da wir den besten Sitzplatz hatten und die Kochmützen zuerst bemerkten, ergatterten wir auch diesmal einige Brötchen für unser Wohl.
dpa-Meldung vom 08.04.2004
Eine Sprecherin des Düsseldorfer Flughafens sagte, man werde mit einer Zivilklage Forderungen in Höhe von rund 200.000 Euro geltend machen, sobald das Urteil rechtskräftig sei. "Das sind entgangene Start- und Landeentgelte, außerdem Kosten für die entgangenen Einnahmen in den Terminals."
Um diese Zeit wollten wir eigentlich schon im Liegestuhl dösen, die Wellen betrachten und uns auf das Abendessen freuen. Stattdessen tat uns der Hintern von den harten Steinstufen weh. Immer wieder wanderte ich deshalb Richtung Terminal um zu schauen, was sich dort tat.
Näher als 40 Meter kam man allerdings nicht an die Eingangstüren heran. Alles war mit Bändern und BGS Beamten abgeriegelt. Informationen wurden immer noch nicht verteilt. Kein Mensch hatte uns bisher erklärt wie lange oder auch nur warum wir ausgesperrt wurden.
dpa-Meldung vom 08.04.2004
Die Angeklagte hatte am Mittwoch überraschend ein weitreichendes Geständnis abgelegt und damit frühere Aussagen korrigiert. Nach ihren Angaben hatte sie die Bombendrohungen getätigt, um am Tag der Abreise nicht mit ihrem Freund in den Urlaub fliegen zu müssen. Zum Prozessbeginn hatte die Studentin erklärt, sie sei von ihrem Freund zu den Anrufen gezwungen worden.
Es war gegen 18 Uhr als einige Mutige sich bis an die Eingangstüre des Terminals wagten. Sie waren mehr als überrascht als diese sich plötzlich öffneten. Erstaunt versuchte auch ich einzutreten.
Die riesige Halle war immer noch wie leergefegt. Nur hier und da traten einige Leute in die Halle ein. Hinter den einzelnen Schaltern befand sich nur wenig Personal. Aber keiner vertrat uns den Weg oder scheuchte uns wieder hinaus.
Kurz entschlossen kehrte ich zu meiner Reisegruppe zurück. Wir nahmen unser Handgepäck auf und marschierten durch das Terminal, direkt zur Ebene der Abflug Gates.
dpa-Meldung vom 15.09.2003
Kurz nach 18 Uhr wurden die Terminals wieder frei gegeben, das Chaos hielt jedoch noch Stunden an. Die Bezirksregierung hob das Nachtflugverbot auf. So konnten die ganze Nacht über verspätete Maschinen abgefertigt werden: Den letzten verspäteten Start gab es um 3.10 Uhr, danach noch einige Landungen
Wir kamen ohne Probleme durch die Röntgenstation wieder bis in den Wartebereich. Auf der großen Abflugtafel war unser Flug für 19:30 Uhr avisiert. Endlich ging es weiter.
Zögernd machten auch einige Läden ihre Türen wieder auf. Der Cafeshop servierte die ersten Tassen heißen Cappuccino und der Zigarettenshop fuhr rasselnd seine Gitter hoch.
Gegen 19 Uhr durften wir zum zweiten Mal an diesem Tag in den Warteraum, nicht ohne vorher nochmals die Pässe vorzuzeigen.
Durch die großen Fenster im Warteraum konnte man erkennen, dass wieder Flugzeuge zum Start rollten und auch abhoben. Unsere Stimmung hob sich ebenfalls.
Dann erkannten wir den Flieger, der seitlich an unserem Warteraum parkte.
Balkan Airlines.
Unsere Stimmung sank erheblich als wir erkannten, um welch altes Flugzeug es sich dabei handelte.
„Ahwatt, Hämann“, munterte Helmut mich auf, „runner kommen se alle.“ Das war sogar mir klar.
Eine Gruppe von 7 oder 8 Leuten betrat den Wartebereich. Das konnte sich nur um einen Kegelclub handeln. Schwankend, in grellen Trainingsanzügen gekleidet, offene Bierdosen in den Händen und weitere in Plastiktüten, torkelten sie in den Raum. Das konnte ja lustig werden. Wir rätselten lange herum wo die Kegelbrüder wohl ihre Biere herbekommen hatten. Die mussten vermutlich bis in die Düsseldorfer Altstadt gelaufen sein. Durst ist eben schlimmer als Fernweh.
Um 19:15 Uhr wurde der Zweite Versuch gestartet, das Flugzeug mit Passagieren zu füllen. Diesmal hielt uns niemand auf.
Zu unserem Glück nahmen die Kegelbrüder einige Reihen vor uns im Flieger Platz, so dass wir das Schauspiel aus einiger Entfernung betrachten durften.
Das Flugzeug selber machte nicht den besten Eindruck. Die Einrichtung sah veraltet und verkommen aus. Einige Verkleidungsplatten hatten sich anscheinend schon gelöst und vibrierten leise. Doch nach den letzten Stunden konnte uns das auch nicht mehr aufhalten. Wir saßen im Flugzeug und wollten einfach nur noch los.
Nach nur einer halben Stunde Verspätung rollten wir endlich in Richtung Startbahn. Unter lautem Beifall hoben wir um 20 Uhr ab.
Nach kurzer Zeit schon wurde auch das Mittagessen, jetzt als Abendessen deklariert, serviert. Kalte Hühnerbrust auf undefinierbaren Salat mit einem weißen Stück Brot. Der Hunger zwang es hinein.
Unterhalten wurden wir von der Kegeltruppe. Am interessantesten waren dabei noch Vater und Sohn. Zumindest ergab sich das aus dem lauten Streitgespräch das die beiden immer wieder anfingen. Ähnlich sahen sich die beiden wie Pat und Pattachon.
Der Vater war höchstens etwas über 1,60 groß, rundlich und fast ohne Haare oberhalb der Stirne. Auffallend war dabei besonders sein Bierbauch. Es sah aus als hätte der Mann zwei große Bowlingkugeln verschluckt. Der Bauch hatte glatt die Ausmaße einer gesunden Schwangeren, Stunden vor der Geburt.
Sein Sohn dagegen war knapp zwei Meter, Breitschultrig und mit wildem Bartwuchs ausgestattet.
Was beide wieder einte, war der gleichermaßen hohe Alkoholpegel.
Beide waren sturzbesoffen und stritten den ganzen Flug lautstark zur allgemeinen Belustigung der Fluggäste. Da die Pöbeleien aber nie in Handstreitigkeiten endeten, vermutete ich recht bald, dass dies die ganz normale Kommunikationsform zwischen den beiden war.
Der Rest der zweieinhalbstündigen Reise verging im Gegensatz zum Warten vor dem Flugplatz wie im Flug.
Nur als das Flugzeug zur Landung in Varna ansetzte gab es noch eine kleine Störung.
Vater Kugelbauch hatte leichte Verdauungsstörungen und besprach diese auch lautstark mit seinem Sprössling.
Als das Anschnallschild aufleuchtete und das Personal nach vorne verschwand, quälte er sich mit seinem gewaltigen Bauch aus seinem Sitz und quetschte sich an uns vorbei Richtung Toilette.
Diese befand sich leider direkt hinter unserem Rücken.
Ich hatte sie bereits einmal aufgesucht und war heilfroh sie schnell wieder verlassen zu können. Der winzige Toilettenraum befand sich in einem späten Stadium der Auflösung. Zwischen den Streben der Zwischenwände konnte man fast den ganzen Passagier überblicken. Die Spülung funktionierte nicht richtig und Papier gab es auch keines mehr.
Das alles störte den guten Mann nicht im Geringsten. Auch mit der anstehenden Landung hatte er wohl kein Problem.
Lautstark und lange entleerte er sich in unserem Rücken. Ein penetranter Gestank waberte langsam durch den ganzen Passagierraum.
Meine Frau wurde leicht grün im Gesicht. Ich schluckte schwer.
Helmut fummelte an den Kotztüten herum. Die Frotzeleien seiner Saufkumpane wurden immer derber.
Das Flugzeug setzte zur Landung auf und lautstark riefen bereits einige Passagiere danach, die Luken aufzureißen.
Das war das erste Mal, wurde mir bewusst, das niemand bei einer Landung geklatscht hatte. Vermutlich kämpften alle mit ihrem Magen.
Als wir endlich standen und die Luke geöffnet war, stellte ich fest, dass sich ein Flugzeug auch außerhalb eines Notfalles in Minutenschnelle leeren kann. Fast Panikartig verließen die Menschen die Maschine und das sich keiner den Hals auf der steilen Treppe hinunter brach, war fast ein kleines Wunder.
Viel konnte man vom Flugfeld nicht erkennen, nur das es sich um einen relativ kleinen Flughafen handelte. Mit einem Bus wurden wir bis zu den Empfangshallen gefahren.
Der Vorteil bei kleinen Flughäfen sind die kurzen Wege. Schon kurz nach Betreten der Eingangshalle standen wir auch schon vor den Bulgarischen Zollbeamten.
Ein Blick, ein Stempel und schon war auch das geschafft. Von dort war es nur wenige Meter weiter bis in den Kofferausgabebereich.
Vor uns befanden sich zwei ovale Inseln, die mit einem Endlos Band umlaufen wurden. Beide standen zu der Zeit aber noch still.
Es war bereits nach 23 Uhr als sich plötzlich eines der Bänder in Bewegung setzte. Im Gleichtakt bewegte sich auch die ganze Passagiermeute zu diesem Förderband.
Es wurde geschoben und gestoßen. Alle wollten gleichzeitig den ersten Koffer begutachten.
Nach und nach plumpsten die diversen Koffer und Taschen aufs Band und wurden betrachtet. Viele wurden hoch gewuchtet, herumgedreht, bestaunt und wieder zurückgelegt. Hier und da erwischte jemand auch seinen richtigen Koffer.
Das Glück zeigte uns an diesem Abend wieder einen winzigen Zipfel. Schon nach wenigen Runden erschien unser treuer Schalenkoffer.
Aufgeregt zeigte meine Frau darauf und schob mich durch die Menge nach vorne. Mit einem Griff hatte ich das gute Stück hoch gewuchtet und gemeinsam brachten wir es in einer ruhigen Ecke in Sicherheit.
Helmut und Roswitha besaßen zwei kleinere Koffer und standen immer noch wartend bei dem laufenden Band.
Mit einem Mal stoppte das Band und Ruhe kehrte wieder ein. Die letzten Kofferstücke wurden begutachtet und nach einiger Zeit war das Band leer gefegt.
Plötzlich kam Bewegung an der zweiten Kofferinsel auf. Nun lief dort das Kofferband. Wie auf Kommando drehte sich die ganze Meute um und umstellte die Insel.
Auch hier wurden einige Gepäckstücke ausgespuckt. Helmut konnte den ersten seiner beiden Koffer ergattern und lud diesen bei uns ab.
Inzwischen bewegte sich auch wieder das erste Band. Hin und her gerissen zwischen zwei sich bewegenden Objekten gerieten einige Passagiere ins stolpern. Viele versuchten nun beide Bänder gleichzeitig im Auge zu behalten und sprangen dabei hin und her.
Nach einer weiteren Ladung Gepäck war erst einmal wieder Pause. Alles lag still.
Helmut, der einzige Raucher in unserer kleinen Gemeinschaft, steckte sich erst einmal eine Zigarette an um seiner lange enthaltenen Sucht zu frönen.
Es ging langsam auf Mitternacht zu. Um die Bänder herum standen vielleicht noch 40 Leute und warteten. Geraume Zeit tat sich nichts.
Plötzlich trat ein junger Mann mit energischen Schritten aus einer der Nebentüren, stellte sich zwischen den beiden Rondellen und sah uns erwartungsvoll an. Er trug ein braunes Sakko mit einem roten Schlips das eher wie eine Flughafenuniform aussah. Er wirkte frisch, dynamisch und hatte einen modern gestylten Haarschnitt
Er faltete die Hände und sprach auf Deutsch, aber mit einem sehr schweren Akzent:
„Guten Abend, meine Damen und Herren. Was machen Sie hier?“
2. Tag
Montag der 15. September 2003 00.00 Uhr
„Worauf warten Sie denn? Kann ich Ihnen weiterhelfen?“, sprach er in seinem gebrochenen Deutsch weiter, da ihn alle nur mit offenen Mund anstarrten.
„Auf unsere Koffer natürlich!“, rief einer der Passagiere. Von hinten ertönten weitere Koffer und Gepäck rufe.
„Aber es gibt keine Koffer mehr“, stellte der junge Manager fest, „Das Flugzeug ist leer. Und im Keller liegen auch keine mehr.“
dpa-Meldung vom 15.09.2003
Mit dem Beginn des normalen Montagbetriebs um 6.00 Uhr hat sich die Lage nach Aussage eines Flughafensprechers weitgehend normalisiert. In Einzelfällen käme es noch zu mehrstündigen Verspätungen. Außerdem müssen noch 4500 Gepäckstücke nach geflogen werden, die während des Bombenalarms zurückgehalten wurden.
Empörte Rufe klangen durch den kleinen Terminal. Man machte sich lautstark Luft. Der junge Bulgare ging vorsichtshalber einige Schritte rückwärts und hob dabei beide Hände.
„Wir wollen unsere Koffer! Und das sofort!“, brüllte einer aus der Kegelfraktion.
Seine Kumpane fielen grölend ein. Nach wenigen Augenblicken brüllten alle und man verstand gar nichts mehr.
„Meine Damen, meine Herren“, rief der Airportangestellte mehrmals um ruhe bittend, „Wenn Sie ihre Koffer vermissen, müssen sie eine Suchmeldung oder eine Verlustanzeige ausfüllen. Kommen Sie bitte.“
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging zu einem winzigen verglasten Schalter der sich in der äußersten Ecke der Halle befand. Dahinter saß eine junge Frau im gleichen Airport Outfit.
Der junge Mann redete wie ein Maschinengewehr auf die Frau ein und zeigte dabei mehrmals auf die nachrückende Meute.
„Bitte geben Sie hier Ihre Anzeige auf. Die Damen wird die entsprechenden Formulare ausfüllen.“, erklärte er, uns dabei näher winkend.
Sofort bildete sich ein wirres Knäuel vor dem Schalter. Wir stellten uns ein wenig Abseits des Trubels und schickten Helmut los, sich ebenfalls anzustellen.
Der junge Mann aber verschwand wie der Blitz durch eine der Seitentüren und ward von da an nicht mehr gesehen.
Es stellte sich schnell heraus, dass die junge Frau nur Bulgarisch sprach und die Formulare alle in Kyrillisch abgefasst waren. Dementsprechend lange dauerte das jeweilige Ausfüllen dieser Blätter.
Nach einiger Zeit suchte sich jede Gruppe einen Antragsteller aus, so dass sich das Knäuel vor dem Schalter etwas lichtete.
Helmut ließ sich zwischendurch von Roswitha ablösen um sich kurz einen Suchtstängel anzuzünden.
Sitzgelegenheiten gab es in diesem Saal nicht. Dafür eine Wechselstube (vor der aber schon im Urlaubsprospekt gewarnt wurde), eine Zöllnerstation sowie die Kofferrondelle.
Die Beine wurden uns müde und der Durst quälte uns auch wieder.
Es dauerte geschlagene anderthalb Stunden, bis auch Helmut triumphierend mit einem ausgefüllten Formular aus der Menge auftauchte.
„Herzlichen Glückwunsch zum Kauf einer bulgarischen Waschmaschine“, frotzelte ich, „Überleg dir schon mal, wie du die nach Hause bringst.“
„Dann lärnen die mich abba richtich kännen!“, grinste er.
„Kann doch keine Sau lesen, dieses Kyrillisch. Hoffentlich geht das mal gut.“, sagte ich und schüttelte den Kopf.
Bewaffnet mit unseren anderthalb Koffern marschierten wir endlich durch die Pendeltüren und gelangten so in den Vorraum des Flughafens.
Hier gab es eine kleine Bar, Ticketschalter - die aber geschlossen waren - sowie eine in der Mitte des Raumes nach unten führende Treppe, auf der man offensichtlich zu den Toiletten gelangte.
Es war halb zwei Uhr Morgens und wir waren todmüde, hungrig und durstig.
Auf dem Vorplatz standen einige Kleinbusse. Wir mussten einige Minuten suchen bis wir den für unsere Urlaubsgesellschaft zuständigen gefunden hatten und ließen unsere Koffer einladen.
Nach und nach trafen auch die anderen Koffergeschädigten mit ihren Formularen ein und checkten in den Bus ein. Leider war auch der gesamte Kegelverein darunter.
Die Kegelprofis ließen sich inzwischen etwas hängen. Anscheinend war ihr Bierpegelstand an der Maximum Grenze gelangt, denn in minutenschnelle fingen die meisten an zu schnarchen, kaum das sie im Bus Platz genommen hatten.
Nach einer weiteren halben Stunde, die Helmut meist rauchend draußen verbracht hatte, trudelten keine weiteren Urlauber mehr ein. Helmut und ich befragten deshalb den Busfahrer mit Händen und Füssen worauf er noch warten würde. Wir wollten endlich ins Bett.
Es stellte sich heraus, dass durch das ganze Chaos am Düsseldorfer Flughafen auch in den Urlaubsflughäfen alles durcheinander geraten war. Um zwei Uhr sollte noch eine Maschine voller Urlauber aus Berlin landen. Darunter befanden sich ebenfalls Gäste unserer Gesellschaft. Und genau diese wollte unser Buschauffeur noch abwarten, damit er sich eine weitere Tour in dieser Nacht ersparen konnte.
Ich krächzte nur noch, so trocken war inzwischen meine Kehle geworden. Wie Helmut so ausgetrocknet noch rauchen konnte, war mir ein Rätsel.
Ich marschierte wieder in den Flughafen, da ich vorher bemerkt hatte, dass die kleine Bar im Vorraum noch geöffnet hatte. Ich kaufte dort vier Dosen holländisches Heinecken Bier und hatte damit in Helmut wieder einen Freund fürs Leben gefunden.
Im schummerigen Licht des Busses entzifferten wir die Inschrift auf den Bierdosen. >BROWED IN BULGARIA<. Nix Holland.
Es war uns total egal. Es schmeckte trotzdem.
Bis die Gäste aus Berlin eintrudelten, dauerte es noch eine ganze Weile. Sollten auch deren Koffer nicht mit geflogen sein, würden wir vermutlich noch bis nach dem Frühstück hier stehen. Wir drückten im Geiste die Daumen, dass es in Berlin keine Bombendrohung gegeben hatte.
Inzwischen drückte auch das bulgarische Heinecken Bier. Ich erinnerte mich wieder an die Treppe im Vorraum des Flughafens und dem Schild, das daran hing. Es war mit einem Piktogramm beschriftet. Auf Deutsch: mit einem Toilettenmännchen bemalt.
Helmut und meine Wenigkeit marschierten also nochmals in den Flughafen um einen Teil des einheimischen Bölkstoffes zurück zu bringen.
Bereits auf den ersten Stufen aber stockte unser Schritt. Beim weiteren Abstieg in die Katakomben des Flughafens wurde unserem Magen anders. Unerwartete und unglaubliche Düfte schlugen uns wie eine massive Wand entgegen.
Wir schauten uns an, holten tief Luft und stürzten auf die Männertoilette um dann mit cirka 3 bis 4 atü die Blase zu entleeren. Leider schaffte ich es nicht ohne zwischendurch kurz nach Luft zu schnappen. Aber ich kam ohne Magenentleerung die Treppe wieder hinauf. Oben grinste mich schon Helmut an, der aber auch nach Luft rang.
„Pumakäfich is nix dagegen, wa Hämann.“, keuchte er.
Wir schworen uns, auf diesem Airport keine Flüssigkeiten mehr zu uns zu nehmen. Eine derartige Expedition schaffe ich ohne Gasmaske nur einmal am Tag. Da hinunter hätte man mich nur noch mit Waffengewalt zwingen können.
Es war bereits nach drei Uhr in der Früh als der Bus sich endlich in Bewegung setzte.
Der Transfer dauerte etwas über eine Stunde. Das einzige was man während der Fahrt erkennen konnte war das hell erleuchtete Varna. Ansonsten war es auf den Straßen Bulgariens stockfinster.
Kurz nach vier Uhr Morgens hielten wir endlich vor unserem Hotel. Leider stieg auch der gesamte Kegelverein mit aus.
Die junge Frau an der Rezeption verstand gut genug Deutsch, um uns alle recht schnell einzuchecken. Helmut ging derweil auf Erkundung. Mit strahlenden Augen stellte er sich wieder zu uns.
„Bar iss no offen. Un Bier gibbet auch.“, meinte er. Helmut denkt immer zuerst an das wichtigste.
„Okay, ich gebe uns 15 Minuten für die Koffer, dann treffen wir uns hier unten.“, kommandierte ich.
Alle waren zwar todmüde, aber selbst die Frauen waren nicht abgeneigt sich noch einen Schlummertrunk zu genehmigen. Der Körper verlangte einfach ein wenig Entspannung und Flüssigkeit nach diesem stressigen Tag.
Wir griffen unsere Koffer und drückten den Knopf des einzigen Aufzuges. Der Anzeige nach gab es fünf Stockwerke und unser Zimmer lag im Vierten.
Helmut zog die Türe auf und quetschte sich mit seiner Frau in die Kabine. Den Koffer reichte ich ihm von außen nach. Ich selber konnte die Kabine nicht mehr betreten, da es einfach zu eng war.
„Fahr ruhig rauf und schick die Kabine wieder runter. Ich warte derweil hier.“, beruhigte ich ihn.
Schon wenige Minuten später konnten auch meine Frau und ich die Kabine betreten.
Im Geiste machte ich drei Kreuzzeichen als der Aufzug ruckelnd nach oben fuhr. Erschrocken stellte ich dabei fest, dass er gar keine Innentüre besaß. Die nackte Wand rauschte an uns vorüber. Man konnte die Altersschichten des Hotels an den verschiedenen Kachelnsorten erkennen, die man irgendwann zur Verschönerung an die Schachtwände geklebt hatte.
Ich achtete darauf, ja nicht mit meinen Sachen an dieser Wand hängen zubleiben. Das hätte womöglich in einem blutigen Fiasko geendet, da der Aufzug mit Sicherheit keine Notbremse besaß.
In der vierten Etage erwatete uns ein winziges Zimmer. Die Einrichtung war spartanisch bis gar nicht vorhanden.
Hotelbewertung Akazia II August 2003 www.Holidaycheck.de
Die Anlage und Zimmer waren dreckig und nicht gepflegt. Im Katalog stand "frisch renoviert", wovon man aber nichts mitbekommen hat. Die Zimmer sind dreckig und sehr klein. Ich hatte das Bett an der Seite zum Badezimmer. Die Wand war feucht und mit Schimmel überzogen.
Wir sahen uns aber nicht groß um, luden den Koffer und die Tasche ab und fuhren wieder nach unten um die Bar aufzusuchen. Helmut und Roswitha saßen bereits dort und hatten auch schon vier Bier geordert. Wie gesagt ist Helmut sehr praktisch veranlagt.
Endlich einmal in Ruhe sitzen, verschnaufen und etwas Kühles trinken. Selten hat mir ein Bier so gut geschmeckt.
Die Bar war klein und schummerig beleuchtet. Mehrere Barhocker standen vor dem Tresen und an der Seite befand sich eine kleine Sitznische in der wir vier soeben Platz fanden.
Hinter der Bar stand ein junger Mann und bediente uns. Er war vielleicht um die zwanzig Jahre alt, schlank, schwarzhaarig und hatte ein lustiges Lachen im Gesicht. Die Damen waren sofort von ihm angetan.
Wir ließen noch einmal den ganzen letzten Tag Revue passieren und freuten uns doch noch angekommen zu sein. Als Helmut die Zigaretten ausgingen, sprach er den jungen Mann hinter der Theke darauf an. An der Bar selber durfte man keine Zigaretten verkaufen, erklärte uns der Barkeeper.
Er sprach ein gebrochenes Deutsch mit schwerem Akzent. Aber er war offensichtlich stolz auf seinen Wortschatz und erklärte auch gleich, dass er sich in Deutsch und Englisch weiterbilden wolle und deshalb immer fleißig mit den Gästen übe.
„Kain Problehm!“, meinte Helmut, „Ärste Läktion. Besorch ma Zigaretten, Am besten Marlboro.“
Der junge Mann nickte kurz, warf sein Abwischtuch hin und verschwand einfach. Schon nach wenigen Minuten tauchte er mit einer Schachtel Zigaretten in der Hand triumphierend wieder auf.
„Äh, wo isn dä Automat.“, fragte ihn daraufhin Helmut.
„Kein Automat. Geschäft nebenan. Immer auf.“, erklärte er uns.
Gut, dass diese Worte kein Politiker aus Deutschland hören konnte. Ladenschlussgesetze gab es hier wohl überhaupt nicht. Das war ja glatte Anarchie. Hier hatten tatsächlich Geschäfte, Bars und Restaurants rund um die Uhr auf. Zumindest solange es Touristen gab und diese einkehrten.
Neugierig geworden fragten wir auch nach seinen Arbeitszeiten. Wann er denn abgelöst würde und wie lange seine Schicht geht. Die Antwort warf uns glatt um. Der Arme hatte eine 48 Stunden Schicht und danach 12 Stunden frei. Kapitalismus pur. Aber dieses Phänomen konnten wir in den nächsten Tagen noch öfter beobachten.
Gegen halb sechs schlichen wir endlich auf unsere Zimmer.
Total erschöpft schaffte ich es noch soeben mich von Hemd und Hose zu trennen. Wie mein Kopf aufs Kissen aufschlug habe ich schon nicht mehr in Erinnerung.
Doch die Nacht war leider nur kurz. Bereits nach 3 Stunden, also um halb neun weckte uns Straßenlärm. Vielleicht waren es aber auch die ungewohnten Betten. Da nur bis halb zehn Frühstück serviert wurde, mussten wir uns also beeilen.
Der gestrige Tag hatte ein großes Loch in unseren Mägen hinterlassen und wir waren entsprechend hungrig.
Mit verquollenen Augen schmiss ich mir einige Tropfen Wasser ins Gesicht, putzte die Zähne und fuhrwerkte etwas mit dem Nassrasierer herum.
Rita hatte schon erfolgreich bei unseren Freunden geklopft. Gemeinsam gingen wir die vier Etagen sicherheitshalber zu Fuß nach unten um den Frühstücksraum zu suchen.
Wir folgten einfach einem Strom älterer Leute, die an der Rezeption und der Bar vorbei in einen dunklen Gang verschwanden. Hinter der Bar stand immer noch unser junger Freund und grüßte freundlich. Seine Schicht war erst am nächsten Morgen vorüber.
Nach der Bar kam nach einem kurzen Gang eine verglaste Doppeltür die direkt in den Speiseraum führte. Vor der Glastüre parkten zwei Gehhilfen.
„Gehhilfen sin au schon da. Sind wo im Altenheim gelandet?“, staunte Helmut.
Kurz entschlossen drückte ich die Glastüre auf und betrat einen großen Saal. Trotz unseres fortgeschrittenen Alters fühlten wir uns beim Anblick der anderen Gäste fast jungendlich.
An den Wänden entlang standen Tische aufgereiht an denen jeweils zwischen 6 und 8 Leute Platz nehmen konnten. Die Mitte wurde beherrscht von einen großen Karree aus Tischen auf denen die unterschiedlichsten Frühstückssachen aufgebaut waren.
In der Decke war eine große Lichtkuppel eingelassen, durch deren gelbliches Glas schummeriges Licht drang. Ob das Glas immer gelb gewesen war oder es durch lange Jahre mit Zigarettenqualm so geworden ist, ließ sich von unten nicht genau bestimmten
Durch eine verglaste Seitentüre gelangte man in einen weiträumigen Wintergarten in dem die Lichtverhältnisse bedeutend besser waren. Allerdings war dieser Saal vollbesetzt, so dass wir uns in dem dunkleren Buffetsaal einen freien Tisch suchen mussten.
Hotelbewertung Akazia II Mai 2003 www.cooleferien.com
1 Speisesaal viel zu dunkel (war bei der Essensvielfalt wahrscheinlich auch angebracht)
Die Brötchen waren ungenießbar (teilweise etwa 3 Tage alt), Kaffee dünn aber wenigstens heiß, jeden Morgen das gleiche Frühstück
Hotelbewertung Akazia II August 2003 www.Holidaycheck.de
Im Frühstücks-/Abendessensraum liefen die Kakerlaken über den Boden. Als ich einmal in den geschnittenen Tomaten, die in Kühlboxen aufbewahrt wurden, rumstocherte, waren auch einige schimmlige darunter. Das Essen war sowieso mehr als mies... ich habe kaum dort gegessen und im Urlaub 2 Kilo abgenommen.
Das Angebot war mehr als bescheiden. Hin und her gerissen zwischen knallharten Brötchen, seltsamen Graubrot und pappigen Toastbrot entschied ich mich für das Toastbrot. Richtig lange im Toaster gebrutzelt war es fast genießbar.
Zwei Sorten Wurst und einige Scheiben Käse rundeten die Eiweißpalette ab. Verschiedene Sorten Korn- und Maisflocken waren auf der anderen Seite des Karrees aufgebaut. Das Highlight waren Eier sowohl gekocht als auch gebraten. Beides inzwischen allerdings kalt.
Eine kleine Schüssel mit Tomaten- und Gurkenstücken sollten wohl den Vitaminbedarf abdecken.
Uns war bereits beim Buchen dieser Reise klar gewesen, dass wir gegenüber einer Türkeireise gewisse Abstriche hinnehmen müssten. Aber dieses Frühstückbuffet war so ziemlich das traurigste am ganzen Urlaub.
Bevor wir das Hotel verließen, tauschten wir an der Rezeption noch einige Euro in die hiesige Währung Lewa um. Ein Lewa entsprach etwa 0,50 Cent. Das war das gleiche Verhältnis wie DM zu Euro. Da diese Umrechnung noch jeder von uns im Kopf hat, war die Umstellung ein Kinderspiel. Das Kleingeld hieß Stotinki, von den Deutschen auch gerne Stinkis genannt.
Wir verließen gegen halb zehn das Hotel um uns erst einmal am Goldstrand zu orientieren. Der Himmel war ziemlich bedeckt, mit grauen Wolken überzogen und vom Meer blies ein recht frischer Wind. Die Temperatur hatte meiner Meinung nach nicht einmal die zwanzig Gradmarke erreicht.
Gut das wir alle unsere Windjacken mitgenommen hatten. Da unsere Damen leicht fröstelten, vermutlich auch wegen dem fehlenden Schlaf, kehrten sie noch einmal zurück, um ihre dicksten Pullover anzuziehen.
Vor dem Hotel verlief eine schmale Zufahrt. Diese war von der Hauptstraße durch einen kleinen, etwa 20 Meter breiten Grünstreifen, getrennt, auf dem auch einige exotische Palmen und Büsche gepflanzt waren.
Die Hauptstraße trennte die Hotels, die rechts wie links bis in der Ferne aufgereiht standen, vom eigentlichen Strand.
Auf der anderen Straßenseite befanden sich Swimmingpools, die vor der Straße durch kleine Hecken und Büsche ein wenig geschützt wurden.
Mindestens ein gutes Dutzend verschiedenartiger Pools zogen sich wie Perlen an einer Kette die Straße entlang.
Hinter den Swimmingpools verlief nochmals ein asphaltierter Gehweg der von unzähligen Fressbuden, Souvenirshops, Schmuck- und Uhrenläden, Schuhständen und was weiß ich noch alles gesäumt war.
Langsam gingen wir einige Schritte in Richtung der Strandstraße und schauten uns von dem Grünstreifen aus gründlich um. Der Blick zurück zu unserem Hotel ließ uns mitten im Schritt erstarren.
Das Gebäude hatte seine beste Zeit bereits vor Jahrzehnten gehabt. Es war 5 Stockwerke hoch und gebaut wie der Prototyp der ehemaligen Plattenbauten der ebenfalls ehemaligen DDR. Die Fassade blätterte überall ab und es wirkte wie kurz vor dem Zusammenbruch.
Erschüttert gingen wir über die Straße zwischen den Swimmingpools in Richtung Strand.
Waren wir schon vom Anblick des Hotels erschüttert, so traf es uns nun mit voller Härte. Es war wie ein Schlag in den Magen. Mir ist es bis heute ein absolutes Rätsel wie man diese schönen Bilder mit Swimmingpools und lachenden Menschen in die Kataloge bekommen hat. Es konnte sich doch dabei nur um Computersimulationen handeln.
Von den gesprungenen, teilweise aufgeschlagenen Kacheln mal ganz abgesehen, näherte sich der Zustand des Wassers im Pool bedenklich der einer Kloake. Den Beckengrund konnte man nicht mehr erkennen. Schemenhaft sah man gewisse Dinge wie Liegen und Sonnenschirme unter Wasser liegen. Andere Sachen, deren Namen ich noch nicht einmal schreiben möchte, trieben auf der Oberfläche.
Da ich nicht besonders gerne im Meer schwimme, hatte ich mich eigentlich auf eine Abkühlung in den hiesigen Pools gefreut. Nun bemühte ich mich den ganzen Urlaub krampfhaft nicht in deren Nähe zu kommen. Die Gefahr hineinzufallen war einfach zu groß.
Es ging in der deutschen Gemeinde auch das Gerücht um, das man sich beim hereinfallen bestimmte, nicht mehr heilbare Krankheiten zuziehen konnte. Wir glaubten es unbesehen.
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Akazia 1&2 ist der letzte scheiß! kakerlaken, schimmel, dreck Hotel
Das Hotel ist absolut nicht zu empfehlen! Die Hotelanlage ist ziemlich klein. Es gibt nur die beiden Gebäude von Akazia1 und Akazia2. Die Hotels sehen aus, wie alte DDR-Bauten. Für junge Leute ok, wenn sie sich von Schimmel, Dreck etc. nicht abschrecken lassen. Älteren Menschen und Familien ist die Region und das Hotel nicht zu empfehlen.
Des Weiteren stand im Katalog, dass der Pool am Hotel wäre und auch dazu gehöre. Der Pool war aber weiter vom Hotel entfernt und es lagen dort auch andere Urlauber. Die Fliesen vom Pool waren alle kaputt, man musste aufpassen, dass man sich nicht die Füße aufschneidet! Auch dort alles dreckig.
Vorsichtig umgingen wir den ersten Pool und gelangten so auf den asphaltierten Gehweg. Dieser Gehweg bildete die Grenze zum eigentlichen Strand der an dieser Stelle fast 100 Meter breit ist. Er zieht sich über dreieinhalb Kilometer vor der Kulisse des Nationalparks „Goldstrand“ mit einem einzigartigen Baumbestand hin. Ich kann zwar nur Eichen und Birken genau von einander unterscheiden, war aber trotzdem von den vielen Baumarten die reichlich zwischen den Hotelanlagen wuchsen, begeistert.
Wegen des schlechten Wetters waren nur vereinzelt Menschen am Strand. Die Liegen und Sonneschirme standen wie Soldaten aufgereiht und zusammengeklappt am Wasser. Der Strand ist unglaublich feinsandig, goldgelb und das bisher schönste was ich von Bulgarien gesehen hatte.
Piraten, so erzählt die Legende, vergruben einst ihre geraubten Schätze am Ufer des Schwarzen Meeres. Die Erde aber schlug den Seeräubern ein Schnippchen: Sie zersetzte die Goldmünzen zu goldenem Sand, der im Sonnenschein hell aufleuchtete und allen, die hierher kamen, einen prächtigen Anblick bot. Ich konnte dieser Legende nur zustimmen.
Wir schauten uns um und überlegten in welche Richtung wir dem Weg folgen sollten. Er wirkte wie ein unendlich langer Bazar. Viele Stände und Geschäfte waren nur notdürftig aus einigen Steinen und Wellpappe geschustert, manche bestanden aus Segeltuch und Stangen, für andere reichte ein einfacher Hocker und nicht wenige liefen mit einem Bauchladen herum.
Gleich am Anfang unseres Weges befand sich ein großer Imbissstand wo bereits fleißig gebrutzelt wurde. Vor der Imbissbude waren kleine Tische aufgebaut auf denen man dabei war, verschiedene Gerichte mit Pommes Frites, Frikadellen, Würstchen, Steaks, Salaten usw. in kleinen Schälchen aufzuschichten.
„Wär solln dat futtern um die Uhrzeit“, dachte Helmut laut nach, „bis heut Mittach is dat allet aaschkalt.“
Interessiert verfolgten wir das Treiben eine Weile, konnten uns darauf aber nicht wirklich einen Reim machen. Als uns der Besitzer groß anlächelte und uns mit großer Geste einlud näher zu treten lehnten wir dankend ab.
Langsam schlenderten wir den Weg in nördlicher Richtung entlang. Alle paar Meter wurde etwas anderes geboten. Langweilig wurde es auf dem ganzen Stück nicht. Nach etwa einem Kilometer ging der Weg wieder in die Hauptstraße über, die aber auf diesem Teil für Fahrzeuge gesperrt war.
Hier hörte auch die Kette der Swimmingpools auf die sich alle mehr oder weniger in einem kloakenähnlichen Zustand befunden hatten. In einigen hätte man sicher ohne Probleme mehrere Leichen versenken können.
Es war fast unvorstellbar, dass darin in der Hochsaison Kinder oder überhaupt Menschen geplanscht haben sollten.
Auf der Hauptstrasse verlief sich das Gedränge ein wenig und man hatte etwas mehr Platz zum flanieren. Die einfachen Buden wurden hier abgelöst von richtigen Restaurants und Geschäften. Aber auch mitten auf der Straße standen und saßen Künstler und Verkäufer aller Art. Maler, Perlenbastler, Fotografen boten ihre Kunst feil und sogar Rastazöpfe konnte man sich hier machen lassen.
Direkt an der Hauptstraße waren die größten Hotels gebaut worden. Fast alle waren neueren Datums und unterschieden sich in nichts von denen der anderen europäischen Urlaubszentren. Kleinere Straßen die ins Hinterland führten waren gesäumt von kleinen Hotels und Pensionen.
Gegen Mittag aßen wir in einem einfachen, rustikal aufgemachten Lokal direkt am Strand. Die Preise für das Essen, bestehend aus Steak, Pommes und Salat, waren wirklich sehr günstig. Die Portion, die auch sehr gut bemessen war, kostete keine 10 Lewa. Das Bier dazu, gereicht in großen Krügen, kam pro Krug auf 70 Stotinki, also noch nicht einmal eine alte DM.
Es blieb den ganzen Tag kühl und windig, so dass man die Jacken nicht ausziehen konnte. Es blieb uns also nicht viel anderes übrig als weiterhin das Geschäftsleben am Goldstrand zu studieren.
Beim Studium der verschiedenen Lokalitäten fiel uns besonders eine mit Schalke Symbolen bestückte Kneipe auf. Da auch Helmut mit seinem lädierten Bein nicht so lange laufen kann, betraten wir kurz entschlossen das Lokal.
Rustikale Holzbänke und Tische erwarteten uns. Die Wände waren geschmückt mir Schals, Wimpeln und großen Fotos, die alle auf Schalke hinwiesen. Meine Frau und Helmut waren Happy. In unserer kleinen Gemeinschaft sind diese beiden die Fußballnarren. Sie fühlten sich hier auf Anhieb wohl.
Roswitha und ich hingegen betrachteten die auf einigen Bänken grölenden Fans mehr mit Argwohn. Wir drangen deshalb darauf einen der hinteren Tische zu besetzen, etwas abseits des herrschenden Trubels.
Von den Fußball Accessoires abgesehen wirkte das Lokal recht gemütlich.
Wir nahmen an einem der hinteren Holztische Platz, vor dem jeweils zwei Bänke mit Rückenlehne standen. Auf die Frage des Kellners welches Bier wir möchten, konnten wir nur mit den Schultern zucken.
„Bring ma sonn einheimischet Pilsken“, orderte Helmut.
Der Kellner, der recht gut deutsch sprach, klärte uns ein wenig über die heimischen Biermarken auf. Am beliebtesten war wohl die Marke namens Kamaniza. Von den Deutschen oft Kamikazebier genannt.
„Dann bring uns ma vier Kamikaze Bierken, abba große, damitte dich nich die Füße platt läufs.“
Das Bier war ausgesprochen gut, die Atmosphäre interessant und angenehm. Wir beobachteten eine ganze Weile die Schalke Artikel und auch die Schalke Fans, die in der Mitte des Raumes lautstark feierten. Schlachtgesänge und Hochrufe auf Schalke kamen sogar auf.
„Eigentlich kann ich die Schalkeköppe ga nich leiden“, maulte Helmut, „Wenn ich zu Hause erzähl wo ich mein Bierken getrunken hab, glaubt mich dat kein Schwein.“
Im Gegensatz zu ihm waren seine Bottroper Thekenfreunde alles Schalkefans.
Den Rest des Nachmittages verbrachten wir wieder auf der Promeniermeile und besuchten anschließend noch einmal die Hotelbar. Unser Barkeeper sah inzwischen recht müde aus.
Trotzdem lächelte er uns freundlich an und beeilte sich, uns die gewünschten Getränke zu bringen. Langsam aber sicher spürten wir alle den letzten Tag in jedem einzelnen Knochen. Man wird eben nicht jünger und die Zeiten wo wir durchgemacht hatten, lagen lange zurück.
Wir waren deshalb froh als es endlich 19 Uhr wurde und wir uns umziehen konnten für das Abendessen. Das Frühstück noch vor Augen gingen wir ohne besonders große Erwartung in den Speisesaal.
Hotelbewertung Akazia II August 2003 www.Holidaycheck.de
Die Qualität lässt zu wünschen übrig, auch die Quantität, da oft nach der 1 Stunde des Abendessens Fleisch und Fisch weg waren. Sauberkeit und Hygiene auch besch...en. Wer möchte denn nicht mit kleinen "Freunden" (Kakerlaken etc.) an einem Tisch essen?? Wer 2 Wochen bleibt, muss sich darauf einstellen, dass es in der 2. Woche das gleiche gibt wie in der 1. Woche. Manchmal gibt es auch das Übriggebliebene vom letzten Abend. Der Küchenstil war international, aber mit sehr bulgarischem Einschlag. Für die Kinder gab es Pommes und Fleisch, was man oft nicht identifizieren konnte.
Hotelbewertung Akazia II Mai 2003 www.cooleferien.com
Zum Abendessen gab es grundsätzlich dieselben Beilagen, Fleisch variierte bescheiden. Was übrig blieb kam prompt am nächsten Tag wieder aufs Buffet. Für Leute mit Kindern kaum zu empfehlen!!! Ansonsten bleibt bei Buchung mit HP nur Augen zu und durch!!!
Ich kann mich den oben aufgeführten Hotelbewertungen nur anschließen. Leider habe ich sie auch erst viel später in Internet gefunden. Mehrbeinige Tierchen konnte ich zwar keine sehen, aber das kann genauso gut an meinen schlechten Augen liegen.
Helmut, leider auch von einigen Allergien geplagt, aß fast nur von den Tomaten und dem Weißbrot. Zumindest an den Nudeln und Kartoffeln kann man nicht allzu viel falsch machen, dachte ich, und lud mir davon auf. Die Menge reichte sogar, um uns satt zu machen.
Um uns herum waren viele sächsische Töne zu vernehmen. Bei dem hohen Alter der meisten Urlaubsgäste konnte es sich nur um Bewohner von sächsischen Altersheimen handeln.
Durch aufgeschnappte Gesprächsfetzen wurde mir schnell klar, dass viele aus Gewohnheit seit Jahren hier Urlaub machten. Die Bewohner der ehemaligen DDR hatten damals nicht die freien Möglichkeiten der Urlaubsortwahl und waren den Service und das Essen hier seit Jahrzehnten gewohnt. Sogar Honecker soll hier regelmäßig seinen Sommerurlaub verbracht haben. Nur die verwöhnten Wessis hatten natürlich wie immer etwas zu nörgeln.
Wir nahmen danach noch einige Schlummertrunks an der Bar zu uns. Roswitha holte Karten und wir frönten einer Zeitlang unserem Hobby, dem Rommespielen.
Es war noch nicht einmal 22 Uhr als wir uns todmüde auf unsere Zimmer begaben. Von draußen drang die Geräuschkulisse der belebten Hauptstraße herein. Abgelöst wurde diese aber schlagartig nach 22 Uhr von einem dröhnenden Bass. Genau gegenüber dem Hotel befand sich eine Openairdisco am Strand.
Hotelbewertung Akazia II Mai 2003 www.cooleferien.com
Schlafen bei geöffnetem Balkon absolut nicht möglich, bei geschlossenem aber auch kaum, den Goldstrand zeichnet eine Vielzahl von Musikanlagen mit kräftigen Bässen aus. Party bis zum Wecken... wenn man denn zum Schlafen kommt. Ballermann ist harmlos!!!!!
Hotelbewertung Akazia II August 2003 www.Holidaycheck.de
Lärmbelästigung durch das rege Nachtleben direkt vorm Hotel (s. Disco direkt vorm Hotel). Tipps & Empfehlung Fahren sie auf gar keinen Fall als älteres Ehepaar zum Goldstrand. Für junge Leute, die Party machen wollen ist der Goldstrand eine super Alternative zum Ballermann. Eigentlich noch besser, da alles billiger ist.
Kurz entschlossen dreht ich mir die zur Sicherheit mitgenommen Wachspfropfen in die Ohren und drehte mich auf die Seite.
Mit dem hämmernden Rhythmus des neuesten Ballermannsong „Ich bin der Anton von Tirol“ schlief ich recht schnell ein.
3. Tag
Dienstag der 16. September 2003 08.00 Uhr
Ich erwachte mit leichten Kopfschmerzen und dem Ohrwurm „Anton Anton“ im Hirn. Irgendwann in den Morgenstunden hatte der donnernde Bass seinen Geist aufgegeben.
Stöhnend machte ich mich auf den Weg ins Bad.
An diesem Morgen, bei Tageslicht, konnte ich diesen Teil unserer Behausung besser betrachten. Das Bad wirkte wie aus einem der alten Kinoklassiker aus den fünfziger Jahren, wenn man Toiletten in Ruinen zeigt. Die Fliesen waren teilweise gesprungen, abgeplatzt und der Rest so schlecht geklebt, das es fast wie moderne Kunst aussah. Dort, wo sich noch Fugenmaterial zwischen den Kacheln befand, war auch der meiste Schimmel. Er reichte von leicht grau bis tiefschwarz.
Hotelbewertung Akazia II August 2003 www.Holidaycheck.de
Das Toilettenbecken war aus dem Boden gerissen und es trat Wasser aus wenn man abspülte oder duschte. Die Duschtüren konnte man nicht bewegen. Nach Beschwerde unsererseits erklärte man, dass die Duschtüren im ganzen Hotel nicht funktionierten.
In unserem Badezimmer befand sich zwar keine Duschkabine, dafür aber eine Badewanne die an der Seite einen vergilbten und fleckigen Plastikvorhang hatte. Da die Wanne selber nicht sehr einladend aussah, stellte ich mich kurz entschlossen hinein und bemühte mich, nicht mit den schimmeligen Kacheln und dem Plastikvorhang in Berührung zu kommen. Das Wasser wurde überraschenderweise recht schnell warm.
Bei der anschließenden Rasur ließ ich mir Zeit. Ich hatte das Gefühl in einem wandlosen, riesigen Raum zu stehen und das war nicht uninteressant. Die Geräusche, die aus den umliegenden Zimmern kamen, drangen durch die Wände, als wenn diese gar nicht vorhanden wären.
Im Bad nebenan saß jemand lautstark auf der Toilette. Über uns wurde heftig gestritten und irgendwo anders wurde diskutiert, wohin man heute gehen sollte. Nach einigen Tagen fühlte man sich wie in einer großen Familie. Es blieben einfach keine Geheimnisse offen.
Kopfschüttelnd verließ ich das Gemeinschaftsbad und überließ es meiner Frau, die bereits nach wenigen Augenblicken entsetzt wieder heraus stürmte. Aber da musste sie nun durch.
Als wir nach acht Uhr mit unseren Freunden an der Rezeption vorbei kamen, winkte uns das nette Mädchen dahinter zu. Der zweite Koffer von Helmut war tatsächlich schon eingetroffen und sogar in das richtige Hotel geliefert worden. Die junge Frau machte uns außerdem darauf Aufmerksam, dass um 10 Uhr vor dem Hotel ein Bus auf uns wartet. Er würde alle Neu angekommenen Gäste zu einem Begrüßungstrunk fahren.
Vom Frühstück will ich lieber schweigen. Einziger Pluspunkt an diesem Morgen war, dass diesmal im Wintergarten Plätze frei waren und wir so im hellen Licht die Bescherung auf unseren Tellern betrachten konnten. Nicht nur unser pingeliger Helmut stocherte lustlos in den teilweise undefinierbaren Materialien herum.
Da das Wetter an diesem Morgen nur um einen Hauch besser war als am Montag, entschieden wir uns, das Angebot der Reiseleitung anzunehmen. Zumindest waren so einige Stunden der Zerstreuung gegeben.
Helmut und Roswitha brachten zuerst ihren Koffer nach oben und ich ging mit meiner Frau voraus auf den Rasenvorplatz um dort auf den Bus zu warten.
Ein Mann, irgendwo zwischen 35 bis 45, stand bereits dort mit einem kleinen Regenschirm in der Hand. Er trug eine helle Windjacke, war vielleicht 1,70 groß, schlank und hatte abfallende Schultern. Auf seinem Kopf war auffallend dünnes Haar und sein schmales Gesicht Zierte ein dünner Schnauzbart sowie eine Metallbrille. Er wirkte wie ein typischer kleiner Beamter oder städtischen Angestellter.
Ich tippte auf Gerichtsvollzieher oder Finanzamtbeamter. Sein Gesicht erinnerte mich an ein Frettchen, wohingegen meine Frau später mehr zu einem Rattengesicht tendierte.
„Warten se ooch uffn Bus?“, sprach er uns direkt an.
Hatte er jetzt Sie gesagt, dachte ich bei mir. Im Urlaub sieze ich eigentlich nur das Personal und die Polizei. Urlaubsgäste sitzen im gleichen Boot und werden wie Verwandte behandelt: freundschaftlich und perdu, aber mit Vorsicht.
Ich bestätigte, dass auch wir beabsichtigten, uns der Begrüßung zu stellen, aber auch noch auf unsere Freunde warteten. Seine Augen flitzten zwischen uns, der Straße und dem Hotel hin und her.
„Ick hab ma zur Vorsicht mein Schirm mitjenommen, man weeß hier ja nie so jenau, wie dat Wetter so wird.“
Dabei kicherte er ein wenig und schaute dann misstrauisch zum Himmel.
Nach der Aussprache konnte es sich nur einen Berliner Beamten handeln. .
„Ham se eene oder zwee Wochen jebucht?“, versuchte er uns auszuhorchen.
„Wir bleiben nur 7 Tage“, sprang meine Frau sofort darauf an.
„Also der Fraß war ja ne einzije Katastrophe“, quasselte er weiter, „Aber ick schreibe mir allet uff, det jibt ne orndliche Rückzahlung vom Veranstalta. Jeden einzelnen Punkt schreibe ich uff, da könn se Jifft druff nehm.“
Während meine Frau weiter mit ihm über die Essenqualitäten und sonstigen Mängel des Hotels tratschte, suchte ich die Straße nach dem Bus ab.
Das wir bei diesem Urlaubstrip die Arschkarte gezogen hatten, war mir schon lange klar. Es fiel mir allerdings nicht im Traum ein das ganze auch noch zu dokumentieren, um hinterher 20 Euro zurück zu bekommen.
Als unsere Freunde eintrudelten, fragte mich Helmut: „Will dat Männeken da au mit?“
„Dat Männeken“ fühlte sich direkt angesprochen. „Ick schließe mir Sie ma an“, meinte er zu uns, „Schmitt is übrijens meen Name.“
„Tach Schmitti “, begrüßte ihn Helmut und damit hatte er seinen Spitznamen weg, „Kannz dich ruhich bei uns setzen.“
Schmitti wiederholte nochmals seinen Sermon vom Aufschreiben aller Mängelpunkte und bedrängte auch Helmut so zu verfahren.
„Ick krieje nämlich meistens Jeld zurück vom Veranstalta. Aba dissma will ick ooch noch ne Urlaubsentschädigung. Det Hotel hier is ja wirklich det Letzte, ne Zumutung. Alleene de Schrippen sind tödlich.“, schimpfte er wieder.
„Dat lohnt doch nich für die paa Kröten. Wir ham ja nich viel bezahlt für die paa Tage hier.“, winkte auch Helmut ab.
In diesem Moment kam auch schon der Bus, wir konnten einsteigen
und dabei raunte Helmut mir zu:
„Watt is datt denn fürn verstraalten Pannemann?“
Ich zuckte nur mit den Schultern und hoffte das Beste. Wir fuhren erst noch kreuz und quer durch den Ort und sammelten solange Urlaubsgäste ein, bis der Bus richtig voll war. Die anschließende Fahrt war recht kurz. Die Fernstraße, die um den Goldstrand herumführt, war unser Ziel. Zu Fuß vielleicht 15 Minuten.
Auf einem großen Parkplatz, worauf bereits mehrere Busse parkten, wurden wir hinaus gelassen. In einem schönen Wäldchen nebenan befand sich ein großes Lokal. Der Eingang wurde gebildet von einem Steintor und dahinter gingen große Steinstufen in eine natürliche Talsenke hinab. Von oben konnte man einen Festplatz mit Bühne erkennen.
Der Platz selber war kreisrund und umsäumt von niedrigen Gebäuden die zur Bühne hin offen waren. Gestützt wurden diese Überdachungen alle mit Holzbalken und waren mit roten Schindeln gedeckt.
Unter den Dächern war alles voll gestellt mit langen Tischen. Etliche hundert Leute saßen bereits dort und warteten vermutlich auf die Begrüßung.
Bevor wir aber durch das Steintor treten durften, mussten wir erst einen kleinen Obolus in Höhe von 5 Lewa pro Person für gewisse Nebenkosten entrichten.
Nun wussten wir auch, dass in Bulgarien die Begrüßungen Geld kosten. Aber Neugierig geworden wollten wir jetzt auch wissen, was man dabei so alles geboten bekam.
Wir suchten uns unter der Überdachung einen freien Tisch und wurden sofort um unsere Getränkewünsche gebeten. Besonders groß war die Auswahl allerdings nicht: Rot oder weiß?
„Watt denn, kein Bierken?“, maulte Helmut gleich.
Es gab nur roten oder weißen Wein. Pro Person eine kleine Karaffe und ein noch kleineres Glas dazu. Helmut und Schmitti bestellten zwar, verzichteten aber lieber aufs trinken. Da ich auch gerne Wein trinke hatte ich bald 3 Karaffen Wein vor mir stehen. Eine weiße und zwei rote. Die Herren mochten keinen Wein und den Damen war er zu sauer.
Nach einer Weile betrat ein gemischtes Paar mittleren Alters die Bühne, vermutlich vom Tourismusbüro. Beide sprachen einige freundliche Worte auf Deutsch und dann in Englisch an alle Urlaubsgäste.
Es folgten Erläuterungen zu Land und Leute, Währung und Wechselstuben sowie weitere Tipps und Vorschläge.
Meldung des Auswärtigen Amtes
Das Auswärtige Amt rät vom Geldumtausch in Wechselstuben ab, da Touristen einerseits aufgrund der häufig nur in bulgarischer Sprache ausgehängten Geschäftsbedingungen und andererseits aufgrund von unlauteren Praktiken in manchen Wechselstuben häufig erheblich weniger Geld erhalten, als sie erwarten. Auch ist es in diesem Zusammenhang bereits des öfteren zu Gewaltanwendungen seitens der Wechselstubenbetreiber gegen sich beschwerende Touristen gekommen. Daher rät das Auswärtige Amt zum Geldtausch in Geschäftsbanken. 1,-- EURO entspricht ca. 2,-- Lewa.
Danach gab es eine lange Litanei von Einladungen zu Dorftouren, Schifffahrten, Veranstaltungen und so weiter.
Gegen Ende der Begrüßung, oder man könnte es auch fast Verkaufsveranstaltung nennen, wurde dann noch ein landestypisches Gericht offeriert, das gleich serviert werden sollte.
Und wie auf Stichwort eilten Dutzende von Kellnern mit winzigen Tellerchen von Tisch zu Tisch. Jeder Gast erhielt eine Portion des landestypischen Gerichts das wie ein Auflauf aussah.
Die Menge auf dem Tellerchen befand sich im unteren Grammbereich, war kalt und schmeckte mir nicht. Den anderen erging es nicht besser. Nach einigen vorsichtigen Probehappen ließen wir alle den Rest stehen.
Nun durften auch neue Getränke geordert werden, die allerdings extra bezahlt werden mussten. Da ich immer noch zwei Karaffen des sauren Weines vor mir stehen hatte, verzichtete ich dankenswerter weise.
Bald darauf wurden verschiedene Folklore Tänzer und Sänger angemeldet. Die erste Gruppe erklomm die Bühne und folkloristisches Gedudel sprang aus den überall hängenden Lautsprechern. Zumindest schön bunt sahen die Tänzer und Tänzerinnen aus. Meinen Reisefreunden wurde es langsam langweilig und Schmitti lästerte die ganze Zeit mit Helmut um die Wette. Mit der Zeit war sogar unser Berliner Beamter endlich zum freundschaftlichen Du über übergegangen.
„Sacht ma, habt ihr keene Lust nach Varna zu fahrn? Vors Haus is ne Bushalte un fürn paar Kröten kann man bis inne City fahrn. Dat is doch interessanter als der Mist hier.“, schlug Schmitti vor.
„Gibbet da auchen Bier?“, wollte Helmut zuerst geklärt wissen.
„Da jibbet allet, wat man sich wünscht, ooch Bier.“, lockte Schmitti.
Gesagt getan, ich nahm noch einen kleinen Schluck sauren Wein mit auf dem Weg, die Damen zogen wieder ihre Jacken an und wir quetschten uns durch die Tische nach draußen.
Tatsächlich befand sich vor dem Gartenlokal eine Bushaltestelle. Kaum hatten wir mit dem Studium des Fahrplanes, natürlich in Kyrillisch, begonnen, hielt auch schon ein Bus. Das Wort Varna konnten sogar wir auf dem Busschild entziffern. Kurz entschlossen sprangen wir alle hinein. Die Fahrt nach Varna kostete pro Person einen Lewa. Der Bus selbst war recht karg ausgestattet, aber wenigstens mit genügend Halteschlaufen versehen.
Interessiert beobachtete ich die Gegend. Vereinzelt standen Häuser in wilden Gärten und wir fuhren auch eine ganze Zeit lang am Meer entlang.
„Kumma Hämman.“, rief plötzlich Helmut zu mir, „Willze da nich einziehn?“ und zeigte auf ein vier Stockwerk hohes Gebäude am linken Straßenrand. Der Strand befand an dieser Stelle etwa 20 Meter unterhalb der Straße und der flache Streifen Land neben der Straße war keine 30 Meter breit.
Bei einer der letzten Sturmfluten hatten vermutlich die Wellen wieder ein Stück Land ergattern können. Dabei muss die eine Hälfte des Hauses abgerutscht sein und war dadurch in der Mitte auseinander gebrochen. Die hintere Hälfte stand nun gut einen Meter tiefer als die vordere und der Riss verlief genau in der Mitte durch alle Stockwerke.
Ich wusste im ersten Momente nicht, ob ich es lustig finden sollte, oder ob mich der Anblick eher traurig stimmte. Die Häuser und Wohnsiedlungen, die in der Nähe von Varna immer häufiger auftauchten, machten allgemein einen ziemlich heruntergekommenen und traurigen Eindruck.
Varna ist Bulgariens drittgrößte Stadt und hat ca. 320.000 Einwohner. Es ist nicht nur die größte Hafenstadt sondern zugleich auch Seebad und wird von allen Seiten von Bergen umgeben. Bis 1956 hieß diese Stadt übrigens Stalin und bis Anfang des letzten Jahrhunderts war es die erste Endstation des berühmten Orientexpress.
Die Stadt ist Terrassenförmig gebaut und besitzt ein großzügig angelegtes Zentrum mit einem großen Park sowie vielen historischen Gebäuden.
Selbst vom Bus aus konnten wir viele schöne Straßenzüge erkennen.
An der berühmten orthodoxen „Christi Himmelfahrt Kathedrale“ stiegen wir aus und betrachteten dieses riesige Steingebäude.
Um die Kathedrale herum findet täglich ein Trödelmarkt statt, wo man von altem sowjetischen Krimskrams bis zu den typischen bulgarischen Häkel-Deckchen alles Mögliche erwerben kann.
Wir unterquerten die Hauptstraße an der Kathedrale und gelangten durch einen Park in das Geschäftsviertel der Stadt. Sogar in dem Tunnel unter der Straße waren Trödelstände aufgebaut. Hier unten gab es auch die erste öffentliche Toilette. Ein altes Mütterchen saß davor und kassierte von jedem der sich herein traute 1 Lewa.
In Gedanken noch die unbewachte Toilette vom Flughafen in der Nase, konnte ich es nicht lassen auch diese Anlage zu testen. Die Sauberkeit konnte zwar nicht überzeugen, aber die Geruchsbelästigung beschränkte sich tatsächlich auf ein Minimum. Ein wenig seltsam fand ich nur, dass das alte Mütterchen von ihrem Stuhl aus die Toilettengänger genau im Auge behalten konnte. Eine Sichtschützende Innentüre war praktischerweise ausgebaut. Anscheinend war der Diebstahl von Toilettenpapier kein Kavaliersdelikt in Bulgarien. Eine ganz neue Erfahrung für mich.
Auch in dem großen Park waren überall Stände aufgebaut. Immer wieder blieben Helmut und ich stehen und mussten dafür Sorgen, dass wir unsere Damen in dem Gedränge nicht verloren. Aber auch nach Schmitti hielten wir jedes Mal Ausschau, da wir uns ein wenig für ihn verantwortlich fühlten. Er verschwand des Öfteren, tauchte dann aber urplötzlich wie von Geisterhand an unserer Seite wieder auf.
Die Wahl, an der Kathedrale auszusteigen, war gut gewesen. Von hier aus verlief die Geschäftsstraße, die übrigens eine reine Fußgängerzone war, immer bergab. Das ermöglichte zumindest ein müheloses Bummeln.
Von den Preisen angelockt, stürmten die Damen fast jeden Jeansshop. Unzählige Hosen wurden angeschaut und auch anprobiert. Helmut und ich standen uns derweil vor den Geschäften die Füße platt. Helmut als Uhrensammler zog mich dann meist bis zum nächsten Juwelier um die Auslagen sowie deren Preise zu begutachten. Hierbei ging uns Schmitti einige male verloren. Einmal entdeckte ich ihn wieder in einer Bank, an einer langen Schlange anstehend. Als er endlich wieder heraus kam, rieb er sich die Hände.
„Det war der jünstichste Wechselkurs von janz Varna. Da konnt ick nich widastehn und hab en paar Piepen jewechselt.“
„Und wie viel hasse riskiert?“, fragte Helmut neugierig.
„Na 50 Euro, mehr jeb ick hier nich aus.“, erklärte Schmitti.
„Na, dann hasse ja fast 10 Cent gespart.“
„Dat is schließlich ooch Jeld“, meinte Schmitti im Brustton der Überzeugung. Eben typischer Beamter.
Gemeinsam schlenderten wir weiter bis zu einem größeren Platz, an dem es mehrere Cafes gab. Nachdem wir die außen angebrachten Speisekarten studiert hatten, die übrigens auch in Deutsch und Englisch abgefasst waren, entschieden wir uns für das Marktcafe. Die Einrichtung war recht ansprechend und modern mit viel Marmor und Edelstahl. Die Bedienung bestand aus einem ganzen Rudel bildhübscher junger Frauen.
Was mir hier zum wiederholten Male auffiel, war, das es so gut wie nur junge, hübsche und besonders schlanke Frauen in Bulgarien gab. Das ließ eigentlich nur zwei Möglichkeiten zu. Der Bevölkerung wurden nur soviel Kalorien zugeteilt das ein dick werden unmöglich war und die Bulgaren sind von Natur aus ein hübsches Volk. Oder aber in den Touristenzentren durften sich nur die hübschen und schlanken Mädchen aufhalten, alle anderen wurden im Landesinnern versteckt. Helmut und ich tendierten nach langer Diskussion später doch zu der ersten Annahme.
Da inzwischen Mittagszeit war bestellten alle eine Kleinigkeit zu essen. Da keiner bereit war ein Risiko einzugehen, entschieden sich alle für ein Omelett mit Schinken und Pilzen. Bei Eiern konnte man nicht allzu viel verkehrt machen. Dazu wurde das auch hier bekannte Kamikazebier bestellt. Schmitti verlangte außerdem noch Brot zu seinem Omelett. Serviert wurde recht schnell und das Essen war ausgezeichnet. Nur Schmitti bekam natürlich sein Brot nicht mitgeliefert. Lautstark versuchte er sich bei einem der jungen Frauen verständlich zu machen.
Sein Berliner Akzent war schon schwer verständlich genug, aber wie immer im Ausland bei Servierproblemen, verstand urplötzlich keine Kellnerin mehr Deutsch. Helmut grinste mir zu und feuerte den kleinen Kerl auch noch an. In diesem Lokal hatte ich vermutlich das erste und letzte mal verkehrt.
Als Schmitti sein Omelett verzehrt hatte, bekam er auch endlich sein Brot serviert. Wir rieten ihm es einfach mitzunehmen. Er tat das dann tatsächlich, nahm einige Servietten, wickelte das Brot ein und packte es in seine Windjackentaschen. Für meine Frau und mich kostete der Spaß inklusive drei großen Bieren keine 7 Lewa. Ich fragte mich, wie die Preise wohl außerhalb der großen Touristenzentren wären. In diesem Land konnte man wirklich mit kleinem Geld groß Leben. Solange man den Urlaub auf Essen und Trinken reduzierte.
Beim weiteren Bummel schlugen Rita und Roswitha irgendwann zu und kamen jede mit einer Jeans bewaffnet wieder aus einer Boutique.
Keine 20 Lewa hatte eine der Hosen gekostet.
Nicht so schön waren einige Kinder in wirklich verwahrlosten Zustand die genau erkannten, wer hier die Touristen waren. Im ganzen Rudel umkreisten sie einen und bettelten. Dabei kannten sie nur wenige Wörter, die aber mit echtem Können vorgetragen wurden.
Darunter mehrmals Pappa oder auch Mamma, Hunger und Bitte.
Wir waren allerdings gewarnt worden, ja nicht die Geldbörse zu zücken. Kleingeld das man lose in der Hosentasche hat, konnte man unbesehen spenden. Eine gezückte Brieftasche aber war meist das Angriffsignal für die Bande, die dann nach geglücktem Zugriff auf das begehrte Objekt wie ein Spuk verschwindet. Eingedenk dieser Warnung zuckten wir mit den Schultern, worauf diese kleinen Bengel sich den nächsten Touris zuwandten.
Es war später Nachmittag als wir am Ende der Einkaufsmeile angelangt waren. Hier gab es auch wieder verschiedene Bushaltestellen. Schmitti hatte sich die Busnummer gemerkt und wir suchten die entsprechende Haltestelle. Plötzlich zeigte Helmut aufgeregt auf einen Bus mit der richtigen Nummer. Der fuhr allerdings an allen Haltestellen vorbei Richtung Stadtausgang.
Erst einige hundert Meter weiter hielt der Bus an einer kleinen Haltestelle. Schmitti warf plötzlich den Turbogang ein, raffte seine Windjacke und flitzte mit einem Affenzahn quer über die breite Straße in Richtung des Busses. Helmut und ich, beide mit leichtem Handicap an Fuß und Bein, hatten da überhaupt keine Chance.
So schnell wir konnten humpelten wir mit unseren Frauen hinterher, waren aber in Gedanken bereits beim nächsten Bus. Schmitti war wie der geölte Blitz in dem Bus verschwunden und grinste uns aus der hinteren Scheibe frech entgegen. Entweder hatte der Busfahrer unser Malheur bemerkt, oder er parkte hier immer besonders lange. Am Ende konnten wir tatsächlich auch den Bus erreichen und mitfahren.
„Äh du Ratte, wollze uns alleine lassen hier?“, schimpfte Helmut auf ihn ein.
Der druckste ein wenig herum.
„Wat denn, bleib ma janz locka, musste eben schneller loofen, hier is sich ehmt jeder selbst der nächste.“, antwortete Schmitti frech.
Die Rückfahrt verlief dementsprechend still.
Wir hielten nach einer guten halben Stunde Fahrt an der Fernstraße, cirka 500 Meter vor dem Goldstrand. Mit uns stiegen auch noch andere Urlaubsgäste aus, die ebenfalls das kalte Wetter für einen Ausflug nach Varna genutzt hatten.
Die Straße zum Eingang des Goldstrandes war noch mit einer alten Schranke bestückt, die aber weit geöffnet war. Daneben befand sich ich ein im Stadium des Zerfalls befindliches Wachhäuschen.
Einer der mit uns laufenden Urlaubsgäste erklärte uns, wie es hier vor über 20 Jahren ausgesehen hatte, also noch vor der großen Wende. Da standen an dieser Stelle jede Menge Wachsoldaten mit umgehängten Maschinengewehren. Aber nicht etwa um die Feriengäste drinnen zu bewachen, sondern um die hungernde Bevölkerung außen vor zu lassen. Und wenn Honni hier seinen Sommerurlaub verbrachte, wurden ganze Teile des Strandes für ihn abgeriegelt. Einer der Gäste aus dem Osten kam dabei ins Erzählen.
„Hier traf sich das geteilte deutsche Volk. Nirgendwo spürte man die Unterschiede der Gesellschaftssysteme so krass und so nah wie in den Badeorten der Volksrepublik Bulgarien. Da lagen Kapitalismus und Sozialismus Handtuch an Handtuch und wussten noch nichts von Ozonloch, Aids und Solidaritätszuschlag.
Der Ost-Reisende, minderbemittelt durch mangelnde Devisenkraft, schielte mit Respekt und Neid auf die Ruhrgebietsbienen. Der westdeutsche Landsmann ging derweil mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in die Restaurants am Strand, um lachend die komplette Menüpalette für seine Nachzucht zu bestellen.
Die Reisekasse des Ossis wäre damit restlos erschöpft gewesen.“
Viele der Mitlaufenden pflichteten ihm bei. Aber das verstanden die Wessis natürlich wieder nicht.
Schmitti klebte uns bis ins Hotel an den Hacken. Wir genehmigten uns an der Bar alle noch einige Bier, um die Zeit bis zum Abendessen in angenehmer Umgebung zu verbringen.
Allerdings hatte sich auch der Kegelverein mit Vater Kugelbauch und Sohn Rübezahl eingefunden. Beide waren mal wieder in lautes Streitgespräch übergegangen zur allgemeinen Belustigung der anderen Gäste. Die Beschimpfungen und Pöbeleien gingen meist unter die Gürtellinie und riefen schallendes Gelächter hervor. Auch wir verfolgten das ganze mit einem breiten Grinsen.
Das Abendessen war auch diesmal keine Überraschung für uns. Viel kann ich darüber nicht mehr erzählen, da ich diese Erlebnisse am bulgarischen Buffet zum Teil erfolgreich von meiner Festplatte gelöscht habe. Wir flanierten danach noch einige Zeit auf der Promenade und genossen das abendliche Spektakel ohne irgendwo besonders einzukehren.
Zu vorgerückter Stunde betraten wir wieder unsere Hotelbar und begannen unser Rommespiel vom letzten Abend weiterzuführen.
Bereits nach kurzer Zeit tauchte auch Schmitti auf und wollte am Spiel beteiligt werden. Helmut lehnte das kategorisch ab. Dieses Spiel war ersten zu schwer für Berliner, dabei grinste er mich an, und zweitens ein Familienspiel für nur vier Personen.
Maulend stellte sich der Kleine hinter mir und linste permanent in meine Karten. Was an sich nicht strafbar ist, aber nervend, wenn man laufend ungebetene Ratschläge erhält. Nur wenige Minuten nach dem Kartengeben wussten alle Mitspieler welche Karten ich auf der Hand hatte.
Gegen elf Uhr gaben wir entnervt auf und versuchten die nächste Nacht zu überstehen. Mit dem wohlbekannten Anton im Ohr duselte ich irgendwann in den Morgenstunden weg.
4. Tag
Mittwoch der 17. September 2003 08.30 Uhr
Der nächste Morgen war auch nicht angenehmer als der vorherige. Die Ekelhemmschwelle war durch Kopfschmerzen auf nahezu Null gesunken. Oder ich hatte mich bereits an den Schimmel im Bad gewöhnt.
Das Frühstück war dank heißem Kaffee einigermaßen erträglich.
Nur gut, das Helmut einen vierer Tisch gefunden hatte, da gegen neun Uhr unsere Berliner Nervensäge auftauchte. Die Erleichterung über den kleinen Tisch war allerdings nur kurz, da es Schmitti nicht daran hinderte, vom Nebentisch einen Stuhl zu nehmen, sich dazu zu setzen und einige Zigaretten zu rauchen.
Einen ganzen Tag mit ihm hatten wir weiß Gott nicht geplant.
„Ich muss ersma auffen Boller“, beendete Helmut sein Frühstück, drückte seine Zigarette aus und erhob sich. Das ist seine persönliche Bezeichnung für den Toilettengang.
Wir verschwanden mit dem Hinweis, ebenfalls noch diverse Sitzungen auf unserem Zimmer durchführen zu müssen und erklärten aber, uns gleich vor dem Hotel zu treffen.
Wir marschierten geradewegs durch den Vordereingang des Hotels hinaus auf die Strandstraße bevor uns Schmitti folgen konnte.
Das Wetter machte heute schon fast einen freundlichen Eindruck. Wir beschlossen darum einmal die Bimmelbahn zu testen. Diese fuhr stündlich voll beladen mit Touristen die Straße am Strand entlang. Sie schlich dabei mit Schrittgeschwindigkeit die ganzen 3 Kilometer durch den Ort. Endstation war ein kleiner, fest ummauerter Hafen.
Einige Motorschiffe lagen dort vor Anker. Die meisten Schiffe allerdings waren Ausflugsboote mit vielen Sitzgelegenheiten, die täglich oder sogar stündlich verschiedene kleine Inseln anfuhren.
Leider ist Helmut nicht besonders Seefest, sonst hätte ich gerne einmal einen kleinen Segeltrip unternommen. Wir spazierten also langsam wieder den ganzen Weg zurück, mit dem Ziel vor Augen, das Schalke Lokal zu besuchen. welches sich auf halben Weg befindet.
Wir fanden sogar noch Platz in dem Lokal und bestellten unser gewohntes Kamikazebier. Dazu mussten wir allerdings zuerst den Kellner wecken. Der stand stocksteif, mit einer Hand am Tresen, in der hintersten Ecke und hatte die Augen geschlossen. Er schlief tatsächlich im Stehen. Es tat uns sogar ein wenig leid, ihn nur wegen ein paar Bier wecken zu müssen. Auch er hatte eine 48 Stundenschicht, aber das schien hier der normale Arbeitsrhythmus in der Saison zu sein.
Das Bier kam und wer schaute durchs Fenster hinein?
Die Berliner Nervensäge quetsche sich noch zu Helmut auf die Bank und grinste uns an.
„Ham wer uns woll verpasst“, stellte er fest. Verpasst hatten wir höchstens das Ducken als er hereinschaute.
„Aba dat Neueste wisster noch nich, unser Hotel wird in een paar Tagen abjerissen.“
Wir starrten ihn sprachlos an.
„Ja, da staunter wa“, grinste er, „Hab ick ooch eben erst anne der Bar erfahrn. Der Schuppen ist ja so marode, dasser fast von alleene zusammenklappt. Morjen wern die ersten Etagen jeräumt.“
„Also nää. Hoffenlich müssen wo nich noch dat Hotel wäxeln. Odda die reissen dat Dingen ab wo wir noch da drin pennen.“, spekulierte Helmut.
„Meinze dat wirklich?“, fragte besorgt Roswitha.
Der Berliner freute sich, dass jetzt alle besorgt waren.
Das der Abriss nötig war, darin waren wir uns alle einig. Nur musste das ausgerechnet wieder uns während unserer Urlaubstage passieren.
Wir hatten das Kartenspiel dabei und wollten uns eigentlich einige, ruhige runden Romme gönnen. Aber das konnten wir nun vergessen. Der kleine Kerl redete nur so auf uns ein. Genervt machten wir uns gegen Mittag auf den Heimweg.
Kurz vor unserem Hotel bemerkten wir einen größeren Auflauf am Strand. Neugierig geworden schlenderten auch wir in diese Richtung. Schmitti konnte es natürlich nicht aushalten und war bereits vor aus geeilt.
Verschiedene Polizeiautos der Marke Lada in Blau-Weiß standen am Straßenrand. Als wir näher kamen waren Polizisten dabei einen kleinen Teil des Strandes abzusperren. Sie steckten Stöckchen in den Sand und banden Absperrbänder dazwischen fest. Man konnte wegen der vielen Leute nicht erkennen, warum das vorgenommen wurde.
Schmitti kam ganz aufgeregt angetippelt und plapperte auch schon los:
„Am Strand hamse ne Leiche uffjejabelt, ne Wasserleiche, solln Deutscher sind.“ Grinste und verschwand wieder in der Menge. Vielleicht arbeitete er im städtischen Leichenschauhaus, überlegte ich, und freut sich immer über Nachschub.
Da wegen dem besseren Wetter bereits einige Liegestühle besetzt waren vermuteten wir zuerst einen Badeunfall. Aber bis zum Abend hatte die Geschichte die komplette deutsche Gemeinde durchlaufen. An der Bar erfuhren wir dann genaueres.
Ein Ehepaar in mittleren Jahren hatte sich wohl laufend gestritten. Er besuchte anscheinend regelmäßig das hiesige Casino, von denen es hier überraschender Weise einige gab. Nicht überraschend war, dass er laufend verlor.
Wutentbrannt flog die Frau vorgestern nach einer großen Szene im Hotel frühzeitig nach Hause.
Die Gerüchte meinten nun, dass er vermutlich auf einen Schlag alles zurück gewinnen wollte und genau das Gegenteil erreichte. Letzte Nacht ist er dann voller Verzweiflung ins Wasser gegangen und weit hinaus geschwommen. Also ein klassischer Selbstmord.
Für mich ist Selbstmord einfach nur die brutalste Art das letzte Wort zu behalten.
Wir drängten nach Schmittis Informationen nicht mehr danach einen Blick darauf zu werden. Ohne auf den Berliner zu warten spazierten wir weiter in Richtung unseres Hotels. In Höhe unserer Anlage aßen wir erstmals eine Kleinigkeit bei der mit Speisen dekorativ umstellten Brutzelbude. Dabei wurde uns auch das Geheimnis der am Morgen frittierten und aufgeschichteten Gerichten offenbart. Die Schälchen und Schüsselchen mit Essen dienten als Anschauungsobjekte. Anstatt auf einer Karte auszusuchen, sahen sich die hungrigen Gäste die Auslagen an, wählten aus und zeigten einfach mit dem Finger darauf. So hatte sich der Wirt zumindest diverse Übersetzungen seiner recht umfangreichen Speisekarte erspart.
Bereits nach wenigen Minuten war ein solches Schüsselchen geklont und die Gäste verschwanden damit in den hinteren Bereich, wo einige Stehtische bereit standen.
Wir folgten dem Beispiel und setzten uns allerdings nach nebenan zu einer Freiluft Bar. Diese war im Hawaiistile dekoriert mit einer kreisrunden Bar und hatte auch diverse Sitzmöglichkeiten. Bei einem großen Bier ließen wir uns das Frittierte schmecken.
Das Bier war kühl, die Sonne schien inzwischen recht angenehm und die Musikanlage der Hawaii Bar dudelte annehmbares für unsere Gehörgänge. Wir verbrachten so einige Zeit mit klönen und guter Unterhaltung in angenehmer Umgebung.
Als wir uns nach einiger Zeit wieder auf den Weg machten, die andere Seite des Goldstrandes zu erkunden, tauchte natürlich auch wieder unser Schatten auf.
Helmut blieb öfters bei den Uhren stehen, die Damen stöberten mehr bei den Shirts, Röcken und Badeanzügen. Ich hingegen hatte seit unserem Varna Besuch gefallen an einem kleinen Holzschachspiel gefunden. Diese wurden in fast allen Größen angeboten. Dabei handelte es sich um einen lackierten Holzkasten, bei dem die Ober und Unterseite aufgeklappt jeweils das Spielfeld bilden. Im Innern waren die nett geschnitzten Figuren untergebracht.
In einem der größeren Geschäfte wurden mehrere Größen und auch in vielen Farben angeboten. Schmitti wuselte die ganze Zeit um uns herum und versuchte seine guten Ratschläge fürs Handeln an den Mann zu bringen. Als ich interessiert ein Schachkästchen in die Hand nahm, stand er schon bereit.
„Jenau so eens will ick mir ooch koofen. Los, wir koofen zwee davon un wenn Helmut ooch noch eens nimmt, könn wa jarantiert den Preis drücken.“
Er zog los um auch Helmut vom Erwerb eines Schachspiels zu überzeugen. Ich weiß zwar, dass Helmut kein Schach spielt, aber so hatte ich ein wenig Zeit und Muße mich alleine umzuschauen.
„Also jut, Helmut will keens, frach ma, wat zwee Spiele kosten.“, quasselte er nach kurzer Zeit wieder auf mich ein.
Ein Spiel kostete in der von mir gesuchten Größe 18 Lewa. Schmitti meinte das 30 Lewa für zwei Spiele ein angemessener Preis wären. Eingedenk meiner Erfahrungen auf Türkischen Basars versuchte ich nun mit dem Verkäufer zu handeln.
Leider musste ich sehr bald feststellen, dass zwischen Bulgarischen und Türkischen Verkäufern ein himmelweiter Unterschied besteht. Beide bleiben zwar immer gleich freundlich, der Bulgare allerdings geht keinen Jota von dem ausgezeichneten Preis herunter.
Schmitti drängte daraufhin das Geschäft unter Protest zu verlassen. Dabei schob er allerdings immer mich in den Vordergrund. Ohne Schachspiel verließen wir den Laden.
Das gleiche Spielchen gab es dann im nächsten Geschäft. Auch hier verließen wir nach einiger Zeit des unfruchtbaren Feilschens den Verkaufsraum ohne Schachspiel. Dabei redete der Zwergen Beamte permanent auf mich ein, wie und was ich dem Verkäufer mitzuteilen hätte, damit er endlich mit dem Preis herunter geht.
Langsam reichte es mir. Sollte der Idiot doch sein Schachspiel kaufen wo er wollte. Ich ging schnurstracks zurück zum ersten Laden, legte 18 Lewa auf den Tisch und bekam das Spiel in eine Plastiktüte mitgegeben.
Schmitti starrte mich völlig entgeistert an. Das jemand so schnell aufgibt und den tatsächlich geforderten Preis auf den Tisch legte, dass machte ihn glatt für 20 Minuten sprachlos
„Und icke? Nu hab Ick keen Spiel.“, stammelte er noch.
„Die haben hier in jedem Geschäft so viele Spiele, die müssen die sogar schon verkaufen.“, wies ich ihn auf den vorhandnen Schachspielbestand hin.
Am späten Nachmittag gingen wir ins Hotel zurück um uns für das Abendessen fertig zu machen. Vorher gab es natürlich noch einen kurzen Besuch an der Hotelbar.
Dort saß bereits Vater Kugelbauch und machte das arme Mädchen hinter der Bar an. Die Kleine hatte vor einiger Zeit den jungen Barkeeper abgelöst und musste nun die nächste lange Schicht durchstehen. Sie war etwa 25 Jahre alt, klein und trug eine unmodische Brille. Zumindest machte sie dieses Teil nicht attraktiver. Dafür sprach sie aber ein sehr gutes Deutsch.
„Na, hams se dich vergessen?“, legte Helmut gleich los und störte damit den Dicken beim baggern, „Deine Kumpelz sin alle am Strand un du muss hier versauern.“
„Nää, ich hab keine Lust am Strand. Ich will lieber die kleine hier fi..“.
Voll wie er war nahm er kein Blatt mehr vor dem Mund. Das Mädchen hinter der Bar wurde abwechselnd rot und blass.
„Was ist nun, gehen wir aufs Zimmer meine Zuckerschnute.“, balzte er gleich weiter.
„Draußen sind viele schöne Damen die gerne mitgehen“, stellte sie in fast perfektem Deutsch fest, „Alle Professionell und viel besser und schöner als ich.“
„Nix da, ich will dich jetzt fi……“, röhrte er wieder.
Sein bunter Trainingsanzug war immer noch der Gleiche, den er auch im Flugzeug getragen hatte. Ich wettete mit Helmut um ein Bier, dass er den noch nicht einmal zum Schlafen auszog. Leider ging mein Freund aus mir unbekannten Gründen auf diese Wette nicht ein.
Diverse Bier und sonstige Flecken hatten sich bereits zu einem anmutigen Muster auf seiner Hose versammelt. Zum rasieren war er während der letzten Tage auch nicht gekommen. Mit blutunterlaufenen Augen stierte er über den Thekenrand zu der jungen Frau. Die war zur Sicherheit bis an den hintersten Schrank gewichen.
„Hömma Alter, geh dich ma auspennen. Du fälls ja gleich ausse socken.“, sprach ihn Helmut nochmals an.
Nun stierte er zu uns.
„Erst will ich fiiiiiiiiiiiiiiiiiiii….“, gurgelte er wieder und rutschte dabei fast vom Hocker. Er fing sich soeben, hielt sich am Tresen fest und schwankte dabei beträchtlich.
Die Kleine hinter dem Tresen kicherte. Anscheinend war sie solch verbalen Ausrutscher schön öfters begegnet.
Langsam kam Kugelbauch in die Gänge und stolperte in Richtung Aufzug. Wir vernahmen noch etwas über Schlafen oder Ausruhen bevor es los geht und dann verschwand er im Aufzug.
Für Gesprächsstoff war damit an der Bar für die nächste halbe Stunde gesorgt. Leider trudelte dann auch unsere Berliner Schnauze wieder ein und wollte unbedingt wissen, was wir denn zu lachen hätten. Da wir ihn nicht aufklärten, fing er bald wieder an zu maulen.
Wir verzogen uns dann aufs Zimmer um uns für das Abendessen fertig zu machen. Über das Abendessen legen wir am besten wieder den Mantel des Schweigens. Helmut stocherte in einigen matschigen Tomaten herum während wir todesmutig verschiedene Fleischstücke probierten. Die Nudeln waren zwar kalt aber wenigstens genießbar.
Verhungern musste am Goldstrand aber niemand. Die Fresspalette an der Strandpromenade war enorm. Den abendlichen Verdauungssparziergang nutzten wir diesmal außerdem zum Testen diverser kleiner Köstlichkeiten. Hier ein kleiner, gut gewürzter Spieß, dort ein Eis rundeten das Abendessen perfekt ab.
Den Abend wollten wir eigentlich mit Rommespielen an der Hotelbar verbringen. Durch vorsichtiges Spionieren an der Eingangstür sahen wir allerdings eine altbekannte Windjacke bereits an der Bar hocken. Wir nutzten die Tatsache, dass es neben dem Akazia II auch ein neues Hotel mit der Nummer I. gab.
Der Speisesaal sowie der Wintergarten wurden von beiden Hotels benutzt und befanden sich dementsprechend genau in der Mitte. Man konnte das Akazia I ohne in den Außenbereich zu gehen, mühelos auch durch den Speisesaal erreichen.
Wir sahen uns in dem neueren Teil eingehend um und nahmen an der dortigen Bar Platz. Hier waren auch die Sessel bedeutend bequemer. Nur der Service war im alten Hotel doch um einige Grade besser, vermutlich auch der wenigen Gäste wegen die dort verkehrten.
Nachdem unsere Spielsucht befriedigt war spazierten wir durch den Esssaal zurück in unser altes Hotel und trudelten dort noch einmal an der Bar ein. Schmitti und einige andere Gäste saßen noch dort und diskutierten den bevorstehen Abriss des Hotels.
Es kam bereits zu Unmutsäußerungen da es nur noch ausländische Biersorten gab. Einheimisches Bier war an dieser Bar bereits ausgegangen und das kleine Lager wurde auch nicht mehr aufgefüllt. Vermutlich lohnte es sich nicht mehr für die letzten Tage. Der Unmut entlud sich natürlich auf das arme Mädchen, das immer noch seinen langen Dienst versah. Mit einem Lächeln und vielen Entschuldigungen versuchte sie die Gäste zu beruhigen. Sie wies außerdem daraufhin das es ja eine weitere Bar im Nebenhotel gäbe. Wir grinsten uns wissend an,
Schmitti war das natürlich nicht entgangen und fing gleich an uns zu löchern wie man dort hin gelangt und ob es dort Kamikazebier gab. Wir zuckten lediglich die Schultern und verzogen uns zum Schlafen auf unsere Zimmer. Mit meinem Freund den Anton im Ohr duselte ich gegen Mitternacht ein.
5. Tag
Donnerstag der 18. September 2003 08.00 Uhr
Mit müden Knochen und in dem Bewusstsein wieder ein Jahr älter geworden zu sein, erwachte ich an meinem Geburtstagsmorgen.
Der Schimmel summte mir beim Duschen ein fröhliches „Happy birthday lieber Hörmi“ und aus dem Nachbarbad donnerte mir ein Geburtstagssalut entgegen.
Mit dem Gedanken das alles bald überstanden zu haben machten wir uns gemeinsam auf den Weg in den Frühstücksraum.
Beim durchqueren der Rezeption fiel uns Vater Kugelbauch an der Empfangstheke auf. Er war nicht nur schon wach sondern sogar sichtbar nüchtern. Was aber nicht hieß, dass nun sein Gehirn vernünftig arbeiten würde.
Er sprach mit der jungen Frau, die für den Empfang zuständig war, in einem ziemlich ungehaltenen Ton.
„Was ist das für eine Wetter hier?“, motzte er „Das ist ja nicht normal – so ein kalter Wind.“
„Nun “, entgegnete sie, „in Bulgarien ist auch Herbst, da ist es schon mal kühler als im Hochsommer. Und eben auch ein wenig windig.“
„Nein, das ist nicht normal für diese Jahreszeit!“, stellte er kategorisch fest.
Die junge Frau schaute ein wenig genervt zu uns herüber. Sie wedelte ein wenig mit der Hand, als wollte sie den ungeliebten Gast verscheuchen wie eine lästige Fliege.
„Also ich kann Ihnen sagen, der Herbst ist hier immer so“, sagte sie wieder zu unserem Kegelveteranen.
„Nein!“, trumpfte er nun auf, „Ich war vor 10 Jahren hier und da war es sehr warm und kein Wind.“
Ihr entgeisteter Gesichtsausdruck war das letzte, was wir mitbekamen, als wir lachend zum Speisesaal einbogen.
Wir lachten noch bis wir uns dem Frühstück gegenüber sahen.
Erfreuliches gab es dort nur bei den Eiern, die dieses Mal heiß und gebraten waren. Weniger erfreulich war das Auftauchen unseres fünften Rades. Ungefragt platzierte er seinen Beamtenhintern an unserem Tisch und qualmte uns voll. Wenn er wenigstens dabei still geblieben wäre, hätte er fast zu einem Freund werden können.
Den gleichen Trick wie gestern konnten wir wohl schlecht nochmals aufführen. Der Kerl hing wie Kaugummi an unseren Hacken. Ich sah wie es in Helmuts Gehirnkasten anfing zu arbeiten.
Völlig überraschend bot der Kleine selbst einen Ausweg an.
„Heute morjen ist ziemlich windich, wa? Ick fahr noch ma nach Varna uffn Markt billje Socken koofen. Wollter nich mit?“
Wir lehnten dankend ab und gaben vor, uns die Ausflugsmöglichkeiten am Ort anschauen zu wollen. Auf seine Frage, wohin wir denn einen Ausflug planen, gaben wir nur ausweichend Antwort. Sein Interesse aber war geweckt.
Der Wind der uns vor dem Hotel erwartete war an diesem Morgen kühl und immer noch unangenehm. Wir schlenderten deshalb mit Windjacken die Promenade hinauf um hier und da in den verschiedenen Touristikbüros hinein zu schauen. Uns interessierte ein Ausflug nach Istanbul. Vom Goldstrand aus ist es fast ein Katzensprung bis dorthin. Von der türkischen Riviera ist es wesentlich weiter, denn von dort war die Strecke nur mit dem Flugzeug zu bewältigen. Warum also nicht die Möglichkeit einer kurzen Busreise nutzen.
Leider wurde dieser Ausflug nur als 2 Tages Trip angeboten. Auf einem Plakat beim größten Reisebüro am Platz stand:
Istanbul:
Unser zweitägiger Ausflug, inklusive einer Übernachtung, führt uns in die Welt von 1001 Nacht. In Istanbul, die einzige Stadt der Welt auf zwei Kontinenten, die durch die Meerenge des Bosporus getrennt wird, erwarten uns die Superlative: Bestaunt mit uns die Hagia Sophia, den Topkapi-Palast oder Dolmabahce-Palast oder genießt mit uns die unvergessliche Atmosphäre auf dem großen Basar. 120 Lewa Pro Person im Doppelzimmer.
Abfahrt jeden Freitag 6:30 Uhr
Helmut und ich waren nicht abgeneigt. Den Damen aber war diese Investition für zwei Tage Stress eindeutig zu viel. Sie rechneten den Gesamtbetrag bereits in Jeans und Badeanzüge um.
Wir nahmen einige der kleinen Prospekte mit, um sie später eventuell zu diskutieren. In dem Touristikbüro kündigte ein Plakat sogar einen Auftritt von Mickey Krause, dem Mallorca Anheizer, an. Ballermann ließ grüßen.
Mittlerweile hatte sich der Wind gelegt und es wurde schön warm. Die letzten Wolken flitzten vom Himmel und ließen die Sonne von einem wunderbar blauen Himmel scheinen.
Welche Überraschung, Urlaubswetter schon nach 3 Tagen. Wir machten uns auf den Heimweg um endlich einmal den Strand zu testen.
In kurzen Shorts mit darunter gezogenen Badehosen sowie mit Handtüchern bewaffnet eroberten wir den Strand.
Die Auswahl war enorm. Von den Liegestühlen und Sonnenschirmen war vielleicht 1 bis 2 Prozent besetzt. Wir steuerten deshalb schnurstracks vom Hotel in gerader Linie zum Meeresufer und blieben zwischen den zusammen gefalteten Sonnenschirmen stehen.
Es dauerte auch keine zwei Minuten bis eine stämmige junge Frau mit Windjacke uns ansprach.
Die Windjacke sah mehr nach einer Uniform aus. Die Frau wirkte durch ihr enorm breites Kreuz sehr kompakt. Genauso stellte ich mir bulgarische Rettungsschwimmerinnen vor. Die kamen vermutlich aus dem gleichen Kader wie ihre Schwestern, die bulgarischen Kugelstoßerinnen.
Ich fasste sogleich Vertrauen zur ihr und traute ihr ohne weiteres zu sogar mich als Walfisch aus dem Wasser zu ziehen. Sie nahm ihre Sonnenbrille ab und fragte auch gleich wie viele Liegestühle wir gerne hätten.
Zwei Stühle plus einen Sonnenschirm kosteten für den ganzen Tag nur 8 Lewa. Ein echtes Schnäppchen wenn ich da an die Preise der Nordsee oder Adria denke.
Wir ließen uns die Schirme und Liegestühle fachgerecht aufbauen und fühlten uns endlich wie im Urlaub.
Strand, Sonne, Liegestuhl, Meer und eine leichte Brise. So ließ es sich leben.
Unsere Baywatch Pamela kam nach einiger Zeit angeschlendert und ließ sich neben uns in den Sand fallen. Sie sprach ein recht verständliches Deutsch, zumindest die wichtigsten Vokabeln kannte sie sehr gut. Solche wie umtauschen, essen und billig. Aber auch Hauptwörter wie Bier, Hotel, Bank und Gangster konnte sie gut aussprechen.
Mit kleinen Umstellungen und dem einen oder anderen Adjektiv konnte sie damit eine ganze Unterhaltung bestreiten. Sie bot uns nicht nur sehr günstig kaltes Kamikazebier aus Dosen an, sondern wollte uns auch Essen holen von jedem gewünschten Brutzelstand oder Restaurant.
Nach einigen gruseligen Erzählungen über die einheimischen Wechselstuben lockte sie uns mit einen überraschend guten Wechselkurs. Versuchsweise wechselte ich 20 Euro und konnte mit den Lewascheinen später sogar anstandslos in den Geschäften bezahlen.
Sollten wir weitere oder andere Wünsche haben, sie hätte für alles ein offenes Ohr. Sie besorgte uns einfach alles. Das war der Ultimative Kundenservice.
An diesem Tag erhob ich mich nur noch für den Toilettengang aus meinem Liegestuhl. Das Umblättern in meinem Taschenbuch schaffte ich noch soeben selbst.
Ein kaltes Bier in der rechten und ein Buch in der linken Hand, die Damen weit genug weg damit ihr Geplapper nicht beim lesen störte und die Sonne auf den Bauch. So hatte ich mir den ganzen Urlaub vorgestellt.
Helmut, der zwar wegen seinem lädierten Bein nicht so lange wandern, aber auch nicht damit längere Zeit still sitzen kann, begann nach einiger Zeit seine üblichen kurzen Rundgänge zu machen. Er stürzte sich in den Trubel an der Promenade, trank irgendwo ein Bier und kam meist nach einer halben Stunde kontrollieren, ob bei uns alles im Lot war.
Die Damen wagten sich nach der Mittagszeit sogar ins Wasser.
„Hämman, Hämann!!“, drang es laut an mein Ohr, so dass ich nach dem wiederholten Ruf mein Buch sinken lassen musste.
„Komm rein. Is wirklich nich kalt. Gaaanz toll dat schwatte Meer.“, rief Roswitha und tauchte bis zum Hals in die Fluten.
„Du willz do wohl nich na Hause fliegen ohne ma im Meer gewesen zu sein.“, rief sie.
Danach spritzte sie Rita nass die noch recht zögerlich, nur bis an den Knöcheln im Wasser, am Ufer stand.
„Nein danke“, rief ich zurück, „ aber in Leichenwasser geh ich nicht schwimmen.“
„Oller Spinner“, war noch das Netteste was sie mir daraufhin an den Kopf warf.
Ich nahm lieber noch einen Schluck Bier, sah dem Strandtreiben der Grazien zu und vertiefte mich wieder in meinen Schmöker. Es ging mir richtig gut.
Als plötzlich ein Schatten auf mein Buch fiel, sah ich recht unwillig auf.
„Wat lieste denn da?“, quatschte mich unser Bonsai Berliner an. Er stand vor mir und schaffte es tatsächlich trotz seinen schmächtigen Schultern und seiner geringen Körpergröße mir die ganze Sonne wegzunehmen.
„Hier, kiek ma. Hab ick dir aus Varna mitjebracht.“, redete er weiter und schmiss mir eine Plastiktüte auf den Bauch.
Was blieb mir übrig, ich schaute hinein. Ein dreier Pack Unterhosen XXL. Vor Freude fand ich zuerst keine Worte.
„Ham nur een Lewa jekostet, ick hab jleich an dir denken müssen.“, kicherte er.
Ein Geschenk für mich. Von unserem Haus und Hof Berliner. Ich fand immer noch keine Worte. Wer hatte ihm bloß verraten, dass heute mein Geburtstag war? Schnell schaute ich mich um, ob das auch keiner beobachtet hatte. Helmut grinste ganz ungeniert, Roswitha feixte und Rita freute sich. Vermutlich befand sich der Verräter unter ihnen.
„Danke“, stammelte ich nach einiger Zeit, „Aber das wäre bestimmt nicht nötig gewesen.“
„Mach ick doch jern. Ick hab spontan an dir jedacht als ick se hab liejen sehn. Is doch nur een Lewa, Mensch, fuffzich Fennje.“
„So viele und alle für mich. Nochmals danke.“ Mehr fiel mir einfach nicht ein. Ich hatte aber auch Angst. Reagierte ich zu überschwänglich, kaufte er mir morgen vielleicht Dessous.
Dann fing er an zu erzählen wie er an seine billigen Socken gekommen ist und was alles auf dem Markt zu kaufen war.
Helmut nickte ein oder zweimal, verdrehte die Augen, stand auf und machte sich auf seinen nächsten Rundgang. Toll, dachte ich, jetzt haben wir Schmitti allein an der Backe.
Ich verstaute die Plastiktüte unter meinen Liegestuhl und widmete mich wieder meinem Taschenbuch.
„Wat lieste denn nu?“, quälte er mich weiter.
„Grisham. Gerichtsthriller.“, antwortete ich kurz angebunden.
Plumps machte es.
Ich sah zur Seite und bemerkte dass sich Schmitti genau in den Schatten meines Liegestuhls, cirka 25 cm von mir entfernt, in den Sand gesetzt hatte. Anscheinend war im warm, aber seine Windjacke zog er deswegen noch lange nicht aus.
„Wie issem det Wasser.“, nervte er weiter.
„Da musst du die Damen fragen.“
Ich versuchte weiter zu Lesen. Zwei Zeilen hatte ich fast geschafft.
„Bier jibt’s hier ooch?“ Er hatte meine leere Bierdose im Sand bemerkt.
„Du musst nur der Dame auf dem Hochsitz da oben winken. Kostet 1 Lewa die große Dose.“
„Ville zu teuer, ins Restaurant kostet et nur 70 Stinkis.“, maulte er gleich.
„Fein “, sagte ich, „ aber die bringen es dir nicht an den Strand.“
und versuchte die zweite Zeile zu Ende zu lesen.
„Jefällt dir nu dein Schachspiel?“, ging es weiter.
„Ja.“
„Spielste ville?“
„Nein, keine Partner die Lust darauf haben.“
„Weswejen koofste dir denn eens?“
„Weil es mir gefiel.“
Er ließ sich immer soviel Zeit zwischen den Fragen, dass ich beim Lesen genau in die nächste Zeile kam. Irgendwie bemerkte er an meiner Augenstellung oder an minimalen Veränderungen der Sehlinse wann ich genau mitten in einem Satz war und schoss die nächste Frage ab.
„Isser spannend?“
„Die Unterhaltung?“, fragte ich genervt zurück.
„Nee, dein Schinken, den da liest“, blieb er konsequent beim Thema.
„Es war mal spannend.“
Die Damen hatten inzwischen angefangen zu kichern und zu lästern. Nun konnte ich mich gar nicht mehr auf das Buch konzentrieren. Also beugte ich mich der Gewalt und begann meinerseits Fragen zu stellen.
„In welchem FI-Amt darfst du denn die Leute quälen, Schmitti“, begann ich mein Verhör.
„Viehamt? Ick arbeete nich uffn Schlachthof.“
„Das ist die Abkürzung für das Finanzamt“, klärte ich ihn auf.
„Ick bin selbstständig“, sagte er daraufhin stolz wie Oskar.
„Notierst du Falschparker auf Provisionsbasis?“, nahm ich ihn hoch.
Er schaute mich leicht irritiert an.
„Provisionsbasis ist korrekt, ick arbeete für de GEZ. Ick spür Leute uff die keene Jebühren bezahlen. Wat gloobste wat ick mir Tricks infallen lassen muss.“, kicherte er, „Überrumpeln muss man die. Wenn ick erstma inne Bude bin un die Glotze seh un denn noch frare ob die Kinners noch Arbeet ham: denn hab ick jewonnen. Wenn nämlich Jören alt jenuch sind zum arbeeten, müssense ooch GEZ bezahln.“ Er seufzte laut.“ Aber det jebe ick bald wieder uff, lohnt sich nich mehr. Die Leute sin einfach zu misstrauisch.“
Ein GEZ Jäger. Himmel noch mal. Nun wusste ich auch woran mich seine Art die ganze Zeit erinnerte.
Erst vor einigen Monaten überrumpelte solch ein GEZ Heini meine Frau und war Ratz Fatz im Zimmer meines Sohnes gewesen. Der gab auch noch mit seiner Arbeit an und durfte 240 Euro GEZ-Gebühren nachzahlen. Diese Ratten waren schlimmer als Finanzbeamte.
Ich betrachtete die Gegend um festzustellen wie viel Leute uns beobachteten. Wenn ich jetzt schnell zuschlug und ihn im Sand verbuddelte, würde man ihn sicher erst in der nächsten Saison finden.
Helmut trudelte wieder ein und bewahrte mich vor einer Dummheit.
„Allet paletti for Morgen. Ich hab gebucht!“, rief er schon von weitem und schwenkte die morgens mitgenommenen Prospekte von Istanbul.
Roswitha schaute zuerst erschrocken, sah dann aber wie Helmut grinste und mit den Augen zwinkerte. Sie stand sofort auf um Rita zu beschäftigen, die soeben perplex aufstand und sich anschickte zu protestieren.
Ich hingegen rief gleich: „Wunderbar, dann kann es ja morgen losgehen. Ich freu mich schon wahnsinnig auf Istanbul.“
Meine Frau wurde gerade heftig von Roswitha in Richtung Ufer gezogen. Ich betete, dass sie jetzt nichts Dummes machte.
„Wo wollter hin? Nach Istanbul?“, biss das Frettchen sofort an.
„Jau, morgenfrüh. Ich hab grad gebucht. 6:30 Uhr geetz los.“, erklärte ihm Helmut, „Wir wollten da immer schoma hin. Jätz nutzen wo die Gunst der Stunde, is ja au nich weit von hier. Un dat Pogramm is ächt super. Wat man da allet sehen kann.“, schwärmte er.
Helmut hielt ihm das Prospekt vor die Nase und Schmitti griff gierig danach. Nach einer Weile sprang er auf und klopfte sich den Sand von der Hose,
„Dat war auch dat günstigste Angebot watt wo gefunden haben. Gleich hier vorne dat Bürro vonne Touristik.“, heizte Helmut ihn weiter an.
Schmitti nickte mit dem Kopf in die Richtung Touristikbüro.
„Genau, dat große Dingen am langen Platz.“, bestätigte Helmut.
Grußlos zog Schmitti los.
Das letzte war wir von Schmitti in diesem Urlaub sahen, war seine helle Windjacke die langsam in der Ferne verschwand. Helmut und ich schauten uns an. Roswitha kam mit Rita vom Ufer herüber gelaufen.
„Ich will aber nicht nach Istanbul“, krähte Rita gleich.
„Nich so laut, mönsch, wir doch au nich.“, sagte Helmut und schaute sich rasch um. Schmitti lief mit schnellen Schritten in Richtung Touristikbüro,
Ich orderte bei unserer Strandhostess vier Bier und wir ließen Istanbul hochleben.
Den Rest des späten Nachmittages lies uns unser GEZ Jäger alleine. Wir ließen die hellen Tagesstunden wieder an der Hawaii Bar ausklingen bis es Zeit zum Abendessen war.
Diesmal allerdings machten wir nicht den Weg in den Speisesaal sondern ich hatte zur Feier des Tages alle zum Essen eingeladen. Wir schlenderten die ganze Promenade hinauf, betrachteten viele Speisekarten, die meist in deutsch oder englisch abgefasst waren und konnten uns nicht so recht entscheiden. Am Ende landeten wir wieder in unserem Schalker Lokal wo wir zuerst den Kellner weckten und nach der Speisekarte verlangten.
Helmut und ich riskierten das Steak mit Bratkartoffeln und Salat, die Damen legten sich auf ein Schnitzel mit Fritten fest. Mit einem in Deutschland servierten Steak ließ sich das Essen zwar nicht vergleichen, aber für den Preis und in Bulgarien gebraten war es annehmbar. Die Bratkartoffeln waren sogar kross. Das mehr Knoblauchzehen als Kartoffelstücke auf dem Teller lagen, war etwas gewöhnungsbedürftig. Da alles sehr stark gewürzt war, hatten wir bereits eine gute Portion Knoblauch und Bratkartoffel verputzt, bevor wir die Zehen als Knoblauch erkannt hatten. Das verschaffte uns für die nächsten zwei Tage einen gewissen Freiraum um uns herum, da niemand mehr Nahe an uns heran treten wollte.
Zum Geburtstagsromme begaben wir uns danach in die Bar von Akazia I. Hier wurde es langsam aber sicher richtig voll. Die Bar besaß aber noch eine zweite Etage, an der noch alle Tische frei waren. Die nette Bedienung auf dieser Etage war dadurch nicht ausgelastet, was uns wiederum zu gute kam.
Das Bier wurde deshalb auch nicht warm in den Krügen.
Ohne Schmitti an diesem Abend noch einmal zu begegnen, gelangten wir noch zu einem Absacker in unsere Hotelbar, wo es nur noch importiertes Heinecken Bier gab. Unser junger Freund hatte wieder einmal seine lange Schicht begonnen und verlangte nach deutschen Witzen.
Wir kramten sicher noch über eine Stunde in den letzten Gehirnwindungen nach lustigen Geschichten, die auch unser Barkeeper verstehen konnte.
Es war aber auch zu schön ihn zu beobachten, wie er sich wiehernd über die Theke schmiss wenn er einen Witz verstanden hatte. Besonders die Frage nach den besonderen Eigenschaften von Sperma light hatte es ihm angetan. Davon wird man übrigens auch schwanger, macht aber nicht dick. Diesen Witz erzählte er die nächsten Tage jedem, der sich als Deutscher an seiner Bar zu Erkennen gab.
Gegen Mitternacht gingen wir satt, zufrieden und müde auf unser Zimmer, um der allnächtlichen Diskothek zu lauschen.
6. Tag
Freitag der 19. September 2003 08.20 Uhr
Mit einem leicht sauren Nachgeschmack im Mund erwartete uns der vorletzte Urlaubstag. Der Gedanke an nur noch zwei besuche im Bad ließ sofort Glückshormone in meine Blutbahn schießen. Ich beschloss am Strand zu duschen und winkte dem Schimmel nur von weitem zu.
Als wir unsere Bottroper zum Frühstück abholten, fuhr uns der erste Schreck des Tages in die Knochen. Der hintere Flur war mit einem gelben Band abgesperrt. Die Schließung des Hotels hatte über Nacht fortschritte gemacht.
Beim Frühstück beschwerte sich Helmut über eine telefonische Störung mitten in der Nacht.
„Um kurz na säx klingelt dat, un die Räzäpzion will dat ich zum Bus komm, na Istanbul.“
„Aber wir haben doch gar nicht gebucht!“, stellte meine Frau erschrocken fest. „Was hast du denn da gesagt?“
„Ich hab der gesacht, falsch verbunden“, grinste Helmut. Ich grinste zurück. „Fünf Minuten später klingelt dat nochma. War da dä vorstraalte Berliner drann.“
„Ja der ist dann jetzt wirklich nach Istanbul gefahren“, stellte meine Frau korrekt fest. „Was hast du ihm denn gesagt?“
„Ich hab ihm ne gute Reise gewünscht und gesacht wir ham doch keine Lust. Und dann war ich dat Klingeln leid und hab dat Kabel rausgerupft.“
„Dann können wir uns ja heute auf einen ruhigen Strandtag einrichten“ freute ich mich. Alle grinsten und kicherten, nur meine Frau schüttelte betrübt den Kopf. „Warum ist der denn jetzt alleine nach Istanbul gefahren“, rätselte sie.
Vor dem Hotel begutachteten wir zuerst den Himmel und beschlossen dann, diesen herrlichen Tag wieder am Strand zu verbringen. Ein Kleinlaster mit diversen Baugeräten stand seitlich vor dem Hotel. Einige bulgarische Arbeiter standen davor und rauchten. Sie sahen aus wie das hiesige Abrisskommando. Nach einiger Zeit verschwanden sie mit ihren Geräten in einem Nebeneingang im Hotel. Wir warteten noch einen Moment, konnten aber keine Abrissgeräusche vernehmen und hofften, dass dies auch noch einen weiteren Tag so bleiben würde.
Mit Handtuch, Buch und unseren Damen bewaffnet gingen wir danach an den Strand. Der Tag wurde so herrlich, dass schon am Vormittag die Sonnenschirme aufgespannt werden mussten.
Man merkte aber, dass die späte Nachsaison begonnen hatte. Es waren nur wenige Plätze am Strand mit Urlaubern belegt, so dass sich unsere Strandhostess nur um uns kümmern konnte. Hin und wieder verschwand ich mit Helmut zur Hawaii Bar, mal spazierte ich mit den Damen den Strand hinunter. So hatte ich mir einen perfekten Urlaubstag vorgestellt.
Neugierig hatte ich seit einigen Tagen mehrere hohe Liegen am hinteren Strand betrachtet. Meist war über diese Liegen, die immer paarweise Platziert waren, noch ein Sonnenschutz gespannt. Diese Sonnensegel mit unter gestellten Liegen konnte man alle hundert Meter am Strand beobachten. Oft saßen einige junge Frauen davor oder verteilten kleine Zettel an vorbei gehende Urlauber. Meine Neugier ließ mir keine Ruhe und am Nachmittag beschloss ich der Sache auf den Grund zu gehen.
Bevor ich mich aber erheben konnte, wanderte eine der jungen bulgarischen Schönheiten bereits zwischen den Liegestühlen herum und verteilte an alle Sonnenhungrigen kleine bunte Zettel. Des Rätsels Lösung war, die Damen boten Massagen aller Art an.
Für nur 10 Lewa konnte man sich 30 Minuten lang richtig durchkneten lassen und für 15 Lewa wurde daraus sogar eine ganze Stunde. Da ich im meinem Leben noch nie eine Massage genossen hatte, beschloss ich dies nun nachzuholen. Die Mädels waren zierlich und sahen recht ungefährlich aus.
Ich trabte also an den nächsten Massagestand und legte die gewünschten 10 Lewa einer wirklich hübschen jungen Frau in die Hand. Mit einer Armbewegung forderte sich mich auf, die hohe Liege zu besteigen. Ich schwang mich mit einiger Mühe darauf und legte mich auf den Bauch. Wie ein gestrandeter Walsfisch kam ich mir dabei vor. Ein recht angenehm riechendes Öl wurde zuerst auf den Beinen und dann auch auf dem Rücken verteilt.
Zu Beginn war die Massage recht zärtlich, so dass ich bald genüsslich die Augen schloss. Durch langjährige PC Arbeit waren meine Schultern und der obere Teil meines Rückens permanent verspannt. Als die zierliche junge Frau an dieser Stelle angelangt war, schaltete sie zwei Gangarten höher. Eine solche Kraft hätte ich diesen zierlichen Händen im Leben nicht zugetraut. Als sie bei den Halswirbeln war bete ich nur noch. Sollte ihr danach sein, könnte sie mir nun mit Leichtigkeit das Genick brechen. Nachdem vermutlich leichte Ermüdungserscheinungen in ihren Händen auftraten, ging sie zum Hauptangriff über und bearbeitete meinen Rücken mit den Ellebogen. Eine Mischung von Grunzen und Stöhnen entrang sich meinen Lippen, was ihr aber nur ein Lächeln entlockte. Sie verdoppelte nun ihre Anstrengungen.
Lautes gepolter ließ mich zur Nebenliege schauen. Dort hatte ein zweites Mädel einen weiteren Kunden eingefangen. Welche Überraschung, es handelte sich um Vater Kugelbauch. Er besaß tatsächlich auch eine Badehose unter seinem Trainingsanzug. Wegen seines enormen Bauchumfangs hatte er wesentlich größere Probleme als ich die Liege zu besteigen. Die Mädchen kicherten leise. Das schien ihn aber nicht im Geringsten zu stören. Als er endlich auf der Liege lag, ragte sein Bauch wie ein Gebirge über ihn empor. Die Bulgarin forderte ihn nun auf, sich auf den Bauch zu drehen. Die Massagen erfolgten ausschließlich im Rückenbereich und berührten in keiner Weise die Vorderseite. Das sich der Dicke jetzt weigerte konnte ich gut nachvollziehen. Wie kann man auf solch einem Gebirge liegen? Es blieb ihm aber nichts anderes übrig. Also fing er langsam an sich zu drehen. Als sein Bauch endlich unter ihm gewuchtet war, wirkte er wie eine menschliche Wippe. Ich musste den Kopf wieder zur Seite drehen, sonst hätte ich laut losgelacht. Auch meine Masseuse kicherte immer noch. Langsam fingen meine Muskeln an sich zu entspannen und wurden weicher. Sobald das eintrat, waren die Griffe meine Masseuse auch nicht mehr so schmerzhaft. Trotzdem kamen mir die 30 Minuten vor wie eine Ewigkeit.
Mit einem Klaps auf dem Allerwertesten wurde ich entlassen und durfte von dem Foltergerät steigen. Nebenan auf der Liege hatte der Dicke inzwischen angefangen laut zu schnarchen.
Mit dem Versprechen auch Morgen wieder hereinzuschauen machte ich mich auf den Rückweg. Trotz guten Zuredens konnte ich keinen meiner Reisefreunde zu einer Massage überreden. Zuerst taten mir auch alle Muskeln weh, aber nach einiger Zeit trat doch eine gewisse Entspannung und Wohligkeit auf.
Aus der Ferne konnten wir noch beobachten, dass es wohl einige Schwierigkeiten bereitete, den Dicken wieder von der Liege zu bekommen. Vermutlich wollte er jetzt dort ausschlafen und weigerte sich die einmal besetzte Liege zu verlassen. Wir konnten sehen, dass die Mädchen ihn einfach zu zweit von der Liege rollten. Wären wir näher gewesen, hätten wir ihr sicher lautstark Beifall gezollt.
Den Spätnachmittag verbrachten wir wieder auf der Strandpromenade und entdeckten hier ein McDonald Restaurant. Spontan beschlossen wir unser Abendessen hier einzunehmen. Am späten Abend kehrten wir deshalb hier nochmals ein um einen bulgarischen Hamburger zu testen.
Die Preise waren zwar entsprechend bulgarisch günstig, im Gegensatz zu den anderen einheimischen Restaurants aber recht hoch. Für das gleiche Geld hätten wir auch sicher ein gutes Steak bekommen. Die Hamburger selber enttäuschten nicht. Sie schmeckten wie in jedem x-beliebigen McDoof Restaurant in Deutschland: pappig, lauwarm und machten nicht satt. Ein uralter Testbericht des inzwischen einstellten Satiremagazins Titanic geht mir immer durch den Kopf, wenn ich mich in einem solchen Restaurant anstelle. Dort wurden die ersten McDonalds Restaurants in Deutschland getestet. Daran kann man schon erkennen wir alt dieser Bericht sein muss, aber trotzdem hat er nichts von seiner Aktualität verloren. Gemäß diesem Test schmeckten die Hamburger nach „bissfesten Mullbinden mit Käsegeschmack“. Ich kann dem bis heute noch nicht widersprechen.
Sollte man in der Ferne Heimweh bekommen, rate ich jedem ein solches Restaurant aufzusuchen. Es schmeckt dort wirklich, egal in welchem Land, immer wie zu Hause.
Beim Verdauungsspaziergang danach hatten wir dann auch die Begegnung der dritten Art, die hier von vielen Kegelclubs so geschätzt wird. Helmut stand mal wieder vor einer Uhrenauslage, die Damen stöberten im nächsten Bikiniladen und ich betrachtete die flanierenden Menschen.
Eine hübsche junge Frau stellte sich neben Helmut und sprach ihn an. Sie hängte sich bei ihm ein und zog ihn heran. Gespannt, wie das nun weitergeht, setzte ich mich auf eine Bank um das alles entspannt zu beobachten.
Helmut war das anscheinend nicht so unangenehm. Er behielt die linke Hand in der Hosentasche und stieß die Frau auch nicht zurück. Sie flüsterte ihm nun etwas ins Ohr und Helmut nickte dazu. Eine Unterhaltung kam zwischen den Beiden in Gang.
Jetzt aber verließen unsere Damen den Bikiniladen und Roswitha blieb stockt steif stehen. Sie sah ihren Helmut und die junge Frau, die an Helmut wie angenäht hing. Empört eilte sie nun auf die Turteltauben zu.
„Hömma , wat solln dat hier geben“, schrie sie die beiden aus kurzer Entfernung an. Die bulgarische Bordsteinschwalbe, die sich plötzlich einer wütenden Ehefrau gegenüber sah, nahm sofort reiß aus.
„Du komms au immer im falschen Moment“, nörgelte Helmut, „no zwei Minuten un ich hätt die auf 30 Lewa runner gehabt. En echtes Schnäppken.“, grinste er sorglos.
„Nix da“ schnappte Roswitha wütend, „ ich glaubet dir wohl. Du weiss genau zu Hause wird gegessen.“ Und zog ihn einfach mit sich.
Nachdem ich diese Szene erlebt hatte, bemerkte ich auch beim Bummeln überall die aufreizenden Damen, die wie selbstverständlich langsam durch die Menge schlenderten. Manche standen oder saßen auch vor den größeren Hotels. Jetzt erst, beim Beobachten, fielen mir ihre schätzenden Blicke auf. Besonders einzelne Herren und Kegelclubs waren ihre bevorzugte Beute. Da Helmut so alleine gestanden hatte, betrachteten sie ihn als willkommene Gelegenheit. Unsere Bitte an unsere Ehefrauen um 30 Lewa und einer Stunde Freizeit für heute Abend, wurde leider nicht entsprochen.
Den Abend wollten wir in der Hotelbar ausklingen lassen. Groß war unsere Überraschung als sich dort ein weiterer Kegelclub am Tresen niedergelassen hatte. Es handelte sich um einen kleinen gemischten Club, der aus vier Pärchen bestand. Da inzwischen auch die internationalen Biersorten ausgegangen waren, wurde einfach zu den härteten Spirituosen gewechselt.
Eine junge Frau aus diesem Club saß Tränen überströmt, aber auch schon reichlich alkoholisiert auf einem Barhocker und orderte im Minutentakt bulgarischen Wodka.
Es stellte sich heraus, dass dieser Kegelclub dieses Hotel für zwei Wochen gebucht hatte und heute Morgen angereist war. Die Vorstellung, zwei ganze Wochen in diesem Ekelschuppen zu verbringen, konnte auch den stärksten Urlauber umhauen. Richtig fertig gemacht hatte sie aber dann heute Mittag die Mitteilung an der Rezeption, dass sie übermorgen ihre Zimmer räumen mussten. Den Grund, nämlich der bevorstehende Hotelabriss, hatten sie eben an der Bar erzählt bekommen.
Wir konnten es natürlich nicht unterlassen sie damit noch ein wenig aufzuziehen. Sie beklagte sich auch bei uns laut weinend über ihr Schicksal und ihr Urlaubspech. Man musste allerdings ziemlich genau zuhören, da sie durch den Wodka, kurz vor dem Verlust ihrer Muttersprache stand.
Helmut beruhigte sie dann aber so gut er konnte. Wir erzählten vom Akazia I, dass ihr Ausweichquartier werden würde und dass um einiges neuer und moderner war als diese Bruchbude. Nach und nach hellte sich ihre Miene dadurch auf. Roswitha und Rita führten die Gruppe sogar einmal durch den Speisesaal in das neue Hotel. Nach einiger Zeit tauchten sie bedeutend ruhiger und gelöster wieder auf.
Wir haben an diesem Abend die restlichen Spirituosenbestände der Bar stark dezimiert. Der Kegelclub hat dabei seinen Frust ersäuft. Mit jedem Wodka und mit jedem Whisky wurde das Hotel wieder schöner. Vielleicht lag es aber auch nur am schummerigen Licht, denn selbst daran wurde jetzt in der Lobby gespart.
Es war in der Frühe, aber so genau weiß das keiner mehr von uns, als wir endlich auf unser Zimmer schlichen. In dieser Nacht habe ich auch keine Ohrstöpsel für den Alpen Fuzzi Anton benötigt. Ich dämmerte sofort weg als ich in der Waagerechten lag.
7. Tag
Samstag der 20. September 2003 09.00 Uhr
Das Erwachen an diesem Morgen begann mit einem Brummschädel. Die harten Getränke waren mir mal wieder nicht bekommen. Aus diesem Grund beschränke ich mich normalerweise auch nur auf Bier oder Wein. Aber das hat es ja bekanntermaßen nicht mehr an der Bar gegeben. Also konnte ich beruhigt den Brummschädel auf das Hotel schieben. Leider wurde er dadurch auch nicht besser, nur mein Gewissen beruhigte sich ein wenig.
An diesem Morgen war es schon fast unheimlich ruhig im Bad. Vermutlich waren wir die einzigen Gäste im Hotel. Auch als wir an der Rezeption vorbeikamen, bemerkten wir, dass diese schon wieder nicht besetzt war. Nur noch sporadisch tauchten hier Damen auf um Wünsche, bzw. Klagen, entgegen zu nehmen. Die Bar war inzwischen auch verwaist. Alle Anlagen waren abgeschaltet und die Barhocker schon weggeräumt. Die ganze Lobby sah recht aufgeräumt aus ohne Sessel und Tische. So langsam wurde uns unheimlich.
Ruhiger wurden wir, als uns der übliche Trubel im Speisesaal entgegenschlug. Danach mussten wir aufpassen, dass nicht der Magen zurück schlug. Die übliche Katastrophe erwartete uns am Buffet.
Nach einem prüfenden Blick zum Himmel vor dem Hotel, beschlossen wir die Strandsaison zu beenden. Das übliche Schmuddelwetter hatte sich wieder durchgesetzt und der Wind wurde merklich kühler.
Neben dem Hotel hatte sich die Anzahl der Kleinlaster nun verdreifacht. Da aber niemand zu sehen war, vermuteten wir, dass die Belegschaft schon im Innern des Hotels mit der Räumung beschäftigt war. Die Lobby und Teile der Bar waren ja bereits weggeschafft.
Aufgrund des schlechten Wetters beschlossen wir zunächst unsere Koffer abreisefertig zu machen. Das bedeutete im Einzelnen, dass Helmut und ich den Frischegrad des Kamikazebieres an der Hawaii Bar prüften und die Damen die Koffer packten. Männer stören bei solch diffizilen Arbeiten doch nur.
Anschließend schlenderten wir noch einmal an alle bekannten und einige wenige unbekannten Stellen des Goldstrandes um langsam Abschied zu nehmen.
Meine Frau blieb wieder einmal fasziniert bei den Straßencoiffeuren stehen. Diese Minimal Frisörgeschäfte bestanden in der Regel aus einem Stuhl, einer Plastikschüssel mit diversen Klammer und Kämmen sowie einem Handspiegel. Ein großes Pappschild verkündete, das jedem Mutigen für 15 Euro ein Rastakopf gezaubert werden würde.
Nach einigen Zögern und kurzer Diskussion mit Roswitha entschloss sich Rita todesmutig zu dieser eigenwilligen Frisur. Da meine Frau sehr lange Haare hat, lag eine Rastafrisur also im Bereich des Möglichen.
Sie vereinbarte einen Termin für drei Uhr und freute sich wie ein Schneekönig auf dieses Ereignis.
Da der Wind nachmittags immer noch unangenehm war, warteten wir auf meine Frau beim Schalker. Nach geschlagenen 90 Minuten kam Rita freudestrahlend mit ihren Rastazöpfen in das Lokal.
Ich muss zugeben, das Ergebnis überraschte selbst mich. Es stand ihr wirklich ausgesprochen gut. Die große Ernüchterung kam erst nach zwei Wochen, als sie zu Hause diese Zöpfe entwirren wollte. Die großen geflochtenen Zöpfe an der Stirne ließen sich ohne weiteres lösen. Nach hinten allerdings hatte man sich diese Mühe gespart und die Haarsträhnen einfach gedreht. Beim Zurückdrehen stellte sich heraus, das die Haare heillos verfilzt waren. Es blieb nur die Möglichkeit mit einer Schere nachzuhelfen. Auf diese Weise verlor Rita einen grossteil ihrer Haarpracht.
Aber da dieses Ereignis noch in weiter Ferne lag, konnte sie sich an diesem Abend an ihren Rastazöpfen erfreuen.
Auf dem Heimweg kehrten wir noch in einen kleinen Markt ein. Da unser morgiger Transfer bereits um 5 Uhr stattfinden sollte, fiel somit das Frühstück aus, was uns aber nicht wirklich Traurig stimmte. Um einer eventuellen Unterzuckerung vorzubeugen und wenigstens etwas in den Magen zu bekommen kaufte ich eine Sorte Schokokekse, die mich stark an die Aufmachung der Firma Bahlsen erinnerte.
Allerdings stand auf der Seite als Hersteller eine bulgarische Firma aufgedruckt.
Auf dem Heimweg, der auch schon im Dunkeln erfolgte, bemerkten wir erschrocken wie wenige Fenster in unserem Hotel noch erleuchtet waren.
Es wirkte direkt unbewohnt. Wir verzogen uns nach dem Abendessen lieber in das Nachbarhotel. Dort spielten wir im zweiten Stock, der mal wieder ganz uns gehörte, noch lange Romme. Eigentlich wollten wir unsere Zimmer nur noch zum Koffer abholen aufsuchen. Aber gegen Mitternacht besiegte doch die Müdigkeit unseren Durchhaltewillen. Wenigstens für einige Stunden legten wir unsere Häupter auf die Kissen und genossen zum letzten Mal das einschläfernde BUMBUM der Discobässe.
Rückreise
Sonntag der 21. September 2003 05.00 Uhr
Nachdem meine Frau mich unsanft wach gerüttelt hatte, machte ich nur einen kurzen Abstecher ins Bad für das Allernötigste. Helmut und Roswitha waren auch bereits dabei ihre Koffer nach unten zu bringen. Die Rezeption war heute Morgen sogar besetzt, damit wir ordentlich auschecken konnten. Auch der mit uns zusammen angereiste Kegelclub hatte sich schon eingefunden. Viele von ihnen hatten sich anscheinend gestern noch mit Dosenbier eingedeckt und trugen prall gefüllte Plastiktaschen dabei.
Sitzmöglichkeiten gab es leider in der Lobby nicht mehr, so dass wir noch einige Minuten den Strand entlang spazierten. Gegen sechs Uhr trudelte auch unser Transferbus ein.
Die Rückfahrt verlief sehr ruhig, da die meisten sich noch im Halbschlaf befanden. Auch unser Kegelclub war nach 7 Tagen Kampftrinken wie erschossen. Das einchecken im Flughafen verlief ohne weitere Probleme. Nur die Schokokekse musste ich dann doch im Abfall entsorgen. Wenn ich einen ganzen Keks gegessen hätte, würde ich vermutlich für den Rest meines Lebens gegen einen Schokoladeekel ankämpfen müssen. Bereits nach einem Bissen verweigerte mein Körper jede weitere Nahrungsaufnahme. Das Beste an dieser Schachtel war die Aufmachung. Der Name Schoko war eine reine Farce. Auch meine Mitreisenden hätten nach kurzen Probebissen nur durch Gewaltanwendung einen ganzen Keks zu sich genommen.
So wurden wir mit leerem Magen zu unserem Flugzeug gefahren. Der Flughafenbus war wieder übervoll und ohne jede Sitzmöglichkeit. Während der kurzen Fahrt geriet eine ältere Dame in Panik. Sie suchte ihr Insulin und wühlte dabei hektisch in ihrer Handtasche. Laut jammernd warf sie sich danach über das leichte Gepäck ihres Mannes.
Als meine Frau sie mit dem Hinweis beruhigen wollte, das ihr Mann, also ich, genügend Insulin dabei hätte, glaubte ich zuerst an einen Hörfehler. Ich sah mich schon durch die Maschine laufen und jedem ein Spritzchen zum Nachtisch anbieten. Nur gut das die ältere Dame ablehnte. Sie hätte ein ganz besonderes Insulin und wäre in einer Testgruppe. Da könnte sie nicht jedes x-beliebige spritzen. Ich sah das sofort ein und war froh. Kurz vor erreichen des Flugzeugs fand sie ihr Insulin in der Jackentasche.
Ihr Mann sagte nichts dazu und schaute nur leicht genervt.
Beim Aussteigen blieben wir zuerst erschrocken stehen. Besonders Vertrauen erweckend sah die Maschine wirklich nicht aus. Uralt und leicht mit Rost überzogen stand sie in der Morgensonne. Eine steile Treppe war davor angefahren worden und die ersten Passagiere stiegen zögernd und vorsichtig hinauf.
www.doyoo.de Airline check Balkan Air
Ich bin erst heute aus Bulgarien zurückgekommen. Flug mit Balkanair. Ich muss sagen mich hat echt Panik beschlichen, als ich vor dem Hinflug die Maschine auf dem Rollfeld sah. Total anders, als typische Maschinen und selbst von weiten sah sie leicht alt aus.
Um einzusteigen musste ich mich mit meinen 1,70m bis in die Knie ducken um überhaupt in die Maschine zu kommen, was nicht einfach ist mit Gepäck in der Hand und hinten und vorn drängelnden Leuten.. Die Maschine wirkte wie aus dem 2. Weltkrieg, uralt ist kein Ausdruck. Zugegeben der Start war wirklich gut, es war nicht so steil wie bei unseren Maschinen, das machte es etwas angenehmer Dann ging es auch gleich los mit Getränke verteilen, das ist ja alles gut und schön, aber total schlecht, wenn man auf das WC muss. Ich musste fast 15 Minuten meine Beine wirklich zusammen kneifen, bis die Crew endlich mal den Gang frei machte, wenn jemand in dem Gang steht ist es wirklich unmöglich dort vorbei zu kommen. (Ich will mir gar nicht das Horrorszenario vorstellen was da herrscht, wenn etwas schief geht)
Aber als ich auf dem "WC" war, da wünschte ich noch auf meinem Sitz zu sitzen. Es war schlimmer als eine öffentliche Toilette in einem Park, die einmal pro Woche gereinigt wird. Alles war verkeimt, alt und lud nicht wirklich zum Benutzen ein. Es war eine echte Überwindung auf diesem WC zu sein, aber was rein muss, muss auch raus.
Apropos rein, das Essen war nahezu lachhaft! zwei Scheiben altes trockenes Brot, ein bisschen Beilage (Salat) und zwei Scheiben Wurst+ eine Käse. Als Vegetarier hatte ich es schwer, ich musste mein Brot trocken essen, weil der Käse zwischen den Wurstscheiben lag, naja bei dieser Airline scheint noch nicht bekannt zu sein, dass es tatsächlich Vegetarier gibt.
Außerdem hatte ich bei dem Gewackel in der Maschine Angst mir den kochend heißen Kaffee auf die Beine zu kippen.
Diesem Bericht ist nichts mehr hinzuzufügen. Es rundete aber unseren Horrorurlaub Bulgarien perfekt ab.
Wir überlebten aber auch diese zwei Stunden Flug. Vermutlich wegen seines Alters musste das Flugzeug im hintersten Winkel des Düsseldorferflughafens landen. Die Fahrt danach mit dem Bus zum Terminal war schier endlos.
Genauso wie der lange Marsch durch endlose Gänge des Flughafens. Unterwegs fand meine Frau noch einen Herrenlosen Kofferkuli den sie sofort in Beschlag nahm. Meinen Hinweis, dass es bei der Gepäckausgabe genügend Kofferkulis gab, quittierte sie mit dem Ausspruch:
„Was man hat, das hat man.“, und schob den Wagen die Gänge entlang.
Als wir in den Sicherheitsbereich kamen, war der Gang von den Abfluggästen mit großen Sicherheitsglasscheiben getrennt. Man konnte den Zöllnern bei ihrer Arbeit zuschauen und den Passagieren nochmals zuwinken.
Etwas ungeschickt mit dem Kofferkuli rammte meine Frau das Sicherheitsglas mit einer Kante des Wagens. Sofort erklang ein tierisches Sirenengeheul und alle Warnlampen über den Zollstationen fingen an zu blinken an.
Erschrocken ließ meine Frau den Wagen stehen und wollte zu Fuß flüchten gehen. Ich nahm sie feste bei der Hand und wir mischten uns unter die anderen Passagiere die auch zur Kofferausgabe strömten. Ich zwang sie zu einer ruhigen Gangart, als ein Trupp Grüner uns entgegen lief, in Richtung des Malheurs.
In Gedanken sah ich mich schon wie ein Terrorist: auf dem Boden liegend, unzählige Pistolen auf mich gerichtet und ein Bombenkommando unsere Koffer auseinander nehmend.
Wir erreichten trotzdem ungehindert das Kofferrondell und kamen auch ohne weiteres durch den Zoll.
Helmuts Schwiegersohn wartete dort schon auf uns. In seinem Kombiwagen fanden wir alle einschließlich Gepäck gut Platz.
Wir fuhren mit nach Bottrop, da wir erst am nächsten Tag mit dem Zug nach Hause wollten.
Helmut ist Kassierer im Bottroper Fußballclub und wir waren rechtzeitig angekommen, um das Sonntägliche Heimspiel gegen Oberhausen zu besuchen. Dank Helmut kamen wir auch ohne Karten in das Stadion. Der Himmel war zwar bedeckt aber die Luft war noch angenehm.
Roswitha besorgte uns Currywurst mit Pommes und Helmut organisierte für alle eine Flasche Bitburger. Wir nahmen Platz auf der Tribüne und waren froh alles gut überstanden zu haben.
Zum ersten Mal genoss ich ein Fußballspiel.
Ich war wieder zu Hause.
Tag der Veröffentlichung: 25.10.2010
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