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Weihnachten


Es war Weihnachten, und ich war gespannt, wie es dieses Jahr ablaufen würde.
Die neue Frau meines Onkels kam wieder mit, wie letztes Jahr, und bei ihr konnte man nie wissen, was als nächstes passieren würde. Letztes Jahr war sie mittendrin ausgerastet und einfach gegangen.
In diesem Jahr hatte ich keinen speziellen Wunsch geäußert, aber meine Eltern wussten, was ich mir wünschte. Ich hoffte nicht besonders auf die Erfüllung dieses Wunsches, aber mein Onkel hatte irgendwie eine positive Beziehung zu meinen Eltern, welche einmal bewirkt hatte, dass ich auf ein Konzert durfte, was meine Eltern mir zuerst strikt verboten hatten.
Na ja, jedenfalls war dieser Wunsch auch mein größter Traum, aber ich hatte es schon zigtausend mal versucht, meine Eltern ließen sich nicht überreden.
Immer hieß es, es wäre zu gefährlich, immer hieß es, es wäre kein Sport für Mädchen, immer hieß es, tanzen wäre doch so schön, immer hieß es, ich solle doch mit tanzen anfangen, und nicht meine Gedanken an einen Sport verschwenden, für den ich nicht gemacht war.
Jedes mal war ich wütend in mein Zimmer gegangen und hatte die Musik voll aufgedreht, und stundenlang nicht mit meinen Eltern gesprochen.
Jedes mal hatte ich immer wieder gesagt, dass meine Eltern nicht wissen können, ob das ein Sport ist, der nur für Jungs ist, jedes mal erwiderte ich, dass sie nicht wissen konnten, ob ich für diesen Sport gemacht war, jedes mal beharrte ich darauf, dass ich mich nicht fürs Tanzen interessierte, jedes mal sagte ich das gleiche: Ich hatte mich schon einmal beim Tanzen verletzt, und danach mehrere Wochen im Krankenhaus verbracht, und das wollte ich nicht noch einmal. Jedes mal erinnerte ich sie daran, dass sie den Sport gar nicht kannten, dass sie nicht einmal wussten, warum ich es wollte, dass sie nicht einmal zuhörten, wenn ich etwas über diesen Sport sagte, dass sie es nicht mal interessierte, ob ich mir diesen Sport mit meinem Kumpel ansah, oder irgendwo in einer Ecke saß und rauchte oder mich betrank.
In den letzten Wochen war es besonders schlimm geworden.
Sie interessierte es nicht einmal, dass ich in Physik und Chemie eine zwei auf dem Zeugnis bekommen würde, zwei Fächer, in denen ich normalerweise vier stand, und es interessierte sie auch nicht, dass ich Post von der Austauschorganisation bekommen hatte und im Sommer nach Amerika fliegen würde.
An diesem Weihnachtsabend jedoch wurde ihre Stimmung schlagartig anders. Meine Mutter kam mich mit Pancakes und Ahornsirup wecken, mein Vater fuhr mich zu Chorprobe in die Kirche, statt mich beim mittleren Schneesturm, der in den letzten Tagen einem die Sicht trübte, allein gehen zu lassen, beide waren eine halbe Stunde vor Beginn des Weihnachtsgottesdienstes da, ja, sogar mein Onkel und seine Frau waren da.
Normalerweise waren alle vier nicht besonders begeistert davon, am heiligen Abend in die Kirche zu gehen, aber diesmal freuten sie sich wie ein kleines Kind, wenn es an Weihnachten seinen Wunsch erfüllt bekam.
Ich gab wie immer mein bestes, ich sang einige Stellen der Lieder mit drei Mädchen alleine, da die anderen nicht so hoch singen konnten, und diesmal waren meine Eltern vollends begeistert. Auch beim Krippenspiel hörten sie diesmal aufmerksam zu und sahen sich an, was die Kinder, die jeden Sonntag den Kindergottesdienst besuchten, eingeübt hatten.
Auch, als die Kollekte rumging, gaben sie den Beutel nicht unauffällig weiter, sondern warfen Geld rein, und sie sagen mit, wenn die anderen Anwesenden sagen.
Ich wartete wie immer am Ausgang auf sie, verabschiedete mich von meinen Freundinnen, als deren Eltern kamen, bedankte mich freundlich bei den Damen und Herren, die mir im Vorbeigehen wieder sagten, wie toll es dieses Jahr wieder war.
Zu meiner Überraschung sprachen sie dieses Jahr mit dem Pfarrer, bevor sie zu mir traten und wir nach hause fuhren.
Das Essen war köstlich, wie jedes Jahr, und es gab meinen Lieblingsnachtisch, ohne, dass ich ihn mir spezifisch gewünscht hatte. Nach dem Essen begann ich dann, meine Geschenke zu verteilen.
Ich hatte sie wie immer mit viel Liebe ausgewählt und verpackt, teilweise sogar noch selbst etwas gebastelt und für jeden noch einen selbstgestrickten Schal dazugetan, und meine Eltern freuten sich richtig darüber, was sie sonst nur taten, wenn alles vorbei war und sie sich vor den Fernseher setzten konnten und ich oben war und sie nicht störte.
Ich hatte schon fast damit gerechnet, dass es dieses Jahr wieder Aussteuer geben würde, aber ich hatte mich getäuscht.
Mehrmals riet ich, was mein Geschenk, ein großer Karton, mit bunten Sternen und Weihnachtsmännern beklebt, und ein weiterer, kleinerer Karton, mit der selben Verzierung, sein könnte, und ich lag mit meinen Vermutungen immer um Längen daneben. Keine Aussteuer, kein Computer, keine Bücher.
Letztendlich machte ich die Kartons einfach auf, und traute meinen Augen nicht.
Ich hatte den kleinen Karton zuerst geöffnet, und ein weiterer Karton, der auf der Seite, die zu oberst war, die Aufschrift “Nike-Bauer“ trug, verbarg sich im Inneren des vermeintlichen Bücherkartons. Ich packte es komplett aus, und als ich diesen zweiten Karton ebenfalls öffnete, kam ein wunderschönes Paar Schlittschuhe zum Vorschein. In einem steckte ein gelber Zettel, ich erkannte die Schrift meiner Mutter wieder.
Ich las die Nachricht, ich las sie, immer und immer wieder. Ich konnte es nicht fassen, und fiel meinen Eltern um den Hals.
„Danke, vielen dank! Ich hätte nicht gedacht, dass ihr mir das ermöglicht.“, sagte ich, und packte den zweiten Karton aus. Schon zwei Tage nach Neujahr würde ich ein Probetraining beim örtlichen Eishockeyverein haben.

Weihnachtsmarkt


Weihnachtsmarkt
Mitte Dezember, Temperaturen knapp über Null, Weihnachtsstress pur.
Ich lief durch die Aachener Innenstadt, vom Bushof aus zum Markt, genauer gesagt.
Zur zeit war dort Weihnachtsmarkt, und ich wollte die letzten Geschenke besorgen.
Es war schon dunkel, und es ging ein starker Wind. Meine Hände ruhten in den warmen Taschen meiner Lederjacke, meine Ohren waren eiskalt.
Auf halber Strecke landete etwas kleines, feuchtes und kaltes auf meiner Nase, und ich sah zum Himmel auf.
Kleine Schneeflocken fielen vom Himmel, und in mich hineinlächelnd setzte ich meinen Weg fort.
Es war relativ viel los, hunderte Menschen schoben sich über die Fläche, an den Ständen und Buden vorbei, aber hauptsächlich konzentrierte sich die Masse bei den Imbiss- und Getränkebuden.
Ich begann meine Tour vom Rathaus aus, kam an Holzschreinereien, Glühweinständen und Kerzengießern vorbei. Rechts ein stand mit Stofftieren, links der Stand der Töpferei.
Zielsicher trat ich zum Stofftierstand und sah mir das Sortiment an. Ein kleiner Teddy fiel mir ins Auge, er war dunkelbraun und hatte schwarze Knopfaugen, sein Fell war struppig und weich, das perfekte Geschenk für meine kleine Schwester.
In Gedanken ging ich meine Liste durch und hakte meine Schwester ab, als nächstes wollte ich eine besondere Kerze für meine Mutter kaufen.
Ich ging also quer über den Weg auf die andere Seite, was den meisten nicht gefiel, schob sich die Menge doch nur so durch den Gang, ohne Querläufer.
Die Stände waren anders als sonst gekramt, aber ich wusste, dass dieser bestimmte Stand auf dieser Seite sein musste.
Suchend blickte ich mich bei jedem Schritt um, genoss den Schnee, und rutschte ab und zu auf dem vom Schnee rutschigen Kopfsteinpflaster weg.
Zeitweise musste ich schauen, dass ich vorwärts kam, und die Stände nicht aus den Augen verlor.
Ich zwängte mich an Jugendlichen und älteren Leuten vorbei, überholte Mütter mit ihren Kindern, nahm Abkürzungen und blieb kurz stehen.
Ich stand neben einer Straßenlaterne, die etwas altersschwach zu sein schien, gab sie doch nur schwach Licht ab. Mein Standort war leicht erhöht, und so konnte ich mir einen perfekten Überblick verschaffen, soweit der Schnee dies erlaubte.
Nach ein paar Minuten entschloss ich mich, einen kleinen Becher Kakao zu trinken, bevor ich weiterging, um mich aufzuwärmen. Die Stände, die ich erreichen wollte, waren alle am anderen Ende des Weihnachtsmarktes, wie ich feststellen musste, und es fühlte sich kälter an als zuvor.
Als ich den leeren Kakaobecher jedenfalls in den Müll warf, waren etwa fünfzehn Minuten vergangen, es wurde ein wenig leerer in den Gassen und Wegen, die meisten machten sich auf den Weg nach hause, die ersten Imbissbuden schlossen.
Der Schneefall verstärkte sich, und ich zog den Kopf etwas ein, durch meine Jacke war mein Blickfeld nur noch sehr eingeschränkt, der starke Schneefall ließ die etwas weiter entfernten Dinge wie Geister erscheinen, die Menschen waren nur noch Schemen.
Ich beschleunigte meine Schritte, und plötzlich fand ich mich auf dem Boden sitzen vor, eine Hand vor meinem Gesicht.
„Tut mir leid, hat's du dir wehgetan?“
Ich kannte diese Stimme nur zu gut, und als ich aufsah, wusste ich, was geschehen war: In meiner Unachtsamkeit war ich mit einem meiner Lehrer zusammengestoßen.
„Nein, tut mir ebenfalls leid, ich habe nicht aufgepasst.“, erwiderte ich nur und ergriff dankbar seine Hand.
Glücklicherweise konnte er nicht sehen, dass ich rot wurde.

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Tag der Veröffentlichung: 13.11.2011

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