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Wie, jetzt schon?


Oder: Gretel verläuft sich im Wald



Immer und immer wieder sage ich es ihr... ''Maggie, du bist noch viel zu klein, du kannst noch nicht stehen können und laufen ist auch noch kein Thema!'', aber das Kind, ganz Tochter ihrer Mutter, krabbelt wie der Wind und zieht sich auf die Füße, wo immer sie eine Gelegenheit dafür sieht. Pah, 6 1/2 Monate, da kann man sich doch langsam mal hinstellen...
''Stell dich nicht so an, Mama!'' Ich warte bereits darauf, dass sie mit den Augen rollt, wenn ich vorsichtig versuche sie zu stützen, damit sie nicht umfällt und sich einfach losmacht und losläuft.
Es gibt Kinder, die überspringen das Krabbeln, meine kleine Blumenfee hat wohl beschlossen, dass das Sitzen auf dem Boden erstmal völlig zweitrangig ist und konzentriert sich eben auf das Laufen!
Eigentlich sollte ich wohl dankbar sein, mein Kind ist eben ein sehr sensibles Kind und möchte mich frühzeitig davon entbinden sie ständig überall hinzutragen... Aber irgendwie ist mir das Ganze nicht geheuer.
Der Kinderarzt hingegen hat es abgesegnet - wer laufen will, soll laufen und irgendwie schwillt mir ja doch auch die Mutterbrust, wenn mein kleiner Springinsfeld alle verblüfft.

''Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust.'', aber wenn ich so darüber nachdenke, wird die eine wohl fix ausziehen müssen und morgen basteln Maggie und ich einen kleinen Parcours im Garten, wo sie üben kann und weich fällt, wenn die kleine Bumsbirne wieder zu schwer wird und Schlagseite bekommt.

Beim Geburtstag ihres Großvaters heute überraschte sie die anwesende Familie bzw. den Teil eben dieser, der nicht ganz so oft mit uns zusammen is(s)t, erst einmal damit, dass sie zum Kuchen ein ganzes Glas Obstpampe in sich hineinschaufeln liess und sogar noch die Zeit fand Geschichten zu erzählen, während das kleine Schnäbelchen immer wieder weit aufging, sobald der Löffel in Sichtweite kam und nach dem Essen dann umrundete sie auf dem Weg zur Oma erst in Rekordtempo den halben Tisch auf allen Vieren und bei der Oma angekommen wurschtelte das Würmchen sich dann, begleitet von vielen ''Ah´s'', ''Oh´s'' und ''Ui´s'' der Anwesenden, auf die Hinterpfötchen und stand plötzlich neben der Oma.
Ich hatte zwar bereits zuvor berichtet, was das Stürmchen schon alles kann, aber leise belächelt hatte man da wohl ein bißchen ''runtergerundet'', weil man ja weiß, wie stolze Eltern so sind.


Aber nun sind ja erst einmal wieder alle Unklarheiten beseitigt und als kleines Highlight hat mir das Kind dann noch das halbe Obstgläschen wieder auf den Fuß gespuckt OHNE den Teppich zu beschmutzen - ich sag´s ja, ganz die Mama, ganz die Mama!


Das ist nicht DEIN Telefon!



Ja, die Zeiten der Fremdbestimmung sind vorbei, endgültig!
Mit zehn Monaten ist man eben schon ein großes Mädchen und weiß genau, was man will!
Da isst man nicht mehr immer nur Brei und Matschepampe, sondern auch mal ´ne Käsestulle oder eine halbe Banane (die andere Hälfte landet im Umkreis von 2 1/2m)!
Da stellt man sich beim Essen in den Hochstuhl, damit man viel größer ist als die kleine Mama!
Da spielt man auch nicht mehr nur mit den eigenen Füßen, nein, da sucht man sich neue Herausforderungen!

... Wie zum Beispiel das Mysterium Telefon. Fernbedienungen haben ihren Zauber schnell verloren, gehen sie doch allzuschnell kaputt, wenn man sie ordentlich einspeichelt (und das ist schliesslich der Job eines Winzlings, Sabbern bis die Wohnung unter Wasser steht). Aber Telefone, Telefone sind eine ganz andere Liga, das ist wie Kreisklasse und Champions League, wie Bundesjugendspiele und Olympia, wie Spielzeugkiste und Mamas Schubladen! Man drückt verschiedene Tasten und dann ertönen Stimmen aus dem Telefon, manchmal der Papa oder die Tante oder die Oma oder der Nonno, das ist spannend, das ist neu, das will untersucht werden.

Ich stehe am Herd und bereite das Abendessen für meinen Freund, Maggie hatte schon Haferflocken (mit Banane dabei zum selber in den Mund schaufeln natürlich, sie ist ja schon groß) und während ich grade Zuckermöhrchen schmore, höre ich das Handy meines Freundes klingeln.
Nichts ungewöhnliches, er sitzt am Computer und es wird wohl einer der Kollegen sein wegen eines PC-Spiels, doch als ich ihn leise säuseln höre, spitze ich die Ohren. Eine andere Frau vielleicht? Unwahrscheinlich, aber ich schleiche langsam zur Wohnzimmertür, um zu lauschen.
Als ich vorsichtig ins Zimmer schaue, sehe ich nicht nur meinen Freund mit Telefon am Ohr am Schreibtisch, sondern auch meine Tochter auf dem Bett, die mein Handy in Händen hält und begeistert kiekst. Das kommt davon, wenn man Mademoiselle mal länger aufbleiben läßt...


Mein Freund steht auf und kümmert sich um das telefonierende Kind und ich schleiche zurück zum Herd. Als ich mit fertigem Essen zurückkomme, sitzt mein Kind andächtig mit meinem aufgeklappten Handy auf dem Bett und starrt auf das Display. Aus dem Handy tönt die Stimme meiner etwas verwirrten Schwester, die offensichtlich schon vermutet, dass ihre Nichte am anderen Ende in den Hörer keucht. Als ich ihr mein Handy aus den kleinen Fingern winde, setzt ohrenbetäubendes Schreien ein, protestierend hängt sich das kleine Würmchen an meinen Unterarm und guckt so elend, wie sie es eben einrichten kann in ihrer Wut.
Als Vorschlag zur Güte rufen wir dann noch schnell zusammen den Nonno auf Sardinien an und wünschen ihm eine gute Nacht und die Schnuppe geht auch ins Bett.

Ich glaube ich werde mal versuchen ihr die Faszination des Staubsaugers näher zu bringen, der auf Knopfdruck nicht nur tolle Geräusche macht, sondern auch Dinkelzwiebackkrümel verschwinden lassen kann. Wünscht mir Glück!


In der allergrößten Not...


...schmeckt die Wurst auch ohne Brot!



Als ich mit einem frisch aufgegossenen Cappucino aus der Küche komme, sitzt Motte Maggie brav in ihrem Hochstühlchen (was auch sonst, schliesslich ist sie ''angeleint“...) und hat den Mund gehörig voll. Ihre Uroma, die ihrerseits bereits gefrühstückt hat und nun noch mit Tee und einem kitschigen Liebesroman mit uns am Tisch sitzt, kräht dazu am laufenden Band ''Jetzt beguck sich das einer, wie das Kind isst! Aber nur den Käse, nur den Käse...ja, ja, verwöhnt bist du, Maggie, ne, so richtig verwöhnt...''
Innerlich rolle ich mit den Augen, nach aussen hin lächle ich und setze mich neben mein Kind, das wahrhaftig mit großer Begeisterung den Käse von der gewürfelten Stulle klaubt und das Brot mit Mißachtung straft. Dabei grinst sie schelmisch zur krähenden Uroma rüber, steckt sich das nächste Scheibchen Käse in den Mund und lässt das dazugehörige Stückchen Brot mit ausgestrecktem Arm einfach unter den Tisch fallen.
Ich habe Kopfschmerzen, mein Cappucino ist viel zu heiß zum Trinken und vergeblich suche ich in meinem Kopf den Knopf, an dem ich meine Frequenzen so umstellen kann, dass das Gesabbel der Uroma ausnahmsweise mal nicht an mein Ohr dringt.


Versteht mich bitte nicht falsch, ich mag Uroma Thea, sie liebt unsere Lütte, ist immer sehr nett und kann schliesslich nichts dafür, dass sie mit ihren 88 Jahren langsam etwas tüdelig wird - aber manchmal wird sie mir doch etwas zu viel.

Schon im nächsten Moment tut es mir leid, ich beende die Suche nach dem Frequenzenknopf und wende mich ihr lächelnd zu, während ich laut bestätige, dass das Kind wirklich sehr gut isst und sich eben aussucht, was sie möchte.
Dass Maggie verwöhnt sei, dazu sage ich lieber nichts und nehme mir vor, die ständigen Bemerkungen darüber so zu verstehen, dass ich mich einfach sehr liebevoll ums Töchterchen kümmere.

Eben jenes geliebte Wesen ist in Ermangelung von weiteren Käsescheibchen inzwischen dazu übergegangen brav auch das Brot zu essen, was noch auf ihrem Brettchen liegt und grinst dabei abwechselnd Uroma und Mutter an und erzählt (vermutlich), wovon sie so geträumt hat letzte Nacht.
Nachdem Maggie ja nun auch das gute Brot isst, sind wir mit dem Thema Ernährung durch und Uroma Thea wechselt, wie jeden Morgen, Mittag, Nachmittag und Abend, weiter zu ihrem zweitliebsten Thema: ''Was für ein Glück, dass es heute sowas gibt, früher hatten wir das ja nicht!''.
Dabei kann es sich um Spieluhren drehen, um fertige Obstgläschen, um zusammenklappbare Kinderwagen, das Geschirr, mit dem ich Maggie in ihrem Hochstuhl bändige oder einfach das Frotteelätzchen, von dem ich grade Käse- und Brotreste puhle, während ich Mademoiselle Margarete ihren Tee anreiche. Schon faszinierend, denn wenn man Uroma Thea glauben darf, so hat sie ihre Söhne damals vermutlich den ganzen Tag nackt durch den Garten krabbeln lassen und jeden Abend in einem Karton schlafen gelegt, denn Krabbelställe, gartenfeste Kleidung, Babymützen, Schnullerbänder oder Gitterbetten - was für ein Glück, dass es sowas heute gibt!

Ich bin ein Familienmensch, mich rührt es, dass es die Uroma soviel Anteil nimmt und ich bin oft traurig, dass meine noch lebenden Großeltern ca. 250km entfernt wohnen... aber ehrlich gesagt bin ich auch froh, wenn ich nächste Woche wieder in meiner eigenen Wohnung bin mit Maggie und wir zum Frühstück den Käse auch mal ganz ohne Brot essen können.

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Tag der Veröffentlichung: 25.04.2009

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