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Prolog

Regen fiel vom Himmel und begrub Felder und Wiesen unter sich. Es war ein schrecklicher Sturm, der jeden normalen Menschen in sein Haus zwang und zum Stillsitzen bewegte.

Nur ein einzelner Reiter ritt noch durch das Unwetter, ungeachtet der Gefahr.

Unbarmherzig trieb er seinen Schimmel voran. Schlamm spritzte die Beine des Tieres hinauf und färbte es schmutzig braun. Donner rollte über den Himmel und ließ die Erde beben. Angstvoll warf das Tier den Kopf zurück und stieß ein schrilles Wiehern aus.

Fluchend riss der Ritter an den Zügel und trieb das Tier erneut nach vorne.

Innerlich wünschte er dem Kammerdiener seines Herrn die Pest an den Hals. Ein Bastard hatte jeder König, doch dieser musste verschwinden. Es hatte nicht bis zum Morgen warten können. Der Grund war Simon schleierhaft, aber er widersprach nicht und führte seinen Befehl gewissenhaft aus.

Der Säugling in seinem Arm stieß ein leises Wimmern aus und  streckte die Hände empor. Der Ritter schüttelte den Kopf und blickte wieder auf den matschigen Weg vor sich. Er hatte nie irgendwelche Gefühle gezeigt, und nun würde es nicht anders sein.

Er lenkte seinen Schimmel ans Ufer des reißenden Flusses. Tief sanken die Hufe des Tiers im Uferschlamm ein und es drohte in die reißenden Fluten abzurutschen.

Zögernd streckte Simon den Arm mit dem Kind aus und wollte es schon loslassen, als ein Blitz vom Himmel zuckte und knapp neben ihm in einen Baum einschlug.

Panik ergriff das Pferd und es schlug mit den Vorderbeinen in der Luft. Mit einem Schmerzenslaut schlug der Ritter auf dem Boden auf. Der Matsch dämpfte seinen Fall und er rappelte sich schnell wieder auf. Das Kind noch immer im Arm, blickte er seinem völlig verängstigten Pferd hinterher. Sein Blick wanderte zu dem gespaltenen Baum und ein Schauer jagte seinen Rücken hinab. Flammen leckten an dem gesplitterten Holz empor und verbreitete einen beißenden Geruch nach Rauch.

Für Simon war klar, dass der Blitz ein Zeichen der Götter gewesen sein musste. Fluchend stapfte er durch den Schlamm und folgte dem Weg in die Dunkelheit. An diesem Ort würde er keine Sekunde länger bleiben.

Schlammklumpen bildeten sich an den Lederstiefeln des Ritters und zogen seine Füße tiefer in den Untergrund hinein. Das Weiterkommen wurde immer beschwerlicher und Schweiß bildete sich in Simons Nacken. Keuchend schleppte er sich nach vorne und hörte die donnernden Hufe nicht, die sich ihm näherten.

Mit erhobenem Kopf kam ein schweres, fuchsfarbenes Pferd neben ihm zum Stehen. Mit einem belustigten Lächeln auf den Lippen sah der Reiter auf das seltsame Paar hinab. Unter der Schmutzschicht erkannte er eine Tunika mit dem  Wappen des Königs und das Bündel in seinem Arm war bestimmt kein Laib Brot.

„Werter Herr, Ihr seht aus, als bedürftet Ihr einer helfenden Hand.“

 Simon hob den Kopf und blinzelte, um den Reiter klar erkennen zu können. Eine Kapuze hielt notdürftig den Regen ab und verdeckte das Gesicht des Fremden.

„Nein, ich bedarf keiner helfenden Hand.“

Der Reiter lachte und warf den Kopf in den Nacken.

„Glaubt mir, Ihr benötigt Hilfe. Lasst mich Euch helfen. Gebt mir das Kind.“

Der Ritter überlegte. Er musste den Jungen loswerden, und nun bot sich eine rettende Chance. Ohne lange zu Zögern übergab er den Säugling dem Fremden. Dieser drückte das Kind an seine Brust und blickte auf es hinab.

„Ich sage es ungern, aber ich hoffe wir werden uns nicht wiedersehen werter Herr.“

Simon starrte den Fremden überrascht an. Die Worte waren unhöflich gewählt. Doch bevor er zu einer Antwort ansetzen konnte, trieb der ungehobelte Mann sein Pferd an und galoppierte davon. Der Ritter konnte ihm nur noch nach schauen und sich wundern.

 

Seufzend sank die junge Frau auf dem Boden zusammen und blickte erleichtert ins Wasser.

Sie hatte einen Baum spalten müssen, um ihren geliebten Sohn aus den Fängen des mordgierigen Soldaten befreien zu können.

Auf der Insel der Nebel herrschte kein Sturm, Wolken zogen träge über den Nachthimmel hinweg. Wie immer war die Insel unberührt von der äußeren Welt.

Auf der Wasseroberfläche spiegelten sich verschiedenen Szenen, bevor das Mädchen ihren Sohn wieder klar sehen konnte. Ein Mann hatte ihn an sich genommen, ein Fremder von dem sie wusste das er gut für den Jungen sorgen würde.

Tränen liefen über ihr schönes Gesicht als sie daran denken musste, dass sie ihren Jungen wahrscheinlich nie wieder sehen würde.

„Große Prophezeiungen verlangen große Opfer. Ohne dich wird Britannien zerbrechen und die Zukunft in Blut getränkt sein. Und auch unsere heilige Insel wird für immer verschwinden. Sei mir nicht böse Morvin. Eines Tages wirst du mich verstehen.“

Sie erhob sich wieder und raffte ihre Röcke. Die Bilder im Wasser verschwanden und nur noch die spiegelnde Oberfläche blieb zurück.

Bedächtig schritt sie den gewundenen Pfad hinab, die Gedanken stets bei ihrem Sohn. Um die Zukunft zu wissen war ein schreckliches Los. Nur zu gerne hätte sie mit einer anderen getauscht und hätte in Unwissenheit mit Morvin gelebt. Schluchzend verbarg sie ihr Gesicht unter dem Schleier ihres langen Haars und versuchte, nicht an ihre Bestimmung zu denken.

1. Ruf des Königs

Ähnlich einem unheilbringenden Vogel kauerte ein junger Mann auf der niedrigen Mauer einer Schafsweide und betrachtete die blökenden Tiere. Oft saß er auf dieser Mauer und betrachtete die Umgebung. Und nicht allzu selten verschwand nach seinem Auftauchen eines der Tiere.

Heute war Morvin nicht danach, ein Schaf zu stehlen und somit wieder Fleisch auf den Teller zu bringen. Er konnte auch gut von Gemüse leben. Mit einer geschmeidigen Bewegung erhob er sich und streckte die angespannten Muskeln. Seine tiefschwarzen Locken fielen ihm von den Schultern und gaben für einen Moment sein Gesicht frei.

Mit den goldenen Augen eines Hellsehers gesegnet schaute er in den Himmel hinauf und erschauerte bei dem Gedanken, wie groß die Welt sein musste.

Er liebte sein Land und fühlte sich tief mit Britannien verbunden. Gähnend wandte er sich um und wollte in das hüfthohe Gras springen, als eine Staubwolke seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit zusammengekniffenen Augen schaute er zu ihr hinüber und konzentrierte sich weiter auf den Weg. Ein Trupp Reiter näherte sich seinem heimatlichen Hof. Über ihren Köpfen wehten die Flaggen des Königs.

Verwirrt schüttelte Morvin seine Locken aus und sprang wie geplant in die Wiese. Schnellen Schrittes lief er durch das Gestrüpp und näherte sich seinem Heim von der Seite, immer außer Sichtweite der Reiter.

Selbst in diesen Winkel Britanniens war die Kunde über den Einfall der Sachsen an der Küste gedrungen. Wahrscheinlich rief König Arthur jeden Mann zu den Waffen.

Bei dem Gedanken an seinen Vater zog sich Morvins Magen beinahe schmerzhaft zusammen. Sein Ziehvater Gael hatte ihm sicherlich erzählt, dass ein Soldat des Königs ihn hatte umbringen wollen, und es bestand für Morvin keinen Zweifel, dass er nicht der Bastard irgendeines Ritters war, sondern der uneheliche Sohn König Arthurs.

Diese Erkenntnis fühlte sich für Morvin sicher an, und sein Bauchgefühl hatte ihn nie getrogen.

 Ohne auch nur schneller zu atmen lief er auf den heimatlichen Hof und blieb dicht neben seiner Ziehmutter stehen. Brighid zuckte kurz zusammen, als ihr einziges Kind wie aus dem nichts neben ihr auftauchte. Das hatte er schon immer getan, seit er richtig laufen konnte.

Obwohl Morvin nur ihr Ziehsohn war, liebte sie ihn wie ein leibliches Kind, obwohl sie selbst nie welche bekommen hatte.

Die Erde bebte unter den beschlagenen Hufen der Pferde und Morvin legte den Kopf schief. Das Eisen unter den Hufen der Pferde hatte er noch nie gesehen und er wusste nicht, was es bringen sollte.

Einer der Ritter trieb sein Pferd nach vorne und löste sich von der Gruppe. Dicht vor Morvin parierte er sein Pferd durch und musterte den Jungen kritisch.

Dieser beachtete ihn nicht weiter, sondern starrte weiterhin mit gerunzelter Stirn auf die Pferdehufe.

Simon wollte den Jungen anfahren, schluckte die Worte jedoch herunter. Er schien im kampffähigen Alter zu sein, und Arthur verlangte ausdrücklich nach jedem Mann.

Stattdessen blickte er zu Brighid und fragte: „Verehrte Dame, besitzt Ihr ein Pferd?“

Brighid vollführte einen Hofknicks und nickte.

„Ja. Wir besitzen zwei Pferde. Mein Mann ist mit einem davon geritten, dass andere steht noch im Stall.“

Simon nickte anerkennend und blickte erneut zu Morvin hinüber. Noch immer starrte der Junge auf die Pferdehufe.

„Gut. Händigt mir das Pferd aus. Meines hat einen lahmen Huf.“

Bei diesen Worten drehte Morvin sich wortlos um und verschwand im Pferdestall. Brighid und der Ritter schauten ihm wortlos nach, bis er mit einem scharfen Dolch wieder erschien und auf den Schimmel zuging. Vertrauensvoll schnaubte das Pferd und gab dem Jungen breitwillig den Huf. Die Zunge zwischen die Zähne geklemmt schob Morvin die Spitze des Dolches zwischen Huf und Eisen und versuchte das gebogene Metall zu lockern. Mit einem dumpfen Laut fiel es schließlich in den Staub.

Triumphierend lächelnd richtete Morvin sich wieder auf und legte seine Hand auf das weiße Fell.

„Wenn Ihr Eurem Pferd schon Eisen unter die Hufe nagelt, achtet darauf das sie passen.“

Verwundert wendete Simon sein Pferd und trieb den Schimmel zu einem scharfen Trab an. Ohne ein Zeichen von Lahmheit trabte das Pferd über den Hof.

Lächelnd schaute Morvin zu und nickte wie zur Antwort auf eine unhörbare Frage.

„Nun Junge, du scheinst ein Gespür für Pferde zu haben. Sicherlich habt ihr beide von dem Einfall der Sachsen an den Küsten gehört. Wir brauchen jeden Mann. Selbst dich Bursche.“

Wieder nickte Morvin und senkte den Kopf. Er hatte gewusst weshalb die Reiter gekommen waren. Und er spürte, dass seine Bestimmung darin lag ihnen zu folgen.

Seufzend und im Bewusstsein, dass die Zeit des Aufbruchs gekommen war, stimmte er zu und lächelte seine Mutter wehmütig an.

Brighid verstand und blinzelte die Tränen aus ihren Augen.

Ihr war klar gewesen das dieser Tag kommen würde. Doch die Hoffnung, dass noch Jahre bis zu diesem Zeitpunkt vergehen würde bestand immer.

Mit einem aufmunternden Lächeln auf den Lippen nahm Morvin seine Ziehmutter in die Arme und schritt ohne ein Wort auf die Stallungen zu, um sein Pferd zu satteln.

 

Es brauchte drei Monde, bevor der Trupp die königliche Burg Caerleon erreichte.

Morvin richtete sich in den Steigbügeln auf und legte die Hand über die Augen, um die königliche Burg besser sehen zu können. Wie ein Fels ragte sie aus dem Erdboden empor und verbreitete ein Gefühl der Beklemmung. Jedenfalls fühlte es sich für Morvin so an. Schaudernd sank er in den Sattel zurück und suchte nach dem Ritter, der ihm seltsam bekannt vorkam. Simon ritt an der Spitze des Zugs und gab das Tempo vor.

Er widerstand dem Drang sich im Sattel umzudrehen und nach dem goldäugigen Jungen zu suchen, der ihn in regelmäßigen Abständen einen Schauder der Angst über den Rücken jagte. Der Junge zählte sechzehn Sommer und Simon wusste, dass Morvin sicherlich kein Christ war.

Tief in Gedanken versunken ließ der Ritter sich von seinem Schimmel tragen und achtete nicht auf den ungeordneten Haufen hinter ihm.

Ein gellender Schrei zerriss ihm fast das Trommelfell und ein heftiger Ruck fuhr durch seinen Körper. Mit einem Fluch auf den Lippen wendete er sein Pferd und musterte den Trupp mit zusammengekniffenen Augen.

Morvin, der am Ende des Zuges geritten war, lag schreiend vor Schmerz am Boden  Verzweifelt trat er nach seinen Mitstreitern, die ihn wieder auf die Füße ziehen wollte.

Simon trieb seinen Schimmel an und galoppierte auf die kleine Gruppe zu.

„Weg von ihm!“

Gleich verschreckter Rehe sprangen die Jünglinge auseinander und stolperten zu ihren Pferden. Elegant sprang der Ritter zu Boden und kniete neben Morvin nieder. Er schrie nicht mehr, aber die Luft war erfüllt von seinem schmerzhaften Keuchen.

„Junge! Morvin!“ Er packte den Jungen an den Schultern und schüttelte ihn heftig. Als Morvin nicht antwortete, drehte Simon ihn zu sich herum und blickte ihm in die schneeweißen Augen.

Ein Schreckenslaut kam ihm über die Lippen und er ließ ihn los als hätte er sich verbrannt.

„Weiß jemand was mit diesem Jungen ist?“

Die Männer senkten unter Simons Blick die Köpfe und blickten auf die Hälse ihrer Pferde. Ein Schotte trat nach vorne und warf einen kurzen Blick auf Morvin.

„Er ist Hellseher. Meine Schwester hatte dies ebenfalls immer.  Götter wollen ihre Botschaft verbreiten und Morvin ist der Empfänger. Lasst ihm Zeit, er erholt sich wieder.“

Sein Akzent verzerrte die Worte und machte sie schwer verständlich.

Simon nickte und erhob sich.

„Gut, du scheinst Erfahrung damit zu haben. Kümmere dich um ihn.“

Der Schotte senkte kurz den Blick und beobachtete, wie Simon an die Spitze des Trupps ritt und dem Befehl zum Galopp gab.

Kopfschüttelnd beugte Aeneas sich hinab und hob Morvin auf.

„Hat kein Verständnis. Sicher, er ist Brite, aber ein sehr kalter Brite.“

 

König Arthur biss sich leicht in den Finger und hielt nach dem Schotten Ausschau, der ihm die Treue schwören sollte. Die Highländer hatten zwar ein Friedensabkommen mit den Briten geschlossen, aber dies war mehr als brüchig. Nun den Sohn eines schottischen Lairds an seiner Seite zu haben war etwas neues und würde hoffentlich den Frieden stärken.

Wohin er nur blickte sah er junge Briten, die nicht einmal wussten wie rum sie ihr Schwert halten sollten. Kopfschüttelnd wollte er den Blick schon abwenden, als sein Blick auf ein seltsames Paar an der Tür fiel. Ein Hüne von einem Mann stand dort und stützte einen mehr oder weniger bewusstlosen Mann.

König Arthur winkte Simon zu sich heran und flüsterte: „Die beiden dort an der Tür. Warum ist dieser Mann bewusstlos?“

Peinlich berührt starrte er auf seine Füße und erwiderte: „Der Junge ist Hellseher. Er hat eine Art Anfall.“

Arthur richtete sich auf und hob die Augenbrauen.

„Du!“ Er deutete auf Aeneas und grinste. „Bring mir den Hellseher.“

Der Schotte murmelte etwas vor sich hin und schleifte Morvin mit sich. Der Kopf des Jungen baumelte wie der einer Stoffpuppe herab.

„Was hat er gesehen?“ Aeneas ließ Morvin vor den steinernen Stufen des Throns fallen und zog die Schultern hoch.

„Verzeiht Herr, er redet nicht.“

Arthur erhob sich von seinem Thron und kniete sich neben den jungen Hellseher. Morvin zuckte unkontrolliert. Der Blick seiner schneeweißen Augen huschte umher und blieb an König Arthur hängen.

Mit erstaunlicher Kraft packte er den König am Kragen und zog ihn zu sich herunter.

„König Arthur, Ihr begeht einen großen Fehler. Durch Euch wird Britannien in Blut versinken. Ihr habt zu viele Fehler begannen, viel zu viele.“

Zitternd sank Morvin zusammen und blieb regungslos liegen.

Stille legte sich über den Saal wie ein Leichentuch. Wortlos erhob König Arthur sich und schritt aus dem Raum, begleitet von einem Gefühl der namenlosen Angst.

 

2. Arturus

Stöhnend vergrub Morvin sein Gesicht in den Händen und beugte sich nach vorne. Aeneas lachte und schlug seinem Freund auf den Rücken.

„Ist doch normal, dass ein Jüngling den König am Kragen packt und ihm droht. König Arthur muss doch daran gewöhnt sein. Oder lebst du im Glauben, Schotten wären stumm?“

Er schüttelte den Kopf und musste nun doch lachen. Seit zwei Tagen hatte Morvin sein Bewusstsein wieder und musste nun die gehässigen Kommentare seiner Mitmenschen über sich ergehen lassen.

Hellseher waren nie gerne gesehen, doch wenn sie zudem dem König drohten hatten sie Glück mit dem Leben davon zu kommen.

„Nein. Ich bin mir sehr sicher, dass Schotten reden können. Es würde an ein Wunder grenzen, würdest du einmal schweigen.“

Der angesprochene Schotte schnaubte verächtlich und ließ sich vom Koppelzaun gleiten.

„Du hast mich ernsthaft beleidigt junger Freund. Ihr Briten seid nicht sehr redselig. Ihr seid stumm wie die Fische.“

Nun war es an Morvin, sich von dem hölzernen Zaun zu erheben und einen beleidigten Tonfall anzuschlagen.

„Lieber bin ich stumm wie ein Fisch als ein Trunkenbold.“

Plötzlich lag eine angespannte Stimmung in der Luft. Aeneas straffte die Muskeln als wolle er kämpfen und Morvin wurde bewusst, dass er zu weit gegangen war.

Ein kalter Schauer rann seinen Rücken hinab und ließ ihn frösteln. Verwirrt strich er sich über die Arme und hob den Kopf. Die Sonne brannte in seinen Augen und er wusste nicht woher das Gefühl plötzlich kam.

„Entschuldige Aeneas. Bitte verzeih. Lass uns gehen, mir ist komisch zumute.“

Sein Freund hatte schon oft erlebt, wie eine Vorahnung seine Schwester befiel und hörte auch nun auf einen Hellseher. Mit wachsamen Blick folgte er Morvin in den Schatten eines Heuhaufens und öffnete den Mund, um den Streit wieder aufleben zu lassen, als ein lautes Krachen ihn an seinem Vorhaben hinderte.

Ein tiefschwarzes Pferd war durch das Holz gebrochen, auf dem sie eben noch gesessen hatten.

Morvin sprang auf die Füße und starrte das Szenario vor seinen Augen ungläubig an. Seit er klein war konnte er hellsehen, aber seine Gabe erschreckte ihm jedes Mal aufs neue. Und so schlimm wie die Vision neulich war es noch nie gewesen.

Das Pferd indes warf wütend den Kopf zurück und versuchte seinen lästigen Reiter loszuwerden.

Der Junge klammerte sich an den Hals des Tieres und blieb hartnäckig sitzen.

Morvin überlegte nicht lange, sondern sprang voran und ergriff die flatternden Zügel.

Beruhigend strich er über das schwarze Fell und flüsterte ein paar beruhigende Worte.

Der Hengst senkte vertrauensvoll seinen hübschen Kopf und knabberte an Morvins Arm.

Lachend strich er über die weichen Nüstern hinweg und wandte sich dann dem Jungen zu. Er konnte nicht älter als zehn oder elf Sommer sein und war blond wie ein Weizenfeld.

Schniefend richtete er sich auf und musterte seinen Retter kritisch.

Morvin legte den Kopf schief und versuchte ein Lächeln zu Stande zu bringen.

Der Junge rümpfte die Nase und wandte den Blick ab.

„Ihr hättet mir nicht  helfen müssen. Ich hätte alles alleine geschafft.“

Der junge Hellseher musste bei diesen Worten lachen und warf den Kopf in den Nacken.

„Sicher Junge. Es muss dich nicht beschämen, jeder muss erst einmal lernen. Erst laufen, dann reden, dann reiten. Wenn du willst kann ich dich reiten lehren.“

Misstrauisch betrachtete Arturus seinen Gegenüber und dachte angestrengt nach. Er hatte nie reiten gelernt und mit einem Lehrer wäre es sicherlich ungefährlicher.

Bevor er seine Zustimmung geben konnte, klang die herrische Stimme seines Vaters hinter ihm auf.

„Arturus! Mein Sohn, was hast du getan?“

Morvin hob den Kopf und erblickte unweit entfernt König Arthur. Ein Ruck ging durch seinen Körper, als er zum ersten Mal bewusst seinen Vater sah.

Dann wurde ihm wieder bewusst, was während seiner Vision vorgefallen war und er wandte beschämt den Kopf ab.

Arthur erreichte den schnaubenden Hengst und blickte seinen Sohn unverhohlen wütend an.

„Nichts Vater. Ich habe nichts getan.“

Arturus hielt den Kopf gesenkt und biss sich beschämt auf die Lippen. Jetzt erst wurde ihm bewusst, was für einen Fehler er begannen hatte.

„Entschuldige“, flüsterte er leise.

Morvin beobachtete die Szene und entschied sich schnell.

„König Arthur, mich beschleicht das Gefühl, dass Euer Sohn weder ein guter Kämpfer noch ein guter Reiter ist. Wenn er das Land eines Tages führen soll, muss er lernen. Und dies sehr bald. Ich biete mich freiwillig als Lehrmeister an. Seit Jahren übe ich mich im Kampf. Erlaubt mir Euren Sohn zu einem begnadeten Kämpfer zu machen.“

Obwohl es gegen seinen Willen war verbeugte Morvin sich und verharrte in dieser unterwürfigen Stellung. Arthur musterte den Jungen, der ihn vor nicht allzu langer Zeit am Kragen gepackt hatte nachdenklich.

Einerseits widerstrebte es ihm, seinen Sohn in die Hände eines Verrückten zu geben, andererseits würde dieser seinen Sohn nicht anders behandeln als jedes andere Kind auch.

Schließlich signalisierte er seine Zustimmung und drehte sich um.

„Aber sobald meinem Sohn etwas passiert, ziehe ich Euch zur Rechenschaft!“

Morvin unterdrückte ein Kichern und richtete sich wieder auf. Arturus Ausbildung würde ihn vor dem Krieg bewahren.

Der Junge schaute ihn mit großen Augen an und wusste nicht, wie ihm geschah. Ohne zu Zögern hatte sein Vater ihn diesem Fremden übergeben.

„Wir werden viel Spaß haben Arturus. Glaube mir das.“

 

Mit ausgebreiteten Armen balancierte Morvin über den umgestürzten Baumstamm. Der Fluss rauschte unter ihm dahin.

Arturus folgte ihm wie ein Schatten und hockte sich auf die brüchige Rinde.

„Darf ich dir etwas sagen Morvin?“

Überrascht setzte er sich neben den Jungen und legte einen Arm um seine Schulter.

„Sicher. Was liegt dir auf der Seele?“

„Ich wünschte du wärst mein Bruder.“

Der Hellseher erstarrte für einen Moment.

Wenn du wüsstest Arturus. Du wärst nicht froh darum.

Bewusst lockerte er seine Schultern und brachte ein entspanntes Lachen zustande.

„Ich wäre ein schlechter Bruder Arturus.“

Der Junge kicherte und lehnte sich an seinen Mentor. Wie ein Schatten überfiel Morvin die Vision und er fauchte: „Weiche von mir Christ. Du hast mich verraten Artus! Wie konntest du?“ Mit einem heftigen Ruck riss er sich in die Wirklichkeit zurück, bevor die nächsten Worte über seine Lippen kommen konnten.

Du hast mir meine Liebe gestohlen! Ich werde erst Ruhe geben, wenn dein Blut an meinen Händen klebt!

Arturus war zurückgewichen und starrte Morvin mit tränenerfüllten Augen an. Augenblicklich tat es Morvin leid und er zog ihn wieder in seine Arme.

„Es tut mir leid Arturus. Ich hatte eine Vision. Ich meinte nicht dich. Verzeih mir.“

Arturus vergrub sein Gesicht an Morvins Brust. Seine Schultern bebten und dem Hellseher wurde bewusst, dass der Junge sehr wohl wusste das er gemeint war.

„Bitte versprich mir, dass ich nicht wie mein Vater werde. Schwöre mir das du verhinderst, dass du dies einmal zu mir sagen musst.“

 Zitternd nickte Morvin und flüsterte heiser: „Ich schwöre es dir Arturus. Du bist mein Bruder. Siehst du? Es stimmt was ich sagte. Ich bin ein schlechter Bruder.“

Geschickt verbarg er die Wahrheit und versuchte ein Lächeln auf sein Gesicht zu bekommen.

Arturus hob den Kopf und lächelte ihn an.

„Es war eine Vision. Du kannst nichts für das was du siehst. Sei dir selbst nicht böse.“

Mit einem tiefen Seufzer vergrub Morvin das Gesicht in den blonden Locken und sog tief den warmen Duft ein.

Seit einem Jahr folgte der Prinz ihm wie ein Schatten und er liebte ihn wirklich wie einen Bruder.

Es schmerzte ihn zu wissen, dass Arturus eines Tages auf dem Thron sitzen und Krieg führen würde. Seufzend wünschte er sich, dass die Sachsen mit Britannien Frieden geschlossen haben, wenn Arturus auf dem Thron sitzt.

3. Morgain

Lachend ließ Arturus seinen Rappen über die Wiese galoppieren. Diesen Sommer war er sechzehn und somit zum Mann geworden.

Morvin war ihm dicht auf den Fersen. Seine Stute schnaubte angestrengt und verlangsamte ihren Schritt. Seufzend beugte Morvin sich über ihren Hals und flüsterte: „Ist gut meine Süße. Mir ist bewusst, dass du nicht mehr die Jüngste bist.“

Arturus drehte den Kopf  um seinen Freund wieder im Blick zu haben. Morvin fiel rasch zurück und der junge Prinz zügelte augenblicklich sein Pferd. Sein Blick wanderte zu dem gewunden Weg hinab den sie verlassen hatten.

Eine Gruppe Soldaten umringten einen einzelnen Mann. Die Situation hatte etwas bedrohliches an sich und Arturus winkte Morvin drängender heran.

Mit einem leisen Fluch auf den Lippen trieb der Hellseher sein Pferd wieder an und er fragte sich nicht zum ersten Mal, was mit dem Jungen eigentlich los war.

„Was bedrückt dich Arturus?“

Arturus warf seinem Freund einen Seitenblick zu und deutete auf den Weg hinab.

„Soldaten. Sie scheinen diesen Mann zu bedrängen. Reiten wir hinab?“

Morvin zog die Schultern hoch und erwiderte leise: „In dieser Sache bist du wie ein Schotte. Hindern kann ich dich nicht daran, deinen Kopf setzt du so oder so durch. Also reite voran.“

Arturus verdrehte die Augen zum Himmel und rammte seinem Hengst die Fersen in die Flanken. Wiehernd sprang das Pferd voran und donnerte den Hügel hinab.

Mit einem leichten Zögern rutschte Morvin aus dem Sattel und rannte Arturus hinterher. Zu Fuß war er schneller als wenn er das Pferd reiten würde.

Mit wenigen Momenten Verzögerung erreichte er die Gruppe und betrachtete die Situation eingehend. Die fünf Soldaten umringten mit hämischen Gelächter einen jungen Mann in ihrer Mitte.

„Morvin! Du bist meine Rettung! Hilf mir!“

Für einen Moment erkannte der Hellseher die vertraute Stimme nicht. Dann erinnerte er sich und rief: „Aeneas! Was tust du da?“

Wütend drängte er sich zwischen den Pferden hindurch und stolperte auf den Schotten zu.

„Diese Soldaten folgen mir, seit ich vor einem halben Jahr wieder britischen Boden betreten habe.“

Bevor Morvin noch etwas sagen konnte, zückte einer der Soldaten sein Schwert und stieß es nach vorne.

Arturus stieß einen wütenden Schrei aus und sprang vom Pferd. Ohne zu Zögern zog er den kleinen Dolch aus dem Innenfutter seiner Stiefel und stieß ihm den Schuldigen zwischen die Rippen. Ächzend rutschte er zu Boden und blieb leblos am Boden liegen.

Doch für Morvin schien es zu spät zu sein. Er hatte ihm den Rücken zugewandt und umklammerte die Klinge der Waffe. Die geschärften Seiten schnitten tief in seine Haut und Blut bedeckte das glänzende Eisen.

Es fühlte sich für ihn nicht richtig an. Er sah das Schwert, dass ihn aufgespießt hatte und fühlte nichts als Leere. Kein Schmerz, keine Wut. Nur ein Hauch des Bedauerns und stille Akzeptanz. Die Kraft wich aus seinen Beinen und er fiel auf die Knie.

Starke Hände hielten ihn zurück, bevor er vornüber ins Gras fallen konnte. Schwärze zog auf und verschlang ihn unbarmherzig.

Schluchzend schüttelte Arturus seinen Lehrer in der verzweifelten Hoffnung das er wieder aufwachen würde.

„Steh auf Morvin! Verlass mich nicht! Bleib hier!“

Mit einem abfälligen Schnauben stieß Aeneas den Prinzen zur Seite und untersuchte den Hellseher.

„Er lebt noch, also sei ruhig. Wenn er jetzt schnell zu einem Heiler kommt, dürfte er es schaffen. Kennst du einen Heiler?“

Verwirrt und mit tränennassen Augen blickte Arturus seinen Gegenüber an und nickte langsam.

„Ja, meine Schwester. Sie ist zu Besuch. Sie ist auf Avalon, der Insel der Nebel aufgewachsen und ist Heilerin.“

„Dann los!“

Wütend stieß Aeneas Arturus in die Seite und beide Männer hoben ihren Freund auf, um das Unmögliche zu versuchen.

 

Stöhnend vergrub Morvin das Gesicht in den Kissen auf denen er lag und zog die Beine an.

Ein stechender Schmerz fuhr durch seinen Körper und er hätte am liebsten geschrieen

Weiche Hände legten sich auf seine Schultern und der Schmerz wurde zu einem sanften Pochen. Blinzelnd öffnete Morvin die Augen und drehte sich um.

Zwei blassgrüne Augen betrachteten ihn liebevoll.

„Bin ich tot? Du siehst aus wie eine Elfe? Bin ich in der Anderwelt?“

Das Mädchen lachte leise und schüttelte den Kopf.

„Nein, du lebst und ich bin keine Elfe. Mein Bruder hat dich zu mir gebracht. Ich soll dich heilen.“

Morvin konnte ein Lächeln nicht unterdrücken und flüsterte: „Du hast mir das Leben gerettet. Wie ist dein Name?“

„Morgain. Aber ich habe dich nicht gerettet. Nicht ganz. Um wirklich zu überleben musst du mit mir kommen. Nach Avalon, die Insel der Nebel.“

Der Hellseher versuchte sich aufzusetzen und schrie auf, als erneut ein stechender Schmerz ihn  durchzuckte.

„Nach Avalon? Ich kann doch nicht dorthin. Ich bin nicht würdig.“

Morgain drückte ihn erneut in die Kissen und strich ihm beruhigend übers Haar.

„Doch. Du musst mitkommen. Sei unbesorgt. Ob du würdig bist oder nicht, wird sich herausstellen wenn du wieder gesund bist. Ruhig.“

Zärtlich schloss sie ihn in den Arm und flüsterte ihm beruhigende Worte zu.

Mit einem leisen Quietschen schwang die Tür zu dem kleinen Raum auf und Arturus trat vorsichtig ein. Sein Blick lag fragend auf Morvin und seine Schwester schüttelte unmerkliche den Kopf. Trotzdem schlich er zu ihnen und setzte sich auf die Bettkante.

„Was hat er?“ Arturus Stimme war so leise, dass er sich selbst kaum hörte.

„Er hat Fieber. Ich muss ihm mit nach Avalon nehmen. Er will nicht. Rede du mit ihm.“

Sie schob Morvin ein Stück von sich und verließ den Raum mit raschelnden Kleidern.

Arturus streckte zögernd die Hand aus und berührte Morvins Schulter. Er zuckte zurück und schluchzte leise.

„Was passiert mit mir Arturus?“, flüsterte Morvin heiser und linste zwischen seine Finger hindurch.

Der junge Prinz brachte ein Lächeln zustande und erwiderte: „Du hast Fieber. Wenn du mit Morgain gehst, wird es besser. Vertrau mir. Du bist doch mein Bruder.“

Lachend spielte er auf ihr Gespräch am Fluss an und versuchte Morvin ein Lachen zu entlocken.

Fiebrige goldene Augen musterten Arturus kritisch.

„Ja, ich bin dein Bruder Arturus. Sei mir nicht böse.“

Der Prinz tat es als Fieberwahn ab und beugte sich über Morvin.

„Ich bin dir doch nicht böse, weil du mein Bruder bist. Du gehst mit Morgain jetzt nach Avalon. Und dort wirst du schön gesund und kehrst zu mir zurück, ja?“

Zitternd nickte Morvin und klammerte sich hilflos an seinen Bruder.

 

Impressum

Texte: Scar Manson
Lektorat: M. Hellcraze/ Scar Manson
Tag der Veröffentlichung: 16.07.2014

Alle Rechte vorbehalten

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