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1. Kapitel

Luzifer

 

 

 

Mit einem geschmeidigem Sprung wich der Junge dem Schwert seines Gegners aus. Die schulterlangen schwarzen Haare wehten ihm ins Gesicht und für einen Moment konnte er nichts sehen.

Sein Gegner nutze die Schwäche sofort aus und hielt ihm die Klinge an die Kehle.

„Du bist tot, Luzius.“

Ein seltenes Lächeln umspielte meine Lippen, als ich aus sicherer Entfernung meinen Sohn betrachtete. Er übte oft mit den Werwölfen Schwertkampf, obwohl ein neuer Krieg zwischen der Hölle und dem Paradies unwahrscheinlich war.

Lautlos trat Azazel neben mich und blickte zu den beiden hinüber.

„Es ist eine Schande, dass du ihn nicht kennst.“

„Ich habe ihn freiwillig aufgegeben. Asmodis hat ihn erzogen und gut ist.“

Hellblaue Augen streiften meinen Blick und ich wusste, dass Azazel das anders sah. Aber er widersprach mir nicht. Ohne ein Wort wandte ich mich ab und wollte zurück in den Kerker, um weiter für meine Taten zu büßen.

„Du hast ihn genauso aufgeben wie Elsea und ihre Tochter.“

Die geflüsterten Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken und meine Muskeln verkrampften sich. Wieder spürte ich diesen Schmerz, der über die Jahre hinweg nicht abgeklungen war.

„Es ist nicht meine Tochter. Und sie hat sich anders entschieden. Ganz anders. Genau wie ich.“

Azazel schnaubte. „Nein, du hast dich niemals anders entschieden. Du wolltest sie immer und willst sie immer noch. Aber die Sache mit Luzius war nicht deine Schuld.“

„Hätte ich sie wirklich geliebt, hätte ich mir nie eine andere Frau genommen.“

Krampfhaft rang ich die aufsteigenden Gefühle nieder und ließ die Worte nur wie eine Feststellung klingen.

„Ja, aber er musste zur Welt kommen. Und wenn nicht durch Elsea, dann durch eine Andere. Sie hätte es verstanden, hättest du mit ihr darüber geredet. Und sie hätte niemals....“

„In diesem Satz sind zu viele hätte“, flüsterte ich und ging davon. Ich wollte diese Worte nicht hören, den Schmerz nicht spüren, denn sie heraufbeschworen.

Zurück in den Kerker, zurück in die Sicherheit, dass war alles, was ich wollte. Den Schmerz nicht spüren, dass vergessen, was geschehen war und nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte.

Tränen brannten in meinen Augen, als ich die Steintreppe hinunter jagte und die Kerkertür hinter mir zuwarf.

Zitternd rutschte ich an der kalten Steinmauer hinunter. In der Dunkelheit konnte ich nichts sehen, aber trotzdem sah ich die hellblauen Augen vor mir in der Luft schweben.

Strahlend wie Edelstein, gefüllt mit Hoffnung und so etwas wie Liebe. Und dann war das Leuchten in ihnen verschwunden, die Edelsteinaugen waren gebrochen und nichts konnte sie wieder zusammensetzen.

Genauso wenig wie das, was ich früher als mein Herz bezeichnet hatte und das in tausend Splitter zerfallen war, als Elsea ging, aus meinem Leben verschwand und mich in der Dunkelheit zurückließ.

2.Kapitel

Luzius machte sich nicht die Mühe, durch die Tür in sein Zuhause einzutreten. Elegant sprang er durchs offene Fenster und landete vor den Füßen Azazels, mit dem ihm zwar keine familiären Bande verband, den er aber trotzdem Onkel nannte.

„Na Onkel, was liegt an?“

Azazel verzog den Mund, als er die Sprache der heutigen Jugend hörte. Immer noch hatte er das Gefühl, dass die Wörter geschlagen wurden, wenn man sie so benutzte.

Aber er ließ den Jungen reden wie er wollte.

„Nichts, Luzius, nichts.“

„Mein Vater war hier, oder?“

Luzius hatte das gleiche Gespür für Situationen wie sein Vater, und nicht nur das erinnerte schmerzlich an den Fürsten der Finsternis. Auch hatte er die selben tiefschwarzen Haare und die identischen roten Augen.

Azazel seufzte tief und rang mit dem Schmerz in seiner Brust. Elseas Flucht aus der Hölle hatte seinen besten Freund und ältesten Verbündeten gebrochen. Und doch hatte er sich nie getraut, Luzifer die Wahrheit zu sagen, wer der Vater von Elseas Tochter war. Wahrscheinlich würde er dieses Geheimnis mit ins Grab nehmen.

„Onkel? Bist du noch da oder schon im Nirvana?“

Der gefallene Engel musste sich beinahe dazu zwingen, sich aus seinen Gedanken zu reißen und den Jungen vor ihm zu beachten.

„Ich war kurz nicht bei der Sache. Sag mir Luzius, was gedenkst du noch zu tun?“

Der Höllensohn zuckte die Achseln, aber seine Augen schienen die Antwort wie ein  Leuchtfeuer hinaus zu schreien.

Er wollte auf die Erde, egal, was Asmodis oder er ihm gesagt hätten.

„Warum willst du nur so oft auf Erden wandeln?“

Die Frage interessierte Azazel wirklich.

„Ich habe ein Mädchen dort oben gesehen. Keine normale Sterbliche, sondern irgendwie anders. Ich kann es nicht erklären. Sie ist nicht wie die anderen und ich möchte sie nur ein bisschen beobachten.“

Für einen kurzen Moment wehten Luzifers Worte über Elsea durch seinen Geist

Sie ist keine normale Sterbliche Azazel. Sie ist mehr... ich weiß nicht warum , aber sie ist mehr, viel mehr.

„Bitte, Luzius, hänge dich nicht an dieses Mädchen. Beobachte sie ruhig, aber zeige dich ihr nicht und versuche nicht, sie dir zu eigen zu machen.“

Luzius nickte und drehte sich um, um seinen besten Freund und Werwolf aufzusuchen, damit beide ihren Ausflug beginnen konnten.

Aber Luzius Gedanken wehten für einen Moment zu ihm herüber.

Sie ist mein, Onkel. Diese Sterbliche ist das, wonach ich mich sehne und was ich nie bekomme. Sie ist meine Droge, von der ich nie genug bekomme und an der ich sterben werde.

Sie ist mein Schattenmädchen, und sie wird mir gehören und keiner stellt sich mir in den Weg. Nicht einmal du.

Ich weiß, was du getan hast. Sei auf der Hut Onkel, ich bin schon lange kein Welpe mehr.

 

 

„Aeneas!“

Der Werwolf hob den Kopf, als die Stimme seines besten Freundes an seine Ohren drang. Obwohl er nicht verwandelt war und seine Wolfsgestalt unter der menschlichen Haut verborgen lag, hörte er doch besser als jeder Sterbliche und manchmal sogar besser als der Höllensohn selbst.

„Luz, na, was steht an?“

Ein süffisantes Grinsen umspielte die schmalen Lippen seines Freundes, als er vor ihm stehen blieb und eine Augenbraue hochzog. Ein silbernes Piercing zierte sie. Auf einem der vielen Ausflüge in die Welt der Sterblichen hatte Luzius seine Leidenschaft für diese Art des Körperschmucks entdeckte. Seitdem suchte er nach Möglichkeiten, sich noch einmal einen Ring verpassen zu lassen, bevor Asmodis eingreifen konnte.

„Wir gehen auf die Erde.“

Aeneas schüttelte den Kopf. Er wusste von der Besessenheit Luzius für dieses sterbliche Mädchen. Beschweren tat er sich nicht, schließlich bescherte ihm dies einen fast täglichen Ausflug und manchmal sogar ein oder zwei Stunden in einem Tattoo und Piercing Studio.

Nachdenklich spielte er mit seinem Lippenpiercing und tat so, als würde er sich ernsthaft Gedanken machen.

Dann nickte er und grinste.

„Komm Luz, auf in die Schlacht!  Ich fiebre dem Treffen im Studio beinahe entgegen!“

Luz lachte und rannte hinter seinem Freund zum Höllentor.

„Ich glaube eher, du bist an dem Kerl interessiert und nicht an den anderen Sachen.“

Aeneas blieb stehen und drehte sich zu Luz um.

„Wieso nicht? Er sieht doch gut aus. Genau wie du.“

Mit einem diabolischen Grinsen zog er Luzius an sich und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Solche Späße entstanden zwischen den beiden häufiger. Aber Aeneas hatte Recht. Wieso sollte er nicht den Kerl aus dem Studio mögen? Luzius hatte nichts dagegen, schließlich blieb Aeneas ja er selbst.

Lachend schob Luzius seinen Freund von sich und sprang nach vorne.

„Ich will mein Schattenmädchen sehen. Lauf schon!“

Kopfschüttelnd hatte Azazel die Szene vom Hof aus verfolgt. Als er das erste Mal mitbekommen hatte, dass Aeneas Luzius küsste, hatte er den Verdacht gehabt, Luzius könnte sich nicht für Frauen interessieren. Doch nach einem zugegeben peinlichem Gespräch hatte sich die Sache aufgelöst.

Er hätte auch nichts gegen die andere Variante gehabt. Wenn er nun darüber nachdachte, wäre es ihm lieber, sein Verdacht wäre richtig gewesen, denn Luzius Schattenmädchen löste im Bauch des gefallenen Engels ein ungutes Gefühl aus.

3. Kapitel

In stummer Einigkeit trabten die beiden durch die beinahe menschenleere Gasse. Es war ungewöhnlich kalt und ihr Atem hing in kleinen Wolken vor ihren Mündern. Das Tattoo Studio, dass sie ansteuerten, lag auf halbem Weg in die Stadt.

Aeneas grinste von einem Ohr zum anderen, als er durch die Fensterscheibe den Jungen erblickte, auf den er wahrscheinlich nicht nur ein Auge geworfen hatte.

Luz schüttelte den Kopf, als sein bester Freund ihn wortwörtlich stehen ließ und in den Laden sprang. Für einen Moment überlegte er, zu gehen und den Werwolf alleine zu lassen. Aber es wäre unfair gegenüber Aeneas und außerdem war das seine einzige Chance, sich ein Tattoo auszusuchen, bevor Asmodis Wind davon bekam.

Zwar war der Stellvertreter des Teufels recht nachgiebig in vielen Dingen, aber gegen Piercings und Tattoos hatte er eine angeborene Abneigung, seit sie das erste Mal aufgetaucht waren.

Zitternd trat Luzius in den Laden und wandte sich sofort nach rechts. In einem überfüllten Ständer hingen die Kataloge mit Vorlagen. Luzius hatte sie sich schon oft angesehen, aber nie das Richtige gefunden.

„Ist nichts neues dabei, Luz.“

Er hob den Kopf und sag den weißhaarigen Tätowierer an. Daniel war bestimmt erst Anfang zwanzig und hatte seine Haare so hell gefärbt, dass sie weiß leuchteten. Jedes Mal, wenn er sprach, gab es ein metallisches Klirren, da seine Zunge mit Piercings beinahe überladen war.

„Schade“.

Die Türglocke gab ein klägliches Geräusch von sich und ein warmer Schauer rann Luzius Rücken hinab. Er hatte ihn schon oft gespürt, wenn sein Schattenmädchen an ihm vorbeiging. Normalerweise konnte sie ihn nicht sehen, aber jetzt, heute....

Seine Tarnung war nicht vorhanden und er war sich nicht sicher, ob sie ihn so sehen sollte.

Langsam drehte er den Kopf zur Seite und musterte sie genauer. Sie hatte ihre Haare zu einem strengen Pferdeschwanz zurückgenommen und trug einen ziemlich ausgeleierten Kapuzenpulli.

Die Farbe des Haars verschwand irgendwo zwischen dunkelbraun und schwarz, als könne es sich nicht für eine Farbe entscheiden.

„Lesley, schön dich zu sehen. Erlaubt dein Vater dir doch das Tattoo?“

Lesley, so hieß sie also. Wochenlang war er um sie herum geschlichen und hatte nie ihren Namen erfahren. Luzius musste ein unbewusstes Geräusch von sich gegeben haben, denn Aeneas hob den Kopf und sah ihn stirnrunzelnd an. Sein bester Freund ruckte leicht mit dem Kopf zu Lesley hin und Luz konnte sehen, wie seine Augen sich weiteten, als er Lesley erkannte.

Wie bei einem spannenden Tennismatch jagten die Augen des Werwolfs von Lesley zu Luz und wieder zurück. Dann gab er ein leises, aber hörbares „Oh!“ von sich.

Luzius nickte kaum merklich und zerrte irgendeinen Katalog aus dem Ständer, um wenigstens so zu tun, als wäre er beschäftigt. Währenddessen lauschte er dem Gespräch zwischen Daniel und seinem Schattenmädchen.

„Nein, aber ich wollte trotzdem mal gucken.“

„Okay. Irgendwann muss er ja nachgeben.“

Daniel wollte sich wieder Aeneas zuwenden, doch der war schon aufgesprungen und hatte einen Zettel auf den Tisch gelegt. So schnell wie eben möglich ging er zu Luz und zog ihn mit. Unachtsam ließ der Höllensohn den Katalog auf den Sitz fallen und trat vor die Tür. Bevor er sich entgültig zum Gehen durchrang, warf er noch einen Blick zurück. Seine Blick wurde von zwei hellblauen Augen gefesselt, die wie kleine Edelsteine glänzten.

Sein Herz setzte für einen Moment aus und eine unnatürliche Hitze machte sich in seinem Magen breit.

Doch so wollte er sie nicht kennen lernen. So sollte sie ihn nicht sehen. Ohne nachzudenken schickte er einen Befehl aus, dem jeder Sterbliche Folge leisten musste.

Du hast mich nicht gesehen Schattenmädchen. Vergiss mich. Aber keine Sorge, ich werde zurück kommen, mein Liebling. Du gehörst zu mir....

4.Kapitel

Luzius drehte das Messer zwischen seinen Fingern. Aeneas musterte seinen besten Freund verwirrt und ließ sein Schwert sinken. Seit der Höllensohn sein Schattenmädchen aus nächster Nähe gesehen hatte, war er nicht mehr er selbst.

Tief in Gedanken versunken waren die roten Augen in die Ferne gerichtet.

Seufzend ließ Aeneas das Schwert zu Boden fallen und ging auf Luz zu.

Sanft legte er einen Arm um dessen Hüfte und küsste ihn zärtlich auf den Mundwinkel.

Luzius wandte den Kopf und sah mit seltsam abwesendem Blick in die Augen des Werwolfes.

Mit einem hörbaren Seufzen stieß er die Luft aus und lehnte seine Stirn an Aeneas.

„Ich kann nur noch an sie denken. An ihre Haare, an ihre Augen...“

„Luzius?“

Die Stimme ließ ihm heiß und kalt werden.  Sein Blick hob sich und traf auf einen Mann, bei dessen Anblick jeder Sterbliche dem Wahnsinn verfallen wäre.

Er war groß, die zwei Meter Marke hatte er spielend hinter sich gelassen. Schneeweiße Haut spannte sich über hervorstehenden Knochen.

Jede Rippe trat deutlich hervor und kleine Kuhlen bildeten sich zwischen den Bögen.

Feine rote Narben überzogen den gesamten Oberkörper und verschwanden in einer tief sitzenden Hose.

Tiefschwarze Flügel waren ordentlich auf dem Rücken gefaltet und raschelten leise in der kalten Brise, die plötzlich aufkam.

Luzius Blick wanderte höher, zum Gesicht des Mannes.

Es war scharf geschnitten. Hohe Wangenknochen unterstrichen diesen Eindruck noch.

Unter dichten Wimpern glühten rote Augen hervor, die einem die Seele rauben zu wollen schienen. In ihnen schien ein eigentümliches Feuer zu brennen. Haare in der Farbe eines Rabenflügels fielen ihm strähnig bis auf die Hüften und verdeckten teilweise sein Gesicht.

„Vater?“ Das Wort kam nur schwer über Luzius Lippen.

Der Fürst der Finsternis nickte kaum merklich. So etwas wie Angst lag in seinem Blick, als fürchtete er sich davor, seinen Sohn zu treffen.

Gespanntes Schweigen herrschte. In der Ferne heulte ein Wolf und Aeneas zuckte wie ein Pferd in der Startbox.

„Das war mein Vater. Ich muss weg.“

Er drückte Luzius kurz an sich, machte eine tiefe Verbeugung vor Luzifer und sprintete davon.

Alleine stand der Höllensohn nun seinem Vater gegenüber und musterte ihn scheu. Er kannte ihn nicht und war sich nicht sicher, ob er ihn auch wirklich kennen lernen wollte.

Luzifer hob die Hand und legte seine Fingerspitzen auf den Oberarm seines Sohnes.

„Ich habe dich oft mit dem Werwolf trainieren sehen. Ihr seid gute Freunde, nicht?“

Mit zusammengepressten Lippen nickte Luz.

Langsam glitten die Fingerspitzen des Engels seinen Arm hinab, bis sie über sein Handgelenk streiften und wieder leblos neben ihrem Besitzer hingen.

„Ich... Luzius, ich hatte nie vor...“

Der Höllenfürst schloss die Augen und rang um Fassung. Eine einzelne blutige Träne lief über seine Wange und hinterließ eine dunkelrote Spur in dem makellosem weiß.

„Lass mich erklären.“ Von einem Moment auf den anderen war seine Stimme heiser und klang gebrochen.

„Gut.“ Luzius klang abweisend. Er wusste nicht, was er vom Verhalten seines Erzeugers halten sollte.

„Als du geboren wurdest, war da noch jemand, den ich sehr, sehr geliebt habe. Sie war mein Leben, aber da gab es eine Prophezeiung und du musstest geboren werde. Eigentlich durch sie, aber Petrus hat dafür gesorgt, dass sie fehlerhaft wurde, sie konnte nicht deine Mutter werden. Und alle haben mich bedrängt, wegen dir und was geschehen sollte und eines Abends habe ich dem Drängen nachgegeben und mir eine andere Frau genommen. Und sie... sie hat es nicht verstanden. Und dann warst du da, und deine Mutter ist gestorben und Elsea... sie war schwanger, aber nicht von mir... ich weiß nicht, wer... ich habe nie...

Sie bekam eine Tochter und eines morgens war sie weg....“

Seine Stimme brach und er wandte für einen Moment den Kopf ab.  Blut färbte sein Gesicht rot und ein Zittern überlief seine Haut.

Plötzlich packte er die Schultern seines Sohnes und sah ihn flehend an.

„Sag mir, kannst du Auren lesen?“

Überrascht blinzelte Luzius. Er hatte die Fähigkeit zwar von seinem Vater geerbt, setzte sie aber nur selten ein. Er hatte Angst vor dem, was er sehen könnte.

Trotzdem nickte er mit zusammengekniffenen Lippen und misstrauischem Blick.

„Lies meine. Ich will wissen, was du siehst.“

Luzius wich einen Schritt zurück. Einerseits hatte er das Verlangen, die Aura seines Vater zu lesen, aber andererseits war es ihm zuwider, ihm so nahe zu treten.

„Nein.“ Seine Stimme klang kläglich und schwach.

„Bitte. Sag mir einfach was du siehst, Gweledydd.“

Luzius kannte das Wort nicht, dass sein Vater für ihn benutzte, aber so etwas wie ein Erkennen stieg in ihm auf.

Mit einem tiefen Seufzen ergab er sich und setzte das frei, was man in der Sprache der Höllenkreaturen Draíocht nennt, im Munde der Sterblichen Magie.

Sein Sichtfeld verschob sich und langsam nahm die Aura um seinen Vater herum Gestalt an.

Schwarzer Rauch umgab den Höllenfürsten und strich sanft über seine Haut hinweg. Hier und da leckten orange Flammen an dem Rauch hinauf und blutrote Flecken wurden sichtbar.

Das Blut seiner Opfer. Der Gedanke kam Luzius plötzlich. Kopfschüttelnd vertrieb er ihn und konzentrierte sich weiter.

Etwas schwaches, goldenes blitzte unter dem Schwarz hervor, wie etwas längst vergessenes.

Und dann tauchte etwas auf, dass ihm fast den Atem raubte. Ein Band aus silbernem Mondlicht, dass von der Aura seines Vaters in die Ferne führte.

„Was siehst du?“

Die Reaktion seines Sohnes war Luzifer keineswegs verborgen geblieben.

„Ein Band aus... Mondlicht.“ Besser konnte Luzius es nicht beschreiben. Seine Vater nickte, griff mit zitternden Händen nach der Hand seines Sohnes und legte sie auf seine Brust.

„Verbrenn ihn. Vernichte ihn mit Höllenfeuer. Er ist die Einzige Verbindung zu Elsea, also bitte, verbrenn ihn.“

„Nein!“

Eisiger Schreck fuhr durch die Adern des Höllensohns, als er die Hand zurückriss und mit vor Entsetzten geweiteten Augen zu seinem Erzeuger aufsah. Die Verbindung zweier Auren gewaltsam zu trennen, war lebensgefährlich. Für beide Seiten.

„Bitte! Ich kann nicht mehr mit diesem Schmerz leben. Es muss aufhören! Verbrenn ihn und sorge dafür, dass alles aufhört! Bitte, ich flehe dich an!“

Schluchzend fiel Luzifer vor seinem Sohn auf die Knie. Luzius Herz raste wild, er wusste nicht, was er tun sollte. Wenn er auf die Bitte seines Vaters einging, könnte er ihn oder Elsea womöglich töten. Oder beide.

Weinend flehte der gefallene Engel noch immer um die Trennung der Verbindung. Blut benetzte den Boden und Luzius Herz krampfte sich zusammen.

„Gut, aber ich tue es nicht gerne. Ich will es eigentlich nicht tun. Wir... machen einen Deal. Nenn mir einen guten Grund dafür.“

Luzifer hob den Kopf. Seine Augen schienen Flammen zu schlagen und Luzius spürte, wie jemand mit spielender Leichtigkeit die Schutzmauer um seinen Geist wegfegte.

Ein brennender Schmerz schoss durch seine Adern und mit einem verzweifelten Aufschrei fiel er auf die Knie. Glühende Schwerter schienen sich in ihn hinein zu bohren und zerrissen sein Innerstes.

Blutige Tränen rannen über Luzius Gesicht und er schrie verzweifelt weiter, wollte, dass der Schmerz aufhörte. Kurz bevor er glaubte, sterben zu müssen, zog sich der Verursacher der Schmerzen aus seinem Geist zurück. Schluchzend und zitternd blieb er am Boden knien und hob langsam seinen Blick.

„Verstehst du jetzt? War das dir Grund genug?“

Luzius nickte und kam taumelnd auf die Füße.

Wieder nahm Luzifer seine Hand und legte sie auf seine Brust.

Zögernd setzte Lucius wieder seine Draíocht frei und konzentrierte sich auf dieses Band aus Mondlicht.

Höllenfeuer leckte über seine Haut, auf der Suche nach Nahrung und fand ihr Ziel. Fauchend setzte sich der Silberstreifen in Brand. Plötzlich fuhr ein stechend Schmerz durch Luzius Arm und die Magie verblasste.

Erschrocken zog er die Hand zurück und musste mitansehen, wie sein Vater sich nach vorne beugte und anfing zu schreien.

Laute wie die eines Tieres drangen aus seinem Mund und schmerzten in Luzius Ohren.

Bestürzt von dem, was er getan hatte, wollte er zu seinem Vater hin, den Schmerz lindern, doch eine starke Hand packte ihn am Oberarm. Es war Aeneas Vater, der mit vor Angst verzerrtem Gesicht seinen Herrn anstarrte. Seine Lippen formte Worte, aber Luzius konnte ihn nicht verstehen, die Schreie überlagerten jedes andere Geräusch.

Neben seinem Vater stand Aeneas und hielt sich die Ohren zu. Ein kleines Blutrinnsal lief zwischen seinen Fingern hindurch.

Unsanft zerrte der Werwolf seinen Sohn und Luzius mit sich. Ohne ein verständliches Wort wies er auf das Höllentor.

Luzius aber hatte nur Augen für seinen Vater, wie er da am Boden lag und verzweifelt schrie.

Ein heftiger Schlag ins Gesicht ließ ihn nach hinten taumeln und er fiel durchs Höllentor direkt zurück auf die Erde.

 

5.Kapitel

Stöhnend betastete Luzius seine blutende Nase und drehte sich auf den Bauch. Über sich hörte er den Lärm des täglichen Straßenverkehrs. Die Schreie waren verstummt, für ihn nicht mehr hörbar.

Aeneas kniete neben ihm und wischte sich das Blut vom Gesicht. Noch immer blutete sein Ohr.

„Alles in Ordnung?“

Die Frage war eher dazu gedacht, sein klopfendes Herz zu beruhigen, als sich wirklich nach dem Befinden des Werwolfes zu erkundigen.

„Ja, ja. Aber was in deines Vaters Namen hast du mit ihm gemacht?!“

„Er hat drum gebeten!“ Sofort verteidigte Luzius seine Tat und kam auf die Beine.

Aeneas schenkte ihm einen Blick, der deutlich sagte, dass er seinen Worten keinen Glauben schenkte.

„Schoßhund!“, fauchte Luzius in einem plötzlichen Anfall von Wut und rannte die Treppe der alten U- Bahn Station hinauf. Zitternd mischte er sich in die Menge und verfluchte im Stillen den Werwolf. Welches Recht hatte er, seine Worte anzuzweifeln?

Der metallische Geschmack von Wut lag auf seiner Zunge und knurrend warf er den Kopf zurück. Einige Passanten sahen ihn erschrocken an und schlugen einen Bogen um ihn.

„Ruhig Gweledydd, sonst verrätst du dich noch.“

Luzius zuckte zusammen und drehte den Kopf.

Der Mann, der neben ihm herlief, reichte ihm gerade mal bis ans Kinn. Sein Naturhaar musste schwarz sein, aber damit hatte der Träger sich nicht zufrieden gegeben. Das Deckhaar war rot gefärbt worden und blonde Strähnen blitzten unter dem Ganzen auf.

Die Augen, die Luzius musterten waren rot wie seine, die Pupillen recht klein und von einem weißen Ring umgeben.

„Ich bin Breac. Und ich bin ein Gweledydd, genau wie du.“

Luzius presste die Lippen zusammen und funkelte Breac an.

„Könnte jemand vielleicht die Güte haben, mir zu verraten, was das sein soll? Oder ist das wieder etwas, was mein Vater mir nicht beigebracht hat, weil ich ihm egal bin?“

Breac warf seinem Gegenüber einen verwirrten Blick zu.

„Über deine Familienverhältnisse weiß ich nichts, aber ich weiß, was ein Gweledydd ist. Ein Seelenseher, wie es manche Krieger der Kelten waren und immer noch sind. Menschen mit der Begabung, die Seelen, das Innerste selbst von jemandem zu sehen. In Form von Farben versteht sich.

Im Kampf unendlich nützlich, aber so, heute ist es eher lästig. Denn wo bleibt die Überraschung in diesem trostlosen Dasein? Du hast Interesse an einem Mädchen, und kaum erblickst du sie, weißt du, wie ihre Vergangenheit aussieht und ob sie an dir interessiert ist. Es ist wahrlich nicht schön.“

Luzius zog die Schultern hoch und wandte den Blick ab.

„Ich nutze meine Gabe nicht.“

Das Flüstern war so leise, dass sein Gegenüber die Worte fast überhört hatte.

„Bitte? Es ist deine Gabe! Du musst sie nutzen! Es ist deine Bestimmung!“

Breac blieb stehen und packte Luzius an den Schultern. Die Sterblichen um sie herum blieben stehen und sahen die beiden mit Neugierde im Blick an.

„Ich will nicht. Lass mich damit in Ruhe. Ich will nicht im privaten Leben der Sterblichen rumwühlen.“

Ungeduldig schnalzte Breac mit der Zunge und zog die dunklen Augenbrauen zusammen.

In seinen Augen lag beinahe das gleiche Glühen wie das in Luzifers.

„Es ist nickt wirklich rumwühlen. Nennen wir es aufmerksames beobachten.“

Das entlockte dem Höllensohn nun doch ein Lächeln.

„Gut. Aber was hast du vor, und warum redest du mit mir?“

„Weil mir langweilig war und ich nichts besseres zu tun habe. Nein, ich bin ein Späher. Ich halte Ausschau nach den Gweledydds und sammle sie ein. Und du bist einer, also habe ich dich eingesammelt.“

Breac zog eine dünne Pergamentrolle hervor und hielt sie Luzius hin. Vorsichtig rollte dieser sie auf und blickte auf die schwarzen Buchstaben. Es war Irisch, und er las die Sprache fließend wie seine Muttersprache.

„Ihr wollt, dass ich mir euch komme. Nach Irland. Und da soll ich mit euch kämpfen?“

Breac nickte und grinste von einem Ohr zum anderen.

„Wir brauchen dich. Wir werden immer weniger. Und die Engel...“

„Moment! Engel?“

Breac zuckte vor dem plötzlichen Ausbruch Luzius zurück und musterte ihn misstrauisch.

„Ja, Engel. Sie bedrängen uns. Wir müssen uns wehren. Hilf uns!“

Luzius kaute nervös auf seiner Unterlippe und blickte die Straße hinauf.

Ungern wollte er alles zurücklassen und gegen die Engel vorgehen. Aber was erwartete ihn schon in der Hölle? Ein leidender Vater, ein beleidigter Werwolf. Da war das Angebot Breacs viel verlockender.

„Gut. Ich komme mit. Wann brechen wir auf?“

„Sofort.“

 

 Aeneas wusste nicht, was in seinen Freund gefahren war. Kopfschüttelnd stieg er die Stufen zur Hauptstraße hinauf. Luzius hatte schon immer unter Stimmungsschwankungen gelitten, aber nie so stark, dass er seinen besten Freund als Schoßhund beschimpfte.

Sterbliche drängten sich in den Straßen und stießen mit dem Werwolf zusammen. Von Luzius war keine Spur zu sehen.

Unbemerkt zog Aeneas etwas von seinem wölfischen Inneren an die Oberfläche und versuchte, die Spur seines Freundes aufzunehmen. Autoabgase, der Geruch nach verbranntem Essen und Parfum stiegen in seine Nase. Aeneas verzog das Gesicht und schnaubte. Mussten Sterbliche sich dieses Zeugs überkippen oder gleich darin baden? Schöner wäre doch ein dezenter Duft, der nicht gleich in der Nase brannte.

Ein leiser Hauch wehte zu dem Werwolf herüber und er wandte den Kopf.  Der Duft war dunkel, nicht aufdringlich und ihm so bekannt wie sein eigener.

Mit erhobener Nase folgte er der Duftspur und ignorierte die Blicke der Passanten.

Plötzlich war noch ein anderer Geruch da, der ihm fast das Herz in der Brust stehen bleiben ließ.

„Breac.“ Er knurrte den Namen und blickte sich gehetzt um. Luzius würde doch niemals auf den Dunkelelfen hereinfallen. Viele Seelenseher waren diesem Betrüger schon zum Opfer gefallen. Panisch rannte der Werwolf los. In menschlicher Gestalt hätte er nie eine Chance. Unbemerkt schlüpfte er in eine der unzähligen Seitengassen und löste seine menschliche Fassade.

Haut wich dichtem schwarzen Fell, die Augen wechselten von orange zu rot und ein lautes Knurren erklang, als Aeneas auf vier Pfoten fiel.

Pfeifend sog er die Luft ein und sprang aus der Gasse hinaus. Verschreckt schrieen die Menschen durcheinander, als ein riesiger schwarzer Wolf aus dem Schatten sprang und über den Bürgersteig hetzte.

Die Krallen gaben ein kratzendes Geräusch von sich, als sie auf den Asphalt trafen.

Es war für Aeneas eine Freude, so zu laufen. Der Wind im Fell und die Augen auf das Ziel gerichtet. Doch nun war der Lauf von der Angst um seinen besten Freund bestimmt. Denn nicht nur Freundschaft war es, was Aeneas an seinen Freund band.  Seit er ihn zum ersten Mal gesehen hatte, schien sein Herz nur noch für ihn zu schlagen. Auch wenn er wusste, dass Luzius nur für sein Schattenmädchen schwärmte und nicht einmal mitbekam, was mit seinem besten Freund los war.

Schlitternd rannte er um die nächste Ecke und kam auf den verlassenen Bahnhof, von dem er wusste, dass Breac ihn als Versteck nutzte. Und da stand er, die gefärbten Haare leuchteten in der Sonne und sein überhebliches Lachen hörte man weit über den Platz hinweg. Ohne zu denken, nur seinem Instinkt folgend, sprang Aeneas den Dunkelelfen an.

Kurz bevor seine Krallen sich in seine Schultern graben und blitzende Zähne dem elendigen Leben ein Ende setzen konnten, traf etwas hartes seinen Kopf und schleuderte ihn zu Boden. Jaulend rollte er sich herum und kauerte sich zusammen. Der trübe Blick des Werwolfes suchte nach dem Angreifer und traf auf die vertrauten roten Augen Luzius.

Etwas schien das Herz des Werwolfes zu zerreißen. Sein bester Freund griff ihn an. Ein leises Winseln drang aus dem Maul des Wolfes.

„Siehst du meinen neuen Helfer, Aeneas? Er ist ein guter Fang. Und so talentiert im Kämpfen!“

Der Dunkelelf warf den Kopf zurück und lachte.

„Um mich zu besiegen, musst du an ihm hier vorbei. Und du weißt, was das heißt.“

Aeneas war klar, dass er Breac töten musste, um Luzius von dem Bann zu befreien. Doch sein Freund sah nicht aus, als würde er das zulassen.

Der Höllensohn hielt einen langen Stab in der Hand, seine Muskeln angespannt.

Wachsam huschte sein Blick über den verlassenen Bahnhof.

Verzweiflung breitete sich in Aeneas aus, als er sich aufrappelte und zwischen Luzius und Breac hin und her blickte.

Es blieb ihm nur eine Möglichkeit: er musste Luzius ausschalten und Breac umbringen. Der Werwolf konnte nur hoffen, dass Luzius sich lange genug an das Leben klammer würde, bis Aeneas ihm zur Hilfe eilen konnte.

Mit gefletschten Zähnen sprang Aeneas auf seinen langjährigen Gefährten zu. Geschickt duckte er sich unter dem heranfliegenden Holz weg und schnappte nach Luzius Arm. Doch sie hatten nicht umsonst so lange miteinander trainiert. Jeder kannte die Schwäche des Anderen.

Aeneas beschwor einen Teil seiner menschlichen Fassade herauf und knurrte: „Warum kehrst du nicht zurück? Zu deinem Vater und mir?“

Luzius antwortete mit einem wilden Kampfschrei und schwang den Stock hoch über seinen Kopf. Die Erde unter den Pfoten des Werwolfs vibrierte, als das Holz knapp neben ihm aufschlug.

„Was ist mit Azazel und Asmodis?“

Auch diese beiden interessierten Luzius nicht genug, um gegen den Bann anzukämpfen. Diesmal streifte die Waffe Aeneas Hinterhand und er jaulte auf.

„Lesley!“

Es war ein Wort, dass er vor Verzweiflung ausstieß. Luzius erstarrte, den Stock zu einem weiteren Schlag erhoben. In seinen Augen spiegelte sich Verwirrung, und Aeneas nutzte seine Chance.

Tief grub er die Pfoten in die Erde und sprang auf den Höllensohn zu. Seine Pfoten legten sich auf seine Schulter und Zähne drangen in die verletzliche Haut des Halses ein.

Stöhnend brach Luzius zusammen. Blut lief aus der tiefen Wunde und bedeckte schnell den Boden. Mit einem tiefen Knurren in der Kehle wand der Werwolf sich zu Breac um, Wahnsinn in den Augen.

„Und nun zu dir.“

6.Kapitel

Breac wich vor dem riesenhaften Wolf zurück. Er hatte nichterwartet, dass dieser wirklich seinen besten Freund angriff. Seinen Gedanken zum Trotz lag Luzius am Boden und kämpfte verzweifelt um sein Leben.

Mit einer nur zu erahnenden Bewegung packte der Dunkelelf den Stock, der Luzius eben noch als Waffe gedient hatte und hielt ihn dem Werwolf entgegen.

Aeneas knurrte. Er hatte alles verloren, was ihm zu einem der gefürchtesten Kämpfer machte. Ein Mann, der alles verloren hatte, kämpfte ohne Rücksicht auf Verluste.

Ohne ein sichtbares Warnsignal sprang der Werwolf nach vorne. In einer instinktiven Bewegung riss Breac den Stock vor sein Gesicht. Die blutbefleckten Zähne bohrten sich in das dunkle Holz.

Der Dunkelelf spürte die Spannung, die auf dem Holz lag. Der Stab zitterte in seiner Hand und beide Gegner sahen das Unvermeidliche näher kommen. Mit lautem Splittern ergab sich das Holz den Zähnen des Wolfes und brach entzwei.

Breac wich zurück. Angst ließ sein Herz höher schlagen.

Aeneas knurrte erneut. Unendliche Schmerzen tobten in seinem Geist und er wünschte sich nicht sehnlicher, als Breac zu töten, und das möglichst qualvoll.

Wütend schnappte er nach dessen Arm und erwischte ihn. Schreiend brach der Dunkelelf zusammen. Blut lief aus Aeneas Maul, als er den Kopf drehte und den Betrüger zwang, sich auf den Boden zu legen. Knackend brachen die Knochen und der Dunkelelf schrie noch mehr. In der Ferne heulte eine Sirene auf. Nicht mehr lange und die Polizei würde auftauchen. Der Werwolf musste dem Kampf ein Ende setzen. Schnell wie eine zustoßende Schlange ruckte der Kopf nach vorne. Ein letztes Zittern lief durch den Körper des Dunkelelfen.

Plötzlich ekelte sich Aeneas vor seiner eigenen Tat.

Kopfschüttelnd wich er zurück und zog seine menschliche Fassade wieder hervor. Immer noch auf allen Vieren kroch er zu seinem besten Freund und beugte sich über den Verletzten.

Der Schatten des Todes lag bereits über dessen Gesicht und es grenzte an einem Wunder, dass er dem verlockenden Abgrund noch nicht nachgegeben hat.

„Du musst hier weg, alter Junge. Wenn die Sterblichen hier auftauchen, stirbst du erst recht.“

Zögernd packte er den Sterbenden an den Armen und zog ihn mit sich. Sie hinterließen eine breite Blutspur und Aeneas wandte den Trick an, der ihm vom Höllensohn gezeigt worden war. Schatten legten sich um ihre Haut und verbargen sie vor neugierigen Blicken. Nur das Blut verdeckten sie nicht. Weißer Nebel schien den Kopf des Werwolfes auszufüllen, denn er sah kaum, was vor ihm lag und stolperte durch die Straßen, Luzius auf seinen Armen.

Er wollte nicht zu spät sein, durfte nicht zu spät sein. Er musste zurück in die Hölle, bevor Luzius seinen letzten Atemzug tat und Aeneas ihn für immer verlor.

 

Azazel beugte sich über Luzifer und sah den Fürsten der Finsternis mit einer Mischung aus Wut, Trauer und Unverständnis in den Augen an.

„Du bist verrückt Luzifer. Du hättest tot sein können.“

Der Höllenfürst blinzelte und lächelte seinen ältesten Freund an.

„Aber ich bin es nicht. Und wenn ich gestorben wäre, würde es auch keinem etwas ausmachen. Schließlich bin ich doch sowieso nur in meinem Kerker. Und ich habe einen Sohn, der sich um alles kümmern kann.“

Der gefallene Egel holte tief Luft, um in einer weitschweifenden Rede Azazel von dem Thema abzubringen. Ein durchdringender Blutgeruch stieg ihm in die Nase und er richtete sich auf.

„Riechst du das, Azazel?“

Verwirrt schnupperte Luzifer in der Luft und versuchte herauszufinden, von wo der Geruch kam.

„Der Blutgeruch?“

„Nein, der Duft nach Blumen. Sicher der Blutgeruch!“, erwiderte er bissig und bedachte Azazel mit einem Blick, der deutlich sagte, dass er ihn nicht für die hellste Kerze im Kronleuchter hielt.

Plötzlich schwang die Tür auf und im Rahmen stand der blutüberströmte Aeneas, in seinen Arm ein lebloses, blutendes Bündel.

„Was zum...?“

Bevor Azazel überhaupt registrierte, was da vor ihm stand, hatte Luzifer die Situation schon überblickt. Wie ein unheilbringender Schatten sprang er auf Aeneas zu und riss ihm Luzius aus den Armen.

Der Kopf seines Sohnes hing herab und baumelte wie der einer Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte.

Luzifer sah die tiefe Bisswunde im Hals des Opfers und seine Augen glühten vor Wut und Hass.

„Bring die ganze Sippschaft von ihm zusammen. Stell sie auf den großen Platz und sieh zu, dass keiner mehr entkommt. Ich werde nachkommen. Und hol den Scharfrichter.“

Luzifers Stimme war eiskalt und klang wie die eines Toten. Azazel zuckte zusammen und blickte Aeneas an. Er kannte den Jungen, seit dieser ein Kind war. Und wenn Luzifer den Scharfrichter rufen ließ, stand eine Hinrichtung bevor.

„Sofort.“

Das Flüstern hätte selbst einem Felsen Angst eingejagt und Azazel ließ es auch nicht unberührt. Er packte Aeneas am Arm und zog ihn nach draußen, während Luzifer mit seinem Sohn zurückblieb.

Die ruhige Maske, die Luzifer trug, war nur Fassade. Darunter tobten Panik, Angst und Hass.

Panik, dass es zu spät für Luzius war.

Angst, dass dieser sterben könnte, ohne dass Luzifer jemals mehr über ihn erfahren hatte.

Hass, dass dieser Werwolf seinen Sohn so zugerichtet hatte.

Sanft legte er seinen Sohn auf das Bett, in dem er selbst eben noch gelegen hatte.

Luzius Atem ging schwach, der Tod hielt ihn bereits in seinen eisigen Klauen.

„Alles wird gut, Luzius. Du wirst leben und ich werde diesen Werwolf hinrichten lassen, und seine gesamte Sippe gleich mit.“

„Nicht....“

Das Wort war so leise wie ein Atemhauch und Luzifer musste sich anstrengen, um die Worte seines Sohnes zu verstehen.

„Nicht Aeneas. Hat mich.... gerettet. Lass ihn leben. Bitte.“

Mechanisch strich der Höllenfürst über das Haar seines Sohnes. Er sah die stumme Bitte in dessen Augen. Vielleicht sollte er seine Bitte ausschlagen, schließlich stand für ihn fest, wer Schuld war. Doch für einen kurzen Moment sah er wieder Elsea vor sich, wie sie ihn mit dem gleichen bittenden Blick anschaute. Damals hatte er die einfache Bitte ausgeschlagen und gebracht hatte es ihm Leid und Zerstörung.

Mit einem ergebenen Seufzen beugte er sich über seinen Sohn und hauchte ihm einen Kuss auf die Stirn.

„Ist gut mein Junge. Ich gebe mein Bestes, dir zu helfen, aber wenn es nicht geht...“

Luzius nickte und zog seine Mundwinkel im Versuch eines Lächelns nach oben.

Tränen liefen über Luzifers Gesicht, als er sich über den Hals seines Sohnes beugte und etwas versuchte, was hoffnungslos war.

 

 

 

7. Kapitel

Zitternd stand Aeneas neben seinen Vater auf dem großen Platz.

Er befand sich in der Mitte des riesigen Burghofs und war der Ort, an dem die Hinrichtungen vollzogen wurden. Der Scharfrichter hatte sich ebenfalls eingefunden und stand neben Azazel, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Der Werwolf hatte Angst. Angst um sein Leben und Angst um seinen besten Freund.

Und dann kam Luzifer aus seinem Schloss, die tiefschwarzen Flügel leicht ausgebreitet, was ihn noch bedrohlicher erscheinen ließ. Er verschwendete keinen Blick an die Werwölfe und wandte sich sofort an den Scharfrichter.

„Geh! Es gibt hier nichts zu tun! Das Unrecht wurde aufgeklärt! Na los!“ Er machte eine scheuchende Handbewegung und der Scharfrichter sowie die Schaulustigen zerstreuten sich. Luzifer bedeutete Azazel, ins Schloss zu gehen und warf Aeneas einen kurzen Seitenblick zu.

Doch dieser kurze Blick reichte aus, um ihn die schreckliche Wahrheit erkennen zu lassen. Er spürte kaum, wie sein Vater ihn packte und mit sich zog. Seine Gedanken waren nur bei Luzius, wie er im Schloss lag und dem Tod erlegen war. Ich habe ihn umgebracht. Ich habe den Mann, den ich liebe umgebracht. Der Gedanke beherrschte ihn, ließ ihn nicht mehr los. Verzweifelt riss er sich los und stürmte zum Schloss, in den Raum wo er ihn alleine gelassen hatte. Er roch das Blut, sah das Bett und die reglose Gestalt.

„Nein!“

Der Schrei kam aus den Tiefen seines Herzens und er wollte auf das Bett zustürmen. Zwei starke Arme legten sich um seine Mitte und hielten ihn fest.

„Lasst mich zu ihm!“ Weinend schlug der Werwolf um sich, wollte nur nach vorne. Doch Luzifers Arme waren wie Schraubstöcke und hielten ihn fest. Aeneas sah in die blicklosen Augen Luzius und spürte, wie sein Herz in unendlich kleine Stücke brach. Azazel sah den Werwolf bedauernd an und zog die weiße Decke über den Leichnamen. Hellrote Flecken erschienen an der Stelle, an der die Wunde sein musste. Zitternd sackte er in Luzifers Armen zusammen. Der Engel legte seine Flügel um ihn und umhüllte sie beide

. „Bring Luzius weg, Azazel. Wir werden ihn später... beisetzen.“

Azazel nickte. Er konnte den Schmerz seines Freundes beinahe fühlen. Den Tränen nahe nahm er Luzius auf seine Arme und trug ihn nach draußen. Beruhigend strich Luzifer über Aeneas Kopf, wie er es zuvor bei seinem Sohn gemacht hatte.

„Ist gut, Junge. Ist gut. Ich weiß, es tut weh. Du hast ihn geliebt, nicht?“

Schluchzend nickte Aeneas und vergrub das Gesicht an Luzifers Brust. In diesem Moment war es ihm egal, dass sein Vater ihn wegen seines Ungehorsams schlagen würde oder das er sich bei dem Fürsten der Finsternis ausweinte. Alles was zählte, war der Schmerz in seiner Brust. Etwas berührte seinen Geist, strich an ihm entlang wie eine stumme Frage.

Widerstandslos ließ er zu, dass Luzifer seinen Geist um ihn legte. Er ließ dem Schmerz freien Lauf und spürte, wie Luzifer zitterte, als er den Schmerz des Jungen aufnahm. Stundenlang saßen die beiden so da, bis Aeneas keine Tränen zum Weinen mehr hatte und der Schmerz aus ihm gewichen war.

Schniefend blickte er zu Luzifer auf und sah die tiefen Schatten unter seinen Augen. Das Lächeln misslang dem Höllenfürsten gründlich.

„Geh Kleiner. Dein Vater wartet schon. Ich rufe dich, wenn... wenn mein Sohn beerdigt wird.“

Der Werwolf nickte und erhob sich schwankend. Raschelnd glitten Luzifers Flügel zurück und er sah dem Werwolf mit einem Ausdruck unendlichen Leids im Gesicht hinterher.

 

Ein seltener Wind fegte über das ausgetrocknete Land hinweg, auf dem die kleine Gruppe versammelt stand. Luzius Leichnamen war in einen dunklen Holzsarg gelegt worden. Der Deckel war vernagelt, sodass keiner einen Blick hinein werfen konnte. Das Grab war tief, vier Meter oder mehr. Es gab keine großen Abschiedsworte, keine große Rede. Jeder ging nach vorne, kniete kurz neben dem Sarg nieder und flüsterte ein paar Worte. Mit ausdruckslosem Gesicht trat Aeneas vor, kniete nieder und flüsterte ein paar Worte.

Luzifer betrachtete die Szene aus dem Augenwinkel und fragte sich, ob es richtig gewesen war, dem Jungen der Schmerz zu nehmen. Seitdem empfing er kein Gefühl mehr von dem Jungen, nur eine stumpfe Leere.

„He.“

Verwirrt drehte Luzifer den Kopf und blickte den Dämonen an, der ihm Schatten einer toten Eiche stand. Er hatte lange, schwarze Haare, die im leichten Licht einen violetten Stich hatten. Zwei verschiedenfarbige Augen musterten den gefallen Engel kritisch, aber nicht ängstlich.

„Was ist? Wer bist du?“

Der Dämon blickte mit einem seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht zu dem Sarg hin.

„Nun, du wirst mir nicht glauben. Aber hast du schon jemals davon gehört, dass es Seelenwanderer gibt?“ Luzifer nickte. Hatte man einen Seelenwanderer zum Feind, war mein sein ganzes Leben lang beschäftigt. Starb ein solcher Wanderer, schlüpfte seine Seele einfach aus seinem sterbenden Körper und nistete sich woanders ein, und vertrieb die Seele, die den Körper vorher bewohnte.

„Man kann sie leicht mit Seelenseher verwechseln, da sie auch Auren sehen können.“

Die Stimme des Dämons war zu einem Flüstern geworden und er lehnte sich haltsuchend an den Baumstamm.

„Aber sie sind es nicht. Sie sind schlechter, können sie doch nicht wählen in welchen Körper sie schlüpfen.“ Der Dämon schloss die Augen und Luzifer betrachtete ihn eingehend. Etwas an seiner Art kam ihm bekannt vor.

„Luzifer, dass hier ist grausam. Du hast mich für einen Seelenseher gehalten, aber in Wahrheit bin ich eines der Monster, die Seelen zerstören. Und du, du musst es mir vererbt haben. Bist du auch einer? Ein Wanderer?“ Zischend zog Luzifer die Luft ein. Freude mischte sich mit Unglaube, als er den Dämon ansah und seinen Sohn erkannte.

„Luzius. Du bist ein Wanderer?“ Er nickte und sah seinen Vater wieder an. Luzifer war von den zwei Farben verwirrt. Das linke Auge war schokoladenbraun und strahlte eine Wärme und Güte aus, die man sich bei einem Gott wünschte. Das rechte jedoch war eisblau und gletscherkalt.

„Ich kann es nicht glauben. Aber wie?“ „Der Dämon war schon hier und ich habe jede Erinnerung mitgenommen. Und dann sah ich dich und wollte mit dir reden. Nur damit du weißt, dass ich lebe.“

Luzifer warf einen Blick über die Schulter. Er wusste nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte. Sein totgeglaubter Sohn stand vor ihm und war mit den Nerven am Ende. Zögernd streckte er den Arm aus, um ihn zu berühren, doch Luzius wich zurück und musterte ihn misstrauisch.

„Du solltest mit Aeneas reden. Der Junge mag dich sehr und ist ziemlich mitgenommen.“

Der Höllensohn nickte nur und warf einen Blick auf die Trauernden.

„Du verstehst mich nicht. Aeneas mag dich. Mehr als du denkst. Und ich bin nicht auf das Freundschaftliche aus, ja?“ Keine Überraschung spiegelte sich in seinen Augen. Es war wie bei dem Werwolf, keinerlei Gefühle. Luzifer schauderte und wandte sich ab.

„Es ist deine Entscheidung, wann du es ihm sagst. Bis dahin bist du für mich einer der Dämonen, die ich noch nicht kennen gelernt habe und die in meinem Reich leben. Entscheide selbst, was du tust.“ Luzius blickte seinem Vater mit diesen blicklosen Augen hinterher und war sich sicher, dass er Aeneas die Wahrheit lieber verschweigen würde.

8. Kapitel

Luzius

 

Es war wieder eine dieser Neumondnächte, in der der Mond sein Gesicht verbarg und die Magie so weit geschwächt war, dass man sich am besten zurückzog.

Ich fürchtete diese Nächte, denn dann war meine Magie zu schwach, um die Mauern aufrecht zu erhalten, die meinen Geist von den Erinnerungen meines Todes schützten.

Zitternd biss ich mir in die Hand. Der metallische Geschmack von Blut breitete sich in meinem Mund aus und ich wimmerte vor Schmerz.

„Luzius?“

Ich hatte keinen stummen Ruf ausgesandt, aber trotzdem stand mein Vater im Türrahmen und sah mich an.

Zögernd senkte ich die Hand und musterte ihn.

„Ja?“ Ich leitete so viel Ruhe in meine Stimme wie möglich.

„Ich hatte das Gefühl, dass du mich brauchst und ich wollte nach dir sehen.“

„Du hast so etwas früher auch nicht getan und ich bin kein kleines Kind mehr.“

Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern.

Luzifer verdrehte die Augen und trat neben mich.

„Memme. Ich hätte dich nie Asmodis übergeben, hätte ich gewusst, was er aus dir macht. Lehn dich doch mal gegen dein Schicksal auf. Schlag um dich, fletsche die Zähne und schreie. Mensch, lass doch endlich mal Köpfe rollen!“

Seufzend ließ er sich neben mich aufs Bett fallen und blickte mich stirnrunzelnd an.

„Du bist einfach nur unnormal Sohn. He, du bist gestorben, kämpfst hier gegen deine Gefühle an und sagst deinem besten Freund nicht, was mit dir los ist. Schrei doch mal.“

Mein Vater rempelte mich spielerisch mit der Schulter an und grinste süffisant.

Fast wären mir die Worte rausgerutscht, die er unbedingt hören wollte. Mühsam schluckte ich sie herunter und drehte demonstrativ den Kopf weg. Sollte er sich doch in sein Kellerloch verziehen.

„Bitte. Einmal ausrasten. Für deinen Vater.“

Ich kämpfte wirklich gegen das Verlangen an, ihn anzufallen, aber es war keineswegs leicht, wenn er es anbot. Summend blendete ich ihn aus.

Aber den Teufel kann man nun wirklich nicht ignorieren, wenn er auf dem Bett sitzt und dich auffordert, deiner Wut freien Lauf zu lassen.

Schließlich brachen meine Mauern ein und mit einem wilden Schrei stürzte ich mich auf meinen Vater. Lachend wehrte er mich ab und ich ging zu Boden.

„Das meine ich! Jetzt sei einmal in deinem Leben richtig böse! Du bist mein Sohn!“

Fauchend sprang ich ihm an die Kehle und versuchte, zuzubeißen. Als wäre ich eine lästige Fliege, wischte er mich beiseite.

Unser Kampf wurde zu einem Knäuel aus Armen und Beinen und keuchend landeten wir wieder auf dem Bett.

Luzifer hatte einen Arm um meinen Hals geschlungen und drückte mir die Luft ab. Meine Fingernägel bohrten sich in seine Rippen und ich hörte sein schmerzvolles Aufkeuchen.

„Du bist mir sehr viel ähnlicher als du zugeben willst“, flüsterte er in mein Ohr und drückte mir einen Kuss auf den Hals. Dann ließ er mich los und ich schnappte nach Luft. Mochte er noch so dürr aussehen, Kraft hatte er eindeutig noch.

„Lass uns rausgehen. In die Stadt. Feiern.“

Überrascht blickte ich ihn an. Zuerst erwürgte er mich fast und dann wollte er mit mir feiern gehen. Verwirrt rieb ich mir den Hals und sah wieder weg.

„Komm schon. Feiern wir das du lebst, ich entgültig von Elsea getrennt bin und einfach das Leben und die Hölle. Komm, bitte! Vielleicht triffst du auch das Mädchen, dass dir nicht aus den Kopf geht.“

„Du?“ Mit eisigem Schrecken in den Augen sah ich ihn an. Er grinste süffisant und zog die Augenbrauen hoch.

„Ich sehe doch, was mit dir los ist.“

Ich presste meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. In Luzifers Augen konnte ich sehen, dass er mich gleich darüber ausfragen würde und ergriff die Chance, die er mir gegeben hatte: „Gehen wir feiern Luzifer. Bevor du noch anfängst, mir was von Blümchen und Bienchen zu erzählen betrinke ich mich lieber.“

 

Der Club war gerammelt voll und die Musik war so laut, dass ich der Boden unter meinen Füßen vibrierte. Mit einer Flache Bier in der Hand und schon drei Flaschen intus beobachtete ich meinen Vater. Einerseits war es beeindruckend, was er da machte, andererseits trieb sein Verhalten mir die Röte ins Gesicht.

Er stand mitten auf der Tanzfläche, nicht zu übersehen mit den langen Haaren und der Größe.

Um ihn herum hatte sich die halbe weibliche Besucherschaft gescharrt und lachte. Jede Frau versuchte so viel Aufmerksamkeit von ihm zu bekommen, wie es ging.

Luzifer genoss das sichtlich und machte keinerlei Anstalt, sich näher mit einer Frau zu beschäftigen.

Ich dachte an eine von Azazels Erzählungen zurück. Früher hatte mein Vater sich nicht darum geschert, wen er küsste. Ob Mann oder Frau war ihm ganz egal. Anscheinend hatte das auf mich abgefärbt. Sehnsüchtig dachte ich an Aeneas. Ich war nicht in ihn verliebt, aber ich vermisste meinen besten Freund. Zu gerne hätte ich mit ihm über die ganze verfahrene Situation geredet. Aber seit zwei Wochen war er mit seinem Vater auf Reisen. Wolfsgeschäfte. Sicher.

„Du scheinst neu hier zu sein.“

Die Stimme jagte wie ein elektrischer Schock durch meine Adern und die feinen Härchen an meinen Unterarmen stellten sich auf.

Lesley stand neben mir, so dicht, dass sie mich fast berührte und musterte mich neugierig.

Ich riss mich zusammen und schenkte ihr ein schwaches Lächeln.

„Ja, ich bin neu hier.“

Sie nickte und ihre Edelsteinaugen funkelten. Beinahe wäre ich in die Knie gegangen, so weich wie sie plötzlich wurden.

Schnell wandte ich mich meinem Bier zu und betete, dass sie nicht bemerkte, was in mir vorging.

„Kennst du den Mann da hinten?“

Ich folgte ihrem Blick und sah meinen Vater an.

„Jap, dass ist mein Vater.“

„Huh.“ Lesley blickte von mir zu ihm.

„Ihr seht euch aber gar nicht ähnlich. Sag mal, was finden die Frauen eigentlich an ihm?“

In gespielter Ahnungslosigkeit zuckte ich die Schultern. Es war klar, dass die Frauen auf ihn abfuhren, weil er ein Unsterblicher war.

„Frauen mögen Vögel anscheinend mehr als andere.“

„Bitte was?“

Am liebsten hätte ich mir die Zunge abgebissen. Durch den Alkohol wusste ich kaum noch, was ich sagte.

„Nichts, nichts. Ich meine nur, dass Frauen komische Vögel mehr mögen als normale.“

Hoffentlich bemerkte sie nicht, wie rot ich plötzlich wurde.

Aber sie lächelte nur und blickte weiter meinen Vater an.

„Ich bin übrigens Lesley.“

Sie hielt mir die Hand hin und ich ergriff sie. Prickelnde Wärme floss meinen Arm hinauf und ich lächelte dümmlich zurück.

„Luzius.“

Bevor Lesley oder ich noch etwas sagen konnten, war mein Vater plötzlich neben mir. Er stank nach Alkohol.

„Wir müssen gehen.“

Wütend blickte ich ihn an.

„Ich dachte du wärst beschäftigt.“

„War ich auch. Aber Az hat Probleme. Komm schon.“ Luzifer packte mich am Oberarm und zog mich hinter sich her.

Ich hatte noch genug Zeit, Lesley zum Abschied zu Winken, bevor ich auf der Straße stand und der kalte Wind den Alkoholnebel in meinem Kopf ein bisschen lichtete.

„Ich geh noch bezahlen. Stell nichts dummes an.“

Mein Vater joggte zurück und ich setzte mich langsam in Bewegung. Meine Gedanken kreisten um Lesley. Um ihre Schönheit, um ihre Anmut und ihre Edelsteinaugen. Dabei übersah ich vollkommen den Mann, der vor mir stand und ich prallte heftig mit ihm zusammen.

Ich taumelte zurück und hielt mich mit Mühe auf den Beinen.

„Sorry“, murmelte ich und blinzelte, um wieder klar sehen zu können.

Vor mir stand kein Sterblicher. Vor mir stand ein leibhaftiger Engel mit goldenen Flügeln.

Ein Abgesandter des Paradieses.

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Scar Manson
Bildmaterialien: Cover: killjoy; Bildmaterialien: Lisa Spreckelmeyer / pixelio.de ; Schrift: defont.com
Tag der Veröffentlichung: 09.05.2014

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