Cover

1. Teil: Fire of Hell

Prolog

Luzifer hier. Ihr wisst wer ich bin? Der gefallene Engel? Der Böse? Satan? Lichtbringer? 

Ich habe viele Namen. Die meisten wurden mir zu Unrecht gegeben. Aber meine Namen sind hier nicht von Bedeutung. Es ist unwichtig, wie die Jahreszeiten. Es ist hier nur eine Nebensache.

Ihr kennt sicher viele Geschichten darüber, wie ich gefallen bin. Das ich Gott stürzen wollte oder vielleicht auch, dass ich die Menschheit vernichten wollte. Vielleicht habt ihr schon eure eigene Auffassung von dem, was mir passiert ist, den in jeder Geschichte steckt ein Stückchen Wahrheit. Wenn ihr aber nicht bereit seit, von dieser Meinung abzuweichen und egal was ich sage immer noch glauben wollt, was ihr denkt, dann verschwendet nicht meine Zeit und lest etwas anderes. All die, die aber bereit sind, ihre Vorurteile und ihren Glauben hinter sich zu lassen, sollen sich setzen und mir zuhören. Meinen Worten lauschen und vielleicht erkennen, was die ganze Wahrheit ist. Oder vielleicht auch nicht....

Egal was ihr denkt, ein Teil von mir will immer noch gut sein und dort oben mit den anderen Engeln leben und auf die Menschen hinabsehen. Doch der andere, größere Teil von mir, der nach meinem Fall beinahe Besitz von mir ergriff, will Rache. Will Feuer sehen, blutige Kämpfe austragen und die Befriedigung in einem Gemetzel finden.  

Es gab schon mal einen jüngsten Tag, dem die ganze Menschheit zum Opfer erlag. Er ist lange her, aber ich will euch von diesem Tag berichten.

Dem Tag, an dem mein Leben und dass vieler ins ewige Dunkel stürzte....

Das Opfer der Menschheit

Ich konnte kaum fassen, was meine Augen da sahen. Wahre Kaskaden von Regen fielen vom Himmel und begruben das Land unter sich. Ich wusste nicht genau, seit wann diese Sintflut die Erde heimsuchte, aber es war auch egal. Diese Kaltherzigkeit, dieses Verbrechen erschreckte mich zu sehr, als das ich etwas dazu sagen könnte. Das Wasser war nicht blau oder so klar, dass man den Boden sehen konnte, nein, es war blutrot und Leichen trieben darin.

Frauen, Kinder, Babys, Männer. Jung und alt. Krank und gesund.

Das ist es nicht wert. Das war es nicht wert. Nur wegen ein paar Freveltaten wurde dieses Massaker veranstaltet? Wo ist dort der Sinn?

Eisige Traurigkeit und Selbsthass, zu denen zu gehören, die demjenigen dienten, der dies veranlasste, legte sich wie eine Hand um mein Herz und drückte zu. Könnte ein Engel sich umbringen, sich selbst absetzen und sterben, würde ich sofort in das Leichenmeer springen und ertrinken. Aber ich konnte es nicht tun. Ich zitterte vor Wut und starrte in den Himmel.

Wie kannst du so etwas tun Herr? Wie kannst du die Menschen so sehr leiden lassen?

Eine Hand legte sich fest auf meine Schulter. Zögernd drehte ich den Kopf. Wollte ich überhaupt noch jemanden ins Gesicht sehen, der dies wortlos akzeptierte?

Sakariel stand hinter mir und schaute mich an, als wolle er sagen, es sein nicht so schlimm. Ich wusste, dass viele sagten, wir seien beste Freunde, aber ich konnte einfach nicht mit jemanden befreundet sein, der so etwas zuließ. Ich konnte einfach nichts zu ihm sagen.

Langsam streifte ich seine Hand ab und trat in den Regen hinaus. Das eisige Nass rann meine Haut herab und beruhigte meine Gedanken ein wenig.

Immer noch zitternd hob ich den Kopf zum Himmel, breitete die Arme aus und gab mich der kühlen Umarmung des Regens hin.

Blutrausch

„Sag nichts Sakariel. Er ist halt so. Sonderbar. Vielleicht hat man einen Fehler mit ihm gemacht.“

Wie oft hatte ich diese Worte schon gehört? Es war egal, den ich konnte sie hundert mal hören, sie versetzten mir immer einen Stich.

Ist euch schon einmal aufgefallen, dass alle Namen der Engel mit -el enden, nur meiner nicht? Wieder ein Beweis, dass mein Sturz kein Zufall war, sondern feste Planung.

„Sag so etwas nicht. Er ist ein Emphat. Er fühlt nur das Leid der sterbenden Menschen und meint, es sei alles falsch was hier getan wird.“

Das war unser Aufseher. Wir waren damals keineswegs vollwertige Engel, nein, wir mussten eine Ausbildung absolvieren, um richtig handeln zu können.

„Ist es den nicht falsch? Wenn Gott allmächtig ist und alles so geschaffen hat, wie er es wollte, warum sind die Menschen dann böse geworden?“ flüsterte ich und senkte den Kopf.

Kalter Regen rann meinen Rücken hinab und ein leichtes Zittern floss über meine Haut. Der Schlag traf mich im Rücken. Stumm taumelte ich nach vorne und fiel in eine blutige Pfütze. Das rote Wasser spritzte auf und durchnässte mich in Sekundenschnelle.

Ich hörte aufgeregtes Gemurmel als ich zu unserem Aufseher aufschaute. Überheblich stand er dort, bestimmt stolz, mich vor sich auf dem Boden zu sehen. Er hatte ja etwas erreicht.

Was hättet ihr an meiner Stelle getan? Wärt ihr liegen geblieben? Hättet ihr um Verzeihung gebeten? Ich jedenfalls tat das Gegenteil. Fauchend warf ich mich auf diesen Mörder und biss zu. Meine Zähne durchdrangen Haut, zerschnitten Fleisch und suchten sich wild einen Weg.

Starke Hände packten mich und zerrten. Ich wollte nicht loslassen, verfiel in einen Blutrausch und wollte diesen Mistkerl umbringen. Heftig keuchend hing ich zwischen Sakariel und einem Engel namens Azazel. Mein Aufseher stand vor mir. Blut lief seinen Hals herab und hinterließ eine kleine Pfütze zu seinen Füßen.

„Was willst du tun?“, zischte ich.  „Willst du mich noch einmal schlagen?“

Ein dreckiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Nein. Darum wird sich Petrus kümmern.“

Als wären sie eine Person, sogen alle Anwesenden die Luft ein. Ich wusste, was das hieß. Ich hatte Gotteslästerung begannen und einen Engel angegriffen. Eine Auspeitschung war in diesem Fall noch milde.

Strafe muss sein....

„Dir ist klar, welches Unrecht du begannen hast?“

Ich kniete am Boden einer Kathedrale und nickte stumm. Wir waren immer noch auf der Erde. Ich würde sofort bestraft werden, dass war mir klar.

Hier unten würden meine Wunden nicht sofort heilen. Würde man sie mir im Paradies zufügen wären sie nach einer Stunde nicht mehr da. Aber so...

“Wir müssen dich bestrafen.“ Wieder nickte ich. Ich würde Petrus nicht antworten. In meinen Adern brodelte noch die Wut und ich schielte zu meinem ehemaligem Aufseher. Er machte einen Aufstand, als hätte ihn ein Raubtier angefallen. Ich musste mir auf die Zunge beißen, um die Worte zurückzuhalten, die auf ihr lagen. 

„Erhebe dich Luzifer.“ Mühsam stand ich auf.

„Zieh dein Hemd aus.! Ich tat wie befohlen.

Mit einem tiefen Atemzug hob ich den Kopf. Petrus stand vor mir und versuchte Mitleid in seinen Blick zu legen.  Dumm nur das er so was nicht empfand.

„Nickiel, bring mir die Peitsche.“ Nickiel war ein Engel, der gerade mal seit zwei Wochen bei uns war. Trotzdem war er einer der schlimmsten Arschkriecher, die mir je untergekommen sind.

Mein Blick wurde auf die Peitsche gezogen. Sie war schwarz und mit kleinen Widerhaken besetzt. Bei dem Anblick wurde mir schlecht. Schnell wie zustoßende Schlangen sprangen zwei Engel nach vorne und packten meine Arme. Ihr Griff war wie ein Schraubstock. Ein dritter trat hinter mich und verband meinen Mund mit einem Stofftuch.

„Es tut mir so leid.“ flüsterte er und zog sich zurück. Es war der Erzengel Uriel. Zitternd schaute ich ihn an. Als mein Aufseher sich mit der Peitsche hinter mir aufstellte, wandte Uriel den Blick ab.

Der erste Schlag war der schlimmste. Tief schnitt das Leder in mein Fleisch und blieb hängen. Ein brennender Schmerz schoss durch meine Muskeln und ich warf den Kopf zurück. Mit einem Ruck riss er die Peitsche zurück. Ich schrie in den Stoff und ging in die Knie. Tränen rannen über meine Wange und ich flehte stumm um Gnade. Pertus hob die Hand. Der nächste Schlag traf meinen Rücken. Wieder bäumte ich mich auf. Endlos ging es so weiter, bis der zwanzigste Schlag mir den Rest Fleisch von den Knochen riss.

Diejenigen, die mich festgehalten hatten, stießen mich nach vorne und ich blieb auf dem kalten Boden liegen. Verschwommen konnte ich einen Blick auf die Peitsche erhaschen. Ganze Fleischstücke hingen daran herab. 

Nach und nach leerte sich die Kirche und schließlich war ich allein. Mein Rücken brannte, als stünde er in Flammen. Ich war alleine. Ich war es schon immer und werde es auch immer sein. Eine kalte Hand berührte meinen Nacken und mühsam drehte ich den Kopf. Uriel kniete neben mir und schaute mich besorgt an.

„Ich konnte es nicht mit ansehen. Glaub mir Luzifer. Ich kann nicht glauben, was sie dir angetan haben.“

Mit einer federleichten Berührung strich er über meine offene Wunde. Ich wimmerte leise.

„Shhhh...“, machte der Erzengel und schloss mich in die Arme. Seine Flügel schwangen nach vorne und hüllten mich ein.

„Entspann dich. Ich zeige dir eine Welt, in der es keinen Schmerz gibt.“

Und mit Uriels Hilfe glitt ich in ein Reich hinüber, dass näher am Tod war als alles andere. Aber es gab keinen Schmerz. Nur Schwärze.

Rückkehr

„Luzifer. Luzifer! Du musst zurück! Es wird Zeit.“ Zwei kalte Hände packten meine Schultern und schüttelten mich leicht. Ich wollte nicht. Ich wollte niemals zu diesen selbstgefälligen Engeln zurück und zusehen, wie sie wieder und wieder die Menschheit zerstörten, sei es mit dieser Sintflut oder durch Krankheiten und Apokalypsen.

„Luzifer! Du musst zurück oder du begehst wieder Ungehorsam! Steh auf!“ Uriel versuchte mich auf die Beine zu ziehen. Verzweifelt wehrte ich mich gegen ihn. Ich würde nicht zurückgehen! Meine Fingernägel glitten ohne Spuren von seiner Haut ab und selbst meine Zähne hinterließen keinen Schaden.

„Luzifer, ich bin ein Erzengel. Hör auf dich zu wehren, du kannst mir nichts tun!“

Schluchzend blieb ich in seinen Armen liegen und flüsterte : „Ich will aber nicht zurück. Schick mich bitte nicht zurück!“

Bitten schaute ich zu ihm auf und flehte ihn an. Seine Kiefermuskeln spannten sich an und es sah aus, als würde er mit sich selbst ringen.

„Es tut mir leid“, murmelte er schließlich und wandte den Blick ab. Schwankend kam ich auf die Füße und schaute ihn an. Tränen brannten hinter meinen Augen.

„Du bist genau wie die anderen. Du tust auch nichts dagegen. Sieh nach draußen und sag mir, dass das gerecht ist. Sieh dir all die Toten an und sag mir dann ins Gesicht, dass es richtig ist.“

Ich trat einen Schritt nach vorne und schaute ihm genau in die Augen. Ich sah etwas wie Angst aufblitzen.

Damals hatte nie jemand Angst vor mir gehabt. Was war ich denn schon? Ein Engel in der Ausbildung, dazu verdammt, die Gefühle der Menschen zu spüren.

„Du hast eine gefährliche Gabe, Luzifer. Du könntest dich an deinem eigenen Feuer verbrennen.“

Ich wollte Uriel anschreien, ihn schlagen oder sonst etwas tun, damit dieses Gefühl der Ohnmacht von mir wich, aber er ließ mir keine Chance. Ohne einen Blick zurück oder ein aufbauendes Wort breitete er die Flügel aus und flog durch das Loch in der Kathedralendecke nach draußen.

Es regnete noch immer und ich schüttelte den Kopf.

„Du tötest alle Menschen, aber derjenige, der sich vor dir im Staub wälzt, lässt du am Leben“ flüsterte ich der Wolkendecke zu und setzte meinen Fuß auf den Weg, der mich später in die Tiefen der Hölle schleudern würde.

 

Das Paradies ist nicht so, wie es beschrieben wird. Keine Wolken, keine goldenen Tore, kein Frieden. Ein überirdischer Glanz umgab die Dinge zwar, aber mehr gab es hier auch nicht.

Nicht einmal Gott persönlich war hier. Er war irgendwo, für uns unsichtbar, nicht zu erreichen und doch durch Petrus vertreten.

Ich nahm den langen Weg zurück zu den Schlafräumen der angehenden Engel, der mich nicht an Petrus Haus vorbeiführte.

Ich hasste die Engel, ich hasste mein Dasein und ich hasste diesen Ort. Die Wunden an meinem Rücken brannten und ich wich jedem aus, der mir entgegenkam. Heute konnte ich ihr Geflüster nicht anhören. Zu viel war geschehen. Sollten sie doch alle willenlos bleiben, ich würde es nicht.

Meine Rechnung ging nicht auf, den Sakariel sah mich und war nicht der Meinung, dass man mich besser mied oder in Ruhe ließ.

Er folgte mir die Treppe zu meinem Zimmer hoch und packte mich an der Schulter. Fauchend riss ich mich los und starrte ihn an.

„Luzifer, dir muss doch klar gewesen sein, dass du falsch gehandelt hast.“

„Und dir muss klar gewesen sein, dass ich wenigstens gehofft habe, dass du mir hilfst!“, schrie ich ihm ins Gesicht und schlug die Tür zu.

Die schwere Eichenplatte zitterte und ich holte tief Luft. Er hätte wenigstens nach mir sehen können, als ich am Boden lag.

Kopfschüttelnd wandte ich mich von der Tür ab und blickte mich in meinem Zimmer um. Ich versuchte meine Wut, gemischt mit Trauer in den Griff zu kriegen. Ein schwarzes Tuch verdeckte den Spiegel. Ich hasste mein Aussehen und wollte nicht jedes Mal einen Blick auf mich selbst erhaschen, wenn ich mich umdrehte.

Aber jetzt wollte ich sehen, was die Peitsche angerichtet hatte. Sanft segelte der Stoff zu Boden und für einen kurzen Moment musterte ich mich selbst.

Ich war weder blond, noch hatte ich blaue Augen oder war besonders groß. Meine Haare waren schwarz, meine Augen blutrot und im Gegensatz zu den anderen Engeln war ich klein. Sie überragten mich alle, fürchteten mich aber trotzdem.

Ich war anders, selbst was meine Fähigkeiten betraf. Sicher, viele Engel waren Emphaten, aber keinem war die Fähigkeit gegeben, über das Feuer zu herrschen.

Kleine Flammen leckten an meiner Haut, als die Wut über jegliche Ungerechtigkeit wieder aufkam. Achtlos wischte ich über sie hinweg und sie verschwanden.

Sehr langsam wandte ich dem Spiegel den Rücken zu und betrachtete den Schaden.

Ein schachbrettartiges Muster überzog die Haut und ich glaubte, Knochen unter den Fleischresten glitzern zu sehen.

Gegen eine Welle der Übelkeit ankämpfend verdeckte ich den Spiegel wieder und warf mich auf mein Bett.

Was hatte ich getan, dass ich so etwas verdiente?

 

Flügel

Am nächsten Tag hatte ich nicht vor, zum Unterricht zu gehen und so zu tun, als wäre nichts geschehen. Trotz allem saß ich doch auf der Fensterbank und blickte auf die kleine Gruppe hinab. Als würde ich mich selbst quälen wollen, zog ich die schwere Glasplatte ein Stück zur Seite und lauschte den Worten des Ausbilders.

„Wo ist Luzifer?“ Die Worte hatten mir gerade noch gefehlt.

„Er ist in seinem Zimmer. Die Sache von gestern hat ihn sehr mitgenommen.“

Aha, jetzt sprach Sakariel also für mich. Mit einem leisen Seufzen schob ich die Platte zurück an ihren Platz und wich aus der Sichtweite meines Ausbilders. So oder so würde mich einer holen kommen.

Vorsichtig setzte ich mich auf das Bett und wartete das Klopfen ab. Aber anders als erwartet war es nicht Sakariel, den man schickte, sondern Azazel.

Er unterschied sich auch von den anderen, wenn auch nur äußerlich. Überwiegend waren Engel blond und blauäugig, er aber hatte dunkelblonde Haare. Trotzdem hatte ich nie versucht, mit ihm in Kontakt zu treten. Ich zwängte mich keinem auf und erwartete nicht, dass man mich in irgendeiner Weise akzeptierte.

„Du sollst mitkommen, Luzifer.“

Nur langsam stand ich auf und machte mich auf den Weg nach draußen. Azazel schien es nicht zu stören, denn er passte sich meinem Tempo an und warf mir immer wieder schüchterne Blicke zu.

„Du warst gestern sehr mutig“, sagte er dann endlich.

„Eher dumm als mutig“, erwiderte ich und hob den Blick zur Decke.

„Nein, mutig. Ich bin deiner Meinung, muss aber ehrlich sagen, dass ich mich nie trauen würde, dass auch zu vertreten.“ Er packte meinen Arm und ich fuhr zusammen. Sofort zog er die Hand zurück. Ich mochte keine Berührungen. Sie waren zu vertraulich und offenbarten mir Dinge, die ich nicht wissen wollte.

Azazel blickte mich von der Seite an und fragte : „Emphat?“ und ich nickte nur. Anscheinend verstand er, denn er ging nicht weiter darauf ein und versuchte auch nicht, mich anzufassen.

„Sag mal, man erzählt sich so, dass du in besonderer Beziehung zum Feuer stehst.“

Die Frage war mehr als plump ausgedrückt und entlockte mir ein leises Lachen.

„Ja, so kann man es sagen.“

Sein neugieriger Blick schien ein Loch in meinen Hals zu brennen. Er schaute nicht höher, was mich ein bisschen irritierte.

„Ich zeigs dir“, gab ich schließlich seinen stummen Bitten nach. Wir blieben vor einem der Vorhänge stehen und ich konzentrierte mich. Es war ein schöner Stoff, ein bisschen hell, aber schön. Ich spürte die Hitze auf meiner Haut und genoss es für einen Moment, anders zu sein.

Rauch kringelte sich zwischen den Falten des Stoffes empor und Flammen leckten an ihm hoch, auf der Suche nach Nahrung.

Neben mir sog Azazel beeindruckt die Luft ein und betrachtete den brennenden Vorhang.

„Umwerfend“, flüsterte er und ich hatte das unbestimmte Gefühl, in Zukunft mehr mit ihm zu tun zu haben.

 

„Da die meisten von euch sich in letzter Zeit sehr gut benommen haben, erwartet euch heute eine ganz besondere Überraschung.“ Bei dem Wort meiste blieb der Blick des Ausbilders an mir hängen.

„Heute bekommt ihr nach fünf Jahren Ausbildung eure Flügel.“

Ich zuckte zusammen. Flügel hatten nur Engel, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten. Eine Ahnung beschlich mich, dass das für mich in reinem Chaos enden würde.

„Natürlich kann Petrus euch nicht persönlich die Flügel geben, er hat momentan sehr weil zu tun.“

Ja, er musste Menschen umbringen. Wütend biss ich mir auf die Unterlippe und drängte jede Emotion zurück. Man sollte denken, es gäbe eine große Zeremonie, aber dem war nicht so. Wir knieten einfach alle am Boden und wurden, wie sie es nannten, gesegnet.

Unser Ausbilder ging zu jedem, berührte ihm am Kopf und wandte sich dem nächsten zu.

Als er vor mir stand, hob ich kurz den Blick und sah die roten Löcher in seinem Hals. So etwas wie Schadenfreude durchflutete mich und ich grinste.

Grimmig berührte er meinen Kopf. Viel passierte nicht, außer das mein Rücken sich kurz schmerzhaft zusammenzog.

„Geht!“, rief er schließlich und die Engel zerstreuten sich in alle Richtungen. Erfolg kam nicht über Nacht, dafür aber Flügel.

 

Petrus Bitte

Hatte ich nicht gesagt, dass die Sache mit den Flügeln im Chaos endet? So war es auch, denn meine Flügel waren weiß und nicht golden wie die der Anderen. Es trieb mich weiter von ihnen weg und ich hätte Gott am Liebsten ins Gesicht gespuckt.

Aber so etwas viel wohl auch unter Gotteslästerung, also tat ich so, als würden die Flügel mir nicht auffallen und lebte so weiter, wie bisher. Nur ohne Unterricht. Denn brauchten wir nun nicht mehr.

Mit gesenktem Kopf wanderte ich durch das Paradies und bemerkte in meinem Elend nicht, dass ich auf Petrus Residenz zusteuerte.

„Wie ich sehe, ist deine Ausbildung beendet, junger Freund.“

Ich zuckte zusammen und hob den Blick. Sicherlich war ich nicht sein Freund. Aber das sagte ich ihm nicht, sondern spannte nur meinen Kiefer an.

„Hallo Petrus.“ Ich sagte es weder unfreundlich noch überschwänglich. Nur neutral, als würde ich einen Fremden grüßen.

„Ich würde gerne mit dir reden.“

Ich schluckte Worte, die mir eine zweite Auspeitschung einbringen würde hinunter und nickte nur zur Zustimmung.

Seine Residenz war nicht gerade eindrucksvoll. Einfach gehalten, aus Holz gefertigt und weiß angestrichen.

Sie sollte wahrscheinlich Bescheidenheit ausdrücken, aber ich fiel auf die Lüge nicht herein.

Ich lehnte jegliches Trinken ab und ließ mich auf einen der Holzstühle nieder.

Petrus nahm mir gegenüber Platz und ich musterte ihn misstrauisch.

„Du bist jetzt erwachsen, weißt du das, Luzifer?“

Ich nickte und zog die Augenbrauen zusammen. Dumm oder beschränkt war ich nicht und mir war klar, dass ich jetzt für mich selbst zuständig war.

„Daher musst auch du einen Teil für unsere Gesellschaft leisten.“

„Menschen umbringen?“, fragte ich leise und warf ihm einen Blick zu. Deutlich sah ich, wie er zusammenzuckte.

„Nein, nein, dass nicht. Hör mir gut zu, mein Junge.“

Mein Magen zog sich zusammen und ein ungutes Gefühl beschlich mich.

„Das Gute kann nie ohne das Böse existieren. Deshalb haben wir einen Ort geschaffen, denn die Menschen Hölle nennen. Dorthin sollen alle, die Unrecht getan haben und dem Bösen verfielen. Doch es bedarf einen Herrn, der über sie herrscht.“

Ich ahnte, um was er mich bitten würde, war aber trotzdem überrascht, als er es wirklich tat.

„Luzifer, würdest du freiwillig in die Hölle hinabsteigen und über das Böse wachen?“

Dumm wie ich mich damals anstellte, fiel ich seinen trügerischen Worten zum Opfer.

„Wenn es der Gesellschaft dienlich ist, würde ich zu diesem Ort gehen.“

Ein strahlendes Lächeln breitete sich auf Petrus Gesicht aus und er griff nach meiner Hand. Rechtzeitig zog ich sie zurück, bevor er mich berühren konnte.

„Du bist ein Emphat?“  Er klang aufrichtig überrascht und ich funkelte ihn an.

„Nach fünf Jahren fällt dir das auf?“

Petrus ließ sich in seinen Stuhl zurücksinken und betrachtete mich mit einem seltsamen Blick. Ohne ein Wort erhob ich mich und ging zur Tür.

„Es ist alles geklärt. Ich werde gehen.“ Hätte ich mich noch umgedreht, hätte ich das verschlagene Grinsen in seinem Gesicht gesehen. Aber ich tat es nicht und ging einfach nach draußen.

Dabei stieß ich fast mit Azazel zusammen, der sich an den Wegrand gekauert hatte.

„Azazel?“

Er hob den Kopf und schaute mich beinah schuldbewusst an.

„Entschuldige Luzifer. Ich wollte wirklich nicht lauschen, aber ich sah dich mit ihm hier drin verschwinden, und nun, nach deiner Auspeitschung habe ich mich gefragt, was du mit ihm zu tun hast.“

Meine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Damals war er noch unsicher gewesen und entschuldigte sich für unnötige Dinge.

„Ist schon gut. Ich an deiner Stelle hätte das Gleiche getan. Aber steh auf, ich mag es nicht, wenn Leute vor mir knien.“

Er nickte und sprang auf die Füße. Gemeinsam machten wir uns auf den Weg zu unseren

Schlafhäusern.

„Du traust dich wirklich, in die Hölle hinabzusteigen?“

Lächelnd nickte ich.

„Ja. Ich komme hier weg und muss mir ihr Geflüster nicht mehr anhören. Aber ich habe ein ungutes Gefühl. Etwas scheint mir komisch, ich kann nur nicht sagen was.“

Azazel seufzte tief und blickte nach oben.

„Ich wünschte, ich könnte dich begleiten.“

„Später“, erwiderte ich und ein eiskalter Schauer rann mir den Rücken hinab.

Aber es sollte noch genau drei Wochen dauern, bevor ich die Intrigen der Mächtigen durchschauen sollte und meiner wahren Bestimmung zugeführt wurde.

Tiefer Fall

 

„Luzifer!“ Sakariel packte mich an der Schulter, bevor ich es verhindern konnte und drehte mich zu sich um. Ich spürte, dass er aufgebracht war, aber auch verwirrt und ein bisschen enttäuscht. Gleichzeitig stürmten unzählige Erinnerungen und Gedanken auf mich ein. Mein Geist wankte unter dem Ansturm und drohte zusammenzubrechen, was mein Todesurteil wäre.

Sakariel schien zu merken, wie es mir ging, denn er zog die Hand zurück und ich lächelte ihm dankbar zu. Zitternd wartete ich darauf, dass seine Energie verflog.

„Ja?“

„Du gehst mir seit drei Wochen aus dem Weg. Der Einzige, mit dem du noch redest ist dieser Azazel.“

Ich zog die Schulter hoch.

„Ich weiß nicht, ob es ich es dir sagen soll“, flüsterte ich leise und betrachtete meine Füße.

„Hab ich dir je einen Grund gegeben, mir nicht alles zu erzählen?“

Ja, als du mir bei meiner Auspeitschung nicht beistandest. Du hast mich nie verteidigt.

Kopfschüttelnd verdrängte ich die unerwünschten Gedanken und erzählte ihm die Kurzfassung der Sache mit Petrus.

Er hörte schweigend zu und kaute dann auf der Unterlippe.

„Aber wenn diese Aufgabe so wichtig ist, wieso schicken sie dann keinen Erzengel?“

Plötzlich rastete in meinen Gedanken etwas ein und mir wurde klar, was mir so komisch an der Sache vorkam.

„Sorry Sakariel, ich muss weg!“, rief ich und sprintete an ihm vorbei.

Ich musste hier raus, und zwar so schnell wie möglich. Mein Herz raste und machte einen freudigen Sprung, als ich Azazel auf dem Weg vor mir sah.

Im Vorbeirennen packte ich sein Handgelenk und zerrte ihn mit. Ihn anzufassen war nicht so schlimm wie bei den anderen. Er hatte seine Gedanken und Gefühle so weit unter Kontrolle, dass eine Berührung erträglich war.

Ich spürte seine stumme Frage und stieß hervor: „Wenn diese Aufgabe so wichtig ist, warum schicken sie keinen Erzengel? Uriel oder Michael zum Beispiel? Die kriegen das doch locker hin.“

Azazel verstand und ich wusste, er hatte den gleichen Gedanken wie ich.

Etwas stimmte nicht und wir mussten hier raus. Mühelos passte er sich meinen Schritten an und rannte neben mir her.

Zum ersten Mal verfluchte ich die Größe des Paradieses. Bis zum Himmelstor war es noch ein ganzes Stück und plötzlich ertönte Petrus Stimme über unserem Kopf.

„Alle Engel finden sich augenblicklich am Tor ein.“

Verzweifelt versuchte ich schneller zu rennen. Mit viel Glück konnten wir es noch schaffen. Aber wie immer stand das Glück nicht auf meiner Seite. Petrus stand schon mit ein paar Älteren Engeln vor dem Tor. Schlitternd kam ich zum Stehen.

Azazel lief noch ein paar Schritte weiter und schaute sich mit gehetztem Blick um.

„Was sollen wir tun?“, fragte er und ich hörte die Panik in seiner Stimme.

„Abwarten und Tee trinken“, erwiderte ich leise und konzentrierte mich auf meinen rasenden Herzschlag.

Es dauerte nicht lange und die gesamte Bevölkerung der Paradieses hatte sich eingefunden.

Azazel stand neben mir. Ich hörte seinen stoßweisen Atem und sah, wie er zitterte.

Petrus am Himmelstor hob die Arme und rief: „Es herrschen schwere Zeiten, meine Freunde. Erst dieser Verrat der Menschen auf der Erde und dann auch noch der Verrat in unseren Reihen.“

Mein Innerstes krampfte sich so vor Angst zusammen, dass ich mich mit schmerzverzehrtem Gesicht nach vorne beugte.

„Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber einer von uns hat uns verraten und sich dem Bösen verkauft.“

Azazel stand neben mir und strich mir mit einer Hand über den Rücken, während Petrus Worte wie Schläge auf mich niedergingen und mein Innerstes aufwühlten.

„Ruhig atmen Luzifer. Wenn du jetzt zusammenbrichst, ist alles vorbei.“

Ich nickte und versuchte mich zu beruhigen. Mein Herzschlag wurde langsamer und der Knoten in meinem Magen lockerte sich etwas.

Und dann kamen die schlimmsten Worte meines bisherigen Lebens: „Und dieser Verräter ist Luzifer!“

Ich riss den Kopf hoch und sah in die triumphierenden Augen Petrus.

Geschrei erhob sich und zwei ältere Engel zerrten mich von Azazel weg, nach vorne zum Tor und zu Petrus.

„Er hat sich dem Bösen verschrieben und dafür wird er bezahlen! Er wird auf ewig verstoßen aus unserem Paradies!“

„Nein!“ Azazels Schrei ging in dem Gebrüll der Menge unter. Er versuchte zu mir zu kommen, aber Andere schlugen ihn nieder und zerrten ihn weg.

Ganz allein stand ich nun vor Petrus.

„Wir werfen ich hinaus!“, brüllte er wieder und blickte mich an.

„Das wirst du bereuen. Ich werde dich zur strecke bringen, selbst wenn es mein Ende bedeutet“, flüsterte ich hasserfüllt.

„Das will ich sehen“, erwiderte er leise, packte mich am Kargen und warf mich ohne großes Herumgehampel aus dem Tor.

Ich spürte, wie die Lichtbarriere meine Haut streifte und danach eiskalter Wind mein Haar peitschte.

Diesmal würde nichts meinen Sturz aufhalten. Flammen loderten auf und verbrannten meine Flügel. Schier unerträgliche Schmerzen jagten durch meinen Körper und ich bog schreiend den Rücken durch.

Mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Blut lief über meinen Körper und die Muskeln meines Rückens rissen auseinander, um noch schmerzhafter wieder zusammen zu wachsen.

Warum tut ihr mir das an?

Große, schwarze, in meinem eigenen Blut getränkte Flügel brachen aus meinem Rücken hervor und brachen mir Rippen, zerrissen Fleisch und Haut.

Wieso?

Stein und Erde brach unter meinem Gewicht zusammen und ich fiel noch tiefer, weit unter die Erdoberfläche.

Was habe ich nur getan, dass ich das verdiene?

Knochen knackten, als ich auf felsigem Boden aufschlug und liegen blieb.

Mein Körper war tot, meine Seele war tot. Ich war nichts, war endgütig aus der Gnade gefallen.

Tränen liefen über mein Gesicht und ich hatte nicht einmal die Kraft, die Augen zu schließen und zu beten, dass ich endlich sterben möge.

Höllenfeuer und Dämonen

Es verging nicht mal ein halber Tag, bevor meine Wunden sich schlossen und mein Geist ruhig wurde, trotzdem kam es mir wie die Ewigkeit vor.

Mein Blick klärte sich und ich sah die rauen Felswände meiner neuen Heimat. Ich hörte die Stille und wusste endgültig: ich war gefallen, ich war alleine und auf mich gestellt.

Eisige Kälte umgab mich und strich über meine Haut hinweg. Das alles war Verrat gewesen, Betrug und ein geplantes Spiel. Aber wer den Wolf herausforderte, musste auch mit den Zähnen rechnen. Langsam kam ich auf die Beine und sah mich um. Fels war das einzige was ich sah. Kalter, dunkler Fels.

Zitternd legte ich die Hände auf den Boden. Ich hatte schon oft Feuer heraufbeschworen und jetzt würde ich es zu meinem Eigentum machen.

Es brauchte nicht einmal mehr übermäßige Konzentration und Flammen erhoben sich brüllend bis zur Decke. Doch die Kälte wich nicht.

Von nun an war sie mein Begleiter, genau wie das Feuer und die Finsternis.

Es war klar, ich würde mich rächen. Es war so sicher wie der Tod.

Aber alleine glich es Selbstmord. Ich brauchte Hilfe.

Bevor ich noch lange überlegen konnte, ertönte ein lauter Schrei über mir und kleine Steine fielen zu Boden, als die schwere Felsdecke sich auftat und ein dunkelrotes Bündel zu Boden fiel.

Blut spritzte über meine Füße und ich sprang zurück. Meine Nackenhaare standen zu Berge und mein Herz schlug gegen meine frisch verheilten Rippen.

Trotzdem ging ich auf das Bündel zu und beugte mich über es. Es war kein Tier, wie ich angenommen hatte, sondern etwas beinahe menschliches.

Zögernd hob ich das Ding hoch und drehte es herum. Blut blieb an meinen Händen kleben und ich wischte es beinahe achtlos an meiner Hose ab.

Ich nahm das zerschlagene Gesicht näher unter Augenschein und zuckte erschrocken zurück.

Es war Azazel!

„He!“ Ich stieß ihn an. Ein leises Stöhnen kam über seine Lippen und ich fiel neben ihm auf die Knie. Heilen, dass war eines der wenigen Dinge, die ich nie gelernt hatte. Verzweifelt schüttelte ich ihn, aber ohne Erfolg. Seine Augen blieben geschlossen und sein Kopf rollte wie der einer Stoffpuppe auf seinem Hals herum.

„Wach auf!“ Von Verzweiflung getrieben schlug ich ihm ins Gesicht. Er zuckte nur und ich biss mir auf die Unterlippe. Azazel war das Einzige, was ich noch hatte.

Wenn er starb, wäre ich wirklich alleine.

„Verdammt“ Wach endlich auf! Wenn du stirbst, bin ich doch komplett alleine! Tu denen da oben doch nicht den Gefallen zu sterben!“

Mein Verhalten grenzte an dem eines Kindes, dass war mir bewusst, aber damals war ich in Menschenjahren gerechnet nicht älter als neunzehn Jahre und mein komplettes Leben war zerstört.

Azazel stöhnte wieder leicht und seine Augen flatterten. Das Weiße darin war mit Blut getränkt.

„Azazel“, flüsterte ich nun leise und versuchte ihn auf die Beine zu ziehen. Schlaff wie eine Puppe, der man die Fäden durchgeschnitten hatte, hing er in meinen Armen.

Ein Zittern lief über seine Haut und ich schüttelte ihn wieder, diesmal erheblich sanfter.

Seine Hand krallte sich in meine Schulter und Erleichterung durchflutete mich.

„Komm schon alter Junge. Das schaffst du doch.“

Das Blaue in seinen Augen kam wieder zum Vorschein und sein Blick klärte sich. Er würde nicht sterben und ich musste nicht  alleine hier unten sein.

„Wie sehe ich aus?“, fragte Azazel mit heiserer Stimme und ich konnte nicht anders als zu lachen.

„Scheiße. Du siehst wirklich scheiße aus.“

Er schenkte mir ein schwaches Lächeln.

„Das gefällt mir gar nicht. Mein erster Tag in der Hölle und der ewigen Verdammnis und ich sehe scheiße aus.“

Kopfschüttelnd  sah ich ihn an.

„Ist die Hölle wirklich nur so klein?“, fragte er schließlich in die Stille hinein und ging auf die zuckende Flammenwand zu.

„Nein. Ich glaube, dass das alles hier nur ein Teil ist. Ein wirklich kleiner Teil, wenn hier die Seelen der Verdammten und Bösen rein sollen.“

Er grunzte nur zur Antwort und ließ den Blick durch die Höhle wandern.

„Da ist ein Ausgang“, brummte er schließlich und deutete nach vorne.

Ich folgte seinem Blick und sah ebenfalls den Riss im Felsen, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Für einen Moment standen wir noch wie angewurzelt da und schwankten zwischen dem Verlangen, nach draußen zu gehen und dem Wissen, dass uns etwas grauenvolles erwarten würde, sollten wir wirklich die Höhle verlassen.

Schließlich gab ich mir einen innerlichen Ruck und trat nach vorne. Azazel folgte mir in einem gewissen Abstand.

Nur zögerlich drückte ich mich durch den Spalt und stolperte in eine Welt aus Asche.

Wenn es hier früher mal Erde gegeben hatte, so war sie jetzt verbrannt. Schwarz breitete sich der Boden unter unseren Füße bis zum Horizont aus.

Ich legte den Kopf in den Nacken, um den Himmel sehen zu können. Auch er war schwarz, und ich sah weder eine Sonne, noch Wolken.

Meine Kehle schien zugeschnürt zu sein und ich versuchte krampfhaft, zu schlucken.

Es wollte mir nicht gelingen und ich blickte zu Azazel hinüber.

Sein Blick streifte die toten Bäume, folgte den ausgetrockneten Flüssen und blieb schließlich an mir hängen.

Er setzte an, etwas zu sagen, schloss den Mund aber wieder und räusperte sich. Dann stieß er hervor: „Das ist doch nicht ihr Ernst! Sie bringen uns in dieses tote Land!“

Ich nickte und wandte den Blick einem der toten Bäume zu.

„Ja, sie bringen uns hierhin und lassen alles sterben. Es ist, als wollen sie, dass wir ebenfalls sterben.“

„Das wünschen sie sich aber auch nur!“ Azazel knurrte und stampfte mit dem Fuß auf.

„Du bringst mich auf eine Idee!“ Mein malträtierter Geist hatte soeben eine brillante Idee hervorgebracht.

„Azazel, ich werde mich dreizehn Jahre lang zurückziehen und mich benehmen. Das wird sie in Sicherheit wiegen. Und du, mein treuer Freund, wirst in diesen Jahren deiner Fantasie freien Lauf lassen und Wesen erschaffen, die durch und durch böse sind. Blutlust, Mordlust, mehr Tier als Mensch, es ist egal. Aber sie müssen böse sein. Und mir gehorchen. Erschaffe so viele, wie du kannst. Nimm keine Pause und ruhe nicht eher, bis die dreizehn Jahre um sind.

Und ich werde die Seelen der Verstorbenen ebenfalls wandeln. Ich mache sie zu meinen Dienern, zu Dämonen.

Und wenn unsere Zeit da ist, werden wir mit unserer Höllenarme im Paradies einfallen. Wenn sie geglaubt haben, dass hiermit alles zu Ende ist, haben sie sich getäuscht.

Das hier ist nicht das Ende. Es ist erst der Anfang.“

 

 

2. Teil: Heaven and Hell

Zeit des Aufbruchs

Dreizehn Jahre. Was war das schon? Ein Wassertropfen im Meer vielleicht. Und doch reichte diese Zeit, um eine Heerschar von Dämonen aufzustellen. Wesen ohne Seele, mit nichts als Blutgier und Mordlust im Kopf. Sie würden ihren besten Freund umbringen, nur um noch einmal zu morden.

Und doch unterstanden sie meinem Befehl und würden es nie wagen, mir nicht zu gehorchen.

Es war seltsam, aber verlieh mir ein Gefühl der Macht.

Gedankenversunken und mit blickleeren Augen saß ich auf meinen Thron aus schwarzem Basalt.

„Herr?“ Der Dämon riss mich aus meinen Gedanken und verbeugte sich ungeschickt vor mir.

„Ja?“ In meiner Stimme lag eine eigentümliche Kälte und auch etwas von Herablassung schwang in ihr mit.

„Azazel ist zurückgekehrt und verlangt, Euch zu sehen.“

Ich hatte Azazel in den letzten Jahren kaum gesehen. Nur für kurze Besuche und ein paar Worte. Das er aber nach mir verlangte, hinterließ einen leichten Stich in meinem Stolz.

„Dann hol ihn herein!“ Ungeduldig wedelte ich mit der Hand und richtete mich auf.

Ich hatte nie vorgehabt, jemals in dieser Höhle zu hocken wie ein wildes Tier. Als Herr der Finsternis und der Verdammten konnte ich mir wohl ein Stückchen Luxus leisten.

Mit Magie und der Hilfe einiger Dämonen hatte ich ein Schloss errichtet, dass weit über die trostlose Gegend emporragte und meiner Stellung nun gerecht wurde.

Azazel trat durch die große Eichentür und neigte leicht den Kopf, als er vor mir stand. Das Einzige, was noch an seinen Fall erinnerte, war die Narbe über seinem linken Auge und die dunkelroten Flügel.

Ein belustigtes Funkeln lag in seinen Augen, als er mich ansah und flüsterte: „Und so sitzt der Herr der Hölle auf seinem Thron und ich erschaffe seine Monster und Diener.“

Ich bleckte die Zähne, aber eher aus Spaß als aus Wut. Es tat gut, wieder mal mit jemandem zu streiten, sei es auch nur im Spaß. Trotzdem erhob ich mich und  ging auf ihn zu.

„Rein logisch betrachtet bin ich überfüllt mein Freund.“

Lachend legte er mir die Hand auf die Schulter.

„Nach unserem Krieg hast du wieder Platz, Junge.“

Verwirrt schaute ich ihn an.

„Krieg?“

„Was?! Wer hat denn vor dreizehn Jahren in einer stolzen Rede erzählt, ich solle keine Pause machen, ehe die dreizehn Jahre um sind? Damit wir dann mit unserer Armee ins Paradies einfallen?“, fragte Azazel und schüttelte gespielt entsetzt den Kopf. Blinzelnd überlegte ich und nickte dann.

„Du hast recht. Hatte ich fast vergessen. Aber ich war nicht untätig, falls du das glauben solltest. Ich habe Waffen schmieden lassen. In Höllenfeuer, wohlgemerkt.“

Ob er wollte oder nicht, ich sah so etwas wie Bewunderung in seinen Augen aufblitzen.

„Ich würde sie gerne sehen“, sagte er dann und leckte sich über die Lippen.

Grinsend nickte ich und zog ihn hinter mir her in den Keller. Die Waffenkammer lag weit hinten, fast am Ende des langen, dunklen Ganges. Mit einer theatralischen Geste öffnete ich die Tür und trat ein.

Glitzernde Waffen hingen oder lehnten an den Wänden. Schwerter, Pfeile, Bögen, Morgensterne, Peitschen mit Widerhaken. Grausame Instrumente, mit denen man mordet und die nur den grässlichsten Geschöpfen zuteil wurden.

„Suche dir etwas aus Azazel.“

„Du willst heute noch los?“ Sein überraschter Blick traf mich und ich nickte.

„Wir warten seit dreizehn Jahren darauf, dass es losgeht. Langsam möchte ich wirklich los.“

Stumm schüttelte er den Kopf.

„Du bist verrückt. Einfach nur verrückt.“

Ich grinste und vollführte einen leichten Knicks. Dann ging ich zu den Waffen und zog ein langes Schwert hervor. Die Klinge glänzte dunkelrot im fahlen Licht und wog schwer in meiner Hand. Ganz leicht strich ich mit den Fingern über die scharf geschliffenen Seiten und zuckte zusammen. Ein feiner Schnitt zog sich über meine Fingerkuppen und Blut in der gleichen Farbe wie das Schwert trat hervor.

Schnell leckte ich es ab und wandte mich Azazel zu, ein stolzes Funkeln in meinen Augen.

„Das ist meins. Mortem, der Tod.“

Azazel verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.

„Ein passender Name für ihn.“

Es war Tradition, Schwertern Namen zu geben, von denen man hoffte, dass sie sie erfüllen würden.

Vorsichtig und beinahe liebevoll schob ich das Schwert in seine Scheide und schnallte es mir um die Hüften.

„Du nimmst am Besten den Bogen.“ Ich deutete in eine Ecke und lief ungeduldig zur Tür. Mein Moment der Rache rückte näher und je schneller er kam, desto besser würde es mir gehen. Übertrieben langsam warf Azazel sich den Köcher über die Schulter und hob den Bogen auf.

„Schwing die Hufe!“, brach es ungestüm aus mir heraus und ich packte mit eisernem Griff sein Handgelenk, um ihn mit mir zu ziehen.

Im Thronsaal wartete eine kleine Auswahl meiner treuesten Diener und blickte mir ohne jegliche Verwirrung über meine Bewaffnung entgegen.

„Meine treuen Männer. Viele von euch werden nicht zurückkehren, dessen bin ich mir sicher. Wenn ihr jetzt sterbt, seid ihr im ewigen Nichts verloren und nicht einmal ich kann euch von dort wiederholen. Doch seid gewiss: euer Tod wird nicht umsonst sein. Ihr werdet für etwas sterben, dass man Gerechtigkeit nennt. Ihr werdet den Menschen und den Engeln das Fürchten lehren. Lasst keinen am leben.“

Die Augen meiner Männer leuchteten, und ich war mir sicher, dass wir diesen Kampf gewinnen würden.

„Ihr wisst, wie ihr zum Himmelstor kommt. Also geht, und sucht eure Freunde. Trommelt alle zusammen. Wir sehen uns vor den Toren zum Himmel.“

 

Die Hufe des Dämonenpferdes trafen dumpf auf den felsigen Untergrund und hinterließen Brandflecken. Sie waren meine eigene Züchtung. Pferde, versorgt mit Höllenfeuer.

Azazel ritt dicht hinter mir und hatte den Blick starr geradeaus gewandt.

Ich spürte seine Anspannung und mir erging es ebenso. Unserer Zeit war gekommen und keiner wusste, was die Zukunft bringen würde.

Ich spürte ein leichtes Prickeln in der Luft und drehte mich zu meinem Begleiter um.

„Wir sind gleich da. Spürst du es?“

Er nickte nur. Eine leichte Blässe lag auf seinem Gesicht und ich lächelte ihn beruhigend an, bevor ich mich wieder nach vorne drehte.

Der Berg war als Sinai bekannt und reichte über einen verborgenen Pfad hinauf bis zum Tor des Himmels.

Vor uns sah ich vereinzelte Dämonen  und parierte mein Pferd durch. Schnaubend warf es den Kopf nach oben und ich legte ihm die Hand auf den Hals.

„Ist gut, mein Junge. Gedulde dich, dann bist du wieder frei.“

Schnaubend senkte der Hengst seinen Kopf und ich blickte die wenigen Dämonen an.

„Was tut ihr hier? Wo sind die anderen?“

„Herr, viele stehen schon vor dem Tor und ein paar wenige sind noch hinter euch. Ein paar Dämonen wollen noch die zurückgebliebenen holen.“

Wütend knirschte ich mit den Zähnen und warf einen Blick zurück.

„Lasst die Nachzügler dort, wo sie sind. Sie werden später zu uns stoßen.“

Jegliche Reaktion ignorierend rammte ich meinem Pferd die Fersen in die Flanken und sprengte im vollen Galopp den Berg hinauf.

Golden schimmerte das Licht vor der Brücke zum Paradies. Meine Höllenarmee zögerte, ohne mich die Brücke zu überqueren.

„Worauf wartet ihr noch?! Greift an!“, schrie ich und schlug mit der Reitpeitsche nach dem nächstbesten Dämonen. Er stieß ein schmerzhaftes Heulen aus und taumelte nach vorne.

Obwohl es mir nichts nützte, wenn ein paar meiner Männer verletzt in den Kampf zogen, trieb ich mein Pferd wieder an und ritt durch die Menge. Wer nicht schnell genug zurückwich, bekam die Hufe des Dämonenpferdes zu spüren.

Dicht vor dem Tor hielt ich und drehte mich im Sattel um.

Azazel stand noch dort, wo ich den Dämonen geschlagen hatte und blickte mir hinterher.

Grinsend ließ ich meinen Blick über die versammelte Menge gleiten und nickte ein paar mal.

„Dann lasst uns losgehen.“

Ich fasste die Zügel so kurz, dass mein Hengst den Kopf zurückwarf und zog Mortem aus seiner Scheide.

Ein wilder Kampfschrei entrang sich meiner Kehle und ich stürmte allen voran durch das Tor zum Paradies.

 

Blutbad

Der goldene Schimmer strich über meine Haut hinweg und ich spürte die Hitze, die im Paradies herrschte. Tief gruben sich die Hufe meines Pferdes in den Boden, als es nach vorne sprintete.

Doch vom Pferderücken aus konnte ich nicht kämpfen, also zog ich die Füße aus den Steigbügeln und sprang zu Boden. Der Aufprall war hart, denn ich benutzte meine Flügel nicht. Noch nicht.

Langsam hob ich den Kopf und verschaffte mir einen Überblick über die Lage. Kein Engel weit und breit, dafür unzählige Dämonen, die brüllend durch das Tor stürmten und wild nach Opfern suchten. Meine Aufmerksamkeit lenkte sich auf Petrus. Ihn wollte ich haben.

Leichtfüßig sprang ich auf und rannte den mir so vertrauten Weg hinab.

Und dort kamen die Engel mir entgegen. Die meisten unbewaffnet, und mit dem Ausdruck puren Entsetzens im Gesicht.

Der Versuchung eines irren Lachens wiederstehend, rannte ich an ihnen vorbei und auf das weiße Haus zu.

Petrus schien zu wissen, was ihn erwartete, denn die Tür war verriegelt. Frustriert knurrend rüttelte ich an der Klinke und trat dann zurück. Fieberhaft überlegte ich, wie ich in dieses Haus kommen sollte und musterte die heftigen Kämpfe zwischen gut und Böse. Für die Bösen sah es ziemlich gut aus.

Blut spritzte und hinterließ kleine Flecken auf der Hauswand.

„Ich hatte gehofft, einmal keine Tür eintreten zu müssen“, grollte ich und holte so viel Schwung, wie ich konnte. Zielsicher traf mein Fuß die Tür und das massive Eichenholz erzitterte. Die Angel gaben ein lautes Stöhnen von sich, aber sonst passierte nichts weiter.

Da mussten wohl andere Geschütze aufgefahren werden. Schnell kniete ich mich vor die unterste Angel und legte meine Hände an das kalte Metall. Keine Minute später trat ich zurück und sah das flüssige Metall die Stufen hinuntertropfen.

Jetzt musste es aber klappen. Wieder trat ich zu und spürte eine Welle der Befriedigung, als die Tür mitsamt der letzten Halterung nach innen fiel.

„Oh Petrus!“, zwitscherte ich und trat in den Empfangsraum. Keine Antwort.

„Du weißt doch noch, wer ich bin, oder? Dein Freund Luzifer! Ich wollte dich mal besuchen. Und ich habe meine neuen Freunde mitgebracht! Ich glaube, du wirst sie mögen! Und sie werden dich mögen! Man kann sagen, sie werden dich zum Fressen gern haben!“

Bei jedem Wort trat ich einen Schritt vor und lauschte auf Geräusche. Aus dem Zimmer, in dem er mich darum gebeten hatte, in die Hölle hinabzusteigen, ertönte ein Wimmern.

Meine Lippen verzogen sich zu einem dämonischen Grinsen und entstellten mein Gesicht zu einer grauenhaften Fratze.

Lautlos ging ich weiter auf die Tür zu und hob Mortem an.

„Petrus, komm doch raus. Du hast doch nicht etwas Angst vor mir? Ich tue dir doch nichts, alter Freund. Und weißt du was? Azazel ist auch hier! Er möchte dich auch gerne wiedersehen! Sag mir doch, wo du bist. Spiel nicht mit mir, ich mag so etwas nicht. Aber wir können auch so weitermachen: du versteckst dich, und ich suche dich. Und wenn ich dich gefunden habe,  spielen wir mein Spiel, ja? Es ist ganz witzig! Ich spiele es gerne in meiner neuen Heimat.“

Das Wimmern wurde lauter und ich kicherte heiser.

„Und ich habe ein tolles Schwert. Es heißt Mortem. Das bedeutet Tod. Es ist ganz hübsch. Willst du es sehen?“

Ich betrat den Raum und richtete mich so hoch auf, wie ich konnte. Nichts zu sehen.

„Bitte komm raus. Ich mag nicht mehr! Dieses Spiel ist langweilig und unfair!“, quengelte ich und trat leicht mit den Fuß auf. Ich hätte dieses Spiel noch stundenlang spielen können.

Das Wimmern klang rechts von mir auf und ich drehte den Kopf. Ein großer Schrank diente Petrus also als Versteck. Lächelnd ließ ich mich auf den großen Tisch nieder und legte Mortem auf meine Knie.

„Wenn du nicht spielen willst, erzähle ich dir was von der Hölle. Kannst du meine Flügel sehen? Sind sie nicht toll?“

Lachend breitete ich meine Schwingen aus, die fast den kompletten Raum einnahmen.

„Sie sind unglaublich schön und groß. Und es gibt so viele neue Freunde da unten.

Da ist ein Dämon mit dem Vorderteil eines Wolfes und der Rest sieht wie eine Schlange aus.

Ist das nicht beeindruckend? Und man sieht kaum, wo der Wolf aufhört, und die Schlange anfängt. Willst du ihn vielleicht kennen lernen?“

Mein gespielt fröhlicher Tonfall zerrte sogar mir selbst an den Nerven, aber Petrus musste e schlimmer ergehen, denn er stürmte aus dem Schrank heraus und warf sich vor mir auf die Knie.

„Bitte, verschone mich!“

Jetzt war ich doch enttäuscht. Ich hätte gerne weitergespielt. Für einen Moment geriet ich in Versuchung, Petrus zu enthaupten, doch dann kam mir eine andere Idee, die ihn mehr quälen würde.

„Nein“, sagte ich kalt und stand auf, Mortem wieder fest in der Hand.

„Nein. Alles, was nun geschieht und geschehen wird, ist deine Schuld und nur deine. Sieh zu und bereue, was du getan hast, aber daran ändern kannst du nichts.“

Bevor Petrus etwas sagen konnte, hob ich das Schwert und schlug mit dem Heft zu. Ohnmächtig sackte er zusammen und ich stieg über ihn hinweg, um den Raum zu betreten, in dem er angeblich die Befehle Gottes entgegennahm.

Elsea

Erstaunlich leicht schwang die Tür auf und ich trat in den kleinen Raum. Besonders war er nicht. Die Wände waren weiß und direkt an der Wand gegenüber der Tür stand ein mannshoher Spiegel. Neugierig musterte ich ihn und machte einen Schritt in das Zimmer hinein.

Etwas raschelte in der Ecke und ich reagierte sofort. Mit bedrohlich gefletschten Zähnen wirbelte ich herum und suchte nach der Gefahr. Diese stellte sich aber als ein ziemlich kleines Mädchen heraus, dass mich anstarrte. Mit einem tiefen Seufzer stieß ich die Luft aus und entspannte mich. Von Frauen ging keine Gefahr aus.

„Erschreck mich nicht so“, knurrte ich und sie zuckte heftig zusammen.

„Du bist nicht Petrus?“

Jetzt war ich es, der zusammenzuckte.

„Nein! Das sieht man doch aus drei Meilen Entfernung!“

Sie verzog das Gesicht und fauchte: „Wenn man sehen kann, dann bestimmt!“

Erst jetzt betrachtete ich sie genauer und sah die verschleierten hellblauen Augen. Sie war blind.

„Entschuldige“, erwiderte ich trocken und sah mich um.

„Wohnst du hier?“

Sie nickte. „Ja. Seit zwei Jahren. Und ich bin nie über diesen Raum hinausgekommen.“

Es sah Petrus nicht ähnlich, ein Mädchen gefangen zu halten. Stirnrunzelnd überlegte ich.

„Kannst du etwas Besonderes?“, fragte ich schließlich, als mir keine plausible Erklärung einfiel.

„Nein. Aber eine Hellseherin hat mir gesagt, dass ich so etwas wie den Antichristen zur Welt bringen würde. Danach ist der da“, sie ruckte mit dem Kopf Richtung Tür,“ aufgetaucht und seitdem sitze ich hier.“

Wäre mein Kiefer nicht angewachsen gewesen, so wäre er mir bestimmt jetzt auf den Boden gefallen.

Jeder kannte den Antichristen. Zusammen mit dem Teufel und dem falschen Propheten soll er die Welt vor ihren Untergang stellen. Und es war klar, dass der Antichrist der Sohn des Teufels war. Aber ohne Frau ging das mit Kind schlecht, bis dahin hatte ich also nie gedacht.

„Hmm, okay. Tja, dann steht der Vater deines zukünftigen Kindes  wohl vor dir.“

Sie riss die Augen auf und warf den Kopf zurück.

„Wie bitte?!“

„Ich bin Luzifer. Der gefallene Engel, der Teufel, wenn man es so haben will. Und damit der Vater des Antichristen.“

Sie schüttelte wild den Kopf.

„Nein! So wird das ganz bestimmt nicht laufen!“

Anscheinend wusste sie, was ich vorhatte, den mit einem schrillen Kampfschrei warf sie sich auf mich. Da sie blind war, blieb ich stehen und verkniff mir ein Lachen. Doch ich hatte die Rechnung ohne ihr Gehör gemacht.

Wie eine bösartige Katze fiel sie über mich her, kratzte und biss.

„Eh! Hör auf! Was soll der Mist!“

Wütend versuchte ich sie mir vom Leib zu halten. Für eine so kleine Person war sie erschreckend hartnäckig und krallte sich an meinem Arm fest. Amüsiert lächelnd packte ich sie und warf sie wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter.

Die „Lass mich runter!“ Faucher ignorierend stiefelte ich aus dem Anwesen.

Draußen war der Kampf an seinem Höhepunkt angelangt. Blut färbte den Boden rot und Schreie erfüllten die Luft. Leichen und abgetrennte Gliedmaßen lagen über den Boden verstreut. Manche von Engeln, andere von Dämonen. Die der Engel waren tot, doch meine Gefolgsleute waren in dieser Hinsicht nicht so schutzlos. Zuckend bewegten sich Hände, Arme, Füße und Beine auf ihre Besitzer zu. Es war ein grausiges Bild, trotzdem musste ich an mich halten, um nicht loszulachen.

Etwas Scharfes piekste mich in den Rücken und ich gab dem Mädchen einen leichten Stoß.

„Hörst du wohl auf damit?“

„Wenn du mich runterlässt, ja!“

Seufzend stellte ich die Kleine auf dem Boden ab, war aber nicht naiv und hielt sie an den Oberarmen fest.

„So. Sag mir deinen Namen. Oder ich gebe dir einen.“

„Ich heiße Elsea.“

„Gut Elsea. Du kommst mit und wir überprüfen die Sache mit dem Antichristen.“

Wieder warf ich sie mir über die Schulter.

Elsea war ein Name aus der Dämonensprache und bedeutete soviel wie Unheil, was man in Anbetracht ihrer Bestimmung wohl als richtig empfinden konnte.

Ich stieß einen leisen Pfiff aus. Wenn mein Pferd noch in der Nähe war, würde es ankommen.

Ungeduldig tippte ich mit der Fußspitze auf den Boden und wartete. Geduld war nie meine Stärke gewesen.

Als ich schon aufgeben wollte, kam der Hengst endlich mit wehender Mähne und hängenden Zügeln zu mir gelaufen.

„Gut.“ Ich warf Elsea in den Sattel und zog aus der Satteltasche ein dünnes Lederband.

„Du bleibst auf dem Pferd sitzen und ich binde dich an. Ihr haut nicht ab und bleibt direkt hinter dem Tor. Wenn das hier vorbei ist, komme ich zu euch, verstanden?“

Mit zusammengekniffenen Lippen nickte sie. Ich band sie mit den Beinen am Sattel fest, was mir garantierte, dass sie nicht abstieg und aus Versehen von einem Dämonen geköpft wurde.

Wäre auch Schade um den schönen Kopf gewesen.

Schließlich zog ich den Kopf des Pferdes zu mir und hauchte ihm ins Ohr:

„Du wartest hinter dem Tor. Geht sie verloren, habe ich morgen Pferd auf dem Teller.“

Die Warnung musste reichen und ich gab dem Tier einen Klaps auf den Hintern. Mit hoch erhobenem Kopf trabte es los und verschwand im Kampfgetümmel.

Aber mir blieb noch Zeit. Zeit für Rache und Blutvergießen. Ich zog Mortem, den ich wieder in der Scheide verstaut hatte, hervor und drehte mich um. Diesen Spiegel wollte ich mir doch näher ansehen.

Der Spiegel Gottes

Petrus war noch immer bewusstlos. So hart hatte ich nicht zugeschlagen.

Aber es war mir egal, schließlich war er nicht meine Angelegenheit.

Der Spiegel, dem meine ganze Aufmerksamkeit galt, stand unschuldig glänzend vor mir. Wie ein hungriger Wolf tigerte ich vor ihm auf und ab.

Lateinische Buchstaben waren in den goldenen Rahmen eingelassen.

„Der Spiegel Gottes“, flüsterte ich vor mich hin und musterte die spiegelnde Oberfläche näher. Ich sah mich selbst, mehr nicht.

„Warum nennen sie dich Spiegel Gottes? Ich sehe nur mich selbst. Sind Himmel und Hölle also Lügen?“ Meine Worte schienen den Raum auszufüllen und ich schüttelte den Kopf.

Der Spiegel war eine Lüge, nicht ich und meine Heimat.

Vorsichtig legte ich die Hand auf die kalte, spiegelnde Oberfläche. Ein leichter Schauer jagte über meinen Rücken und ich schüttelte den Kopf. Dieser Spiegel war so unnormal wie ich.

„Wenn du, Gott, wirklich hinter diesem Spiegel steckst, dann zeige dich und sei kein Feigling!“, fauchte ich und bleckte die Zähne. Nichts.

Wut kochte in mir hoch und ich knurrte. Er wollte sich also nicht zeigen, mir nicht erklären, warum ich so leiden musste?

Mit einem wilden Schrei riss ich Mortem hoch und stieß ihn bis zum Heft in den Spiegel. Das Glas splitterte und feine Risse zogen sich hoch bis an den Spiegelrand. Ein schriller Schmerzensschrei hallte mir entgegen und dunkelrotes Blut trat an der Stelle hervor, an der Mortem eingedrungen war.

Langsam lief es zu Boden und bildete eine Pfütze zu meinen Füßen. Keuchend stand ich da und blickte mir selbst in die Augen.

Glühende, rote Löcher, die sich in meine Seele brannten und mich mit sich zogen, hinein in eine Welt aus Schmerz und Verdammnis. Leise schluchzend gab ich meine Kampfhaltung auf und ging in die Knie.

Meine Hände lösten sich von dem Schwertgriff und ich beugte mich vornüber. Ich wollte vergessen, dass es so etwas wie Gott geben sollte und er mich für so wertlos hielt, dass er mir nicht einmal antwortete.

„Herr?“

Zitternd drehte ich den Kopf und sah Asmodis an. Ein Dämon, der mir wesentlich sympathischer als die anderen war.

„Ja?“

„Dieses Mädchen, dass Ihr eben auf Euer Pferd gebunden habt. Nun, es ist weg.“

„Was?!“ Mit eisigem Schrecken in den Adern sprang ich auf. Vergessen war alles, was vorher passiert war. Dieses Mädchen, Elsea, war einer Prophezeiung nach untrennbar an mich gebunden. Sie durfte nicht verloren gehen. Das Schicksal spann Bänder unter Personen, die nur schwer zu zerreißen waren.

Ohne auf Asmodis zu achten und Mortem zurücklassend, rannte ich aus dem Haus und zur Brücke hin. Nun war es mir egal, wie die Dämonen nach Hause kommen sollten. Elsea würde mir nicht davonlaufen. Wie von Furien gehetzt rannte ich über die Brücke und suchte mit den Augen nach meinem Pferd.

Nichts, nicht die geringste Spur. Aber es war wahrscheinlich, dass sie bergab geritten war. Ich dachte nicht im Traum daran, ihnen hinterher zu laufen, also breitete ich meine Flügel aus und stieß mich vom Boden ab. Kalter Wind zupfte an den tiefschwarzen Federn und ein Gefühl von Freiheit schnürte mir beinahe die Kehle zu.

Beim Fliegen war ich frei, niemand konnte es mir verbieten.

Bald lag der Berg wie ein grauer kleiner Stein unter mir und ich konnte die Umgebung genau betrachten. Ein schwarzer Fleck bewegte sich langsam über den grauen Boden und ich grinste. So einfach entging sie mir nicht. Sachte zog ich die Flügel an und stieß wie ein todbringender Pfeil zum Erdboden hinab. Der Wind rauschte in meinen Ohren und der schwarze Fleck wurde größer, verformte sich und wurde zu einem Pferd. Kurz vor dem unvermeidbaren Aufprall zog ich die Flügel auseinander und landete sanft auf dem Boden. Mein Pferd scheute vor dem plötzlichen Schatten, blieb aber stehen.

„Gut mein Junge. Ist gut Cain, gut.“ Langsam beruhigte er sich und senkte schnaubend den Kopf. Mit einem wütenden Blick wandte ich mich an Elsea.

„Was hast du dir dabei gedacht? Du gehörst zu mir, und wirst mir nicht abhauen.“

Sie blickte mich bösartig an, was im Falle ihrer Blindheit wirklich beeindruckend war und fauchte: „Ich gehöre dir nicht und du kannst mich zu nichts zwingen!“

„Oh doch. Du wirst mit mir kommen!“

„Nein! Ich gehe nach Hause zurück!“

„Sei nicht so dumm! Glaubst du wirklich, dass sie dich mit offenen Armen empfangen werden! Du kannst niemals jemandem vertrauen, jeder wird dich von sich stoßen und am Ende ist sicher, dass du allein bist. Nichts bleibt, außer der Hass auf andere. Dieses ganze Gerede um die Liebe und den Frieden ist eine Lüge! Wenn es so etwas geben würde, säße ich nicht in der Hölle! Wer kommt denn schon in den Himmel? Niemand! Ich kriege sie alle, ich muss zusehen, ob sie zu Dämonen werden oder ich sie ins ewige Nichts werfe! Wo ist nun dein Gott! Sag mir wo er ist!“

Elsea zitterte und ich sah die Tränen in ihren Augen. Langsam senkte ich die Mauern vor meinem Geist und suchte nach ihren Empfindungen. Hass, Trauer, Wut und das Wissen, dass ich recht hatte, schlugen mir entgegen.

„Es ist so Elsea, und nichts, rein gar nichts ändert diese Welt.“ Sie nickte und blickte zur Seite, überallhin, nur nicht zu mir.

„Komm Cain.“ Ich zog sanft an den Zügeln und mein Pferd folgte mir, weg von der Trauer, dem Blut, dem Gefühl, dass dies hier nicht rechtens war und der Hoffnung, dass der jüngste Tag bald kommen sollte, um alles zu verschlucken.

Impressum

Texte: Scar Manson; M. Hellcraze
Bildmaterialien: Cover: Killjoy; Schrift: dafont.com ; Bildmaterialien: pixabay.de
Tag der Veröffentlichung: 24.04.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /