„Ich sage dir, ich habe die Sache gut recherchiert. Es gibt keinen vergleichbaren Club hier in der Umgebung. Der nächste ist in Berlin, aber es gibt genug Interessenten in der Szene hier im Ruhrgebiet, die an einem echten Szenetreff, den man auch öfter besuchen kann Interesse haben.
Ich sah Timo immer noch skeptisch an. Er hatte immer verrückte Geschäftsideen, meistens sogar erfolgreiche. Doch dies klang für mich etwas zu abgedreht. Andererseits wollte er kein Geld oder so von mir, nur, dass ich für ihn eine Weile als Barkeeper arbeitete.
„Wie genau stellst du dir das denn vor, Timo?“ Meine Nachfrage zauberte dieses süße jungenhafte Lächeln auf sein bezauberndes Gesicht, bei dem ich immer weich wurde.
„Der Petshop öffnet eh erst in den Abendstunden, Freitags und Samstags. Wenn du dann zwischen 20 und 3 Uhr arbeiten kannst, wäre das zumindest am Anfang eine große Hilfe.“
Ich dachte nach. Im Moment wahr ich zwar arbeitslos, hatte aber einige vielversprechende Angebote für meinen eigentlichen Beruf als Speditionskaufmann. Aber so lange sich da nichts ergeben hatte, konnte ich mir die Sache ja mal ansehen.
„Und was hast du dir so als Gehalt vorgestellt?“ Die Frage war mir eigentlich einem Freund gegenüber unangenehm, aber ich musste ja trotzdem praktisch denken. Wieder dieses Lächeln.
„Mein Finanzberater Robert hat ausgerechnet, dass ich dir am Anfang für die beiden Nächte etwa 250 Euro pro Nacht zahlen kann. Die erwarteten Einnahmen und die entstehenden Kosten lassen diese Summe zu. Was sagst du?“
Ich dachte kurz nach. 500 Euro für 14 Stunden arbeiten waren nicht zu verachten. Allerdings kannte ich Robert und seine Rechenküste sehr genau. Ich schätzte, dass Timo spätestens nach der ersten Woche mit dem Geld arg runter gehen müsste. Aber was solls. Er ist ein Freund und hatte mir in er Vergangenheit auch öfter aus der Patsche geholfen. Und wenn es tatsächlich bei dem Gehalt bliebe, könnte mir das nur Recht sein.
„Einverstanden, wann ist die Eröffnung?“ Timo strahlte überglücklich und sprang auf, um mich zu umarmen. Von meinem Latte Macchiato konnte ich mich verabschieden, der floss gerade über den Tisch.
„Danke danke danke. Chris, das werde ich dir nie vergessen!“ jubelte er mit Tränen in den Augen. Ach ja, mein kleiner emotional überdrehter Freund...
„Aber... was genau sind Furries? Da du den Club Petshop nennst.... da spielen aber keine echten Tiere eine Rolle, oder?“
„Neiiiiiin keine Bange. Lass uns in den Club fahren. Dann zeig ich dir alles und erkläre dir, was Furries sind.“
Zehn Minuten später waren wir am Bahnhof angekommen und betraten das alte Gloria Kino. Man hier wurden Erinnerungen wach... Mit sechs habe ich hier meinen ersten Kinofilm gesehen – Feivel der Mauswanderer. Und so viele viele danach. Das Gloria war praktisch mein Fenster in die Welt, gemeinsam mit meinem Zwillingsbruder und unseren Schulfreunden. Traurig, dass es geschlossen wurde, als der große Cinecomplex am Markt gebaut wurde und die kleinen alten kuscheligen Kinos alles unbrauchbar wurden.
Ich staunte nicht schlecht, als ich sah, wie weit die Umbaumaßnahmen schon vorangeschritten waren. Der Eingang war komplett verändert worden. Früher weit offen mit Einblick in den Vorraum, wo es Popcorn und Getränke zu kaufen gab und die ganzen Kinoplakate lockten; war nun geschlossen und versperrte jeden neugierigen Blick. Eine schwarze Wand aus Beton mit einer beleuchteten fellbezogenen Eingangstür. Die Leuchtschrift „The Petshop“ darüber war noch ausgeschaltet. Neben der Tür stand ein bulliger Glatzkopf, den ich vom sehen her kannte. So weit ich wusste, gehörte er einer der größeren Rockergruppen der Gegend an. Mit finsterem Blick bewachte er die Tür.
„Hallo Heinz, das ist Chris unser neuer Barkeeper. Chris, Heinz ist unsere Ein-Mann-Sicherheitstruppe. Er passt auf, dass hier alles in Ordnung bleibt, nicht wahr?“ Heinz nickte nur, zwinkerte mir aber zu. Mit ehrlichem Respekt nickte ich zurück und trat dann hinter Timo durch die Kuschelfell-Tür.
„Glaubst du, dass das Fell lange so gut aussieht?“ fragte ich mit einigen Zweifeln.
„Solange Heinz und seine Gang hier für Sicherheit sorgt, wird sich niemand an meinem Eigentum die Finger schmutzig machen. Die „Spezialversicherung“ wenn du verstehst.“
Und wie ich verstand. Er hatte sich also den Schutz der Rockerbande gekauft, um vor den anderen Kriminellen geschützt zu sein... Ob Robert das auch in seine Kalkulation aufgenommen hatte? Hinter der Felltür war die Lobby in einen mit rotem Samt ausgekleideten Schlauch verwandelt worden. Weiches, warmes Licht kam aus Leuchtstreifen am Boden und der Decke und geleitete den Besucher tiefer ins Innere. Dass hier früher die Popcornmaschine und der Eisstand waren, konnte man nicht mal mehr erahnen. Nach etwa 10 Metern weitete sich der Schlauchgang zum Innenleben des alten Gloria. Von hier aus kam man in die 5 oben liegenden großen Kinosäle. Auch heute noch waren diese Eingänge vorhanden. Wie schon im Schlauch waren die Wände und der Boden aus rotem Samt, die Beleuchtung hier aber etwas deutlicher durch glitzernde Kronleuchter. Überall huschten kleine Reflexionen der geschliffenen Glasanhänger über die Oberflächen. Jede Tür war mit anderem Fell bezogen, darüber gab es Symbole in Neonleuchtschrift. Sie zeigten eindeutig „special interessts“ an. Male – Female – Male, Female – Female, Male – Male und dann ein Zeichen, was mich entfernt an einen Knoten erinnerte. Timo bemerkte meine Verwunderung.
„Komm mit runter in die Lounge, da erkläre ich dir alles.“
Im unteren Geschoss, wo früher die 2 kleinen Kinos und die Bar waren, waren alle Wände eingerissen, soweit es ging und die gesamte Einrichtung entfernt worden. An der Stirnwand war eine große, mit Leder bezogene Bar mit gut einem Dutzend Barhockern im gleichen Stil davor. Im Raum verteilt gab es Tischgruppen mit Polsterstühlen, Rundsofas und... riesigen Körbchen? Mein Kiefer klappte augenblicklich runter. Timo kicherte und führte mich zu einer der Tischgruppen, die mit Polsterstühlen ausgestattet waren. Dann ging er hinter die Bar und holte uns zwei Gläser und eine Flasche Champagner.
„So, Chris, jetzt stoßen wir mal auf den Petshop an.“ verkündete er und drückte mir das Glas Prickelwasser in die Hand. Mich beschlich das ungute Gefühl, dass er Zeit schinden wollte.... Was zum Henker waren Furries? Warum machte er so ein Geheimnis darum?
„Schieß endlich los, Timo“, platze es aus mir heraus und ich stellte das Glas ab. Timo seufzte und nahm einen großen Schluck.
„Furries... das ist ein Fetisch bei dem es den Menschen erregt, sich in Tierkostümen zu kuscheln.“
„Was?“ fragte ich ungläubig.
„Ja, sie tragen Tierkostüme und kuscheln, putzen sich und naja haben vielleicht auch Sex, wobei das nicht zwangsläufig im Vordergrund steht.“
„Jetzt sag aber nicht, dass ich auch ein Fell tragen muss!“
„Nein, nein. Ich hab eine Bodypainterin engagiert, die die Angestellten bemalt. Zumindest den Oberkörper. Dunkle Jeans stell ich euch als Arbeitskleidung.“
„Bodypainting? Weisst du, wie lang sowas dauert?“
„Klar, dass habe ich auch bedacht. Sanne sagt, sie braucht 2h pro Person. Sie hat drei Mitarbeiterinnen, also wenn du um 20 Uhr kommst, ist das Bemalen direkt in der Arbeitszeit mit in begriffen. Der Club öffnet um 22 Uhr.“
Ich kniff die Augen zusammen.
„Sag mal, willst du mich auf den Arm nehmen? Das sind doch unrealistische Vorstellungen, die du da hast. Was sollen diese Furries bezahlen, damit du das alles finanziell stemmen kannst?“ Timo wurde nun ernst und stellte das Glas ab.
„Lass das mal meine Sorge sein, alter Freund. Das ist etwas, worum du dir keine Gedanken machen sollst.“ So kannte ich ihn nicht. Er hatte nie etwas geheim gehalten. Ich überlegte einen Moment, ob es nicht besser wäre, einen Rückzieher zu machen, doch dann fiel mir mein Auto ein, dass so langsam auf dem letzten Loch pfiff und wenn mein Vorstellungsgespräch Donnerstag daneben ging würde ich in wenigen Monaten in Harz IV abrutschen. Das Geld konnte ich schon gut gebrauchen, also schob ich alle bedenken bei Seite, schwor mir aber, zu Hause genau zu recherchieren, was Furries genau waren.
Plötzlich trat eine kleine pummlige Frau mit kurzen dunklen Haaren und einem freundlichen Lächeln zu uns an den Tisch.
„Sanne, wundervoll dass du es noch geschafft hast. Chris, dass ist Sanne unsere Körperkünstlerin. Sanne, Chris ist unser Barkeeper.“
„Hallo Chris!“ grüßte sie mich mit Handschlag und setzte sich dazu.
„Ich wollte nur mal durchsprechen, was du dir für Motive für die Jungs und Mädels ausgewählt hast, damit ich die entsprechenden Materialien besorgen kann.“
„Am liebsten wären mir Raubkatzen. Tiger, Löwen, Jaguare, und – für meinen guten Freund Chris hier – den schwarzen Panther hinter der Bar!“
Sie betrachtete mich eindringlich und nickte dann.
„Eine gute Wahl, dass kann ich mir bei ihm gut vorstellen. Willst du auch Tierzähne, also Fänge oder nur die Bemalung?“
„Ohne Zähne!“ fiel ich Timo ins Wort, bevor er etwas sagen konnte. Bemalen ok, aber ich pack mir doch kein falsches Gebiss in den Mund. Ein Barkeeper muss sprechen können! Aber Timo nickte nur und unterwarf sich in diesem Punkt meinem Wunsch.
„Dann ist ja alles klar. Wann ist die Grand Opening Zeremonie?“
„Nächsten Samstag, also am 14. Juli. Ich würde sagen, wir treffen uns hier schon etwas früher, nur um sicher zu gehen, dass alles reibungslos klappt.“
Später am Abend, in meiner kleinen gemütlichen Dachwohnung, saß ich am PC und googelte mich durch das Internet auf der Suche nach den Furries. Viel fand ich tatsächlich nicht über diesen Fetisch, nur dass es sie gab und das, was Timo mir erzählt hatte. Jedoch schienen alle Hits das gleiche Bild einer friedlichen „kuschligen“ Gemeinschaft auf zu zeigen. Meine Befürchtungen, dass es in SM oder so ausuferte, bestätigte ich zumindest bis dahin nicht.
Ich schob mir gerade eine Pizza in den Ofen, als mein Handy klingelte. Die Nummer war mir unbekannt also meldete ich mich erst mal nur mit „Ja?“
„Hallo, mein Name ist Mark Hoffmann, spreche ich mit Christoph Holzer?“
Eine Hammerstimme, wie ein Raunen. Dann machte es Klick und riss mich in die Realität zurück. Mark Hoffmann, bei dem hatte ich doch das Vorstellungsgespräch.
„Äh ja, Entschuldigung, ich kannte ihre Nummer nicht.“
„Kein Problem. Herr Holzer, ich rufe an, da ich das Gespräch am Donnerstag nicht mit Ihnen führen kann!“ Kurze Pause und mir drückte ein Fels auf die Brust. Wieder eine Absage.
„Oh, äh naja ok. Schade. Dann...“
„Halt, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich will Ihnen nicht absagen, aber mir ist etwas dazwischen gekommen und ich muss für ein paar Tage weg. Wäre es für Sie in Ordnung, wenn wir das Gespräch um eine Woche verschieben könnten? Die Stelle beginnt ja sowieso erst in drei Monaten, wenn unsere Kollegin in den Mutterschutz geht.“
„Aber klar, kein Thema für mich. Sagen sie mir einfach, wann ich da sein soll.“
„Meine Sekretärin wird Ihnen einen neuen Termin per Email schicken. Danke für Ihr Verständnis. Und bis bald!“
Puh. Der Fels war Lawinenweise von meinem Herzen gepoltert. Vielleicht ein gutes Zeichen? Hoffen wir es. Für heute hatte ich jedenfalls genug. Ich holte mir noch ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank und schob mir eine DVD in den Recorder, während meine Pizza im Ofen verführerisch duftete. Vorstellungsgespräch hin, Furries her, jetzt wollte ich nur noch meine Ruhe haben...
Der Samstag kam und ich hatte immer noch nicht viel mehr über Furries heraus gefunden. Nun, jetzt spielte es auch keine Rolle mehr. Ich würde es jetzt live erfahren. Ein bisschen nervös war ich schon, als ich am Bahnhof im Parkhaus mein Auto abstellte und die paar Meter bis zum Petshop lief. Heinz und ein weiterer Rocker standen neben dem Eingang und unterhielten sich. Als ich mich näherte, blickte der Glatzkopf zu mir rüber und nickte.
„Hi!“ begrüßte ich ihn beim näherkommen.
„Chris, richtig?“ Er reichte mir seine riesige Pranke. Nach dem er mir mit einem saftigen Druck fast die Hand zerquetscht hatte, öffnete sein Kollege die Tür und ließ mich ein.
Auf der Straße selbst war nichts von der Eröffnung zu erkennen, dafür war hier drinnen bereits alles vorbereitet. Sektgläser standen bereit für das Begrüßungsschlückchen, hier und da wuselten junge Frauen in engen schwarzen Jeans herum, die die Bedienung übernehmen würden.
„Da ist ja mein Mann, Chris! Schön, dass du da bist. Komm gleich mit nach hinten. Sanne wartet auf dich. Glaub mir, du wirst verdammt gut aussehen!“
Timo plapperte in einem Fort. Er musste ungemein aufgeregt sein. Ergeben ließ ich mich nach hinten in sein Büro führen, wo die Bodypainterin wartete. Ihr freundliches Lächeln erhellte den zweckmäßig eingerichteten Raum und war eine echte Freude. Sie war mir von Anfang an sympathisch gewesen.
„Hi, da ist ja unser Panther. Ich hab so eine fabelhafte Idee für dein Painting.“ flötete sie gleich los und führte mich zu ihrem improvisierten Arbeitspaltz. Timo hatte wie angekündigt, Arbeitskleidung in form einer eng geschnittenen schwarzen Jeans bereit gestellt.
Knappe zwei Stunden später hatte Sanne ihre Zauberkunst beendet und meinen nackten Oberkörper und mein Gesicht in einen schwarzen Panther verwandelt. Staunend stand ich vor dem großen Spiegel und betrachtete die fremde Kreatur, die mir entgegen blickte...
Fast einen Meter achtzig groß, sportlich gebaut. Ich war immer stolz auf meine ausgeprägten, perfekt definierten Muskeln. Mein Zwillingsbruder hatte mich deswegen immer genervt, weil er nicht mithalten konnte – oder wollte.
Da, wo die schwarze Jeans aufhörte, und mein ansehnliches Sixpack begann, hatte Sanne meine leicht gebräunte Haut mit schwarzer Farbe besprüht, dass jetzt wie ein glänzendes, pechschwarzes Fell meinen gesamten Oberkörper bedeckte. Sie hatte es tatsächlich geschafft, dass die Farbe weich und stofflich wirkte und dennoch meinen eigentlichen Körperbau hervor hob.
Mein Gesicht war mit Hilfe einer Halbmaske und geübter Pinselstricke in das majestätische Antlitz einer schwarzen Raubkatze verwandelt worden. Meine eisblauen Augen leuchteten irisierend aus dem Schwarz.
Als ich lachte, blitzen meine weißen Zähne aus der Dunkelheit hervor. Timo tauchte hinter mir auf und grinste mich im Spiegel an.
„Na? Gefällts dir?“ fragte Sanne, während sie ihre Utensilien wieder zusammen räumte.
„Ja, danke, Sanne. Das hast du echt prima hinbekommen. Schaut richtig... sexy aus.“
„Ich wusste, dass ich deine Eitelkeit streicheln könnte.“ kicherte Timo und klopfte mir auf die Schulter. Schon wurde meine Laune etwas gedämpft. Was sollte das heißen? Nur weil ich auf mein Äußeres achtete, nennt er mich Eitel? Nun ja, zugegeben, ich fand mich schon verdammt sexy, aber normal stolziere ich nicht herum...
„Dann mal raus mit dir, wir eröffnen gleich. Deine Bar erwartet dich.“
Ich verabschiedete ich von der Bodypainterin und verließ das Büro. Draußen war schon eine Menge los. Die jungen Damen und auch einige sehr ansehnliche männliche Kellner standen mit Tabletts für die Begrüßungsdrinks im Foyer und warteten auf die Gäste. Timo sah sich jeden einzelnen genau an, um den letzten Qualitätscheck durch zu führen. Ich wartete nicht, bis sich die Türen öffneten; ich machte mich direkt auf den Weg in die Lounge, wo meine Bar auf mich wartete.
Hier warf ich ein paar Blicke in die Schränke und Regale und warf einen Blick auf die Flaschen, die hier lagerten – alles erstklassige Marken. Zehn verschiedene Whiskey Sorten, Chivas Regal, Dimpel, Glenfarclas, Glen Morray. Alle mindestens 15 Jahre alt, fassgereift. Ich pfiff durch die Zähne. Zwar war ich kein echter Kenner, aber selbst mit meinem Laienwissen, war mir bewusst, dass diese Flaschen nicht billig waren.
Daneben gab es noch einige unterschiedliche Tequillas, Vodka, und alles Mögliche zum Mischen und Mixen. Frisches Obst, Eis und frische Sahne für Cocktails jeden Geschmacks. Zwischen den Gläsern jeglicher Art, fand ich aber auch Näpfe aus Kristall, die mich wieder etwas verwirrten.
„Nun gut, dann warten wir mal, was da kommt.“ Dachte ich mir und wischte über die glänzenden Armaturen der Bierzapfanlage.
Die ersten Gäste kamen etwa eine halbe Stunde nach der Eröffnung zu mir in die Lounge. Es war ein junges Pärchen, vielleicht Mitte zwanzig. Sie trug einen Body in Leoparden-Optik, weiße Netzstrümpfe und aus ihren roten, hochtoupierten Haaren lugten zwei plüschige Öhrchen heraus. Ihr Gesicht war „normal“ geschminkt und sie lächelte schüchtern. Er war in einen schwarzen Anzug gekleidet und wirkte elegant und zielstrebig. Von der Statur her war er eher schmächtig, was vom Anzug aber gut kaschiert wurde. Von Hinten wirkte er normal, wie ein junger Geschäftsmann. Doch dann drehte er sich zu mir um und ich sah sein Gesicht...
Er hatte sich aufwendig ein Schlangenhaut-Muster in Grün-Grau auf das Gesicht gemalt und trug gelbe Kontaktlinsen, die ihm Reptilienaugen verliehen. Ich blickte ihn fasziniert an. Dann sprach er mich an und bestellte mit zischender Stimme zwei Cosmos – und mein Lächeln wäre mir um ein Haar aus dem Gesicht gefallen. Seine Zunge... er hatte sie sich spalten lassen und ließ sie jetzt immer wieder vorschnellen, wie es eine echte Schlange tun würde.
„Zum ersten Mal bei einem Furry-Treff?“ fragte die Leopardin und lächelte mich freundlich an.
„Entschuldigung. Ich wollte Sie nicht anstarren. Und ja, es ist tatsächlich das erste Mal.“ stammelte ich verlegen und beeilte mich, die Cosmopolitans zusammen zu mixen.
Die Beiden lachten nachsichtig und nahmen Platz.
„Keine Sorge, die meisten von uns haben ein ziemlich dickes Fell, wenn Sie verstehen!“ zischte die Schlange und beide lachten schallend über den Wortwitz.
„Snake, Cleo. Ihr amüsiert euch ja schon!“ erscholl eine Stimme aus dem Eingangsbereich, wie das Knurren einer gewaltigen Raubkatze. Und schon trat der König des Dschungels in die Lounge. Er war riesig, mit Sicherheit mehr als zwei Meter groß und ein wandelnder Muskelberg. Seine Beine steckten in schwarzen Lederhosen, wie Biker sie tragen, über seine Schultern lag eine ebenso schwarze Lederjacke. Darunter trug er... ein Tigerfell...
Draußen herrschten sommerliche 35° und wenn ich die Lederkluft sah, kam mir schon der Schweiß und doch trug dieser Hüne ein Shirt, dass richtig wie Pelz aussah.
Um seinen breiten, muskulösen Hals trug er ein dunkles Halstuch, dass tätowierte Tigerstreifen verdeckte, die sich bis zum Haaransatz und zum Kinn hochzogen. Sein Kinn war männlich markant und von einem blonden mit schwarzen Strähnen durchzogenen 10 – Tage – Bart geziert. Der Rest vom Gesicht wurde hinter einer Halbmaske verdeckt.
Mein Herz schien stehen geblieben zu sein und ich hatte die Luft angehalten. Auch meine motorischen Fähigkeiten hatten Aussetzer, denn ich hielt immer noch den Shaker über das Cosmoglas, ohne zu schütten. Was für ein Mann. Er strahlte Kraft und Dominanz aus. Ein echtes Alpha-Männchen, wenn wir uns schon im Tierreich bewegen. Er schien den ganzen Raum einzunehmen, oder ging es nur mir so? Aber nein, denn Cleo und Snake – meine beiden Kunden – waren aufgesprungen. Snake senkte den Kopf zum Gruß und Cleo schritt in beinahe unterwürfiger Haltung zu dem Tiger hinüber und strich an ihm vorbei, wie eine Hauskatze, die ihrem Herrchen um die Beine schlich.
Die Enttäuschung, die ich verspürte musste ich kräftig herunterschlucken. Ich war nicht hier, um einen Kerl zu finden. Ich war hier um Geld zu verdienen. Außerdem, was wusste ich schon über diese „Fellträger“...
Ich zwang mich, meinen Blick zu senken und mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren. Zum Glück holte Snake beide Cosmos ab und die drei verließen die Lounge zu einem der Séparées.
Als ich wieder allein war, entließ ich die angestaute Luft aus meinen Lungen und ließ mich auf den Hocker fallen, der hinter der Bar stand. Mir war richtig heiß geworden und mit einem mal bemerkte ich die Beule in meiner Jeans.
„Oh nein, bitte...“ murmelte ich peinlich berührt und war froh, dass zur Zeit niemand hier war. Ich schloss die Augen und versuchte an etwas absolut unerotisches zu denken. Doch wie sehr ich mich auch anstrengte, in jedes Bild schlich sich der Tiger ein. Merkel bei ihrem Besuch in China... aus dem tiefen Dschungel hinter der Bühne schritt der Tiger mit geschmeidigen Schritten auf mich zu. Das ulkige Katzenvideo mit den beiden Miezen, die sich vor dem Auto anknurrten … Majestätisch schreitet der Tiger an beiden vorbei und beendet ihren Streit mit einer erhabenen Geste seiner starken Hand...
In meiner Hose wurde es immer enger.
„Ist alles in Ordnung mit Dir?“ erklang eine helle Frauenstimme. Erschrocken fuhr ich zusammen und sprang auf. Nur so dicht wie möglich an der Bar stehen, dachte ich bei mir, damit niemand etwas mitbekommt.
Vor der Bar stand eine der Kellnerinnen mit einem leeren Tablett. Sie blickte mich besorgt an.
„Geht es dir nicht gut?“
„Äh ja ja, danke. Alles in Ordnung. Ich .. äh... ich...“ stammelte ich hilflos und versuchte ihrem Blick auszuweichen. Doch sie lachte nur leise und legte das Tablett ab.
„Schon okay, ich musste mich auch erst mal an diese Fellträger gewöhnen. Sind schon alle ein wenig strange, oder? Ich habe vorhin am Eingang echt ein Lila Einhorn gesehen. Kannst du dir das vorstellen? Ein Einhorn... und in dem Kostüm steckte ein Kerl, nicht etwa ein kleines Mädchen.“
„Tina!“
Wir zuckten beide zusammen. Timo war hinter ihr aufgetaucht und seinem Gesichtsausdruck nach fand er ihre Schilderung alles andere als angebracht.
„Herr Voss, es tut mir leid!“ beeilte sie sich, ihre Entschuldigung hervor zu sprudeln. „Ich wollte nicht respektlos klingen!“
„Einer der Gäste hätte dich hören können. Wir haben hier speziell für diese Gemeinschaft einen Ort geschaffen, an dem sie sich treffen können und dann kommen solche Reden hier? Wenn das noch einmal vorkommt, kannst du dir was anderes suchen!“
Wow, so autoritär hatte ich meinen alten Freund noch nie gesehen. Es war ihm offenbar wirklich ernst. Tina jedenfalls war eingeschüchtert und schnappte sich ihr Tablett, um schleunigst von der Bildfläche zu verschwinden.
Als sie weg war, kam Timo zu mir und ließ sich auf den Barhocker fallen.
„Mach mir mal ein Bier fertig, Chris. Das war bereits die zweite Verwarnung, die ich aussprechen musste. Ich hätte vielleicht besser auswählen sollen.“
Ich stellte das frisch Gezapfte vor ihm ab und grinste.
„Lass mich raten, du hast ein paar Etagen tiefer entschieden und dich kaum mit ihnen unterhalten, richtig?“
„Naja, man will ja auch was fürs Auge, oder?“
Ich konnte nur mit den Augen rollen. Da war er wieder, der dumme kleine Timo von früher. Der nie nachdachte bevor er etwas tat und dadurch stets in Schwierigkeiten geriet.
Mit schnellen Zügen leerte er das Glas Bier und stellte es mir wieder hin. Dann erhob er sich, winkte mir wortlos und ging wieder. Erst jetzt erkannte ich seine Anspannung. Seine Schultern waren hoch gezogen und sein Gang war irgendwie steif. Anspannung wegen der Eröffnung? Wegen der Verfehlungen seiner Kellnerinnen oder war da noch mehr? Plötzlich sammelten sich kleine Hinweise zu einem nagenden Verdacht:
Die großzügige Vergütung meiner Position, sein ständiges Ausweichen, wenn ich Details nachfragen wollte und der Sicherheitsdienst in den Händen einer vermeintlich kriminellen Rockerbande...
Ich wurde aus meinen Gedanken gerissen, als eine Gruppe weißer Kaninchen zu meiner Bar herüber geschlendert kam, wild in ein Gespräch auf Schweizerdeutsch vertieft. Sie steckten in schwarzen Anzügen und trugen Hasenpfoten an Händen und Füßen. Ihre Köpfe steckten in Vollmasken, die sie alle wie Roger Rabbit aussehen ließen.
„Was darf’s sein, Gentlemen?“ fragte ich freundlich.
„Fünf Red Twister und lange Strohhalme, bitte!“
Ich hielt inne, da ich keine Ahnung hatte, was zum Henker ein Red Twister war. Der Hase, der die Bestellung aufgegeben hatte, starrte mich aus seinen künstlichen Augen an und schien darauf zu warten, dass ich mit dem Mixen anfing.
„Entschuldigen Sie, aber was genau ist ein Red Twister? Dieser Cocktail ist mir nicht geläufig.“ fragte ich vorsichtig und hoffte, dass die Karnickel mir wenigstens erklären konnten, was sie da haben wollten.
Bunny Nummer zwei nahm seinen pelzigen Kopf ab und legte ihn auf den Tresen. Darunter kam ein etwa sechzigjähriger Mann mit Halbglatze und tiefen Tränensäcken zum Vorschein. Seinem Beispiel folgend, nahmen auch die anderen Nager ihre Köpfe ab. Unterschiedlicher hätte die Gruppe kaum seinen können. Neben dem älteren Herren, der wie ein pensionierter Lehrer wirkte, gab es eine junge Studentin mit sehr kurzem schwarzen Haar, zwei Männer meinem Alters, die ganz offensichtlich Brüder sein mussten und einen Knirps von höchstens sechzehn Jahren – der Besteller.
„Ein Red Twister ist recht einfach. Eins zu eins Möhrensaft und Batida de Coco vorsichtig zusammen gegossen und dann zu einem weiß - roten Wirbel verrührt“, erläuterte die Studentin. Mit Blick auf den Knirps zog ich die Augenbrauen hoch.
„Für euch vier gern, aber der junge Mann hier scheint mir noch nicht volljährig zu sein!“ Ich nahm meine Verantwortung als Barkeeper dem Jugendschutz gegenüber sehr ernst.
Minibunny passte das gar nicht und er knirschte mit den Zähnen, während der Lehrer gutmütig lächelte und ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter legte.
„Alles gut. Für Mister Kay Nickel hier Kokosmilch statt Batida.“
Als ich die Berührung des Alten auf der Schulter des Jungen sah, zog sich mein Magen zusammen. Zuerst hatte ich gar nicht daran gedacht, aber was machte dieser Bengel so weit von zu Hause mit diesen seltsamen Menschen. Zumal ich immer noch nicht wusste, was genau Furries waren.
Einer der Brüder schien meine Gedanken zu erraten:
„Sie kennen sich mit Furries nicht wirklich aus, oder?“
Ich spürte die Röte in meine Wangen steigen.
„Nein, tut mir leid. Nicht wirklich.“
Alle vier Erwachsenen legten versöhnliche Gesichter auf, während Minibunny offenbar noch sauer war, dass ich ihm den Alkohol vorenthalten wollte.
„Wir sind ein Klan, eine Familie. In dieser Welt wie in der wirklichen. Das hier ist mein Bruder,“ - er deutete auf den Mann, den ich bereits als solchen erkannt hatte.
„Tina ist unsere Cousine und Kay ist unser Neffe. Und dies hier“ er legte stolz den Arm um den älteren Herrn - „das ist unser Vater, der Großvater von Tina und Kay.“
„Wir fahren gemeinsam weltweit auf Conventions und als wir von der Eröffnung dieser Bar gehört haben, mussten wir herkommen.“
Wir plauderten noch eine ganze Weile. Zum Glück nahmen sie mir meine Sorge, bezüglich des Jungen nicht übel, ganz im Gegenteil. Stefan und Andre waren die ersten in der Familie gewesen, die sich den Furries angeschlossen hatten und nach und nach hatten sie ihre Familie auf den Geschmack gebracht.
Ich erfuhr, dass Furries eine Art Subkultur ähnlich der Cosplayer waren, Menschen, die sich mit Tier- oder Tiermischwesen identifizierten und dies durch Kostüme und komplette Identitäten auslebten. Während meiner Recherche war ich auf eine CSI Folge gestoßen, die sich mit Furries beschäftigt hatte und es so dargestellt hatte, als würden diese Pelzträger Massenorgien – Knäuel genannt – veranstalteten. Dies war ganz offensichtlich nicht so und ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, als ich an die Separees dachte, die Timo eingerichtet hatte. Er würde wohl um dekorieren müssen.
Wir unterhielten uns sicher noch eine halbe Stunde, bis die fünf ihre Drinks geleert hatten und sich dann mit einer anderen Hasengruppe davon machte. Mittlerweile war die Lounge auch gut gefüllt. Nicht weniger als einhundert Tierwesen tummelten sich hier und ich hatte alle Hände voll zu tun ihre Wünsche zu erfüllen. Nach und nach lernte ich immer mehr über diese Furries und begann zu verstehen, warum sich Erwachsene in Plüschtiere verwandelten.
Das Kostüm bietet einem die Möglichkeit, eine neue Identität zu gestalten, die eigenen Schwächen zu kaschieren und die Stärken so hervor zu heben, dass eine starke Persönlichkeit entsteht.
Realitätsflucht der kuschligen Art. Je länger ich mit diesen Menschen sprach, desto mehr wünschte ich mir, ein bisschen mehr wie sie zu sein.
Kurz vor Mitternacht wurde es etwas ruhiger. Die meisten Furries hatten sich in Gruppen in die ehemaligen Kinosäle zurückgezogen und tanzen und feierten dort ausgelassen. In der Lounge saßen nur noch vereinzelt Gäste und unterhielten sich bei leiser Musik. Ich nutzte die Ruhe und sortiere die Bar neu. Und während ich da so stand und mit meinem Lappen die Gläser polierte, dachte ich über die Leute nach, die ich heute getroffen hatte. Die Hasengruppe aus der Schweiz, das Einhorn, das im richtigen Leben Justizbeamter ist… und dann dieser Tiger… Bei dem Gedanken an den Tiger bekam ich plötzlich eine Gänsehaut. Diese große Erscheinung hatte so viel Macht und Kraft ausgestrahlt, pure Männlichkeit. Ich bin bei Leibe kein unterwürfiger Mensch, aber diese Überdosis Maskulinität raubte mir selbst jetzt, wo ich nur darüber nachdachte, den Atem. Ich konnte ihn förmlich vor mir sehen, groß, kräftig, winkend… Winkend? Abrupt stürzte ich aus meinen Gedanken in die Realität. Der Tiger stand leibhaftig vor mir und wartete offenbar auf meine Reaktion. Offensichtlich hatte er mich angesprochen und ich hatte nur dämlich grinsend vor mich hingeträumt. Zum Glück sah man unter der Maske und dem Makeup nicht, dass ich knall rot wurde.
„Alles ok?“ fragte der Tiger etwas besorgt. Oh Mann, diese Stimme.
„Äh.. ja klar. Sorry, war stressig bisher. Was kann ich denn für dich tun?“ So unauffällig wie möglich wischte ich meine schwitzigen Hände am Lappen ab, damit ich gleich sein Glas anfassen konnte.
„Eigentlich hatte ich gefragt, wann du hier Schluss machst?“ Ganz souverän und trocken haute er mich von den Füßen. Meine Kinnlade war mindestens bis zum Tresen herunter gefallen.
„Was?“ keuchte ich ungläubig.
„Du gefällst mir. Und wenn ich dich so betrachte, geht es dir wohl genauso.“ Seine grünen Augen blitzten hinter der Maske verführerisch hervor.
Ich war überrumpelt. Vor mir stand der mit Abstand heißeste Kerl, dem ich in den letzten Jahren begegnet war. Ein Kerl, dessen alleinige Anwesenheit bei mir eine Erektion aller bester Güte hervorrufen konnte. Und dieser Kerl wollte mich offenbar anbaggern. `Bist du ein bisschen dumm? Greif zu!´ schrie mir meine Libido zu und Recht hatte sie. Ich war seit Jahren Single und abgesehen von ein paar enttäuschenden Begegnungen in einschlägigen Clubs, war ich total untersext.
„Also eigentlich bin ich hier, bis der Petshop schließt, aber… Ich könnt eine Pause brauchen.“
Ein aufforderndes Nicken reichte und schon ließ ich meinen Lappen fallen. Ich stellte fix das Schild auf, das ich bald wieder da sei und eilte hinter der Bar hervor. Kaum hatte ich den Tresen passiert, als die starken Hände des Tigers mich packten und an seinen kräftigen Körper pressten. Seine Lippen wanderten über meinem Hals und plötzlich spürte ich sanft seine Zähne an meiner Haut knabbern.
„Oh Gott…“ war alles, was ich noch hervor bringen konnte….
Mit weichen Knien lotste ich ihn zu der kleinen Tür seitlich der Lounge, wo die Vorräte gelagert wurden. Während unsere Lippen aneinander klebten, und seine Hände bereits an meinem Gürtel zerrten, fingerte ich die hakelige Tür auf und zog ihn mit mir in den kleinen Abstellraum. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, als es für uns kein Halten mehr gab. Ungeduldig zerrte ich sein Fellhemd über seinen Kopf und legte einen bombastisch trainierten Körper frei, der komplett mit Tigerstreifen tätowiert war. Doch ehe ich das Kunstwerk näher inspizieren konnte, hatte er mich bereits gepackt und gegen die Wand gedrückt. Seine unglaublich weichen Lippen pressten sich auf meine. Wild fordernd erkämpfte sich seine Zunge ihren Weg in meinen Mund und vollführte wahre Ringkämpfe mit der Meinen. Ich wollte seine Maske lüften, doch er griff meine Hand und schob sie bei Seite. Wir würden also anonym bleiben. Prickelnd.
Meine Finger krallten sich in seine blonden Haare, während seine längst meine Hose geöffnet hatten. Mit einem Ruck drehte er mich um, und presste sich von hinten gegen meinen Hintern. Ich stützte mich an der Wand ab, um ihm den nötigen Gegendruck zu bieten, dann spürte ich schon seine Finger zwischen meinen Backen.
Heiser stöhnte ich auf, als er mit einem Finger in mich eindrang. Eine Welle durchfuhr meinen ganzen Körper und ließ mich erschauern. Vorsichtig bewegte er sich vor und zurück, während er mir sanft den Nacken liebkoste.
„Mehr!“ keuchte ich fordernd und drückte mich ihm entgegen. Als er sich aus mir zurückzog, begann Enttäuschung das Wohlgefühl zu verdrängen, ungeduldig knurrend, presste ich mich enger an ihn.
„Warte“ hörte ich ihn ganz dicht an meinem Ohr. „Ich habe keine Kondome dabei.“ Bedauern schwang in seiner vor Erregung heiseren Stimme. Ich war mittlerweile so heiß, dass ich fast so leichtsinnig gewesen wäre, ihn zu bitten, dennoch weiter zu machen. Doch ein kleiner Funken Restverstand ließ mich vernünftig sein. In meiner Geldbörse hätte ich welche, aber die lag – mit meinen Klamotten in Timos Büro.
„Hör bitte nicht auf“, bettelte ich und griff nach seiner Hand. Ich digerierte ihn wieder dorthin, wo er noch vor kurzem war. Während er seine Finger vorsichtig wieder in mich hinein gleiten ließ, ergriff ich seinen harten Schwanz und begann ihn vorsichtig zu reiben. Genussvoll knurrte er in mein Ohr und biss sanft in meine Schulter. Mit seiner freien Hand griff er nun um mich herum und begann seinerseits meinen Schwanz im gleichen Rhythmus zu massieren.
Es dauerte nicht lang und wir waren so im Einklang, dass wir zusammen kamen. Erschöpft sank ich vor der Wand auf die Knie und stützte mich mit der Stirn daran ab. Mit geschlossen Augen nahm ich wahr, dass er sich neben mir ebenfalls hin gesetzt hatte und schwer atmete.
„Wow, das hatte ich jetzt gebraucht.“ schnaufte er und wischte sich ein paar Schweißperlen vom Haaransatz.
Ich nutzte die Gelegenheit, um ihn genauer an zusehen. Er war wirklich sehr muskulös, wie man unter dem Fellhemd ja schon vermuten konnte. Sein Oberkörper war – wie ich schon zu Anfang gesehen hatte – mit Tigerstreifen tätowiert. Hier hatte der Künstler sich wirklich viel Mühe gegeben, das ganze so authentisch wie möglich wirken zu lassen. Die Streifen liefen horizontal über den Rücken und waren etwa fünf Zentimeter breit. Die Konturen hatte der Tätowierer leicht ausgefranst, so dass sie eine fellähnliche Struktur bekamen. Über den Rippen liefen sie zusammen, trafen sich aber nicht. Auf der Brust endeten sie spitz zulaufend , so dass von Brustbein bis Bauchnabel eine untätowierte Lücke entstanden war. Über seinen Lenden führten die Streifen näher zusammen und liefen spitz nach Süden zu – ein Fingerzeig?
Auch seine kräftigen Oberarme waren mit Streifen tätowiert, allerdings nur bis zur T-Shirt Grenze.
Ich versuchte ihn mir in Straßenklamotten vorzustellen, schaffte es allerdings nicht wirklich. Seine animalische Erscheinung ließ nichts Alltägliches, Normales zu. Und während ich noch grübelte, stand er plötzlich auf.
„Ich muss zurück, sonst melden meine Freunde mich noch als vermisst.“ lachte er leise. „War wirklich schön mit dir. Vielleicht sieht man sich mal wieder.“
Eine Typische Verabschiedung nach einem Treffen im Darkroom. Nun ja, mehr als einen Quickie hatte ich ja eh nicht erwartet, aber dennoch fühlte ich ein leises Bedauern in mir aufsteigen.
Nachdem er den Raum verlassen hatte, erhob ich mich ebenfalls und sah mich nach einem Tuch zum Abwischen um. Natürlich war hier nichts, ausser Flaschen, Fässer und Gläser, Barkram halt. So blieb mir nichts anderes übrig, als die Hose so hoch zu ziehen und zu versuchen das klebrige Gefühl zu ignorieren. Vor der Tür hörte ich plötzlich einen Tumult. Vorsichtig öffnete ich die Tür und sah wie Gäste in der Lounge hektisch diskutierten und umher liefen. Einige der Kellnerinnen waren ebenfalls dabei und schienen nicht minder aufgeregt und – ja ratlos zu sein. Ich versuchte möglichst unauffällig aus der Kammer heraus zu treten und gesellte mich zu zwei der blonden Weibchen, die mit einander tuschelten.
„Ladies, was ist hier los?“ fragte ich und versuchte mich dabei umzusehen.
„Du bist der Barkeeper, richtig?“ fragte Blondie Nummer eins – Tonfall und Gesichtsausdruck zeugten davon, dass sie wohl nie einen Nobelpreis gewinnen würde.
„Richtig beobachtet, also? Was geht hier vor?“
„Die Bullen sind da.“ Blondie Nummer zwei war offenbar cleverer als ihre Freundin. „Sie sind beim Boss im Büro. Kevin meinte, es gäbe wohl Probleme mit den Genehmigungen. Timo war richtig hysterisch!“
Ich hatte es gewusst. Es war einfach zu perfekt gewesen. Ich dankte den beiden Kellnerinnen und beeilte mich, Timo in seinem Büro bei zu stehen.
Als ich die Bürotür öffnete, lief ich in einen Streifenbeamten hinein, der mich finster ansah.
„Hey, draussen bleiben!“ fuhr er mich an, doch ich ignorierte ihn und blickte mich nach Timo um. Er saß in der Ecke auf einem seiner Sessel, während hinter seinem Schreibtisch eine Frau mittleren Alters mit viel zu ernstem Gesichtsausdruck und einem grauenvoll – langweiligem Hosenanzug saß und in seinen Papieren blätterte.
„Und Sie sind?“ schnarrte sie mich an. Bevor ich antworten konnte, tat Timo dies für mich: „Das ist Christoph Holzer, mein bester Freund. Er hilft mir als Barkeeper aus“, warf er in den Raum und fixierte mich fest.
„Kann ich helfen?“ fragte ich Timo, doch der schüttelte nur den Kopf. Er wirkte am Boden zerstört. Ich nahm mir vor, zunächst einmal Mitleid mit ihm zu haben und meine „Ich hab´s gleich gewusst“ Ansprache vorerst weit nach hinten zu verlegen.
Die Beamtin hatte weiter in den Unterlagen geblättert und blickte nun wieder zu Timo hinüber.
„Wir machen hier erst einmal dicht! Sie haben keine Schanklizenz. Die Baunutzungsänderung liegt auch nicht vor. Sie können nicht einfach eine Prostitutionsstätte in einem alten Kino aufmachen, ohne Genehmigung.“
Timo und mir viel die Kinnlade bis auf die Knie.
„Das ist hier keine Prostitutionsstätte!!“ rief Timo erbost. „Das ist ein Convention Center für Fury-Fans.“ Den Blicken der Beamten nach zu schließen, kannten sie Furries wohl genau so wenig wie ich zuvor und hatten die selben Vorurteile. Und dem Seitenblick des Mannes neben mir zu Urteilen sorgte meine Anwesenheit sicher nicht gerade dafür, dass der Eindruck sich besserte. Erst jetzt viel mir wieder ein, dass ich vermutlich furchtbar nach Sex riechen musste. Ich hoffte, dass es noch früh genug war, und wollte mich zurück ziehen, doch die Beamtin erhob sich und gebot mir mit einer strengen Kopfbewegung, da zu bleiben.
„Wir nehmen ihre Personalien auf und dann verlassen Sie dieses – Etablissement. Die Beamten werden mittlerweile sicher ihre Gäste hinaus begleitet haben.“ Dann ging sie hinaus.
Unter den starren Augen des uniformierten Beamten, holte ich meine Papiere aus meiner Hose und reichte sie ihm. Timo saß wie ein Häufchen Elend in seinem Sessel und schüttelte den Kopf. Bei allem Unbehagen, das ich im Moment verspürte, tat er mir doch schrecklich leid.
Wortlos reichte der Polizist mir meinen Ausweis wieder und ließ nochmal bedeutungsvoll seine Augen an mir hoch und runter wandern. Der Ekel stand ihm geradezu ins Gesicht geschrieben.
Timos Ausweis hatte er ebenfalls abgeschrieben, danach verließ er uns ohne ein weiteres Wort. Durch die geöffnete Tür drang mittlerweile kein Laut mehr. Offenbar hatten die Beamten tatsächlich in kürzester Zeit den Laden geräumt. Ich nahm meine Klamotten in die Hand und legte die freie auf Timos Schulter.
„Komm, ich bring dich nach Hause.“
„Wie soll ich das nur Sandra erklären?“ winselte er. Sandra war seine Freundin. Zehn Jahre älter und mit beiden Beinen im Leben. Sie hatte einen gutgehenden Friseurbetrieb in der Dortmunder Innenstadt und war durch und durch eine Unternehmerin. Seit fünf Jahren war sie mit Timo zusammen und hatte schon so einige Fehlschläge mit ihm durchgemacht.
„Timo, sie liebt dich. Was soll schon sein? Sie wird dich unterstützen und lieben, wie sie es immer getan hat.“
Resigniert ließ er sich von mir raus führen. Vor der Tür stand die Beamtin mit einigen weiteren Polizisten und wartete, bis wir den Petshop verlassen hatten. Nachdem Timo die Tür verschlossen hatte, klebte sie ein Siegel auf das Schloss.
„Sie bekommen Bescheid!“ sagte sie und verzog sich dann mit ihren Untergebenen.
Mit eingezogenem Kopf schlurfte Timo neben mir durch die Bahnhofstrasse zum Parkhaus. Zum Glück gab es zu so später Stunde nicht allzu viele Schaulustige. Ich verfrachtete ihn auf den Beifahrersitz meines Autos und fuhr ihn dann zu Sandra nach Hause. Das weiße Einfamilienhaus lag im Dunkeln. Sandra schien also schon zu schlafen. Verständlich um zwei Uhr nachts. Ich parkte vor dem kleinen Jägerzaun und stieg gemeinsam mit ihm aus. Als er die kleine Pforte öffnete, um das Grundstück zu betreten, kam ein kleiner dunkler Blitz auf ihn zugeschossen. Rocky, eine Promenadenmischung wie sie im Buche steht, sprang freudig winselnd und mit dem kleinen Stummelschwanz wildwedelnd an seinem Herrchen auf und ab. Timo ging in die Knie und herzte das treue Tier ausgiebig. Nun drehte Rocky richtig auf und jabste und jaulte vor überschwänglicher Freude, als hätte er sein Herrchen seit langer Zeit nicht gesehen. Dazu muss man wissen, dass Rocky vor zwei Jahren an der Autobahn von seinen Vorbesitzern ausgesetzt wurde, und laut Aussage vom Tierheim mehrere Tage am Randstreifen gesessen und auf seine Familie gewartet habe. Sandra und Timo hatten ihn verschüchtert im Heim vorgefunden und sich sofort in das Knäul verliebt. Und seitdem war der kleine Racker überglücklich und anhänglich und zeigte seine ganze Dankbarkeit mit vollem Körpereinsatz.
„Hey mein Kleiner“, sprach Timo auf ihn ein und seine Stimme klang schon viel leichter.
„Soll ich noch mit hinein kommen?“ fragte ich leise, doch er schüttelte den Kopf.
„Danke, aber du hast ja Recht. Sandra hat mich immer unterstützt und sie wird mir auch jetzt Halt geben. Es tut mir leid, dass du wegen mir Scherereien hast.“
Ich winkte ab und lächelte.
„Darüber machen wir uns Gedanken, wenn es soweit ist. Jetzt geh erst mal rein und leg dich hin. Wir telefonieren die Tage.“
Eine halbe Stunde später schloss ich meine eigene Wohnung auf. Erst jetzt spürte ich eine große Erschöpfung in mir. Im Badezimmer ließ ich die Klamotten vor der Waschmaschine auf den Boden fallen und betrachtete mich im Spiegel. Die Maske hatte ich in Timos Büro schon abgelegt und dort vergessen, aber das aufgesprühte Panterfell zierte immer meinen Oberkörper. Kein Schwitzen und auch der intensive Körperkontakt mit dem Tiger hatte die Farbe verlaufen lassen.
„Na hoffentlich bekomm ich dich jetzt sauber“, sprach ich zu meinem Spiegelbild und öffnete die schwarze Jeans, die der Petshop als Arbeitsbekleidung gestellt hatte. Im Spiegel entdeckte ich die weißen, krümeligen Überreste von der Begegnung mit dem Tiger und auch der nun aufsteigende leichte Geruch nach Sex weckte die Erinnerung in mir. Achtlos ließ ich auch die Jeans zu Boden sinken und stieg in die Duschkabine. Trotz der noch immer beträchtlichen Wärme, stellte ich das Wasser auf heiß und genoss die Ströme, die nun wie tausend Finger über meinen Körper rannen.
Ich ließ mir etwas Duschgel in die Hand tropfen und begann mich ein zu seifen. Nach kurzem reiben, begann die Farbe sich auf zu lösen und lief in dunklen Rinnsalen meine Beine hinab.
Mein Blick blieb auf dem dunklen Seifenstrudel am Grund meiner gelblichen Badewanne heften… da war er wieder – der Tiger. Und schon spürte ich dieses Ziehen in der Lende…
Es war unglaublich, wie diese Begegnung meine Gedanken bestimmten. Obwohl ich unheimlich müde war, konnte ich die ganze Nacht nicht schlafen und schleppte mich am Sonntag wie ein Zombie durch den Tag. Am frühen Nachmittag kam meine Nachbarin Lucy auf einen Kaffee vorbei. Sie war ein ausgeflipptes Partygirl von 45 Jahren, eine ewige Studentin, die ehr verhungern würde, als ein Tier zu essen und selbst dem Blumenkohl, der auf ihrem Tisch landete, ein Verzeihungsständchen bringen würde. Ich mochte sie gern, auch wenn sie sich als „Schwulenmutti“ in meinem Bekanntenkreis sehr aufdrängte.
„Schätzchen, du siehst furchtbar aus!“ trötete sie beim Betreten meiner Wohnung los und stürmte direkt durch zum Sofa.
„Ich hab dich auch lieb, Lucy“ murmelte ich und schlurfte hinter ihr her. Da sie sich per Whatsapp wie immer angekündigt hatte, standen bereits zwei dampfende Tassen schwarzen Bohnengebräus auf dem Tisch.
„Was ist los, harte Nacht gehabt?“ Sie trank einen riesigen Schluck Kaffee.
„Kann man so sagen…“ versuchte ich auszuweichen. Warum eigentlich? Ihr Spinnensinn schlug offenbar so heftig an, dass sie nachhakte.
„Du bist verliebt, richtig? Wie heißt er, wann lerne ich ihn kennen?“
Ich atmete leicht genervt aus. Wie hasste ich es, wenn sie das machte. Sie konnte in mir lesen, wie in einem Buch und doch zog sie immer die falschen Schlussfolgerungen – oder doch nicht?
„Ich weiß nicht, wie er heißt und ich weiß auch nicht, ob ich verliebt bin. Ehr nicht. Oder.. naja. Ich muss ziemlich stark an ihn denken.“
„Orne-Night-Stand?“
„Hmm.“
„Raus mit den schmutzigen Details!“
Und so berichtete ich ihr, von meinem gestrigen Abend, vom Petshop und ja… vom Tiger.
„Miao!“ machte sie und grinste breit. „Das Mäuschen hat sich einen Kater eingefangen!“
Sie nannte alle ihre schwulen Freunde „Mäuschen“.
„Ich habe mir gar nichts eingefangen. Und ich bin auch nicht auf der Suche. Er… er wird nur eine Weile zu einer erotischen Erinnerung für dunkle Nächte. Ich werde ihn wohl kaum wieder sehen. Zumal ich sein Gesicht nie gesehen habe.“
Sie versuchte noch eine Weile mich zu einem Geständnis zu bewegen, dann gab sie es auf und erzählte mir, dass ihr Professor gerade wieder eine Exkursion in die Eifel plante und sie - wie jedes Jahr – daran teil zu nehmen gedenke. Sie war scharf auf den Lehrer, der sie aber offenbar nicht beachtete. Und so unternahm sie unzählige Versuche, sich bemerkbar zu machen.
Dass er glücklich verheiratet war und drei entzückende Kinderchen hatte, störte sie nicht weiter. Wenn es um ihre Libido ging wurde sie von Veganerin zur fleischfressenden Bestie.
Nachdem sie Stunden später endlich gegangen war, fuhr ich meinen PC hoch und checkte meine Emails.
Terminbestätigung, Dienstag 14 Uhr.
Wenigstens etwas positives, dass mich ablenkte. Die Spedition hatte mir einen neuen Termin für das Vorstellungsgespräch geschickt. Dienstag war super, dann konnte ich mich heute und morgen darauf konzentrieren. Vielleicht vertrieb das den Tiger aus meinen Gedanken.
Den Rest des Abends surfte ich im Internet nach aktuellen Tarifen und Bestimmungsänderungen in der Speditionsbranche und brachte mich auf den neuesten Stand. Zwischendurch rief ich kurz bei Timo an, doch er versicherte mir, dass es ihm gut ginge. Er versprach sich zu melden, sobald er wusste, wie es mit dem Petshop weiter gehen würde und dankte mir nochmals, dass ich für ihn da sei. Zufrieden legte ich auf. Im schlimmsten Fall würde die Polizei mir Schwarzarbeit vorwerfen können, aber da ich bisher kein Geld bekommen hatte, könnte ich behaupten, einem Freund einen Gefallen getan zu haben. Dennoch nahm ich mir vor, bei einem Anwalt einen Beratungstermin zu vereinbaren. Später fläzte ich mich auf die Couch mit einer extra großen Tüte Chips und meiner Sammlerbox „Indiana Jones“ und schaute mir die Klassiker mit einem fantastischen Harrison Fort an.
Irgendwann zwischen „Der Tempel des Todes“ und „Der letzte Kreuzzug“ war ich wohl eingeschlafen. Jedenfalls stand ich plötzlich in einer martialisch ausgestatteten Höhle, in deren Zentrum ein riesiger steinerner Altar stand, umringt von brennenden Fackeln, deren Hitze ich über die Entfernung fühlen konnte. Vor diesem Altar stand, mir zugewandt, ein junger, erotischer Indiana Jones in schwarzer Lederhose und nackter Brust. Seine Haut glänzte im Schein der Fackeln, als wäre er mit Öl eingerieben. Mit laszivem Lächeln winkte er mich heran. Wie automatisiert schritt ich auf ihn zu. Als ich bei ihm angekommen war, nahm er meine Hand und führte mich näher an den Altar heran. Auf diesem lag zu meiner Überraschung eine Person, die ich nur verschwommen wahrnehmen konnte.
„Trink!“ forderte mich Indy plötzlich auf und reichte mir einen reichverzierten Kelch mit blutroter Flüssigkeit. Wie in Trance ergriff ich das Gefäß und setzte es an die Lippen. Erneut nickte er mir aufmunternd zu. Also trank ich. Es schmeckte süß und bitter zu gleich und mit einem Mal veränderte sich meine Wahrnehmung. Die Hitze, die von den Fackeln ausging, verstärkte sich zunehmend und trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Es wurde heller und jetzt konnte ich die Person auf dem Altar auch klar sehen; es war – der Tiger. Sein tätowierter Körper glänzte ebenso wie der von Indy. Seine Arme und Beine waren mit schwarzen Lederschnüren an den groben Stein gefesselt und er war völlig nackt. Während ich ihn betrachtete, stand Indy hinter mir und begann, meinen Nacken zu streicheln und zu liebkosen...
Ein Schauer überkam mich, als ich seine Hände über meinen Rücken gleiten spürte. Gleichzeitig blickte ich auf den Tiger herab. Sein Blick traf sich mit meinem und schien mich fest zu halten. Sehnsüchtig forderte er mich stumm auf, ihn zu berühren. Als ich dann meine Fingerkuppen über seine Tigerstreifen gleiten ließ, schloss er genüsslich die Augen und knurrte. Seine Reaktion auf meine Berührung ließ nicht lang auf sich warten, sein Schwanz wurde hart und richtete sich wie ein Mast auf. Allein dieser Anblick schoss mir das Blut in die Lenden und ich fühlte, wie meine Jeans eng wurde. Im nächsten Moment änderte sich dies jedoch, als Indy von hinten um mich herum fasste, seinen Körper an meinen Rücken presste, und meine Hose öffnete. Als sie fiel befreite sich meine Lust und gab Indy freie Bahn. Ohne zu zögern umfingen seine kräftigen Hände meinen Schwanz und drückten sanft und doch fest zu. Im gleichen Rhythmus begann ich den Tiger zu massieren, der sich in seinen Fesseln auf dem Altar vor Lust wandte. Sein Keuchen und stöhnen mischte sich mit meinem, während Indy mucks-mäuschen still hinter mir stand und mir unglaubliche Lust bereitete. Die Höhlenwände warfen unsere Laute wie eine Symphonie zurück und unser Rhythmus steigerte sich mit jedem Herzschlag. Bald nahm ich nichts mehr um mich herum wahr außer den fordernden Händen um meinen Schwanz, das Pochen, welches den kommenden Höhepunkt ankündigte und die feuchte Wärme in meinen eigenen Händen, die der Tiger bescherte. Im gleichen Moment, in dem ich in einer gewaltigen Explosion kam, kam auch er in meinen Händen und stimmte mit gutturalem Gebrüll in meinen Schrei ein.
Und plötzlich war ich wach. Mit klopfendem Herz lag ich auf meinem Sofa. Weg war die Höhle, der Altar, Indy und – der Tiger. Bedauern breitete sich in meinem Herzen aus. Ob ich es wollte oder nicht, ich musste mir eingestehen, dass dieser animalische Mann mich tiefer getroffen hatte, als ich gedacht hatte.
„Reiß dich doch mal zusammen, Mann!“ schimpfte ich vor mich hin. „Den Kerl wirst du im Leben nie wieder sehen. Gott weiß, woher der kommt!“
Ich rappelte mich auf und schleppte mich verkatert ins Bad und zog mich aus. Eine schnelle kalte Dusche, dann legte ich mich ins Bett. Nicht lange, dann war ich wieder eingeschlafen. Ohne Indy, ohne Höhle und leider ohne Tiger…
Der Montag verlief ereignislos. Timo meldete sich nicht und auch sonst wurde ich von keiner Seele belästigt. Ich verbrachte den halben Tag damit, mein Outfit für das Vorstellungsgespräch zu planen.
Am Ende hatte ich zwei zur Auswahl: einen dunkelblauen Anzug mit hellrosafarbenem Hemd und gelber Krawatte – damit sah ich aus wie ein Versicherungsvertreter – oder Jeans, weißem Hemd und einem leichten schwarzen Sakko. Etwas legerer, aber sicher für eine Spedition sicher angebrachter.
Bis(s) zum Abend(b)rot hatte ich mich für die legerere Variante entschieden und hängte alles Übrige wieder in den Schrank. Und nun? Zum Schlafen war es noch zu früh, gerade erst halb zehn. Noch mal einen Film? Vielleicht… nochmal Indy? HM vielleicht lieber nicht. Für das Vorstellungsgespräch musste ich fit sein. Aber ich war doch irgendwie unruhig, spürte einen Bewegungsdrang. Da hatte ich eine Blitzidee - Lucys Schnuffi! Der Kerl brauchte immensen Auslauf und Lucy war dankbar, wenn man ihr die Wege abnahm. Also zog ich mir Joggingklamotten an und lief die Zwei Etagen zu Lucy´s Wohnung hoch. Nach kurzem Schellen öffnete sie, typisch zerzaust und mit schiefer Brille auf der Nase.
„Na, beim Lernen eingeschlafen?“ fragte ich grinsend.
„Hach ja, du kennst mich“, lachte sie. „Ich kann einem Nickerchen nicht aus dem Weg gehen. Was kann ich denn für dich tun, Mäuschen?“
„Kann ich mir deinen Hund ausborgen? Ich muss mich etwas draußen bewegen sonst explodier ich noch.“
Ihr hinterhältiges, wissendes Grinsen ärgerte mich ein bisschen, aber nicht genug, um mich von meinem Vorhaben abzubringen. Und so reichte sie mir die Leine und stieß einen Pfiff aus. Augenblicklich ertönte Tumult und Gebell in der Wohnung, als der Fünfzig Kilo Rottweiler aus dem Wohnzimmer in den Flur gestürmt kam. Mit schnellem Blick erkannte er, dass ich die Leine in der Hand hielt, was ihm verriet, dass ich derjenige war, der ihn in die Freiheit führte.
Freudig japsend und jaulend sprang er an mir hoch.
„Jaaa, ist ja gut, mein Alter. Ist ja gut. Wir gehen ja jetzt!“ sprach ich, während ich ihn schmuste.
Ich liebte diesen „Köter“, auch wenn es toll war, ihn hinterher wieder abliefern zu können. Aber jetzt ging es erst mal raus. Ich ließ die Leine in das Halsband klicken und schon machte Schnuffi sich auf den Weg nach unten. Bei seiner Kraft hatte ich einige Mühe, ihm auf den Treppen folgen zu können. Da der Rottweiler unter Platzangst litt, konnten wir den Fahrstuhl nicht nehmen.
Draußen hatte es sich etwas abgekühlt und ich genoss die angenehme Luft der klaren Sommernacht. Schnuffi ebenso. Mit zufriedenem Grinsen hechelte er die Straße entlang, unseren gewohnten Weg Richtung Talsperre. Obwohl es schon recht spät war, kamen uns noch verhältnismäßig viele Menschen entgegen. An der Talsperre selbst wurde es dann doch einsamer. Der künstliche See lag mitten in einem kleinen Wäldchen. Um ihn herum führte durch eben dieses Wäldchen ein kleiner Wanderweg, den wir jetzt in einem leichten Laufschritt entlang liefen. Als uns nach fünf Minuten niemand entgegen gekommen war, nahm ich dem Hund die Leine ab und ließ ihn frei laufen. Schnuffi war gut erzogen und würde auf einen Pfiff sofort zu mir zurückkommen, come what may und so konnte ich meinen eigenen Rhythmus finden.
Die Luft hier war rein und herrlich frisch. Es schien, als würden alle Giftstoffe aus meinem Körper heraus gepresst, wenn ich tief einatmete. Hochstimmung stellte sich ein und zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht. Ich liebte das abendliche Laufen. Es machte mir den Kopf frei, wenn ich mich einfach auf das gleichmäßige Staccato meiner Schuhe auf dem Boden konzentrieren konnte. Hin und wieder schaute ich mich nach Schnuffi um, der aber mal vor mir her lief, mal unten am Wasser herumstromerte, aber immer in Blickweite blieb.
Wir hatten den See fast zur Hälfte umrundet und waren nun auf der von der Straße abgewandten Seite, als ich Stimmen vor mir hörte.
„Wohin so eilig?“ rief eine fremde Männerstimme und mehrere Gestalten traten aus dem Schatten der Bäume auf den Weg. Ich blieb einige Schritte vor ihnen stehen und versuchte, die Situation einzuschätzen. Es waren ganz offensichtlich Mitglieder einer hiesigen Rockergang, ihrer Lederkluft mit den Kutten nach zu schließen. Ihr Auftreten war nicht von Grund auf bedrohlich, aber die kleine Stimme in meinem Hinterkopf mahnte mich zur Vorsicht.
„Nur ein kleiner Abendlicher Spaziergang mit dem Hund!“ sagte ich und deutete auf Schnuffis Leine. Zurzeit war der Rottweiler wohl grad am Wasser, denn ich konnte ihn nicht erspähen.
„Ich kenne dich doch.“ sagte einer der Männer. Im dämmrigen Licht konnte ich ihn nicht genau erkennen, aber er schien der Begleiter von Heinz zu sein, dem Türsteher vom Petshop, der am Eröffnungstag mit vor dem Club gestanden hatte. Wenn es sich hier um Heinz´ Gang handelte, war ja alles in Ordnung, also entspannte ich mich.
„Du bist doch der Barkeeper aus dem Club den Heinzi betreut.“
Ich nickte bestätigend und wartete ab. Schnuffi hatte inzwischen wohl bemerkt, dass ich stehen geblieben war, denn er kam vom Wasser hoch auf den Weg und gesellte sich hechelnd und mit seinem Hintern wedelnd an meine Seite. Da ich nicht nervös war, war der Hund es auch nicht.
„Ach so einer bist du!“ schnarrte einer der anderen Rocker, mit tiefer, knurrender Stimme.
„Stehst auf kuschliges Fell und nasse Zungen, was?“ Sein Ton war eisig geworden und seine Worte trafen mich wie Schläge in die Magengrube.
„Was?“ stammelte ich überrascht und blickte die Männer nacheinander an, da ich nicht wusste, wer von den vieren gesprochen hatte. Schnuffi merkte an meiner Haltung, dass die Situation sich veränderte und drückte sich an mein Bein.
„So ein großer Hund ist doch für einen Tierfreund wie dich genau das richtige was?“ knurrte er wieder und die Männer bewegten sich langsam und bedrohlich auf mich zu. Ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass die Männer glaubten, ich sei ein Sodomist, der mit Tieren Sex hätte.
„Halt, wartet mal. Das versteht ihr völlig falsch! So ein Laden ist der Petshop nicht.“ Versuchte ich zu erklären und wich langsam rückwärts, ein verwirrter Rottweiler immer an meiner Seite.
Doch ganz offenbar, wollten sie mir nicht zuhören. Mit geballten Fäusten und bösen Blicken erhöhten sie das Tempo, mit dem sie auf mich zukamen. Nun wurde es mir zu brenzlig. Ich drehte mich geschwind um und begann zu laufen.
„Schnuffi, bei Fuß!“ rief ich noch, in der Hoffnung, dass der Rottweiler sich nicht todesmutig auf meine Angreifer stürzen würde. In hastigem Tempo rannte ich über den dunklen Weg zurück zur Staumauer, wo ich wieder auf die Straße treffen würde.
Zwar läuft es sich in Turnschuhen besser als in Bikerstiefeln, aber ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Rocker mit ihren Motorrädern im Wald gewesen waren. Und genau das waren sie, denn schon bald hörte ich ihre Maschinen knattern. Ich überlegte rasend, wie ich Motorrädern entkommen sollte. Durchs Unterholz wäre am cleversten, aber dabei wurde auch ich ausgebremst. Zum Wasser hinunter wäre auch eine Möglichkeit, aber von dort würde ich nicht zur Staumauer hoch kommen. Also doch der Wald und so schlug ich mich ins Unterholz. In kurzer Pfiff und Schnuffi folgte mir. Hinter mir hörte ich die Rocker fluchen, bald darauf erstarben auch die Motorengeräusche. Sie folgten mir nun wieder zu fuß.
Mein Herz schlug bis zum Hals und meine Lungen brannten schon. Immer wieder strauchelte ich und musste mich neu fangen, da ich an Sträuchern, Wurzeln oder morschen Ästen hängen blieb.
„Bleib stehen, perverses Schwein!“ brüllte es hinter mir und ich drehte mich kurz um, um meinen Vorsprung zu überprüfen. Böser Fehler. Ich stolperte über einen Baumstumpf und landete in einem Brombeer-Busch.
Dornen stachen durch den Stoff meiner Kleidung und rissen meine Haut auf. Ich unterdrückte einen Fluch und versuchte, mein Gesicht mit den Händen zu schützen so gut es ging. Doch das feine Brennen zeugte von wenig Erfolg. Hinter mir hörte ich die Rocker näher kommen, ihre schweren Stiefel stampften über das trockene Unterholz und ihr lautes Keuchen wurde immer deutlicher. Echte Panik keimte in mir auf. Was würden sie wohl mit mir anstellen, wenn sie mich in die Finger bekamen? Eine Kakophonie verschiedenster Bilder rasten durch meinen Kopf, eines schlimmer und schauriger als das andere. Mein Herz pumpte eine riesige Dosis Adrenalin durch meinen Körper. Also ignorierte ich die Dornen und den Schmerz und drückte mich hoch auf die Beine.
Als ich mich aus dem Busch befreit hatte, war mein Vorsprung dahin geschmolzen wie ein Schneemann in der Wüste. Nur wenige Schritte trennten die Rocker noch von mir. Ich sah keine Chance mehr zu entkommen und so wandte ich mich zu ihnen um. Während sie mit bösartigem Grinsen auf mich zuschritten, sammelte ich den letzten Rest meines Mutes und meiner Selbstachtung und richtete mich hoch auf. Wenn sie mich schon fertig machen würden, dann würde ich mich sicher nicht einfach in mein Schicksal ergeben. Immerhin war ich kein Schwächling, so leicht wollte ich es ihnen nicht machen, als plötzlich ein dunkles Grollen von der Seite erscholl. Schnuffi stand neben mir, geduckt und bereit zum Angriff. Das sonst so liebe Gesicht zu einer drohenden Maske verzerrt, die riesigen Zähne gefletscht, bereit alles und jeden anzugreifen, der mir zu nah kam.
Dieser Anblick ließ die Rocker stutzen. Unsicher, ob sich ein Angriff auf mich jetzt noch lohnte, traten sie von einem Fuß auf den anderen. Keiner wollte einen Rückzieher machen, aber ebenso wenig wollte man den ersten Schritt machen und sich der Attacke des Rottweilers aussetzen.
„Mach das du weg kommst, du Pisser!“ rief mir derjenige zu, der Heinz begleitet hatte.
„Wenn wir dich nochmal sehen, bekommst du, was du verdienst!“
Dann drehten sie um und ließen mich mitten im Wald zurück.
Es dauerte einige Augenblicke, bis ich begriff, dass ich dank Schnuffi einer gewaltigen Abreibung entgangen war. Das Adrenalin wich aus meinem Blut und meine Knie wurden weich. Erschöpft sank ich auf den Waldboden, während der Rottweiler sich nun winselnd und mich abschlabbernd an mich drückte.
„Danke mein Junge. Ohne dich wäre ich jetzt Hackfleisch! Ich verspreche dir, dass ich dir morgen das größte und beste Steak besorgen werde, was ich finden kann!“ murmelte ich in seine Schlappohren und drückte mein Gesicht in sein weiches Fell.
Wir kamen erst kurz vor Mitternacht wieder zu Hause an. Als ich schellte, brauchte Lucy nicht lang, um die Tür zu öffnen. Ihr zunächst ärgerlicher Gesichtsausdruck wandelte zu Entsetzen.
„Verdammt, Chris, was ist denn mit dir passiert?“ rief sie aus und wollte mich in ihre Wohnung zerren. Doch ich hob abwehrend die Hände.
„Alles okay, Lucy. Ein kleiner Querfeldein Lauf. Tut mir leid, dass es so spät wurde.“ sagte ich hastig. Sie würde auf jeden Fall die Polizei rufen und darauf hatte ich so echt keine Lust. Angesichts der Tatsache, dass Schnuffi mir nicht von der Seite weichen wollte, blieb Lucy zwar misstrauisch, ließ mich aber gehen.
Als sich die Tür meiner Wohnung hinter mir schloss, fiel alle Stärke von mir ab. Ich sank, mit dem Rücken an der Wand, zu Boden und zitterte. Tränen der Wut und Verzweiflung stiegen mir in die Augen und liefen über meine Wangen herab. Ein scharfes Brennen rief mir die Kratzer in meinem Gesicht in Erinnerung. Das würde mich eine Weile an diese Nacht erinnern. Und mit einem Mal fühlte ich mich wieder so hilflos, wie damals als Teenager, als meine Klassenkameraden mir vor Augen führten, dass ich anders war als sie.
Vor meinen Freunden Timo und Angie hatte ich immer so getan, als mache es mir nichts aus. Doch nachts, allein im Bett traf es mich wie ein Blitz und ließ mich oft verzweifeln. Nur mein Zwillingsbruder Stefan hatte gewusst, wie ich mich gefühlt habe. In meiner Erinnerung fühlte ich seine Hand auf meiner Schulter, als er versucht hatte mich zu trösten. Wie sehr wünschte ich mir jetzt seine Hand, seinen Trost und seinen Halt. Doch das Schicksal hatte ihn weit weg geführt. Stefan lebte jetzt in Südamerika und züchtete eine Art Meerschweinchen in Peru. Und ich war immer noch hier, in Deutschland – allein.
Einen Moment überlegte ich, ob ich Timo anrufen sollte. Doch der hatte genug eigene Probleme wegen des Clubs. Zwar musste ich ihm erzählen, dass dieser Rocker, der bei Heinz war, gefährlich war, aber sicher nicht mitten in der Nacht und schon gar nicht in meiner jetzigen Verfassung.
Ich rappelte mich auf und schlurfte ins Bad. Der Spiegel erzählte eine ganz eigene Geschichte des Abends:
Mein Gesicht war schrecklich zerkratzt. Ein halbes Duzend blutige dünne Furchen überzogen Stirn, Wangen und Kinn. Mein T-Shirt und auch die Bermudas waren zerrissen. Auch hier war die Haut aufgekratzt und dünne, längst getrocknete Blutrinnsale hatten sich gebildet.
Nachdem ich die kaputten Klamotten ausgezogen hatte, betrachtete ich meinen nackten Körper. Die Kratzer waren zwar nur oberflächlich, aber dennoch musste ich sie zumindest desinfizieren. Und so mühte ich mich mit einem Wattepad und Jodtinktur ab, die einzelnen Wunden zu betupfen. Für die im Gesicht nahm ich die Panthenolsalbe in der Hoffnung, dass man sie morgen nicht so deutlich sehen konnte. Was sollte ich beim Vorstellungsgespräch auch sagen? `Tut mir leid, dass ich so ramponiert aussehe. Ich habe gestern Fangen mit einer Truppe krimineller Subjekte gespielt´ war sicher nicht die beste Version. Aber darum musste ich mir jetzt noch keine Gedanken machen. Jetzt wollte ich erst mal nur ins Bett und versuchen zu vergessen, was geschehen war. Ich hatte mittlerweile alle Kratzer soweit versorgen können, bis auf einen am Schulterblatt. Egal wie ich mit streckte und verrenkte, an den kam ich nicht dran.
„Wird schon nicht so schlimm sein!“ sagte ich mir selbst. Es war ja nur ein kleiner Kratzer. Ich schlüpfte in meine Pyjamahose und kroch in mein Bett, doch es dauerte lange, bis mir endlich die Augen zufielen. Und dann kamen die schrecklichen Träume...
Mein Wecker riss mich um halb eins aus diesen Alpträumen. Wie gerädert saß ich auf der Bettkante und starrte aus dem Fenster. Der Himmel war blau und die Sonne schien. Eigentlich ein perfekter Tag. Doch die Erinnerungen von letzter Nacht hingen mir noch in den Knochen. Kurz überlegte ich, den Termin zu verschieben. Aber was machte das für einen Eindruck? Dieser Job war wichtig für mich. Also riss ich mich zusammen und trottete ins Bad. Ein kurzer Blick in den Spiegel verriet mir, dass die Kratzer tatsächlich nicht so deutlich zu sehen waren. Die Salbe hatte einiges Bewirkt. Keine Entzündung, nur kleine dünne Krusten, die ich gleich in der Dusche abwaschen konnte. Ich drehte und wand mich, um auch die Kratzer an meinem Rücken zu begutachten. Bei den meisten sah es ähnlich aus, wie vorn, doch dieser eine Kratzer an der Schulter, den ich nicht erreichen konnte, hatte einen kleinen roten Hof.
„War ja klar.“ brummte ich und stieg in die Dusche. Vielleicht würde es nach der Dusche besser werden. Zumindest fühlte ich mich danach besser.
Ich zog mich an und nahm mir einen Apfel als Frühstück für unterwegs mit. Dann fuhr ich los, damit ich nicht zu spät zu meinem Termin bei Herrn Hoffmann erschien.
Die Spedition Ho-Trans lag ein gutes Stück außerhalb der Stadt, in der Nähe der Autobahnauffahrt. Perfekt für ein Fuhrunternehmen. Rein äußerlich machte die Firma einen guten Eindruck. Mehrere Auflieger und Brücken standen auf dem Hof, fertig zum Beladen. Im Lager wuselten Männer herum, die Ladungen unterschiedlichster Art bearbeiteten.
Das Büro lag etwas zurück in einem extra Gebäude. Davor standen vier Autos. Ein Mercedes – sicher der vom Chef. Dann ein kleiner grüner Smart, ein alter Golf 3 und ein New Beetle in Barbie Pink. Daneben war noch ein freier Parkplatz mit dem Kennzeichen „Besucher“ auf dem ich meinen Wagen abstellte. Als ich mein Auto abschloss, spürte ich etwas Nervosität im Magen.
„Du schaffst das schon!“ sprach ich mir selbst lautlos Mut zu und betrat die Dispo. Ein älterer Herr stand an einer riesigen Deutschlandkarte und steckte mit farbigen Nadeln offenbar eine neue Tour ab. Neben ihm stand ein junges Mädchen und schaute ihm zu. Die Azubine vermutlich. Beide blickten zu mir herüber, als ich mich räuspernd bemerkbar machte.
„Ich habe einen Termin bei Herrn Hoffmann. Holzer ist mein Name!“ sagte ich und das junge Mädchen kam direkt um den Tisch herum.
„Guten Tag, Herr Holzer. Mein Onkel hat Sie bereits angekündigt. Er wartet oben in seinem Büro. Folgen Sie mir bitte.“
Die Nichte also – dachte ich bei mir und ging ihr nach. Sie war keine zwanzig, blond und zierlich. Ein niedliches Ding, so gar nicht für das raue Klima einer Spedition geschaffen und noch schien sie sich hier wohl zu fühlen, denn sie bewegte sich mit einer Sicherheit, als wäre sie genau in ihrer Welt.
Wir mussten eine Etage hoch durch ein helles Treppenhaus. Hinter einer Glastür befand sich ein Flur mit drei Eingängen. Der erste auf der rechten Seite war eine Küche. Hier duftete es nach frischem Kaffee. Gegenüber war die Tür geschlossen. Auf einem kleinen Messingschlild stand „Buchhaltung“ und darunter prankte ein selbst gemachter Aufkleber: „Eintritt ohne Schokolade auf eigene Gefahr“. In dieser Firma hatte man offenbar Humor.
Die letzte Tür am Ende des Ganges war Hoffmanns Büro. Die Tür stand offen und es drang das Geräusch geschäftigen Tippens heraus. Die Nichte klopfte und schob den Kopf in das Büro: „Dein Termin, Onkel Mark.“ kündigte sie mich an.
„Ja, danke Bine. Herein mit ihm.“ erklang eine bekannt klingende Stimme – ein Raunen. Mark Hoffmann. Ich hatte ja bereits mit ihm telefoniert.
„Bine“ lächelte mich an und trat bei Seite, dass ich an ihr vorbei ins Büro eintreten konnte.
„Kann ich Ihnen einen Kaffee bringen?“ fragte sie, als wir auf gleicher Höhe waren.
„Danke gern. Schwarz, ein Löffel Zucker.“ Sie nickte bestätigend und verschwand Richtung Küche, während ich das Büro betrat.
Der Raum war groß und offen. An den Seitenwänden standen einige Regale mit Akten und Büchern. An der Stirnseite vor dem riesigen Panoramafenster stand ein großer Schreibtisch und dahinter stand Mark Hoffmann.
Sein Erscheinen passte perfekt zu seiner Stimme. Groß - über zwei Meter – Muskeln zeichneten sich unter dem weißen Hemd ab, dass sich eng an seinen Körper schmiegte. Die Blonden Haare trug er etwas länger und leicht zerzaust, als hätte er sie nur kurz mit den Fingern gerichtet. Sie waren nicht gleichmäßig Hellblond, sondern von helleren und dunkleren Strähnen durchzogenen. In seinem gebräunten und markant geschnittenen Gesicht blitzten zwei smaragdgrüne Augen. Seine samtigen Lippen bogen sich zu einem freundlichen Lächeln.
Nur der geschlossene Hemdskragen irritierte mich etwas und das Gefühl von Vertrautheit...
„Herr Holzer, nehme ich an.“ sagte er freundlich und kam hinter seinem Tisch hervor.
„Richtig, danke für den schnellen Termin.“ antwortete ich und ergriff die ausgestreckte Hand. Die Berührung schien einen Blitz in mir aus zu lösen, wie ein elektrischer Schlag, nur nicht so unangenehm. Für einen kurzen Moment glaubte ich etwas in seinen Augen zu erkennen, eine wage Unsicherheit, doch gleich darauf kam das Strahlen zurück.
„Bitte nehmen Sie Platz.“
Eine halbe Stunde lang unterhielten wir uns locker, so dass ich gar nicht das Gefühl bekam, in einem Vorstellungsgespräch zu sitzen. Wir waren uns von Anfang an sympathisch. Ich erzählte ihm von meiner bisherigen Berufserfahrung, von meinen Interessen und warum ich jetzt seit längerer Zeit ohne Job war. Dann erzählte er mir, dass er die Spedition vor fünf Jahren von seinem Vater übernommen hatte und gemeinsam mit seiner Schwester, die sich um die Kundenakquise kümmere, die Geschäfte führe. Immer wieder fuhr er mit dem Finger hinter seinen hochgeschlossenen Kragen. Ich bekam den Eindruck, dass er sich eingeengt fühlte und normal den Knopf nicht geschlossen hielt.
„Die Kollegin, die Sie ersetzen sollen, geht jetzt im Oktober in Mutterschutz. Wie sieht es denn bei Ihnen aus? Verheiratet? Kinder?“ fragte er wie beiläufig. Damit hatte ich nicht wirklich gerechnet und fühlte mich etwas überrumpelt.
„Äh nein… ich bin nicht verheiratet.“ stammelte ich etwas perplex.
„Ich... hmmm… ich bin schwul.“ Mit festem Blick beobachtete ich seine Reaktion auf diese Enthüllung, doch so recht konnte ich diese nicht deuten. Seine linke Augenbraue zuckte etwas, doch sowohl sein Lächeln als auch seine freundliche Art veränderten sich nicht.
„Okay, dann müssen wir uns ja keine Gedanken um die Urlaubsplanung in den Ferien machen.“ sagte er und stand auf. „Also, wenn Sie möchten, können Sie gern bei uns anfangen. Ich habe ein verdammt gutes Gefühl bei Ihnen.“
Ich war sprachlos. So schnell hatte ich nicht damit gerechnet.
„Ich … ja klar, gern.“ antwortete ich und strahlte. Seine grünen Augen fixierten mich und wieder war da dieses Aufblitzen von Unsicherheit. Er zögerte kurz, dann lächelte er wieder.
„Dann schicke ich Ihnen in den nächsten Tagen den Arbeitsvertrag zur Unterschrift zu. Wenn Sie dann so ab Mitte August zur Einarbeitung zur Verfügung stehen könnten, wäre das perfekt.“
Ich hätte ihn vor Freude umarmen können, um ehrlich zu sein, musste ich tatsächlich dem Impuls sehr stark gegensteuern, denn ich konnte seine Lippen förmlich auf meinen spüren. Statt dessen schüttelte ich die dargebotene Hand vielleicht etwas zu enthusiastisch.
„Danke, Herr Hoffmann, vielen Dank. Ich freue mich wirklich auf die Zusammenarbeit.“
Wieder fuhr sein Finger hinter den Kragen und zupfte etwas daran, doch diesmal sprang der kleine Knopf ab und flog mir entgegen. Reflexartig find ich das kleine Teufelchen auf. Beide mussten wir lachen, als ich ihm den kleinen Knopf in die Hand legte. Wieder war da diese kleine „elektrische Entladung“ als sich unsere Finger berührten und wieder war da dieses Aufblitzen in seinen Augen. Unsere Blicke hielten einander für einige Augenblicke fest und ich musste mich zusammen reißen, um mich von ihm zu lösen. Mit verlegenem Lächeln räusperte ich mich.
„Ich geh dann mal. Soll ich ihnen den Vertrag zurückschicken? Oder soll ich ihn vorbei bringen?“
„Wenn es ihnen nichts ausmacht, wäre es mir lieb, wenn Sie ihn vorbei bringen würden.“
Ich nickte bestätigend und blickte noch einmal zu ihm auf. Sein Hemdskragen stand nun, mangels Knopf, weit auf und entblößte seinen muskulösen Hals. Allein der Anblick konnte mir den Atem rauben, doch etwas anderes ließ mir die Schamesröte ins Gesicht schießen – die tätowierten Tigerstreifen am Hals...
„Ist alles in Ordnung?“ Herr Hoffmann wirkte verwirrt.
„Ja, alles okay. Ich… ich muss dann los.“ Ich versuchte weiter zu lächeln, vermied aber den Blickkontakt. Jetzt wusste ich genau, woher ich ihn kannte.
Eilig verließ ich das Gebäude und zwang mich, nicht zu schnell zu meinem Auto zurück zu gehen. Ich wollte nicht den Eindruck einer Flucht erwecken, doch die Erkenntnis, die mich vorhin getroffen hatte, war für den Augenblick zu viel gewesen.
Mark Hoffmann war der Tiger aus dem Petshop. Ohne Zweifel. Genau deswegen kam er mir auch so bekannt vor. Darum hatte mein Körper immer wieder auf seine Berührung reagiert. Verdammt, wie sollte ich unter diesem Mann arbeiten? Ich hatte seinen Schwanz in der Hand gehalten…
Verwirrt ließ ich mich in meinem Auto in den Sitz fallen und musste mich gleich darauf nach vorn beugen. Ein scharfer Schmerz in meinem Rücken flammte auf.
„Verflixt!“ fluchte ich und betastete den Sitz, da ich annahm, dass dort etwas Spitzes steckte. Doch ich konnte nichts ertasten. Als ich mich testweise wieder anlehnte, piekte es wieder fies. Kurz überlegte ich, ob ich hier Jacke und Hemd ausziehen sollte, doch da ich hier von den Leuten aus der Firma beobachtet werden konnte, verzichtete ich erst einmal darauf und fuhr so zusagen Freischwebend vom Hof. Als die Firma außer Sicht war, fuhr ich rechts ran und zog Jacke und Hemd endlich aus. Auch im Stoff gab es nichts Spitzes. Dann fiel mir der Kratzer auf meinem Rücken ein, den ich gestern nicht mit Jod versorgen konnte.
„Na toll!“ knurrte ich. „Jetzt hat sich das Miststück doch entzündet!“ Vergessen war mein Dilemma, dass ich mit meinem zukünftigen Chef geschlafen hatte, jetzt überwog der Ärger, dass ich an diesen verflixten Kratzer nicht selbst kam. Ich zog das Hemd wieder über und fuhr nach Hause.
Dort angekommen hinkte ich zum Fahrstuhl, denn mittlerweile hatte ich Rückenschmerzen, weil ich mich im Auto nicht anlehnen konnte. Ich fuhr direkt in die oberste Etage und klingelte bei Lucy.
Lange musste ich nicht warten, bis sie die Tür öffnete. An meinem gequälten Gesichtsausdruck schien sie abzulesen, dass ich rein wollte, denn sie trat direkt zur Seite und gab den Weg ins Innerste ihres Allerheiligsten frei. Umständlich ließ ich mich auf ihr weiches Sofa fallen.
„Lief das Vorstellungsgespräch so schlecht?“ fragte sie und setzte sich mit mitleidiger Miene mir gegenüber.
„Ganz im Gegenteil.“ jammerte ich. „Ich hab den Job!“
„Dann verstehe ich nicht, dass du so bedröppelt aussiehst.“
„Ich weiß jetzt, wer der Tiger ist…“
„Echt? Wer? Erzähl schon!“
„Mein zukünftiger Chef!“
Ihre Augen wurden riesig und ihr Kinn fiel geradezu auf ihre Knie.
„Nie im Leben!“
„Doch ich bin mir verdammt sicher. Die ganze Zeit über hatte ich dieses komische Gefühl, dass ich ihn irgendwoher kennen würde. Und dann habe ich sein Tattoo gesehen. Lucy, er ist es definitiv und ich glaube, er ahnt auch etwas.“
Sie kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
„Und was machst du jetzt?“
„Keine Ahnung, erst einmal so tun, als ob nichts wäre. So lange er es nicht anspricht, ist es einfach anonymer Sex gewesen.“
„Und du glaubst, du bekommst das hin? Ich mein, so heiß wie du auf ihn bist?“
Müde winkte ich ab und stützte mein Kinn auf die Arme.
„Jetzt lehn dich erst einmal zurück und ich mach dir einen Tee.“
„Und schon kommen wir zu dem zweiten Grund, warum ich bei dir bin, Süße. Ich brauch deine medizinische Hilfe.“
Ich zog mein Hemd aus und zeigte ihr den Kratzer auf meinem Rücken. An dem scharfen einsaugen von Luft, welches sie zischen ließ, erkannte ich, dass die Entzündung wohl noch schlimmer aussehen musste, als sie sich anfühlte.
„Oh Mann, da hast du dir aber was Fieses zugefügt. Ist das von deinem Querfeld-Ein-Lauf gestern?“ Ich nickte.
„Kannst du da was machen, oder muss ich zum Arzt?“
„Nein, das kriegen wir schon hin. Ich hab da eine Paste, die hilft gut gegen Entzündungen.“
Später saß ich in meiner eigenen Wohnung und grübelte nach. Konnte das gut gehen? Hatte er mich vielleicht auch erkannt? Oder reagierte ich über? War dieses Aufblitzen, dass ich in seinen Augen gesehen habe gar nicht „Erkennen“? Und wenn doch, er hatte ja keinen Beweis, dass ich es war. Ich konnte es immer noch abstreiten, oder?
Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Auf dem Display grinste mir Timo entgegnen. An ihn hatte ich gar nicht mehr gedacht.
„Timo, was gibt’s?“ meldete ich mich und wartete auf seine Antwort.
„Hey Chris, gut, dass ich dich erreiche. Kannst du dich morgen früh mit mir bei meinem Anwalt treffen? Wir brauchen von dir eine Eidesstattliche Aussage über die Natur des Clubs.“
Timo war nie gut darin, Nachrichten zu verpacken. Die Holzhammer Methode war seine Spezialität.
„Äh ja, natürlich, wenn das nötig ist.“ Sagte ich in der Hoffnung, dass er zwischen den Zeilen merkt, dass ich mich nicht gerade darum riss. Weit gefehlt.
„Prima, du bist ein Kumpel. Wenn alles gut geht, kann ich den Petshop Ende nächster Woche wieder eröffnen.“
Ich hatte einen Kloß im Hals, nicht nur wegen der Eidesstattlichen Aussage.
„Hör mal, Timo. Ich hatte heute das Vorstellungsgespräch… Das lief ziemlich gut. Ich habe schon die Zusage bekommen. Ich weiß nicht, ob ich dann noch für dich…“
„Alles okay, Chris.“ fiel er mir ins Wort. „Ich wusste ja, dass du wieder in deinen Job willst. Aber für den Übergang kannst du noch aushelfen, oder?“ Ein nicht ganz so unterschwelliges Flehen schwang in seiner Stimme. Ich dachte nach. Eigentlich wollte ich ihn nicht hängen lassen, aber wenn Mark Hoffmann dort wieder auftauchen würde… was wenn er mich dann doch erkannte? Konnte ich das Schicksal so offen herausfordern? Mein langes Zögern schien Timo offenbar in Panik zu versetzen, denn seine Stimme überschlug sich fast:
„Mensch Chris, bitte. Lass mich nicht hängen. Nur ein oder zwei Wochenenden, bis ich jemanden als Nachfolger für dich hab. Ich stehe unter starkem Druck!“
Ich konnte einfach nicht nein sagen. Timo hatte nach allem, was passiert war, nicht verdient, dass er plötzlich allein da stand.
„Also gut, aber nur 2 Wochenenden.“ stimmte ich zu und konnte Timos Erleichterung nahezu körperlich fühlen.
„Wo muss ich denn morgen früh hin?“
Er gab mir die Adresse und verabschiedete sich. Mit gemischten Gefühlen blieb ich zurück. Am liebsten wäre ich unter die Dusche gegangen, doch Lucy hatte gemeint, ich solle die Paste auf jeden Fall noch bis abends wirken lassen und dann, vor dem Zu Bett gehen nochmal bei ihr vorbei schauen, damit sie die Wunde nochmals behandeln konnte. Wenn ich die Schulter bewegte, zwickte es noch etwas, aber es war nicht mehr so schlimm. Da es gerade erst 16 Uhr war, und ich einfach nichts mit mir anfangen konnte, legte ich mich etwas auf die Couch. Ein kleines Nickerchen würde mir sicher nicht schaden und es war besser, als hier zu grübeln. Da ich nicht so recht einschlafen konnte, schaltete ich den Fernseher ein. Eine Doku über den Indischen Regenwald lief gerade und so ließ ich mich davon einfach berieseln. Affen, die von Mönchen und Pilgern gefüttert wurden, Elefanten, die zur Arbeit abgerichtet waren… Irgendwann stand ich im Petshop hinter der Bar und wienerte Gläser. Es war leer, keine Gäste waren zu sehen. Plötzlich stand ein Elefant vor mir und hob den Rüssel.
„Einen Gin Tonic bitte!“ bestellte er und wartete geduldig, während ich mit geübten Griffen den gewünschten Drink zusammenstellte. Als ich mich zu meinem Gast wieder umdrehte, stand neben ihm ein Affe in edlem schwarzen Anzug und paffte an einer Zigarre.
„Was darf es sein?“ fragte ich ihn, nachdem Jumbo seinen Gin Tonic bekommen hatte. Weltmännisch grinsend betrachtete mich der Affe.
„Einen Shirley Tempel für mich. Ich hab gleich noch eine Konferenz.“
„Wenn Sie bitte die Zigarre ausmachen könnten, hier ist Rauchverbot, aus Brandschutzgründen!“ bat ich den Affen. Dieser legte seinen Kopf zur Seite, und grinste wieder.
„Was machst du dann hier? Du bist so heiß, dass die Bar gleich Feuer fängt!“ Ich merkte, wie mir die Hitze in den Kopf stieg. Und plötzlich war ich umringt von Flammen. Die Bar brannte wirklich. Ich sah mich hastig nach einer Fluchtmöglickeit um, doch ich war gefangen. Die Flammen kamen immer näher. Ich fühlte die gewaltige Hitze auf meinem nackten Oberkörper. Jumbo und der Affe standen vor der Bar und lachten aus vollem Hals. Die Flammen hatten sie längst erfasst und so standen sie da, brannten und lachten.
„Steht doch nicht einfach da, löscht das Feuer!“ rief ich ihnen zu, doch sie lachten nur stärker. Panik erfasste mich, denn ich sah keine Möglichkeit, mich aus der Flammenhölle zu befreien. Mittlerweile war es so heiß, dass ich kaum noch atmen konnte. Instinktiv kauerte ich mich zusammen und schlug die Arme schützend über den Kopf. Das Prasseln der Flammen schwoll gewaltig an und ich erwartete jeden Moment den Schmerz der Verbrennung zu spüren. Doch er blieb aus. Kein Schmerz, keine Flammen. Auch die Hitze und das Prasseln waren plötzlich verschwunden. Vorsichtig hob ich den Kopf und sah, dass ich nicht mehr hinter der Bar kauerte, sondern auf einer Waldlichtung mit exotischen Pflanzen und Bäumen um mich herum. Es roch nach Jasmin und Vanille und winzige Kolibris schwirrten wie Insekten durch die Luft. Verwundert stand ich auf und blickte mich um. Keine Spur vom Feuer, nichts von Jumbo oder dem Affen zu sehen. Ich war allein.
Plötzlich hörte ich hinter mir ein leises Knurren. Erschrocken fuhr ich herum und entdeckte einen riesigen Tiger, der mit majestätischen Bewegungen aus dem Dickicht heraus getreten kam. Gemächlich schritt er auf mich zu und ließ immer wieder ein leises Knurren ertönen. Seine gelben Augen fixierten mich. Ich war starr vor Schreck. Jetzt war der Tiger ganz nah. Ich konnte seinen heißen Atem auf meinem Handrücken fühlen, als er an mir schnupperte. Dann stieß er ein kräftiges Schnauben aus und stieß mit seinem Kopf gegen meine Hand, als wollte er mich auffordern, ihn zu streicheln. Zögernd folgte ich der Aufforderung und ließ meine Hand über das weiche Fell gleiten. Ein sanftes Schnurren dröhnte aus der Kehle und das Tier drückte seinen mächtigen Kopf in meine Handflächen. Überwältigt von dem Vertrauen und der Freundlichkeit dieses gewaltigen Tiers ging ich auf die Knie und begann, das Fell mit beiden Händen zu streicheln. Tief fuhren meine Finger durch die gelben, schwarzen und weißen Haare und drückte meinen Kopf in die kuschlige Halsbeuge. Keine Spur von Angst blieb zurück. Die Schnurrhaare des Tigers streichelten meine Wange und die raue Zunge begann, meinen Nacken zu lecken. Ein wohliger Schauer überlief meinen Rücken und meine Haut überzog eine Gänsehaut.
mit einem Mal veränderte sich das Lecken. Die Zunge war sanfter, überhaupt nicht mehr so rau und kratzig. Die Schnurrhaare kitzelten mich nicht mehr und meine Hände griffen nicht mehr in Fell. Und als ich aufsah, kniete mir gegenüber nicht mehr das Tier – ich blickte in die smaragd-grünen Augen von Mark Hoffmann.
„Ich will dich!“ hauchte er mir zu und zog mich an sich heran. Wie Magnete zogen seine Lippen die Meinen an und schon spürte ich seinen Kuss – sanft, zärtlich unheimlich gefühlvoll. Seine Hände streichelten über meine Brust und meinen Rücken, während ich meine eigenen ebenfalls auf die Reise schickten. Marks Körper war perfekt, jede kleine Erhebung von Muskelmasse war genau an der richtigen Stelle, nicht zu groß, nicht zu klein. Sein Fleisch war fest und begehrenswert und während ich mit den Fingerspitzen die tätowierten Streifen nachzeichnete, spürte ich seine Zunge meinen Mund erobern. Er schmeckte süß, wie Honig und während unsere Zungen einander umkreisten, schob er mich nach hinten, bis ich auf dem weichen Waldwiesenboden zu liegen kam. Sein fester Körper legte sich auf mich, unsere Haut berührte sich überall, jeder Zentimeter schien miteinander zu verschmelzen. Eine warme Sommerbriese umwehte uns und ich stellte fest, dass wir beide plötzlich nackt waren. Einen Arm schob er unter meinen Nacken und bettete meinen Kopf darauf. Seine andere Hand schob sich unter meine Hüfte und hob mein Becken etwas an. Ich öffnete meine Schenkel um ihn ganz nah bei mir zu fühlen. Als sich sein harter Schwanz an meinen schmiegte, durchzuckte mich ein gewaltiger Orgasmus, der meinen ganzen Körper schüttelte und mir den Atem raubte.
„Ich liebe Dich!“ rief ich im Augenblick höchster Ekstase und sah in seine wunderschönen Augen, die mich liebevoll anblitzten. Und dann verschwamm sein Gesicht, verblasste und verwandelte sich in das breite Gesicht Sigmar Gabriels… Die Nachrichten liefen…
Am nächsten Morgen traf ich mich mit Timo in Dortmund bei seinem Anwalt. Nach kurzem Warten trat der Mittsechziger in sein Büro und rechte erst Timo und dann mir die Hand.
„Die nötigen Unterlagen für die Genehmigungen habe ich soweit vorbereitet. Wenn Sie sie gleich unterschreiben, kann ich alles weiter noch heute in die Wege leiten. Es fehlt nur noch von Ihnen beiden die Eidesstattliche Versicherung, dass in den Räumlichkeiten des Clubs keine sexuellen Handlungen vorgenommen wurden.“
Mir zog sich der Magen zusammen und das schien man mir auch direkt anzusehen.
„Herr Holzer? Wollen Sie mir etwas sagen?“ fragte der Anwalt und fixierte mich mit eisernem Blick. Ich wurde knall rot. Es wäre schon schlimm gewesen, Timo gegenüber zugeben zu müssen, dass ich mit dem Tiger die Abstellkammer eingeweiht hatte, aber diesem älteren Herrn gegenüber… Aber er wartete auf eine Antwort und es schien nicht so, als würde er sich mit „nix“ abspeisen lassen. Also nahm ich allen Mut zusammen und fing an.
„Also, naja.“ Stammelte ich. „Es hat da einen kleinen Vorfall gegeben, mit einem Gast.“
Timo starrte mich an. Das ich schwul war, habe ich nie verheimlicht, aber explizit haben wir nie über Sex gesprochen. Ich blickte entschuldigend zurück.
„Es war eine spontane Sache, nichts ernstes und sicher nichts berufliches!“ fügte ich noch schnell hinzu.
„Ich brauche ein paar Einzelheiten.“ Sagte der Anwalt nüchtern. „Wer, wo und was.“
Ich wurde rot bis zu den Haarspitzen, Timo ebenfalls.
„Wer kann ich nicht genau sagen. Er war maskiert. Wir sind kurz in der kleinen Abstellkammer neben der Bar verschwunden und was werde ich Ihnen sicher nicht sagen.“
„Mensch, Chris, ich führe einen Club, eine Art Convention-Treff, keinen Puff!“ polterte Timo und blickte aus dem Fenster. Wut stieg in mir auf. Was erlaubte der sich eigentlich mir gegenüber. Gerade er, der so überhaupt keine Ahnung von der Szene hatte, für die er diesen Club aufbauen wollte. Und dann wagte er es noch, mich quasi der Prostitution zu bezichtigen, als wäre ich ein x-beliebiger Stricher. Von meinem besten Freund hatte ich anderes erwartet.
„Was erlaubst du dir?“ fuhr ich ihn an. „Vergiss nicht, mit wem du sprichst! Ich habe es nicht nötig, mich von dir beleidigen zu lassen! Es war einfach nur Sex mit einem anderen Mann. Ein Quicky, und dazu noch ein wahnsinnig heisser!“
Ich war echt gekränkt und hatte keine Lust mehr, Timo noch weiter zu helfen.
„Nun“ räusperte sich der Anwalt und versuchte, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
„So lange es sich um einen Erwachsenen in Vollbesitz seiner geistigen Kräfte handelt, also dass er dem Akt selbst zustimmen könnte…“
„Zustimmen? Er hat das ganze doch forciert!“ polterte ich und der Anwalt hob sogleich beschwichtigend seine Hände.
„Schon gut, junger Freund, juristisches Fachchinesisch. Wir ändern einfach den Text der eidesstattlichen Erklärung ab und sagen „keine gewerbsmäßigen sexuellen Handlungen“ und schon sind Sie aus dem Schneider!“ Timo schnaubte.
„Ihr braucht mich ja nicht unbedingt dafür, oder? Ich muss noch was erledigen!“
Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er auf und verließ das Büro. Als die Tür ins Schloss viel, blickte mich der Anwalt erstaunt an. Ich zuckte die Schulter und versuchte, meine Wut zu unterdrücken.
„Wusste er nicht Bescheid, dass Sie mit Männern schlafen, oder ist er eifersüchtig?“ Die Frage des Anwalts überraschte mich etwas.
„Er ist nicht eifersüchtig.“ sagte ich hastig. „Timo ist hetero und wir sind kein Paar. Wir sind nur gute Freunde - zumindest habe ich das bisher gedacht.“
„Warum dann dieser heftige Ausbruch? Ich meine, dass die kleine Kellnerin mit dem Türsteher geschlafen hat, hatte ihn weniger aufgeregt.“
„Ich glaube, er hat versucht, mich als asexuelles Wesen zu sehen, damit er sich nicht auseinander setzen musste, dass ich mit Männern ins Bett gehe. Offenbar hat er größere Probleme mit meiner Sexualität, als ich in den vergangenen Jahren annahm.“
Der Anwalt nickte bedächtig.
„War bei meinem Bruder auch nicht anders.“ Sagte er lapidar vor sich hin. Ich hob überrascht die Augenbrauen.
„Ich hab meinem Bruder schon mit sechszehn gesagt, dass ich schwul bin, aber als ich dann mit Mitte dreißig mit meinem Lebensgefährten bei ihm auftauchte, hat ihn das vollkommen aus der Bahn geworfen. Nach dem Motto, was ich nicht seh ist nicht echt.“ Ich war ehrlich überrascht.
„Sie sind auch schwul?“ Er lachte leise.
„Ja, das überrascht die meisten. Aber ja, und seit nun fast vierzig Jahren mit dem gleichen Mann liiert.“
Ich war wirklich schwer beeindruckt, doch mehr wollte er scheinbar nicht von sich preisgeben, denn er machte sich nun dran, die Eidesstattliche Versicherung aufzunehmen.
Fast eine Stunde feilten wir gemeinsam an dem Schriftstück, bis es so aufgesetzt war, dass ich mit dem Inhalt leben konnte und auch für die rechtliche Aussicht des Petshop´s keine Bedenken mehr bestehen durften. Anschließend verabschiedete ich mich von ihm und fuhr nach Hause.
Während der Fahrt dachte ich über Herrn Beck nach. Der Anwalt hatte vor vierzig Jahren, zu einer Zeit, wo Homosexualität zu tiefst verpönt war, die Liebe seines Lebens gefunden und es geschafft, ihn zu halten. Und heute, wo es so viel einfacher sein sollte, gab es kaum so beständige Beziehungen. Irgendwie traurig. Das Klingeln meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Timo. Ich überlegte kurz, ob ich ran gehen sollte, doch es kam mir zu kindisch vor, es nicht zu tun, also drückte ich auf den Knopf für die Freisprecheinrichtung.
„Ja?“ fragte ich schlicht und wartete.
„Äh ja… Timo hier. Hör mal, Chris… wegen gerade…“ Er eierte ziemlich herum. Entschuldigen war nicht sein Ding, aber ich wollte es ihm auf keinen Fall leichter machen.
„Ich habe über reagiert… ich mein… das du und dieser Typ…“
Es begann richtig Spaß zu machen, ihm zu zuhören.
„Bist du noch da?“
„Ja klar, mach nur weiter. Ich weiß nicht, was du meinst.“ Ich konnte so ein Arsch sein…
„Du weißt schon, das ihr zwei da in der Kammer… Ich mein, ich wusste ja, dass du – naja dass du schwul bist. Aber.. ich glaube mir war nicht klar, dass du … dass du Sex mit diesen Typen hast.“
Jetzt war es raus. Ich grinste vor mich hin und überlegte, wie ich darauf reagieren wollte.
„Kannst du mir verzeihen? Ich wollte dich nicht so angiften.“ Noch ein klein bisschen länger?
„Du willst doch bloß verhindern, dass du Samstag ohne Barkeeper da stehst.“ antwortete ich mit gespielt beleidigtem Tonfall.
„Nein, nein. Ehrlich. Ich kann verstehen, wenn du jetzt nicht mehr willst. Aber unsere Freundschaft ist mir wichtig und ich habe mich wie ein Arsch benommen. Es tut mir echt leid!“
Jetzt war es genug. Er hatte eindeutig gezeigt, dass es ihm leid tat also erlöste ich ihn:
„Schon ok, Timo. Ich weiß, dass es nicht so gemeint war. Alles wieder gut. Wir sehen uns am Freitag zur vereinbarten Zeit, ok?“
„Danke, Chris. Du bist ein echter Freund!“
Freitag war es dann wirklich so weit, dass Timo den Club wieder eröffnen konnte. Sein Anwalt hatte im Schnellverfahren die nötigen Genehmigungen und Ausschanklizenzen bekommen und, mit Hilfe eines befreundeten Richters sogar eine offizielle Stellungnahme und Entschuldigung der Beamtin bekommen, die den Petshop so überstürzt geschlossen hatte. Mit einer gehörigen Portion Genugtuung in der Stimme hatte er berichtet, dass sie sich nun mit dem Diskriminierungsausschuss der Landesbehörden auseinander setzen müsse.
Mit gemischten Gefühlen machte ich mich auf den Weg zum Club. Frühzeitig wie abgemacht, damit Sanne mir noch das entsprechende Outfit aufsprühen konnte. Die schwarze Jeans vom letzten Mal hatte ich gewaschen in einer Tasche dabei. Zuerst hatte ich überlegt, sie direkt anzuziehen, doch bei dem Gedanken ans letzte Mal hielt ich das für keine gute Idee. Mit jedem Schritt näher auf den Club zu, wuchs meine innere Unruhe. Als der Eingang in Sicht kam, fiel mir meine Begegnung mit den Rockern wieder ein. Ich hatte in dem ganzen Trouble der letzten Tage völlig vergessen, Timo davon zu erzählen. Mit Erleichterung stellte ich fest, dass Heinz noch nicht auf seinem Posten stand und die Tür unbewacht war. Also beeilte ich mich hinein zu kommen. Im Inneren herrschte geschäftige Betriebsamkeit. Vier Kellnerinnen und zwei Kellner wuselten herum, teils schon bemalt, teils noch in „Zivil“. Timo stand vor dem Eingang zum Keller und sprach mit Heinz. Als ich ihn sah, zog sich mir mein Magen zusammen und ich versuchte, möglichst unauffällig in Richtung Büro abzubiegen. Doch Timo entdeckte mich, gerade, als ich die Hand auf die Klinke gelegt hatte.
„Chris, da bist du ja. Danke, dass du gekommen bist!“ rief er und kam strahlend auf mich zu.
„Ja, klar. Versprochen ist versprochen.“ nuschelte ich und wartete. Leider kam Heinz mit herüber und mein Herz sank regelrecht in den Keller.
„Alles gut, Alter?“ lachte er und schlug mir kumpelhaft auf die Schulter. Genau auf den Kratzer, der sich entzündet hatte. Zwar war die Entzündung längst abgeklungen, aber durch die Berührung wurde die Erinnerung an den Abend wieder lebendig. Unbewusst wich ich vor ihm zurück.
Beide, Timo und Heinz blickten mich überrascht an.
„Alles in Ordnung mit dir?“ fragte Timo besorgt. „Du bist ja ganz weiß im Gesicht!“
Ich ärgerte mich, dass ich wie ein Weichei reagiert hatte und versuchte mich zusammen zu reißen.
„Ja, alles in Ordnung. Solange du mir den da vom Hals hältst!“ sagte ich mit belegter Stimme und wies mit dem Kopf auf Heinz. Dieser wurde davon vollkommen überrascht getroffen.
„Was habe ich dir denn getan?“ fragte er, offensichtlich gekränkt. Nun stieg Wut in mir auf.
„Deine Kumpels haben mich vor ein paar Tagen durch den Wald gejagt und übelst beschimpft. Dieser Spinner, der am Eröffnungstag bei dir war hat sie auf mich gehetzt!“
Heinz war ehrlich erstaunt und hob beschwichtigend die Hände.
„Hey Mann, beruhig dich. Ich hab damit nix zu tun. Den Spinner habe ich am gleichen Abend noch davon gejagt, als er anfing, die Gäste zu beleidigen!“ Nun war ich es, der überrascht drein blickte.
„Aber eins kannst du mir glauben, Chris, der Arsch wird von mir noch was zu hören bekommen! Niemand legt Hand an meine Schützlinge!“ Auf einmal wirkte er fast väterlich und legte mir die mächtige Pranke auf die Schulter. Und komischer weise glaubte ich ihm gleich und entspannte mich wieder. Er lächelte mich nochmal freundlich an und zwinkerte, dann ging er Richtung Eingang, um seinen Platz einzunehmen. Timo wirkte noch immer etwas verlegen, als er mir die Tür zum Büro öffnete. Hier wartete Sanne bereits auf ihren nächsten „Kunden“.
Während sie mich einsprühte, wollte Timo genau wissen, was geschehen war. Also erzählte ich es ihm.
„Sie haben mir unterstellt, dass ich mit Schnuffi… naja du weißt schon. Dann haben sie mich durch den Wald gejagt. Zum Glück hat Schnuffi seinen inneren Kampfhund gerade noch rechtzeitig gefunden, bevor noch schlimmeres passieren konnte. Aber ich fürchte, dass wir mit denen noch Probleme bekommen könnten.“
Timo lauschte bedächtig und nahm einen sehr nachdenklichen Ausdruck an. Eine Weile starrte er grübelnd vor sich hin, dann nickte er plötzlich.
„Mach dir keine Gedanken. Wie Heinz schon sagte, wir sind hier sicher. Er wird sich schon um alles kümmern!“ Ich wollte noch etwas erwidern, doch Sanne war nun mit dem Hals fertig und gebot mir, den Mund geschlossen zu halten, während sie mein Gesicht einfärbte. Als sie endlich fertig war, mich in eine schwarze Raubkatze zu verwandeln, war Timo weg.
„So, Katerchen. Dann schick mir mal das nächste Opfer!“
Der Abend zog sich ganz schön dahin. Nur wenige Gäste kamen und die Stimmung war sehr verhalten. Immer wieder tauchte Timo bei mir hinten auf, doch der Anblick der leeren Tische ließ ihn mit jedem Mal mehr resignieren. Die schlechte Publicity vom Eröffnungsabend war nicht so leicht verflogen, wie er offenbar gedacht hatte. Kurz nach Mitternacht ließ er sich mit erschöpftem Gesicht auf einen der Hocker vor meiner Bar fallen und ließ den Kopf auf die kühle Holzplatte sinken.
„Mach mir bitte mal was Starkes, Süßes fertig.“ murmelte er in den Abgrund hinein. Ich mixte ihm eine Spezialmischung Long Island Icetea mit Pfirsich und stellte ihm den Drink hin.
„Vielleicht solltest du mal mit der Presse sprechen. Ein Bericht in der BILD hätte vielleicht einen positiven Effekt.“ Timo leerte das Glas Icetea in zwei großen Schlucken, noch ehe ich ihn davon abhalten konnte. Entsetzt blickte ich ihn an.
„Was?“ fragte er, schwer atmend, ab jetzt konnte man zusehen, wie der Alkohol zu wirken begann.
Erst röteten sich seine Wangen und er begann leicht zu schwitzen.
„Sag mal, Timo… hast du heute schon was gegessen?“
„Nö, wieso?“ Seine Augen fingen leicht an zu Tränen.
„Du weißt, was alles in so einem Icetea ist? Das waren gerade 4 cl Wodka, 2 cl Gin, 2 cl Tequila, 2 cl weißen Rum und dazu noch jede Menge Zucker und Pfirsichsaft. Du wirst wohl gleich einen kleinen Vorschlaghammer verspüren. Vielleicht setzt du dich lieber rüber auf einen der Sessel.“
Folgsam stand er auf und ging hinüber zu der nächst gelegenen Sitzgruppe, dort ließ er sich in den weichen Sessel fallen und lehnte sich zurück.
„Meinst du wirklich, dass die Presse uns helfen wird? Glaubst du nicht ehr, dass die das auch noch zerreißen werden?“ Er war immer noch sehr skeptisch. Da sowieso kein Gast da war, nahm ich mir ein Glas Bier und setzte mich zu ihm.
„Wenn du es richtig anstellst und den Leuten richtig erklärst, worum es geht, dann könnte es gute PR sein. Vielleicht solltest du dich mal schlau machen, ob es nicht so etwas wie einen Verein für Furries gibt, die dich unterstützen. Soweit ich herausgefunden habe, gibt es schon verschiedene Conventions und irgendwer muss die ja organisieren.“
„Ich glaube, wir machen für heute dicht!“ nuschelte er anstelle einer Antwort. Sein Blick wurde langsam glasig, der Icetea begann also zu wirken.
„Na gut, du hast sicher recht. Ich bezweifle, dass überhaupt noch jemand kommen wird. Warte hier, ich bestell dir ein Taxi.“
Als ich aus dem Büro zurückkam, war Timo in seinem Sessel eingeschlafen. Grinsend ging ich zum Eingang zurück und öffnete die Tür. Heinz lehnte an der Wand und blickte etwas gelangweilt zu mir herüber.
„Der Club schließt für heute. Ich hab für Timo ein Taxi gerufen. Der hat leider etwas zu tief ins Glas geschaut. Wenn der Wagen kommt, kannst du ihn dann aus der Lounge holen? Der Gute ist eingeschlafen.“
Heinz lachte kurz und versprach mir, sich um Timo zu kümmern. Dann ging ich hinein, um die anderen Angestellten zu informieren und den Club auf das Ende vorzubereiten. Die Einnahmen würde ich in Timos Büro in den Safe sperren, dessen Kombination die gleiche war, wie die von seinem Spint in unserer Schule damals.
„Die Einzige Kombination, die ich mir je merken konnte!“ hörte ich ihn im Geiste lachen.
Die Mädchen ließen es sich nicht zweimal sagen, dass sie gehen konnten und machten sich gleich davon. Jo und Stefan fragten wenigstens nach, ob sie noch was helfen konnten. Als ich dies verneinte, brachen auch sie ebenfalls auf.
Ich ging nochmal durch die verschiedenen Räume und kontrollierte die Eventzimmer, doch nirgends waren noch Gäste, alle Räume waren verwaist. Ich knipste die Lichter aus und kam zurück in die Lounge. Hier sah ich gerade noch, wie Heinz, mit Timo über der Schulter Richtung Eingang verschwand.
„Du kannst dann auch gleich abhauen.“ rief ich ihm hinterher. Er drehte sich um, als wöge Timo nicht 90 Kilo und blickte mich an.
„Soll ich nicht noch warten, bis du hier fertig bist?“
„Nein, geh ruhig. Ich stell die Gläser nur noch schnell in die Spülmaschine hinten, dann geh ich selbst auch. Wir sehen uns morgen!“ Kaum hatte ich das gesagt, tat es mir auch schon leid. Was, wenn die Rocker vom See hier auftauchen würden? Aber den Gedanken wischte ich gleich zur Seite.
`Bloß nicht so anfangen!´ schimpfte ich tonlos mit mir selber. `Soweit kommt es noch, dass du dein Leben von Angst bestimmen lässt, wie ein kleines Mädchen!´
Kurz dachte ich darüber nach, hinter Heinz herzu gehen und die Tür hinter ihm abzuschließen, aber da ich nur ein paar Gläser wegräumen musste, würde es vermutlich länger dauern, hin und her zulaufen, als die Gläser direkt Weg zu räumen. Also fing ich an, alles zusammen zu sammeln und in das Körbchen zu legen, dass ich hinter der Bar stehen hatte. Dann ging ich hinter der Bar in den „Küchenbereich“, wo die große Spülmaschine stand und platzierte die schmutzigen Gläser auf dem Gläserband. Plötzlich hörte ich ein Geräusch hinter mir. Erschrocken hielt ich inne und lauschte.
- Nichts. – Ich zögerte noch einen Moment und wollte gerade weiter einräumen, als ich wieder etwas hörte. Nur leise, kaum wahrnehmbar. Schritte. Mit klopfendem Herzen schlich ich auf den Durchlass zur Bar zu. Sehen konnte ich nichts. Nahe der Tür stand ein Pömpel und als ich daran vorbei schlich, schnappte ich mir das Teil und zog den Gummikopf ab. Den Knüppel schlagbereit in den Händen schlich ich mich weiter durch den Durchlass hinter die Bar. Hier erstarrte ich, denn ich war wirklich nicht allein. Vor der Bar stand – der Tiger…
Ich starrte ihn an, den Pömpelstiel erhoben in den Händen, während er mit einem leichten Lächeln zurück starrte. Er sah umwerfend aus. Wieder trug er diese lederne Motoradhose, die seinen knackigen Po so schön in Szene setzte. Diesmal war seine Brust frei, nur die tätowierten Streifen zierten seine glänzende Haut. Über die Schultern trug er eine Lederjacke und sein Gesicht zierte wieder die Halbmaske. Bei seinem Anblick wurde mir heiß.
„Willst du da ewig so stehen bleiben?“ fragte er mit belustigtem Unterton und löste meine Erstarrung. Langsam ließ ich den Knüppel sinken.
„Was tust du hier?“ fragte ich nur, bewegte mich aber kein Stück. Langsam kam er auf mich zu.
„Ich wollte dich wieder sehen. Aber offenbar bin ich zu spät. Ihr scheint zu zumachen.“
„Ja, heute war nicht viel los, wegen der Sache vom Eröffnungstag. Ich habe die Bar leider schon dicht gemacht.“ Setzte ich zu einer Entschuldigung an, doch er war mittlerweile um die Bar herum gegangen und stand nun ganz nah vor mir.
„Ich bin nicht hier, um etwas zu trinken.“ Raunte er und ließ seine Hand langsam um meine Hüfte herum bis zu meinem Rücken wandern. Polternd viel der Knüppel zu Boden, als mein Griff versagte. Seine Berührung elektrisierte mich und der Blick seiner Augen hielt mich gefangen.
„Ich will dich!“ hauchte er, und zog mich fest an seinen Körper heran. Seine Lippen pressten sich auf meine und seine andere Hand fuhr durch mein Haar. Willenlos gab ich mich ihm hin. Endlich nicht nur im Traum. Endlich durfte ich ihn real spüren. Erregung hatte jede Faser meines Körpers erfasst und ich vergaß, dass wir hinter der Bar standen. In höchster Ekstase taumelten wir aus der Enge und sanken mitten in der Lounge zu Boden. Gierig übersäte ich seine Brust mit wilden Küssen und ließ mich immer tiefer zu seinem Bauchnabel dirigieren. Sein heiseres Stöhnen feuerte mich immer weiter an. Mit der Spitze meiner Zunge fuhr ich die dunklen Streifen seiner Tattoos nach, die im Lendenbereich fast zusammen liefen. Ungeduldig zupften meine Finger an seinem Hosenbund, bis der Knopf endlich auf sprang und mir sein bereits harter Schwanz entgegensprang. Ohne zu zögern ließ ich meine Lippen sanft an seinem pulsierenden Schaft entlang leiten, was ihn lauter aufstöhnen ließ. Dieses Geräusch trieb mich weiter an und so öffnete ich meine Lippen und nahm ihn tief in mich auf.
„Oh Gott, du bist der Wahnsinn!“ keuchte er und griff mit beiden Händen in meine Haare.
Als ich die ersten salzigen Tropfen auf meiner Zunge spürte, stoppte ich und richtete mich auf.
„Hast du dieses Mal Kondome dabei?“ fragte ich außer Atem. Zur Antwort fingerte er ein paar bunte Päckchen aus seiner Tasche und grinste.
„Was dachtest du denn?“
Lachend schnappte ich ihm eins der Päckchen aus den Händen und riss die Verpackung mit den Zähnen auf. Der Tiger stimmte in mein Lachen ein und ließ die restlichen Kondome einfach fallen. Mit der anderen Hand griff er in meinen Hosenbund und knöpfte ihn auf.
Als ich das Kondom über seinen Schwanz gerollt hatte, richtete er sich mit einem Schwung auf und drückte mich auf den Boden.
„Dreh dich um!“ raunte er und streichelte gleichzeitig meinen Bauch. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und rollte mich herum. Schon war er über mir, zog mit beiden Händen meine Jeans herunter und hob meine Hüften leicht an. Plötzlich spürte ich seine Zähne sanft in meine Pobacke beißen – Herr Gott, wie mich das erregte. Ich konnte vor Lust nur noch heiser stöhnen, als seine linke Hand langsam unter meinen Bauch glitt und begann meinen Schwanz zu streicheln.
Die andere Hand schob er vorsichtig zwischen meine Pobacken und massierte meinen Eingang.
Ich wurde fast wahnsinnig vor Lust und hob mein Becken an.
„Komm!“ forderte ich ihn auf und keuchte kurz darauf lustvoll auf, als er sich langsam in mich hinein schob. Dann überließ ich mich seinem Rhythmus der uns beide von Ekstase getragen Richtung Höhepunkt trieb…
Erschöpft lag ich auf dem Bauch auf dem kalten Boden und atmete schwer. Er lag immer noch auf meinem Rücken, mit mir vereint. Sein stoppeliges Kinn ruhte auf meiner Schulter und sein warmer Atem wehte über meine nackte Haut. Er war schwer und doch hätte ich ewig so liegen bleiben können, nur auf meinen Herzschlag lauschend, ihn am ganzen Körper spürend.
„Ich weiß, wer du bist.“ flüsterte er mir plötzlich ins Ohr. Ich zuckte vor Schreck zusammen, mein Atem setzte einen Moment aus. Er rutschte seitlich von mir herunter, schlang aber seine Arme um meine Brust und zog mich zu sich heran. Als ich den Kopf drehte, sah ich ihn zärtlich lächeln. Die Maske hatte Mark vom Gesicht gezogen.
„Ich habe dich gleich erkannt, als du in mein Büro gekommen bist. Aber ich war mir nicht sicher, ob du mich erkannt hattest, oder… ob du mich erkennen wolltest.“ Seine Stimme klang warm und liebevoll.
„Doch.. ich habe dich erkannt, auch wenn es etwas gedauert hatte. Aber… ich habe mich nicht getraut, etwas zu sagen.“
Als Antwort nahm er mein Gesicht in beide Hände und küsste mich.
„Ich glaube, ich bin dabei, mich in dich zu verlieben. Seit unserer ersten Begegnung musste ich ständig an dich denken.“ hauchte er mir zu und küsste mich erneut.
„Mir geht es genauso.“ Flüsterte ich überglücklich. „Wenn du wüsstest, wie oft du mir im Traum erschienen bist und was wir alles zusammen angestellt haben.“ Er hob fragend die Augenbraue.
„Sagen wir mal so, ich werde Indiana Jones zukünftig mit anderen Augen sehen.“
Etwas später gingen wir gemeinsam den langen Gang zum Eingang entlang. Am liebsten hätte ich seine Hand nie wieder los gelassen. Doch als wir durch die Tür getreten waren, brauchte ich beide Hände, um den Club abzuschließen. Während ich das tat, ließ er seine Hand immer wieder über meinen Nacken gleiten.
„Wo hast du geparkt?“ fragte er und küsste mich unterm Haaransatz.
„In der Tiefgarage am Bahnhof. Und Du?“
„Ebenfalls. Dann lass uns gehen.“
Wieder ergriff er meine Hand und wir gingen die kleine Bahnhofstrasse entlang. Eigentlich hätte mir mulmig sein müssen, denn hier am Bahnhof trieb sich allerlei Gesindel herum, doch mit ihm an meiner Seite kümmerte es mich überhaupt nicht. Wie leichtsinnig von uns…
An der Ecke vor dem Bahnhofplatz standen sie mit ihren Maschinen – drei der Rocker vom See. Obwohl wir genau auf sie zuliefen, war ich zu abgelenkt gewesen, und bemerkte sie erst, als wir keine zwei Meter von ihnen entfernt waren.
„Schau an, wen haben wir denn da?“ rief mir eine bekannte Stimme entgegen. Ich erstarrte vor Schreck und drückte Marks Hand fester.
„Was ist denn los`?“ fragte er verwirrt und blickte erst mich und dann die Rocker an, die nun bedrohlich auf uns zu kamen.
„Heute ohne Hund? Sind wir auf andere Schwänze umgestiegen?“ zischte der Rädelsführer mir entgegen.
„Lass uns abhauen.“ bat ich Mark, doch der schien überhaupt nicht beeindruckt.
„Unsinn. Weglaufen kommt nicht in Frage.“ knurrte er und ließ meine Hand los. Seine Körperhaltung veränderte sich und gab ihm das Aussehen eines Raubtiers, die Schultern gestrafft, den Kopf leicht vorgeschoben und gesenkt.
Die drei Rocker stockten kurz, als er auf sie zukam, doch ihre Irritation über den Gegenangriff hielt nicht lange an. Mit geballten Fäusten stellten sie sich in seinen Weg.
„Gebt den Weg frei!“ befahl Mark ihnen im Ton eines Firmenbesitzers. Doch auch davon ließen die drei sich nicht beeindrucken. Der erste sprang auf Mark zu und schlug nach seinem Kopf. Doch wie ein geübter Boxer wich dieser aus und ließ den Rocker ins Leere stolpern. Er kam direkt auf mich zu getaumelt und so ergriff ich die Chance, mich für den Montagabend zu revangieren. Ich trat ihm seitlich gegen das Knie und ließ meinen Ellbogen auf seinen Nacken krachen. Bewusstlos ging er zu Boden. Als ich aufsah, hatten die beiden anderen sich bereits auf Mark gestürzt, der sich gegen beide Angreifer zur Wehr setzte. Den Rädelsführer hielt Mark mit einer Hand am Hals gepackt auf Abstand, während der an der ihn an der Hüfte umklammert hielt und ihm die Faust in den Rücken schlug.
Ich schnappte mir den „Klammeraffen“ und riss ihn an seinen Haaren zurück. Wütend zischte er mich an, doch ich rammte ihm sofort die Faust ins Gesicht. Sein Blutspritzte mir ins Gesicht, als er in die Knie ging, doch er war nicht ausgeschaltet. Rasend vor Zorn stürzte er sich vorwärts gegen meine Knie und brachte mich aus dem Gleichgewicht. Bevor ich mich halten konnte, stürzte ich rückwärts auf den Asphalt. Als mein Kopf aufschlug, gingen bei mir die Lichter aus.
Ich kam in der Notaufnahme des hiesigen Krankenhauses wieder zu mir. Das grelle Neonlicht über mir stach mir in die Augen. Mein Kopf fühlte sich an, als würde er ständig von Hämmern bearbeitet. Ich presste ein gequältes Stöhnen hervor und versuchte mich auf die Seite zu drehen. Keine gute Idee, denn der Schmerz in meinem Kopf verstärkte sich und mir wurde schlecht.
„Nein, nein. Bleiben Sie bitte liegen!“ hörte ich eine besorgte, weibliche Stimme von weit weg und mit einem Mal stand eine junge Krankenschwester neben mir und versuchte, mich wieder auf die Liege zu drücken.
„Warten Sie, ich dimme das Licht.“ Kurz darauf wurde es dunkler und somit auch für meinen Kopf erträglicher. Dann war die Krankenschwester wieder bei mir.
„Geht es so besser?“ fragte sie mit mitfühlender Stimme.
„Ja, danke.“ krächzte ich und schloss erschöpft die Augen. Dann wurde mir schlagartig bewusst, wo ich war und warum ich hier war. Mark! Hektisch setzte ich mich auf, was mein Kopf sofort bereute. Doch ich musste wissen, wo er war. Die Krankenschwester, die sich gerade entspannt hatte, schnellte wieder an meine Seite und versuchte mich zurück zu drücken.
„Bitte, Herr Holzer! Sie haben eine Gehirnerschütterung. Sie müssen liegen bleiben!“ ordnete sie an, doch ich war nicht gewillt, zu gehorchen.
„Nein, ich muss zu Mark!“ rief ich unter starken Schmerzen. „Ich muss wissen, wie es ihm geht!“
Der Tumult, der durch mich entstanden war, rief anderes Krankenhaus-Personal auf den Plan und ein Arzt und eine weitere Krankenschwester kamen herbei geeilt.
„Beruhigen Sie sich bitte, Herr Holzer!“ sprach der Arzt, während sie mich mit vereinten Kräften auf die Liege zurückdrückten.
„Wir werden ihre Fragen beantworten, aber Sie müssen ruhig liegen bleiben. Ich möchte Sie nicht zu ihrem eigenen Schutz festbinden lassen müssen!“
Der Übermacht musste ich mich ergeben, auch die Aussicht gefesselt zu werden, behagte mir überhaupt nicht. Außerdem wurde mir kotzübel und ich kämpfte nun gegen den Brechreiz. Stöhnend lehnte ich mich zurück. Erschöpft ließ ich es über mich ergehen, dass die Krankenschwester meinen Blutdruck und Fieber maß. Das Gemurmel zwischen ihr und dem Arzt nahm ich nur wie durch Watte wahr.
„Ich glaub, ich muss mich übergeben.“ nuschelte ich und versuchte, durch tiefes Durchatmen gegen die Übelkeit zu arbeiten. Doch kaum hatte die Krankenschwester mir eine Nierenschale gereicht, erbrach ich einen Schwall bitterer Galle. Beruhigend streichelte sie mir den Rücken, bis ich mich erholt hatte.
„Geht es wieder?“ fragte sie und reichte mir einen Becher mit Wasser, damit ich meinen Mund spülen konnte.
„Bitte, ich muss wissen was mit ihm ist. Mark Hoffmann. Er war bei mir, als wir angegriffen wurden!“
„Herr Hoffmann wird zurzeit operiert.“ sagte der Arzt. Erschrocken wollte ich gleich wieder aufspringen, doch der Arzt war wohl darauf vorbereitet und hielt mich gleich an der Schulter fest.
„Beruhigen Sie sich bitte. Es klingt schlimmer als es ist. Herr Hoffmann hat einen Messerstich in die Seite bekommen, aber es ist nicht lebensbedrohlich. Er wird gut versorgt. Sie machen mir mehr sorgen, mit der Gehirnerschütterung.“
Er leuchtete mir abwechselnd in beide Augen und runzelte die Stirn.
„Links reagiert etwas langsamer als rechts. Wir werden ein CT machen und Sie erst mal stationär aufnehmen. Fühlen Sie sich bereit, mit der Polizei zu sprechen?“
Ich war nicht bereit dazu, das sagte ich ihm auch. Zunächst wollte ich sicher sein, dass es Mark wirklich gut ging. Außerdem ging es mir echt bescheiden. Der Arzt nickte und gab der Schwester Anweisung, mich zum CT anzumelden.
Nach schier endlosem Waren und dem nerv tötenden CT Scan brachte man mich auf die Station, wo ich in einem abgedunkelten Einzelzimmer endlich ausruhen konnte. Mittlerweile war es kurz vor sieben und auf der Station erwachte gerade das Leben. Pflegepersonal lief über die Flure, weckte die Patienten, verteilte Medikamente und half beim Waschen.
Nur meine Tür blieb zu. Man gönnte mir Ruhe und so versuchte ich etwas zu schlafen. Doch kaum hatte ich die Augen geschlossen und den aufkommenden Schwindel niedergekämpft, sah ich die Bilder des Überfalls vor mir. Ich sah, wie die Rocker auf Mark zu stürmten, wie ich den ersten nieder streckte und dann wie die beiden anderen Mark umklammerten. Weiter ließ ich den Film nicht laufen, sondern schlug die Augen wieder auf. Ich konnte mich nicht erinnern, ob ich ein Messer gesehen hatte und ich hatte Angst, es im Traum zu sehen. Ich wollte mich nicht fragen, ob ich hätte verhindern können, dass er niedergestochen wurde, wenn ich mich für einen Angriff auf den anderen Rocker entschieden hätte. Leises Klopfen riss mich aus der Grübelei.
„Ja, bitte?“ rief ich heiser und beobachtete die Tür. Eine junge Pflegehelferin trat ein.
„Möchten Sie etwas essen, Herr Holzer?“ fragte sie fast schüchtern, doch ich schüttelte den Kopf. Mir ging es zu schlecht, als das ich etwas essen wollte.
„Sagen Sie, kommt der Doc gleich zu mir?“
„Die Visite läuft schon, ich denke, dass die Doktoren in einer halben Stunde etwa hier sind. Kann ich Ihnen sonst etwas bringen? Einen Tee vielleicht oder Wasser?“
Ich bat um etwas Wasser und legte mich zurück. Schon im nächsten Moment ging die Tür wieder auf und sie kam mit einer Flasche Mineralwasser zurück.
„Möchten Sie vielleicht duschen?“ fragte sie etwas schüchtern und mir fiel ein, dass ich immer noch das Bodypainting auf mir haben musste.
„Bitte, wenn Sie mir zur Dusche helfen könnten?“ Es war mir zwar peinlich, doch mit dem Schwindel würde ich es kaum allein schaffen. Mit geübten Händen griff sie mir unter die Arme und half mir beim Aufstehen. Gemeinsam gingen wir in das zum Zimmer gehörige Bad. Die Dusche war geräumig und neben vielen Griffen, zum Festhalten, gab es einen Duschhocker, auf dem sie mich Platznehmen ließ.
„Soll ich Ihnen beim Waschen zur Hand gehen?“ fragte sie, doch ich schüttelte schnell den Kopf.
„Danke, das ist nicht nötig. Aber ich habe kein Duschgel oder Shampoo hier.“
„Ich bringe Ihnen schnell etwas, und Handtuch und Waschlappen auch.“ Sie lächelte bezaubernd, dann huschte sie hinaus. Ich zog schon mal umständlich meine Socken aus und ließ auch das T-Shit auf den Boden fallen. Doch als ich aufstand, um meine Jeans aus zu ziehen, kippte ich fast nach vorn und konnte mich gerade noch an einem der Handgriffe festhalten. In diesem Moment kam die kleine Krankenschwester wieder herein.
„Ach Gott, Herr Holzer. Das sollten Sie aber nicht allein machen.“ Rief sie und ließ alles, was sie in Händen hielt ins Waschbecken fallen, und griff mir unter den Arm. Mit ihrer Hilfe fiel nun auch meine Jeans und ich setzte mich etwas beschämt auf den Hocker zurück.
„Bleiben Sie aber bitte beim Duschen sitzen, Herr Holzer. Wenn Sie fertig sind, schellen Sie einfach hier, dann komme ich und helfe Ihnen beim Abtrocknen und anziehen.“
Am liebsten wäre ich dem nun laufenden Wasser in den Abfluss gefolgt. Es war mir furchtbar peinlich, dass diese junge Frau mich nackt gesehen hatte und dass sie mir später auch noch helfen würde. Plötzlich fiel mir ein, dass ich gar nicht so viel Zeit hatte, die Farbe vom Körper zu kriegen, denn die Visite würde ja gleich kommen. Also zog ich den Brausekopf zu mir heran und begann mich abzuduschen. Als die letzte schwarze Farbe im Abfluss versickerte, überlegte ich kurz, ob ich mich doch allein fertig machen wollte, doch die Vernunft siegte. Wenn ich tatsächlich stürzen sollte, hätte ich wahrscheinlich Schwierigkeiten, die Schwester zu benachrichtigen. Ganz zu schweige, dass sie mit Sicherheit Hilfe benötigte, mich auf zu heben. Also blieb ich artig sitzen und schellte.
Sie kam auch sehr schnell und half mir mich fertig zu machen. Dann brachte Sie mich zurück ins Bett. Als ich erschöpft in die Kissen sank, öffnete sich die Tür und der Arzt aus der Notaufnahme trat mit drei weiteren Kollegen ein. Sie versammelten sich um mein Bett und ein kleinerer, älterer Arzt trat direkt neben mich.
„Ich bin Dr. Schäfer, der Chefarzt hier. Dr. Berthold hat sie ja aufgenommen. Wir haben ihren CT Scan gerade angeschaut, aber es war zum Glück nichts Auffälliges zu sehen. Trotzdem werden wir Sie noch ein paar Tage stationär hier behalten, nur um das mögliche Auftreten von Blutgerinnseln zu überwachen.“
„Können Sie mir was zu Herrn Hoffmann sagen? Ist er schon aus dem OP heraus?“
Die Ärzte wechselten kurz ein paar gemurmelte Worte, dann drehte der Chefarzt sich wieder um.
„Er ist wohl schon auf der Intensiv zur Überwachung. Wenn Sie möchten, kann eine Schwester sie heute Mittag kurz zu ihm bringen.“
Damit war ich erst mal zu frieden. Nachdem die Ärztehorde mein Zimmer wieder verlassen hatte, legte ich mich zurück und schloss die Augen. Müdigkeit überkam mich wie ein bleierner Mantel und ich glitt in Sekunden in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Leises Klopfen weckte mich einige Zeit später. Vorsichtig drehte ich mich Richtung Tür, die vorsichtig geöffnet wurde. Timo streckte seinen Kopf hinein und blickte mich fragend an. Müde winkte ich ihn heran.
„Hey, Chris. Wie geht es dir?“ fragte er im Flüsterton, offenbar um meinen Kopf zu schonen. Mit halb geschlossenen Augen hob ich resignierend die Hand um ab zu winken. Wenn ich mich nicht allzu sehr bewegte, schmerzte mein Kopf nur minimal.
„Du… es tut mir leid, dass ich dich im Stich gelassen habe…“ murmelte er und setzte sich auf die Bettkante. Ich hörte ihm an, dass er ein richtig schlechtes Gewissen hatte.
„Die Polizei hat mich heute Morgen angerufen und mir berichtet, dass Du und ein Gast nach dem Abschließen überfallen wurdet. War Heinz denn nicht mehr da?“
„Ich hatte ihn schon früher weg geschickt. Um ehrlich zu sein hatte ich nicht erwartet, dass es Probleme geben würde.“ nuschelte ich.
„Erzählst du mir, was vorgefallen ist?“ Stockend berichtete ich von den Vorgängen, seit er im Rausch eingeschlafen war. Schweigend hörte er mir zu, nickte dann und wann und gab mir Gelegenheit zwischendurch Pausen einzulegen. Die Episode mit Marc verschwieg ich natürlich, sondern berichtete ihm nur, dass Marc mich im Petshop überrascht hatte und mit mir gemeinsam zum Bahnhof laufen wollte.
Den Angriff schilderte ich wieder so genau wie möglich, schon um mein Gedächtnis aufzufrischen, wenn ich der Polizei Bericht erstatten müsste.
Seinem Gesicht sah ich an, dass Timos schlechtes Gewissen immer größer wurde.
„Es tut mir leid, dass ihr verletzt wurdet. Als du mir von dem Vorfall im Wald erzählt hast, hätte ich das ernster nehmen müssen.“ Ich winkte müde ab.
„Lass gut sein, Timo. Du hattest anderes im Kopf und auch ich hatte nicht damit gerechnet, dass die Typen vor dem Petshop herumlungern würden. Kannst du das bitte auch Heinz sagen? Ich will nicht, dass er sich Vorwürfe macht.“
Timo blieb noch eine Weile bei mir, doch als er merkte, dass meine Augen immer wieder zu fielen, verabschiedete er sich. Als er endlich weg war, schellte ich nach der Krankenschwester.
„Dr. Schäfer hat mir versprochen, dass man mich zur Intensivstation bringen könnte. Ich möchte bitte Herrn Hoffmann besuchen.“
„Ich sage gleich Bescheid, dass Sie jemand abholen soll, Herr Holzer. Kleinen Augenblick noch.“ versprach die ältere Schwester mit leicht genervtem Ton und verschwand aus meinem Zimmer.
Jetzt konnte ich nur warten. Da mir der Kopf von der Unterhaltung mit Timo stark schmerzte, schloss ich wieder die Augen und versuchte etwas zu dämmern. Aber vor meinem geistigen Auge tauchte Marc wieder auf. Mein schöner Tiger. Mein Herz sehnte sich so sehr nach ihm und die Angst über die Ungewissheit seines Zustandes schloss sich wie eine eiskalte Hand um mein Innerstes. Ich sah sein Gesicht, sein liebevolles Lächeln, als wir Hand in Hand vom Petshop wegschlenderten. Dann verwandelte es sich in eine wütende, angestrengte Maske, während er mit den beiden Rockern rang. In meiner Vorstellung sah ich ein Messer – nein eine Machete, die wild auf den geliebten Körper einhackte. Blut spritzte, sein Schrei hallte durch meinen Kopf….
Ruckartig setzte ich mich auf, was mein Schädel mir gleich mit hämmernden Schmerzen und einer gehörigen Übelkeit vergalt. Was hatte der Doc noch gesagt? Es war keine lebensbedrohliche Verletzung, also musste es ihm doch gut gehen. Warum also machte ich mir solche Gedanken? Klar, die Sehnsucht und die Unsicherheit verlieh meinen Gedanken dunkle Flügel.
Erneut stieg Übelkeit in mir auf. Ich tastete nach meinem Handy, das die Schwester mit meinem restlichen Eigentum in den Nachttisch gelegt hatte. Es war später nachmittags. Ich musste einige Stunden geschlafen haben, denn Timo hatte mich um die Mittagszeit verlassen. Erneut klingelte ich nach der Krankenschwester. Es dauerte mehrere Minuten und die gleiche ältere Schwester steckte den Kopf in mein Zimmer.
„Ja bitte?“ Ihr Ton war ziemlich schroff. Ärger stieg in mir auf.
„Ich sollte zur Intensiv gebracht werden.“ sagte ich knapp. Sie verdrehte genervt die Augen.
„Dazu habe ich jetzt keine Zeit. In einer halben Stunde gibt es Abendbrot. Da werden Sie wohl auf morgen warten müssen!“ zischte sie und wollte die Tür gerade schließen.
„Einen Moment mal!“ rief ich und hielt sie zurück. „Sie hatten mir heute Mittag schon versprochen, dass Sie sich darum kümmern würden. Und nichts ist passiert. Ich verlange, dass Sie jetzt jemanden besorgen, der mich zur Intensiv Station bringt!“ Mein Kopfschmerz wuchs je mehr ich mich aufregte. Sie blickte mich an, als hätte ich den Verstand verloren. Wie konnte ich es wagen so mit ihr zu sprechen? Gerade holte sie tief Luft, um mir die Meinung zusagen, doch ich war schneller.
„Was stehen Sie denn noch so herum? Na los, bewegen Sie sich. Oder muss ich erst Dr. Schäfer holen lassen?“ Sie starrte ich fassungslos an, den Mund offen, mit aufgerissenen Augen. Offenbar war sie es nicht gewohnt, dass man sie so anfuhr. Eigentlich tat es mir auch direkt leid, da ich genau wusste, dass Krankenschwestern keinen leichten Job haben. Doch im Augenblick machte mich die Sorge um Marc einfach nur wahnsinnig. Ich hatte ihn doch gerade erst gefunden…
Nun meine Ansage schien bei ihr eingeschlagen zu sein. In plötzlich unterwürfigem Ton versprach sie, die Schwesternschülerin gleich mit einem Rollstuhl zu schicken. Sie könne mich dann runter bringen. Gleich darauf verschwand sie und schloss leise die Tür hinter sich.
Ich ließ mich zurück in die Kissen sinken und kämpfte gegen die starken Kopfschmerzen. Schmerz und Übelkeit waren ein kleiner Preis für die Möglichkeit, Marc wieder zu sehen. Doch… war war, wenn er mich gar nicht mehr sehen wollte? Was wenn er mir die Schuld für den Überfall gab?
Mein Magen zog sich krampfartig zusammen…
Ein paar Minuten später kam die Schwesternschülerin mit einem Rollstuhl und einem Lächeln, dass Dankbarkeit für die Erlösung vom Essensverteilen ausdrückte, in mein Zimmer.
„Sie möchten zur Intensivstation gebracht werden, Herr Holzer?“ fragte sie freundlich und schob den Rollstuhl an meine Seite.
„Ja.“ sagte ich einfach und setzte mich dann in den Stuhl. Diese kleine Anstrengung sprengte fast meinen Schädel und die Unsicherheit, die mich befallen hatte tat ihr Übriges zu meinem Unwohlsein dazu. Leise stöhnte ich auf. Besorgt blickte mich die junge Frau an.
„Soll ich Ihnen noch ein Schmerzmittel geben, bevor wir losgehen? Sie haben bis jetzt keine Medikamente eingenommen, wie ich sehe.“
Das hatte ich tatsächlich nicht. Zwar hatte man mir gleich am Anfang einen Blister mit verschiedenen Tabletten hingestellt, doch bisher hatte ich kein Bedürfnis verspürt. Jetzt überlegte ich tatsächlich einen Moment. Doch wenn die Tabletten zu stark waren, würde ich benebelt bei Mark erscheinen. Und das wollte ich definitiv nicht. Also verneinte ich ihre Frage und lehnte mich im Stuhl zurück. Die Intensivstation lag einen Stock tiefer. Während wir mit dem Aufzug nach unten und die quälend langen Flure entlang fuhren, malte ich mir immer wieder aus, wie mein Zusammentreffen mit Mark sein würde.
Zuerst sah ich ihn schwach in seinem Bett liegen, mit halbgeschlossenen Augenlidern, müde lächelnd, bis er mich erkannte. Dann verfinsterte sich sein Blick.
„Schaffen Sie ihn hier raus!“ brüllte er in meiner Vorstellung. Ein Stich in meinem Herzen verwischte diese Bilder.
Dann wieder sah ich ihn still im Bett liegen, mit Tränen in den Augen an die Decke starrend, leise vor sich hin murmelnd: „Warum musste mir das passieren? Warum bin ich nur zu ihm gegangen?“
Ein erneuter Stich beendete diese Vorstellung.
Nun wechselten sich verschiedenste Szenarien und Bilder ab, Trauer, Angst und Wut bestimmten die Ausdrücke, die sein Gesicht annahmen, wenn er mich anblickte.
Als meine Chauffeurin den Rollstuhl vor einem Zimmer am Ende des Gangs stoppte, verscheuchte ich die schrecklichen Gedanken. Ich wollte mit klarem Verstand auf Mark treffen. Die Schwester klopfte leise an und öffnete dann die Tür. Stimmen drangen aus dem Zimmer heraus, Gelächter und Marks Stimme… Er hatte Besuch. Ein Mann, der ihm sehr ähnlich sah, aber etwas älter war stand neben dem Bett – offenbar sein Bruder, auf der anderen Seite stand eine Blondine in teuren Designerklamotten, vermutlich dessen Frau. Und am Fußend stand Sabine, seine Nichte. Sie alle hatten entspannte und fröhliche Minen, als sie sich mir zuwandten. Auch Mark schaute zu mir her. Für einen Augenblick hatte ich das Gefühl, die Welt würde aufhören sich zu drehen, dann wurde das Lächeln auf seinem Gesicht strahlender.
„Christoph, zum Glück geht es dir gut. Komm rein.“ rief er mir entgegen und winkte mich heran. Erleichterung machte sich in meiner Brust breit und vertrieb die finsteren Gedanken von vorhin. Er war nicht böse auf mich, im Gegenteil. Er freute sich, dass ich da war. Die Krankenschwester fuhr mich ans Bett heran, dann ließ sie uns allein.
„Leute, das ist Christoph Holzer. Er hat mit mir gemeinsam gegen die Barbaren gekämpft.“ Stellte er mich lachend vor und sein Bruder reichte mir lachend die Hand.
„Zum Glück ist ihnen beiden ja nichts Schlimmeres passiert. Freut mich, sie kennen zu lernen.“
Die Blondine sah mich dagegen leicht schnippisch an.
„Und sie arbeiten in dieser… Bar?“ fragte sie und mir blieb der arrogante Ton und die Pause vor dem Wort „Bar“ nicht verborgen.
„Freut mich auch.“ Erwiderte ich die Begrüßung ihres Mannes. „Ja, zurzeit helfe ich dem Besitzer des Petshops ein wenig an der Bar aus. Aber nur, bis er einen festen Barkeeper gefunden hat.“
„Chris wird für uns in der Spedition arbeiten, wenn Anna in den Mutterschutz geht. Wir hatten gestern quasi seine Einstellung gefeiert.“ Verkündete Mark lässig und griff nach meiner Hand. Auch diese Geste quittierte Blondie mit einem pickierten Blick. Offensichtlich hatte sie etwas gegen die Neigungen Ihres Schwagers einzuwenden.
„Wir sollten jetzt nach Hause gehen.“ Verkündete sie und blickte ihren Mann drängend an. „Mark muss sich erholen.“
Ich konnte seinem Bruder ansehen, dass er nur ungern ihrem Wunsch nachkam, aber wohl einer peinlichen Diskussion aus dem Weg gehen sollte.
„Also dann wollen wir mal. Erhol dich, Kleiner. Und schön Sie kennen zu lernen, Chris. Wenn Sie beide wieder auf den Beinen sind, würden wir uns freuen, wenn Sie mit Mark zum Essen kommen würden. Dann können wir uns besser kennen lernen!“ Er lächelte mich an und blickte dann zu seiner Frau hinüber, die ihren entsetzten Gesichtsausdruck schnell in ein falsches Lächeln verwandelte, als sie meinen Blick bemerkte.
„Das ist eine hervorragende Idee. Wir können ja was Chinesisches kommen lassen…“
„Nichts da. Wenn mein kleiner Bruder mit seinem neuen Freund kommt, schmeißen wir den Grill an. Wir machen eine richtige Gartenparty draus!“ Es schien ihm eine diebische Freude zu machen, seine Frau vorzuführen. Allerdings wollte er es nicht auf die Spitze treiben und führte Frau und Tochter nun aus dem Zimmer und winkte noch einmal zum Abschied.
Als die Tür zugefallen war, fiel mir auf, dass ich gerade als Freund von Mark bezeichnet wurde und offenbar in der Familie aufgenommen worden war. Überrascht blickte ich ihn an. Sein strahlendes Lächeln wärmte mich von innen.
„Ich hoffe, dass es dir recht ist. Ich hatte meinem Bruder zwar gesagt, dass wir noch nicht so weit gesprochen hatten, aber, wenn ich ehrlich bin, möchte ich dich seit unserer ersten Begegnung für immer an meiner Seite wissen.“ Die Hoffnung in seinen Augen spornte mich an
„Natürlich ist es mir Recht.“ sagte ich hastig und griff seine Hand fester.
„Ich wünsche mir ja auch nichts anderes.“ Und schon beugte er sich zu mir herüber und gab mir einen zärtlichen Kuss. Mein Herz setzte aus. Zwar hatten wir uns während wir uns liebten schon geküsst, aber in diesem Kuss lag Liebe und Zärtlichkeit und das Versprechen auf eine gemeinsame Zukunft. Mein Herz setzte einen Moment aus, dann begann es heftig zu schlagen. Ich war so glücklich wie schon lange nicht mehr und wollte, dass dieser Moment ewig andauere.
Doch irgendwann mussten wir uns voneinander lösen. Liebevoll streichelte er meine Wange und strich eine kleine Träne weg, die sich aus meinem Augenwinkel gestohlen hatte.
„Und wie geht es dir?“ fragte ich unsicher und blickte in seine Augen.
„Mach dir keine Sorgen. Es war nur eine kleine Stichwunde in der Seite. Das Messer ist an einer Rippe abgeglitten und hat nichts Wichtiges getroffen. Es hatte nur stark geblutet. Sie mussten nur ein paar Knochensplitter entfernen. Ich wette, morgen kann ich schon wieder nach Hause. Und wie steht’s mit dir?“ Ich zuckte mit den Schultern.
„Eine Gehirnerschütterung hat der Doc gesagt und er will, dass ich ein paar Tage hier bleibe. Er hat Angst, dass sich Blutgerinnsel bilden.“ Sein Gesicht nahm einen besorgten Ausdruck an und er legte mir die Hand wieder auf die Wange.
„Das macht mir auch Angst. Als ich dich da regungslos am Boden liegen sah, hatte ich echt Sorge, dass ich dich verloren hätte, grad wo ich dich gefunden habe.“
Tag der Veröffentlichung: 29.05.2017
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