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Liebe in Zeiten des Krieges

Captain Turner wartete ungeduldig im Büro des Kommandanten. Unpünktlichkeit konnte er überhaupt nicht ausstehen und hier in der arabischen Welt, schien niemand die Zeit ganz ernst zu nehmen. Dann endlich öffnete sich die Tür und Major Higgs trat in Begleitung eines zierlichen Irakers in das Büro.
„Guten Morgen, Captain. Verzeihen Sie, dass wir sie warten ließen, aber ich hatte noch ein Gespräch mit dem Doc führen müssen. Darf ich Ihnen Mr Amir Rhaman vorstellen? Er ist ihr Dolmetscher und wird sie und Ihr Team ab sofort begleiten.“

Der junge Araber lächelte ihn freundlich an und streckte ihm die Hand entgegen. Gewöhnlich war Turner kein feindseliger Mensch, aber er traute den Einheimischen einfach nicht und daher war er wenig begeistert. Mit leicht zerknirschtem Gesicht ergriff er die dargebotene Hand und schüttelte sie kurz, doch ein Lächeln wollte ihm nicht gelingen.
„Danke, Major. Aber ist es nicht besser, wenn er sich der medizinischen Einheit anschließt? Zivilisten können wir im Einsatz nicht gebrauchen!“

Der Major schien ihm nicht zugehört zu haben, denn er wühlte in seinen Akten herum und beachtete ihn nicht weiter.

„Major?“ Zerstreut blickte der Mittfünfziger auf.

„War etwas an den Anweisungen unklar?“ fragte er und sah Captain Turner verblüfft an. Dieser zögerte kurz, dann schüttelte er den Kopf und salutierte. Dann verließ er das Büro, gefolgt von seinem neuen Schatten.

Amir Rhaman versuchte mit ihm Schritt zu halten, was bei den langen Beinen des Amerikaners nicht ganz leicht war. Doch der flinke Araber bemühte sich, nicht hinter Turner zurück zu fallen.

„Hat man Sie bereits über unseren Einsatz aufgeklärt, Rhaman?“ fragte Turner, als sie seinen SUV erreichten. Ohne auf die Antwort zu warten, stieg er auf der Fahrerseite ein und zog die Tür zu. Rhaman beeilte sich um den Wagen herum zu laufen und auf der Beifahrerseite einzusteigen. Als er sich den Gurt umlegte, war er so außer Atem, dass er kaum antworten konnte.

„Ja.. Captain... Turner. Der Major hat mich.... informiert. Sie wollen versuchen, ein besetztes Krankenhaus zurück zu erobern.“ Turner sah ihn strafend von der Seite an.
„Marines versuchen nicht! Marines erobern!“ Dann ließ er den Motor an und fuhr ohne weitere Worte los...

 

Seine Einheit begrüßte den Dolmetscher aufgeschlossener. Zwar waren auch sie skeptisch, einen Zivilisten zu Kampfhandlugen mit zunehmen, doch seine freundliche und witzige Art, erwärmte sie sehr schnell für ihn.

Als sie am Abend gemeinsam in der Messe saßen und das Abendessen einnahmen, beobachtete Captain Turner ihn, während er mit seinen Männern sprach und lachte.

„Wie kommt das Hauptquartier auf die Idee, wir bräuchten einen Dolmetscher bei der Eroberung eines Krankenhauses?“ fragte er mit einem mal und brachte alle Gespräche zum Verstummen. Rhaman legte seine Gabel zur Seite und blickte ihn offen an.

„Captain Turner, in diesem Krankenhaus befinden sich nicht nur Rebellen. Es sind auch Menschen, die mit dem Krieg nichts zu tun haben dort. Ärzte, Pflegepersonal, Patienten. Wie wollen Sie ihnen begreiflich machen, dass sie vor Ihnen keine Angst haben müssen? Dass Sie sie befreien? Sie sprechen nicht mal ihre Sprache. Und machen Sie sich keine Sorgen, dass ich Ihnen im Wege sein könnte. Ich habe sieben Jahre meinem Land in der irakischen Armee gedient, bevor ich mich entschlossen habe, gegen die Unterdrückung anzukämpfen!“ Der kleine Mann hatte mit fester Stimme gesprochen und doch so unglaublich höflich, dass Marc Turner beinahe vor Überraschung der Mund offen geblieben war.

„Verzeihen Sie, Mr Rhaman. Ich wollte Sie auf keinen Fall beleidigen.“ setzte er schnell eine Entschuldigung hinterher.

„Ich bin für das Gelingen des Einsatzes und die Sicherheit meiner Leute verantwortlich und..“
„Keine Sorge, Captain. Ich bin nicht beleidigt. Und ihre Bedenken kann ich durchaus verstehen.“ Damit schien das Thema erledig und der Iraker wandte sich wieder den Männern im Gespräch zu.

Turner beobachtete den Mann nun mit anderen Augen. Er kam ihm gleich viel sympathischer vor. Anfangs kam ihm das Gesicht hart und Wiesel artig vor, doch jetzt entdeckte er feine Gesichtszüge, eine edle Nase, samtweich geschwungene Lippen, die von einem elegant gestutzten Bart umrahmt wurden. Die mittellagen, schwarzen Haare fielen in seidigen Locken auf die Schultern und die dunklen Augen schimmerten wie Samt. Objektivbetrachtet gefiel Amir Rhaman dem jungen Amerikaner schon sehr. Was ihn sogleich erschreckte. Zwar war es kein Thema unter den Soldaten, doch seine Homosexualität hielt er gewissenhaft vor allen geheim. Und dann auch noch ein Moslem. Die Ansichten dieser Menschen zur Homosexualität waren ihm durchaus bekannt. Im Irak konnte man mit Gefängnisstrafen von 15 und mehr Jahren rechnen, wenn man der „Unzucht“ überführt werden konnte. Im Geiste malte er sich aus, wie Rhaman ihn ansehen würde, wenn er es wüsste und seltsamer weise tat ihm der Gedanke weh. Schnell beendete er seine Mahlzeit und zog sich in sein Quartier zurück.

Er bemerkte nicht, wie sich Amirs Augen auf seinen Rücken hefteten und ihn beobachteten, bis er das Messezelt verlassen hatte.

 

Zwei Tage später machte sich die Einheit auf den Weg zum besetzten Krankenhaus. Sie fuhren nachts in einer Kolonne von 4 Humvees, um nicht zu sehr aufzufallen. Jedem Mitglied der Einheit war die Anspannung anzumerken, denn der Einsatz vor ihnen war alles andere als einfach. Sie sprachen nur das nötigste und auch auf Amir übertrug sich diese Anspannung.

In Gedanken war er bei seiner Familie. Seine Eltern hatte er seit seinem Austritt aus der irakischen Armee nicht mehr gesehen. Seinem Vater war es nicht recht und als er sich dann noch bei den US Streitkräften als Dolmetscher meldete, war er für seinen Vater als Verräter gestorben. Seine Mutter würde er allein deshalb nie wieder sehen. Sie tat nie etwas, das ihr Mann nicht gestattet hatte, selbst wenn das bedeutete, eines ihrer Kinder zu verlieren. Sie hatte furchtbar geweint, als Amir das Haus verlassen hatte und dieses Bild trat stets in seine Gedanken, wenn er zu viel Zeit zum Nachdenken hatte. Sie hatte ihn immer bedingungslos geliebt, wie jedes ihrer Kinder. Sie machte keine Unterschiede oder hing festen Rollenbildern nach, doch da ihr Mann ein gewalttätiger Mensch war, fürchtete sie offenes Aufbegehren.

„Aus welcher Region stammen Sie, Rhaman?“ fragte Captain Turner mit einem Mal und riss Amir aus seinen Gedanken.

„Ich bin in einem kleinen Dorf am Fuße des Zagros Gebirges aufgewachsen. Mit zehn bin ich dann zu meinem Onkel nach Bagdad geschickt worden um dort in die Schule zu gehen. Mein Vater wollte, dass ich Ingenieurwesen studiere und in der Armee eine gute Karriere mache.“

„Und was ging schief?“

„Eigentlich nichts. Ich habe nur als Soldat zu viel gesehen und irgendwann angefangen, meine eigenen Gedanken nicht mehr hinter Befehlen zurück zustellen. Es wurde mir klar, dass eine Diktatur für das Volk niemals von Vorteil war und ich wollte aktiv helfen, die Wende einzuleiten. Meine Nichten und Neffen sollten in einem Land aufwachsen, indem sie sie selbst sein können und sich nicht verstecken müssen.“

„Mussten Sie sich verstecken?“

„Wenn ich meine Meinung offen Kund getan hätte, so säße ich jetzt nicht hier. Ich wäre im Gefängnis, oder tot.“ Damit beendete er das Gespräch. Mehr wollte er nicht Preis geben.

Dieser amerikanische Captain faszinierte ihn irgendwie. Er war groß und kräftig. Unter seiner Uniform zeichneten sich deutlich seine Muskeln ab. Seine blauen Augen strahlten so viel Stärke und Selbstbewusstsein aus, was ihn zum geborenen Anführer machte. Sein Gesicht war allerdings zu sanft geschnitten und wenn er entspannt schaute, wirkte er wie ein Träumer. Dies versuchte er stets durch einen grimmigen Gesichtsausdruck zu verschleiern. Er gefiel Amir auf Anhieb. Und schon in der ersten Nacht hatte Amir ungehörige Träume über diesen Mann, für die er sich furchtbar schämte. Gott sei Dank hatten seine Eltern dieses Detail über ihn nie herausgefunden. Sein Vater hätte ihn sicher eigenhändig getötet, um die Schande von der Familie abzuwenden und ob seine Mutter ihn dann noch geliebt hätte? Er war sich nicht sicher, aber in ihrer Kultur war kein Platz für Menschen wie ihn.

Eine gewaltige Explosion erschütterte das Fahrzeug und riss ihn aus den Gedanken. Vor dem ersten Humvee war ein Sprengkörper in die Luft gegangen und hatte das Fahrzeug nur knapp verfehlt. Der Fahrer reagierte prompt und steuerte das Gefährt von der Straße hinunter. Die folgenden Fahrzeuge folgten sofort dem Beispiel. Captain Turner brüllte Befehle in das Funkgerät.
„Verteilen! Lichter aus! Wir stehen unter Beschuss!“

Es war ein Hinterhalt. Zwischen den Felsen, die abseits der Straße lagen, kamen feindliche Soldaten mit schweren Waffen heraus und feuerten auf die Kolonne. Sie hatten gewartet, bis sie in den Talkessel hinein gefahren waren, so dass zum Wenden viel zu wenig Platz blieb. Sie mussten ein ganzes Stück zurück fahren, um komplett drehen zu können, was sie wertvolle Zeit kostete. Das ehemalige Führungsfahrzeug, mit Pattyofficer Hawks und Gunman Chavez drin, war gefährlich weit zurück gefallen. Chavez feuerte aus dem geöffneten Fenster auf die Angreifer, doch viel ausrichten konnte er nicht. Ihre Gegner hatten alle Vorteile auf ihrer Seite. Die natürliche Deckung der Felsformation, ruhige unbewegliche Position und die Suchscheinwerfer, die sie nun auf die fliehenden Fahrzeuge gerichtet hatten. Ihre Ziele lagen vor ihnen auf dem Präsentierteller.

Amir blickte besorgt durch das Rückfenster und sah, wie ein Raketengeschoß abgefeuert wurde und genau in das Fahrzeug von Chavez und Hawks einschlug. Die Explosion ließ keinen Zweifel am Schicksal der beiden Männer und obwohl er sie erst wenige Tage kannte, konnte er seine Tränen nicht zurückhalten.

„Zurück zur Basis!“ befahl Turner und steuerte den Humvee durch die Unebenheiten neben der Straße. Vor ihnen lag erneut ein Hindernis. Rechts der Straße türmten sich verfallene Ruinen eines alten Wasserspeichers auf. Die beiden ersten Fahrzeuge vor ihnen hatten die Stelle bereits passiert, als eine weitere Rakete abgefeuert wurde. Amir sah, wie das Geschoss an ihnen vorbei flog. Der Erste Moment der Erleichterung und Freude wurde sofort nieder gerungen von Entsetzen, als die Rakete in die Ruine vor ihnen einschlug und das gewaltige Steingebilde in ihre Richtung kippen ließ. Captain Turner versuchte das Lenkrad noch herum zu reißen, doch er war zu langsam. Die Trümmer begruben das Fahrzeug unter sich...

 

Dunkelheit umfing Marc Turner, als er wieder zu sich kam. Einen Moment lang wusste er nicht, was geschehen war. Langsam kehrte die Erinnerung an die Explosion zurück. Er saß noch immer im verschütteten Humvee. Gott sei Dank hatte die Karosserie dem Trümmerberg weitestgehend Stand gehalten. Er löste den Sicherheitsgurt und befühlte seine Stirn, an der eine große Platzwunde prangte. Ein heiseres Stöhnen ließ ihn aufhorchen. Erst jetzt viel ihm ein, dass er nicht allein im Wagen gewesen war. Der Dolmetscher hatte im Fond gesessen. Hastig drehte er sich um und entdeckte Rhaman auf der Rückbank liegend. Auch sein Gesicht war blutbefleckt.
„Hey, Rhaman, hören Sie mich?“ keuchte er, und versuchte, auf den Rücksitz zu gelangen. Der Angesprochene rührte sich sacht und hob vorsichtig den Kopf. Doch ein lautes Stöhnen zeigte Turner, dass es dem Dolmetscher nicht gut ging. Mit etwas Mühe gelang es ihm, über den Fahrersitz nach hinten zu klettern. Sein eigener Kopf hämmerte wie ein Presslufthammer, doch das ignorierte er. Seine ganze Sorge galt dem Dolmetscher, der sich immer noch nicht rührte. Als er neben ihm auf dem Rücksitz hockte, zog er Rhaman, der halb zwischen die Sitze gerutscht war, auf den Sitz hoch und drehte ihn auf den Rücken. Erneut stöhnte dieser leise auf und öffnete seine Augen.
„Hey mein Freund, alles klar?“ fragte Turner mit sanfter Stimme. Rhaman versuchte zu nicken, doch sein Nacken schmerzte furchtbar, so dass er das Gesicht verzog.

„Wir haben Glück gehabt, die Rebellen scheinen uns für tot zu halten. Jetzt müssen wir nur noch zusehen, dass wir hier raus kommen. Was meinen Sie, können Sie sich aufsetzen?“
Rhaman schaffte es tatsächlich, mit Turners Hilfe, sich aufzurichten. Erschöpft lehnte er den Kopf an die Nackenstütze.

„Danke.“ murmelte er und versuchte, zu Atem zu kommen. Mit besorgtem Blick untersuchte Turner den Iraker, schließlich nickte er zufrieden.
„Es scheint, als seien wir beide mit einem blauen Auge davon gekommen. Ruhen Sie sich noch etwas aus, ich versuche, ob wir über die Heckklappe raus kommen.“
Rhaman nickte und beobachtete, wie Turner weiter nach hinten kletterte und versuchte, die Hackklappe aufzustoßen.
„Brauchen Sie Hilfe, Captain?“ fragte Rhaman, als er merkte, dass die Klappe sich nicht so ohne weiteres öffnen ließ. Noch bevor dieser eine Antwort geben konnte, kletterte auch der zierliche Iraker nach hinten und positionierte sich neben dem großen Amerikaner. Dieser quittierte die Aktion mit einem Lächeln. Gemeinsam stemmten sie sich gegen die Klappe, bis draußen die Steine zur Seite rutschten, und den Weg freigaben. Grelles Sonnenlicht viel durch die Öffnung und blendete sie einen Moment. Seit dem Angriff mussten also mehrere Stunden vergangen sein.
„Vielleicht haben wir wenigstens jetzt Glück und die Rebellen sind fort. Warten Sie hier, ich schaue mich draußen um.“
Rhaman wollte zuerst dem Soldaten widersprechen, doch seine Kopfschmerzen verstärkten sich durch das helle Licht und so zog er sich noch ein Stück in den Wagen zurück. Er beobachtete Turner, wie er vorsichtig nach draußen schlich und sich die Umgebung ansah. Bald war er aus seinem Blickfeld verschwunden. Angestrengt lauschte Amir auf alle Geräusche, die von außerhalb des Wagens zu ihm herein drangen, doch die befürchteten Schüsse oder Kampfgeräusche blieben aus und es blieb ruhig. Bald tauchte dann Turner auch mit zu friedendem Gesichtsausdruck im hellen Karree auf und nickte ihm zu.

„Es ist alles ruhig, wir sollten aber Vorsicht walten lassen und nicht zu lange hier verbleiben.“
Der junge Iraker stimmte ihm zu und krabbelte aus dem Wagen heraus.
„Und was machen wir jetzt? Zur Basis zurück ist es zu weit und zum Krankenhaus sind es auch noch mindestens fünfzehn Meilen. Außerdem erwarten uns da die Rebellen.“ brummte Captain Turner, als er Rhaman behilflich war, aus dem Wagen über die Felsen zu klettern.
„In der Nähe liegt ein kleines Dorf. Vielleicht eine Stunde Fußmarsch in die Berge hinein. Ich habe dort Verwandte, die werden uns sicher aufnehmen. Mein Vetter und seine Frau sind der demokratischen Idee sehr zu getan. Bei Ihnen kommen wir unter, bis wir Hilfe bekommen.“

Und so machten sie sich auf den Weg.

 

Es dauerte tatsächlich nicht ganz eine Stunde, bis sie das kleine Dorf erkennen konnten. Es lag in eine kleine Senke mitten im Gebirge eingeschmiegt. Rhaman führte sie ein Stück um das Dorf herum und dann von hinten hinein.
„Es ist besser, wenn uns nicht alle dort sehen. Nicht jeder steht auf der Seite der Befreier.“ erklärte er dem Amerikaner, während sie im Schutz einer Mauer am Dorf entlang schlichen. Der Iraker deutete auf ein kleines Haus, dass in einer kleinen Umfriedung etwas abseits am Rand des Dorfplatzes stand.

„Mein Vetter führt ein kleines Geschäft für Alltagswaren, die nicht selbst hergestellt werden. Er übernimmt auch die Post und fährt regelmäßig in die Stadt.“ erklärte er, als sie das Haus erreichten und zur Tür traten. Ein Blick über die Schulter, doch das Dorf war wie ausgestorben.
„Es ist Mittagszeit. Viel zu heiß. In den nächsten drei Stunden wird sich niemand hier blicken lassen.“ Dann klopfte er und wartete, bis sich die Tür öffnete.
Eine junge Frau, nach muslimischer Art verschleiert, jedoch ohne die oft so typische Burka, öffnete die Tür und spähte verdutzt nach draußen. Es dauerte einen Moment, dann erkannte sie den Vetter ihres Gemahls und begrüßte ihn freudig auf Arabisch. Rhaman verbeugte sich höflich und erklärte ihr ebenfalls auf Arabisch, sein unangekündigtes Erscheinen und wer sein Begleiter sei. Etwas misstrauisch beäugte sie den fremden Soldaten, doch dann nickte sie und trat bei Seite. Ihre einladende Geste sagte Turner, dass sie wohl willkommen seien.

Im Haus war es angenehm kühl, wenige Lampen verbreiteten ein spärliches aber gemütliches Licht.
Sie befanden sich im Verkaufsraum, ein etwa vier Mal vier Meter großer Raum, vollgestopft mit Säcken, Kisten und Fässern. Es roch nach Gewürzen, Tabak und Früchten. Sie führte die beiden weiter nach hinten durch, in den Wohnraum. Dieser Raum war ähnlich groß, aber sehr gemütlich eingerichtet. Zentraler Mittelpunkt war ein runder Tisch um den herum Teppiche und große Kissen ausgelegt waren. Ihre Gastgeberin deutete auf die Sitzgruppe und sagte erneut etwas auf Arabisch. Rhaman dankte ihr mit einer Verbeugung und gab Turner zu verstehen, dass auch er sich setzen solle. Dann verließ sie den Raum und ließ sie allein zurück.
„Mein Vetter ist zurzeit noch unterwegs. Er wird erst zum Abend zurück sein. Sie wird und gleich etwas Tee und zu Essen bringen, sich danach aber zurückziehen, da sie nach unserer Tradition nicht allein mit zwei fremden Männern in Raum sein darf.“ erklärte er seinem Begleiter. Dieser sah ihn überrascht an.
„Ich dachte, ihr wäret verwandt?“

„Ich bin der Vetter ihres Gemahls, aber nur wenn ich ein Blutsverwandter wäre, dürfte ich mit ihr allein seien. Ihr Bruder zum Beispiel. Alles andere wäre unschicklich und würde sie in Bedrängnis bringen.“

Wenige Minuten später betrat sie erneut den Raum mit einem Tablett und servierte ihnen in einer silbernen Kanne heißen Tee und stellte einen Teller mit Früchten und Gebäck auf dem Tisch. Sie richtete noch einige Worte an Amir, dann ließ sie die beiden wieder allein.

„Nach dem Essen können wir uns etwas frisch machen. Sie legt einige Kleidungsstücke ihres Mannes heraus, die dürften Ihnen von der Größe her passen. Sie selbst wird nun das Haus verlassen und zu ihrer Nachbarin gehen, bis ihr Mann heim kommt. Keine Sorge, sie wird nicht verraten, dass wir hier sind. Sie geht oft hinüber, um mit den Frauen im Dorf zu nähen und sich zu unterhalten.“

Turner nickte, während er einen Schluck von dem köstlichen Tee nahm. Es wirkte belebend und erfrischend und er fühlte sich gleich viel wohler. Sein Kopf schmerzte kaum noch, doch er spürte so langsam jeden seiner Muskeln.
„Es wäre schön, gleich ein bisschen Wasser ins Gesicht zu bekommen. Gibt es hier ein Telefon, damit wir das Hauptquartier verständigen können?“
Rhaman schüttelte bedauernd den Kopf.
„Nein, ich fürchte, solchen Luxus gibt es hier nicht. Dazu wird mein Vetter in die Stadt fahren müssen. Das besprechen wir dann heute Abend mit ihm. Wir sollten uns jetzt etwas ausruhen. Ich fühle mich furchtbar müde und mein Nacken schmerzt. Und ich denke Ihnen geht es auch nicht viel besser.“

Nachdem sie sich etwas gestärkt hatten, führte Rhaman Turner in einen abgeschirmten Bereich im Hinterhof, wo eine Wasserpumpe mit einer Waschschale war. Hier hingen einige Tücher um Abtrocknen und tatsächlich auch frische Leinenkleider zum Wechseln.
Rhaman pumpte Wasser in die Schale und trat zur Seite. Mit einer einladenden Geste bedeutete er Turner, sich als erster zu waschen, was dieser dankbar annahm. Amir setzte sich auf eine Kiste und beobachtete, wie der großgewachsene Amerikaner sich seiner Uniformjacke entledigte. Das Shirt darunter spannte sich eng über seine Muskeln und zeichnete die weichen Rundungen deutlich ab.

Als Turner das Shirt auch noch aus zog, und die weiche, sonnengebräunte Haut freilegte, begann Amirs Herz wie wild zu schlagen. Er hatte sich noch nie so sehr zu einem Mann hingezogen gefühlt wie zu diesem Soldaten. So unauffällig wie möglich beobachtete er die geschmeidigen Bewegungen und das Spiel der Muskeln, während Turner Wasser aus der Schale schöpfte und sich glitzernde Rinnsale ihren Weg über die Haut bahnten. Wie gern hätte er den Fluss dieser Wassertropfen mit seinen Lippen aufgehalten. Verträumt starrte er den Mann vor sich an und merkte nicht, dass dieser sich ihm zugewandt hatte. Mit verklärtem Blick ließ er seine Augen über den anmutigen Körper wandern, hinauf über die Halsbeuge, das geschwungene Kinn mit dem leichten Bartschatten, die sinnlichen Lippen, die feingeschnittene Nase, die in der Vergangenheit mindestens einmal gebrochen war und diese wunderschönen Augen, die wie zwei tiefblaue Seen glänzten und ihn gerade in diesem Augenblick direkt ansahen. Erschrocken fuhr Amir hoch und begann knall rot im Gesicht an seinen Stiefelschnürungen zu nesteln. Dabei bemerkte er, dass aufzustehen nicht unbedingt die beste Idee gewesen ist, denn im Stehen war die eindeutige Beule in seiner Hose deutlich zu sehen. Vorsichtig schielte er zu Turner hinüber, ob dieser aufmerksam geworden war, und zu seinem Bestürzen stellte er fest, dass dieser ihn direkt anblickte.

Es schien eine Ewigkeit zu dauern, in der Turner ihn eindringlich mit zusammen gekniffenen Augen fixierte. Amir konnte in der Mimik nicht ablesen, das ihm verriet, was Turner wohl gerade dachte.

Peinlich berührt, setzte er sich schweigsam auf die Kiste zurück und senkte seinen Blick.

Turner dagegen konnte den Blick nicht abwenden. Dieser Iraker verwirrte ihn. Gerade hatte er ihn dabei erwischt, wie er ihn mit einem leicht versonnenen Lächeln beobachtet hatte und nun prangte in seiner Hose eine Beule, die sicher nicht von einer versteckten Waffe herrührte.

Marc wurde aus diesem Mann nicht schlau. Irakischer Soldat, Moslem und doch offen für Demokratie und westliches Denken. Immer wenn er Rhaman ansah schlug sein Herz wie wild und sein Geist schrie „Ja! Ja! Ja!“ Nur sein Verstand hielt ihn zurück und rief ihn zur Vernunft. Rhaman sah gerade jetzt sehr verletzlich aus - als wolle er sich irgendwo verkriechen. Und mit einem Mal fühlte Marc sich schuldig, obwohl er eigentlich nichts getan hatte. Hastig zog er eins der frischen Leinenhemden über, die für sie bereit gelegt worden waren und trat bei Seite.

„Ich... ich warte dann mal drinnen, wenn´s recht ist.“ stammelte er und verschwand im kühlen Haus.

Amir blieb draußen und wartete, bis die Tür zugefallen war. Dann sackte er zusammen und vergrub das Gesicht in seinen Händen.
„Bei Allah, warum musste das passieren?“ murmelte er verzweifelt vor sich hin. Wie konnte er dem Amerikaner jetzt noch unter die Augen treten? Welche Ausrede konnte er sich einfallen lassen? Dass er an seine Geliebte gedacht habe? Während er dem Soldaten beim Waschen zugeschaut hatte? Ja sicher, sehr glaubwürdig. Nein! Er musste dem Captain wohl eingestehen, was er war... Nur wie?

Das konnte er sich später noch überlegen. Jetzt sollte er sich erst mal waschen und hoffen, dass das kalte Wasser dafür sorgte, dass sein Ständer sich zurückzog.

 

Rhaman ließ sich ganz schön Zeit beim Waschen. Marc verstand natürlich warum. Dem Iraker war es sicherlich peinlich, so eine private Regung gezeigt zu haben und dann auch noch einem anderen Mann und Amerikaner gegenüber. Wieder fühlte er diesen Beschützerinstinkt, der sich immer wieder beim Anblick des zierlichen Mannes regte. Aber was sollte Marc ihm sagen? Das es nichts Schlimmes war, wenn man beim Anblick eines gutgebauten Männerkörpers ein Rohr von beachtlicher Größe bekam? Davon würde sich der Moslem bestimmt überzeugen lassen. Und dass er – Marc – nachts beim Gedanken an ihn auch schon erregt war, würde die zarten Vertrauensbande zwischen ihnen sicher noch festigen.

Hinter ihm öffnete sich die Tür und der frisch gewaschene und umgezogene Rhaman betrat immer noch verlegen dreinblickend den Raum.
„Ich wollte sie nicht erschrecken, Captain Turner.“ entschuldigte er sich fast flüsternd und setzte sich schnell an den niedrigen Tisch, auf dem noch immer genug Leckereien standen. Turner versuchte so locker wie möglich zu wirken und setzte sich ebenfalls. Mit einem freundlichen Lächeln nahm er die Teekanne und bot Rhaman an, ihm Tee nach zu gießen. Dieser blickte ihn kurz scheu an, erwiderte verschmitzt das lächeln und reichte ihm seine Tasse an.

„Was macht ihr Nacken? Schmerzt er immer noch?“ fragte Turner, nicht ohne leichte Besorgnis. Bei dem Angriff konnte Amir sich ernstlich verletzt haben. Dieser fasste sich wie unbewusst an die benannte Stelle und bewegte leicht den Kopf seitwärts.

„Es geht, er ist ein wenig steif.“ knurrte er verkniffen. Offenbar wurde er von seinen Gedanken abgelenkt. Marc stand wieder auf und trat hinter Amir. Sanft legte er seine Hände auf den schlangen Hals des Irakers, wobei sich der entsetzt versteifte.
„Bewegen Sie den Kopf noch mal hin und her!“ forderte er ihn sanft auf. Unschlüssig blickte der Angesprochene zu ihm auf.
„Na los“, lachte Turner und klopfte ihm leicht auf die Schulter. „Ich will nur prüfen, ob Sie sich ernsthaft verletzt haben!“

Amir seufzte und ergab sich den Anweisungen des Amerikaners. Vorsichtig tat er wie ihm geheißen und bewegte den Kopf erst nach links und dann nach rechts. Während dessen befühlte Turner seine Schultern, den Nacken und ein Stück die Wirbelsäule hinunter. Mit sanften Fingern betastete er Amirs nackte Haut unter dem seidigen Haar, das durch ein Haarband gebändigt wurde. Wohlige Schauer überfluteten den jungen Iraker, erschrocken verkrampfte er sich und hoffte, dass Captain Turner dies nicht registriert hatte. Hatte er aber. Verwirrt ließ Turner von ihm ab und ging zu seinem Platz zurück.
„Es scheint nichts Ernstes zu sein, vielleicht ein eingeklemmter Nerv oder eine Muskelverspannung. Wir sollten uns vielleicht etwas ausruhen.“

Beide Männer vermieden den Blickkontakt mit dem anderen, jeder für sich bemüht, dem anderen nicht zu zeigen, wie sehr er sich für ihn interessierte.
„Danke, Sie haben sicher Recht. Mein Vetter wird sicher erst in einigen Stunden hier sein. Wir sollten versuchen, ein wenig zu schlafen.“
Und so rückten sie sich die Sitzkissen zurecht und schliefen ein. Zumindest versuchten sie es.

Dem jeweils anderen den Rücken zudrehend, lagen sie noch eine Weile wach, sinnend über die Situation, in der sie sich befanden; nichts ahnend, dass nur wenige Zentimeter entfernt die gleiche Sehnsucht schwelte. Nur ein wenig Mut von einer Seite….

Turner schlief nicht lange. Träume hatten ihn aufgeweckt, Träume von ihm… Amir Rhaman. Selbst jetzt, im wachen Zustand kribbelte sein ganzer Körper. Sein Unterleib zog heftig, brannte fast vor Verlangen. Als er die Augen öffnete, blickte er in Amirs Gesicht. Dieser hatte sich im Schlaf gedreht und lag nun ihm zugewandt. Auch er hatte die Augen geöffnet, konnte offenbar auch nicht mehr schlafen. Die Zeit schien still zu stehen, als sich ihre Blicke trafen, beide hielten unbewusst die Luft an.
„Ich muss etwas gestehen“, murmelte Amir plötzlich und wich unsicher dem Blick des Amerikaners aus. Seine Wangen färbten sich leicht rot.

`Unglaublich sexy!´ dachte Turner und wartete, dass Amir weitersprach.

„Ich bin schwul, deswegen musste ich die Armee verlassen!“

Turner glaubte seinen Ohren nicht zu trauen. Diese drei Worte hallten durch sein Gehirn. Er konnte es gar nicht wirklich verstehen. Mit einem Mal rannten seine Gedanken so schnell, dass er keinen klar festhalten konnte. Das war es also, was er die ganze Zeit gespürt hatte! Einer von seinem Schlag!!

Amir erwartete derweil mit gesenktem Blick eine Reaktion. Sein Herz war, nachdem er so viel Mut aufgebracht hatte, ganz tief in den Keller gerutscht. Er fürchtete, einen großen Fehler gemacht zu haben und malte sich in Gedanken bereits aus, wie der Soldat ihn wegstieß und in der Kaserne bloßstellte. Fast rechnete er damit, dass dieser Mann ihn packen und schlagen würde.

Und Turner packte ihn in der Tat. Mit einer starken Hand griff er dem jungen Iraker in den Nacken, doch es kam kein Schlag. Turner riss den Mann zu sich hinüber und schlang seine Arme um ihn. Mit Tränen in den Augen presste er seine Lippen auf die Amirs. Schluchzend seufzte er:
„Oh Gott sei Dank. Ich dachte schon ich werde verrückt. DU machst mich verrückt. Seit dem ersten Moment wollte ich dich!“ Die Worte schossen nur so aus ihm heraus, einzig unterbrochen von den Küssen, mit denen er Amirs Gesicht bedeckte. Dieser blickte ihn verwirrt an, erwiderte aber die Küsse. Langsam dämmerte ihm, dass er nicht träumte, dass der Captain ihn im Arm hielt und nicht wegstieß.

„Soll das heißen…“ begann er und wurde gleich von Marc unterbrochen.
„Ja, das soll es heißen. Ich liebe dich. Vom ersten Moment an gingst du mir nicht mehr aus dem Kopf. Als wir im Auto saßen, nach der Explosion, da galt meine einzige Sorge dir. Erst als ich gesehen habe, dass du in Ordnung warst, hat mein Herz wieder geschlagen.“

„Du liebst mich? Wirklich?“ hauchte Amir und als Marc mit Tränen in den Augen nickte, konnte auch er die Tränen nicht länger zurückhalten. Er presste sein Gesicht an den Hals des Amerikaners und hielt sich wie ein Ertrinkender fest.
In diesem Moment wurde die Tür geöffnet und ein Mann in traditioneller weißer Leinenkleidung stand mit vor Entsetzen geweiteten Augen im Eingang.

Amir und Marc schossen reflexartig auseinander. Sogleich begann der Mann in der Tür auf Arabisch zu schimpfen und zu schreien. Amir sprang auf und ging beschwichtigend auf ihn zu, doch der Mann stieß ihn von sich und spuckte vor ihm auf den Boden.

Marc, der ebenfalls aufgesprungen war, betrachtete die Situation hilflos. Offenbar war dies Amirs Vetter, und was er von Amirs Neigungen hielt, war nur all zu offensichtlich. Amir versuchte alles, um seinen Verwandten zu beruhigen, doch dieser regte sich immer nur noch mehr auf. Und dabei wurde er immer lauter.

Um eine Entdeckung durch neugierige Nachbarn zu vermeiden, schritt Marc zur Tat. Er trat seitlich an den Mann heran und traf ihn mit einem gezielten Schlag unterm Kinn. Wie ein nasser Sack fiel der Getroffene zu Boden. Amir sah ihn erschrocken an.
„Warum hast du das gemacht?“ stammelte er und kniete neben seinem Vetter nieder, um ihn zu untersuchen.

„Es musste sein. Sein Geschrei hätte sicher bald Nachbarn angelockt. Tut mir leid, Amir, aber es war offensichtlich, dass er sich nicht beruhigen würde.“ entschuldigte Marc sich geknickt. Beruhigend legte er Amir die Hand auf die Schulter.

„Er wusste nichts davon?“

„Niemand wusste es. Wie hätte ich es auch erklären können. In den Augen meiner Familie bin ich schon jetzt eine Schande. Mein Vater und meine Brüder hätten mich umgebracht. Und wenn Sahid es ihnen berichtet, werden sie es noch tun.“ Amir stand auf und blickte Marc verzweifelt an.
„Ich habe alles zerstört. Ich habe uns in Gefahr gebracht, weil ich schwach bin.“
Turner schüttelte den Kopf und schloss ihn wieder in seine Arme.

„Sprich nicht so. Es kann alles noch gut werden. Wichtig ist doch nur, dass wir beide uns endlich gefunden haben. Alles Weitere wird sich finden.“

Gemeinsam überlegten sie, was sie nun tun sollten. Amirs Vetter würde ihnen mit Sicherheit nicht freiwillig helfen. Kurzer Hand entschlossen sie sich, Sahid zur Hilfe zu zwingen. Der alte Lieferwagen des Händlers stand hinter dem Haus, so konnten sie unbemerkt den verschnürten Vetter hinaustragen und im Wagen verstauen. Ihre Uniformen schnürten sie in einem Bündel zusammen und warfen es ebenfalls in den Wagen.

Für des Vetters Gattin hinterließ Amir eine kurze schriftliche Notiz, dass sie gemeinsam fort gefahren seien und Sahid nicht vor morgen Abend zurückkehren würde. Dann verließen sie eiligst das kleine Bergdorf.

Sie fuhren bis zum Einbruch der Nacht, dann suchte Amir abseits der Straße nach einem Platz, wo der Wagen nicht sichtbar abgestellt werden konnte. Sahid lag immer noch bewusstlos im hinteren Teil des Lieferwagens. Amir und Marc hatten seitlich vor dem Wagen ein kleines Lagerfeuer entzündet und sich ihre Uniformen wieder angezogen, da diese wärmer als die geliehen Kleider waren. Nun saßen sie nebeneinander am Feuer und starrten in die Flammen. Zärtlich tastete Marc nach Amirs Hand und hielt diese fest. Ungewohnt sanft blickte er den jungen Iraker an seiner Seite an, der sein Lächeln erwiderte. Diese beiden erwachsenen Soldaten verwandelten sich in zwei schüchterne Teenager. Fast unbeholfen beugte sich Amir zu Marc hinüber, suchte mit seinen Lippen die des Amerikaners. Da dieser gleichzeitig die selbe Idee hatte, stießen sie mit den Nasen zusammen. Gemeinsam fingen sie an zu lachen, bis Marc liebevoll Amirs Gesicht in die Hände nahm. Lange blickte er ihm in die Augen dann zog er ihn nahe heran und drückte seine Lippen auf Amirs zu einem langen, zärtlichen Kuss. Amirs Erwiderung kam zunächst zögerlich, doch bald immer leidenschaftlicher. Seine Hände fuhren suchend durch Marcs kurze Haare, seinen Hals hinunter zur Knopfleiste seines Uniformhemdes. Ungeduldig begann er, die Knöpfe zu öffnen, während auch Marcs Hände sich auf die Reise begaben. Trotz der Kälte, die in der nächtlichen Wüste herrschte, hatten sie sich gegenseitig schnell ihrer Kleidung entledigt und sanken eng umschlungen auf den mit Uniformstücken bedeckten Boden. Ohne ihre Lippen von einander zu lösen, begannen sie, ihre Körper zu erforschen. Und unter dem Sternenhimmel der irakischen Wüste

liebten sie sich zum ersten Mal...

 

 

 

Kurz vor Sonnenaufgang erwachte Marc, Amir eng umschlungen, den Kopf auf Marcs Brust gebettet. Mit einem glücklichen Lächeln küsste er den Geliebten auf die Stirn und flüsterte ihm liebevoll „Guten Morgen“ ins Ohr. Verschlafen blinzelte dieser ihn an und erwiderte sein Lächeln.
„Guten Morgen, Captain.“ gähnte Amir und schälte sich aus den klammen Kleidern.

„Wir sollten uns etwas beeilen. Die Sonne geht bald auf und wir haben noch ein kleine Stück weg vor uns, bis wir den Stützpunkt erreichen.“

Ein guter Vorschlag, der sich jedoch etwas hinauszögerte, da Amir mit einem verschmitzten Grinsen eine weitere Runde Liebesakrobatik einläutete. Erst als sie beide noch zweimal gemeinsam gekommen waren, zogen sie sich tatsächlich an und machten sich auf dem Weg.

Amir warf einen kurzen Blick in den Fond des Wagens, wo Sahid immer noch verschnürt wie ein Päckchen lag. Böse funkelte er seinem Vetter entgegnen und ließ keinen Zweifel offen, dass er mitbekommen hatte, was zwischen den beiden geschehen war. Seine Abscheu troff ihm förmlich aus jeder Pore und Amir konnte in seinen hasserfüllten Augen lesen, dass er seine Familie verständigen würde, sobald es ihm möglich war.
„Wir werden dich gehen lassen, sobald wir in Sicherheit sind. Ganz gleich, was du von mir denkst, Du bist mein Vetter und ich werde dir kein Haar krümmen!“ sagte Amir und zwang sich, dem angewiderten Blick Sahids stand zuhalten. Achselzuckend wand er sich wieder um und setzte sich auf den Beifahrersitz. Marcs liebevoller Blick versöhnte ihn schnell wieder. Nie hätte er sich träumen lassen, dass er sich jemals so glücklich fühlen würde. Jahrelang hatte er mit seiner Sexualität gehadert, sich vor sich selbst geschämt. Nie hatte er geglaubt, dass er so selbstverständlich einen anderen Mann küssen, geschweige denn mit ihm schlafen würde.

Doch jetzt, mit Marc Turner, fühlte sich alles richtig an. Keine Bedenken, keine komischen Gedanken. Einfach nur Liebe und Harmonie. Doch wie würde es sein, wenn sie im Stützpunkt waren? Wie sollte er sich dort verhalten? Mit einem Mal wurde er nervös und das merkte auch Marc.

„Was ist?“ fragte er schlicht und sah seinen Geliebten an. Beruhigend ergriff er dessen Hand.

„Ich… ach keine Ahnung. Ich bin ein wenig überfordert mit der Situation. Weißt du, ich habe nie meine Gefühle offen gelebt. Und Du wohl auch nicht, oder?“

Marc nickte lächelnd. Er verstand genau, was Amir meinte.
„Nicht so offen, da hast du schon recht. Ich habe es zwar nie verleugnet, aber ich binde es auch nicht unbedingt jedem auf die Nase. Ich hoffe, es macht dir nicht allzu viel aus, wenn wir auf dem Stützpunkt nicht unbedingt Händchen halten können?“

Amir nickte erleichtert. Auch er hatte nicht gewollt, dass sie ihre Liebe offen zwischen den Soldaten zeigten. Über eine Zukunft dachte er bis jetzt auch nicht nach. Er wollte einfach nur genießen.

 

Während der Fahrt nutzten die beiden die Gelegenheit, sich näher kennen zu lernen. So erzählte Amir Marc von seiner Familie und seiner Zeit in der Irakischen Armee. Wie er unter seinen Neigungen gelitten hatte, von der Angst, entdeckt zu werden und von seiner Scheinbeziehung zu einer jungen Soldatin, die bei Kriegsausbruch von einer verirrten Kugel getötet wurde.

„Ich hatte danach eine Weile Ruhe vor den ewigen Fragen, wann ich endlich heiraten würde. Man vermutete, dass meine Trauer zu tief sitzt. Sobald Sahid mit meiner Familie spricht, wird sich das jedoch ändern. Dann werde ich den Irak verlassen müssen, irgendwo hin, wo sie mich nicht finden können.“

„Warum?“

„Ich habe Schande über meine Familie gebracht. Mein Vater und meine Brüder werden mich töten, sobald sie mich finden.“

Marc starrte aus der Fensterscheibe, seine Stirn sorgen zerfurcht. Er hatte gewusst, dass im muslimischen Glauben Homosexualität ein schwieriges Thema ist und in einigen Ländern die Verfolgung durch das Gesetz extrem hart war, aber so hatte er sich das nicht vorgestellt.

Aber eines wusste er, er wollte Amir nie wieder gehen lassen.

„Ich habe früher schon mit dem Gedanken gespielt, die Armee zu verlassen.“ Sagte er mit einem Mal und überraschte Amir.

„In der Privatwirtschaft lässt sich mehr Geld verdienen. Und ich habe mir immer vorgenommen, wenn ich mal den Mann fürs Leben finde, ziehe ich einen Schlussstrich.“

Amir blickte ihn verwundert an.
„Du…. Du meinst…“

„Ich meine, dass ich mir absolut sicher bin, dass ich dich über alles liebe. Ich habe das Gefühl, dass ich dich schon ewig kenne, ewig auf dich gewartet habe.“ Marc fuhr rechts ran und wand sich Amir zu.

„Es mag wie eine Torheit klingen, aber ich möchte, dass du mit mir nach Amerika kommst. Ich möchte den Rest meines Lebens mit dir verbringen!“

Mit seinen blauen Augen fixierte er Amir, der ihn mit großem Staunen anstarrte. Außer Stande etwas zu antworten, schnappte er nach Luft. Marc nahm seine Hand und hielt sie fest.

„Ich will dich nicht überfahren, aber wenn du hier in Gefahr bist, wäre Amerika die einzig richtige Entscheidung, findest du nicht? Ich kann dich beschützen.“

Amir drückte seine Hand zurück und setzte sich aufrecht hin.

„Ich kann mich schon selbst beschützen. Vergiss das nicht!“ sagte er deutlich zurückhaltend. Marc brauchte einen Moment, bis im klar wurde, dass er Amir gerade wie ein schwaches Weibchen behandelte. Immerhin war er selbst Soldat und hatte im Krieg gedient. Natürlich war er in der Lage sich selbst zu verteidigen. Den starken Beschützer zu spielen, war unangebracht gewesen. Standen sie nur Stunden, nachdem sie ein Paar wurden schon vor ihrem ersten Streit?
„Verzeih mir bitte. Natürlich weiß ich, dass du nicht hilflos bist. Ich wollte dich nicht geringschätzen. Ich kann einfach nicht aus meiner Haut, ich will beschützen, was mir wichtig ist. Und im Moment bist du das einzige, was für mich Bedeutung hat. Und...“

Weiter kam er nicht, den Amir hatte ihm mit seinen Lippen den Mund verschlossen.

„Ich liebe dich auch, Captain. Und du hast recht. Amerika klingt verlockend. Aber lass uns jetzt erst mal zum Stützpunkt zurückkehren. Wir müssen Sahid zurückschicken und ich könnte eine Dusche vertragen. Und dann machen wir uns Gedanken um unsere Zukunft.“

 

Sie erreichten die Militärbasis gegen Mittag. Ihre Ankunft wurde in Sekunden verbreitet und so warteten seine Männer bereits vor der Schreibstube des Majors auf sie, um sie zu begrüßen.

Sie hatten beide für tot gehalten und sie jetzt lebend zu sehen überwältigte die Männer zusehends.

Selbst Amir, den sie erst kurz in ihren Reihen kannten, begrüßten sie brüderlich.

Doch bevor sie erzählen konnten, was geschehen war, trat der Major aus der Stube und winkte Turner zu sich herein.

Hier erstattete Marc trocken Bericht über den Überfall und wie sie entkamen. Natürlich ließ er gewisse Details aus.
„Und dieser Zivilist, dieser Verwandte von Mr. Rhaman, ist er noch hier?“
„Ja, Sir. Er liegt im Auto, gut verschnürt. Er war nicht so kooperativ wie gedacht. Offenbar hegt er keine verwandtschaftlichen Gefühle für seinen Vetter. Amir – Mr Rhaman hat den Wunsch geäußert, dass sein Vetter unbehelligt zurückkehren soll.“

„Und wenn er mit den Rebellen unter einer Decke steckt? Sie sagten doch, dass er seinem Vetter nicht wohl gesonnen schien?“

„Nein, das bestimmt nicht. Es ist eher privater Natur. Eine Familienangelegenheit.“

Der Major überlegte kurz, dann nickte er. Seinem Captain vertraute er unbedingt.
„Also gut. Ich werde dafür Sorge tragen, dass der Mann sofort heim geschickt wird. Jetzt gehen Sie aber erst mal in die Unterkunft und ruhen sie sich aus. Benötigen Sie medizinische Versorgung?“

„Danke, Sir. Das wird nicht nötig sein. Eine Dusche und ein wenig Ruhe, das sollte genügen. Allerdings müsste ich noch etwas mit Ihnen besprechen.“
„Um was geht es denn?“
„Nun... es geht um meine Zukunft. Ich bitte um meine Entlassung aus dem Dienst.“

Der Major wurde von diesen Worten kalt erwischt und starrte ihn entgeistert an.
„Captain Turner, wenn Sie in ihrem Bericht etwas weg gelassen haben, was ihre Zeit bei den Irakern betrifft...“
„Nein, Sir. Das ist es nicht. Es ist eher.... eher persönlicher Natur.“

Major Higgs sah ihn prüfend an.
„Marc, Sie wissen, dass ich Sie immer gefördert habe, wo ich nur konnte. Ich habe in Ihnen immer so etwas wie einen Ziehsohn gesehen. Also bitte,raus mit der Sprache.“

Marc überlegte einen Moment, dann nickte er.

„Ich... Sie wissen ja, dass ich... dass ich... nun ja.“

„Sie meinen Ihre Homosexualität? Das ist kein Thema für mich. Ich sagte ihnen in der Vergangenheit bereits, dass mich nur Ihre Leistungen und Ihre Führungsqualitäten interessierten.“

Marc lächelte leicht. Er erinnerte sich an das Gespräch, als er dem Major zugeteilt wurde. Damals hatte der Major ihm unmissverständlich gesagt, dass seine sexuellen Neigungen uninteressant waren, solange er seinen Dienst gut versah und seine Männer anständig führte. Und genau das hatte er in den letzten acht Jahren getan. Egal, wo man sie hingeschickt hatte, er hatte immer seine Männer nach besten Wissen und Gewissen angeführt. Doch seine Zukunft mit Amir war ihm wichtiger.

„Sir, ich habe Gefühle für jemanden und mit dieser Person möchte ich in die Staaten zurückkehren. Ich kann einfach nicht länger hier bleiben. Ich bitte Sie um Verständnis. Ich weiß, dass mein Dienst eigentlich noch drei Jahre andauert, doch diese würde ich gern zu hause ableisten dürfen.“

„Darüber werden wir sprechen, wenn Sie sich ausgeruht haben. Das ist nichts, was man zwischen Tür und Angel entscheidet. Wegtreten, Captain!“

Marc tat wie im geheißen und ging zunächst in die Unterkunft. Amir war bereits dort und hatte geduscht. Jetzt saß er am Tisch und löffelte etwas Brei artiges, während die Kameraden aus Marcs Einheit ihn umringten und aufforderten, ihre Geschichte zu erzählen. Als sie Turner bemerkten, erhoben sie sich respektvoll und grüßten ihren Captain.

Mit einer matten Handbewegung entließ er sie aus der „Hab-Acht-Stellung“ und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Lächelnd nahm er Amir den Löffel aus der Hand und probierte etwas von dem Brei. Ob der extremen Süße verzog er das Gesicht.

„Urgs was ist denn das?“ fragte er, während Amir lachend den Löffel zurück nahm und sein Mahl fortsetzte.
„Feigenbrei. Stell dich nicht so an!“ feixte er zurück, was Marc erneut lächeln ließ. Die Blicke seiner Männer nahm er nicht wahr, doch wenn er sie gesehen hätte, wäre er sicher überrascht gewesen. So zog er sich zurück, um zu duschen.

Als er unter den heißen Strahlen stand, fühlte er zum ersten Mal die Anstrengungen der letzten Tage. Zwar hatte er sich im Dorf bereits gewaschen, aber das war kein Vergleich zu der Reinheit, die durch eine heiße Dusche entstand. Während er so da stand, den Kopf gesenkt, an die kühle Wand gelehnt, das heiße Wasser auf den Rücken prasselnd, fühlte er mit einem Mal eine Beklemmung in der Brust. Es schien im, als würde sein Brustkorb von starken Klammern umschlungen, die sich immer fester zudrückten.Er stütze sich mit beiden Armen an der Wand ab und versuchte sich zu befreien, doch der Druck wurde immer schlimmer. Es raubte ihm den Atem und langsam wurden seine Knie weich.
„Hilfe“ keuchte er mit der wenigen Luft, die ihm noch verblieb, dann sank er zu Boden in der furchtbaren Gewissheit allein unter der Dusche zu sterben...

 

Im Gemeinschaftsraum hatten die Männer wieder ihre Gespräche aufgenommen. Immer wieder löcherten sie Amir mit Fragen zu den vergangenen Tagen, während dieser weiterhin seinen Feigenbrei löffelte. Doch Amir hielt sich wage und erzählte zwischen den einzelnen Löffeln nur kleine Fetzen des tatsächlichen Geschehens. Gebannt hingen sie an seinen Lippen und wollten alles hören, was er zu berichten wusste. Plötzlich aber stockte Amir und lauschte. Als die Soldaten dies mitbekamen, taten sie es ihm gleich.
„Was ist denn?“ fragte Corporal Welsh während er sich umsah.

„Ich weiß nicht genau, mir war, als hätte ich jemanden rufen gehört.“ nuschelte Amir, doch es blieb still. Nur das Rauschen der Dusche aus dem Waschraum störte die vorherrschende Stille.

„Sagt mal, wie lang ist der Captain eigentlich schon duschen?“ fragte Welsh und sah seine Kameraden verwundert an.
„Wenn du mich fragst, zu lang!“ antwortete Amir, denn es musste fast eine halb Stunde vergangen sein. Also stand er auf und lief Richtung Waschraum, gefolgt von den Soldaten. Schon von der Tür aus entdeckten sie den regungslos da liegenden Captain Turner. Amir verlor die Fassung. Ungeachtet der Augen, die ihn verfolgten, lief er zu Marc hinüber und ließ sich auf die Knie fallen.
„Marc, was ist mit dir?“ rief er und zog den leblosen Körper an sich, das immer noch herab prasselnde Wasser aus der Dusche ignorierend. Ein schneller Griff an seinen Hals ließ die eisige Hand, die sein Herz umschlossen hatte, schmelzen.
„Wir müssen ihn zum Arzt bringen!“ rief er und bemühte sich, den Geliebten hoch zu heben. Unterstützt von zwei Soldaten, trugen sie Marc aus dem Waschraum und legten ihn auf sein Bett, während Welsh hinauslief, um den Arzt zu holen.

Es dauerte nicht lang, bis Welsh mit dem medizinischen Offizier des Stützpunktes zurückkehrte.

Amir verließ nur ungern Marcs Seite, doch natürlich benötigte Dr. Syracus Platz, um den Bewusstlosen zu untersuchen. Nach einem kurzen Blick erhob der Doc sich mit ernstem Blick.
„Er muss sofort auf die Krankenstation. Ich fürchte, er hat eine schwere Lungenembolie. Wir haben nicht viel Zeit!“

Auf der Krankenstation wartete Major Higgs bereits, doch wie die anderen auch, musste er im Vorbereich bleiben, während Dr. Syracus mit seinem Patienten im Behandlungsraum verschwand.

Amir stand bleich an einer Wand angelehnt und starrte auf die Tür, hinter der Marc behandelt wurde. Major Higgs war an ihn heran getreten und legte ihm die Hand auf die Schulter, was den jungen Iraker erschrocken zusammenfahren ließ.
„Ich würde Sie gern kurz unter vier Augen sprechen, Mr. Rhaman.“ sagte er mit sanfter Stimme und bedeutete ihm mit einer leichten Kopfbewegung ihm nach draußen zu folgen.

Amir warf einen letzten Blick auf die Tür, dann tat er, was Higgs von ihm erwartete. Dieser erwartete ihn direkt vor dem Eingang.
„Sie und Captain Turner also?“ fragte er knapp und betrachtete Amir eindringlich. Der erwiderte diesen Blick ohne Regung.

„Ich verstehe nicht, Sir.“ antwortete er fast tonlos.
„Mr Rhaman, bitte halten Sie mich nicht für einen Trottel. Ich habe sehr wohl Augen im Kopf. Über Marc weiß ich schon sehr lange Bescheid. Er hat nach ihrer Rückkehr Andeutungen gemacht und so wie Sie sich um ihn sorgen... Das spricht eine recht eindeutige Sprache.“

Amir setzte zu einer Erwiderung an, doch Higgs bedeutete ihm mit einer Handbewegung zu schweigen.

„Ihr Privatleben geht mich nichts an, aber Captain Turner liegt mir am Herzen. Sie sind der Grund, warum er aus der Armee raus will, richtig?“

Amir nickte.

„Sie kennen sich doch erst ein paar Tage? Ich versteh es nicht.“ murmelte Higgs und musterte Rhaman weiter.

„Manchmal reicht ein Augenblick, Sir.“ hauchte Amir als schlichte Antwort, dann ging er wieder in das Gebäude, um auf Nachricht von Marc zu warten.

Als Higgs nach ihm hereintrat, kam gerade der Doc aus dem Behandlungsraum heraus. Sorgenvoll blickte er seinen Kommandanten an.
„Wie sieht es aus?“

„Er hat tatsächlich eine schwere Lungenembolie. Offenbar hat sich in seiner Oberschenkelarterie ein Gerinnsel gebildet, was sich gelöst hat und in die Lungenarterie hoch gewandert ist. Leider bemerkt man Embolien erst, wenn es fast zu spät ist.“

„Und wie sehen seine Chancen aus?“

„Es gibt zwei Behandlungsmöglichkeiten. Fibrinolyse, also die Auflösung des Gerinnsels mit Hilfe von Medikamenten. Oder über eine Katheter Behandlung. Da sein Herz bereits mehrfach aufgehört hat zu schlagen, bevorzuge ich die Lyse-Therapie. Allerdings können die Medikamente zu Blutungen in anderen Organen führen. Sie ist sehr risikoreich, aber in meinen Augen die einzige Lösung.“

Higgs nickte bestätigend und der Doktor machte sich an die Arbeit. Nachdem beide den Warteraum verlassen hatten, blieb Amir mit Corporal Welsh und Sergeant Snyder zurück. Die beiden Soldaten saßen mit bedrücktem Gesichtsausdruck da und starrten auf den Boden. Amir fühlte sich plötzlich allein und verloren. Gerade hatte er jemanden gefunden, mit dem er sein Leben teilen konnte. Stand er nun schon wieder vor dem Aus? Bisher hatte er nie viel über seine Zukunft nachgedacht, aber seit Marc ihm am Morgen seine Liebe gestanden hatte, und ihn gebeten hatte, mit nach Amerika zu kommen, hatte er sich tatsächlich vorgestellt, wie es sein könnte.

Eine Hand auf seiner Schulter schreckte ihn aus seinen Gedanken aus. Sergeant Jane Snyder, die einzige Frau im Team, stand hinter ihm und sah ihn freundlich entgegen.

„Kommen Sie, Amir. Gehen wir in die Messe und trinken einen Kaffee. Wir können hier doch nichts machen.“

Gemeinsam mit Welsh führte sie Amir in die Mannschaftsmesse, wo auch die anderen Soldaten aus ihrer Einheit saßen. Welsh fasste kurz zusammen, was sie im Warteraum mitbekommen hatten, dann verfielen alle wieder in eine bedrückte Stimmung. Ihr Anführer war gerade erst zurückgekehrt, nachdem sie ihn für tot gehalten hatten. Nun kämpfte er wirklich um sein Leben und es gab nichts, was sie tun konnten, um ihm zu helfen.

Jane betrachtete den irakischen Dolmetscher, der am Tisch mit gesenktem Kopf saß und auf seinen Kaffee starrte. Er war erst kurz bei ihnen, doch vom ersten Moment an fand sie ihn sympathisch. Er war offen und freundlich, mit einem gewinnenden Wesen ausgestattet. Allerdings hatte sie von Anfang an gemerkt, dass er ein Geheimnis hatte. Jetzt wurde ihr klar, was dieses Geheimnis war.

Ihr Gaydar hatte sie also nicht getäuscht, dieser schöne exotische Mann gehörte also zu den Unerreichbaren. Und ganz offensichtlich war er verliebt in ihren Captain, dessen Homosexualität ein offenes Geheimnis auf der ganzen Basis war. Jeder wusste es, doch niemand sprach darüber, aus Respekt vor Marc Turner.
Amir erweckte tiefes Mitleid in ihr, Janes Mutterinstinkt, so nannten es die Kameraden. Und so nahm sie ihren Kaffee und setzte sich neben den Iraker. Eine Weile saßen sie schweigend da, dann nahm sie einen großen Schluck und blickte ihn an.

„Er wird wieder. Marc ist ein Kämpfer.“ sagte sie freundlich und bemerkte seine Überraschung. Sanft legte sie ihm die Hand auf den Unterarm.

„Sie mögen ihn gern, nicht wahr?“ Seine Überraschung wurde größer und er hielt automatisch die Luft an.
„Keine Sorge, Marcs Sexualität ist ein offenes Geheimnis. Jeder weiß es, auch wenn er sich große Mühe gibt, es zu verheimlichen.“ Sie lachte leise und nahm einen weiteren Schluck Kaffee.

„Erwidert er ihre Gefühle?“
Amir war so perplex, dass er zunächst nicht antworten konnte. Diese Frau sprach so offen über ihn und Marc, als wäre es nichts Besonderes, nichts… Schlimmes. Eigentlich hatte er sich das immer gewünscht, doch in der Realität überforderte es ihn schon ein wenig. Doch ihr Lächeln war so ehrlich und warm, dass er sich zu einer Antwort zwang.

„Ja“ hauchte er fast tonlos. „Er hat gesagt, dass er mich liebt.“ Jane lachte auf und umarmte ihn spontan, was ihn noch viel mehr einschüchterte.

„Unglaublich, du bist keine 48 Stunden mit ihm zusammen und hast seine harte Schale geknackt.“

Sie war nicht gerade so leise, wie es ihm lieb war und die anderen Soldaten schauten neugierig zu ihnen herüber.

„Bitte, nicht so laut!“ flehte Amir und hoffte, dass die anderen nicht verstanden hatten, worüber sie gesprochen hatten. Sie zwinkerte ihm zu, als Zeichen, dass sie verstanden hatte und rückte verschwörerisch nah heran.
„Schon gut, es wird sich niemand darum scheren. Alle mögen Marc, so wie er ist. Und Dich mögen auch alle. Ich darf doch Du sagen?“ Amir nickte langsam und merkte, wie ihre lockere Art sich langsam auf ihn ausweitete. Er verlor die Anspannung und fühlte sich allmählich wohler in seiner Haut. Fast hatte er seine Sorge um Marc verdrängt, aber nur fast. Sie kam schlagartig zurück.

„Was, wenn er stirbt?“ flüsterte er und kämpfte gegen die aufsteigende Angst. Da legte sie ihren Arm um seine Schultern und drückte ihn fest.

„Glaub an ihn. Er wird nicht aufgeben. Und der Doc ist ein Spitzenmediziner, der wird auch alles tun, um Marcs Leben zu retten.“

 

Obwohl es mittlerweile schon sehr spät war, zehn Uhr abends war längst um, saßen sie noch immer in der Messe. Die Kameraden erzählten Amir, was sie in den letzten Jahren unter Marcs Führung alles erlebt hatten, gefährliches, wie amüsantes. Längst fühlte Amir sich als Teil dieser Gruppe und war dankbar für die Abwechslung, die sie ihm boten.
Irgendwann ging die Tür auf und der Doc kam müde herein. Er nahm sich eine Tasse Kaffee und schlurfte zum Tisch, an dem die Soldaten saßen. Alle Aufmerksamkeit war auf ihn gerichtet, doch Doc Syracus trank erst mal genüsslich seinen Kaffee. Dann lehnte er sich zufrieden zurück und lächelte in die Runde.
„Captain Turner ist einfach nicht tot zu kriegen. Es bedarf schon mehr, um ihn um zu hauen. Er ist auf dem Wege der Besserung!“

Ein Sturm der Erleichterung brach los und alle redeten durch einander. Amir selbst fand keine Worte, um sein Glück zu beschreiben. Eine Leichtigkeit erfasste ihn und wärmte sein Herz. Er wollte nur noch loslaufen und Marc in seine Arme schließen, nur mit Mühe konnte er sich zurück halten.

„Doktor, können wir zu ihm?“ fragte Jane und schielte zu Amir hinüber, der hoffnungsvoll auf die Antwort wartete. Doch der Arzt winkte ab.

„Lassen Sie ihn schlafen. Morgen früh können Sie ihn besuchen. Die Nacht muss er erst einmal ausruhen.“ Amir sank enttäuscht in sich zusammen. Zwar war er glücklich, dass Marc leben würde, doch wäre er gern an seiner Seite und würde seine Hand halten. Dies blieb Jane nicht verborgen. Sie setzte sich neben den Arzt und flüsterte mit ihm. Amir sah nicht, wie Dr Syracus überlegte und dann zaghaft nickte und Jane ihm lachend einen Kuss auf die Wange drückte. Er war zu sehr in Gedanken damit beschäftigt, sich selbst Mut zu zusprechen, dass er ja selbst etwas schlafen musste und dass er morgen früh seinen Geliebten sehen durfte.
Als Jane ihn bei der Hand nahm und vom Stuhl aufzog, erschrak er ein wenig. Verwirrt blickte er in ihre strahlenden Augen.
„Komm mit.“ Sagte sie schlicht und zog ihn hinter sich her. Nahezu willenlos ließ er sich von ihr durch die dunkle Basis führen, bis sie wieder an der Krankenstation angekommen waren.
„Was machen wir hier? Der Doc hat doch gesagt, dass Marc ausruhen muss.“ zischte er leise und wollte sich los machen. Doch sie war kräftiger, als er gedacht hatte und hielt seine Hand fest umklammert.

„Ich hab mit Jake gesprochen. Habe ihm eure besondere Situation erklärt und er war einverstanden, dass du bei Marc bleibst.“ Im ersten Moment wollte Amir aufbegehren, da sie immer mehr Leute in sein Geheimnis einweihte, doch die Freude, nun doch bei seinem Geliebten bleiben zu dürfen, beschwichtigte ihn sofort wieder.

Leise schob sie ihn in das Krankenzimmer, in dem Marc schlief. Über dem Gesicht eine Sauerstoffmaske, die ihm das Atmen erleichtern sollte. Der Herzmonitor piepte gleichmäßig und zeigte, dass alles in Ordnung war. Jane schloss leise die Tür hinter ihm, so dass er allein mit Marc im Raum blieb. Vorsichtig zog er sich einen Stuhl ans Bett und setzte sich hin. Mit zitternden Fingern nahm er Marcs Hand und hielt sie fest. Durch diese Berührung wachte der Patient auf und sah müde zu ihm herüber. Unter der Maske erschien ein mattes Lächeln.
„Ich bin so froh, dass du mich nicht verlassen hast!“ hauchte Amir und zog Marcs Hand an seine Wange. Tränen flossen nun in Strömen über sein Gesicht, länger konnte er sie nicht mehr zurückhalten.
„Ich liebe dich auch, Marc Turner. Ich liebe dich und ich möchte für immer mit dir zusammen sein. Ich folge dir überall hin, solange du nur wieder gesund wirst.“

 

 

Drei Monate später standen Marc und Amir nervös vor dem Zimmer des Friedensrichters von Port Orange und warteten darauf, aufgerufen zu werden. Amir hatte erst wenige Tage zuvor in einem verkürzten Verfahren die Einbürgerung in die USA bekommen und heute sollte ihr großer Tag sein. Heute wollten sie ihre Liebe vor dem Gesetz besiegeln und offiziell die Ehe eingehen. Sie hatten sich alle Mühe gegeben, dies geheim zu halten, doch irgendwie hatte Jane es herausgefunden und war mit Marcs alten Kameraden angerückt und so standen sie nun im Kreise ihrer Freunde und warteten darauf ihr Glück perfekt zu machen. 
"Kommen deine Eltern nicht, Marc?" fragte Jane, während sie ihr buntes Sommerkleid ordnete, damit auch niemandem ihre weiblichen Reize verborgen blieben. Marcs Antwort war ein trauriges Lächeln.
"Sein Vater ist nicht gut dran. Die Reise würde ihn zu sehr belasten!" sagte Amir schnell und drückte seinem zukünftigen Ehemann die Hand. Natürlich wussten ihre Freunde, dass seine Eltern regelmäßig Ausreden fanden, um am neuen Leben ihres Sohnes nicht direkt teilhaben zu müssen. Allerdings hatten sie noch nicht heraus gefunden, ob es sie störte, dass ihr Sohn schwul oder mit einem Moslem liiert war. 
"Hey, wir rocken das Ding schon!" rief Welsh und drängte sich zwischen das Paar. Mit breitem Grinsen legte er beiden die Arme um die Schultern und drückte sie herzlich.
"Mit alten Menschen kann man eh keine richtige Party feiern! Und denkt dran, wir haben einen geilen Empfang direkt am Strand für euch bereitet!"

Im nächsten Moment ging die Tür auf und der Friedensrichter rief ihre Namen auf. 

Nervös aber glücklich folgten Marc und Amir ihm in den Raum, gefolgt von ihren Freunden. 
Nachdem sich alle in dem zweckmäig eingerichteten Büro versammelt hatten, lächelte der grauhaarige Staatsdiener die beiden freundlich an. 
"Wollen wir direkt anfangen?" 

"Wir sind hier zusammen gekommen, um den Bund zwischen diesen beiden Männern zu beschließen, der in einer Zeit des Kriegs und der Aufruhr begonnen hat. Amir und Marc haben auf eigene Gelübte verzichtet, daher frage ich dich, Amir Rhaman, willst du Marc Turner zu deinem Ehemann nehmen, an seiner Seite stehen, ihn lieben und achten, bis das der Tod euch scheidet?"

Amirs Augen leuchteten vor Liebe und Glück auf, als er mit brüchiger Stimme antwortete:
"Ja, das will ich von ganzem Herzen!"

Seine Hand umschloß die von Marc ein wenig fester und auch dessen Augen spiegelten die tiefe Liebe wieder, die sich in seinem Herzen befand.

"Und Du, Marc Turner? Willst auch du Amir zu deinem Ehemann nehmen? Für immer an seiner Seite stehen, ihm Freund und Geliebter sein und ein Fels im Sturm des Lebens?"

"Zur Hölle, ja natürlich!" entfuhr es dem Soldaten und er riss Amir in seine Arme, ohne abzuwarten, dass der Friedensrichter sein Sprüchlein weiter aufsagte. Ihr gemeinsamer Traum war gerade in Erfüllung gegangen. 

Sie gehörten nun für immer zusammen. Umjubelt von ihren Freunden verließen sie nach nur knappen fünf Minuten das Zimmer des Friedensrichters und machten sich auf den Weg zum Strand, wo ihre Kameraden wie versprochen einen Hochzeitsempfang geplant hatten. 

Direkt am Wasser stand ein Pavillion aus weißem Stoff, der sanft im Wind flatterte. Kellner servierten eiskalten Champagner und eine Band spielte Romantic-Rock. Die Sonne strahlte aus dem tiefen Blau des Himmels auf sie herab und das Rauschen der Wellen rundete das Bild perfekt ab. Es war der glücklichste Tag ihres bisherigen Lebens und sie zeigten es allen Gästen, in dem sie ausgelassen mit ihnen feierten.

Als sich der Tag zu Ende neigte und die Sonne rotgold tief über dem Meer stand, ergriff Marc die Hand seines Mannes und führte ihn hinunter zum Wasser. Als ihre Füße von den sanften Wellen umspült wurden, hielt er an und nahm das Gesicht Amirs in beide Hände.
"Ich bin unglaublich glücklich, Mr. Turner. Weisst du warum?" Amir lachte leise.

"Warum bist du so glücklich, Mr Turner?" war seine fast geflüsterte Antwort. Natürlich kannte er die Antwort schon längst, fühlte er sie doch ebenso in seinem Herzen. 

"Weil du endlich ganz offizell mein Mann bist, weil du endlich sicher und geschützt bist. Weil ich mir nichts schöneres vorstellen kann, als mit dir für immer zusammen zu sein, weil.... weil darum!" Und ohne ein weiteres Wort zog er Amirs Gesicht zu seinem heran und küsste ihn. 

Das rote Licht der untergehenden Sonne umhüllte sie und schien sie in einem Zeitvakuum gefangen zu nehmen, wo nichts mehr zählte, als die Berührung ihrer Lippen.

Atemlos hielten sie einander im Arm, als wollten sie sich nie wieder von einander lösen. Doch mit einem Mal trat Marc ein Stück von Amir zurück und sah ihn fest an.
"Ich weiss, wir hatten gesagt, dass wir so etwas wie Eheringe nicht machen wollten. Das es uns genügte, dass du meinen Nachnamen trägst und wir selbst wüssten, dass wir verbunden sind. Aber ich konnte nicht anders. "

Etwas verlegen angelte er ein kleines Kästchen aus der Hosentasche und hielt es seinem Mann hin. Es war ein schwarzes Samtkästchen, wie es Juweliere verwandten. Überrascht nahm dieser es an sich und öffnete es.

Darin befanden sich zwei Ringe. Gefertigt aus Platin, knapp einen Zentimeter breit, mit gebürsteter Oberfläche. Beide Ränder waren mit weißgoldenen Schleifen umrahmt und in der Mitte war in zierlichen Linien Marc und Amir eingraviert. Amirs füllten sich mit Tränen, als er mit zitternden Fingern einen der Ringe aus der Schachtel nahm und genauer betrachtete. 

"Kannst du mir verzeihen? Dass ich doch ein äußeres Zeichen unserer Liebe tragen möchte?" fragte Marc sanft und nahm ihm den Ring aus der Hand. Amirs schwaches Nicken quittierte er mit einem strahlenden Lachen und streifte den Ring über Amirs Ringfinger.

"Für immer!" hauchte er glücklich.

 

-ENDE-

Impressum

Texte: Brianna Keanny
Bildmaterialien: © Fxquadro
Tag der Veröffentlichung: 28.04.2016

Alle Rechte vorbehalten

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