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Die großen Unruhen waren endlich vorbei. Wir hatten bestimmt zwei Wochen lang Tag und Nacht Dienst geschoben und versucht, die aufgebrachten Massen zu beruhigen.
Der Sohn eines Lokalpolitikers hatte betrunken ein kleines afroamerikanisches Mädchen tot gefahren und war glimpflich davon gekommen. Fahrverbot und eine Geldstrafe war nicht das, was sich die Gemeinde vorgestellt hatte und dies hatten sie lautstark und teilweise auch gewalttätig zum Ausdruck gebracht. Zwanzigtausend wütende Menschen schlugen, traten und spuckten etwa fünftausend Polizisten an, die für Ruhe in der Innenstadt sorgen wollten.
Es gab knapp zweitausend Verhaftungen und etwa genauso viele Verletzte auf der Demonstranten Seite. Doch auch auf Seiten der Polizei gab es Verluste. Einer davon war ich. Ich hatte am vorletzten Abend in vorderster Reihe gestanden. Schutzkleidung, Helm und ein Schild hatten mich jedoch nicht unverwundbar gemacht. Eine hysterische Mittzwanzigerin war durch unsere Reihen gebrochen und hatte mich angesprungen. Mit langen künstlichen Fingernägeln hatte sie mir durch das Gesicht gekratzt und als ich sie zurückdrängen wollte. In einer Kurzschlussreaktion hatte ich sie dann mein Schild hochgerissen und es zur Verteidigung gegen sie gestoßen. Dabei brach leider ihre Nase. Wütend hatte sie mir dann das Blut, was ihr in den Mund gelaufen war, direkt ins Gesicht gespuckt und mich Babymörder beschimpft. Sie war die Tante des toten Mädchens, wie ich später erfuhr und so konnte ich ihre Wut ein kleines bisschen verstehen. Als ich blutend neben der Ambulanz saß und von den Sanitätern meine tiefen Kratzer im Gesicht versorgt wurden, war ich jedoch anderer Meinung. Immerhin hatte ich nicht besoffen mit meinem Ferrari auf die Tube gedrückt und die kleine Anna-Mae vierzig Meter weit geschleudert. Ich war nur da, um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.

Nun, einige Wochen später, saß ich im Revier bei meinen Kollegen und durfte mir immer wieder verschiedene Versionen zu meinem lädierten Gesicht anhören.
„Sag mal, Ty wie findet Hank deine Visage jetzt?“ Eine eigentlich harmlose Frage, gestellt von einem älteren Streifenkollegen, der auf Grund seines Alters der Grandpa des Teams war. Doch wie ich schon erwähnte, es war nur EIGENTLICH eine harmlose Frage, denn Hank war mein Freund, mit dem ich nun ein halbes Jahr zusammen lebte und – was ich bisher für mich behalten hatte – der vor kurzem wieder ausgezogen war.
Ich hatte wohl etwas zu lang mit der Antwort gewartet, denn plötzlich sahen meine Kollegen mich schweigend an. Ich nahm einen langen Schluck aus meiner Coke, um den Moment noch etwas hinaus zu zögern. Es lag mir nicht, Wäsche in der Öffentlichkeit zu waschen und ich war auch keine Memme, die mit ihren Gefühlen hausieren ging. Doch dies waren meine Kollegen, Kampfgefährten, wenn man die letzten Tage so betrachtete. Wir standen abends nach der Schicht gemeinsam unter der Dusche und am Tresen im „Bulletproof“ beim Feierabendbier. Ich wusste, dass Peter Probleme mit der Rückzahlung der Hypothek hatte. John bekam seine drogensüchtige Tochter nicht unter Kontrolle und Emmet hatte uns anvertraut, dass er bei seiner Gattin nur dann einen hoch bekam, wenn sie ihren Putzkittel trug und ein altes Scheuertuch um den Kopf band. Also was soll´s.
„Hank hat seinen Gott um Vergebung seiner Sünden gebeten und ist zu seiner Ehefrau und deren Kindern zurück gegangen.“ Sagte ich knapp und trank erneut einen Schluck Coke. Irgendwie schmeckte sie jetzt bitter.
„Arschloch!“ brummte Grandpa und bekam zustimmendes Gemurmel.
„Bier? Heut Abend im Bulletproof?“ Alle stimmten zu, inklusive mir. Was sollte ich auch zu Hause? Da war es kalt und leer und außerdem hatte ich mich seit Hanks Einzug nicht mehr so richtig voll laufen lassen. Da ich morgen einen freien Tag hatte, angeordnet vom Chief persönlich für alle „Versehrten der Unruhen“ konnte ich es mir erlauben, also nichts wie hin!
Kurz vor Schichtende hielt der Chief noch eine seiner berühmten Dankes und Motivationsreden, dann verabschiedete er uns in den Feierabend. Doch als ich gerade zur Umkleide gehen wollte, rief er mich noch einmal zu sich.

„Was machen die Kratzer, Taylor?“ fragte er und bot mir einen Stuhl in seinem Büro an.
„Danke, Sir. Sind fast vollständig verheilt. Dr. Hill glaubt, dass es nicht einmal Narben geben wird.“
Er nickte nachdenklich. Es war ihm anzusehen, dass er um etwas herumtänzelte.
„Ich will, dass Sie morgen wieder zum Arzt gehen, und sich dort testen lassen. Hepatitis, Aids, das volle Programm! “ Ich sah ihn überrascht an.
„Sir, sie hat mich doch nur gekratzt. Ist das nicht ein bisschen übertrieben?“
„Sie wissen, dass es Vorschrift ist. Sechs Wochen danach müssen Sie den Test machen.“
Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel an seiner Ernsthaftigkeit aufkommen. Also gab ich klein bei und versprach, mich testen zu lassen.
Ein paranoider Mensch – oder jemand, der den Chief nicht genug kannte, hätte vielleicht vermutet, dass er die „Schwuchtel“ absichtlich testen lies, doch ich bezweifle, dass der Chief überhaupt von meiner sexuellen Orientierung wusste, noch dass es ihn irgendwie interessierte.

Ich stieß später zu meinen Kameraden in unserer Lieblingsbar dazu. Ein riesiges, gekühltes Bier stand bereits für mich bereit und ich setzte mich lächelnd zwischen die Männer, mit denen ich jeden Tag meine Arbeit versah, jeden Tag für die Sicherheit unserer Bürger einstand und Recht und Ordnung verteidigte. Wir waren wie eine große Familie. Auch Brutus gehörte dazu. Brutus war der Barkeeper und Besitzer vom Bulletproof. Ein Ex-Cop, der auf Grund einer Hüftverletzung aus dem aktiven Dienst ausgeschieden war. Während er da so hinter der Bar stand und Gläser polierte, betrachtete er mich mit schiefgelegtem Kopf.
„Einsatz im Zoo?“ fragte er und lachte mit seiner tiefen rauchigen Stimme.
„Der Junge ist ein Held, Brutus!“ begann John zu erzählen. Seine Version war eindeutig die beste.
„Mindestens zwanzig wütende Furien haben ihn angefallen. Wollten ihn mit ihren Möpsen erdrücken. Die Oberfurie hatte schon ihre Schenkel um seinen Hals geschlungen. Und doch hat unser Rosa Ritter seine warme Ehre verteidigt und die ekelhaften Weiber in die Flucht geschlagen. Was dieses wunderschöne Gesicht ziert, sind die Andenken an diesen glorreichen Kampf für die warme Brüderlichkeit!“
Es wurde eine Menge Bier versprüht im daraus folgenden Gelächter, so dass ich die Anweisung vom Chief erst einmal völlig vergessen konnte.
Kurz nach Mitternacht erklärte Brutus die letzte Runde und sammelte artig die Autoschlüssel von denen ein, die er für Fahruntauglich befand – also von allen. John, Steve und ich teilten uns ein Taxi, da wir die gleiche Richtung hatten und schon eine halbe Stunde später ließ ich mich müde und unglaublich besoffen auf mein Bett fallen. Ein Windhauch strich über meine bloßen Arme und rief eine kleine Gänsehaut hervor. Es wurde schon wieder kühler, zumindest nachts. Ich blickte zum Fenster, das ich zur Hälfte offen hatte stehen lassen, damit Sokrates jederzeit herein konnte. Und da war er auch schon. Groß, geschmeidig und athletisch. Seine blauen Augen fixierten mich und verengten sich zu schmalen Schlitzen. In seinem schwarzen Gesicht blitzen weiße Zähne und ein weißes Kinnbärtchen. Sein riesiger Schwanz fegte die Gardine zur Seite. Der Kater ließ ein vorwurfsvolles „Meow“ erklingen. Ich hatte ihm kein Trockenfutter hin gestellt. Wie nachlässig von mir. Ich hatte mich zu sehr daran gewöhnt, dass Hank den ganzen Tag da war, und sich um solche Dinge kümmerte.
„Verzeiht, Mylord. Ich werde sofort das Essen bereiten.“ sagte ich unterwürfig und erhob mich ächzend. Seine Lordschaft war gnädig gestimmt und begleitete mich in die Küche, wo er jeden Handgriff akribisch beobachtete. Zufrieden gestellt, machte er sich über das frische Futter her und schnurrte.


Als ich ihn so beim Fressen beobachtete, knurrte mein eigener Magen laut auf. Also öffnete ich meinen Kühlschrank und stellte fest, dass ein Glas Peperoni und eine abgelaufene Milch nicht unbedingt das war, was man unter einer Nahhaften Mahlzeit verstand.
„Hey, Kumpel. Gibst du mir was von deinem Thunfisch ab?“ fragte ich Sokrates, doch seine Lordschaft fraß scheinbar schneller. Das sollte wohl „nein“ heißen. So griff ich zum Telefon und orderte mir vom Iraner um die Ecke eine Schirin Polo und einen Salat für das schlechte Gewissen.
„Halbe Stunde!“ versprach mir Ahasver, der Kellner und so legte ich mich noch etwas aufs Bett.
Der Alkohol und die Anstrengung der letzten Tage ließen mich schnell in einen unruhigen Schlaf gleiten.

Ich stand vor einer großen Gruppe Menschen. Nein, ich stand hinter ihnen, denn sie drehten mir alle die Rücken zu. Ich lief hin und her und versuchte, auf mich aufmerksam zu machen, doch niemand nahm Notiz von mir. Bald entdeckte ich meine Freunde und meine Eltern in der Menge und versuchte mich zu ihnen durch zu kämpfen. Doch auch als ich sie ansprach, hatte es nicht viel Erfolg. Zwar drehten sie sich kurz zu mir um, doch mit teils mitleidigem teils angeekeltem Blick betrachteten sie mich kurz und drehten sich dann wieder weg. Mein Vater schloss enttäuscht die Augen und schüttelte den Kopf.
„Was hab ich denn getan?“ schrie ich….
Das Klingeln der Tür riss mich Gott sei Dank aus diesem Alptraum und ich schlurfte verschlafen zum Eingang. Der Lieferboy überreichte mir mit anzüglichem Grinsen mein Essen und kassierte den fälligen Betrag. Wegen meines schlechten Traums und seinem dämlichen Grinsen hielt ich mich beim Trinkgeld arg zurück und warf die Tür vor seinem pickligen Gesicht zu.
Am Tisch sitzend stocherte ich etwas in dem Süßreis mit Hähnchen, doch wollte es mir nicht mehr so recht schmecken. Nach ein paar Gabeln gab ich es auf und stellte die Persischen Köstlichkeiten zu Peperoni und vergammelter Milch in den Kühlschrank und nahm eine Schlaftablette mit einem großen Schluck Whiskey. Dann rollte ich mich wieder ins Bett und fiel – Gott sei Dank in einen traumlosen Schlaf.

In aller Herrgottsfrühe wurde ich von meinem schrillenden Handy aus dem Schlaf gerissen. Es war etwa halb vier Uhr nachmittags… Louisa, die Sekretärin vom Chief war dran.
„Ty, der Chief fragt, warum du noch nicht bei Doc Hill warst.“ Fragte sie ohne Begrüßung oder Höflichkeitsfloskeln. Nüchtern wie eh und je.
„Weil ich meinen freien Tag und einen gewaltigen Kater habe und bis gerade noch geschlafen hab. Dir aber auch einen wunderschönen Tag, meine Liebe.“
Sie überging meine gebrummte Antwort und fuhr im selben nüchternen Ton fort:
„Der Termin ist wichtig und der Chief will, dass du das heute erledigst. Dr. Hill erwartet dich.“
Mein „zu Befehl“ quittierte der aufgelegte Hörer.
Ich ergab mich in mein Schicksal und quälte mich aus dem Bett. Mit wankenden Schritten tappte ich ins Badezimmer und ließ das kalte Wasser laufen. Ein paar Hände vom frischen Nass und meine Lebensgeister erwachten. Ich war ziemlich verschwitzt, denn es war heute doch noch ein richtig heißer Tag geworden, also stellte ich mich unter die Dusche. Während das heiße Wasser meinen Körper herunter lief ´, schloss ich meine Augen und genoss die Berührungen, die die Dusche auf meiner Haut simulierte. Wie viele tausend Finger glitten die Tropfen über meinen Rücken, meinen Bauch, meine Arme und Beine. Ich schaltete mein Gehirn vollständig aus und überließ den Gefühlen das Spielfeld. Sehr schnell spürte ich die Erregung in mir aufsteigen.


Ich stellte mir vor, dass Hank wieder da war. Er stand hinter mir in der Dusche und es waren seine Hände, die mich streichelten. Erst über meine Schultern, sanfter Druck, bis sich alle Anspannung der Arbeit verzogen hatten. Dann arbeitete er sich immer weiter südlich vor, meine Wirbelsäule entlang.
Seine Lippen wanderten über meinen Nacken und knabberten leicht an meinem Haaransatz. Sein Bart prickelte auf meiner Haut bis ich wie elektrisiert war.
Inzwischen waren seine Hände zu meinem Bauch gewandert und begannen dort ihr Werk. Sanft mit leichtem Druck massierten sie meinen Schwanz, der schon längst erregt war. Sie umfassten den Schaft und rieben zärtlich und doch immer fordernder.
Es dauerte nicht lang, bis mein gesamter Körperkribbelte und bebte. Nur noch wenige Augenblicke bis zum Höhepunkt. Jede Faser meines Körpers spürte es und dann ….
… wurde es plötzlich kalt. EISKALT!!! Ich hatte das heiße Wasser aufgebraucht. Irgendwann musste ich endlich dem Vermieter mal auf die Füße steigen, dass er den Boiler reparieren lassen sollte.
Ernüchtert stieg ich aus der Dusche und schlang mir ein Handtuch um die Hüften. Noch immer spürte ich den Druck in meinem Unterleib und ich spielte kurz mit dem Gedanken, zu beenden, was in diesem wundervollen Traum angefangen hatte. Doch ein Blick auf meine Uhr zerrte mich weiter in die Realität als mir lieb war. Dr. Hill erwartete mich für die Bluttests.

Nervös saß ich auf dem Stuhl im Behandlungsraum. Dr. Hill hatte seine Assistentin angewiesen, die Blutabnahme zu machen, da er selbst beschäftigt war. Immerhin hatte ich ganz schön getrödelt. Dr
Keyla Ryan schenkte mir ein bezauberndes Lächeln, als sie meinen Arm abband und dabei meine Muskeln betastete. Sie flirtete eindeutig mit mir. Normal hätte ich mir einen Spass gemacht und wäre darauf eingegangen, doch ich wollte es nur hinter mich bringen und dann schnellstens raus aus der Praxis.
„So, Officer Baker, jetzt wird es kalt und dann gibt es einen kleinen Pieks. Aber keine Sorge, ich werde ganz zärtlich sein. Versprochen!“
Der Pieks kam dann auch, wobei ich sicherlich schon zärtlicher gestochen wurde. Sie klebte mir ein winziges Pflaster auf die Armbeuge und gestattete mir, mein Hemd wieder herunter zu rollen.
„Die Ergebnisse werde ich in etwa einer Stunde haben. Möchten Sie solange im Wartezimmer warten?“
„Sicher nicht. Rufen Sie mich bitte übers Handy an, ich hab noch einiges zu erledigen.“
Es war mir egal, ob ich unfreundlich rüber kam, ich wollte hier raus. Seit die Nadel sich in mein Fleisch gebohrt hatte, hatte sich ein wahnsinniger Druck in meinem Kopf aufgebaut.
Natürlich ließ ich mich regelmäßig testen, auch wenn ich selbst in einer Beziehung Safer Sex praktizierte. Sicher ist sicher! Warum fühlte es sich jetzt so anders an? Weil mir der Termin aufgezwungen wurde? Weil es nicht meine Entscheidung war? Nicht von meinem Verhalten abhing?
Ich drängte die Überlegungen aus meinem Gehirn und steuerte den Wal-Mart an. Ich musste dingend den Kühlschrank wieder auffüllen und mich ablenken.
Und so stromerte ich durch die Regale, packte planlos Lebensmittel in den Wagen, von denen ich dachte, dass sie sich sicher gut in meinem Kühlschrank machen würden. Ob ich sie jemals zubereiten und auch essen würde? Darüber wollte ich nicht nachdenken. Dafür rebellierte mein Magen zu sehr.

Mein Handy klingelte erneut und dieses Mal sah ich die Nummer von Dr. Hill auf dem Display.
Wortlos starrte ich das Handy an. Das konnten nur die Testergebnisse sein. Einen Moment zögerte ich noch, dann nahm ich das Gespräch an.
„Officer Baker? Hier spricht Dr. Ryan. Ich habe ihre Testergebnisse und würde sie bitten, doch nochmal zu mir in die Praxis zu kommen, damit wir darüber sprechen können.“ Ich schluckte. Warum sollte ich unbedingt in die Praxis kommen?
„Bitte sagen sie mir einfach kurz, was heraus gekommen ist. Ich bin gerade sehr beschäftigt.“
Ich starrte immer noch auf die Konserven vor mir und verlor mich in den bunten Aufschriften. Ich hörte ihr gar nicht richtig zu.
„… hatte ein positives Ergebnis.“
„Das ist ja wundervoll, dann vielen Dank.“ sagte ich erleichtert und wollte gerade auflegen, als die Worte doch in mein vor Geilheit aufgeweichtes Hirn vordrangen.
„Positiv? Was ist Positiv?“
„Der HIV Test. Es tut mir leid. Kommen Sie doch bitte morgen in die Praxis, damit Dr. Hill mit ihnen sprechen kann!“
Ich sagte nichts, legte einfach auf. Es war mit einem Mal dunkel um mich herum. Ich war allein und hörte nur noch das Pochen meines Herzens. Mein Mund war trocken und um meinen Hals lag ein Strick, der sich immer fester zu zog. Mein Handy war mir aus der Hand gefallen und viel scheppernd auf das Parkett. HIV positiv. Das konnte nicht sein. Ich war immer noch in einem Alptraum. Ich musste nur aufwachen und alles war wieder gut. Verdammt, warum wachte ich nicht auf? Meine Beine wurden weich und ich sank einfach in mir zusammen.
Plötzlich waren da Hände, starke Arme, die mich hoch zogen. In meinem Kopf hämmerte es immer noch, mein Blut rauschte in meinen Ohren. Jemand lehnte mich an eine Wand, mein Hemd wurde am Kragen geöffnet, jemand hielt mir ein nasses Stück Stoff an die Stirn.
„Ambulanz…“ hörte ich durch das Rauschen. „Kreislauf-Kollaps.“
Dann wurde ich wieder zu Boden gedrückt, sanft und doch bestimmt. Ich ließ einfach alles geschehen und versuchte einfach nur dem Hämmern in meinem Schädel zu entkommen.

Irgendwann spürte ich, wie mein Ärmel hochgekrempelt wurde. Jemand band etwas Straffes um meinen Oberarm und sprühte etwas Kaltes und Nasses auf die Haut der Armbeuge. Instinktiv versuchte ich mich zu wehren, wurde aber von mehreren kräftigen Händen zurück gedrückt.
„Ganz ruhig, Sir. Wir helfen Ihnen.“ hörte ich noch, doch ich war im Verteidigungsmode. Langsam kehrte die Sicht auch wieder zurück. Ich lag immer noch zwischen den Regalen auf dem Boden. Um mich herum standen neugierige Menschen, ein Mann, den ich als Filialleiter des Wal-Marts erkannte und zwei Sanitäter, die bei mir knieten. Doch realisierte ich nicht, was geschehen war. Ich war immer noch nicht fähig, klar zu denken, aber eins war gewiss. Ich wollte hier weg. Weg von den Menschen, vom Licht, und den Geräuschen. Ich wollte allein sein, wollte nachdenken, verarbeiten. Und vor allem wollte ich ganz sicher nicht fest gehalten werden und genau dagegen tat ich nun etwas.
In unserer Grundausbildung hatten wir genug Techniken gelernt, um uns aus ungewollten Umklammerungen zu lösen; und genau das tat ich. Ich wand die Hände des zweiten Sanitäters von meiner Schulter und entriss dem anderen meinen Arm. Leider war er bereits dabei, mir eine Spritze zu setzen, was dazu führte, dass die Nadel mein Fleisch aufriss. Blut! Ich blutete! Und hier standen Menschen um mich herum. Panik stieg in mir auf. Immer wieder versuchten die Sanitäter nach mir zu greifen, und mich wieder zu Boden zu drücken. Doch hatten sie meinen Zustand wohl sehr falsch eingeschätzt. Irgendwie kam ich auf die Füße. In meiner Hand, die Spritze, die ich gerade noch aus meinem Arm gerissen hatte.
„Weg von mir!“ zischte ich und schaffte mir freie Bahn, raus aus dem Supermarkt. Am Eingang gab es einen Abfalleimer, dort warf ich die Spritze weg und lief los – einfach die Straße runter. Ziellos.



Als die Dämmerung einsetzte, fand ich mich vor meiner Wohnung wieder. Mit zitternden Fingern öffnete ich die Tür und stolperte hinein. Ohne Licht einzuschalten durchquerte ich mein Wohnzimmer direkt Richtung Bett. So wie ich war legte ich mich hin, zog die Decke fahrig über mich und starrte in die Dunkelheit. Immer noch konnte ich keinen Gedanken fassen. Nur Wortfetzen geisterten durch meinen Kopf. Das war es nun. Ich war immer vorsichtig gewesen, war nie ein Risiko eingegangen, egal wie geil mich der andere gemacht hatte. Und doch hatte es mich erwischt… weil ich meine Pflicht getan hatte. Grandma Perkins Stimme erklang in meinen Ohren:
„Das ist deine Strafe, Junge. Weil du Schwänze lutscht! Dafür bestraft Gott dich!“
Die Mutter meiner Mutter war ein alter Drache und hatte mich schon als Winzling gehasst, wo an Schwanzlutschen noch gar nicht zu denken war. Aber nun hatte sie wohl Recht behalten.
„Ich hab es dir gesagt. Du musst bereuen. Der Herr wird dich erretten!“ Hank war auch nicht besser, dieser bigotte Heuchler. Wenn er sich in mich versenken konnte hatte er den Namen seines Herren lustvoll heraus gestöhnt. Aber wenn dann sonntags die Glocken klangen, zerfraß ihn sein schlechtes Gewissen. Wenigstens musste ich mir seine selbstzufriedene Fresse nicht mehr ansehen.
Eine Bewegung am Bettrand ließ mich aufschrecken. Sokrates. Der Kater sprang aufs Bett und sah mich mit seinen tiefgründigen Augen an.
„Meow?“ fragte er besorgt und stupste mich mit seiner Pfote an. Ich atmete tief aus und streichelte ihn über sein seidiges Fell.
„Meooooow!“ kam es nun etwas vorwurfsvoller. Sein Kopf drückte sich an meinen Hals. Ich hob die Decke etwas an und das Fellknäul rollte sich vor meiner Brust zusammen. Ich drückte mein Gesicht in das weiche Fell und schloss die Augen. So schlief ich ein und sank in einen unruhigen Albtraum.

Es vergingen mehrere Tage, wie viele weiß ich nicht genau. Ich lag einfach nur da, starrte ins Nichts.
Nur für kurze Besuche im Bad, um etwas zu trinken oder um Sokrates zu füttern verließ ich mein Bett. Mein Telefon hatte ich aus der Wand gerissen und mein Handy hatte den Weg aus dem Fenster gefunden. Zwischendurch waren Besucher an meiner Tür gewesen. Es hatte geklingelt und geklopft. John und Emmet waren gekommen und hatten nach mir gerufen. Doch ich hatte sie alle abblitzen lassen. Ich wollte niemanden sehen. Dass ich mich im Revier nicht abgemeldet hatte, war mir Scheiss egal. Es interessierte mich nicht im Geringsten.
Es musste etwa eine Woche her gewesen sein, seit ich zu Dr. Hill gegangen war, als sie meine Tür aufbrachen. Der Chief betrat mit einigen meiner Kollegen meine Wohnung. Ich höre das Krachen der Tür und ihre Schritte. Peters Stimme drang gedämpft zu mir ins Schlafzimmer.
„Puh, stinkt es hier. Hoffentlich liegt er nicht tot im Bad.“
Er hatte sicher recht, dass meine Wohnung mit Sicherheit nicht angenehm roch. Ich hatte seit Tagen alle Fenster geschlossen gehalten. Es herrschte sicher an die 35° hier und geduscht hatte ich an jenem dunklen Tag das letzte Mal. Früher hätte ich mich vor mir selbst geekelt, doch zu diesem Zeitpunkt…. Es war einfach unbedeutend.
Mittlerweile hatten sie die Tür zum Schlafzimmer gefunden und aufgestoßen. Ich schaute nicht zu ihnen auf, richtete meinen Blick weiterhin auf einen nicht vorhandenen Fleck an der Wand.
„Ty?“ Ich reagierte nicht.



„Taylor, hören Sie mich?“ Der Chief stand direkt neben mir, rüttelte mich an der Schulter.
„Chhhhhhhhh!“ Der Chief sprang ein ganzes Stück zurück. Sokrates hatte unter dem Bett geschlafen und offenbar war er dem Kater auf den Schwanz getreten. Seine Lordschaft war wenig amüsiert und zeigte das mit bösartigem Fauchen.
„Verdammt, schafft das Vieh raus!“ brüllte der Chief die anderen an. Er mochte keine Tiere.
Bevor jemand Hand an meinen Freund legen konnte, setzte ich mich auf und der brüskierte Pelzträger sprang mir auf den Schoß.
„Sie haben hier nichts zu suchen. Machen Sie, dass sie aus unserer Wohnung kommen!“ knurrte ich, ohne jemanden an zusehen.
„Taylor. Wir machen uns Sorgen um dich!“ sagte Emmet und trat zu mir ans Bett heran.
Sokrates zischte und hob warnend seine Pfote. Der Gute beschützte seinen Dosenöffner, das stand außer Frage.
„Mir geht es gut. Ihr könnt wieder gehen!“ antwortete ich trotzig.
„Das sieht aber nicht danach aus. Sie waren bei Dr. Hill, aber danach haben Sie sich nicht mehr gemeldet. Was verdammt nochmal ist los mit Ihnen?“
Wut brandete in mir auf und ich setzte Sokrates neben m ich aufs Bett. Dann erhob ich mich und blickte dem Chief direkt in die Augen.
„Was mit mir los ist?“ brüllte ich ihn an. „Was mit mir LOS ist??? Ich sterbe! Dieser beschissene Test, zu dem SIE mich gezwungen haben, hat mir mein Todesurteil verkündet! Weil ich brav meinen Job gemacht habe! Und jetzt RAUS HIER!“

Sie gingen natürlich nicht. Sie lüfteten meine Wohnung, zwangen mich unter die Dusche und an den Tisch und sorgten dafür, dass ich etwas aß. Dr. Hill wurde verständigt und ein Termin wurde abgesprochen, wann ich in die Praxis kommen sollte. Mir wurde versichert, dass mein Leben nicht vorbei sei. Dass HIV nicht gleich AIDS bedeutet. Ich nickte zu allem und wartete geduldig, bis sich meine lädierte Wohnungstür schloss.
Als ich sicher sein konnte, dass sie weg waren, erhob ich mich und ging an meine Kommode. In der obersten Schublade lag meine Dienstwaffe. Der kalte Stahl fühlte sich gut in meiner Hand an, vertraut. Er gab mir Kraft und Sicherheit. Ich setzte mich wieder aufs Bett und betrachtete die Waffe in meiner Hand. Sie konnte alles beenden. ZU oft hatte ich gesehen, was mir bevor stehen würde. Der Verfall, die Ausgrenzung, Einsamkeit und Angst. Warum das alles durch machen? Es gab einen Ausweg, ein glatter Schnitt. Doch bevor ich diesen Schritt ging, wollte ich alles geregelt haben.
Auf einmal war es mir nicht mehr egal, was um mich herum vor sich ging. Oft genug hatten wir nach Selbstmorden erlebt, wie sich die Hinterbliebenen zermarterten, bei der Suche nach Gründen.
„Er war immer so lebensbejahend. Nie hätte man bei ihm an Depressionen gedacht. Warum hat er sein Leben weg geworfen?“
Wenn ich nicht wollte, dass man über mich nachdachte, musste ich wohl oder übel eine Nachricht hinter lassen. Also habe ich mich hin gesetzt und das hier alles aufgeschrieben, so genau wie möglich, in der Hoffnung, dass alle verstehen, dass es für mich keinen anderen Ausweg gibt.
Ich beende dieses Leben, weil ich den Verfall nicht abwarten will. Weil ich nicht mit der Angst durchs Leben gehen will, anderen meinen Fluch auf zu erlegen. Jemanden mit der gleichen Krankheit an zu stecken wäre für mich, als wäre ich zum Mörder geworden. Ich würde mich zurückziehen, Menschen meiden und Einsam werden. Einsamkeit, die ich noch nie ertragen konnte. Also lebt wohl, meine Freunde und nehmt es mir nicht übel…


Ich hatte schon die Waffe im Mund gehabt, als Sokrates von seinem Streifzug zurückgekommen war.
Mit großen Augen kam er herüber zur Couch und hockte sich direkt vor mich auf den Boden.
Dann legte er sein Köpfchen schräg und blinzelte mich an. Sein weißes Kinnbärtchen zitterte als er ein klagendes, langgezogenes „Miiiiiiiiiiiiih“ ertönen lies. Wir starrten uns eine Weile regungslos an. Wusste er, was ich vor hatte? Kümmerte es dieses Tier wirklich, was mit mir geschah? Mit einem Mal stand der kleine Frackträger auf und sprang einfach auf meinen Schoß. Reflexartig schloss ich die Beine, damit er eine ebene Fläche hatte, und natürlich musste ich die Waffe sinken lassen. Wieder blickten mich diese Augen tiefgründig an. „Miiiiiiiiiiih chr chr chr“ erklang es, dann rollte er sich auf meinem Schoß zusammen und drückte sein Köpfchen an meinen Bauch.
„Was ist denn, Mylord? Du kommst doch ohne mich klar. So ein schmucker Bursche wie du, du hast doch sicher noch andere Dosenöffner parat.“ murmelte ich und streichelte sein weiches Fell. Er schnurrte und kuschelte sich enger an mich, um meine Worte Lügen zu strafen.
Ich hatte plötzlich das Gefühl, einen schrecklichen Fehler zu begehen. Mit einem Mal, war all das, was mich in den letzten Tagen gequält hatte nebensächlich. Die Angst, dass die Krankheit ausbricht, die Ausgrenzung, nichts spielte mehr eine Rolle. Ich wurde gebraucht. Dieses Lebewesen brauchte mich wirklich. Er war sowas wie…. Ja- mein Kind. Also legte ich die Waffe weg und zog den plüschigen kleinen Körper in meine Arme. Ich vergrub mein Gesicht in dem weichen Fell an seinem Hals und atmete seinen Duft ein. Der Kerl war sicher irgendwo durchs Wasser gelaufen, denn es stank entsetzlich und doch gab es in diesem Moment nichts, was mich mehr ans Leben erinnerte als dieser kleine Stinker…

Die nächsten Tage begann ich, den Scherbenhaufen, zu dem ich mein Leben gemacht hatte, wieder zusammen zu kehren. Ich rief beim Chief an und entschuldigte mich für mein Verhalten.
„Schon gut, Taylor. Ich versteh Sie schon. Nehmen Sie sich erst mal eine Auszeit. Wenn Sie sich wieder soweit fühlen, kommen Sie zu mir.“
Dann fuhr ich in der Praxis von Dr. Hill und begann meine Therapie. Ich hatte mich eigentlich immer für gut informiert gehalten, doch nach meinem Gespräch mit dem Doktor gab es eine Menge Aha-Erlebnisse.
Auf dem Rückweg von Dr. Hill hielt ich am Park an und holte mir bei Luigi´s Ice Palace das beste Himbeereis auf der ganzen Welt. Ich ließ mir extra eine Portion in einer Kühlschale mitgeben, damit ich es mir auf meinem Sofa mit Sokrates gemütlich machen konnte. Vom Palace zu meinem Apartment war es gottseidank nicht so weit.
In der Wohnung stellte ich das Eis auf den Tisch und ging in die Küche, um einen Löffel zu holen. Hinter mir hörte ich ein lautes „Meow?“ und als ich mich umsah, stand Sokrates neben dem Eisbehälter und sah zu mir herüber.
„Hey, Mylord. Ich hab uns was leckeres mitgebracht.“ Doch gerade als ich es ausgesprochen hatte, hob dieses verfluchte Vieh seine Pfote, sah mich mit einem tiefen Blick an und kickte die Schale vom Tisch. Himbeereis auf Teppich!

„Ach verdammt, Sokrates! Das war doch nicht nötig!“ schimpfte ich und lief zum Unglücksort hinüber. Der Kater saß ungerührt auf dem Tisch und beobachtete, wie ich mich niederkniete und die immer weicher werdende Eismasse vom Teppich zu kratzen versuchte. „Miiiiiiiiih!“ meinte er dazu und pauzte mir mit der Pfote gegen die Stirn.
„Hör auf damit. Du hast echt nur Unsinn im Kopf!“ schimpfte ich, doch ein Blick in sein Gesicht ließ die Wut wieder verrauchen.
Es war nur Himbeereis. Der Teppich war eh reif für den Müll und ich konnte etwas Bewegung und frische Luft brauchen.
Nachdem ich die Schweinerei entfernt hatte, nahm ich meine Schlüssel und machte mich nochmal auf den Weg zum Ice Palace. Diesmal jedoch zu Fuß.
Es war ein milder Sommerabend, vielleicht noch 26° und die Luft war nicht mehr so stickig, wie in den letzten Wochen. Der Verkäufer beim Ice Palace sah mich verwundert an, als ich – nur eine halbe Stunde später – erneut eine Portion Himbeereis bestellte. „Diesmal bitte ein Hörnchen, für unterwegs!“ bat ich und bekam sogleich das gewünschte. Nachdem mir Sokrates das erste Mal versaut hatte, konnte ich dieses Mal kaum abwarten, die süße Köstlichkeit auf meiner Zunge zu schmecken. Ich schlenderte zu einer nahegelengen Bank und setzte mich in die Sonne. Dann schloss ich die Augen und begann genüsslich mein Eis zu lecken. Als ich die Augen wieder öffnete, saß mir gegenüber auf der Wiese ein lebendig gewordener Traum von einem Mann. Groß, breitschultrig, hellblonde kurze Strubbelhaare und – soweit ich auf die Entfernung sagen konnte – zwei unsagbar schöne blaue Augen. Dieser Adonis schien mich zu beobachten. Einbildung? Musste sein. Er wartete sicher auf jemanden. Seine Freundin vielleicht, wer weiß. Ich war viel zu lang allein.
Ich wollte plötzlich nicht mehr länger hier bleiben, also erhob ich mich, um Richtung Wohnung zu gehen. Nach ein paar Schritten jedoch tropfte mir etwas Eis auf die Finger, so dass ich abgelenkt wurde. Im Gehen schaute ich auf meine Hand, die das Eishörnchen hielt und leckte umständlich die klebrige Masse von meinen Fingern, als ich plötzlich mit jemandem kollidierte.
Es war... der blonde Adonis, der mich beobachtet hatte. Als ich erschrocken hoch blickte – ja er war ein ganzes Stück größer als ich – sah ich in ein strahlendes Lächeln, garniert mit Himbeereis aus meinen Hörnchen am Kinn und auf der Brust.
„Oh verdammt das tut mir leid!“ sagte ich schnell und versuchte aus meiner Hosentasche ein Taschentuch zu fingern, doch er lachte nur.
„Vielleicht möchtest du es lieber ablecken? Wäre doch schade es zu verschwenden!“
Ich starrte ihn an.
„Was?“ stammelte ich, immer noch außer Stande meine Augen von ihm abzuwenden.
„Ich hab dich beobachtet und mich gefragt….“ Nun schwand sein strahlendes Lächeln ein wenig und er schien verlegen.
„Sorry. Ich mach so was sonst nicht und das war wahrscheinlich die plumpste und albernste Anmache, die je auf der Welt ausgesprochen wurde. Aber ich dachte, wenn ich dich jetzt nicht anspreche, werde ich das mein Leben lang bereuen!“
Meine Kinnlade musste gerade auf den Boden aufgeschlagen sein. War ich gestorben? Hatte mich ein Bus auf dem Weg in den Park erwischt? Eine verirrte Kugel? Dieser Wahnsinn von einem Mann baggerte mich gerade tatsächlich an. Und was tat ich? Ich starrte ihn wie ein grenzdebiler Depp an, während mir das Himbeereis in Strömen über die Finger floss….

Wir schafften es kaum in mein Apartment. Noch bevor die Tür hinter uns ins Schloss gefallen war, hatte er mir das Shirt vom Leib gerissen und mich gegen die Wand gepresst. Seine heißen Lippen schmeckten süß und die Berührung seiner Zunge  an meiner ließ geradezu eine Explosion in meinem Kopf los. Ungeduldig zerrte ich an seinem Hemd, bis die Knöpfe in alle Richtungen wegsprangen. 
Seine Brust war makellos gestaltet. Jede Muskelpartie perfekt definiert. Offensichtlich war er gut im Training, das machte mich tierisch an. Ich umschlang ihn mit meinen Armen und dirigierte ihn zur Couch. Gemeinsam landeten wir zwischen den weichen Polstern, immer noch mit den Lippen verbunden. Während ich meine Hände in seine weichen blonden Haarwusel vergrub, mühten sich seine Finger geschickt mit meiner Hose ab. Schon glitten sie hinter den Stoff und umschlangen meinen Schwanz. Ein heiseres Stöhnen entfuhr mir und ich lehnte mich etwas zurück, um ihm mehr Platz zu geben. 
„Wie heisst du eigenlich?“
„Taylor, und du?“
„Dominic. Hast du ein Kondom hier?“ keuchte er, während seine Hände immer noch in meiner Hose wüteten. Scheiße! Das riss mich wieder in die Gegenwart.
„Warte!“ sagte ich und schob ihn weg.
„Es geht nicht. Tut mir leid.“ Murmelte ich traurig. Genau das war es, was mir Angst gemacht hatte.
Mein Hals wurde trocken und ich wusste nicht, was ich weiter sagen sollte.
„Was ist denn? Hast du einen Freund? Eine Freundin?“ fragte er und blickte mich verwirrt an.
„Nein, das ist es nicht. Ich…. Es tut mir leid. Ich bin krank.“ Ich blickte zu Boden und traute mich nicht, in sein schönes Gesicht zu schauen.
„Krank?“
„Ich habe mich im Dienst angesteckt. Es ist noch neu für mich und… ich habe es verdrängt als ich dich gesehen habe. Ich wollte das nicht.“
Es blieb eine Weile still. Aus den Augenwinkel heraus sah ich, dass er mich immer noch betrachte. Ich wartete einfach ab.
„Das ist Scheiße.“ brummte er mit einem Mal und stand auf. Nun würde er gehen, mit nichts anderem hatte ich gerechnet. Doch ich irrte mich. Er stand hinter mir und legte mir die starken Hände auf die Schultern. Mit sanftem Druck massierte er meinen Nacken.
„Hast du einen guten Arzt, der dich betreut?“ fragte er mit sanfter Stimme. Überrascht schaute ich zu ihm hinauf.
„Ja, Dr. Hill betreut die Polizei und kümmert sich um alles.“ flüsterte ich.
„Möchtest du vielleicht einen Kaffee? Ich könnte jetzt einen vertragen.“
„Warum tust du das? Warum gehst du nicht?“ fragte ich verwundert und sah ihm direkt in die Augen. Er blickte zurück und atmete tief durch.
„Weil ich sehr lange da im Park auf dich gewartet habe!“ Ich war überrascht.
„Was?“
„Ich habe dich vor ein paar Monaten beim Ice Palace gesehen. Himbeereis. Ich habe mich sofort in dich verliebt. In deine wunderschönen Augen, dein sanftes Gesicht, deine Art, an der Eiskugel zu lecken.“ Er lachte leise.
„Aber du hattest diesen Ring an deinem Finger. Und diesen komischen Vogel im Schlepptau, der sich immer hektisch umsah, wenn du seine Hand nehmen wolltest.“
„Hank!“
„Vor einigen Wochen dann, sah ich dich wieder. Du hattest ein riesiges Pflaster im Gesicht und … keinen Ring mehr am Finger. Ich schöpfte Hoffnung, allerdings wusste ich nicht, wie ich dich ansprechen sollte. Also wartete ich auf eine Gelegenheit. Ich war jeden Tag im Park beim Ice Palace und wartete auf dich. Doch jedes Mal, wenn du da warst, fehlte mir der Mut, dich anzusprechen. Und dann kamst du nicht mehr. Ich habe eine Woche vergebens gewartet. Heute wollte ich das beenden. Es sollte das letzte Mal sein und dann warst du plötzlich da….“
Er hörte auf zu reden und sah mich fest an. Unsere Blicke waren wie an einander festgefroren. Er stand über mir, leicht vor gebeugt, doch keiner von uns bewegte sich. Es schien eine Ewigkeit, dass wir so verharrten. Stille. Die Luft schien zwischen uns zu knistern.
Plötzlich war hinter ihm ein schwarzer Schatten und Sokrates kam angeflogen. Mit aller Geschmeidigkeit war er vom Schrank, auf dem er uns beobachtet hatte, losgesprungen und war auf seinem Rücken gelandet. Überrascht von dem plötzlichen Stoß kippte er nach vorn, direkt auf mich und unsere Lippen trafen auf einander zu einem unglaublichen Kuss…


Jetzt höre ich aber auf zu erzählen. Ich habe nicht mehr viel Zeit. Dominic wartet bereits auf mich und er hasst es, wenn ich zu spät komme. Was ich eigentlich ständig tue. Nur gerade heute sollte ich das nicht, denn… Er wartet unten im Park auf mich. Vor dem Ice Palace. Am Traualtar….

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Tag der Veröffentlichung: 02.11.2015

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