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- 1 -

Chris ging langsam die dunkle Treppe hinunter. Er hatte ein leises Geräusch aus der Küche gehört. Vorsichtig spähte er durch die Tür, doch er konnte nichts entdecken. Langsam betrat er die Küche und schaltete das kleine Licht über dem Herd an. Es stach in den Augen, so dass er sie kurz schließen musste. Genau in dem Augenblick wurde er von hinten gepackt. Kräftige Arme stießen ihn nach vorn und drückten ihn mit der Brust auf die Anrichte. Seine Wange wurde fest auf den kalten Marmor gepresst. Seine Arme wurden nach hinten geboten und mit einem groben Strick zusammen gebunden. Dann riss ihm der Mann die Shorts runter und griff ihm zwischen die Beine.
"Da freut sich aber jemand auf mich!"

Von draußen spähte die alte Mrs. Harper in die Küche und blickte entsetzt in die Küche. Sie hatte eine dunkle Gestallt durch den Garten schleichen sehen und war gleich nach draußen gelaufen, um nach ihrem jungen Nachbarn zu sehen. Mit ihrem Handy hatte sie gleich die Polizei verständigt. Jetzt lief sie ums Haus zur Straße, um den Streifenwagen abzupassen. 
Der kam auch bald mit Blaulicht und Sirene angebraust und hielt mit quietschenden Reifen vor dem Haus.
"Schnell, schnell hinten. Kommen Sie! Er tut ihm weh!" jammerte Mrs Harper und lief zurück zur Hintertür. Die Polizisten folgten ihr. Auch sie warfen einen kurzen Blick ins Innere und sahen einen maskierten Mann, der sich an einem gefesselten Mann verging.
Mit gezogenen Waffen brachen sie die Tür auf und stürmten die Küche.
"Polizei, Hände hoch und weg von dem Mann!" rief Officer Hayden und richtete Waffe und Taschenlampe direkt auf den Maskierten. Sowohl der als auch der Gefesselte fuhren herum und starrten die Polizisten an. Hayden wiederholte den Befehl erneut mit mehr Nachdruck. Dieses Mal gehorchte der Maskierte sofort und trat einige Schritte zurück, folgte aber dem Befehl nur insoweit, denn die Hände erhob er nicht, sondern versuchte hastig, seine Hose zu schließen. Auch der Gefesselte richtete sich auf und zerrte hektisch an seinen Fesseln.
"Fuck, was soll das? Was machen Sie hier?" fragte er wütend die Polizisten.
"Sir, es ist alles in Ordnung, Sie sind jetzt in Sicherheit." versprach Officer Boulder.
"Was reden Sie zum Teufel? Bindet mich mal endlich jemand los?" Nun meldete sich auch der Maskierte zu Wort, während er die Maske herunter zog.
"Es handelt sich hier um ein Missverständnis, meine Herren."
Boulder löste den Strick, der Chris´ Hände zusammen gebunden hatte und dieser richtete schnell seine eigene Hose und schaltete das Deckenlicht ein. Die beiden Cops bekamen plötzlich große Augen, als sie erkannten, wen sie vor sich hatten.
"Detective Bannerman? Agent Boyd?" stammelte Hayden und steckte hastig seine Dienstwaffe weg.
"Richtig, Officer. Darf ich fragen, wie sie dazu kommen, so in unser Haus einzudringen?" Detective Bannerman war hinüber zu seinem jungen Freund gegangen und lehnte sich neben ihm gegen die Arbeitskonsole.
"Wir erhielten einen Notruf von Ihrer Nachbarin, Mrs. Harper. Sie meldete einen Einbrecher und hat uns draußen erwartet. Entschuldigen Sie bitte, Sir. Aber was wir sahen, ich meine, Sie verstehen sicher, dass wir gar nichts anderes denken konnten...." Officer Boulder war vor Scham knall rot geworden und trat vor Verlegenheit von einem Bein aufs andere.

"Mrs. Harper! Schon wieder." Chris knurrte und wollte gerade nach draußen gehen, als Jack ihn zurück hielt.
"Lass, Chris. Wir reden morgen mit ihrem Sohn. Das bringt eh nichts."
Zwanzig Minuten später waren die beiden Männer wieder allein in ihrem Heim. Jack hatte die Hintertür notdürftig verschlossen und setzte sich nun neben seinen Freund auf die Couch. Dieser hatte den Kopf in den Händen vergraben.
"Genug Aufregung in unserem Sexleben?" fragte Jack und massierte Chris den Nacken.
"Oh Gott, bitte. Ich werde mich nie wieder über eintönige Schäferstündchen beschweren." Beide fingen an zu lachen.
"Komm, lass uns schlafen gehen. Ich glaube, wir hatten heute genug Aufregung. Und morgen ruf ich bei Carl an und werde mit ihm über seine Mutter sprechen."

Als Jack Bannerman am nächsten Morgen das Revier betrat, konnte er seinen Kollegen genau ansehen, dass sie alle Bescheid wussten. Sergeant Dolores Witt am Frontdesk konnte sich ihr Grinsen kaum verkneifen.
"Guten Morgen Detective." flötete sie ihm entgegen.
"Morgen." brummte er und wollte direkt weiter gehen.
"Aber Jack, was ist das für eine Begrüßung? Warum heute so... KURZ ANGEBUDEN?" Schallendes Gelächter erfüllte den Raum. Jack wandte sich ihr zu. Er versuchte, nicht zu lachen, obwohl es ihn schon sehr schwer viel.
"Zu deiner Information, liebste Dolly, ICH war nicht ANGEBUNDEN! Ich bin ehr eine fesselnde Persönlichkeit." Erneutes Gelächter.
"Wie hat dein Herzblatt das ganze denn aufgenommen?"
"Wenn er erfährt, dass das hier die Runde gemacht hat, wird er sich sicherlich eine Weile in seinem Büro bei den Feds verkriechen." Damit war das Thema erledigt und Detective Jack Bannerman machte sich auf den Weg zu seinem Büro. Als er an seinem Schreibtisch saß, suchte er die Nummer von Carl Harper raus. Nach kurzem Klingeln hatte er den Reverend am Telefon.
"Carl, Jack hier. Wie geht es ihnen?"
"Ich kann nicht klagen, und selbst?"
"Es geht. Wir hatten gestern sehr unangenehmen Besuch...."
"Wie meinen Sie das?"
"Ihre Mutter hat uns die Polizei auf den Hals gehetzt. In einem sehr privaten Moment muss ich sagen."
"Oh Gott, das tut mir leid, Jack. Ich hab ihr schon so oft gesagt, dass sie Chris in Ruhe lassen soll. Sie meint es nicht böse, sie hat nur diesen übersteigerten Beschützerinstinkt."
"Ich weiß, Carl. Und bisher hielt es sich ja auch noch in Grenzen. Aber gestern Nacht hat sie die Polizei angerufen, und wollte mich wegen Einbruchs und Vergewaltigung verhaften lassen. Unsere Hintertür wurde von den Cops eingetreten. Ganz zu schweigen von der Peinlichkeit, von den Kollegen mit heruntergelassenen Hosen gestellt zu werden. Es muss etwas geschehen. Ihre Mutter ist eine sehr liebe Frau, aber wir kommen leider an einem Punkt an, wo unsere Privatsphäre und die Unversehrtheit unseres Eigenheim gefährdet ist. Ihre Mutter braucht eine Betreuung."
"Sie haben ja recht. Ich werde mich schnellst möglich um eine Lösung kümmern. Die Reparatur der Tür übernehme ich natürlich." 
"Das ist nicht nötig, Carl. Darum habe ich nicht angerufen. Aber beim nächsten Mal könnte jemand verletzt werden. Nicht zu letzt auch ihre Mutter, wenn sie nachts im Dunklen durch unseren Garten schleicht. Wir wollen Sie nicht unter Druck setzen, aber wir machen uns Sorgen."

"Danke, Jack. Ich gebe ihnen Bescheid."



Zur gleichen Zeit erreichte Chris Boyd sein Büro im Federal Building. Er fuhr gerade seinen PC hoch, als Nadine Coleman sich auf seine Tischkante pflanzte.

"Na, aufregende Nacht gehabt?" zwitscherte sie.
"Was? Was meinst du?" Es wurde im flau im Magen und er sah sich schnell um. Doch niemand sonst nahm Notiz. Sie lachte leise.
"Du hattest doch gesagt, dass ihr das Feuer etwas anfachen wolltet. Hat mein Tipp mit dem Rollenspiel geklappt?" Chris errötete ein wenig. Nadine war seine beste Freundin seit Ewigkeiten und normal hatte er keine Geheimnisse vor ihr. Aber weil sie selten was für sich behalten konnte, zögerte er kurz, ihr zu berichten, was sich zu getragen hatte. Doch dann schob er seine Bedenken zur Seite.
"Ja, ich mein wir haben schon ausprobiert. Aber glaub mir, so viel Aufregung brauch ich dann doch nicht."
"Wie? Erzähl, lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen!" Er vergewisserte sich nochmals, dass niemand in ihrer Nähe war, dann begann er. 
"Nicht lachen! Jack hat sich als Einbrecher versucht. Er hat mich dann in der Küche überfallen. Und ehrlich, es war echt scharf. Allerdings hat Mrs. Harper uns gesehen und die Angelegenheit der Polizei gemeldet."
"Was? Nicht wirklich, oder?" 
"Ja, doch. Die Cops haben uns die Hintertür eingetreten und hätten Jack fast über den Haufen geschossen. Es ist mir im Leben nie etwas so peinlich gewesen."
"Das glaub ich dir. Oh Gott, wie schrecklich!"
"Jack nimmt es ganz gelassen. Bei ihm ist es ja kein Problem, dass er schwul ist. Aber was, wenn sich das hier rumspricht. Ich hab zwar nie verheimlicht, dass ich schwul bin, aber ich will es auch nicht unbedingt zum Tagesgespräch machen."
"Boyd, in mein Büro!" ertönte die Stimme von Direktor McGilles durch den Raum. Chris zuckte kurz zusammen.
"Oh Mann." brachte er heraus und beeilte sich, ins Büro vom Chef zu kommen. Dort saßen sein Teamleiter Harold Peterson und Personalleiterin Anna Clever und warteten auf ihn. Der Knoten in seinem Magen wurde größer. Wussten Sie was? Sollte die letzte Nacht so weitreichende Folgen haben? 
"Chris, danke. Setzen Sie sich bitte. Wir müssen etwas Ernstes besprechen." Chris´ Knie wurden weich und er plumpste regelrecht in den weichen Sessel.
"Es geht um etwas persönliches, dass Sie direkt betrifft." Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Warum druckste McGilles nur so herum.
"Wir brauchen jemanden, der verdeckt im Hermanes Kartell ermittelt und da dachten wir an Sie. Sie sind selten im Außen Einsatz und auf der Straße kennt man Ihr Gesicht noch nicht. Außerdem haben Sie sich ihren Südstaatenakzent bewahrt, was es einfacher macht, ihnen einen sagen wir unauffälligeren Hintergrund verpassen." Anna warf nun ein:

"Die Sache ist natürlich rein freiwillig. Sie werden zu nichts gezwungen und wenn Sie ablehnen, werden Ihnen natürlich auch keine Nachteile dadurch entstehen. Immerhin sind Sie hier als Analyst angestellt und nicht im Außendienst. Wenn Sie es aber doch machen, sind sie absolut abgesichert."
Chris hatte das Gefühl, dass eine Lawine vom Herzen gepoltert war. Vor Erleichterung vergaß er zu reagieren.
"Chris?" Harold sah ihn an. "Chris? Wenn Sie etwas Bedenkzeit brauchen?"
"Äh ja, bitte. Ich muss darüber genau nachdenken und es auch mit meinem Partner besprechen." Und schon war es ihm heraus gerutscht. McGilles bekam tellergroße Augen, Anna verschluckte sich an ihrem Kaffee und Harold, naja der schmunzelte. Chris wurde kalt, sein Mund wurde Trocken und seine Wangen brannten.
"Ihrem Partner?"
"Ja, Sir.“ Jetzt war es eh schon raus. „Mein Lebensgefährte. Detective Jack Bannerman vom CPD. Eine so wichtige Entscheidung würde ich ungern über seinen Kopf hin treffen."
"Ok, nur denken Sie an Geheimhaltung!"

"Selbstverständlich, Sir!"

Sie legten ihm nah, sich möglichst noch vor dem Wochenende seine Entscheidung mitzuteilen, dann wurde er entlassen. Nadine wartete mit einer Tasse Kaffee an seinem Platz.

"Und?"

„Ich soll Undercover arbeiten. Und ich hab mich verraten."

„Wie??"

„Sie wollen, dass ich einen verdeckten Einsatz mache."

„Ach, dass mein ich doch nicht. Was hast du verraten??"

„Das ich schwul bin. Ich hatte die ganze Zeit Angst, dass die Angelegenheit von gestern Nacht schon hier publik geworden ist und als ich dann begriffen  habe, dass es um was anderes ging hat glaube ich mein Hirn ausgesetzt. Nun ja. Jetzt ist es halt raus. Du hättest Anna sehen sollen. Die hat ihren Kaffee fast inhaliert!"

„Kein Wunder, die steht total auf deinen süßen Arsch."

„Meinst du?"

„Das dein Arsch süß ist? Unbedingt!"

„Mensch, Nadine, werde mal erwachsen."

Am Abend standen Chris und Jack gemeinsam in der Küche und bereiteten das Abend essen zu.

"Wie war´s auf dem Revier?" fragte Chris wie nebenbei. Jack schmunzelte.

"Was meinst du?"

"Das weißt du doch genau."

"Es hatte schon die Runde gemacht, wobei die Officers Hayden und Boulder sich ein wenig zurück gehalten haben mit der Beschreibung der Situation. Und wie war dein Tag?"

"Ich soll verdeckt ermitteln."

"Bitte was?"

"Du hast schon richtig gehört. Ich soll Undercover ins Kartell."

"Und was hast du dazu gesagt?"

"Dass ich das erst mit meinem Partner besprechen muss." Jack sah ihn an.

"Du hast dich vor deinem Boss geoutet?"

"Und vor Peterson und Anne Clever. War n versehen, aber jetzt ist es egal." und schon schrubbte er die Möhren weiter. Jack nahm ihm das Gemüse aus der Hand und drehte ihn zu sich um. Dann nahm er sein Gesicht in beide Hände und küsste ihn so fest und leidenschaftlich, dass ihnen beiden die Luft ausging.

"Wow, wofür war das denn?"

"Einfach nur, weil ich dich liebe." Dann wurde wieder das Gemüse verarbeitet.

"Hast du zugesagt?"

"Ich weiß noch nicht. Es ist immerhin nicht ganz ungefährlich. Aber sicher ein guter Schub für die Karriere. Was denkst du?"

"Um wen geht es denn?"

"Du weißt, dass ich das nicht sagen darf." "Nun komm schon. hältst du mich für einen dreckigen Cop?"

"Manchmal kannst du schon ganz schön dirty sein!"

"Im Ernst, wen sollst du ausspionieren?"

"Ortega Hermanes. Ich soll mich bis zum Wochenende entscheiden."

"Chris, Hermanes ist ein brutaler Killer. Der hat drüben in Mexico ein ganzes Dorf nieder gemacht, mit Mann, Frau und Kind, weil sie sich geweigert haben, seine Waren zu lagern. Was glaubst du, macht der mit dir, wenn er herausfindet, dass du ein Cop bist?"

"Ich weiß dass doch auch alles. Aber ich wollte nie ein Schreibtischtäter sein. Ich sitze da und analysiere Täterprofile und Bewegungsprofile und Reifenprofile und oh Mann ich krieg schon eine richtige Profilneurose. Ich möchte endlich etwas machen, was wirklich etwas bewegt. Ich möchte teilhaben und nicht nur zu schauen." Jack legte erneut das Kochgeschirr zur Seite und nahm Chris in den Arm.

"Pass nur gut auf dich auf. Ich will dich nicht verlieren."

"Dann bist du einverstanden?"

"Wie könnte ich nicht."

 

- 2 -

Drei Wochen später betraten Antonio Estrada und Jean Clementy einen kleinen Pfandleiher. In dem alten Laden roch es nach Staub und Altertum. Es war dunkel und schummrig. Hinter dem Tresen stand ein Mann Mitte fünfzig. Sein spärliches Haar hatte er über die kahlen Stellen gekämmt, sein magerer kleiner Körper steckte in einer Kombination aus Workerhemd und Strickpullunder, die vor dreißig Jahren sicher absolut in gewesen waren. Der Alte war damit beschäftigt, Armbanduhren in einer Zigarrenschachtel zu polieren. Als die beiden Männer vor ihm standen, blickte er auf und schrak zurück.

„Alfonso, Mr Hermanes lässt dich grüßen." sagte Estrada und griff in die Zigarrenkiste und schaute sich die einzelnen Uhren an. Der Alte war erstarrt und blickte furchterfüllt zwischen ihnen beiden hin und her.

„Es scheint, dass du auf deine alten Tage etwas vergesslich wirst. Der erste des Monats liegt schon zehn Tage zurück."

„Bitte, das Geschäft läuft nicht mehr so gut. Ich habe die Rate diesen Monat nicht." jammerte der alte Mann.

„Du bist ein Gentlemans-Agreement mit Mr Hermanes eingegangen. Ein echter Mann steht zu seinem Wort. Wenn du mir jetzt die 500 Dollar gibst, gehen wir, ohne ein weiteres Wort. Wenn nicht, dann..." Er gab Jean einen Wink, der darauf hin zu einem der Regale ging und eine ziemlich hässliche alte Vase heraus nahm, sie kurz in den Händen betrachtete und dann wie versehentlich auf den Boden fallen ließ. Die Vase zersplitterte mit lautem Klirren und die Scherben flogen in alle Richtungen davon.

„Bitte, nicht. Ich beschaffe das Geld. Ich brauche noch ein paar Tage bitte."

„Du hattest bereits eine Fristverlängerung. Zehn Tage. Du bezahlst oder du trägst die Konsequenzen!" Wieder ein Wink und wieder verlor eine hässliche Vase ihre feste Form. Der Alte jammerte und kam hinter dem Tresen hervor. Verzweifelt versuchte er, den jungen Mann davon abzuhalten, weitere Gegenstände zu zerstören. Nach der dritten Vase griff Estrada nach dem Arm des alten Mannes und zwang ihn auf die Knie. Dann fixierte er dessen Hand so, dass er sich nicht mehr rühren konnte.

„Jean, nimm den Zigarrenschneider und schneid ihm den kleinen Finger ab!" Jean aber rührte sich nicht.

„Na los!"

„Komm schon, Tonio. Der Alte hat es sicher verstanden." Estradas Gesicht wurde rot vor Zorn.

„Du tust, was ich dir sage!" Jean atmete tief durch und nahm dann denn Zigarrenschneider aus dem Regal. Sein Herz klopfte. Er konnte und wollte dem Mann nicht wehtun, aber er wusste auch, dass seine Tarnung auffliegen würde, wenn er Estradas Anweisungen nicht folgen würde. Er ging zu dem Mann hinüber und schob den kleinen Finger des Alten durch das Loch. Seine Finger zitterten und er musste hart schlucken, dann schloss er die Augen und drückte zu. Doch es passierte nichts. Kein lautes Gekreische des Opfers, kein Nachgeben des Zigarrenschneiders. Chris öffnete die Augen, der Finger war noch immer dort, wo er gewachsen war. Der Zigarrenschneider war kaputt.

„Wird’s bald?" knurrte Estrada.

„Das Ding ist kaputt." sagte Jean und zog den Finger wieder heraus.

„Dann nimm dir was anderes. Ein Messer, eine Schere. Wir gehen hier nicht ohne den Finger raus!" Zu früh gefreut. Er tat so, als sähe er sich um und durchsuche die Regale nach einem geeigneten Werkzeug, während Estrada den immer noch wimmernden alten Mann festhielt und ungeduldig schimpfte.
Jean wusste nicht weiter. Gerade stand er vor einem Regal mit einer ansehnlichen Sammlung aus Messern, als er aus dem Augenwinkel heraus einen Streifenwagen vor der Pfandleihe hielt. "Tonio, die Bullen!" zischte Jean und trat hastig von dem Messerregal weg. Estrada selbst ließ augenblicklich den alten Mann los und richtete ihn auf.

„Ein falsches Wort und du verlierst mehr als nur den kleinen Finger!"
Die beiden Cops betraten den Laden und kamen direkt zum Tresen durch. Jean erstarrte, Officer Hayden und Boulder. Innerlich fluchte er und versuchte den beiden zwischen den Regalen auszuweichen. Doch ausgerechnet an dem Regalgang mit altem Geschirr, in dem er sich gerade verbarg, war Hayden sehr interessiert. "Meine Mutter hat dieses alte Services und ihr ist das Milchkännchen herunter gefallen. Vielleicht findet sich hier ja was passendes." berichtete er seinem Partner und sah sich die Stücke im Regal an. Jean versuchte möglichst unauffällig aus dem Gang heraus zu schlüpfen, doch Boulders Langeweile machte ihm einen Strich durch die Rechnung, denn als er sich an ihm vorbei drücken wollte, schaute dieser ihm direkt ins Gesicht und seinem Gesichtsausdruck nach schien er ihn tatsächlich wieder zu erkennen. Jean ging zügig zu Estrada hinüber und drängte zum Aufbruch. Dieser nickte widerwillig und sie zogen sich betont lässig zum Eingang zurück. Sie waren fast an der Tür, als plötzlich Officer Boulder zwischen den Regalen hervor trat.

„ Jetzt weiß ich wieder woher wir uns kennen. Agent Boyd. Ich hoffe, dass der Vorfall von neulich…“ weiter kam er nicht. Jean alias Chris Boyd war herum gewirbelt und sah ihn wütend an. Auch Estrada hatte sich umgewandt, sah aber ehr überrascht aus. Doch bevor Chris noch weiter reagieren konnte, hatte Estrada seine Waffe mit der rechten Hand gezogen und mit der Linken Chris´ Kragen gegriffen. Mit einem Gewaltigen Ruck riss er ihn nach hinten und begann gleichzeitig auf Officer Boulder zu schießen. Dieser bekam zwei Kugeln in die Weste und eine in den Hals. Der Ladenbesitzer war augenblicklich hinter dem Tresen verschwunden und Officer Hayden versuchte zwischen dem Regal Deckung und eine freie Schussbahn zu kriegen. Chris versuchte sich aus dem Griff Estradas zu befreien, doch als er ihn nach hinten gerissen hatte, war ihm der Hals gequetscht worden und er musste gegen eine nahende Ohnmacht ankämpfen. Estrada zerrte ihn am Kragen raus und schoss weiter in den Laden. Draußen riss er ihn hoch.- „Auf die Füße, Bullenschwein!" befahl er und richtete die Waffe gegen Chris. Dieser bemühte sich, den Forderungen sofort nach zu kommen, bekam aber immer noch kaum Luft.

„In den Wagen!" Er wies auf den Rücksitz und Chris öffnete die Tür. Als er sich nach vorn beugte, bekam er einen Schlag auf den Hinterkopf und verlor das Bewusstsein. Estrada schob ihn auf den Rücksitz und raste mit dem Wagen davon.

Zur gleichen Zeit kroch Hayden vorsichtig auf seinen Partner zu, der blutüberströmt vor der Theke lag.  Per Funk rief er die Zentrale an:

"Schusswechsel im Dasilva Pawnshop. Officer verletzt. Der Verdächtige flüchtet in einem dunklen SUV Richtung Norden. Er hat eine Geisel!"

„Roger, Officer Hayden, Unterstützung ist sofort unterwegs!"

 

Keine halbe Stunde später war der Pawnshop komplett abgesperrt. Boulder war bereits in Krankenhaus abtransportiert und Officer Hayden und der alte Alfonso Dasilva warteten auf ihre Vernehmung. Detective Bannerman war gerade angekommen und übernahm die Befragung von  Officer Hayden.

„Was ist passiert?"

„Es ging alles so schnell. Wir sind in den Laden gekommen, weil ich für meine Mutter ein Geschenk  gesucht habe. Als wir den Laden betraten, waren außer dem Besitzer noch 2 Männer im Raum. Einer der Männer stand am Tresen und schaute sich einige Uhren an, der zweite drückte sich zwischen den Regalen rum. Irgendwie wirkte es, als wolle er sich vor uns verstecken. Ich hab nicht weiter drauf geachtet, muss ich leider zugeben, aber Tom meinte den einen erkannt zu haben. Er wusste nur noch nicht woher er ihn kannte. Als die beiden dann raus wollten fiel es ihm ein. Es war ihr Partner, Agent Boyd!"

Jack wurde schlagartig bleich und musste sich auf die Kühlerhaube des Streifenwagens setzen. „Chris? Was ist weiter passiert?"

„Tom hat ihn direkt angesprochen. Er wollte sich nochmal wegen des Vorfalls neulich entschuldigen, aber da ist es schon passiert. Der Andere hat direkt losgeschossen und Agent Boyd als Geisel mitgenommen."

„Verflucht! Ich wusste, dass was schief laufen würde. Chris ist verdeckter Ermittler. Hat sich Officer Boulder nichts dabei gedacht?" Jack hörte nicht weiter zu sondern wählte direkt die Nummer von Chris´ Büro beim FBI.

„Harold Peterson, sofort!" Es dauerte eine Weile, dann hörte er den blasierten Ton des Vorgesetzten.

„Ja bitte?“

„Detective Bannerman, CPD. Ihr V-Mann Agent Boyd ist aufgeflogen!" Schweigen in der Leitung. „Haben Sie gehört, was ich gesagt habe?"

„Ja, woher wissen Sie davon?" 

„Chris ist mein Lebensgefährte. Ich befinde mich gerade an einem Tatort. Ein Pfandleiher in dem auf 2 Streifenpolizisten geschossen wurde. Chris war hier. Einer der beiden Streifenbeamten hat ihn erkannt und dummerweise angesprochen. Der Kollege liegt im Krankenhaus und Chris wurde von dem Bastard mitgenommen!"

„Wann?"

„Halbe Stunde etwa. Sie sind in einem dunklen SUV unterwegs, die Streifen sind bereits informiert und suchen danach. Auch ein Verkehrshubschrauber ist in der Luft. Sie sollten vielleicht jemanden her schicken, immerhin ist es ja IHRE Aktion!"

„Ich komme sofort. Weiß man was über den Zustand von Agent Boyd?"

„Nichts. Und ich hoffe für Sie, dass er unverletzt zurück kommt!"

 

Antonio Estrada hatte längst das Auto gewechselt. In einer Werkstatt des Kartells  hatte er den SUV abgestellt und einen alten Mustang genommen. den bewusstlosen Agent hatte er in den Kofferraum verfrachtet. Nun war er unterwegs zu den Docklands, wo Ortega Hermanes sein Hauptquartier verbarg. Er fuhr in eins der alten Lagerhäuser und stellte den Wagen mitten in der Halle ab. Dann öffnete er den Kofferraum und holte seinen Gefangenen heraus. Chris war mittlerweile wieder aufgewacht. Als die Klappe sich öffnete, versuchte er nach dem Gangster zu treten, doch dieser hatte bereits damit gerechnet, wich dem Tritt aus und schlug erneut mit der Waffe zu. Dieses Mal wurde Chris jedoch nicht richtig bewusstlos, nur etwas benommen. „Aussteigen!" befahl Estrada und zog ihn wieder am Kragen hoch. Dann stieß er ihn vor sich her und führte ihn Richtung Büro. Hier saßen Ortega Hermano und seine engsten Vertrauten und arbeiteten an ihren Büchern.

„Hast du dem alten Zausel ausgerichtet was ich dir aufgetragen habe?"

„Es kam was dazwischen“, knurrte Estrada und stieß Chris mit der Waffe nach vorn, dass er in den Raum hineinstolperte.

„Wir haben eine Ratte im Haus! Der Scheisser ist ein Fed!!" Danilo Martise, die rechte Hand des Patrons zog sofort seine Waffe und richtete sie auf Chris´ Stirn. Doch der Patron gab ihm ein Zeichen einzuhalten. „Du bist ein Bulle?" Chris schluckte.

„Nein, ich weiß nicht, wo von dieser Spinner faselt. Dieser Bulle im Pfandladen hat mich verwechselt und Tonio schießt direkt los, wie ein Irrer."

„Der Bulle hat dich ganz genau erkannt. Und Du ihn auch. Ich lass mich nicht verscheissern! Er hat ihn Agent Boyd genannt!" Ortega Hermanes stand auf und ging um Chris herum.

„Wir finden es schon heraus. Bringt ihn erst mal raus aus der Stadt. Danilo weiß wohin."

 

Am Abend saßen die Einsatzleiter im Revier mit dem FBI zusammen. Die Suche nach dem SUV hatte nichts ergeben.

„Die Verkehrskameras haben sie noch bis Harrison Ecke California verfolgen können, danach sind sie spurlos verschwunden." Betretenes Schweigen, vor allem vom FBI. Jack saß auf einem der Tische und starrte ins Leere.

„Was ist mit einem Sender? Handy? Hatte er denn keine Sicherung dabei?"

„Nun, wir wollten das Risiko einer Aufdeckung so gering wie möglich halten."

„Das hat ja wunderbar geklappt." polterte Jack drin und sprang auf.

„Er ist irgendwo da draußen. Vielleicht ist er sogar schon tot. Hinter wem war er her?"

„Diese Information können wir nicht..."

„Jetzt ist aber Schluss!" mischte sich Captain Bellos ein.

„Ein Officer wurde getötet. Boulder ist an seiner Verletzung gestorben! Wenn wir informiert gewesen wären, hätte der Officer Agent Boyd niemals angesprochen und das alles wäre nicht passiert! Karten auf dem Tisch, hinter wem sind sie her!"

Peterson wechselte mit McGilles kurz blicke, dann antwortete er:

„Ortega Hermanes."

„Dann suchen wir nach einer Leiche!" Jack hatte die Faust so fest geballt, dass sich seine Nägel in die Handflächen bohrten.

„Irgend eine Idee, wo sie ihn hingeschafft haben könnten?" fragte er mit eisiger Stimme. In ihren Blicken konnte er ablesen, dass sie tatsächlich nicht mehr glaubten, dass Chris noch leben könnte und es machte ihn wütend.

„Ich gebe ihn nicht auf! So lange ich seinen toten Körper nicht gesehen habe, werde ich nach ihm suchen!" Dann verlies er den Konferenzraum. 

Unten wartete Sergeant Witt auf ihn. Sie sah ihn fragend an.
„Sie glauben nicht, dass er noch lebt. Sie jagen Ortega Hermanes!" Witt schloss die Augen und schüttelte den Kopf.

„Spitz mal deine Informanten an. Ich zahle einen ordentlichen Finderlohn. Ich brauch alle möglichen Verstecke, wahrscheinlich abgelegen, außerhalb der Stadt. Ich gebe ihn nicht auf! Witt nickte bestätigend und versprach ihm, sich um zu hören.

„Wir fahren alle zu Toms Frau. Kommst du mit?" Doch Jack verneinte.

„Wenn er den Kopf eingeschaltet und den Mund gehalten hätte, wäre er nicht tot und Chris .... Sorry ich kann jetzt nicht. Nicht solange Chris nicht zu Hause ist!"

- 3 -

Der letzte Schlag hatte ihm alle Kraft geraubt, seine Beine gaben unter ihm nach. Nur die Fesseln an seinen Handgelenken hielten ihn aufrecht. In seinem Kopf rauschte es, seine Augen waren längst zugeschwollen, seine Nase musste mehrfach gebrochen sein, atmen konnte er nur noch durch den Mund.

„Wie ist dein Name?" hörte er eine Stimme durch den Nebel. In seinem Kopf schrie es ´Sag es ihm einfach, dann ist es vorbei. Keine Schläge mehr, kein Schmerz.´

„Jean Clementy" flüsterte er und spuckte einen Schwall Blut aus. Ein Faustschlag traf ihn in den Rücken, auf die Nieren.

„Wie heißt du?"

„Jean Clementy." Ein Faustschlag in den Magen.

„Wie heißt du?"

„Jean." Er erwartete den nächsten Schlag, doch der blieb aus. Stattdessen erklang eine weitere Stimme aus dem Nebel.

„Lass gut sein, so kommen wir nicht weiter. Der Bursche ist zäher, als er aussieht. Bind ihn los und bring ihn hier rüber. Ich hab hier was Gutes für ihn."

Er spürte, wie die Fesseln nachgaben und er zu Boden sank. Dann wurden seine Handgelenke gepackt und er wurde über einen rauen Fußboden gezogen. Es fühlte sich an, wie nackter Beton. Irgendwann wurde er abgelegt. Der Untergrund hatte sich verändert. Kalter Stoff, ein Teppich? Nein eine alte Matratze. Er spürte eine Stahlfeder in seinem Rücken. Es tat gut, ausgestreckt zu liegen. Er versuchte flach zu atmen, da seine Rippen schmerzten. Mit einem Mal war wieder jemand neben ihm. Sein Arm wurde gepackt und zur Seite gedreht. Ihm fehlte die Kraft, sich dagegen zu wehren. Dann spürte er, wie ein Seil um seinen Oberarm gebunden wurde. Panik stieg in ihm auf. Er erinnerte sich an den Finger des Pfandleihers und Hermanes soll auch andere Körperteile als Bestrafung eingefordert haben. Er wollte sich wehren, doch ein weiteres Paar Hände drückte ihn fest auf die Matratze. Dann fühlte er einen Einstich und ein heißes Brennen in der Armbeuge. Sie spritzten ihm etwas. Nur was? Dann fühlte er es. Sein Kopf dröhnte und seine Gedanken wurden schwammig. Er konnte sich kaum noch konzentrieren.

„Nein, nicht." wollte er schreien, aber es kam nur ein heiseres Krächzen heraus.

„Und jetzt noch einmal. Wie ist dein Name?"

„Jean Clementy"

„Nein, das stimmt nicht. Belüg mich doch nicht. Komm schon, dein Name." Chris versuchte sich zu konzentrieren, aber seine Gedanken kreisten und schrien durch einander.

„Boyd. Chris Boyd." Ein zufriedenes Lachen erklang.

„Geht doch. Und du hättest dir so viele Schmerzen ersparen können!" Dann verlor er das Bewusstsein.

 


„Es sind schon drei Tage. Es muss doch eine Spur geben." Gloria Boyd lief im Wohnzimmer auf und ab. Jack kam aus der Küche und brachte ihr eine Tasse Tee und für ihren Mann, der schweigend auf dem Sofa saß einen Kaffee.

„Wir suchen auf allen Kanälen. Und glaubt mir, ich werde nicht aufgeben, bis ich ihn gefunden habe."

„Und warum suchst du jetzt nicht nach ihm?" Die Stimme von Chris´ Vater war kalt. Es fühlte sich wie eine Ohrfeige an.

„Ich habe bisher keine Pause gemacht, George. Ich habe nicht geschlafen oder anderes getan als nach ihm zu suchen. Das hier, das ist die erste Pause seit er verschwunden ist, die ich mache und auch nur, weil ich euch vom Flughafen abgeholt und hier her gebracht habe. Also bitte erspar mir deine Vorwürfe!"

„Jack, wir wissen doch, was du für ihn tust. George macht sich nur Sorgen. Er meint es nicht so, wie es klingt."

„Doch, dass meine ich! Ich war dagegen, dass Chris zum FBI geht, doch ich hab es akzeptiert, weil er mein Sohn ist und ich ihn liebe. Und als er dich dann offenbart hat, musste ich auch das schlucken. Doch wenn du ihn mir nicht zurück bringst, werde ich dir das nie verzeihen!" Jack biss sich auf die Lippen. Er wusste, dass George Boyd nie akzeptiert hatte, dass Chris schwul war und dass er ihm immer vorwarf, seinen Sohn verführt zu haben. Mit ihm zu streiten brachte nichts. Er stellte seine eigene Tasse Kaffee zur Seite und nahm seine Lederjacke vom Stuhl.

„Ihr wisst ja wo alles ist." und verließ ohne weiteres Wort sein Zuhause. Während der Fahrt zum Revier flogen immer wieder Gesprächsfetzen durch seinen Kopf. 
Peterson, der sich weigerte, die Informationen an das CPD weiter zu geben, die Kollegin von der Leitstelle, die ihn zum Tatort rief, noch bevor er wusste, dass es um seinen Geliebten ging, George Boyd, der ihm vorwarf, seinen Sohn missbraucht zu haben und immer wieder Chris, der ihm sagte, dass er ihn liebte. Er kämpfte gegen die Tränen und die Verzweiflung, die sich in ihm ausbreiten und seine Hoffnung auslöschen wollte. Das Klingeln seines Handys riss ihn aus den Gedanken.

„Bannerman?"

„Jack, hier ist Dolores. Ich hab was für dich. Einer meiner Informanten erzählte von einer alten Schlachterei vor der Stadt, die Hermanes öfter als Zwischenlager benutzt. Soll ich dir die Adresse schicken?"

„Nein, ich komm rein. Gib die Info an den Captain weiter. Der soll dafür sorgen, dass die FEDs ein SWAT Team bereitstellen. Ich bin in zehn Minuten da!" 
Als er den Konferenzraum betrat, saß Captain Bellos bereits mit Agent Peterson zusammen. Sie studierten einen Lageplan und besprachen den bevorstehenden Einsatz.

„Jack, gute Neuigkeiten."

„Ich weiß. Wann geht’s los?"
„Wir warten nur noch auf den Bericht der Luftüberwachung, ob sich dort Personen aufhalten, dann fahren wir los. Ich möchte Sie bitten, hier zu warten und..."

„Das können Sie vergessen! Ich werde dabei sein und ich werde mit rein gehen. Ich habe eine SWAT Ausbildung und ich lasse mich ganz sicher nicht davon abhalten!"

„Jack..."

„Keine Diskussion. Wenn Sie mich raus nehmen, fahre ich Privat hin. Sie werden mich schon anketten müssen, um mich davon ab zu halten!"
Peterson sah Bellos hilfesuchend an, doch der zuckte nur mit den Schultern.

„Jack ist dabei." 

 

 

Es dauerte noch fast eine Stunde, bis der Hubschrauber meldete, dass Aktivitäten im Zielobjekt verzeichnet wurden, dann fuhren sie gemeinsam zum Schlachthof. Ein SWAT Team von dreißig man, schwer bewaffnet, umstellte das riesige Gebäude. Auf der Fahrt dorthin hatte man zwei Wachposten ausgeschaltet, die vom Hubschrauber aus bereits entdeckt worden waren. Der SWAT Leader Hank Grassy hatte Jack ebenfalls mit Ausrüstung versorgt und gab nun die letzten Anweisungen fürs Vorrücken. Dann ging es los. Die äußeren Hallen waren gut einsehbar und leer. Das Team verteilte sich schnell und leise und rückte weiter vor. Über eine Wärmesichtkamera bekamen sie von außen per Funk die Info, dass sich nur im hinteren Teil Personen aufhalten würden. Auf Handzeichen von Grassy rückten sie geschlossen Richtung Rückseite auf, wo sich einst das Büro der Schlachterei befunden hatte. Es gab 3 Eingänge auf die sich die Männer nun verteilten. Jack stand direkt neben Grassy am mittleren Eingang, seine Waffe schussbereit in der Hand. Grassy gab das Zeichen

„Zugriff!" und trat die Tür ein. Sie stürmten hinein.

„FBI! Runter auf den Boden und Hände ausstrecken!" In dem geräumigen Büro waren vier Männer zu sehen, die verteilt im Raum standen oder saßen. Als das SWAT Team die Türen eintraten hatten sie ihre Waffen gezogen, doch angesichts der Übermacht hatten sie sich schnell entschieden, die Waffen fallen zu lassen. Mit kurzem Blick erkannte Jack Martise, Estrada und einen kleinen Straßendealer, der im Verdacht stand für das Hermanes - Kartell zu dealen. Und natürlich Ortega Hermanes selbst. Der war im hinteren Teil des Büros und verschwand hinter einem hohen Schreibtisch.

„Waffen runter und raus hier, oder ich schneide ihm den Kopf ab!" Jack ging vorsichtig weiter in den Raum und umrundete den Schreibtisch. Dahinter sah er Hermanes. Er kniete auf einer alten Matratze - hinter Chris, den er an den Haaren hochgezogen hatte und wie ein Schutzschild vor sich hielt. In seiner freien Hand hielt er eine Machete, deren Klinge er an Chris´ Hals drückte. Ein kleines Rinnsal Blut floss bereits aus einem flachen Schnitt darunter.

„Fallen lassen, Hermanes. Sie kommen hier nicht raus!" Er hoffte, dass Chris ihm helfen und sich vielleicht befreien konnte, doch ein Blick in dessen Augen verriet ihm, dass das nicht passieren würde. Seine Augen glänzten fiebrig und sein Blick war glasig und weg getreten. Hermanes drückte die Klinge tiefer ins Fleisch.

„Ich meine es ernst. Ich schneide ihm seinen beschissenen Kopf ab!" Weiter wartete Jack nicht. Er drückte ab und traf sein Ziel. Die Kugel schlug Ortega Hermanes direkt in die Stirn und tötete ihn sofort. Wie ein nasser Sack viel er in sich zusammen und begrub gen jungen Agent unter sich. Was weiter in diesem Raum passiere interessierte Jack nicht mehr. Er brüllte in sein Funkgerät, dass die Sanitäter sofort rein kommen sollten und riss die Leiche des Drogenbarons von seinem Freund herunter. Dann kniete er neben ihm nieder und drehte ihn auf den Rücken.

„Chissy, ich bin hier. Alles wird gut, Baby. Ich bring dich hier raus." flüsterte er, während er ihn an sich drückte und von dem Toten wegzog. Als er ihn auf dem Boden vorsichtig ablegte fiel sein Blick auf Chris´ rechte Hand. Doch da war keine Hand mehr, nur noch ein blutiger Stumpf. „Nein!" schrie Jack entsetzt auf und griff nach dem Arm und schaute sich die Wunde an. Sie war noch recht frisch und blutete noch etwas.

„Wo bleiben die Sanitäter???" Zur gleichen Zeit kamen sie gerade an. Sie schoben ihn zur Seite und kümmerten sich um den Verletzten. Jack hockte sich an die Wand und atmete keuchend. Plötzlich war ein Kollege neben ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. Er bekam nicht mit, wer es war, sein Blick war auf seinen Geliebten fixiert. Die Sanitäter maßen Blutdruck und Puls. Sein Armstumpf wurde verbunden und er wurde auf die Bare gelegt.

„Wo ist die Hand? Wir brauchen die Hand." rief einer der Sanitäter, doch sie war nirgends zu finden. Dann brachten sie Chris raus. Jack folgte ihnen hinaus.

„Kann ich mitfahren?" fragte er mit brüchiger Stimme.

„Sorry, wir brauchen den Platz. Sein Kreislauf ist instabil." sagte der Sani entschuldigend und stieg ein. Dann brauste der Krankenwagen auch direkt los.

„Ich fahre Sie, Detective." Peterson war hinter ihn getreten. Man sah ihm an, wie schuldig er sich fühlte.  Als sie losfuhren nahm Jack sein Handy und rief zu Hause an. Gloria Boyd hob ab.

„Gloria, Jack hier. Wir haben ihn. Chris lebt. Wir fahren ins Mercy. Komm mit George da hin." Dann legte er wieder auf. Seine Stimme brach immer wieder und er wollte vor dem FBI-Mann keine Schwäche zeigen. Den Rest der Fahrt schwieg er und flehte in Gedanken, dass Chris auch noch lebte, wenn er im Krankenhaus ankam. 
Als Peterson den Wagen vor dem Klink Eingang stoppte, sprang Jack sofort hinaus und nahm sich nicht mal die Zeit, die Wagentür zu schließen. Er lief durch zur Notaufnahme und fing die erste Schwester ab, die ihm in die Finger geriet. "Detective Bannerman. Gerade ist ein Krankenwagen angekommen, Chris Boyd. Wo ist er?"

„Ihm fehlt eine Hand? Hier lang." Sie führte ihn einen Gang entlang nach hinten. Vor einem verschlossenen Behandlungsraum blieb sie stehen.

„Er ist hier drin, aber Sie müssen hier warten. Setzen Sie sich hier her. Man wird Ihnen Bescheid geben." Und schon war sie wieder weg. Jack stand in dem kahlen Flur und starrte auf die Tür. Bullaugenförmige Fenster in der Tür boten einen Blick in den Raum. Er sah Ärzte und Schwestern um den Behandlungstisch herumhuschen. Blutige Tupfer und Verbände wurden hin und her gereicht, Infusionen gelegt. Jack stand da und beobachtete eine ganze Weile gebannt das Geschehen. Er merkte nicht, dass Gloria und George mittlerweile angekommen waren. Die Schwester führte sie ebenfalls zu ihm und verließ sie dann wieder.

„Jack." sprach Gloria ihn an und fiel ihm gleich in die Arme.
„Weißt du schon was?" Jack schüttelte niedergeschlagen den Kopf.

„Sie haben ihm die Hand abgeschnitten." brachte er heraus, dann gab es kein Halten mehr. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten und während Gloria ihn umarmte ließ er den Tränen freien Lauf. Als sie eine Weile so gestanden hatten, spürte er plötzlich eine schwere Hand auf seiner Schulter; und als er hochblickte, stand Chris´ Vater neben ihm. Sie sahen sich eine Weile schweigend an, dann zog George ihn in seine Arme.

„Es tut mir leid, was ich in der Vergangenheit zu dir gesagt habe. Ich sehe, dass Du Chris über alles liebst. Bitte vergib mir."
Sie warteten mehrere Stunden. Zwischendurch waren weitere Kollegen gekommen, um auf Nachricht zu warten. Dolores und Nadine saßen zusammen mit Gloria und sprachen leise. Agent Peterson stand abseits und unterhielt sich mit Chris Vater. Jack lief auf und ab.

„Jack, Schätzchen, willst du dich nicht etwas hinsetzen? Du nutzt den Bodenbelag schon ab." Dolores war zu ihm hinüber gekommen und wollte ihn sanft zu einem der Stühle hinführen. Doch in dem Augenblick öffnete sich die Tür und der Arzt kam heraus.

„Wir haben ihn soweit stabilisiert. Er wird jetzt auf die Intensivstation gebracht. Mehr kann ich ihnen noch nicht sagen. Die Amputationswunde war verunreinigt. Außerdem hat er eine hohe Dosis Kokain im Blut. Das Fieber muss nun runter und dann muss er die Entgiftung überstehen. Aber das wird Zeit brauchen."

„Dürfen wir zu ihm?" Gloria fasste Jack am Arm und sah den Arzt hoffnungsvoll an.

„Vorerst noch nicht. Wir müssen jede Infektionsgefahr ausschalten und ihm die Erholung zu erleichtern. Außerdem schläft er jetzt. Lassen sie uns morgen sehen, wie sein Zustand sich verändert." 
Am Abend saß Jack auf der hinteren Veranda und schaute in die Dunkelheit. Die Flasche Bier, die er sich vor Stunden geholt hatte, hielt er immer noch unangetastet in der Hand. In seinen Gedanken war er Lichtjahre entfernt. Er bemerkte nicht, wie Gloria und George heraus gekommen waren. Sie setzten sich an den Tisch und Gloria stellte eine Schalte mit Salat ab.

„Jack, du musst etwas essen. Zumindest ein bisschen." Er nahm einen Schluck von dem warm gewordenen Bier.
„Als ich Chris das erste Mal gesehen habe, war er gerade auf dem Schießstand. Er übte für die Prüfung und man war er schlecht." Er lachte leise auf.
„Ich hatte ihm ein Weilchen zu gesehen und irgendwann hatte ich so großes Mitleid mit dem armen Kerl, dass ich zu ihm rüber bin und ihm gezeigt habe, wie er die Waffe richtig halten muss. Als er den ersten Treffer gelandet hatte, war er richtig aus dem Häuschen. Ich vermisse das Glänzen in seinen Augen, diese Begeisterung, die er für Kleinigkeiten aufbringen kann." Dann stand er auf und setzte sich zu den beiden an den Tisch. Gloria füllte ihm eine Portion Salat auf einen Teller und stellte ihn vor ihm hin. Er lächelte dankbar, doch stocherte nur mit der Gabel im Salat herum.

„Chris wird es nicht schneller besser gehen, wenn du hier abstinent lebst. Wir werden alle Kraft brauchen, um ihn bei der Genesung zu unterstützen, also sei ruhig und iss!" George nahm Jack die Bierflasche weg und stellte ihm ein Glas frischen Orangensaft hin. "Mein Sohn wird es uns nie verzeihen, wenn wir dich verhungern lassen!" Also gab Jack sich geschlagen und piekte ein Salatblatt auf. Mit etwas Widerwillen schob er es sich in den Mund und stellte fest, dass er einen riesen Hunger hatte. 
Später saßen die drei im Schein einer Kerze draußen und schwelgten in Erinnerungen.

„Als er auf die Highschool kam hatte Chris diese eine Lehrerin. Ms Snyder. Sie hatte einen Narren an ihm gefressen. Egal was er ausgefressen hatte, sie konnte ihm alles verzeihen. Dann übernahm sie die Theater Gruppe und wollte ihn unbedingt als Schauspieler. Sie sah ihn als Romeo und drängte ihn sich der Gruppe anzuschließen. Chris hatte eigentlich keine Lust, aber er wollte ihr den Gefallen tun, also ging er zum Vorsprechen. Und ehrlich. Er war grottenschlecht. Er konnte sich den Text nicht merken und fing vor Nervosität an zu stottern. Trotzdem wollte sie ihn als Romeo besetzen. Sie meinte, er bräuchte nur etwas mehr Übung." Gloria lächelte verschmitzt. „Und?"

„Er ist zwei Wochen vor der Aufführung absichtlich von unserer Garage gesprungen und hat sich den Fuß gebrochen. So kam er aus der Sache raus."  Sie lachten gemeinsam herzlich, doch dann wurde Jack wieder still und starrte in die Nacht.

„Was wenn er es nicht schafft?"

„Das darfst du nicht denken. Er wird wieder gesund." Doch Jacks Blick blieb in der Dunkelheit. Eine kalte Hand schien sein Herz umfangen zu haben.
Am nächsten Tag fuhren sie gemeinsam ins Krankenhaus. Gloria hatte morgens bereits angerufen und die Information bekommen, dass Chris’ Zustand sich gebessert hatte und sie ihn sehen dürften. Der Verkehr war schleppend und Jacks Fahrstil spiegelte deutlich seine Ungeduld wieder. Immer wieder wechselte er die Fahrbahn, fuhr viel zu dicht auf und klemmte die Hupe fest.

„Jack, bitte. Fahr langsamer. So kommen wir auch nicht schneller ins Krankenhaus. Zumindest nicht, wie geplant." brummte George vom Beifahrersitz aus und umklammerte den Handgriff fester.  Endlich waren sie im Krankenhaus angekommen und eilten durch die Flure zur Intensivstation. 
Dr. Middelton, der Arzt, der Chris operiert hatte, stand am Schwesternzimmer und las in einigen Papieren, als Gloria auf ihn zustürmte.

„Wo ist mein Junge? Man sagte uns, wir dürften ihn besuchen?" Dr. Middelton sah sie kurz an, dann nickte er.

„Sie müssen aber durch die Sicherheitsschleuse und sich dort steril machen. Dann können Sie eine Weile hinein. Er schläft noch, wird aber immer wieder eine kurze Weile wach." Gloria brach vor Erleichterung in Tränen aus und folgte mit ihrem Mann einer Schwester, die sie zur Schleuse brachte. Auch Jack wollte ihnen nachgehen, doch der Arzt hielt ihn auf.

„Entschuldigung Detective, aber nur die Familie darf hinein. So sind leider die Vorschriften." „Nein, bitte. Ich muss zu ihm." Doch der Arzt blieb hart.

„Keine Außenstehenden. Es dürfen nur Familienmitglieder hinein."

„Aber wir sind eine Familie. Wir leben seit fünf Jahren zusammen." Jack wandt sich vom Arzt ab und schritt Richtung Schleuse. Ein Pfleger und ein Sicherheitsmann stellten sich ihm auf einen Wink vom Arzt in den Weg.

„Machen Sie uns bitte keine Schwierigkeiten, Detective. Ich möchte Sie nicht verhaften lassen. In ein paar Tagen kann er auf ein normales Zimmer verlegt werden. Dann können Sie ihn besuchen." Der Sicherheitsmann hatte ihn am Arm gegriffen und festgehalten. Jack riss sich los und sah sich wütend um. Pflegepersonal und Besucher gleichermaßen beobachteten ihn.

„Ich kann mir vorstellen, wie Sie sich fühlen müssen, aber ich kann die Vorschriften nicht beugen." sagte der Arzt erneut, diesmal mit etwas milderem Gesichtsausdruck.

„Bitte machen sie uns keine Schwierigkeiten." Jack wandte sich ruckartig ab und verließ das Krankenhaus. Draußen vor dem Haus trat er vor Wut gegen einen Zigarettenautomaten. Dabei fiel eine Schachtel Marlboro heraus. 
Als Gloria und George eine Stunde später aus dem Krankenhaus herauskamen, fanden sie Jack vor dem Parkplatz sitzen und rauchen.

„Seit fünf Jahren das erste Mal." knurrte er und warf die Kippe auf den Boden zu einem Haufen anderer. In der einen Stunde hatte er fast die halbe Packung geraucht.

„Wie geht es ihm, ist er wach gewesen?"

„Er ist kurz aufgewacht, aber ich glaube nicht, dass er uns erkannt hat. Er hat sich umgesehen und ist fast sofort wieder eingeschlafen. Ich glaube, er hat nur nach dir gesucht." Jack musste hart schlucken. Mit erstickter Stimme sagte er:

„Sie lassen mich nicht rein. Ich bin kein Familienmitglied. Zumindest nach unserem Gesetz!" Gloria nahm ihn in die Arme.

„Ach Jack. Es tut mir so leid. Aber für uns gehörst du zur Familie. Du wirst immer ein Teil davon sein!"
„Ich bring euch jetzt mal nach Hause und fahre aufs Revier. Ich muss ein bisschen arbeiten, sonst werde ich noch verrückt!"

Als er auf dem Revier ankam wurde er direkt von Dolores abgefangen.

„Und? Gibt es was Neues? Wie geht es deinem Herzblatt?"

„Es geht, er ist noch auf der Intensivstation, aber seine Eltern durften vorhin zu ihm hinein."

„Du nicht?" Jack schüttelte den Kopf.

„Ich gehöre nicht zur Familie." Bevor Dolores sich aufregen konnte, steckte der Captain seinen Kopf aus seinem Büro.

„Jack? Was machen Sie denn hier? Kommen Sie gleich mal in mein Büro." und schon verschwand er wieder in dem Glaskasten. Jack tauschte achselzuckend Blicke mit dem Sergeant und kam dann der Aufforderung nach. 
Der Captain saß an seinem Schreibtisch und wühlte sich durch Akten, deutete ihm einen Stuhl und wühlte weiter.

„Jack, Sie kennen das Prozedere, wenn Sie im Dienst ihre Waffe abfeuern und noch dazu einen Verdächtigen erschießen. Ihre Waffe geben Sie bitte gleich bei Dolores vorn ab und füllen das Formular aus und dann will ich, dass sie zu Dr. Hank gehen. Nicht, weil ich glaube, dass sie einen seelischen Knacks bekommen, weil sie die Welt von einem Dreckskerl gereinigt haben, aber die Angelegenheit mit ihrem Partner ist sicher nicht so einfach zu verarbeiten. Bitte, ich kenne die Antworten von Euch alle auswendig. Sie gehen, das ist keine Bitte, sondern ein Befehl. Nehmen Sie sich ein paar Tage Auszeit, bis es ihrem Freund besser geht. Sprechen Sie mit dem Doc über die Situation, lassen Sie sich helfen." Jack wollte gerade etwas erwidern, als aus dem Zimmer von Bellos´ Sekretären ein spitzer Schrei ertönte. Als sie in das kleine Büro kamen, stand die junge Frau kreidebleich an ihrem Tisch und starrte entsetzt auf einen Karton, den sie scheinbar gerade geöffnet hatte. Die Männer näherten sich dem Karton und schauten vorsichtig hinein - und sahen eine Hand. Der Schreck fuhr ihnen gleichermaßen in die Glieder, doch als Jack den silbernen Ring am Finger erkannte, musste er sich übergeben. Weitere Polizisten belagerten das kleine Büro und beäugten neugierig die Szenerie.

„Jack?" fragte Bellos und sah ihn überrascht an.

„Das ist Chris Hand. Darum konnten wir sie nicht finden!!!" Unfähig, seiner Wut anders Ausdruck zu verleihen, schlug er mit der Faust gegen die Wand neben sich - und schlug ein tiefes Loch hinein.

„Wir müssen sie sofort ins Krankenhaus bringen. Vielleicht können die sie wieder annähen."

Jack wusste, dass er verzweifelt klang und dass er sich etwas vormachte, doch er weigerte sich, die Hoffnung auf zu geben. Der Captain nahm das Telefon und wählte eine Nummer.

„Captain Bellos vom CPD. Ich möchte Dr. Middelton sprechen. Sofort." Es dauerte eine Weile, dann sprach er weiter.

„Dr. Middelton, danke dass Sie sich die Zeit nehmen. Es geht um ihren Patienten, Chris Boyd. Wir haben seine Hand gefunden, sie kam heute per Post ins Revier. Nein, in einem normalen Karton, ohne Kühlung. Nein, sie scheint gereinigt worden zu sein. Ok, wir bringen sie vorbei. Danke."
Er legte auf und ließ sich dann einen Beweismittelbeutel holen. Dann nahm er die abgetrennte Hand aus dem Karton und steckte sie in den Beutel.

„Bringen Sie sie schnellstens ins Krankenhaus. Und nehmen Sie mir bloß den Detective mit. Der Karton geht in die Forensik."
Mit Sirene und Beleuchtung fuhr der Streifenwagen zum Krankenhaus. Eilig brachte Jack den Beweisbeutel mit der Hand in die Notaufnahme.

„Dr. Middelton erwartet mich." rief er einer Schwester entgegen zeigte ihr den Beutel mit der Hand. Sie drehte sich um und führte ihn im Laufschritt weiter zu Dr. Middelton, der bereits im Op-bereich wartete.

„Wir haben den Patienten bereits vorbereitet. Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät." Er nahm Jack den Beutel ab und verschwand hinter der Tür, die Unbefugten den Zutritt verweigerte. Wieder einmal musste er abwarten, wieder einmal saß er im Flur und starrte untätig auf die Wand. Doch schon nach kurzer Zeit ging die Tür wieder auf und Dr. Middelton kam mit ernstem Gesicht heraus. Jack sprang auf und sah ihn fragend an, doch der Doc schüttelte den Kopf.

„Es tut mir leid, Detective. Die Hand ist unbrauchbar. Das Gewebe hat bereits begonnen sich zu zersetzen." Jacks Beine gaben unter ihm nach und er sackte auf den Stuhl zurück. Wieder eine schlechte Nachricht. Die beiden Streifencops waren ihm gefolgt und standen nun betreten neben ihm. Jack vergrub das Gesicht in seinen Händen und hielt die Luft an, um seine Wut und Verzweiflung nicht heraus zu brüllen. Plötzlich spürte er die Hand des Arztes auf seiner Schulter. „Hören Sie, Mr Boyd ist derzeit im Vorbereitungsraum. In sein Zimmer darf ich sie nicht hinein lassen, aber hier habe ich das Sagen. Wenn Sie möchten, können Sie ihn ein paar Minuten sehen." Dankbar folgte Jack dem Arzt und bekam von einer Schwester einen sterilen Kittel, Handschuhe und Mundschutz. Dann wurde er in den Vorbereitungsraum hineingeführt. Chris lag auf einem Transportbett, an ein Beatmungsgerät angeschlossen.
„Kommen Sie hier herüber." sagte die Schwester und winkte ihn auf die linke Seite. „Er ist gerade aufgewacht." Jack trat an seine Seite heran und legte ihm die Hand sanft auf die Schulter. Chris drehte schwach den Kopf in seine Richtung. In seinen Augen konnte er sehen, dass er ihn erkannte.
„Hey, Baby." flüsterte er und streichelte er ihm liebevoll über die Stirn. Chris versuchte zu sprechen. „Nein, scht. Nicht sprechen, Liebling. Du hast einen Atemschlauch im Mund. Es wird alles wieder gut, versprochen. Du musst dich nur gut ausruhen." Chris’ Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich weiß, Baby, aber es liegt alles hinter dir. Es ist vorbei. Das Schwein ist tot. Alles wird wieder gut." Er küsste Chris zärtlich auf die Stirn und drückte seine Hand. Dann sah er, dass Chris wieder eingeschlafen war.

„Schlaf gut, mein Liebling. Werde schnell wieder gesund!"
Als er die sterile Kleidung wieder ablegte, kam Dr. Middelton wieder zu ihm.

„Detective, ich hoffe, sie nehmen es nicht persönlich, was heute Mittag passiert ist. Glauben Sie mir, es ist mir nicht so leicht gefallen, wie es vielleicht erschien. Wenn es nach mir ginge, dürften Sie jederzeit zu ihrem Partner. Aber der Krankenhausvorstand ist leider sehr konservativ. "
Jack nickte:

„Ich weiß es zu schätzen, was Sie für uns heute getan haben. Wirklich. Ihn sehen zu können und kurz mit ihm sprechen zu dürfen, hat mir eine unglaubliche Last genommen. Danke!"

Dr. Middelton nickte nochmals und wollte sich gerade abwenden, als ihm etwas einfiel und er in seiner Tasche kramte. Dann sah er Jack an und hielt ihm die ausgestreckte Hand hin. Auf seiner Handfläche lag ein silbernes Objekt - Chris’ Ring.
„Ich glaube, den möchten Sie gern haben?" Jack nahm das Gegenstück zu seinem eigenen Ring und schloss ganz fest die Hand. Sein Herz verkrampfte sich und er musste stark gegen aufwallende Gefühle kämpfen. Dr. Middelton verstand ihn wortlos und klopfte ihm zum Abschied auf die Schulter. 

 

Impressum

Bildmaterialien: Brianna Keanny
Tag der Veröffentlichung: 17.09.2015

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