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Prolog


Zwei Jahre zuvor

Tränen rinnen über meine Wangen. Er baut sich vor mir auf, die Hände zu Fäusten geballt. Seine Augen vor Wut verengt und das alles nur weil ich mich heute endlich getraut habe den Schlussstrich zu ziehen.
Ich kann nicht mehr, bin leer und ausgebrannt, ertrage die Last nicht mehr.
"Riley - bitte lass mich gehen... " Meine Stimme zittert und ich wage kaum ihn anzusehen.
Immer näher kommt er mir, drängt mich näher an die Wand und ich beginne unkontrolliert zu zittern. Angst durchflutet mich, Angst vor dem was wahrscheinlich gleich passieren wird. Denn längst ist es zu einer Gewohnheit geworden und ich habe es zu lange mitgemacht.
Endlich kann ich jedoch die Wahrheit erkennen, dank Renee. Sie steht mir zur Seite und ich weiß nicht wie oft sie mich schon zusammenflicken musste im letzten halben Jahr. Wie habe ich so eine Freundin bloß verdient, die jeden Weg durch Dick und Dünn mit mir geht. Egal wie viel wir schon erlebt haben, egal wie viel wir schon ausgefressen haben. Die letzten Wochen und Monate haben unsere Bindung stark belaste, doch selbst jetzt stärkt sie mir den Rücken.
J
äh werde ich aus meinen Gedanken gerissen als ich einen brennenden Schmerz an meiner Wange spüre und meine Augen sich weiten. "Glaubst du wirklich ich lasse dich einfach so gehen? Du gehörst mir und tust gefälligst was ich dir sage! Nur weil deine beschissene Freundin dir das einreden will.", brüllt er mir ins Gesicht und ich zucke zusammen. "Vergiss. Es. Riley!"
Nicht unterkriegen lassen, rede ich mir immer wieder selber zu und hebe das Kinn an, schaue ihn so selbstsicher an wie möglich Sofort bemerkt er die Veränderung in meinem verhalten, sieht dass ich diesmal nicht klein beigeben werde und seine Augen, die ich einst so bewundert habe, verdunkeln sich vor Wut immer mehr. Das ist etwas, was er noch nie leiden konnte, wenn man ihm widerspricht. Soll er sich doch ein Hündchen dressieren welches springt sobald er den Befehl gibt.


Der nächste Schlag trifft mich weniger unerwartet, doch er ist so stark, dass mein Kopf davon zur Seite fliegt und mir ein leiser Schmerzenslaut entweicht. Meine Wange pocht und ich spüre wie sich der Geschmack von Blut in meinem Mund ausbreitet, durch die Wucht des Schlages habe ich mir wohl in die Wange gebissen.
Noch bevor ich mich wieder gefangen habe greift er schon fest in meine Haare und will mich mit sich mitschleifen. "Nein! Fass mich nicht an!", keuche ich erstickt, beiße mir auf meine Unterlippe und versuche mich seiner Kraft entgegenzusetzen, aber ich habe keine Chance.
Lass mich los du verdammtes Arschloch!", rufe ich aus und lege meine Hände an seine Arme, versuche mich von ihm zu befreien. Woher ich die plötzliche Entschlossenheit nehme weiß ich nicht, doch mir wird bewusst, dass ich hier raus muss, sonst würde das nicht so glimpflich enden wie all die anderen Male. Nun ja, wenn man blaue Flecken und aufgeplatzte Lippen als das bezeichnen kann.
Das wirst du bereuen, dich mir zu widersetzen." Grob werde ich herumgerissen und sehe mich wieder Auge in Auge mit ihm, so nah, dass sich unsere Nasenspitzen berühren. Sein Atem schlägt mir ins Gesicht und ich rieche seine leichte Fahne. Wie so oft hat er sich wohl seine tägliche Ration Rum gegönnt. Ich hasse dieses Gesöff, jetzt noch mehr.

Was ist bloß aus dem Mann geworden den ich kennengelernte? Den ich geliebt hatte. Doch dieses Gefühl herrscht längst nicht mehr in mir. Angst war das Einzige was mich noch ausfüllt.
Wahrscheinlich war er schon immer so und hat das hinter einer gut aufgebauten Fassade verborgen. Der Teufel, der sich hinter der perfekten Maske des anständigen Schwiegersohns aller Mütter versteckt. 
Das düstere Geheimnis welches er in sich trägt zeigt er nur wenn niemand dabei ist. Über all die Wochen und Monate hat er mich langsam immer mehr in den dunklen Abgrund getrieben. Ein Abgrund aus dem ich beinahe nicht mehr aus eigener Kraft herauskomme.
Ohne Vorwarnung löst sich der Griff in meinen Haaren und ich spüre seine Hände wie sie sich um meinen Hals schlingen, immer fester, wie Schraubzwingen. Nach Luft japsend suche ich seinen Blick erneut und zucke zusammen bei der Verachtung die mir entgegen strahlt.
Hat er mich jemals geliebt?
Meine Luft wird immer knapper und ich merke wie mir langsam die Sinne schwinden, der Druck in meinem Kopf nimmt zu und mein Gesicht läuft wahrscheinlich schon rot an, doch er denkt


R...iley..." Mein Flüstern ist nur noch ein Hauch und mit letzter Kraft versuche ich seine Hände zu lösen. Sein eiserner Griff ist unerbittlich und ich sehe meine Chancen jede weitere Sekunde immer mehr schwinden.
Als ich schon dabei bin in die Ohnmacht abzudriften werde ich zur Seite geschleudert und lande mit hartem Aufprall auf dem Boden. Ich pralle seitlich auf und versuche mich mit den Armen im Reflex abzufangen, schreie aber gequält auf als ich das Knacken im Arm höre, bevor ein Schmerz durch meinen Körper brennt der mir kurz den Atem raubt.
Jetzt bist du da wo zu hingehörst. Zu meinen Füssen." Panisch versuche ich mich aufzurichten doch mein Körper hat jegliche Koordination verloren, mein Kopf fühlt sich an als wäre er in Watte gepackt und mir ist schwindlig.
Im nächsten Moment hat er sich zu mir hinunter gebeugt und mir entweicht die Luft keuchend. Er hat mir sein Knie in meine Seite gerammt und ich schließe meine Augen, taste mit meiner Hand nach irgendetwas womit ich mich verteidigen kann. Erneut schlägt er auf mich ein bis ich beinahe reglos am Boden liege. Mein Körper brennt als wäre er eine einzige Wunde.
Sein Gesicht zu einer Fratze verzogen blickt er zu mir herunter, als ich etwas Schweres zu greifen bekomme. Ich weiß nicht was es ist, doch in diesem Augenblick ist es mir egal. Mit der letzten Kraft die ich aufbringen kann hebe ich meine Hand und schlage ihm dieses Ding auf den Kopf.
Kein Laut ist zu hören, nur sein überraschter Gesichtsausdruck, bevor er neben mir auf dem Boden zusammensackt, wird mir auf ewig im Gedächtnis bleiben. Stöhnend ziehe ich mich auf die Knie. Ich muss hier raus, bevor er wieder zu sich kommt.
Mein Überlebenswille ist geweckt und ich krieche zu einem Stuhl an welchem ich mich mühsam hochziehe um dann mit unsicheren Schritten zur Tür zu wanken. Ein letztes Mal wende ich meinen Blick zu ihm und schleppe mich dann aus dem Haus.

Mit zitternden Händen krame ich mein Handy aus meiner Hosentasche und stelle fest, dass auch das einiges abbekommen hat. Wahrscheinlich durch meinen Sturz, doch es funktioniert noch. Ich wähle die einzige Nummer die ich in dieser Situation würde anrufen können. "Nay, was ist passiert, wo bist du... sag jetzt nicht bei Riley." Ein Schluchzen unterdrückend humple ich zum nächsten Grundstück uns lasse mich an einer Wand herabsinken. "Ree, hilf mir..." - "Rühr dich nicht von der Stelle, ich bin gleich da." Schon hat sie das Telefonat beendet und ich schließe meine Augen.
Glücklicherweise weiß sie wo Riley wohnt und knapp zehn Minuten später, die sich angefühlt haben wie Stunden, höre ich ein Auto näherkommen. Das Haus liegt nicht weit entfernt vom Campus. Eine Autotür schlägt zu "Nay wo bist du?", höre ich sie da auch schon leise rufen und ich ziehe mich mühsam auf die Beine. "Hier...", keuche ich vor Schmerz ganz heiser."
Geschockt reißt sie ihre Augen auf und schlägt sich ihre Hände vor den Mund. Ich muss wirklich schrecklich aussehen, wenn sie so reagiert. Mit letzter Kraft gehe ich auf ihr Auto zu und lasse mich mit schmerzverzerrtem Gesicht in den Sitz fallen.
Ich fahre dich ins Krankenhaus..." - "Nein...", erwidere ich panisch und blicke sie flehend an. "Doch Nay. Du siehst verdammt nochmal aus wie ein Preisboxer nach einem verlorenen Kampf!", schnauft sie verbissen und richtet ihren Blick stur auf die Straße.
Jedes Schlagloch, jede Kurve nehme ich wahr und merke langsam wie mich meine Kraft verlässt. Mein Kopf sinkt mit einem dumpfen Laut gegen das Fenster und das letzte was ich wahrnehme ist Renées Fluchen neben mir als sie aufs Gas tritt, dann empfängt mich diese wohlige Schwärze die jeglichen Schmerz von mir wegspült. Ich fühle mich so leicht.

 

♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦ ♦

Ein lästiges Piepen weckt mich und im ersten Moment frage ich mich seit wann ich einen Wecker habe, doch sobald ich den Arm hebe stocke ich. Warum ist er so schwer und so steif?
Ich versuche meine Augen zu öffnen, doch es kommt mir vor als läge eine bleierne Schwere darauf welche mich daran hindert. "Nay du bist wach! Oh Gott sei Dank.!" Renee.
Schwerfällig befeuchte ich meine trockenen Lippen welche sich so spröde anfühlen als hätte man mir mit Schleifpapier darüber gerieben. "Was...", krächze ich heiser und rümpfe meine Nase. "Wasser...", presse ich schliesslich hervor und höre das Rascheln neben mir. Sekunden später wird mir etwas an die Lippen gehalten. Wahrscheinlich eine Schnabeltasse.
Gierig trinke ich die kühle Flüssigkeit die wohltuend meine ausgedörrte Kehle hinunter rinnt. Nach nur wenigen Schlucken habe ich jedoch genug und endlich gelingt es mir meine Augen zu öffnen, nur um in das vor Sorge gezeichnete Gesicht meiner besten Freundin und engsten Vertrauten.
Eine stumme Träne rinnt ihre Wange hinunter. Sie wendet sich ab und ich sehe, dass kleine Schluchzer ihren Körper schütteln. Stirnrunzelnd schaue ich mich um. Alles so weiß, steril und kalt. Ich bin tatsächlich in einem Krankenhaus.
"
Wie lange...", stoße ich tief Luft holend hervor, keuche aber sogleich schmerzerfüllt auf. Ein siedend heißer Schmerz breitet sich in meiner Seite aus. "Wie lange war ich weg Ree?!" Meine Stimme klingt panisch, so panisch wie ich mich fühle.
Sie stößt ein tiefes Seufzen aus und wendet sich mir wieder zu. "Drei Tage Nay. Dieser Mistkerl hat dich so zugerichtet, dass du operiert werden musstest.", knurrt sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
Mein Herz beginnt beinahe schmerzhaft in meiner Brust zu schlagen als meine Erinnerung wie eine Welle über mir zusammenschlagen. Vollkommen aufgewühlt reiße ich meine Decke zur Seite und schiebe mit der Hand die ich noch bewegen kann das Nachthemd an der Seite hoch.
Ein Schlauch mit roter Flüssigkeit ist zu sehen, Blut - mein Blut. Wenn ich diesen Schlauch schon im Körper habe um Flüssigkeit abzuleiten, will ich nicht wissen wie der Rest von mir aussieht. Keuchend hebe ich meinen Blick wieder zu Renee, die verbittert ihre Lippen aufeinanderpresst. Sie macht sich Vorwürfe, dass sie nicht da war um mich zu schützen.
Meine kleine Löwin. Immer macht sie sich Sorgen um mich.

 
Als ich mich aufrichten will hält sie mich auf und setzt sich sofort an meine Seite auf das Bett, drückt mich vorsichtig aber bestimmt an der Schulter zurück ins Kissen und schüttelt ihren Kopf. Ihre Berührung erscheint mir wie Säure welche sich in meine Haut zu brennen droht, bereitet mir beinahe körperliche Schmerzen. Meine Kehle wird eng als Panik in mir hochsteigt und ich zucke unmerklich zusammen, doch sie ist so eine gute Beobachterin und hat es natürlich gemerkt.
Schnell löst sie ihre Hand wieder von meiner Schulter und der Druck der sich in mir begonnen hatte aufzubauen flaut wieder ab.
Erschrocken wende ich meinen Blick ab und presse meine Hand zu einer Faust. Ich ertrage es noch nicht einmal, wenn sie mich berührt. Meine Kehle wird immer enger als sich ein Kloß zu bilden beginnt und ich hole tief Luft. Wimmernd nehme ich wahr wie heisse Tränen über meine Wangen laufen und mein Atem immer unregelmäßiger wird.
Erneut das Piepen neben mir, hektisch und schnell. So kommt es dass es keine Minute dauert und eine Schwester ins Zimmer stürmt die mich besorgt mustert. "Versuchen Sie sich zu beruhigen Miss Desmond, ein Arzt wird sofort kommen."
Tatsächlich kommt nur wenige Minuten später ein älterer Herr ins Zimmer, der sich als Dr. Zacharias vorstellt. Er erklärt mir, dass ich wohl noch einige Tage zur Beobachtung bleiben muss. Meine Milz musste mir entfernt werden, ich habe mehrere geprellte Rippen und einen gebrochenen Arm. Von der Gehirnerschütterung und der geplatzten Lippe die genäht werden musste ganz abzusehen.
Ebenso wird mir erklärt, dass gegen Riley Anzeige erstattet wurde, er aber wie vom Erdboden verschluckt ist und mein Blick schießt zu Renee, die mich entschlossen mustert. Ich wusste, dass sie diesen Schritt gehen würde. Sie hat es mir angedroht und jetzt da mir die Schwere meiner Verletzungen bewusst wird kann ich es nur zu gut nachvollziehen.
Es wird ein schwerer Weg vor mir liegen, damit ich das alles verarbeiten kann. Vergessen werde ich nie, aber lernen damit zu leben. Ich muss. Für mich - für Renee - für meine Familie.

Impressum

Texte: Alexis Rae
Tag der Veröffentlichung: 02.01.2018

Alle Rechte vorbehalten

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