Cover

Glückshormone



Vor der Frühschicht begrabscht Gerd noch schnell seine Tine.
Isolde wünscht sich ein Kind und kauft, ungeschwängert einen Kinderwagen.
Unserem Opa sabbert es aus dem Mundwinkel,
weil Oma gekonnt jugendlich mit ihrem Gesäß wackelt.
Rudi ist schwul hält gerade Brautschau.
Unser Kater sitzt maunzend auf dem Motorrad
und hofft Nachbars Muschi zu beeindrucken.
Muschi aber versteckt sich liebäugelnd. hinter dem erstem Grün der Zweige.
In den Baumkronen ringsherum zwitschert es fröhlich,
die alljährlichen Vogelhochzeiten werden verkündet.
Mein Lothar schafft den Winter aus verdörrten Zweigen.
Nun ist Platz für neue Triebe.

Und Ich?
Ich schaue in den klaren Frühlingshimmel
und träume von Blumenwiesen und Schmetterlingen.

Es kribbelt in meinem Bauch.

neue Version vom 24.01.11


Frühlingsgöttin

Der Frühling ist eine Circe
Die sich ihre Korsage aufknöpft
Und alle wortlos einlädt sich
an ihrer Üppigkeit zu laben.

Niemand vermag sich satt zu sehen

©Heike. Keuper-g // Feb. O7

überarbeitet 2011




Das erste Eis


Es war ein Sonntag, der mich mit seinem milden Wetter zu einem Ausflug nach Limburg an der Lahn animierte. Ich parkte mein Auto direkt auf dem Lahn - Parkplatz, in unmittelbarer Nähe der Altstadt.
Gemütlich schlenderte ich, Schaufenster für Schaufenster auf den belebten Marktplatz zu. Munter plappernde Menschen und Eis schleckende Kindermäuler weckten in mir das „Gute Laune Gen“.
So lockte die Frühlingssonne auch mich auf die Terrasse des Eis – Cafe ’s in Limburg.
Ich erhaschte den einzig freien Platz außen an der Brüstung auf der Aussichtsplattform über dem Haupteingang.
Die Bedienung hatte viel zutun, so nutzte ich die nichtsnutzige Zeit, mit dem Betrachten der vorbei stolzierenden Menschen, manche trugen ihre Pelze spazieren. Andere zeigten ihren Chic von Boss, Job, Coco Chanel, Karl Lagerfeld… oder…oder.
Limburg war schon immer ein liebreizendes, historisches Städtchen das auch von der so genannten High Society und anderen Spezies sehr begehrt wurde.
Neugierig und manchmal auch ein bisschen spöttisch verfolgte ich sie mit meinen Blicken, bis meine all meine Sinne an einer auffallend unauffälligen Person hängen blieb.
Es war ein alter Mann der vor mir stand, klein, gebeugt, gebrechlich.
Bekleidet war er mit einer grünen Strickjacke, darunter trug er einen lila - bunten Pullover. Seine Krummen Beine steckten in einer dunkelblauen, leicht verbeulte, abgetragenen Hose.
Ein dunkler Filzhut bedeckte sein spärlich wirkendes Haar.
Der alte Mann stand nahezu unbeweglich auf seinen Gehstock gestützt und wartete, ... und wartete... und wartete, während ich meinen Kaffee trank und sein seltsames Herumstehen beobachtete.

Warum ging er nicht weiter? Worauf wartete der Alte?
War er verwirrt oder hatte er sich verirrt? Wusste er wirklich nicht was er wollte?
Er aber hielt seinen Blick unbeirrt auf die Türe gebannt, die am Fuß der Treppe weit offen stand.
Plötzlich erhellte sich sein Gesicht. Es wirkte wie von Sternen bestrahlt.
Das Glück stieg behutsamen Schrittes die Treppe empor. Eis löffelnd
steuerte „Sie“ auf ihn zu.

„Willst du dich nicht setzen, Anna?“
„ Nein, Frieder das haben sie, glaube ich, beim Eis im Pappbecher nicht so gern.“
Er reichte ihr seinen Arm und sie gingen gemeinsam ihres Weges.
Ihr kleiner Dialog klang wie eine Melodie.

Beide schenkten mir von ihrem Zauber.

Gesichter gezeichnet im Herbst des Lebens, doch die Augen strahlten im Frühling der Liebe.

Überarbeitete neue Version vom 22.1.2011


Frühlingstraum und andere Endlichkeiten

Es war ein herrlicher Frühlingstag. Petrus schien mir mal wieder hold gestimmt zu sein.
Ich stand auf dem Marktplatz, genoss diese stimulierenden Sonnenstrahlen. Überall Frühlingsduft und natürlich auch die vielfältigen Düfte, die ein Marktplatz sonst noch verbreitet.
Ich hatte mir einen von diesen rotbackigen Äpfeln gekauft. Schon lief mir das Wasser im Munde zusammen, beseelt von dem Wunsch, kräftig hinein zu beißen. Essen ist eine meiner Leidenschaften. Mir klingen Worte im Ohr wie: „Essen ist die Erotik des Alters“, sagte Herr Doktor einmal zu mir. “Ph, dachte ich“, so alt kann ich nicht werden, das ich Erotik durch Essen..., nein wirklich nicht“.
Gerade setzte ich zu einem herzhaften Biss in diese genussvolle Frucht an, als du mir direkt in mein Ohr hüpftest... durch Mark und Bein fuhrst, in meiner Magengegend für Turbulenzen sorgtest und ich ein wenig blass, zitternd innehielt und dabei mir das abgebissene Apfelstück fast im Hals stecken blieb.
Eine klangvolle Stimme, eine Stimme, die mich sofort mehr begehren lehrte als es ein Apfel je tun könnte.
Ich rang nach Atem, versuchte mich zu beruhigen. “Sollte ich es wagen? Sollte ich mich wirklich umdrehen?“, fragte ich mich. Ganz langsam, noch ein wenig verwirrt von.., oh, ich muss aufschauen..., du bist groß, ein nicht auffälliger Typ, aber dein Gesicht, eine seltsame Mischung aus weichen Zügen, hellwachen Augen und eine aristokratischer Nase. Dazu ein sinnlicher Mund gezeichnet durch aufgeworfene, wohlgeformte Lippen, ein Kussmund.
Es war Frühling.
„Diesen Mund will ich küssen“, dachte ich. Ging entschlossen auf dich zu, du bemerktest mich nicht. Es sollte das altbekannte Spiel weiblicher Raffinesse zum Einsatz kommen. Nur diesmal, war es nicht das berühmte Taschentuch, sondern ich lies den Apfel vor deine Füße fallen, Erstaunt, aber lächelnd schautest du erst mich, dann den Apfel an. Nahezu gleichzeitig bückten wir uns danach, du aber warst schneller und nahmst den Apfel auf. Mit spontaner Geste strecktest du mir dieses erotisierende Obststück entgegen, berührtest dabei mit einem Stoß meine Schulter und plumps fiel ich rückwärts auf mein Gesäß. Großes Verdutzen, “Entschuldigung“ stammelten wir, wieder fast synchron. Tief Luft einsaugend brachen wir beide in schallendes Gelächter aus. Ich stand auf, war völlig schmutzig! Du lachtest: “War meine Schuld“. Aber Ich fand, es gab nichts zu entschuldigen. Ganz im Gegenteil. Frech grinsend sagte ich: “Das kostet Sie eine Tasse Kaffee, dort drüben in der kleinen Cafèbar." Mit deiner lockeren offenen Art antwortetest du „Kein Problem“, und schautest mir lächelnd tief in die Augen. Welch ein Wunder, all das was ich mir wünschte, geschah, es lief wie am Schnürchen.
Wir erzählten und flirteten. Ich schmolz weiter dahin, lauschte dem Timbre` deiner Stimme, stellte mir dein Liebesgeständnis vor, also welche Worte du mir ins Ohr flüstern würdest. Heiße Blitze zuckten durch meinen Kopf, meinen Bauch, bis hinab zu meinen Füßen.
Die Kirchglocken schlugen, es war Freitagnachmittag, und ich dachte an die vielen Hochzeitspaare, die sich nun ihr Jawort gaben.
Du schautest auf die Uhr.
“Oh je, so ein Mist, ich muss die Kinder bei der Oma abholen. Hab` s meiner Frau fest versprochen."
Ruckzuck, warfst du ein paar Euro auf den Tisch.
Und... weg war er... mein Frühlingstraum, samt Kussmund.

©Heike Keuper-g / 2003


Schenk mir dein Glück

Ich suchte das pralle Leben,
und hatte es eilig, und auf die Welt zu kommen.
Mutter gebar mich stehend in einen Nachtopf.
Gott sei Dank war ich so mickrig, dass ich hinein passte.
Ich schrie aus vollem Halse.
Sie stopfte ihn mir mit einer Ladung Haferschleim.
Die abstehenden Ohren klebten sie mit Pflaster an meinen Kopf.
Mein verfilztes Haar wurde mit Vaters Rasierapparat geschoren.
Mit zehn Monaten konnte ich laufen, man fixierte mich auf einem Stuhl.
Ich hatte im Teich einen Frosch gefangen, als ich ihn Mutter zeigen wollte hüpfte er unter den Küchenschrank. Auch ich hüpfte dorthin und blieb mit dem Kopf drunter hängen.
Als ich fünf Jahre war, wollte ich fliegen, so wie die Vögel, hoch am Himmel, und brach mir dabei die Flügel, ... beide Arme in Gips!
Vor der Einschulung begab ich mich mit dem Kettcar auf eine Reise zum Meer, allein, an der ersten Kreuzung war sie zu ende.
Auf der Koppel schaute ich dem Pferd unter seinen langen Schwanz, es schiss mir auf den Kopf.
Jener Wissensdrang endete für mich regelmäßig bei einer Tracht Prügel.
Mutter trocknete mir die Tränen mit einem großen Stück Käse.
Meine erste Liebe war Uli, vierzig Jahre, mongoloid*
Der Sonntagsbraten war für die Männer bestimmt.
Vom ersten Taschengeld kaufte ich ein Pfund Schweinebraten,
für mich allein ... ich musste ihn teilen.
Beim Sonntagsausflug wurde der VW von meinen Brüdern besetzt.
Ich blieb daheim mit einem Stück Schokolade.
Mutter hatte nie so viele Kinder gewollt, ...ich war überflüssig.
Ich wollte mich aufhängen, ... das Seil riss.
In der Schule blieb ich zweimal sitzen.
Die Brüder sagten, ich sei zu doof fürs Psychologie-Studium.
Vater fand für mich einen Job als Lagerarbeiterin.
Mein Trost: die Kantine nebenan, und der Koch Abdullah.
Er kochte für mich. Sein Essen schmeckte fürchterlich.
Ich habe keine tolle Figur. Für mein Gewicht bin ich zu klein.
Mutter sagte, dafür könne ich ja nichts.
Abdullah störte das beim Sex nicht, ich war sowieso schwanger.
Zur Hochzeit kaufte Mutter mir „Hohe - Hacken – Schuhe“,
ich sollte Abdullah wenigstens bis zur Schulter reichen.
Mein Gesicht bekam einen Schleier,
damit wäre sogar ich eine schöne Braut, meinte Mutter.
Danach hielt ich mir Vaters Pistole an den Kopf,
er hatte Platzpatronen drin.
Als ich endlich mein Kind gebar, war es blöde.
Auch ich war zu blöde, es in Windeln zu packen,
es fiel mir vom Tisch und starb.
Gestern sprang ich in sein offenes Grab.
Es war mir nicht vergönnt, mit ihm zu sterben.
Ich verstauchte mir den Knöchel.
Humpelnd bediente ich die Beerdigungsgäste.
Sie hatten mächtig Spaß.


Heute früh habe ich die Schlaftabletten mit Wodka ausgekotzt.
Nun, mein Kind,
machst du die Reise in den Himmel, ...allein.
Dir ist viel erspart geblieben.
Du hast Glück gehabt.*

(Downsyndrom)

23.04.04hkeuper

Impressum

Texte: ©Heike Keuper-g
Tag der Veröffentlichung: 25.01.2011

Alle Rechte vorbehalten

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