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SUPERSTAR HORROR

 

Ich schickte Sasha eine Nachricht, dass ich nächste Woche Zeit habe - eventuell. Allerdings kam keine Reaktion, bis ich feststellte, dass die Nachricht nicht durchgegangen ist. Stattdessen veränderte sich etwas in meinem Bewusstsein. Es war wie ein Filmschnitt. Der Ort des Schauspiels änderte sich. War ich vorher in einem Gebäude und hielt mein Handy in der linken Hand. So war ich nun draußen, in der Kälte. Ich hatte eine glamouröse Robe an und war in Scheinwerferlicht getauft. Paparazzi hielten ihre Kameras auf mich. Natürlich - denn ich war der Star.  Mein Handy hatte ich nach wie vor in der linken Hand. Um mich herum waren eine Menge Leute, ebenfalls elegant gekleidet, ebenfalls berühmt. Einige waren wie in Trance gefroren zu einer Statue, andere hatten bereits ihr Bewusstsein wiedererlangt, sahen sich jedoch um und versuchten sich zu orientieren. Man sah ihnen etwas an, was ich nicht erklären konnte. Die Panik stand ihnen in den Augen, aber sie mussten ihre Fassung bewahren. Immerhin war es ein Live-Event – sie waren in der Öffentlichkeit – in der Hollywood Öffentlichkeit. Mir war immer noch nicht klar, was vor sich ging. Verwirrt blickte ich auf mein Handy. Eine Nachricht blinkte auf. Der User war anonym. Der Name bestand aus Buchstaben und Zahlen - nichtssagend. Ich öffnete die Nachricht und erschrak. Mein ganzer Körper zog sich rasch zusammen. Ich hatte das Gefühl eine eisige Hand würde mich umklammern. Ich zitterte. Die gesamte Nachricht bestand aus Beleidigungen und Drohungen. Sie wollte mich ermorden. Ihre Wut ging in Hysterie über. Es hatte sich jahrzehntelang in ihr aufgestaut und nur brach alles wie ein Damm und ergoss sich über die „Schuldigen“. Ich wusste, dass sie ein Star aus den 90ern war. Eine junge Sängerin mit Engelsstimme, die immer dunkle Kleidung trug – ein süßes Emo Girl, das die ganze Welt liebte. Sie sah auf den Postern immer niedlich und unschuldig aus, nur ihre schwarze Kleidung verlieh ihr etwas Intensives. Ihre wundervolle melodische Stimme konnte nicht nur singen. Sie vertonte alles. Hörbücher, Lern-CDs, geführte Meditationen für Jugendliche und vieles mehr. Dank ihr hatten Teenager Spaß am Lernen und Fortbildung gefunden. Sie war sowas wie eine Heldin und ihre Stimme ihre mächtigste Waffe. Leider war die Wahrheit komplett anders, aber das fand ich erst am Ende raus, als ich sie konfrontieren wollte. Die eigentliche Stimme hinter all den Liedern, Meditations- und Lern-CDs gehörte eim grässlichen, furchterregenden Monster. Was auch immer mit ihren Genen nicht stimmte, hatte sie grotesk und brutal entstellt. Sie hatte keine Augenlider. Ihre Augäpfel lagen frei und wurden nur von den Muskeln gehalten. Man konnte ihr in die Augenhöhlen sehen, wie in eine Gruft. Ihre Nase war zu kurz geraten, als würde ihr der Knorpel fehlen. Ihre Nasenlöcher waren auf ihr Nasenbein aufgespannt. Aber das furchteinflößendste an ihr war der Mund, der diese wundervolle Stimme beherbergte. Er war ein einziger langer Schlitz in ihrem Gesicht, der von einer bis zur anderen Wange reichte. Bereits im Kindesalter wurde sie von ihrem Vater in den Keller gesperrt, damit die Welt sie niemals zu Gesicht bekommen konnte. Nur ihre Stimme durfte ihr Gefängnis verlassen und so engagierte er ein Model, was der Stimme einen Körper lieh. Die richtige Sängerin jedoch war todunglücklich. Sie flehte ihren Vater an, ihr Selbstmord zu gewähren, doch er verweigerte, da die Karriere gut lief. Sie klammerte sich also an ihren Gesangserfolg, doch als die 90er vorbei waren und eine neue Welle an Künstlern und Interpreten (inkl. mir) kamen, verfiel sie dem Wahnsinn, denn nun durfte auch ihre Stimme nicht mehr der Folter entkommen. Aus Hass auf alle, die ihr ihre Karriere "gestohlen" hatten, bedrohte sie nun zahlreiche Sänger.

 

Wir schlossen uns zu einer Gruppe zusammen und gingen zu ihrem Haus. Als wir vor der Tür ihres Gefängnisses standen, starteten wir einen letzten Versuch, uns mit ihr vernünftig zu unterhalten. Doch uns schoss eine Gänsehaut über den Körper, als sie mit uns in einer Dämonenstimme sprach und uns grausam verfluchte. Wir verstanden sofort, dass es nichts mehr zu retten gab, ferner noch, dass die Lage ernster war, als wir bisher angenommen hatten. Wir bewaffneten uns mit Baseballschlägern und Glasflaschen. Dachten wir doch, dass es ausreicht - immerhin waren wir zu zehnt und sie alleine. Als wir vorsichtig ihre Kellertür entsperrten, um sie zu überraschen, sprang sie in Millisekunden schnelle heraus.

Bewaffnet mit einem langen schwertähnlichen Messer, stach auf alle um sie herumstehenden Frauen ein. Ein Mädchen hatte sie wohl erstochen. Aus Panik schoss uns Adrenalin in den Körper. Wir schlugen gewaltsam auf sie ein. Selbst als sie regungslos am Boden lag, zertrümmerte ich ihre Schädeldecke, bis sich eine blutige Gehirnmasse auf dem Boden ausbreitete - nur um sicher zu gehen, dass das Grauen vorbei war. Doch irgendwie blieb das Gefühl. Es war noch da und lag wie ein Schleier über uns. Ich spürte mit meinem ganzen Dasein, dass es nicht vorbei war. Ferner noch - es war erst der Anfang des Horrors.

 

In einem anderen Gebäude gaben die Eltern der Emo Sängerin ein Interview. Vor allem der Vater vergoss eine künstlich herausgepresste Träne, als er erklärte, dass es ein tragischer, furchtbarer Tag war. Es wäre jedoch für alle Beteiligten das Beste, denn es ging seiner Tochter ohnehin schon lange Zeit nicht gut. Als er seine Rede beendete, sprang ich ihn förmlich an. Ich schrie, dass es seine Schuld war. Dass er sie in die Welt gesetzt und dort gelassen hatte, dass er sie aber gleichzeitig in ein ewiges Gefängnis sperrte und sie ausbeutete. Ihr Gesang brachte ihm Millionen ein. Millionen die sie in ihrer Kammer nie gesehen hatte und als sie ihn anflehte, sie von ihrem Leid zu erlösen, tat er es nicht, sondern setzte sie dem Wahnsinn aus und nun mussten andere - inkl. mir - darunter leiden. Ich war wütend. Beinah hysterisch. Am liebsten hätte ich ihm das angetan, was sie durchleiden musste, aber was hätte ich schon tun können.  

 

 

Später mistete ich mit einer Freundin ihr Dachgeschoss aus. In meine Hände fiel eine CD der Emo Sängerin - eins ihrer Hörbuch Lernkurse. Doch als ich die CD berührte, hörte ich ihre Stimme, als wäre sie da - am Leben. Und dann verstand ich alles. Das Grauen kehrte mit einer solchen Wucht zurück, dass es mir die Kehle und meinen gesamten Körper förmlich zerdrückte. Ich konnte nicht mehr atmen und meine Gliedmaßen spannten sich so heftig an, als hätte ich einen Stromschlag erlitten, der mich nicht loslassen wollte. Es durchschüttelte meinen ganzen Körper. Ich wollte es nicht glauben. Das konnte nicht sein! Es DURFTE nicht sein!!! Sie hatte all die Jahre gelitten. Trotz ihres Gesangs, welches ihr Freude bereitete, gab es für sie nichts anderes, wofür es sich zu Leben lohnte. Sie war ein weggesperrtes Monster, was in ewiger Folter lebte. Sie hatte ein Hass auf alle, auf Gott, auf ihr Schicksal. Die negative Energie, die sich vom Tag ihrer Geburt um sie herum anzustauen begann, erreichte zum Beginn ihrer Karriere die Wucht eines Schwarzen Lochs. Jedes Lied, jede Tonaufnahme, ja sogar der Merchandise der ohne ihre Mitwirkung entstand, wie die Fotoshootings für Magazine und Poster, trieften von dieser negativen Energie. Jedes Objekt was ihren Namen trug, beinhaltete ihre Seele, ihr Leid, ihre Folter und Qualen. Und davon gab es Billiarden in der gesamten Welt - denn jeder kannte die hübsche düstere Emo Sängerin mit ihrer Engelsstimme. JEDER hatte Merchandise von ihr. JEDER besaß ein Stück ihrer verdorbenen, verrotteten Seele. Und mit ihrem Tod, setzten wir das Böse für die Ewigkeit frei. Sie war nicht mehr aufzuhalten! Sie hatte das erlangt, was sie immer wollte - Freiheit...

 

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Tag der Veröffentlichung: 24.10.2019

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