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Inhalt

 

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Vorwort der Autorin
Zeiten waren das!
Nacht über der Bucht
Ursels Alp
Internatsschule
Der Brief
Übertretene Grenzen
Traum vom Fliegen
Die Wohnung
Erdenzeit
Kinderspiele
Die Wahl
Peinliches Vergessen
Alla
Glückspilz
Muss erst der Tod euch scheiden?
Gebrochene Rose
Die eingebrockte Suppe
Auf allen Meeren

 

 

 

Vorwort der Autorin

 

Vorwort der Autorin

 

Geschichte schreitet über Jahrzehnte, Jahrhunderte, Epochen, drückt der Welt ihr wechselndes Gesicht auf: Kriege, Diktaturen, Revolutionen, Umbrüche. Davon steht in den Büchern, das sollte man wissen. Doch wohin sie ihren Fuß setzt, dort bleiben Menschen auf der Strecke wie niedergetretene Blüten am Wegrand, von denen niemand Notiz nimmt. Durch den Krieg zerstörte Familien, verstörte Menschen, die sich unter dem Zwang der äußeren Verhältnisse zu Taten hinreißen lassen, die sie ihr ganzen Leben verfolgen werden. Ein auf der Basis gesellschaftlicher Zwänge organisiertes Leben, das ausgehalten werden muss. Zerstörung von Lebensträumen. Folgenschwere Ereignisse, deren Ursachen erst nach fünfzig Jahren zutage treten.

Viele Menschen versuchen sich wieder aufzurichten. Manchen gelingt es, andere bleiben Zeit ihres Lebens beschädigt, für immer gebeugt, oder tragen unsichtbare innere Verletzungen mit sich bis an ihr Grab. Erinnerungen müssen durchlebt und aufgearbeitet werden.

Von den wenig beachteten, doch ergreifenden, nachhaltigen Ereignissen im Leben Einzelner am Wegrand der Weltgeschichte erzählt dieses Buch.

 

Marlies Kühr

Zeiten waren das!


Zeiten waren das!

 

Mit dem Wetter hatten sie wirklich Glück gehabt! Die Sonne strahlte vom azurblauen Himmel, über den der leichte gleichmäßige Höhenwind einzelne Wolkensegel trieb.

Endlich hatten sie sich mal wieder der Lethargie und der häuslichen Umgebung entrissen - das kam selten genug vor - und eine kleine Tour durch den nordwestlichen Thüringer Wald gestartet.

An Hörselberg und Wartburg vorbei, Fotostop auf der Hohen Sonne. Die zarten, hellen Triebspitzen des Grüns dufteten stark und noch ganz frisch. Betäubend! Zum Bleiben verführend. Aber dieser Tag musste genutzt werden! Die Gegend hatte noch so viel Schönes zu bieten.

 

Zum Kleinen und Großen Inselberg! Jetzt hieß es kraxeln! Den Wagen abschließen und wenigstens einmal versuchen, Gipfelnähe zu erreichen.

Vater und Sohn hatten damit keine Probleme. Sie selbst, die Mutter, durchaus.

"Oje, die Puste. Das Herz!" Man war schon längst nicht mehr die Jüngste.

Ihre Mühe wurde reich belohnt! Bis ins Hessische reichte der Blick; südwestlich die Rhön, im Norden der Harz...

"Wenn wir schon in der Nähe sind, sollten wir auf jeden Fall Friedrichroda und Tabarz eine Stippvisite gönnen."

Sie schlenderten durch die träumerischen historischen Kurstädtchen. Gott, wie lange waren sie nicht mehr hier gewesen, mindestens ein Jahrzehnt! Und es sind doch nur ein paar Kilometer.

 

So, genug gesehen. Weiter. Waltershausen, dann Richtung Heimat. Am Fuße des Mittelgebirges, wo ihre Fahrtroute die A4 kreuzt, machten sie einen letzten Stop. Aus diesem Ort stammte die Mutter. Hier war sie aufgewachsen.

Es duftete nach echten Thüringer Rostbratwürsten.

"Möchtet ihr? Oder wollt ihr Hamburger?"

Links befand sich ein großes Fastfood-Restaurant.

Sie rollten rechts auf einen kleinen Parkplatz. Die Rostwürste schmeckten lecker. Sie waren "von hier"!

Während sie aßen und tranken, hatten sie Zeit, die Umgebung ausgiebiger zu betrachten. Wie hatte sich doch hier alles verändert! Und vor dem Horizont, dort am Wald konnte man schon die nächste riesige Woge der Veränderung heranrücken sehn: Bagger, Straßenwalzen, Verladegerät...

Eine neue Fahrbahn befand sich im Bau! Die scheinbar verschlafene Umgebung an der Autobahn wurde aufgeweckt und ist in Bewegung geraten. Für die bislang uninteressante und beinahe bedeutungslose Gegend begann sich eine verkehrstechnische, touristische und auch wirtschaftliche Zukunft abzuzeichnen... .

Schon einmal, vor über sechzig Jahren hatte dieser Landstrich nördlich des Thüringer Waldes für Aufsehen gesorgt. Damals wurde die Autobahn gebaut.

 

Nach der Zeit der ersten allgemeinen Arbeitslosigkeit fanden binnen weniger Monate alle Männer des kleinen Dorfes, das hier so günstig lag, und vieler Orte ringsum Arbeit. Auch zwei Brüder des Großvaters und ein paar Cousins vom Vater waren dabei. Es gab für jeden Mann, vom sechzehnjährigen bis zum fünfundsechzigjährigen, Beschäftigung. Selbst wer nicht gerade mit Hacke und Schaufel am Autobahnbau arbeitete, der hatte in den Fabriken reichlich zu tun. Es wurden Motoren und Fahrzeuge gebaut, die einmal über diese Bahn rollen würden. Deutschland wurde motorisiert und mobilisiert. Deutschland rüstete sich, die Welt zu erobern!

Die Mutter begann, ihre Erinnerungen in Worte zu fassen. Sie erzählte:

"Obwohl hier keine besonders schöne Umgebung ist, war es für uns als Kinder an der Zufahrtstraße unsagbar spannend.

Für die Schule hatten wir immer Heilkräuter zu sammeln. Und die gab's hier an der Böschung der Autobahnzufahrt massenweise. Vor allem Huflattich. Du konntest dich hinsetzen und rund um dich pflücken. Zuerst im Frühjahr die Blüten: ein leuchtend gelbes Meer! Etwas später die Blätter. Im Frühherbst massenhaft Schachtelhalme und andere Kräuter. Alle zu ihrer Zeit.

Hier rechts vor uns, wo die Hallen stehn, da war früher unsre "Große Wiese". Was haben wir Heu und Grummet gewendet! Jahr für Jahr.

Ich ging noch nicht zur Schule, da mussten wir beim Heu- und Getreideeinfahren schon immer nachrechen. Damit verdienten wir uns den Anspruch, heimwärts hoch oben auf der Fuhre liegen zu dürfen. Das war ein Abenteuer!

Und genau hier, wo die Verkaufsstände sind, haben wir mal Maiskolben geerntet. Damals war ich in der neunten Klasse.

Ein Stück weiter westlich, dort wo der Bach unter der Autobahn durchfließt, da war sozusagen unsere "Badeanstalt". Da haben wir im Sommer immer gebadet.

Direkt unter der Autobahn und bis zehn oder zwanzig Meter davor und dahinter war das Bachbett mit großen schweren Platten ausgelegt und die Böschung gemauert und betoniert. Das Wasser war glasklar.

Jugendliche und größere Kinder hatten dort nach und nach aus Bauabfall-Material und Feldsteinen einen richtigen mannshohen Damm gebaut, der das Wasser staute. So entstand in Brückennähe ein Abschnitt für Große und Schwimmer. Bachaufwärts tummelten sich die Nichtschwimmer und im ganz Flachen spielten die Kleinen.

 

Als wir eines Tages wieder zum Baden kamen, schwammen in unserem "Bad" etliche Männer. Sie waren nicht aus dem Ort. Wir kannten sie nicht. Aus dem Dorf hatte noch nie ein Erwachsener im Bach gebadet; jedenfalls nicht am Tage.

Man sah, die Fremden hatten Spaß. Sie tauchten, bespritzten sich, riefen einander etwas zu. Aber wir verstanden es nicht. Dann kletterten einige ein Stück die Böschung hinauf und sprangen ins Wasser. Sie waren nackt! Das hatte es vorher auch noch nicht gegeben.

Bald danach wussten wir, es waren Amerikaner. Wir hatten Frühsommer 1945..".

 

Ohne es zu merken, waren sie beim Erzählen an der kleinen Parkfläche am Fuße der Zufahrt angekommen. Sie setzten sich auf eine der Bänke und hatten wohl im selben Augenblick die gleiche Erinnerung. Der Junge sprach es aus.

"Wisst ihr noch , als wir zu Omas Fünfundsiebzigsten zu Besuch waren? Und du, Mutter, wolltest uns das erstemal zeigen, wo ihr als Kinder immer gespielt habt... Auf dieser Bank haben wir damals gesessen. Ich hab die Westwagen gezählt und die vielen Automarken. Ein Auto ist auf den Parkstreifen gefahren und eine Frau hat mir 'ne Tafel Schokolade geschenkt.

Wir waren kaum fünf, sechs Minuten hier, da fiel mir auf: dort gegenüber beobachten uns welche mit Ferngläsern... ."

Ja. Und ein, zwei Minuten später waren sie dann mit zwei Polizeiwagen vorgefahren. Die hatte man voher nirgendwo stehen sehen.

"Grenzpolizei der Deutschen Demokratischen Republik. Ihre Personalausweise bitte!... Sie wissen, dass Sie sich hier nicht aufhalten dürfen!"- "Nein, wieso?" -

"Das ist verboten. Was machen Sie hier eigentlich?" -

"Wir gehen spazieren"-

"Aus welchem Grund?"

Als ob man zum Spazierengehn eine exakte Begründung brauchte. Trotzdem hatte die Mutter gehorsam Auskunft gegeben, dass sie zu Besuch hier seien, sie selbst aus diesem Dorf stamme und ihrem Sohn einmal die Stätten ihrer Kindheit zeigen wolle.

Während ein Polizist die Personalien gründlich unter die Lupe nahm, telefonierte ein anderer mit einer imaginären Stelle: "Zwei Erwachsene, ein Kind an der Zufahrt...".

Sie bekamen ihre Dokumente zurück.

"Entfernen Sie sich auf schnellstem Wege vom Autobahngelände und versuchen Sie auch nicht, den Bereich an einer anderen Stelle zu betreten!"

Er tippte kurz Richtung Mütze und verschwand im Wagen, der sich jedoch nicht von der Stelle rührte, solange es noch irgendeinen Sichtkontakt gab.

 

Zeiten waren das! Unbewusst schüttelte die Frau mit dem Kopf.

"Auf geht's Männer, heimwärts! Es wird bald Abend!"


                                                                                             

                                                                                                - Ende -

 

 

 

 

 

Nacht über der Bucht

Nacht über der Bucht

 

Die Karte des Großdeutschen Reiches hing unbeachtet an der Wand. Die Wirklichkeit strafte sie lügen. Der Ingenieur Berger fürchtete das Kommende nicht, zumal er dem Vergangenen keine Sympathie entgegengebracht hatte. Doch seine Frau hatte Angst vor dem Ungewissen, Unbekannten. Man flüsterte von Misshandlungen, Verschleppungen, den Eltern entrissenen Kindern. Das Propagandagift wirkte.

Als die ersten Villen den Granaten zum Opfer fielen, zogen Bergers ihre beiden Mädchen warm an, nahmen ein paar notwendige oder wertvolle Sachen und verließen das Haus.

Nur nicht vom Gemäuer lebendig begraben werden! Als sie den Park erreichten, glich dieser bereits einem riesigen Menschenlager. Und da geschah es! Plötzlich ein Pfeifen, Krachen, tausendstimmiger Schrei..., Stille... .

Stunden später, als der Beschuss nachgelassen hatte, waren auch der Ingenieur und die kleine Grit - in eine Wolldecke gehüllt - unter den Hunderten, die im Park beerdigt wurden. Die Frau und Judith schleppten sich nach Hause, stumm, tränenlos. Da standen die gepackten Koffer und Rucksäcke. Irgendwo hätte sich auch noch ein Wagen gefunden. Doch wozu? Jetzt war doch alles gleich.

Dann war es ruhig geworden um die Stadt. Die Russen waren da. Frau Berger nahm es kaum wahr. Sie aß und trank nicht, schwieg. Nur nachts stöhnte oder schrie sie mitunter so entsetzlich, dass Judith erwachte... .

 

Und eines Nachts wateten durch das seichte Küstengewässer zwei Gestalten, eine große und eine kleine. Die Frau war eine mäßig gute Schwimmerin. Ihr Vorhaben würde nicht leicht werden für sie. Doch sie hatte einen Helfer: den hohen Wellengang. Das Mädchen klammerte sich mit beiden Händen an ihre Linke und jammerte: "Ich habe solche Angst."

Endlich hatte das Wasser genügend Tiefe. Die Frau umfasste des Mädchens leichten Körper mit dem linken Arm. Dann schwamm sie - kräftig mit den Beinen arbeitend - mit weit ausholenden ewegungen in die See... .

 

Die Nacht war kalt und feucht. Über dem Wasser lag ein dichter Nebelschleier. Den Posten am Ufer fröstelte. Er schlug den Mantelkragen hoch. Die Ablösung würde gleich kommen.

Da!...Was war das? Irgendwo schrie ein Kind. Es musste ein deutsches Kind sein. Er verstand nicht, was es rief.

Aber die Richtung?...Seltsam, die Schreie kamen doch von der Bucht herüber. Sie klangen immer verzweifelter. Da war ein Kind am Ertrinken!

Ins Wasser! Doch das wäre sinnlos. Er würde es allein nicht finden. Er rannte auf den nächsten Posten zu. Erleichtert stellte er fest, dass die Kameraden auf dem Wasser bereits in die Richtung der Hilferufe ruderten, die der Wind, jämmerlich dünn und in Fetzen zerrissen, herübertrug:

"Mutti-i-i...,Mutt-i-i-i,...will... nicht sterben."

Dann blieb nur noch das grausige Tosen des Windes. Es dauerte Minuten, bis sich Ruderschläge dem Ufer näherten. Im Boot kauerte weinend und frierend eine abgezehrte Mädchengestalt.

Während die Soldaten das Kind in einen warmen Uniformmantel hüllten, entnahmen sie dem Weinen und Schluchzen die Worte:

"Mama...tot...ertrunken."

Wieder tauchten die Ruder ins Wasser. Ein Motorboot kam ihnen zu Hilfe, um den Wettlauf mit dem Tode aufzunehmen.

Als die Wiederbelebungsversuche bei der Frau endlich Erfolg zeigten, brachte man auch sie zum Kommandanten.

"Was sind Sie für eine Mutter? Schämen Sie sich nicht? Sie haben einen Mord begangen! Sie haben kein Recht mehr auf das Kind!"

Er sprach gut Deutsch, langsam, mit russischem Akzent, aber mit Nachdruck.

"Ich kenne Ihre Gründe nicht. - Aber dafür gibt es keine Rechtfertigung!"

Er schlug mit der Faust auf den Tisch. Stille... . Quälendes Schweigen. Dann trat in seine Augen ein seltsam trauriger Glanz.

"Ich hatte ein Töchterchen wie dieses hier. Es ist durch die..." - er zögerte eine Sekunde - "Faschisten umgekommen."

Plötzlich war sein Gesicht wieder hart, wie die Worte :

"Ich werde nicht zulassen, dass Sie das Leben des Kindes noch einmal aufs Spiel setzen! Darum - verstehen Sie - nur deshalb", fügte er hinzu, "wird das Mädchen hier bleiben."

"Dann bleibe ich auch hier!"

"Sie können morgen nach ihr sehn. - Wo wohnen Sie? - Name? Haben Sie einen Beruf?" -

"Ich bin Krankenschwester."

"Ah, gut. Sie werden für uns arbeiten. Melden Sie sich morgen hier im Lazarett. Sechs Uhr. Ich werde alles veranlassen."

 

Judith gewöhnte sich rasch an ihr neues Leben. Schnell fand sie in der fremden Umgebung Freunde. Immer seltener dachte sie an das Vergangene. So gewann das Kind der harten Zeit die besten Seiten ab; nicht nur für sich. Auch auf raue Soldatengesichter zauberte es das Lächeln. Inzwischen durfte die Mutter das Mädchen abends wieder mit nach Hause nehmen.

"Malyschka" - die Kleine - hatte fast überall Zutritt, in allen Räumen, die sonst für Fremde "sapreschtscheny" - verboten - waren. Sie interessierte sich für alles, für Küche und Keller ebenso wie für das Sanitätszimmer. Dort war ein ganz junger Arzt, der ihr sehr gefiel. Er stellte für sie immer das Radio an, brachte ihr deutsche Märchenbücher und Kindergeschichten aus irgendeiner Bibliothek mit und lachte oft mit ihr. Er erzählte ihr von seiner Heimatstadt - jener schönen Stadt im Norden, die Zar Peter der Große das "Tor zur Welt" nannte.

"Deshalb hieß sie früher auch Petersburg", sagte Doktor Sascha.

 

Eines Tages gab er ihr ein Passfoto. "Für dich." Auf der Rückseite stand in Russisch: "Für Judith. Alexander".

Er fragte sie: "Juditschka, wo ist die Mama? Ruf sie, ich muss sie sprechen... ."

Am nächsten Morgen gingen sie nicht ins Lazarett. Die Rolläden und Türen ihres Hauses ließen sie geschlossen. Die Kommandantur und das Lazarett waren verlegt worden.

Später fuhren auch sie von Zuhause weg, Richtung Westen.

 

Ein Jahrzehnt war seit damals vergangen. Eine kleine Stadt im Norden des östlichen deutschen Staates. Die Frau am Tisch konnte sich trotz Anstrengung heute nicht auf ihr Buch konzentrieren.

Wo sie nur so lange blieb? Es wird doch nichts schief gegangen sein? Immer wieder lauschte die Mutter auf die Geräusche im Treppenflur. Endlich!

"Mutti, du darfst mir gratulieren. Ich habe mit "gut" bestanden."

Das Mädchen reichte der Frau das Reifezeugnis. Und ehe diese noch einen Glückwunsch aussprechen konnte, fuhr es fort: "Ich habe noch eine Überraschung. Und wenn du dich mit mir freust, ist das das schönste Geschenk für mich zum Abitur."

Judith machte eine Pause.

"Ich soll zum Studium..."- dann jede Silbe betonend - "nach Le-nin-grad!"*

Mit vielen mütterlichen Ratschlägen hat die Frau ihre Tochter zum Bahnhof begleitet.

Jetzt setzt sich der Zug bedächtig und behutsam in Bewegung und beschleunigt allmählich seine Geschwindigkeit. Es wird schwierig, Schritt zu halten. Da erst, im letzten Moment kommt die Frage: Wirst du ihn suchen?“ Nicken.“ Klar, Mutti, ich werde ihn finden.“

Immer schneller wird die Fahrt. Weit hinten winkt ein heller Fleck. Telegrafenmaste, Brücken, Bäumer, Felder... Das Herz schlägt lauf vor Aufregung, wenn sie an die nächsten Tage denkt, an die erste Begegnung mit Leningrad. Wie würde sie aussehen, die vielgerümhte Stadt, das Venedig des Nordens?

Sie zwingt sich zur Ruhe. Draußen wird es dämmrig. Sie schließt die Augen; in ihren Ohren klingen Rhythmus und Melodie der Räder. Sie versteht deutlich, was sie singen: Du musst ihn finden, musst ihn finden, musst... ihn … finden, musst... !

 

 

                                                 - Ende -

 

 

 

 

 

Internatsschule

 

Internatsschule

 

Der Klassenlehrer legte den Eltern dar, welche Fähigkeiten und Qualitäten in diesem Mädchen steckten. Die Dorfschule sei nun einmal nur vierklassig, aber er wisse sehr gute Internatsschulen... .

 

Das Landschulheim Grumpeda musste wohl mal ein Herrschaftssitz, ein Gut gewesen sein. Gegen die Dorfstraße war es durch eine Natursteinmauer abgegrenzt. Ein Portal - zwei starke Säulen durch einen Bogen miteinander verbunden –  bildete den Zugang zu dem großen, fast quadratischen, gepflasterten Innenhof und gab den Blick frei auf ein ansprechendes kleines Schloss in barockem Stil, zu dessen Eingang eine Freitreppe führte.

An der rechten Seite wurde die Mauer von einem breiten schmiedeeisernen Tor abgelöst, das selbst größten Fahrzeugen bequem Duchlass bot.

Links schloss sich unmittelbar an die Mauer im rechten Winkel ein langgstrecktes, schlichtes zweigeschossiges Haus an. Dahinter, etwas versetzt, ebenfalls zweigeschossig, aber mit gerundetem Grundriss und zwei schlanken Säulen vor dem Eingang,  ein weiteres.

Zwischen diesem Pavillon und dem Haupthaus begann eine Kastanienallee, die an satten, teils mit Obstbäumen bestandenen Wiesen vorbei in die freie Natur führte.

Betrat man das Schloss über die Freitreppe, so gelangte man in das erste Obergeschoss, das von einem großen prunkvollen Saal mit einer hohen Fensterfront, einer Bühne und mit wunderschönen Deckengemälden eingenommen wurde. Er war Speisesaal und Aula in einem. Hier fanden die gemeinschaftlichen Schulveranstaltungen statt. Anweisungen und Informationen, die für alle Kinder von Bedeutung waren, wurden gewöhnlich während der Mittagszeit im Speisesaal mitgeteilt.

 

Gegenüber einer normalen Schule bot Grumpeda einen großen Vorteil: Die Kinder brauchten ihre Schultaschen und Bücher nicht hin und her zu schleppen. Sie konnten alles in ihrem Klassenraum lassen. Wenn die Mittagsruhe vorüber war, begaben sie sich wieder in den Unterrichtsraum, um ihre Hausaufgaben zu erledigen.

Und die Lehrer hier waren Klasse. Sie schienen wirklich alles zu wissen. Es gab keine Frage, die sie einem nicht ausführlich und geduldig erklärt hätten.

Besonderer Wert wurde auf Ordnung und Sauberkeit gelegt. In dieser Hinsicht herrschte hier ein strenges Regime. Außerdem galt: Nur in einem gesunden Körper kann

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: All rights by Marlies Kühr
Bildmaterialien: BookRix/ Alle Rechte vorbehalten
Tag der Veröffentlichung: 24.11.2015
ISBN: 978-3-7396-2468-6

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Den vielen Kleinen, die mehr sind, als sie scheinen.

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