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Du bist, 

was du sein willst, 

wenn du den Mut dazu hast.

1.

An diesem Morgen war das Wetter so klar, dass man weit bis über die Wälder hinaus blicken konnte. Das Haus war bereits erwacht, viele Füße huschten über Flure und Böden, doch es gab ein zartes Paar, das es wagte barfuß auf den Balkon zu treten. Elorie liebte das Gefühl der Kälte auf der Haut, es zeigte ihr, dass sie noch immer lebendig war. Lebendig genug um weiterzukämpfen. Und allem Anschein nach gab es Hoffnung. Wenngleich sie ihrem Onkel bei seinen Worten einen gewissen Wahnsinn zuschreiben musste. Seit Tagen schon gab es das Gerücht von fremden Kriegern an den Grenzen, von Männern des Nordens, geübten Kämpfern und irgendetwas an diesem Gerücht hatte sich in den Kopf des Mannes eingenistet. Vielleicht war er aber auch nur der Gesellschaft seiner Nichte überdrüssig geworden. Dabei bemühte Elorie sich, nicht zur Last zu fallen. Etwas das ihrer Tante aufgefallen war, doch eine Frau hatte in diesen Zeiten nicht viel mitzureden. Genauso wenig wie Elorie selbst. Ihr Blick fuhr hinab, als die ersten Hufschläge erklangen und im nächsten Moment preschten die Pferde bereits aus dem Tor hinaus. Allen voraus der Schimmel ihres Onkels, dahinter sechs weitere Männer, allesamt in dunklen Tönen gehalten. Elorie sah ihnen nach, bis ihre Gestalten von den ersten Bäumen verschluckt wurden. Sie allesamt machten sich auf, um zu sehen ob die Gerüchte stimmten und wenn dem so war, dann gab es sogar ein Angebot für die nordischen Krieger. Nur wenig war von Ihnen bekannt, doch Männer waren immer vom selben Schlag und wenn man den richtigen Preis anbot, dann wären sie Narren nicht einzuschlagen. Natürlich hatte Gustav mit seiner Nichte gesprochen, ihr das Vorhaben erklärt und nichts auf das Entsetzen in ihrem Gesicht gegeben. Sie würde noch sehen, dass nach den zahlreichen Ablehnungen anderer Häuser diese fremden Krieger ihre einzige und letzte Hoffnung darstellten. Doch genug der vergangenen Tage, denn die Reiter begannen sich dem fremden Heer zu nähern. Aus der Ferne hörte Gustav Habing das Stimmgewirr, glaubte auch Schwertklänge zu vernehmen und als endlich die ersten Männer auf die Reiter aufmerksam wurden, gab er seinem Trupp das Zeichen zu warten und stieg selbst als Erster ab. "Ich bin nicht wegen eines Kampfes hier. Ich habe ein Angebot zu unterbreiten." Erklärte der schwarzhaarige, fleischig gebaute Mann möglichst deutlich und hoffte, dass man ihn verstand und somit bereits der erste Weg geebnet wurde. "Wer ist euer Anführer? Ich denke er wird mich anhören wollen..." Um ohne weitere Umschweife zu zeigen, worum es ging, zog der Mann eine Kette aus seinem Mantel. Ein kleines, goldenes Medaillon welches er öffnete um das darin befindliche Bild zu entblößen. Es zeigte das Gesicht einer junge Frau mit rötlichem Haar und heller Haut. Gewiss eine Adelige, soviel stand fest, man hatte noch nie von einer Dienstmagd gehört, die in diesem Kunstwerk festgehalten wurde.

 

Die kleine Entourage ward von den Spähern aus dem Eis bereits einige Meilen vor dem Ziel entdeckt worden, umso überraschender mochte es anmuten, dass man sie unbehelligt zum nordischen Heer hat durchziehen lassen. Es erforderte Mut sich einem Trupp von Nordmannen zu nähern, über die man sich hinter vorgehaltenen Mündern, hörte man nur genau hin, die fürchterlichsten Gräuelgeschichten erzählte. Vieles von dem, was man sich zu berichten imstande war, entsprach der Wahrheit, manches unterlag angstvollen Fantasiegeschichten und wiederum anderes fiel dem Produkt eines Lügengeistes anheim. Fakt aber war und blieb, dass man wohl besser daran tat das Heer, welches da ausschließlich über Kirchen herfiel und über die damit verbundenen Beweggründe zu schweigen pflege, weitestmöglich zu umgehen. Wie also kam der Anführer des herangenahten Trosses nur auf die todessehnende Idee unvermittelt auf die rohen Wilden zuzureiten?! Eine Frage, die sich Kassander Odinson, Prinz des unvergänglichen Reichs, nicht minder denn seine Männer zu stellen wusste, während ihn die Neugierde aus dem größten Zelt der Lagerstadt trieb. Von weitem beobachtete er die Nahenden, insbesondere deren fleischigen Anführer, der es wagte vom Pferd zu steigen, noch bevor er sich tatsächlich in Sicherheit wähnen konnte. Nur wenige verstanden jene Worte, die ihm da in fremder Zunge aus der Kehle drangen. Der Sohn Rolands gehörte nicht dazu, was ihn allerdings nicht daran hinderte der eigens auferlegten Starre zu entsagen und auf den Ort des Geschehens zuzugehen. Seine langen, dunkelbraunen Haare tänzelten im aufziehenden, lauen Sommerwind; der gestählte aber drahtige Körper verborgen unter einer leichten Lederrüstung und das graue Augenmerk stoisch auf den Redenden gerichtet, dem offenbar niemand so richtig antworten wollte. Schwere Schritte, fünfundzwanzig an der Zahl, und der unbekannte Eindringling war erreicht. Erst dann sank Kassanders Blick am Gegenüber hernieder bis hin zu dessen Hand, um sich das Geschmeide näher in Augenschein zu nehmen. Ungefragt nahm er es ihm ab. Wortlos sah er auf die liebliche Schönheit, deren gemalte Momentaufnahme das Herzstück des Medaillons ausmachte. Ein schönes Mädchen, zweifelsohne, doch was genau sollte er damit anfangen?

„Chan eil sinn ag iarraidh tràillean. Innis dha.“ Die dunkle Stimme des Heerführers war an jenen Mann gerichtet, der ihm zur Linken am nächsten stand.

„Keine Sklavinnen“, entkam es besagtem robusten Schwertmann unverzüglich. „Euch wird nichts geschehen, wir sind des Kreuzes wegen hier.“ Einen anderen Grund, als Sklaven gegen Sicherheit, kam den Nordmännern beim Handelsversuch dieses Christen wohl beim besten Willen nicht in den Sinn.

 

Fernab des Geschehens, zurück durch die Wälder, durch die Tore und Treppen hinauf, sah Elorie auf ihre bloßen Füße, die sich mittlerweile taub anfühlten. Dennoch wollte sie den Balkon nicht verlassen, nicht eher bis ihr Onkel und seine Männer zurückkamen. Ob er bereits mit den Fremden redete? Verstanden sie einander? Fragen über Fragen erklommen ihre Gedanken, machten das Gemüt schwer, ebenso wie das eigene Herz. Die Gerüchte waren in abgeschwächter Form an das Ohr der Adeligen gedrungen, doch sie reichten immer noch aus, um Elories Fantasie die wildesten Geschichten zu entlocken. Wer konnte ihr also die Anspannung verübeln?

 

Dieselbe Anspannung verspürte, wieder zurück in den Wäldern, auch ihr Onkel. Als sich etwas im Lager der Fremden tat, streckte der Mann sein Rückgrat ein kleines bisschen mehr durch und die andere Hand legte sich an den breiten Gürtel. Nahe seines Schwertknaufs, genug um die Nerven zu beruhigen, zu wenig um angriffslustig auszusehen. Der Mann, welcher ihm nun entgegentrat, wurde aus dunklen Augen gemustert und sehr wohl begutachtet. Man griff sie nicht an, man machte keine scherzhaften Bemerkungen und als sich der Mund des Fremden öffnete um die wilde Sprache zu sprechen, so klangen die Worte in Gustavs Ohren weniger bedrohlich als angenommen. Wenigstens gab es einen Mann, der übersetzen konnte und als der Schwarzhaarige hörte, dass man seine Nichte nicht als Sklavin wollte, so tauchte endlich ein Schmunzeln in seinem Gesicht auf. Er nahm das Medaillon nicht zurück, sondern schüttelte den Kopf.

"Nein, aus diesem Grund bin ich auch nicht hier." Klärte er auf und wandte sich dabei zu keinem Zeitpunkt an den Mann, welcher seine Sprache wohl verstand. Sein Augenmerk war auf den vermeintlichen Anführer gerichtet, denn dieser sollte wissen, dass Gustav zu ihm sprach. "Ich komme wegen eines anderen Handels." Er schien zu ahnen, was die Nordmänner dachten. Dass man sein Fleisch und Blut opferte um von deren wilden Klingen verschont zu bleiben, doch ein so verzweifelter Mann war Gustav Habing nicht. Er tauschte nur das Leben seiner Nichte ein, aber um genau diese wilden Klingen zu bekommen. "Es heißt, ihr wärt Bestien die dem Höllenschlund entsprungen sind. Krieger mit Seelen von Dämonen und Höllenhunden...aber vor mir sehe ich Männer, die genau wie ich, für eine Sache kämpfen. Das Mädchen, welches ihr dort seht, ist meine Nichte. Ihr ist großes Unrecht widerfahren und ich habe gehofft, dass ihr bereit seid einen Handel einzugehen. Eure Klingen und eure Hilfe gegen ein großes und gutes Stück Land." Von einem ganzen Stück Land, denn Gustav sprach von ganz Voranien. Die Ländereien gehörten seinem Bruder und er und dessen Frau würden sterben, wenn nichts geschah. Der Preis war also zahlbar, blieben seine eigenen, Gustavs Ländereien ja verschont. Es war Elories Erbe, demnach fiel seine Trauer auch gering aus. Ein weiterer, angenehmer Teil? Ein Druckmittel gegen den König zu haben, welches er selbst in Händen hielt. Stellte er sich gut mit den Bestien, dann taten sie womöglich was er wollte und niemand würde ihm mehr in den Rücken fallen. Gewiss ließ er sich mit Teufeln ein, aber in diesen Zeiten kam niemand voran, der sich Gott unterwarf. Man musste dem eigenen Schicksal die Stirn bieten, manchmal auch auf unebenen Pfaden...

"Es ist ihr Land. Und es ist schutzlos der Willkür des Königs ausgeliefert. Helft und es gehört Euch und Euren Männern. Flüsse, Wälder, fruchtbarer Boden." Nun musste er abwarten wie sich seine Zunge geschlagen hatte. Ob das Angebot interessant genug war, oder ob man sie wieder hinausjagte. Doch die Aussicht auf ein freiwillig hergegebenes Stück Land, ein fruchtbares Land, das unter den Augen der Kirche, mochte den Mann vielleicht dazu stimmen einzuwilligen.

Noch immer lag Kassander Odinsons eisengraues Augenmerk auf dem Bildnis einer fremden Adligen, ehe das Medaillon, just begann sich der Anführer des Christentrosses zu erklären, leichthin zugeklappt und der Blick angehoben wurde. Ausgelacht wurde der fleischige Gustav nicht, aber insgeheim belächelt, während dessen gesprochenes Wort in die gemeine Zunge des Eises übersetzt wurde. Ein legitimes Angebot, doch was wollte der Prinz des Eises mit einem Weib, bei dem man sich, gedachte man ihre unberührte Furche nach nordischer Manier zu pflügen, fürchten musste, es zu zerbrechen? Nein, eine Christin passte nicht in den hohen Norden und schon gar nicht an die Seite eines Mannes, der Weib und Söhne durch die Hand der Fürsprecher des einzig wahren Jehovas  dieses Landes verloren hatte. Undenkbar, mindestens für die meisten robusten Schwertbrüder jenes Jarlsohnes, der mindestens genügend Anstand in sich barg, um den Fremdling aussprechen zu lassen.

„Chan fheum mi dùthaich“, antwortete Kassander dann, als ihm das Wortrecht eingeräumt war, „Co-dhiù chan ann far a bheil mi fada bho mo dhiathan.“ Abermals wurde übersetzt, wenngleich es der breitschultrige Hüne mit dem bartumrahmten Narbengesicht weislich in eine landesgerechtere, verständlichere Ausdrucksform zu bringen gedachte. Ohnehin hatte Boron schon immer die Gabe des Sprechens sein Eigen genannt, was ihm unter seinesgleichen den Spitzname ´Der Diplomat´ eingebracht hat. „Du sprichst mit dem Sohn ihrer Erhabenheit, Jarl Roland Odinson von Sturmruh“, wurde dem christlichen Redensführer fürs Erste verdeutlicht, dass dieser es wohl nicht mit einem x-beliebigen Nordmann, sondern mit einem Mann von Rang und Ruhm zu tun hatte. Allem voran mit einem Krieger, der auf Land jenseits des Eises wohl kaum wert legte, mochte es noch so fruchtbar sein. Ein Land wohlgemerkt, dass unter der Hand eines Königs stand, der wiederum Gift und Galle spie, würde er die Männer aus dem Eis hier sesshaft wissen. Mehr Probleme als Eigennutz, dessen war sich Prinz Kassaner durchaus gewahr. Warum aber schickte er diesen verweichlichten Grünländer nicht auf direktem Weg an die Tafel seines verweichlichten Gottes?

„Thronerbe Kassander Odinson, Schlächter von Galgenfels, braucht kein Land.“, wurde das Wort seines Anführers durch den Diplomaten nun wörtlicher in die Handelssprache übersetzt, „Jedenfalls keines, auf dem er fern seiner Götter ist.“ Grund genug für den unerwarteten Besucher jedwede Hoffnungen, die er für seine Nichte unweigerlich sein Eigen genannt hatte, fahren zu lassen, wäre da nicht die Tatsache, dass sein Gegenüber das filigran verarbeitete Geschmeide noch einmal öffnete, um sich das Mädchen ein zweites Mal anzusehen. Was nur, so fragten sich die ihm unterstellten Mannen stillschweigend, trieb den Prinzen dabei um? Eine Frage, die bei den grimmigen Eisenwölfen nur noch inniger an Gewicht zunahm, als Kassander aufs Neue seine Stimme erhob: „Inns dhomh d ’ainm, bodach, agus innis dhomh sgeulachd na h-ìghne seo.“

„Du sollst ihm Deinen Namen nennen, Fremder“, entkam es dem Übersetzenden unverzüglich, „Danach sollst Du ihm näher vom Leid Deiner Nichte berichten.“ Kassanders Interesse an einer Christin kollidierte mit dem Unverständnis jener Rotte, die ihm bereits seit vielen Jahren treu ergeben war. Die Frage, ob er durch den erlittenen Verlust von Weib und Kindern einen Großteil seines Verstandes hat einbüßen müssen, lag bereits seit gut zwölf Sonnenläufen schwer auf den Seelen seiner Klingenbrüder, fiel in diesem Moment ihres Kriegszuges jedoch mehr denn jemals zuvor ins Gewicht. Aus der Sicht der Nordmannen gab es keine plausible Erklärung für das rege Interesse an dieser Jungfer in Nöten, wenngleich keiner von ihnen es wagen würde die aufkeimenden Bedenken in dieser Sache laut zutage zu tragen. Sie alle waren durch einen Eid an den Prinzen gebunden, der sie hat schwören lassen ihm bis nach Walhalla zu folgen, wenn die Nornen des Schicksals es so für sie erdachten.

Gustav hörte genau zu. Und er sah genau hin. Unter der Hülle aus wohlgenährtem Fleisch schlummerte ein Mann der sich mit Verhandlungen auskannte, mit den Wünschen seiner Gegenüber, auch wenn dieses Terrain hier noch nie betreten worden war. Aber der Blick, den der Sohn Rolands nochmal über das Bildnis im Medaillon gleiten ließ, verriet dem Onkel, dass es eine gute Idee gewesen war das Schmuckstück mitzubringen. Zu schade, dass Elories Chancen unter den hiesigen Adligen durch die Vorfälle zunichte gemacht wurden. Sie hätte eine durchaus gute Partie landen und der gesamten Familie mehr Reichtum und Macht bescheren können. Nun aber standen die Dinge anders und er als Laufbursche vor den Teufeln des Nordens. Sein Blick glitt über die Männer des Lagers und er sah manche von ihnen mit Reichtümern der Kirche spielen, ja ein ergrauter Hüne biss sogar in die goldene Seite eines verzierten Kreuzes, wiederum ein Anderer trank aus einem goldenen Kelch. Es sollte ihn bestürzen, ihn grämen, doch Gustav war der Kirche längst nicht mehr so zugetan.

"Wenn es kein Land ist, das Ihr wollt, dann Gold. Wenn ihr Schätze der Erde verwehrt, dann nehmt Schätze aus Truhen." Korrigierte der Mann sein Angebot und nickte in Richtung von Kreuz und Kelch, um zu zeigen dass er wusste diese Dinge würden auf mehr Anklang stoßen. "Vor Euch steht Gustav Alois Habing von Kasselan." Er neigte knapp seinen Kopf und versuchte zu erkennen, ob den Männern dieser Name etwas sagte. Allem Anschein nach nicht. Es hätte ihn auch gewundert. Um das Augenmerk aber wieder auf seine eigentliche Mission zu richten, deutete Gustav mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand wiederholt auf das Medaillon.

"Das ist Lady Elorie Habing von Voranien, einzige Erbin von Nathan Amadeus Habing und Lady Ansel Habing. Das Schicksal hat leider dafür gesorgt, dass sowohl Mutter als auch Vater im Kerker des Königs, Gott schütze ihn, sitzen und das auf unbestimmte Zeit. Es findet sich unter Unseresgleichen niemand, der sich dazu bereit erklären möchte, meine Nichte in ihrem Vorhaben, Beide zu befreien, zu unterstützen. Versuche den König zu erreichen scheiterten und Söldner wenden sich ab, sobald es darum geht, sich gegen die Krone zu stellen. Aber ihr seht aus, als fürchtet Ihr Euch vor nichts und niemandem..." Und damit endete die kurze Ausführung Gustavs. Er hatte genug gesprochen und hoffte, es würde reichen um dem Anführer eine Vorstellung zu geben, von der Aufgabe die ihn erwartete. Den König bestehlen? Oder Lady Elorie wenigstens vor seine Augen zu bringen, dass diese sprechen konnte? Klang das nicht nach einer Aufgabe entgegen den Pfaden der Kirche? Er würde abwarten müssen wie das Urteil ausfiel. Sollte er aber mit keinen guten Nachrichten zurück zu seiner Nichte kommen, dann war deren Schicksal und das seines Bruders so gut wie besiegelt. Die Ländereien Voraniens fielen an die Krone und Elories Erbrecht würde zunichtegemacht."Selbstverständlich wird sie mehr als … dankbar sein, solltet Ihr diesen Handel eingehen", fügte Gustav noch hinzu, wohl wissend, dass seine Nichte in 'diesen' Plan nicht eingeweiht war.

 

Die Geschicke dieses Landes interessierten den rohen Eislandprinzen nicht, war es schließlich weder Land noch Gold was ihn dazu bewogen hatte dem Ruf seines Vaters zu folgen. Doch, auch das war dem Kriegsherrn völlig klar, differenzierten sich seine Beweggründe von jenen seiner Schwertbrüder so sehr, wie der Tag von der Nacht.

„Bidh thu a 'bruidhinn mòran gun a bhith ag ràdh càil“, entgegnete der Nordmann unverwandt, während sein Gegenüber lediglich an dessen Stimmlage erkennen konnte, dass ihm die zuteilgewordene Übersetzung nicht gerade zusagen mochte. „Viel reden, nichts sagen“, fügte er gebrochen an, was seine Worte trotz Sprachdifferenzen deutlich an das Ohr des Adligen bringen konnte. Abermals klappte er das Medaillon zu, doch anstatt es dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben, wurde es eingesteckt, was wiederum keinesfalls zu bedeuten hatte, dass von den barbarischen Wilden, wie sie die fremden Gründländer mittlerweile samt und sonders eingekesselt haben, wirklich Hilfe zu erwarten war. Gustavs Aussagen brachten mehr Fragen denn Antworten auf, was deutlich darauf schließen ließ, dass der Anführer des Christentrosses ein geschickter Verhandlungsstratege war. Geschickt, frei der Zweifel, jedenfalls dann, wenn man es mit einem Heerführer zu tun hatte, der sich von schönen Mädchen, Land und Reichtum blenden ließ, doch dem war nicht so. Der nordische Prinz hatte einen zu hohen Verlust erlitten, als das ihm an Ruhm und Gold tatsächlich noch etwas lag. Der süßliche Gestank des Todes war mitunter das Einzige, was seine Seele noch friedvoll stimmen konnte. Das Töten und die Hoffnung darauf diese Welt eines Tages durch einen ehrvollen Kampf verlassen zu dürfen. Ein Scharmützel gegen einen König aber, wer wusste das besser als ein Nordmann, endete äußerst selten in einem ehrvollen Kampf.

„Dè cho taingeil 'sa bhios i nuair a bheir mi i don leabaidh agam?“ Worte, die gleichsam nicht übersetzt wurden, deren Obszönität allerdings durch die simple Geste, wie Kassander seine Hand zum Schritt führte, deutlich unterstrichen und zum ersten Mal mit rauem Gelächter untermauert wurde. Worte, die keiner Übersetzung bedurfte um deren Tragweite auch verstehen zu können, denn der Norde zweifelte stark an der Dankbarkeit einer Jungfrau, musste diese ihre Unberührtheit gegen das Wohlergehen der Eltern und die Erhaltung des eigenen Erbes tauschen. Ein schlechter Handel, mindestens dann, wenn es darum ging einen Schlächter zum Manne zu nehmen. Nichts was dem feisten Gegenüber unbekannt wäre, denn wie sich dieser gab, hatte er über den Schritt, mit Barbaren gemeinsame Sache zu machen, ganz bestimmt mehr als zwei lose Herzschläge lang nachgedacht. Gewonnen hätte Gustav Alois Habing von Kasselan in jedem Fall, war er schließlich drauf und dran eine Jungfer zu verschachern, die mehr Probleme mit sich brachte als eine Hure mit Geschlechtskrankheiten. Dennoch. Kassander war vieles. Ein ungehobelter Teufel und ein erfahrener Schwertbruder der Zeit seines Lebens mehr Frauen um ihre Gatten beraubt hatte als er würde zählen können, doch war er deshalb nicht lediglich ein herzloser Bastard. Zudem brauchte er ein Weib. Eine junge Frau, die es vermochte ihm Söhne zu schenken, denn weitere Erben für den Thron des Jarls gab es nach dem herben Verlust der eigenen Kinder nicht mehr. Hinzu kam, dass seine Männer dem Reichtum durchaus zugetan waren. Viele von ihnen waren des ewigen Eises obendrein überdrüssig geworden, sehnten sich nach Mutterboden, auf dem der Nachwuchs in langen, harten Wintern nicht einzugehen drohte.

„Jarlsohn Kassander Odinson wird heute Abend zu Gast in Deinem Haus aufwarten, Gustav“, ergriff Boron nach Absprache mit seinem Heerführer, der, ohne das Medaillon an den rechtmäßigen Besitzer zurück zu geben, auf dem Absatz seiner Stiefel kehrt machte und gen Zeltstatt verschwand, auf ein Neues das Wort. „Er will sich dieses Mädchen ansehen.“ Vermutlich klang es nicht nur nach einer Fleischbeschauung, sondern war auch eine. Auf dem Bild mochte die Zierliche lieblich anzusehen sein, was längst nicht bedeutete, dass sich der Künstler dahingehend nicht ein paar schöpferische Freiheiten herausgenommen hat. „Lass einen Deiner Männer hier, damit er meinem Herrn den Weg weisen kann. Der Schlächter nimmt sich das Recht heraus weitere Verhandlungen erst dann zu führen, wenn er die Feilscherware in Augenschein genommen hat.“

Allein, dass Gustav seinen Kopf auf den Schultern behielt, stellte für die Verhandlungen schon einen Erfolg dar. Und nun wollte der Eisprinz tatsächlich seine Nichte kennenlernen. Nunja, es konnte eine Falle sein, doch ging man danach, so gab es immer und überall, selbst im eigenen Ehebett, dieses Risiko. So wie der Fremde über seine Nichte sprach, rührte sich dennoch kein Mitleid im Innern seiner Brust. Gustav mochte das Mädchen zwar, doch sie stellte im Moment immer noch eine Gefahr für sein eigenes Haus dar. Allein ihres Familiennamens und einigem Zuspruch seiner Frau war die Gnade zu verdanken, dass man sie in sein Haus aufgenommen hatte. Jetzt konnte sie sich revanchieren, endlich war der Zeitpunkt gekommen. Nur wusste Elorie selbst nichts davon.

"Simon! Bleib und führ den Sohn Rolands bei beginnendem Sonnenuntergang zu meinem Anwesen", befahl Gustav und nach seinen Worten stieg ein blonder, hagerer Bursche von seinem Pferd und stellte sich an die Seite seines Herrn. "Das ist Simon. Er ist mein Sohn. Zum Zeichen meines guten Willens." Für jede einzelne Person war wohl klar, dass der Zurückbleibende eine Art Geisel darstellte. Und je höherwertiger diese Geisel, desto sicherer war man wohl über den Ausgang der Verhandlungen. "Gebt mir einen der Euren mit." Forderte Gustav von jenem Mann, der da die gemeinsame Sprache kannte. Diese Taktik kannte hoffentlich auch die Seite der Nordmänner und er selbst glaubte, dass sie zustimmen mussten. Sie wollten keinen Streit, nur das bekommen, weswegen sie hier waren. Und das Haus von Gustav und seiner Familie gehörte allem Anschein nicht dazu. Man würde warten ob geschah was gefordert wurde und erst dann aufbrechen. Gemeinsam mit der fremden Geisel, sofern geschehen. Simon griff nach den Zügeln seines Fuchses. Er war ruhig, besonnen nahezu und zeigte keinerlei Furcht ob der fremden Krieger. Vielmehr bemerkten diese, dass seine Augen hierhin und dorthin wanderten, immer auf der Suche nach neuen Entdeckungen. Als habe er all das hier noch nie zuvor gesehen. Trotz seiner dreiundzwanzig Jahre … Er wagte aber auch aus anderen Gründen kein Aufbegehren, denn zuhause hinter sicheren Mauern warteten Frau und Sohn.

 

Die hiesigen Nordmannen indes waren zu pragmatisch veranlagt, um in Simon das zu sehen, was sein Vater unweigerlich aus ihm machte. Aus ihrer Sicht bedurfte es keiner Geisel, immerhin ruhten die Verhandlungen nicht auf kriegerischem Fundament, sollten stattdessen einem Bündnis dienen, von dem mindestens eine Partei bestens profitieren konnte. Man nahm den blonden Sprössling also verhalten in den Reihen auf, führte ihn an die Tische der Krieger und bewirtschaftete den hageren Adelsspross mit Wildbret, während Boron ohne weiteres Ferderlesen die Bürde des Mitgehens auf sich nahm. Eine Handlung, die sein Herr nicht erst absegnen musste, immerhin handelte es sich beim sogenannten Diplomaten um einen Mann, der ihm Zeit seines Lebens nicht nur Schwertbruder und Verbündeter gewesen war, sondern gleichfalls seit jeher ein Freund und Bruder. Ohnehin hatte Kassander, der sich zielstrebigen Schrittes auf sein Zelt zubewegt hatte um kurz darauf in diesem zu verschwinden, fest damit gerechnet.

Für den nordischen Königssohn galt es abzuwägen. Allem voran hielt es der Mann aus dem Eis für die taktisch sinnvollste Vorgehensweise über die gegebene Ausgangslage mit keinem geringeren als jenem, der den Göttern am nächsten stand, Absprache zu halten. Für die Christen mochte befremdlich wirken, was für die Nordmannen so normal anmutete wie die Luft zum Atmen. Ein jeder hier anwesende Krieger war fest mit seinem Glauben verwoben, weshalb das unerschütterliche Vertrauen ihres Anführers zu Fhean dem Seher auch niemand in Frage zu stellen wagte. Stunden verbrachte er mit dem blinden Godi, wobei er sich dessen Meinung am Ende so sehr zu Herzen nehmen würde, als habe er den weisen Worte seines Vaters vernommen.

Die Götter jedenfalls mochten über Kassanders Vorhaben schweigen, eine Tatsache, die der Schlächter als zermürbendes Urteil betrachtete. Götter schwiegen nie! Lag jene Stille, welche Fhean und ihm beim Legen der Runen so unabdingbar zuteilgeworden war, daran, dass man sie so fern der Heimat oftmals einfach nicht hören konnte? Ein irrationaler Gedanke, mindestens für einen Menschen, der die Macht der Hohen nicht bereits mit eigenen Augen hat bestaunen dürfen. Und die Macht Odins, ein jeder Nordmann wusste das, war im Land des Eises allgegenwärtig. Man glaubte da nicht, man wusste!

In dieser Sache aber, dies wurde dem Sohn des Eislandkönigs schmerzlich gewahr, ließ man ihn mit seiner Entscheidung alleine. Seine Mannen, auch das war ihm klar, würden seinen Willen, eine Christin zu ehelichen, durchweg in Frage stellen. Zu Recht! Eine Heidin hatte im Land des ewigen Schnees nichts zu suchen, geschweige denn würde es ihr gelingen die langen Monate in Dunkelheit zu überstehen. Die Kehrseite aber war einfach: Der Kriegsherr brauchte ein Weib! Genau das war es, was ihm der Seher nach langem, nachdenklichem Schweigen bestätigt hatte. „Ihre Erhabenheit, Jarl Roland, wird nicht mehr ewig sein. Und nach Dir, Herr, braucht das unvergängliche Reich einen standhaften Erben.“ Worte, die ihn nachdenklich stimmten. Mit Sicherheit stellte er deren Wahrheitsgehalt nicht in Frage, machte es die Entscheidung, eine Christin als Mutter seiner zukünftigen Kinder auszuwählen, aber legitim? Oder, was weitaus entscheidender ins Gewicht fiel, gehörte dass zum unergründlichen Plan der Schicksalsnornen, die ihm durch eine solche Gelegenheit neue Wege aufzuweisen versuchten?

2.

Elorie hatte bereits unzählige Wolken über den Himmeln wandern sehen, als endlich die erlösenden Geräusche im Hof ertönten. Noch nie waren ihr Hufschläge so lieb gewesen. In der Zwischenzeit hatten Schuhe ihren Weg an die Füße der jungen Frau gefunden, doch sie war immer wieder auf den Balkon herausgetreten und jetzt, da die Wünsche eintraten, rannte die Rothaarige von dannen, Flure und Treppen hinab und kam beinahe als Erste im Hof an. Sofort fiel auf, dass Simon fehlte und ihr Blick wurde von Sorge geprägt.

"Onkel..." Gustav stand neben seinem Pferd und reichte soeben die Zügel an den Stallburschen weiter, als er die feine Stimme seiner Nichte wahrnahm. Kurz bevor ihr Gesicht auftauchte, hell, nun aber mit geröteten Wangen, die Augen in ehrliche Sorge getaucht. Er wusste sofort was sie meinte.

"Ihm geht´s gut." Brummte der Mann und bemühte sich nicht einmal den Unmut über den Austausch zu verbergen. Sie sollte sehr wohl wissen, dass sie und ihre Nutzlosigkeit Schuld daran trug. Elories Blick fiel auf den unbekümmerten Barbaren, der sich im Austausch gegen Simon Gustavs Entourage angeschlossen hat, betrachtete den Mann ohne ein Wort zu sprechen, aber auch ohne eine klare Emotion in den grünen Augen zu tragen. Nicht wie zuvor bei ihrem Cousin...

"Wir sprechen gleich." Einem Befehl gleich, als spräche ihr Onkel mit einem seiner Männer und Elorie schwieg augenblicklich. Er war nicht zufrieden, das war deutlich. Noch ein kurzer Blick auf den Krieger auf Simons Pferd, dann machte die junge Frau kehrt. Die Seide an ihrem Körper flatterte hinter ihr her, als sei sie bloß ein Geist dieses Anwesens. Und mehr sah man nicht von dem Mädchen auf dem Medaillon. Was hinter verschlossenen Türen gesprochen wurde, war für nur wenige Ohrenpaare bestimmt. Und dann, als Gustav wieder erschien, trat seine Frau an ihm vorbei und begann die Mägde in der Küche aufzuscheuchen. Für den Abend musste ein Mahl hergerichtet werden. Ein Mahl für Heiden. Für Teufel. Aber niemand sprach es offen aus. Elorie hatte den Feind in ihr Haus gebracht. Der sogenannten Geisel Boron ließ man Höflichkeiten in Form eines Zimmers der obersten Wachmänner zukommen, ebenso Wein und Brot. Und immer eine Wache im Rücken, damit er nichts anstellte.

 

Zu gegebener Uhrzeit wies Simon dem Eislandprinzen den Weg zum Anwesen seines Vaters. Der Junge war eine erstaunlich angenehme Gesellschaft, beklagte sich nicht, rümpfte nicht die Nase, sondern versuchte sich dem Schicksal so gut wie möglich zu fügen. Hinter dem Wald führte noch ein langer Weg über Wiesen und Felder zum habingschen Besitztum, ein tagsüber kühl wirkendes, jetzt aber mit Fackeln und Kerzen erleuchtetes Herrenhaus, gut geschützt durch Mauern und einem großen Tor. Viele Wachen erwarteten den Königssohn aus dem unvergänglichen Reich, sie alle standen in Reih und Glied, jederzeit dazu in der Lage die Waffen zu ziehen, sollte es geschehen müssen.

Inmitten des Hofes war die gesamte Dienerschaft versammelt um einen Blick auf den Schlächter zu werfen, doch die wichtigen Personen standen vor dem Haupthaus, am Fuße der Treppe und sahen allesamt in dieselbe Richtung. Neben Gustav mit seinem fellbehangenen Mantel stand dessen Frau, bereits ergraut, doch in jungen Jahren gewiss eine Schönheit gewesen. Zu ihrer Rechten fand sich eine edel gekleidete Dame mit sattschwarzem Haar, gehüllt in auffallend rote Seide, Simons Frau, Lady Edith wie man später vorstellte. An ihrer Hand hielt sie einen blondgelocktes Knaben von vier Jahren, der sich vorne an ihre Röcke presste und den Besuch mit großen Augen anstarrte. Doch weswegen der Krieger überhaupt kam, was er mit dem Bildnis auf dem Medaillon vergleichen wollte, stand zur Rechten des Hausherrn. Natürlich hatte man die junge Frau zurechtgemacht, das rote Haar an ihrem Kopf hochgesteckt und nur einen dichten Strang über Schulterblatt und Brust fallen lassen, dazu steckten feine Bänder mit Perlen wie ein Kranz um ihr Haupt. Unter dem leicht geöffneten Mantel schimmerte ein Kleid aus hellgrüner Seide, ausgeschnitten genug um die Ansätze ihrer Brüste zu zeigen. Tatsächlich hatte man Elorie wie ein prächtiges Pferd oder eine stattliche Kuh dort platziert, aber immerhin ging es auch darum, dem Fremden zu gefallen und sein Augenmerk auf sich zu wissen, selbst wenn das der jungen Frau nicht zusagte.

 

Kassander hatte sich dazu entschlossen den Weg zu seinen Gastgebern an Simons Seite alleine in Angriff zu nehmen, doch würde nur ein Narr tatsächlich davon ausgehen, dass der barbarische Schlächter in Vorfeld keine Sicherheitsmaßnahmen getroffen hat. Dass er sich allein in die metaphorische Höhle des Löwen wagte, hatte längst nicht zu bedeuten, dass seine kampferprobte Schar allzu fern war. Und im Gegensatz zur fein herausgeputzten Adelsgesellschaft, wie sie sich da im edelsten Zwirn zu präsentieren wusste, wirkte der Nordprinz wie der räudige Barbar, den er im Umkehrschluss für die Grünländer auch durchweg zu verkörpern imstande war.

Nichts an ihm wirkte edel. Nichts an ihm mutete an, als habe dieser Mann jemals der Dekadenz gefrönt! Seine Heimat waren die Feldlager … das Heer, welches der hochgewachsene Nordling bereits seit mehr als zehn Jahre erfolgreich in Schlachten führte. Unter seinen Schildbrüdern fühlte er sich am wohlsten, mindestens seit dann, als man ihn dazu verdammt hatte Weib und Söhne zu Grabe zu tragen. Sein Gesichtsausdruck wirkte mindestens so versteinert wie das ihre, als er sich in einer fließenden Bewegung aus dem Sattel eines schwarzen Nordrappen bequemte, um auf die gutsituierte Gesellschaft zuzuschreiten. Boron gesellte sich an seine Seite, während das Feilschgut in Anbetracht der beiden Hünen noch um ein vielfaches zerbrechlicher anmutete, als es das unter ihresgleichen ohnehin schon tat.

Gustav wartete bis Prinz Kassander herangetreten war, ergriff dann Elories Hand und ließ die junge Frau einen Schritt vortreten.

"Lady Elorie aus dem Hause Habing, Erbin der Ländereien Voraniens." Den Fremden traf kein schüchternes Wegsehen. Er musste sich nicht mit hinabgeschlagenen Lidern zufriedengeben, stattdessen sah er direkt in das Grün, welches ihm entgegenschlug. Was sie dachte oder fühlte war schwer aus ihren hübschen Seelenspiegeln abzulesen. Ihre Gesichtszüge wirkten eben, die Haut hell, einladend weich, ebenso wie das geschwungene Lippenpaar auf dem allerdings ein Lächeln fehlte.

"Ich hörte, Ihr wolltet mich sehen." Kam es aber kurz darauf von ihr, natürlich lag ein leichtes Zittern in der Stimme und wenn nicht in dieser, dann sah Kassander es an ihrem Leib. Sie war bemüht Zweifel und Angst von sich zu weisen, doch der Anblick eines Nordmannes war auch für andere Frauen ein Ereignis. Elorie wusste zudem, was es bedeutete wenn sie ihm nicht gefiel.

"Im Namen meines Hauses lade ich Euch ein mit uns zu speisen." Sie wollte sich bereits abwenden, dem Mann den Rücken zudrehen, doch ihr Onkel verweigerte ihr dies, hielt die junge Frau an Ort und Stelle, damit der Schlächter sie so lange ansehen konnte wie er wollte.

Dessen Blick sank in das Grün ihres Augenpaars. Die voranische Rotfüchsin reichte ihm gerade mal bis zur Brust und mutete im überteuerten Stoff, in den man ihren Körper des Gefallens wegen gezwängt hat, wie eine dieser Glaspuppen von denen Gaukler gerne Gebrauch machten, um Kinderherzen in Staunen zu versetzen. Wenigstens war das Mädchen weise genug seinem Blick standzuhalten, was der Eisprinz für ein gutes Zeichen hielt. Womöglich hätte er sich ein wenig den örtlichen Gepflogenheiten anpassen sollen, doch hatte sich Kassander vor dem Besuch hier nicht einmal die Mühe gemacht sich den Dreck der letzten Wochen vom Leib zu waschen. Dementsprechend roch der stattliche Kriegsherr – nicht nur nach Schmutz und ehrlichem Männerschweiß, sondern gleichfalls nach Heu, Dung und Blut. Gerüche, die man aus der leichten Lederrüstung und dem darunter befindlichen Leinenhemd nicht ohne weiteres herausbekam… mindestens nicht in Feldlagern, wo sich um derlei ernüchternde Aromen auch niemand einen Heel scherte.

„Thoir do làmhan dheth“ Seine Stimme klang streng und die damit verbundene Geste, an den Hausherrn gerichtet, erschien auch ohne Übersetzungen unmissverständlich: Gustav solle seine Nichte loslassen. Freilich fiel es anhand seiner dunklen Wortklangfarbe nicht besonders schwer zu glauben, dass diesem Mann das Befehlen im Blute lag. Ohnehin hatte er sich den ganzen Nachmittag Gedanken darüber gemacht, wie dieser Bund denn nun zu werten wäre, um letztlich zum Schluss zu kommen, dass es keinen Sinn ergab die vor ihnen liegenden Verhandlungen über einen Drittmann zu führen. Gustav wollte das Mädchen loswerden, was allerdings kaum zu bedeuten hatte, dass ihm dahingehend weiterhin Mitspracherecht eingeräumt werden musste.

 

Während das ungleiche Paar voreinander stand und sich alle Aufmerksamkeit den Beiden zuwandte, stieg Simon von seinem Pferd und begrüßte Frau und Sohn. Die Schwarzhaarige umarmte ihren Mann lange, doch über seine Schulter hinweg lag der Blick aus dunklen Augen ausschließlich auf der Gestalt des Nordmannes. Durchdringend, als übe er eine ganz eigene Faszination auf sie aus. Der Zauber schwand jedoch rasch, als die Umarmung zerfiel und sie wieder zu ihrem Knaben sah. Der Lockenkopf strahlte seinen Vater an, umklammerte seine Beine und wartete, bis Simon ihn auf die Arme hob, damit er besser sehen konnte. Auch das Kind besah sich den Krieger, doch mit ebenjener kindlichen Neugier, dem unschuldigen Interesse welches nur den kleinen Menschen zugestanden werden konnte. Beim Lauschen der fremden Sprache kicherte der Kleine Viktor sogar leise und vergrub sein Gesicht, ganz als ob die merkwürdigen Töne sein Gehör kitzelten.

Elorie bekam von dem Treiben um sich herum nichts mit. Der Nordmann sah sie unentwegt an und sie tat es ihm gleich. Als wäre es unhöflich wegzusehen, so kam ihr die Situation vor. Natürlich bemerkte die junge Frau den Geruch, ungewohnt für feine Nasen des Adels, erschreckend für die piekfeinen Damen ihrer Gesellschaft, doch sie wich keinen Zentimeter zurück. Nur das barsche Erklingen seiner Stimme, der fremden Zunge, zeigte für eine Sekunde lang eine Regung in der jungen Seele, denn sie blinzelte irritiert, wusste nicht was er von ihr verlangte. Aber ihr Onkel schien es zu wissen, aus welchem Grund auch immer. Und er ließ seine Nichte nur ungern los, denn es kam ihm fast wie ein Zeichen vor. Als müsse er sie wirklich aus seinen Händen geben, ein für allemal und ihr damit die Chance einräumen sich seinem Einfluss zu entziehen. Wie auch immer, er löste den Griff um ihr Handgelenk und jenes senkte sich schnell hinab an ihren Körper. Zur Seite, als gäbe ihr das mehr Sicherheit.

„Chuala mi gu bheil malairt ga dhèanamh mu do àm ri teachd“, sprach Kassander weiter, während Elorie seine ungeteilte Aufmerksamkeit genoss. Kein einziges Mal mochte sein Blick nun noch von dem ihren abgleiten, doch ob sie ihm deshalb gefiel oder nicht, wollte daraus nicht erkennbar sein. „Seo mise! Bidh mi ag èisteachd riut gu furachail.“ Boron verstand und wenngleich ihm die Tragweite dessen, welch Unverfrorenheit dies aus der Sicht der Grünländer anheimfallen musste Verhandlungen nicht über einen Mann laufen zu lassen, zweifellos geläufig war, hielt sich der narbengesichtige Nordmannkrieger an die Gepflogenheiten seines Herrn. „Prinz Kassander Odinson wünscht ausschließlich mit Lady Elorie persönlich über deren Zukunft zu verhandeln.“ Endlich hatte der Narbige zur Rechten des Prinzen ein Einsehen und sprach aus, was nun auch alle Anderen verstanden. Es gab niemanden, den die Worte nicht überraschten. Er wollte allein mit der Lady sprechen? Über deren Zukunft verhandeln?

 

Nun sah Kassander eine andere Regung auf den Zügen seines Gegenübers. Und er war in der Lage es zu lesen, die deutliche Überraschung als ihre Augen größer wurden und sich ihre Lippen leicht teilten. Ungewollt, doch Elorie konnte sich nicht zurückhalten. Es war jedoch Gustav welcher sich einmischte, einen Schritt an ihre Seite machte als wolle er sich zu einem größeren Mann aufbäumen … und ebenjene gefährliche Situation wurde von der zerbrechlich anmutenden Rothaarigen entschärft.

"Onkel. Ist schon gut. Ihr habt mir deutlich gemacht, was zu tun ist. Und unsere Zunge entstammt demselben Haus, ich werde Euch nicht enttäuschen." So zuversichtlich der Klang ihrer Stimme wirkte, schwang doch eine Bitte mit. Die Bitte sie hier vor aller Augen nicht in Ketten zu legen. Nicht vor einem Mann des Nordens, für den sie so oder so nichts weiter war als ein Stück Fleisch. Aber er hatte diesen Schritt auf sie zugetan und Elorie würde es ihm mit gleicher Münze danken. Ihr Blick fand den Weg zurück zu seinem Gesicht, zu den Augen des Fremden.

"Mein Onkel gab mir ein Haus, als das Meine fiel. Und er hat demnach das Recht meine Zukunft zu bestimmen. Ich werde aber gerne mit Euch sprechen, wenn das Euer Wunsch ist." Nur kurz verließen ihn die Augen wieder, legten sich auf den Mann welcher offensichtlich beide Sprachen verstand und sie wartete, bis er ihre Worte für seinen Anführer zurechtrückte.

Die hiesige Gesellschaft wurde von den beiden Nordmannen, die sich dazu erbarmten einer jungen Frau in Nöten ihr Gehör zu leihen, nicht nur durch Länder sondern gleich durch ganze Kontinente getrennt. Nicht nur, dass man zu völlig unterschiedlichen Göttern betete, nein, die Weiber dieses Landes standen nach Kassanders Geschmack auch zu sehr unter der Fuchtel des Mannes. Eine seltsame Ansicht, mindestens für jenes zartbesaitete Geschlecht, welches es sich offenbar nicht die Spur gewohnt war ihrer Stimme Gewicht zu verleihen. Eine Tatsache, die den Kriegsherrn störte, und ein Fakt, der sich unvermittelt zu ändern hatte, so es denn wirklich zu einem Bündnis kam. Boron übersetzte und dessen Bruder im Geiste nickte einlenkend. Ohnehin kam er sich ob den scheuen, gar verunsicherten Blicken der Hochwohlgeborenen wie der Wolf vor, den man zur Freude des Menschen hinter Gitter sperrte, damit man sich mit aller verbliebenen Ruhe seines Leides wegen ergötzen konnte. Alles hier sprach gegen die Natur der Heiden. Alles hier, vom herausgeputzten Pferdeburschen bis hin zur lieblichen Dienstmagd, die ein Leben in Leibeigenschaft sicherlich nicht aus freiwilligen Stücken schulterte. Niemand hier war tatsächlich frei, auch wenn man sich hinter reichlich Gold und Geschmeide bestens der Lüge hingeben konnte der Herr seiner selbst zu sein.

Elorie konnte nicht ahnen, was den Mann umtrieb, genauer gesagt wie wenig ihm ihr Verhalten gefiel. Dabei hatte es zuvor nur den Klang ihrer Stimme benötigt um ihren Onkel umzustimmen. Etwas, das dem groben Krieger entgangen sein musste. Was das Schlimmste war? Dass sie sich wie im Dunkeln vortasten musste, ohne zu wissen wo ein Abgrund nahte und wo nicht. Hätte Kassander ihre Lage besser gekannt, so wüsste der Mann wohl, dass eine Frau ohne Schutz sich in dieser Welt eben den Mächtigen unterzuordnen hatte. Und das waren nun mal Charaktere wie ihr Onkel. Auf den eigenen Vorteil bedacht, um aus den Vorzügen des eigen Fleisch und Blutes einen Gewinn von Macht oder Gold zu erlangen. Getarnt unter dem Deckmantel sich um seinen Bruder zu sorgen, ahnten weder Elorie noch irgendwer sonst, was Gustav wirklich umtrieb.

"Wenn es Euch beliebt, so können wir hier unter freiem Himmel nebeneinander hergehen und sprechen. Ich vermag Euch zu den Stallungen zu führen", war der Vorschlag aus dem geschwungenen Mund der hübschen Rotfüchsin, immerhin hatte ihr der Anblick noch immer nicht die Sprache verschlagen oder sie verängstigt an den Rockzipfel ihrer Tante gejagt. Es war offensichtlich, dass sie sich bemühte das Beste aus der Situation zu machen. Und nachdem auch ihr Onkel seine Familie anwies sich zurückzuziehen, machte Elorie die ersten Schritte um den Spaziergang zu beginnen. Natürlich sollten die Beiden in gebührenden Abstand von Wachen begleitet werden, Gustav wollte kein Risiko eingehen. Die Gefahr einer Entführung bestand nach wie vor. Lediglich Boron folgte auf dem Fuß, denn ohne ihn wäre eine Verhandlung zwischen Heiden und Christen wohl kaum möglich.

 

Jetzt, da ihr Körper in Bewegung kam, verstummte die junge Adlige jedoch, als wüsste sie nicht wie man Verhandlungen begann. Als Frau stand ihr in dieser Gesellschaft das Recht nicht zu, aber es gab Fragen die auf ihrem Herzen brannten und wenigstens eine davon fand auch den Weg über ihre Lippen. "Mein Onkel sagte, ihr wärt weder interessiert an meinem Land, noch an meinem Gold...." sie musste nicht fortfahren, Kassander würde wissen, worauf sie hinauswollte und das dieses Thema eine junge Frau wie sie, in Anbetracht eines kriegerischen Heiden, durchaus beschäftigte. Was genau hatte ihn nun wirklich hergetrieben?

Elories Frage war legitim, wurde allerdings nicht auf Anhieb beantwortet. Stille folgte ihr, lediglich durchbrochen vom knirschenden Laut, den ihre Schritte auf den Schottersteinen des eigens angelegten Weges zu ihrer allen Füssen verursachten.

„Do fhìrinn an aghaidh mo fhìrinn“, forderte Kassander, was der Nordmann zu seiner Rechten zum Anlass nahm den bartumrahmten Mund aufs Neue zum Sprechen zu öffnen: „Deine Wahrheit gegen meine Wahrheit.“ Boron übersetzte wörtlich, was ihm fortan wohl am einfachsten erschien, doch ließ er die zierliche Adlige zur Linken seines Herrn damit nicht einfach im Nebel der Ungewissheit stehen. „Es ist eine Redewendung, an der wir uns gern bedienen. Sie bedeutet, dass die Währung, mit der ihr beiden für die Dauer dieses Gesprächs handelt, nicht Gold sondern Ehrlichkeit ist.“ Freilich, eine solche Redegewandtheit wie sie der Freund des Prinzen an den Tag zu legen wusste, hätte man diesem auf den ersten Blick wohl alles andere als zugetraut. Keinesfalls verwunderlich, denn jene Narbe, die ihm von der linken Schläfe bis zum rechten Mundwinkel einmal quer übers markante Gesicht ragte, mochte einem Glauben machen, dass der Krieger lieber mit Schwertern denn mit Worten ins Gefecht zog.

„Tha mi airson faighinn a-mach dè dh 'innis do bhràthair athar dhut mun chaidreachas“, sprach der Eisprinz in seiner dunklen, rauen Stimmklangfarbe weiter, während er den Blick vom Schotterweg löste um das mondbeschienene Antlitz seiner Gesprächspartnerin näher in Augenschein zu nehmen. Elorie war ein schönes Mädchen, doch war Schönheit beileibe nicht alles was zählte. Angefangen bei ihrer Demut, die sie für einen Mann empfand der seine eigene Ziele verfolgte, und aufgehört beim Glauben an einen falschen Gott, gab es nicht gerade wenige Details, die dem Nordling sauer aufstießen. „Ich möchte wissen, was Dir Dein Onkel über das Bündnis berichtet hat.“, ward es von Boron unverzüglich übersetzt, ehe Kassander der gestellten Frage gleich eine zweite anfügte.

„Agus tha mi airson an fhìrinn a chluinntinn mu do phàrantan.“ – „Kassander will wissen, wie Deine Eltern beim König in Ungnade gefallen sind.“ Zwei Wahrheiten, die er ihr, würde sie ihm auf ehrlichen Wegen antworten, mit selber Münze entgelten wollte. Mitunter war seine Intension hinter dem Frevel, mit der Adligen höchst selbst in Verhandlung zu treten, jene, dass er ihre Sicht der Dinge für weitaus gewichtiger erachtete, als die Sichtweise eines Mannes, der lediglich gegen das Schicksal würfelte, weil ihm zu viel daran lag das Mädchen loszuwerden. Zum bestmöglichen Preis, was sich von selbst verstand, denn Gustav war aller Vermutung nach niemand, der sich ohne Profit einem unkalkulierbaren Wagnis aussetzte. Verwandte hin oder her! Wahrscheinlich hatte der Hausherr damit gerechnet die liebreizende Tochter seines Bruders gegen ein hübsches Brautgeld an den Mann bringen zu können, ohne die Rechnung mit dem Wirt gemacht zu haben. Wohl kaum einer mochte sich für irrwitzig genug herausgestellt haben, um in ein loderndes Feuer freiwillig Öl zu gießen. Wieso sonst hatte sich der feine Herr am Ende dazu herablassen müssen bei Barbaren um Hilfe zu flehen? Gut, flehen war zu hoch gestapelt, aber seine erste Wahl konnten die Nordmänner ja wohl kaum gewesen sein. Und ein jeder, der diese Behauptung des Anstands wegen aufzustellen gedachte, würde man zweifelsfrei des Lügens bezichtigen können.

"Mein Onkel hat mir gesagt, dass Ihr kommen würdet um mich zu sehen. Und um dann zu entscheiden, ob Ihr helfen werdet. Aber ich denke, dass Ihr Euch längst entschieden habt. Sonst wärt ihr nicht gekommen", gab die junge Frau unterdessen zu. Und dennoch wusste sie nicht, warum der Mann sich auf den Handel einließ, wenn es ihm nicht um Land oder Gold ging. Sie allein war kein Preis für den es sich lohnte Strapazen auf sich zu nehmen. Ihr Gemüt wirkte trotz der ungewohnten Situation sanft, ruhig, aber sie hatte wie alle Frauen in dieser Gesellschaft wohl bloß gelernt nie zu zeigen wie es um ihr Inneres stand. Sobald der Mann jedoch nach ihren Eltern fragte, schienen die Augen zu schimmern, trauernd, ehe sie jene wieder auf den Weg und fern von ihm richtete.

"Man hat Briefe in ihrer Kleidung entdeckt. Briefe mit schrecklichen Worten über seine Hoheit. Sie stammten nicht von meinen Eltern, doch ich habe nirgends Gehör gefunden um ihre Unschuld zu beweisen." Das war genug. Elorie wollte nicht mehr verraten und Kassander musste nicht mehr wissen. Es reichte um Zwei und Zwei zusammenzuzählen. Jemand wollte der Familie schaden und hatte dies mit Erfolg getan. Nur ihrer schnellen Reaktion, dem Schutz ihres Onkels war zu verdanken, dass die junge Frau nicht ebenfalls eingesperrt worden war. Verbündete gegen den König gab es nicht, zumindest hatte Elorie bei ihrer Suche bislang keinen Erfolg aufweisen können. Also standen sie nun hier, unter dem klaren Abendhimmel, zwei Menschen deren Welten entfernter nicht sein konnten. Sie hatte ehrlich geantwortet. Und verlangte nun dasselbe von Ihm.

"Was genau erwartet ihr als Gegenleistung?" Elorie sorgte sich um die Antwort die folgen mochte und so unangenehm die Frage war, umso wichtiger die Reaktion des Mannes. Ihr blieb ohnehin nichts Anderes übrig als sich zu fügen, sollte ihre Familie gerettet werden. Das eigene, bisherige Leben war da doch ein geringer Preis um jene zu retten die man liebte. Endlich sah ihn die junge Frau wieder an, stellte ihre Schritte wieder ein und war bemüht so deutlich wie nötig, so tapfer wie möglich zu sprechen. "Ich werde tun, was nötig ist."

 

Wie genau sah eine solche Hilfeleistung nach der bescheidenen Meinung ihrer Ladyschaft nach denn aus? Glaubte sie gar, dass die wilden Bestien aus dem Eis den Rittern in goldenen Rüstungen gleich zur Hilfe eilten? Zugegebenermaßen fiel es dem Nordmann nicht gerade leicht aus seinem filigranen Gegenüber die nötigen Informationen herauszubekommen, geschweige denn zu erörtern, ob die Kleine wirklich so naiv war wie sie sich an dieser Stelle des Abends geben wollte. Der Handel um Land war im Norden nicht ganz so leicht zu bewerkstelligen, schon gar nicht, wenn es sich um Gefilde drehte, die lediglich durch Namen und Ehen übertragbar waren. Kassander bezweifelte stark, dass man es hier anders handhabte, und wenn seine Hilfestellung am Ende wirklich Früchte trug, was unter dem Strich niemand wissen konnte, wäre der Eigner des Landes nicht mehr die liebliche Adlige vor ihm, sondern rechtmäßig deren Vater. Was das zu bedeuten hatte lag zumindest für die beiden Wilden aus dem hohen Norden deutlich auf der Hand: Man konnte sich der Umsetzung des Paktes lediglich dann sicher sein, wenn man sich auf eine Verbindung einigte, die dem gesprochenen Wort den nötigen Rückhalt bot.

Abermals blieben Elories Fragen unkommentiert. Stattdessen richtete der Anführer des heidnischen Königsheers sowohl Wort als auch Aufmerksamkeit an den Diplomaten, mit dem er, für die dritte im Bunde unverständlich, gefühlte Ewigkeiten Absprache hielt. Was besprochen wurde blieb für das Mädchen unergründlich, doch mochte dieses, nannte es ein gewisses Feingespür ihr Eigen, anhand der Stimmlagen ihrer Verhandlungspartner durchaus herausfiltern können, dass der Gesprächsverlauf unverkennbarem Ernst anheimfiel.

Dem hübschen Rotfüchsin blieb zwischenzeitlich nichts Anderes übrig als zu warten und dem Klang der Stimmen zu lauschen. Noch verstand Elorie kein Wort, doch tatsächlich waren ihre Ohren empfindsam und erkannten den Ernst des Gesprächs. Eine leichte Beruhigung, dass der Nordmann sich nicht wie jene Bestie gab, von denen man gehört hatte. Im Gegenteil, er wirkte äußerst distanziert, hatte sie nicht einmal berührt oder seine Blicke anzüglich wandern lassen. Für ihn war die Sache wohl ein ebensolches Geschäft wie für ihren Onkel.Es dauerte bid Kassander dem Bruder im Geiste mittels einer für jeden verständliche Handgeste das Recht zu sprechen einräumte.

„Ihrer Ladyschaft eine Hilfe zu sein setzt voraus, Euch einen Namen zu geben an dem das Gehör des Königs interessiert ist“, begann Boron mit der Weitsicht eines Mannes, der in den weiten Fernen des Eislandes Töchter in Elories Alter besaß. „Zudem hat Kassander nicht gesagt, dass er an Deinen Ländern kein Interesse hegt, lediglich, dass er für ein Land, welches da fern seiner Götter ist, keinen Verwendungszweck sieht.“ Eine Nebensächlichkeit, was durch ein vages Abwinken deutlich wurde. Tatsächlich ging es dem Heerführer nicht um Land oder fruchtbaren Mutterboden, obschon sowohl das eine als auch das andere ein passables Beiwerk darstellte.

„Dein Onkel hat Dich verkauft, Mylady.“, fügte der Nordling mit der Narbenfratze unverblümt an, denn genau so hatte es sich zugetragen. „Die Hilfe meines Herrn gegen Deine … Dankbarkeit.“ Man musste es nicht weiter detaillieren, um die Tragweite des Handels deutlich zu machen, dennoch war und blieb es die dreckige Realität. Nur kurz währte die Stille, welche da der Sohn Rolands nach geraumer Zeit durchbrach, denn letztlich war er der Zierlichen noch immer seine Wahrheit schuldig. Abermals sprach der grobe Rohling eine ganze Weile, ehe es von Boron übersetzt wurde. „Das Kreuz, für das Dein Glaube steht, hat meinen Herrn um das beraubt, was einem Mann aus dem Eis das höchste Gut darstellt: Sein Weib und seine Söhne.“ Ebenfalls eine grausame Wahrheit, doch stellte sie die Grundfesten seiner Beweggründe dar.

„Als Sohn ihrer Erhabenheit, König Roland von Sturmruh, ist es ihm, so dunkel sein Schicksal auch gewesen ist, trotzdem eine Pflicht das Blut der Odinsons durch neue Erben zu stärken.“ Abermals wurde der ausgesprochenen Erklärung durch einen Moment des Schweigens den nötigen Nachdruck verliehen.

„Der Handel um Deine Zukunft sieht folgendermaßen aus, Mädchen: Prinz Kassander, der Schlächter von Galgenfels, wird sich auf Deine Seite schlagen und Du wirst ihm Deine Dankbarkeit dafür mit Körper, Geist und Seele zollen – als sein neues Weib und als Mutter seiner Söhne. Dein Erstgeborener wird eines Tages über das unvergängliche Reich herrschen, während Dein zweiter Sohn der Herr Voraniens wird.“ Eine Hand wusch, war man weitsichtig genug für einen solchen Gedankengang, die andere, denn auch Lady Elorie würde ihr Erbe eines Tages an einen Spross, unter ihrem Herzen erwachsen, abtreten müssen. „Du wirst meinen Herrn zum Mann nehmen und er wird für Deine Familie tun, was in Seiner Macht steht.“ Mit weniger würde sich der Rohling, der sich ihres Schicksals anzunehmen gedachte, nicht zufriedengeben.

 

 Die Reaktion der Rotfüchsin war passend zu ihrem Auftreten. Kein Ausbrechen in Tränen, kein panischer Blick, kein furchtsames Umsehen nach den Wachen. Als glitten die Worte nur durch ihr Gehör hindurch und fanden bloß den Verstand, nicht das empfindsame Herz. Elorie wartete, bis der Diplomat mit seiner Übersetzung aufhörte, erst dann wagte die junge Adelige etwas zu sagen. Vielleicht wäre es ihr schwerer gefallen, hätte Kassander sich als wilder Schlächter gezeigt, so aber mochte man glauben, dass in seiner Brust etwas schlummerte, was Welten miteinander verband.

"Ich danke Euch." Ehrlich? Sie war dankbar? Man konnte nur der Naivität eines Mädchens zuschreiben, dass jene nicht wusste was auf sie zukommen mochte. Aber etwas in Elories Augen verriet, dass sie genau das wusste und bereit war auf sich zu nehmen, was immer dort kam. Die Zukunft würde zeigen wie bereitwillig die Zerbrechliche tatsächlich war, wie untergeben oder dankbar. Das Trugbild, welches den Schlächter verdeckte, war vielleicht dasselbe, welches die Wahrheit über Elorie verschleierte. Beide Männer konnten womöglich nicht verstehen, warum sie so antwortete, warum so ruhig, gab es denn in diesen Gefilden auch einen Seher mit dem die junge Frau gesprochen haben konnte? Und der ebenfalls geraten wurde, sich auf das Angebot einzulassen? Oder sie war derart gottesfürchtig, dass ihr Schicksal eben in jenen Händen lag und wie sagten die Christen: Die Wege des Herrn waren unergründlich.

Ihr Blick suchte wiederholt den des Nordmanns, legte sich in seine Augen als prüfte sie deren Beschaffenheit. Auf ihren Lippen zeigte sich jedoch kein Lächeln aufgrund seiner Statur oder seiner Wildheit. Wo im Gegensatz zu Lady Edith deutliche Neugier, fast schon eigentümliche Faszination zu finden war, blieb zu erraten wie es um die rothaarige Schöne stand. Deren Kopf wohnte allerdings ein höherer Verstand inne, der mehr erkannte als man ihr zutrauen wollte.

"Ich möchte diesen Handel so schnell wie möglich eingehen." Kam es überraschenderweise von ihren Lippen. Gewiss, die Zeit rannte davon, so war sie bloß getrieben von der Schnelligkeit mit der Sand durch eine Sanduhr lief. Kassander brauchte sich keiner Illusion hinzugeben, dass das Mädchen ihn begehrte und von seiner Stärke verschlungen werden wollte.

"Wenn Ihr mir gestattet, so will ich jedoch etwas von Euch verlangen, was unabdingbar sein wird. So unsere Schicksale miteinander verwoben werden, dann auch unser beider Glauben. Ich bin mir gewiss, dass die Trauung unter Euresgleichen stattfinden wird und habe daher die Bitte, dass Ihr trotz eures Grolls einen Priester dem beiwohnen lasst. Er wird unseren Bund vor Gott und dem König bestätigen. Und trotz Eures Verlustes, der mir leid tut, müsst Ihr mir euer Wort geben ihm kein Haar zu krümmen. Weder Ihr, noch Eure Männer dürfen dies tun." Elorie wandte sich danach dem Diplomaten zu, sah ihn an, denn diese Übersetzung war mehr als wichtig. Sowohl Kassanders Hand als auch keine Andere durfte dem Mann etwas tun und gäbe der Diplomat ihre Worte falsch wieder, dann wäre das Ende fatal.

Der Grund, dem diese Bitte zudem entsprang, war simpel. Vor dem König würde der Bund zwischen Elorie und dem Nordmann nicht anerkannt, doch wenn ein Priester bezeugte, dass dem so war, würde niemand die Legitimation angreifen. Und wenn ihr Zweitgeborener die eigenen Länder beerben sollte, so musste das Bündnis nun mal vor der Kirche dieser, ihrer Welt, standhalten. Nicht mehr und nicht weniger verlangte Elorie von dem Nordmann und war bereit ihm weitaus mehr zu schenken als nur ihr Wort. Wenn man überhaupt jemals zu etwas bereit sein konnte...

"Habe ich euer Wort darauf? Das ist meine einzige Bitte." Fügte die junge Frau noch einmal hinzu und ließ den Blick hierfür wieder auf dem Königssohn ruhen. Wenn es ihn störte, dann konnte er seinen Unmut auf andere Art und Weise kundtut, zu gegebener Zeit, sie wäre vorbereitet.

 

Kassander hatte sein Weib geliebt, dies mit Herz und Seele! Die Illusion, eine solche Verbundenheit auf dieser Welt ein zweites Mal zu finden, wohnte dem Rohling weder als Wunschvorstellung noch als Bedürfnis inne. All das und noch mehr würde eine Person, die dazu in der Lage war zwischen den Zeilen zu lesen, beim Blick in seine aschgrauen Seelenspiegel durchaus erkennen können. Elorie zur Frau zu nehmen war für ihn tatsächlich nicht mehr als ein Handel aus Zweckdienlichkeit, was allerdings nicht zu bedeuten hatte, dass er in Zukunft davon absah ihr denselben Respekt entgegenzubringen, wie er es einst bei seiner Liebe getan hat. Ehrlichkeit war es, was ihr sein erwiderter Blick offen zutage trug. Der Wille ihr eine Hilfe zu sein, obschon er diesen Weg auf seine ganz eigene Weise angehen würde.

Sein markantes Antlitz verfinsterte sich ob ihrem Wunsch, auch wenn dieser, dachte man lange genug darüber nach, durchaus legitim war. Mit Körper, Geist und Seele einem Nordmann zu gehören, das hatte die schöne Adelsdame bis hierhin offenbar nicht verstanden, würde für sie gleichsam bedeuten seinen Glauben anzunehmen. Aber wie, so fragte sich der Eisprinz unvermittelt, sollte man einen Geist, der sich Zeit seines Lebens der Willkür des Kreuzes untergeordnet hat, von dieser Bedingung überzeugen können? Wie würde er ihr, wenn nicht mit Gewalt, den Glauben an falsche Götter abstrittig machen können?

Ein Weib, welches zu jenem weissen Christengott betete, der ihm alles genommen hat und der ihm zu lehren wusste wie zerbrechlich das Glück doch sein konnte. War das seine Prüfung? War das sein Pfad, um den Verlust zu schmälern und zu verzeihen? Insgeheim sandte der wilde Barbar einen Fluch zu den Nornen aus, die es ihm an dieser Stelle keinesfalls erlaubten die Verhandlungen abzubrechen. Die innere Stimme war es, jene die seinen Höchsten gehörte, die ihn dazu bewog an Ort und Stelle zu verharren, während das Augenmerk am jungen Ding vor ihm haften blieb.

„Feumaidh tu mo chànan ionnsachadh“, wurden die Verhandlungen weitergeführt, nachdem ihre Forderung weitestgehend verdaut war, „Agus ionnsaichidh tu claidheamh a chleachdadh!“ Mindestens die erste Bedingung war unverzichtbar und würde ihr Leben unter den Wilden bald schon vereinfachen. „Der Prinz des unvergänglichen Reichs nimmt Deine Bitte zur Kenntnis“, gab Boron wieder, denn auch wenn es nicht dem eigentlichen Wortlaut seines Herrn entsprach, empfand es der narbige Nordhüne für wichtig ihr dieses Versprechen abzugeben. Dem Priester würde am Tag der Hochzeit kein Leid widerfahren, obschon sich dieser, beide Krieger wussten das, deshalb nicht weniger dem Tode nahe wähnte. Kassander war nicht willens seine Pläne, die ihn erst so nahe an sein neues Schicksal herangeführt haben, eines unbedarften Mädchens wegen über den Haufen zu werfen. Die hiesige Kirche würde fallen, dies in nur wenigen Tagen.

„Im Gegenzug verlangt mein Herr von Dir seine Sprache und das Führen eines Schwertes zu lernen. In der Schlacht um Dein Land, so es denn mit Diplomatie nicht aus der Welt zu schaffen ist, wirst Du an seiner Seite reiten – so verlangen es unsere Gesetze.“ Äußerst dehnbare Gesetze, auch darüber waren sich die Nordmänner im Klaren, doch interessierte mindestens einen der beiden die Reaktion darauf.

Lady Elorie nickte auf die Worte des Diplomaten hin und war anfangs durchaus erleichtert, doch der Moment währte nur kurz und wich aufkommender Überraschung, so sie denn hörte, was man des weiteren von ihr verlangte. Die Sprache, das verstand die rothaarige Schönheit nur zu gut, aber ein Schwert zu führen? Ein mehr als seltsamer Gedanke und kaum vorstellbar, dass der Barbar dies von ihr wollte. Dieses Mal zeigten die grünen Augen was man von einer jungen Frau in dieser Welt erwartete, die Unsicherheit ob sie richtig verstanden hatte. Ihre Lippen öffneten sich nicht für eine Antwort, denn der Verstand tobte noch, drehte sich zunächst im Kreis, aber fand dann zu einem Ende das sie auch mitzuteilen gedachte.

"Ich will eure Sprache lernen und auch wie man mit einem Schwert umzugehen hat. Aber dann von Euch." Der Einwand den sie brachte war berechtigt. Vielleicht weil die junge Frau hoffte, dass er mit dem Schwert aufgab, sah er, dass sie nicht gut darin war. Sie wollte nicht an einen seiner Männer übergeben werden, dort abgesetzt wie ein unartiges Kind. Soviel wagte Elorie von ihrem Charakter zu zeigen, ein kleines Aufbegehren, auch wenn es hinter lieblicher Stimme verpackt blieb.

Und die Reaktion, die den Kömigssohn zufrieden stimmte, erst einmal abgewartet, war es an der Zeit die Gespräche mit Gustav in Angriff zu nehmen. Dieser, so wusste der Heide bereits im Vorfeld, würde auch an dieser Stelle nicht unbedingt als zufriedener Handelspartner aus der gegebenen Zusammenkunft herausgehen.

„Dè cho fad 'sa tha thu a' fuireach ann an taigh an uncail?“, verlangte Kassander noch zu erfahren, während dieser bereits auf dem Absatz seiner Stiefel kehrtmachte, um den Rückweg anzustreben.

„Mein Herr verlangt zu erfahren, wie lange Du bereits unter dem Dach Deines Oheims gastierst.“, so Boron, dessen Blick ein letztes Mal über die filigrane Adelstochter glitt, bevor er seine Schritte an die Seite seines Freundes lenkte. Insgeheim bezweifelte er stark, dass die kleine Schönheit wusste worauf sie sich hier tatsächlich einließ. Ihr Leben, bisweilen im Innern von geschützten Häusern geführt, würde sich anhand des voraussichtlichen Bundes mit einem Nordmann völlig verändern … angefangen bei der Wohnsituation und geendet bei der Tatsache, dass sie fortan das Bett mit einem stinkenden Wilden zu teilen hatte.

"Seit einem halben Jahr", antwortete die junge Adlige und es gab keinen einzigen Tag, an dem sie nicht versucht hatte für ihr Recht zu kämpfen. Blieb nur zu hoffen, dass ihre Eltern in den Kerkern des Königs gut versorgt wurden. Wenn nicht, so gab es nur noch ihr Land für welches Elorie einstehen konnte. Ihr Weg führte die Drei wieder zurück zu den Treppen. Simon, seine Frau und sein Kind waren bereits ins Innere des Gemäuers verschwunden, Gustav und sein Weib standen noch an den Stufen um abzuwarten wie das Gespräch verlief. Und natürlich um einzugreifen, sollten sich die Dinge anders entwickeln. Sobald die Sorgen aber durch das Erscheinen Kassanders, Borons und natürlich Elories verschwunden waren, lud man den Nordmann und seinen Übersetzer ins Innere ein. Es seien Speis und Trank vorbereitet worden, wenn sie wollten, wenn sie hungrig und durstig waren. Etwas um die erfolgreichen Verhandlungen zu feiern. Elorie wurde von ihrer Tante in Empfang genommen und schon hineingeführt, Gustav trat aber nochmal auf Kassander zu und schenkte Jenem ein Schmunzeln.

 

"Ihr seid euch wohl einig geworden", vermutete der Fleischige und bot ihm in einer einladenden Geste Zutritt zu seinem Haus an. Was die Beiden im Innern erwartete war eine willkommene Abwechslung zum Leben im Wald. Kein piekfeiner Tisch, aber es gab ihn. Und er war gefüllt mit Schalen voll Gemüse, Kartoffeln, Brei und daneben Teller mit Fleisch verschiedener Tiere. In der Mitte stand sogar ein braun geröstetes Ferkel mit einem Apfel im Mund. Als habe man bereits mit dem erfolgreichen Ausgang der Verhandlungen gerechnet. Die Tafel war weniger prunkvoll gedeckt als angenommen, womöglich um die Gäste nicht zu beleidigen. Simon und seine Frau saßen zur Linken, Lady Edith würde direkt neben Boron sitzen, einen Platz von Kassander entfernt, Elorie natürlich neben dem Nordmann, als müsse ihre Gesellschaft noch immer zu Sinn und Zweck des Handels eingesetzt werden. Wer den Schlächter jedoch am Meisten erwartete, war Lady Edith.

"Feora! Bring unseren Gästen Wein!" Die aus ihrem Mund herbeigerufene Dienstmagd eilte heran, ein süßes blondes Ding mit Sommersprossen, doch ihre Hand zitterte beim Einschenken und strafte ihrem selbstbewussten Auftreten Lüge. Ganz anders als Lady Edith. Die schwarzhaarige Schöne prostete Kassander ganz offen zu, neigte den Oberkörper dann ein wenig in seine Richtung, Boron vollkommen ignorierend.

"Ich hoffe die Verhandlungen waren ganz zu Eurer Zufriedenheit. Ich kann Lady Elorie nur beglückwünschen..." Ein Zwinkern in Richtung der Rothaarigen, mehr als eindeutig und ja, sie beneidete das Mädchen um den Mann der bald zwischen ihren Schenkeln liegen sollte. Was Simon an Muskeln und Wildheit fehlte, war diesem Exemplar von Nordmann mehr als gegeben.

"Sagt mir ob es wahr ist, dass die Männer eures Landes ihre Frauen wie wilde Tiere von hinten stoßen?" Die Frage kam unerwartet, kannte man Lady Edith nicht. Aber auch wenn man sie kannte, so war man doch überrascht, dass sie derart früh gestellt wurde. Ihr Finger glitt derweil an dem eigenen Kelch entlang, als warte sie nur auf Kassanders Worte um es sich besser vorstellen zu können. Elorie beobachtete das Treiben zu ihrer Seite ruhig, doch der Blick traf die Schwarzhaarige deutlich. Am Liebsten wäre sie aufgestanden um Ediths Provokationen zu entgehen, doch dieses Verhalten wäre kränkend gegenüber der Gäste gewesen.

„Zweihundert und siebzig ungewaschene Männerschwänze vor den Toren Deines Schwiegervaters, Mylady, die Dir Deine Frage ohne Worte oder federlesen nur zu gern beantworten würden“, antwortete der narbengesichtige Boron anstelle seines Herrn amüsiert, allem voran aber laut genug, um mit dem gesprochenen Wort auch Simon zu erreichen. Eine Frage, die es unter der Hand des Doplomaten wohl nicht gegeben hätte. War der Sohn ihres Gastgebers tatsächlich zu wenig Mann, um vom eigenen Weib respektiert zu werden? Simon besaß vermutlich andere Qualitäten, was auch immer damit gemeint war. Er würde ein kläglicher Krieger abgeben, so viel stand für Boron fest. Ein Grünländer durch und durch, dem es bis hierhin wohl kaum gelungen war die Furche seiner Frau nach ihrer Zufriedenheit zu pflügen. Eine traurige Wahrheit, die sich hier am Tisch des Hausherrn wohl als Nebensächlichkeit herausstellen dürfte.

Es hätte den guten Simon wirklich mehr ärgern sollen, doch der Mann führte mit Edith eine reine Pflichtehe. Wüssten Kassander und sein Diplomat mehr über die Umstände unter diesem Dach, so wären sie wohl kaum überrascht über das Verhalten der Schwarzhaarigen. Bis auf ebenjene wirkten Gustav, sein Weib und sein Sohn leicht angewidert von den stinkenden Nordländern, enthielten sich aber jeglichen Kommentars. Elorie blieb so still wie der Mann an ihrer Seite, nur waren ihre Bewegungen weitaus feiner und eleganter. Ob das nur an den beobachtenden Augen von Onkel und Tante lag, blieb abzuwarten. Sie aß jedoch nur wenig und trank den Wein nahezu tröpfchenweise. Von ihrer Seite aus kam nicht einmal der Ansatz einer Unterhaltung auf, um den zukünftigen Gatten an ihrer Seite besser kennenzulernen. Vielleicht wollte sie sich solche Unterredungen ja auch aufsparen und unter vier Augen führen. Borons Kommentar bezüglich erntete jener ein amüsiertes Lachen von der schwarzhaarigen Lady. Es schien sie fast schon zu ermutigen, dass man ihr derart blattlos antwortete und sie prostete dem Diplomaten für seinen freche Konter zu. Keine einzige Wange färbte sich rot, Elories jedoch schon, aber sie aß im Stillen weiter und versuchte sich nichts anmerken zu lassen. Was auffallen mochte war dennoch die Haltung der Rothaarigen. Sie versteckte sich nicht schüchtern, sie saß einfach wo sie saß, hörte den Unterhaltungen zu, beobachtete mit ihren Augen und ließ für kleine, feine Momente ihre Gesichtszüge für sich sprechen. Wenn Jemand noch weniger an diese Tafel passte als die beiden Nordmänner, dann auf ihre eigene Art und Weise die junge Adelige.

Kassander jedenfalls blieb unbeeindruckt, sicherlich auch aus dem simplen Grund heraus, da ihm die Unverfrorenheit, die ihm Lady Edith entgegenbrachte, lediglich anhand ihres anzüglich anmutenden Lächelns auffallen wollte. Es war ihm gleich. Viel lieber nahm er das Abendmahl, an dem er sich unschicklich schmatzend gütlich tat, zum Anlass die Verhandlungen zu Ende zu bringen. Abermals hielt er also mit seinem Freund Absprache, ehe dieser in die hiesige Sprache übersetzte:

 „Mein Herr wünscht über das Brautgeld zu sprechen“, gab der Hüne von sich, während sein Blick aus eisblauen Augen gen Gustav wanderte. „Du magst in dieser Sache der Redeführer sein, doch wird die ausgehandelte Summe an den rechtmäßigen Besitzer übergehen, sobald dieser aus dem Kerker des Königs befreit ist.“ Ernüchternd, doch war der Schlächter auch in dieser Sache deutlich am längeren Hebel. „Nichtsdestotrotz sollst Du für Deine Mühen, das baldige Weib des Prinzen in Obhut genommen zu haben, entlohnt werden, Gustav.“ Zu viel des Guten, die Nordmänner wussten das, doch für Elories Wunsch, den Bund so schnell wie irgendwie möglich einzugehen, vermutlich ein notwendiges Übel. Gustav verstand sich auf das Geschäftemachen, daran zweifelte sein Handelspartner nicht. Gerade deshalb würde man guten Gewissens davon ausgehen können, dass der Herr dieses Heims die Nichte wohl lieber unter seinem Dach ergrauen lassen würde, als ohne Profit aus dieser Sache herauszugehen.

„Prinz Kassander spricht Dir achtzehn Unzen Gold zu, für jeden Mondzyklus, den Lady Elorie unter Deinem Dach in Sicherheit gewesen ist, drei. Hinzu sechs unserer Nordpferde, um das Blut eurer Gäule zu stärken. Ebenfalls für jeden Mondzyklus einen Eislandrappen. Jungblut, was sich von selbst versteht.“ Ein gutes Angebot, besah man sich der Tatsache, dass es sich hier um ein zusätzliches Vermögen handelte, das der hochbegorene Nordmann neben dem üblichen Brautgeld zu zahlen gedachte.

Der Schlächter von Galgenfels ging hierbei keinesfalls unbedarft vor, denn letztlich würde ihm besagte Auslöse, die er für die Ehe ohnehin zu zahlen hatte, schlechtestenfalls wieder in die Hände fallen und bestenfalls in der Familie bleiben. ´Bestenfalls´ lag selbstverständlich im Auge des Betrachters!

„Deine Nichte möchte den Bund so schnell wie möglich eingehen. In vier Sonnenläufen ist Odinstag und mein Herr gedenkt an diesem Sonnenlauf keinesfalls vor falsche Götter zu treten. Der Ehebund kann vor oder nach besagtem Tag vollzogen werden. Ist Deine Nichte die Verbindung eingegangen, wird sie als Weib des Prinzen für die Dauer des Raubzuges und der Verhandlungen mit eurem König unter den Nordmännern weilen. Dir wohnen nach der Vermählung keine Pflichten mehr inne, allerdings wird das Recht, über Elories Schicksal zu bestimmen, mit der Stunde der Vermählung gleichfalls vollends an den Schlächter übergehen. Die Verwaltung ihrer Ländereien wird ebenfalls auf Lady Elorie übertragen, was im kommenden Vertrag gleichsam mit einer zehnjährigen Bruderstille, einem Friedensabkommen, festgelegt werden soll.“

Auch hierbei handelte Kassander nach bestem Wissen und Gewissen. Dass das Land, welches auf den Schultern der zierlichen Adligen ruhte, dem Bruder des Gastgebers gehörte, bedeutete seines Erachtens nicht eine Sekunde, dass Gustav die Gunst der Stunde nicht nutzen könnte, um seinen Mutterboden dann zu erweitern, wenn Voranien am verletzlichsten war.

Sobald das Gespräch wieder eröffnet wurde, man zu wichtigen Details des Handels überging, horchte Gustav auf. Und er hörte sehr genau hin, vielleicht selbst überrascht - nein ganz sicher sogar überrascht - von der Großzügigkeit des Schlächters. Aber natürlich war der Mann daran interessiert niemals das erste Angebot anzunehmen das ihm gegeben wurde.

"Ihr bringt mein Herz zum Strahlen", betonte Gustav, als er sich zum Dank tatsächlich von seinem Sitz erhob und vor Entzückung beide Hände zusammenschlug. "Ein mehr als ehrenhaftes Angebot Eurerseits, doch muss ich leider hinterfragen weswegen Ihr von achtzehn Unzen ausgeht? Meine liebe Nichte befindet sich seit einem ganzen Jahr unter unserer Obhut, demnach wären es noch einmal so viel." Korrigierte Gustav Boron und musste sich bemühen vor lauter Gier keinen Speichel in den Mundwinkeln zu bilden. So viel Gold und dann auch noch Pferde hatte er nicht einmal für seine eigene Tochter bekommen. Wer nun log, durfte Kassander sich an einer Hand abzählen. Aber ehe die Situation durch die Gier ihres Onkels auszuufern drohte, besaß Elorie ein Einsehen.

"Ein halbes Jahr." Drei Worte die ohne Vorwurf von ihren Lippen kamen, die aber ein schweres Gewicht trugen. Einerseits stellten sie ihren Onkel als Lügner dar, andererseits widerlegte die junge Adelige damit wohl auch, dass sie ganz und gar unterwürfig sein mochte. Dieser offene Affront gegen die eigene Verwandtschaft machte deutlich, dass die Beiden wohl nicht das beste Verhältnis zueinander hegten. Der Blick, der das Mädchen traf war besorgniserregend, als wolle Gustav ihr für eine kleine, winzige Sekunde den schönen Hals umdrehen. Seit wann wagte sie in seiner Gegenwart zu widersprechen? Besaßen die Nordmänner etwa jetzt schon einen so grausigen Einfluss auf seine Nichte? Elorie selbst war die Einzige, die ihr Handeln erklären konnte, doch sie blieb ruhig, nahm einen neuen, winzigen Schluck Wein und erhob sich urplötzlich.

"Ich möchte mich zurückziehen", erklärte die Rothaarige, würde sich tatsächlich auch abwenden wollen. Vielleicht gefiel ihr das Tischgespräch nicht länger, weil ihr Leben seit dem Moment des Sonnenuntergangs als eine Art prächtiges Zugpferd gehandelt wurde. Oder sie wollte schlichtweg nicht mitansehen, wie man ihrem Onkel vor aller Augen die Zunge aus dem Mund schnitt. Oder was auch immer die Nordmänner für  eine gerechte Art der Bestrafung hielten. Ihre Grausamkeiten lernten Elorie wahrlich früh genug kennen...

 

Eines musste man der lieblichen Rotfüchsin neidlos zugestehen: Elorie war ehrlich, mindestens musste Kassander davon ausgehen. Das Leben ihrer Eltern hing an der Wahrheit, dessen war sie sich trotz aller Widrigkeiten durchaus gewahr. Welchen Grund also hätte das schöne Mädchen denn an dieser Stelle zu lügen? Rolands Sohn indes überging die dargebrachten Unwahrheiten mit einem seltsamen Schnauben, ehe sich die seinen vom Fleisch fettigen Finger gar grob um das Handgelenk seiner Verlobten schlossen. Er hatte seine Gründe. Mit Gustav Gespräche zu führen war reine Gutmütigkeit und genau das stellte sein Handeln hierbei wortlos unter Beweis. „Setz Dich, Mädchen“, grunzte Boron, das Handeln seines Herrn auf durchaus einprägsame Weise kommentierend. Stille hielt Einzug. Eine, die keinesfalls wohltuend wirkte. Anspannung, denn der Herr dieses Heims lehnte sich mit seinen Lügen von der Warte des Schlächters aus gesehen wahrlich zu weit aus dem Fenster.

Zum ersten Mal nahm Elorie die Stärke dieses Mannes wahr. Am eigenen Leib und wenngleich nur an ihrer Hand, so war es doch genug, um Furcht zu empfinden. Vor dem was ihr noch alles bevorstand, denn so deutlich wie jetzt hatte sich die Erkenntnis noch nicht in den Geist der Adeligen eingebrannt. Was auch immer der Nordmann verlangte, sie würde sich fügen müssen. Weil er überlegen war, zumindest körperlich. Elorie musste andere Wege finden um sich zu behaupten, das stand fest. Ihre Augen ruhten auf den Fingern welche das Handgelenk umklammerten. Sie sahen beinahe unwirklich aus, die dunkle, schmutzige Haut, darunter der weiche, helle Ton der Ihren. Nur langsam setzte sich die junge Frau wieder, beendete die eingetretene Totenstille damit und auch Lady Edith - was wirklich eine Überraschung war - hatte den Atem angehalten und der Situation gedacht.

Kassanders Appetit schmälerte es allerdings nicht, denn als ihm die filigrane Adlige gehorchte, liess der Heide vom Rotfuchs ab und aß unbekümmert weiter. Kauend setzte er zum Sprechen an und wenngleich sein Blick an Gustav haften blieb, waren die Worte an Boron gerichtet.

„Ihr solltet weislich darüber nachdenken ob es eurem Leben zuträglich ist, wenn es darum geht einen Nordmann zu bescheißen“, entkam es dem Diplomaten, dessen Stimme joviale Züge angenommen hat. „Mit Dir zu verhandeln basiert lediglich auf gutem Willen. Wir alle, die wir das Handeln in die Wiege gelegt bekamen, wissen darum, dass es nicht von Nöten wäre.“ Abermals hielt Stille Einzug, ehe der Blick des nordischen Königssohns aus eisengrauen Augen vom Hausherrn zu dessen Nichte glitt. Wieder wurde gesprochen und abermals war es des Prinzen Bruder im Geiste, der das Wort in die Sprache des grünen Landes übersetzte.

„Du bist Deinem Oheim nichts schuldig, Mylady.“ Mindestens aus der Sicht der Nordmannen nicht. „Erst verkauft er Dich, dann versucht er jene, an die Du verschachert wirst, über den Tisch zu ziehen. Ein Wort von Dir reicht aus, Mädchen, und Gustav geht leer aus diesem Geschäft.“ So einfach wie verwunderlich. Elorie, ganz gleich wie sie es sehen wollte, war kein Marktfleisch. Sie besaß Macht und Mitspracherecht, was womöglich noch befremdlicher als die Vorstellung, ihr Leben fortan unter Heiden verbringen zu müssen, auf sie wirken dürfte.

„Dèan co-dhùnadh“, floss es über die Lippen des Eisprinzen. „Entscheide Dich“, fügte der Übersetzer unvermittelt an, denn fortan sollte die filigrane Schönheit über Recht und Unrecht walten. Zeit ihres jungen Lebens vielleicht zum ersten, aber nicht zum letzten Mal. Fortan hatten ihre Worte Gewicht, woran sich das Mädchen mit allumfassender Sicherheit erst einmal würde gewöhnen müssen. Als Frau eines zukünftigen Königs gab es für sie keine Möglichkeit kommenden Entscheidungen einfach aus dem Weg zu gehen, und es der Meinung ihres baldigen Gatten nach nur recht und billig ihr dies gleich vorweg einzuverleiben.

 

Gustav gefiel der Ton des Nordmannes nicht. Ihm gefiel besonders nicht wie ebenjener seine Nichte dazu anstacheln wollte eigene Entscheidungen zu treffen. Als besäße sie Macht wie ein Mann sie besaß! Es war lächerlich. Dennoch hielt der Fleischige sein abfälliges Schnauben zurück und betrachtete das liebliche Gesicht seiner Nichte. Wie auch immer sein Bruder geschafft hatte ein solches Juwel zu zeugen, nun bedauerte er beinahe seinen eigenen Samen, welcher mit Simon und Wylla vergeudet schien. Jene konnte man nicht den Nordländern zum Fraß vorwerfen um an Macht zu gelangen.

Die neu zugeteilte, ungewohnte Macht lastete indes schwer auf den Schultern Elories, doch man sah nichts davon auf ihrem Gesicht. Sie betrachtete Gustav wie er noch immer stand, ließ den Blick dann über Kassander und Boron schweifen und ahnte, was der Schlächter bezwecken wollte. Es war eine Prüfung. Und gleichermaßen eine Prüfung ihres Herrn.

"Er hat mich nicht verkauft", korrigierte die Rothaarige, aber nicht überheblich. Was auch immer man ihrem Onkel vorwerfen mochte, er war der Anker gewesen, der sie aus dem tosenden Meer gezogen hatte als alles zusammenzustürzen drohte. Und was das anging, empfand Elorie sich noch immer in seiner Schuld stehend.

"Belasst euer Angebot in dem großzügigen Maß." Das Urteil war gefällt, aber sie fühlte sich noch verpflichtet ihren Onkel anzusehen. "Bitte, ich möchte kein Blutvergießen unter Eurem Dach..." Was unweigerlich folgen würde, wenn der Mann sich weiter derart skrupellos verhielt. Elorie erinnerte sich an die Gerüchte über die Barbaren aus dem unvergänglichen Reich und Gustav tat es ihr hoffentlich gleich. Der Mann musste zähneknirschend eingestehen, dass er am Tisch unter seinem eigenen Dach den Kürzeren zog und wenn er weitermachte, würde es ihm nicht gut bekommen.

"Ich möchte mich zurückziehen", wiederholte die junge Adelige, doch dieses Mal sprach sie direkt mit Kassander. War denn nicht alles gesagt? Der Abend hatte genug Kraft von der Rothaarigen verlangt und sie sich, in ihren Augen, nicht schlecht geschlagen. Gemeinsame Zeit würde sie mit dem Nordmann bald noch oft genug bekommen, besser jene Augenblicke nutzen, in denen sie noch nicht zur Gänze unter seinem Einfluss stand. Das Essen war sowieso bald vorbei und was hielt die Gäste dann noch hier? Es mussten Vorbereitungen getroffen werden. Auf beiden Seiten.

Und freilich, Gustav war nicht der erste Handelswillige, der versucht war einen Nordmann über den Tisch zu ziehen. Dennoch ärgerte sich der Schlächter darüber wohl inniger, als es ihm bei jedem anderen die Wut ins Knochenkleid getrieben hätte. Die Sachlage war einfach: Bereits morgen hätte er sein Heer zusammenraufen und gen dies Gemäuer ziehen lassen können. Grimmige Barbaren, die ihrem Anführer bedingungslos folgten. Wer hätte sie aufhalten wollen? Simon vielleicht, dem es offenkundig nicht einmal gelang sein Weib zu befriedigen? Die geringfügige Soldatenschaft des Hausherrn, die den eingefleischten Hunden aus dem Eis nicht einmal im Ansatz hätten das Wasser reichen können? Womöglich der König, der wiederum nicht einen Soldaten ins Feld schicken würde, wüsste er um die nahende Bedrohung, die ihm die Arbeit des Ränkespielens sogar noch abnahmm. Nichtsdestotrotz stand er da, dieser fleischige Hurensohn aus gutem Hause, und glaubte dem guten Willen seines Gastes mit Lügen begegnen zu können. Ein Gast wohlgemerkt, der lediglich hier war um das Schicksal seiner Nichte abzuwenden. In der Tat, Gustav hatte einen Fehler begangen. Einen Fehler, der Kassander wiederum durchaus gelegen kam, denn auch wenn sein dekadentes Gegenüber nur für die Flüchtigkeit einiger Herzschläge sein wahres Antlitz gezeigt hat, wusste der rohe Nordling nun darum wie wenig vertrauenswürdig jener Mann doch war, der in all seiner Lächerlichkeit das Zentrum dieser Tafel krönte. Hinzu kam, dass sich der Barbar in seiner Handlungsstrategie bestätigt sah. Er hatte gut daran getan zu aller erst mit Elorie zu sprechen und dabei die richtigen Fragen gestellt zu haben. Kassander mochte eine ungebildete Seele sein, nicht aber ein dummer Mann. Die ehrlose Verlogenheit der Grünländer war ihm wahrlich nicht fremd, weshalb es für den Nordmann galt aus der Situation die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Anbei war ihm nicht entgangen, dass in seinem zukünftigen Eheweib bei weitem mehr Schneid steckte, als in deren Oheim. Die Hoffnung darauf, dass ihr Vater ein weitaus ehrbarerer Mann denn sein Bruder war, lag auf der Hand. Und selbst wenn nicht, hatte er den Funken an Wildheit, der einem jeden Menschen innewohnte und der vom Kreuz höchst selbst so gut es diesem möglich war ausgemerzt wurde, im Spross seiner Lenden nicht gänzlich verglimmen lassen. Das Leben unter Heiden würde anfangs nicht leicht für die Adlige sein, doch mochte ihre Aufrichtigkeit eines deutlich bewiesen haben: Das Blut des Nordens stand ihr gut zu Gesicht! Sie war mehr als das, worauf man das zierliche Mädchen so sehr zu reduzieren versuchte. Ein Wildfang womöglich, dem es bisher einfach vergönnt gewesen ist das Leben in Freiheit zu leben. Temperament steckte in ihr, obschon es durch jahrelange Erziehungsmaßnahmen so gut wie verblasst ist.

Die Machtverhältnisse verschoben sich träge, aber sie verschoben sich. Elories Worte waren stummes Gesetz und ihre zweite Bittstellung, den Tisch verlassen zu dürfen um ihrer eigener Wege gehen zu können, wurde umstandslos von ihrem zukünftigen Gatten abgenickt. Für einen Abend reichte es.

„Amàireach bheir thu an sagart an seo“, entkam es Kassander an Gustav gerichtet, während sein Tonfall längst nicht mehr so freundschaftlich klang wie zu Anfang ihres Handels noch. So schnell wie möglich, hatte es jene junge Frau, der er beim Rückzug noch eine lange Weile unverhohlen auf die wohlgeformten Rundungen ihres Hinterteils gestarrt hatte, nicht so von ihm verlangt? Und zugegeben, so richtig mochte er diese Schuld, die das Adelsgeschöpf offenbar für den eigenen Oheim empfand, nicht nachempfinden können.

„Bidh mi a 'caitheamh an oidhche taobh a-muigh do gheataichean.“ Erst als Lady Elorie aus seinem Blickfeld verschwunden war, richtete er das Augenmerk auf den Hausherrn. Rülpsend schob er den Teller ein gutes Stück von sich fort, um sich sodann zu erheben und abzuwarten, bis Boron es ihm gleichtat.

„Prinz Kassander wird vor den Toren nächtigen. Ruft mit dem neuen Tag nach Eures Gottes Fürsprecher, damit den Worten Taten folgen können.“, übersetzte dieser noch, bevor sein letzter, anzüglicher Blick offenkundig und ungeniert der schwarzhaarigen Lady Edith galt.

„Du weißt wo Du mich findest, wenn Du Dich nach Antworten sehnst.“

Eine Dreistigkeit jagte die nächste, doch musste es Gustav nach seinem brachialen Fehltritt über sich ergehen lassen. Was an seiner eigenen Tafel stattfand war für ihn kaum zu ertragen und es kostete den Mann Mühe und Not sich zu beherrschen. Auch er besaß Männer, aber sie kämpften nicht mit derselben Verbissenheit und er wollte keinen Krieg mit dem Norden riskieren. Also schluckte er runter was auf der Zunge brannte und nickte. Schon morgen wollte Kassander die Vermählung erwirken? Natürlich kam dem Fleischigen diese Entscheidung gelegen, auch wenn ihm weiterhin missfiel wie Kassander seine Nichte ermutigte ein eigenes Urteil zu fällen. Sie war dazu da ihm das Bett zu wärmen, ihm zu gefallen, seinen Samen auf Knien zu empfangen und alles zu tun, damit die Familie Habing bei einem beginnenden Krieg als Sieger hervorgehen würde! Wehe wenn ihm das rothaarige Miststück dies versaute.

Die Worte Borons an Lady Edith, bevor er an der Seite seines Herrn hinaus in die Nacht verschwand, stießen überdies auf den unterdrückten Zorn Simons, ebenso auf ein entwaffnendes Lachen der Schwarzhaarigen, welche sich vor aller Augen natürlich nicht dazu äußern wollte. Blieb abzuwarten ob sie in der Nacht wirklich unter das Fell des Narbigen schlüpfte und leider wartete eine Enttäuschung auf den Mann. So leicht war Lady Edith wohl doch nicht zu haben.

3.

Was noch weiter in der Halle geschah blieb für Elories Ohren ungehört. Sie war froh, sich dem unliebsamen Tanz entziehen zu können und hier, in dem kleinen Zimmer, welches sie ihre eigenen vier Wände nennen konnte, bekam sie die erhoffte Ruhe. Ein paar Minuten weiter und ein paar gelöste Haarnadeln später bereute Elorie ihre Entscheidung bereits. Denn nun, da Stille sie einholte, kamen auch die zuvor heruntergeschluckten Gedanken mit hoch und drängten sich in ihrem Kopf, dass kaum noch Platz blieb. Natürlich war Kassander Odinson fast allgegenwärtig und von so vielen Rätseln umgeben, dass ihr beim Nachdenken schwindlig zu werden drohte. Was genau trieb ihn an ihr zu helfen? Ihm ging es doch nicht allein um ein Weib, da konnte er gewiss unter den Eigenen wählen. Etwas musste hinter der Fassade schlummern, doch wenn der Schlächter etwas anderes wollte, warum durch einen Handel wenn nicht durch Krieg ansetzen. War das nicht ihre Art? Waren sie nicht grausame, schlachtende Bestien ohne Gnade und ohne Mitleid? Heute Abend hatte Elorie ohne es zu wollen andere Seiten jenseits der Gerüchte erfahren. Wie sie das Gebaren ihres Verlobten einzuordnen hatte, blieb ihr noch ein Rätsel.

Die Bürste wurde schließlich zur Seite gelegt, endlich lag das rote Haar breit gefächert über Schultern und Rücken, gleich danach befreite Elorie sich auch von der teuren Seide und atmete beinahe auf, als sie nur noch von einem Hauch Stoff bekleidet in der Mitte des Raumes stand. Schöne Kleider gefielen der Rothaarigen, ihr gefiel auch Schmuck und Bänder in den Haaren, doch seit einigen Monaten war ihr, als hätte all das seinen Reiz verloren. Seit jenem verhängnisvollen Tag. Wenn sie in dieser Nacht überhaupt Schlaf fand, so war jener gewiss unruhig und von merkwürdigen Träumen versehen. In manchen kamen ihre Eltern vor, in manchen ihr Onkel, in manchen tauchte der Nordmann auf und griff wieder und wieder nach ihrem Handgelenk. So lange, bis sich ihr Mund öffnete um von ihm zu verlangen weiterzumachen, doch gerade als sie ihn darum bitten wollte, zog der Schlächter sein Schwert und stieß es mitten durch ihr Herz. Zu jenem Zeitpunkt schreckte Elorie schweißgebadet hoch und musste sich mit einem Griff an ihre Brust vergewissern, dass es nur ein Traum gewesen war.

 

Die Nacht verging also für ein paar Seelen dieses Landstrichs nur sehr zäh und die neue Sonne ging derart zögernd auf, als wüsste sie nicht so recht, ob es die Mühe lohne. Ein neuer Tag begann, was den beiden Nordmännern, die sich vor den Toren des Anwesens während der unheilvollen Träume ihrer Ladyschaft langen Gesprächen über die Beweggründe des Prinzen hingegeben hatten, erst auffallen wollte, als das rötliche Licht des frühen Morgens mit der Wucht einer ins Alter gekommenen Schneelawine über ihre Köpfe hinweg rollte. Allmählich verstand Boron, was sein Freund seit Kindertagen umtrieb. Allem voran wurde diesem klar und klarer, dass der Nordmann an seiner Seite nicht aus Eigennutz handelte, sondern der festen Überzeugung erlegen war auf dem Pfad der Nornen zu wandern. Kassanders Glaube an die Götter war bereits seit jeher unerschütterlich, während sein Schicksal viele Jahre vor den Augen der Seher im Nebel der Ungewissheit verborgen gelegen hat. Sollte er Priester werden? Schickte ihn Odin höchst selbst im Namen seines Vaters und für das unvergängliche Reich in den Krieg? König Roland, hatte für ihn über das Schicksal bestimmt und seine Entschlüsse weise gefällt. Sein Sohn hatte dem Hause Odinson viel Ehre eingebracht, während man sich heute sicher war, dass sein Glaube an den Göttervater die Pfade des Schlächters geebnet haben musste. Sein Verlust, so sagte man es zumindest, hatte den Anführer des nordischen Heers stärker gemacht. War dem aber wirklich so? Mindestens im Stillschweigen besaß jeder ihm unterstellte Krieger eine andere Meinung darüber, was ihren Glaube an den Königssohn jedoch nicht geschmälert hat.

 

Auch unter dem Dach der Habings begann der Morgen mehr als ruhig, fast schon gespenstisch still. Die Nachwirkungen des letzten Tages waren im gesamten Anwesen zu spüren, wenigstens hatte Gustav noch am gestrigen Abend nach einem Priester schicken lassen, sodass jener noch rechtzeitig eintreffen durfte um seinen Zweck zu erfüllen. Dass er sich diese heidnische Grausamkeit gut bezahlen ließ verstand sich von selbst. Elorie hatte man schlafen lassen, sie erfuhr die Neuigkeit erst nach dem Erwachen, eine kleine List um der jungen Frau mehrere Stunden Aufregung zu ersparen.

In Zwischenzeit schickte man eine Depesche um die beiden Eisländer über das Eintreffen des Priesters in Kenntnis zu setzen, was Kassander wiederum dazu bewog den narbigen Diplomaten Boron gen Heerlager zu entsenden. Mit achtzehn Unzen Gold und sechs Pferden solle er wiederkehren, während der nordländische Prinz mindestens genügend Anstand besaß nach einer Waschmöglichkeit zu suchen, um nicht ganz so verdreckt die Zweitehe eingehen zu müssen. Nun gut. Das Bündnis vor dem falschen Gott sah der Rohling keinesfalls als Hochzeit, sondern als notwendiges Übel an. Am Odinstag würde er das Mädchen vor seinesgleichen zur Frau nehmen, denn genau so sprach es ihm jene innere Stimme, die nicht die seine war, leise und verstohlen ins Gedankengeflecht.

Und nun, da auch die Rothaarige von ihrem Schicksal wusste, konnte man ihr aufkommende Aufregung nicht verdenken. Jeder bereitete sich wohl auf andere Art und Weise auf die anstehende Vermählung vor und Elorie fand sich zu diesem Zweck zu früher Morgenstunde in den Stallungen ein. Die Anwesenheit der Tiere besaß eine beruhigende Wirkung, das zwischenzeitliche Schnauben, das leichte Scharren der Hufen war eine Wohltat gegenüber jeglicher zwischenmenschlicher Unterhaltung. Gehüllt in einen Morgenmantel, dazu nur barfuß, das Haar zu einem Zopf geflochten, stahl sie sich oft genug hierher, sodass man wusste, wo die junge Frau steckte und ihr jeder diesen Moment der Ruhe gönnte. Falla, so hieß die Stute die Elorie ihr Eigen nannte, eine hellbraune Schönheit und letztes Geschenk ihres Vaters. Hier bekam die zierliche Adelsdame wenig vom aufkommenden Trubel im Anwesen mit. Wenn man sie brauchte, so würde man schon nach ihr schicken. Elorie freute sich jeden Abend auf den nahenden Morgen. Der Besuch im Pferdestall war ein festes Ritual und längst in Fleisch und Blut übergegangen. Stets mit nackten Füßen und einem Apfel in den Weiten des Morgenmantels wagte auch niemand die junge Frau dabei zu stören.

Dass Kassander an diesem Morgen denselben Weg wie sein zukünftiges Weib einschlug, konnte der Wilde nicht ahnen. Wer erwartete die Kleine schon bei den Pferden, an deren Wassertröge er gerade dabei war sich seines Wamses zu entledigen? Arg- und achtlos ließ er diesen neben sich auf den Boden gleiten, um dem Wams das verdreckte Leinenhemd folgen zu lassen. Kassander war kein unansehnlicher Mann, sah man von so mancher Narbe ab, mit der ihn das Leben im Krieg gezeichnet hat. Unzählige Unebenheiten, manche einst genäht und andere pragmatisch in Feldlagern ausgebrannt, die sich samt und sonders über Schultern und Rücken gen Bund der Lederhose zogen. Leises trippeln nackter Füße, die den Gestählten dazu bewogen sich vom Trog, über den er sich bis hierhin des Waschens wegen gebeugt hatte, seitlich abzuwenden, um zur Nahenden hinzusehen. In feinen Rinnsalen perlte ihm das frische, klare Wasser über den definierten Oberkörper als er sich in eine gerade Haltung bugsierte. Elorie hier anzutreffen kollidierte unweigerlich mit seiner Überraschung. Der damit verbundene Gedankengang war ihm vom aschgrauen Augenmerk abzulesen.

„Willst Du fliehen?“ Eine Vermutung, in nordischer Zunge für die Adlige unverständlich ausgesprochen, deren Schärfe von einem amüsierten Schmunzeln seinerseits revidiert wurde. Der hübsche Rotfuchs mochte vieles sein, nicht aber eine Frau, die sich vor ihrem Schicksal zierte. Mindestens solange nicht, wie das Wohlergehen ihrer Eltern fest mit ihrer Standhaftigkeit verbunden war.

„Nicht … fliegen, ich finden Du!“ Ein Versuch, die Sprache Grünlands zu sprechen, der zum Scheitern verurteilt war. Fliegen anstatt fliehen, was mit dem nötigen Intellekt aber halbwegs ins rechte Licht gerückt werden konnte. Zudem klang es keinesfalls ernst, wobei sich Kassander bereits wieder der Körperpflege hingab. Pragmatisch veranlagt, wie ein jeder Nordmann nun mal war, steckte er den Kopf in den Trog und begann damit sein langes, ungekämmtes Haar zu waschen. Das Baden in einem Zuber wäre zweifelsfrei angenehmer gewesen, doch fraß der Teufel in der Not nicht fliegen? Gewiss hätte er den verlogenen Herrn dieses Hauses darum bitten können, ihm für die Nacht eine Kammer und ein Bad herrichten zu lassen, doch haderte Kassander dahingehend keinesfalls mit sich selbst.

 

So fremd die Welten waren, in einem Punkt glichen die Adelige und der Schlächter sich doch: Das Mädchen war von dieser frühmorgendlichen Begegnung genauso überrascht wie der Heide. Elorie hielt beinahe schon abrupt inne, als sich der halbnackte Mann vor dem Wassertrog auftat. Als sei er ein Berg, ein Fels der sich nicht wegbewegen würde. Die grünen Augen weit aufgerissen, sah Kassander sehr genau, dass sie sich für ein paar wenige Sekunden über seinen nassen Oberkörper schlängelten, an manchen Narben hängenblieben, bevor sie zur eigenen Höflichkeit zurückfand. Mit wachsendem Interesse betrachtete Elorie den Versuch des Mannes, sich das Haar zu waschen. Sie kannte niemanden der es so lang trug und jetzt fiel es wie ein ungewöhnlicher, nasser Teppich über seine Schultern. Nein wie ein Umhang.

Seine Frage provozierte Irritation auf dem hübschen Gesicht der Adligen und offenbar bemerkte der Mann, dass sie mit seinen Worten nicht viel anfangen konnte. Falla war erst mal vergessen, Elorie blieb an Ort und Stelle stehen und wagte offenbar nicht am Eisprinzen vorbeizugehen. Dass sie einander bald schon sehr viel näher waren, schien für den Moment ausgeblendet. Das Schmunzeln auf Kassanders Lippen gab nur noch größere Rätsel auf und je länger sie ihn anstarrte, umso dümmer kam sie sich vor. Schließlich versuchte er aber in ihrer Sprache zu sprechen, etwas das eigentümlich, falsch klang. Sie lachte jedoch nicht sondern schien langsam zu wissen, worauf er hinaus wollte. Sie floh? Glaubte er das wirklich?

"Nein", entgegnete Elorie dem Heiden schlicht und startete einen eigenen Versuch. Von seiner Sprache kannte die junge Frau noch kein Wort, doch sie wusste sich anders zu behelfen und zog den Apfel aus der Tasche des Mantels. Mit diesem in der Hand, deutete das Mädchen auf eine der Boxen in des Nordmanns Rücken und führte den Apfel zu den eigenen Lippen. Er verstand hoffentlich. Sie war sicher, er verstand weitaus mehr, als er zeigte.

Ihr ´nein´ sprach indes Bände und verleitete den Wilden dazu seine gestählte Gestalt ein zweites Mal in eine gerade Haltung zu bugsieren. Das amüsierte Lächeln, welches zuvor noch auf seinen Lippen hat thronen dürfen, reichte wohl nicht aus, um die geäußerte Vermutung als Scherz zu enttarnen. Wer wusste schon, ob Elorie nicht auf den anderen Teil seines versuchten Satzes geantwortet hatte. Jenen in dem es hieß, er würde sie finden. Vielleicht auch nicht. An Flucht dachte die junge Frau aber tatsächlich nicht, denn noch gab es keinen Grund und sie besaß zu viel Verstand um eine solche Dummheit zu begehen. Fortzulaufen würde die Situation nur verschlimmern, dessen war die Rothaarige sich mehr als bewusst. Und um nicht einfach weiterzugehen, sondern diesen alleinigen Moment zu nutzen, legte Elorie eine Hand auf ihre Brust.

"Elorie." Dann nahm sie jene um auf ihn zu deuten. "Kassander." Und schließlich richtete sie die beapfelte Seite wieder in Richtung der bewohnten Box. "Falla. Mein Pferd." Damit konnte der Mann hoffentlich etwas anfangen. Die junge Adelige blieb aber noch immer stehen, auch wenn Falla schon ungeduldig mit den Hufen scharrte. So oder so war Kassanders Gedanke völlig falsch und er musste sich nur die Kleidung der Rothaarigen ansehen. Unter dem weiten Mantel trug sie noch ihr Nachtgewand, ein einfaches Kleid aus hellem, dünnen Leinen, fast schon dazu verleitend sie mit Wasser zu bespritzen, damit durch den Stoff mehr zu sehen sein würde. Je nachdem wie der Einfall der Sonne stand, sah er aber sowieso schon die ein oder andere Rundung durchschimmern. Nach einer schier endlos erscheinenden Sekunde trat Elorie aber tatsächlich einen Schritt näher und schien nachzudenken. Was sie fragen sollte. Etwas Einfaches. Wenn nur noch Stunden zwischen der gemeinsamen Vermählung lagen, konnte es nicht schaden wenigstens ein paar Worte oder Gesten zu tauschen. Und wenn es nur der Name seines Pferdes war, den sie dann kannte.

Die freie Hand deutete wieder in Richtung des nackten Oberkörpers und noch machte Elorie keine Anstalten den Kopf schamhaft wegzudrehen, sie versuchte eher darüber hinwegzusehen. "Dein Pferd?" Erkundigte sich die Rothaarige, hoffend dass der Nordmann verstand was sie von ihm wissen wollte. Ob er überhaupt bereit war auf das Gespräch einzugehen stand natürlich auf einem anderen Blatt geschrieben.

Wenigstens aber, was an diesem frühen Tag mit Sicherheit als gutes Zeichen gewertet werden konnte, verstanden sich die beiden auch ohne Boron, der in den letzten Stunden nur zu gern als Vermittler eingesetzt worden war. Die Sprachbarrieren waren markant, doch überwindbar. Des Weiteren versuchte die zierliche Adelsdame wenigstens das Gespräch zu ihm zu suchen, was das Ganze gewissermaßen ein wenig erleichterte. Niemandem wäre gedient, würde sich das Mädchen bis aufs Mark vor ihm fürchten. Erstrecht dann nicht, wenn es darum ging mit ihm das Bett zu teilen. Ein Gedanke, der in Anbetracht des dünnen Stoffs, durch den man die lieblichsten Reize ihres Leibes vage erkennen konnte, selbstverständlich aufkam. Blieb zu hoffen, dass ihre Ladyschaft Gefallen am Beischlaf fand. Erst dann würde ihm das junge Ding wohl reichlich interessant werden.

Kassander wandte sich nun vollends vom Trog ab, folgte mit dem Blick aus aschgrauen Iriden ihren Deutungen und brauchte keine weiteren Erklärungen, um ihrem Versuch folgen zu können.

„Each“, floss es von seinen Lippen, während er es nun war, der die Distanz zur lieblichen Schönheit gemächlich überwand, um seinen Schritten unmittelbar vor ihr Einhalt zu gebieten. Einmal mehr mochte ihm auffallen wie zerbrechlich das Mädchen doch wirkte. Klein und filigran, allerdings mit einer Stärke im Innern der Seele, die man vermutlich nicht unterschätzen sollte. Ihr wohnte Temperament und Mut inne, beides musste die Schichten ihrer Wohlerzogenheit allerdings erst noch durchdringen.

„Is e ainm an eich agad Falla.“ Der Prinz sprach es langsam aus, deutete dabei auf ihren wohlgeformten Brustkorb und hatte ihr lediglich übersetzt, was ihrem Mund entsprungen war.

„Is e an t-each agam a chanar Fjölnir“ Seine Hand wanderte hin zum robusten Eislandrappen zur Linken des Adelspferdes, der dem Ganzen mit spärlich Interesse zu folgen gedachte. Interessanter mutete dem rabenschwarzen Tier wohl der Apfel in Elories Hand an, denn nur darauf war sein kluges Augenmerk gerichtet.

Das Wort welches er nannte wurde in Zusammenhang mit ihrem Pferd wiederholt. Und er schien ihre Frage verstanden zu haben. Fjölnir. Sein Pferd hieß Fjölnir und 'Each' musste 'Pferd' bedeuten. Die zwei Sätze begannen mit demselben Wort, Is. In ihrer Sprache begann man die meisten Sätze mit 'Ich' und sie vermutete, dass seine Sätze demnach 'Ich habe ein Pferd mit Namen Fjölnir' bedeuteten. Bei ihrer Überlegung bemerkte die junge Frau nicht einmal, dass sie währenddessen und auch bedingt durch die Nähe, die ganze Zeit auf die entblößte Brust des Nordmanns starrte. Zwar gedankenversunken, aber als sie es bemerkte rissen sich die grünen Augen wieder davon los und trafen auf das Grau der Seinen.

Kassander hatte mit vielem gerechnet, nicht aber damit die frühen Morgenstunden mit einer Sprachlektion zuzubringen. Ohnehin hätte diese Begegnung ganz andere Formen und Farben annehmen können, dennoch schaffte man es auf merkwürdige Weise jene Differenzen, welche da unweigerlich zwischen ihnen standen, zu überwinden. Ihr Geist war wach, was ihr weitaus größeres Gegenüber mit Freuden zur Kenntnis nahm. Nichtsdestotrotz sollte ihr bald schon aufgehen, dass die Sprache der Nordlinge nicht ganz so einfach zu sprechen war, wie es ihr Wortlaut einem vorgaukeln wollte. Allem voran waren die Parallelen zur hiesigen Zunge fast kaum vorhanden. Elorie war bemüht, begann ihr Denkgeflecht aber verkehrt, denn während man hierorts einfach sagen würde: ´Mein Pferd heißt Fjölnir´ sprachen die Männer aus dem Norden in wörtlicher Übersetzung auf Umwegen ´Ist es das Pferd ich habe, genannt Fjölnir

Nur zu verständlich, dass sich ob ihren Schlussfolgerungen ein heiteres Grinsen auf seinen Zügen zur Ruhe bettete, doch wirkte es, studierte man es genauer, weder herablassend noch vergrämt. Die zierliche Adelsdame bemühte sich und vielleicht war es ihr Wille zu lernen, die Fähigkeit Freude am Erweitern des eigenen Horizonts zu verspüren, was es vermochte Brücken über jene bodenlosen Schluchten zu schlagen, welche da die beiden so unwiderruflich voneinander trennten. Eine lange Weile sah er sie an. Erst dann entwand er ihr, für die Adlige unerwartet, die rotwangige Frucht, um diese ohne große Schwierigkeiten entzwei zu brechen.

„Bidh sinn a 'roinn an apill“, wurde das Tun mittels der dunklen, rauen Stimmklangfarbe des Barbaren kommentiert und dabei zutage getragen, dass selbst der wildeste Rohling von Zeit zu Zeit durchaus befähigt war sich in Geduld zu üben. Nicht immer, aber dann, wenn man ihm diese Möglichkeit einräumte.

„Teilen“, erklärte Kassander, während er ihr beide Apfelhälften entgegenstreckte. „Tha leth dhiubh airson Falla“, um die Worte, die zwar langsam aber dennoch reichlich unverständlich ans Ohr seiner Gegenüber drangen, zu unterstreichen, deutete er mit der linken Apfelhälfte auf ihr Reittier. Von der anderen Hälfte wiederum biss er kurzerhand ein herzhaftes Stück ab, ehe er auf seinen Eislandrappen zeigte. „Tha am pìos seo airson Fjölnir.“ Auffordernd hielt er ihr die beiden nun ungleichen Apfelhälften entgegen, ebenfalls um zu sehen wie gut das Mädchen ihn trotz der sprachlichen Barriere verstehen konnte.

Apill. Das war leicht, gut zu merken und dieser fast niedliche Klang entlockte der Schönen ein sachtes Schmunzeln. Ungewöhnlich, bedachte man, dass sie bald die Frau eines vollkommen Fremden werden sollte, aber womöglich lenkte ebenjener Fremde sie geradezu hervorragend von der Tatsache ab. Elorie versuchte zu verstehen, was Kassander meinte, dann griff sie aber zielsicher nach der größeren Hälfte und schritt an dem nassen Mann vorbei, um Falla endlich ihren heiß ersehnten Apfel zu bringen.

"Apill", betonte Elorie vor der Stute, der reichlich egal sein musste in welcher Sprache man ihr die Leckerei servierte. Unegaler war der Hellbraunen natürlich, dass es heute so wenig gab.

"Tha apill airson Falla." Der Apfel gehört Falla. Zumindest glaubte die Adelige, dass sie es so richtig aussprach und sah nun beinahe fragend in Richtung des Eisprinzen. Jener würde ihre Fehltritte hoffentlich deutlich zeigen, immerhin war es Elorie durchaus wichtig zu lernen. Es würde noch einen Moment dauern bis irgendwer aus dem Anwesen die kleine Unterrichtsstunde störte, noch gönnte man dem ungleichen Paar offenbar die unerwartete Zweisamkeit. Bevor die Stute ihre Besitzerin wegen des Apfels beleidigt anstubsen konnte, wandte sich Elorie nunmehr dem Pferd Fjölnir zu und betrachtete das schöne Tier. Sie wagte sogar eine Hand in dessen Richtung auszustrecken, um es berühren zu können, vorausgesetzt der Schlächter erlaubte dies.

"Is e Elorie." Versuchte sie des Weiteren ordentlich auszusprechen, was nur halbwegs gut gelang. Nun kam es darauf an, was 'e' bedeutete. Ging es um 'Sein', so stimmte ihr Satz weitestgehend, doch bedeutete es 'Haben', dann war Kassander zu späterer Stunde der Mann, der diesen Satz sagen sollte. Es schien dem Mädchen allerdings Spaß zu machen jetzt schon etwas der fremden Sprache zu lernen, denn sie gab sich Mühe Kassanders Lektion zu folgen.

„Is e mo ainm Elorie“, wurde die Zierliche kurzerhand verbessert. Zugegeben, aus ihm doch recht unerfindlichen Gründen fand der sonst so raue Eisländer deutlich gefallen an dieser trauten Zweisamkeit, während er im Stillschweigen darüber nachdachte, wie wenig er für die filigrane Schönheit eigentlich hätte übrig haben sollen. Vermutlich widersprach ihr Wesen allen seinen Leitsätzen und spottete mit jedem Atemzug jenen, denen er seit jeher zur Treue verpflichtet war. Nicht dem Vater. Nicht dem eigenen Blut oder den Ahnen, nein, den Göttern höchst selbst. Wie lange noch, bis der Glaube begann zwischen ihnen zu stehen? Bis sein Groll auf das Kreuz sämtliche Mühen, die man hier und heute auf sich nahm, zunichtemachen würde? Die Frage, wie nahe das Mädchen dem falschen Gott war, lag auf der Hand. Und in der Tat, ein Teil seiner selbst wünschte sich die gravierende Sprachbarriere unverzüglich hinfort.

Trotzdem hatte er sich scheulos hinter die junge Frau gestellt, just als diese auf den charismatischen Eislandrappen zuhielt. Sollte sie ihr Glück versuchen, denn wenngleich Fjölnirden Umgang mit Menschen durchaus gewohnt war, ließ er beileibe nicht jeden einfach so an sich heran. Grund genug trotz Boxentür, die das Mädchen vom Rappen trennte, in ihrer Nähe zu bleiben. Wie deutlich sich seine sehnige Vorderseite dabei gegen ihren schmalen Rücken abzeichnen musste, war ihm klar. Und dennoch, eine Tatsache die ihn insgeheim zu überraschen wusste, fühlte sich ihre Nähe gar nicht so schlecht wie erwartet an. Ohnehin lag Fjölnirs Fokus auf der angebissenen Apfelhälfte, die sein Herr der lieblichen Adligen in die Hand drückte.

„Tha an t-acras air Fjölnir“, sprach Kassander unbeirrt weiter. „Acras“, wiederholte er geduldig, während sich seine Hand unbeirrt zwischen ihrem schlanken Arm und der feinen Neigung ihrer Taille hindurch auf ihren Bauch schob. Was er damit sagen wollte, war vermutlich nicht allzu schwer deutbar. Das Pferd war hungrig! Wie leicht fiel Elorie das Verständnis aber nun, als sie der Nähe ihres zukünftigen Mannes schutzlos ausgesetzt war?

Nie und nimmer hätte der Rotfuchs mit einem solchen Annäherungsversuch gerechnet. Ob sie es gar unwissentlich provoziert hat? In jedem Fall wurde die ankommende Hand auf ihrem Bauch wahrgenommen. Mehr als das. Der dünne Stoff ließ beinahe den Trugschluss zu, seine Finger befänden sich direkt auf ihrer Haut und die junge Frau wusste nicht, was sie denken sollte. Der Moment war unwirklich, seine Hand sah so groß aus, er selbst war so warm. Kassander konnte sich bestimmt denken, dass sein Verhalten das rothaarige Ding vor ihm keineswegs kalt ließ. Aus jener unmittelbaren Nähe bemerkte sie auch wieder seinen Geruch. Auch wenn er sich noch nicht zur Gänze waschen konnte, so war da etwas an ihm, das sie nicht definieren konnte, etwas Erdiges, etwas Wildes.

Elories Atmung hatte sich zu diesem Zeitpunkt längst spürbar beschleunigt, ebenso wie ihr Puls. Durch den Zopf lag eine Hälfte ihres Halses frei und aus der geringen Entfernung, wäre er ein guter Beobachter, könnte Kassander bestimmt sehen wie es unter ihrer Haut pochte, als sei das Rehkitz kurz davor vom Wolf erlegt zu werden. Einen langen Moment ließ sein zukünftiges Weib ihn gewähren, dann suchten ihre feinen, hellen Finger ihn auf und versuchten die Seinen beiseite, von sich zu schieben. Dass er dabei noch ein bisschen weiter über den dünnen Stoff strich, nahm das Mädchen offenbar in Kauf. Die Lippen waren längst geöffnet, aus Unsicherheit heraus. Nicht wegen dem Mann, sondern wegen des eigenen Verhaltens. Was sollte sie tun? Sich wehren? Es geschehen lassen?

Es war für den Heiden indes nicht gerade leicht auszuloten, was zu viel des Guten war und was dem zarten Mädchen in seiner unmittelbaren Nähe gefallen könnte. Eine Jungfrau, so musste sich Kassander eingestehen, hatte er sich vermutlich zuletzt in der Nacht der ersten Eheschließung ins Bett geholt. Gut vierzehn Jahreszyklen, zwei Geburten und ungezählte Schlachten sind seit diesem Abend ins Land gestrichen… wie sollte er sich heute noch an den regelkonformen Umgang mit einer Unberührten erinnern können? Vielleicht war es aber genau das, was der Nordling für interessant hielt; was ihn dazu bewog die Hand unnachgiebig auf ihrem flachen Bauch zu wahren, selbst dann noch, als Elorie versucht war ebendiese halbherzig von sich zu weisen. Ganz bei der Sache war sie dabei gewisslich nicht, oder irrte sich der Prinz bei der unübersehbaren Reaktion ihres Körpers?

"Ihr...seid Acras? Kassander Acras?" Sie wollte wissen, ob er hungrig war. Sie musste es wissen. Und Elorie dachte dabei nicht an Essen, sondern an den Hunger, den Männer verspürten, waren sie auf langer Reise und fern dem eigenen Eheweib.

Es musste aufregend für die rothaarige Adlige sein. Ein kleines Abenteuer für sich, wo ihr Alltag bis hierhin bestimmt nicht besonders viel Spannung mit sich gebracht hat. Und spannend war es auch für den Hochgewachsenen, dessen raue Fingerspitzen so ungefragt ein kleines Stückchen höher wanderten, um sich letztlich unter dem Ansatz ihrer Brust bedeutend zu wohl zu fühlen. Berührungen brauchten keine Worte, gleich wie es die damit verbundenen Reaktionen alles andere als notwendig machten verbal formuliert zu werden. Jede noch so kleine Regung des Schlächters musste für das Mädchen spürbar sein. Umso mehr dann, als er sich bedachtsam zu ihr niederbeugte und die Lippen damit bedrohlich nahe an ihr Ohr brachte.

„Tha mi an-còmhnaidh acrach“ Lediglich in Form eines dunklen Raunens rollte die fremde Zunge für Lady Elorie unverständlich über ihre Sinne hinweg, während sein hitziger Atem unvermittelt gegen die zarte Neigung ihres Halses brandete.

Jetzt war deutlich wie seine Nähe auf die junge Frau wirkte, denn Elorie rührte sich keinen Millimeter mehr. Sie kämpfte mit ungewohnten Gefühlen, aufkommender Furcht, sicherlich auch Aufregung, doch da war noch mehr. Warmer Atem an ihrem Ohr, ein Raunen, welches durch Mark und Bein ging, besonders da sie kaum hinzuhören vermochte. Es sollte ihr nicht derart ergehen, doch das Verhalten des Nordmanns bescherte ihr weiche Knie. Es war naiv nicht daran zu denken, dass er spätestens in der Hochzeitsnacht nicht mehr so sanft sein würde, dass er sich ihre feuchte Dankbarkeit ja nur erkauft hatte, Elorie musste die Augen schließen.

Gewiss bemerkte der Nordmann die Reaktion ihres Leibes, den Schauer der auch weiterhin auf ihrer Haut bemerkbar wurde. Aber ein gutes Zeichen, dass sie ihn nicht wegstieß, oder schrie. Die Gedanken blieben zweigeteilt und ein kleines, feines Flüstern in ihrem Kopf raunte ihr zu, dass diese Berührung angenehm war. Um sich selbst von dem Unbekannten abzulenken, streckte Elorie ihre Hand mit dem angebissenen Apfelstück aus und versuchte den Eislandrappen damit zu verführen. Sollte es klappen, erntete das Tier ein Lächeln und streichelnde Finger. Vielleicht hätte Kassander den Apill selbst essen sollen?

"Ein schönes Tier..." Raunte die Kleine nun doch noch in ihrer Sprache. Falla wirkte beinahe eifersüchtig, scharrte lauter mit den Hufen als wolle sie auch bemerkt werden, aber leider reagierte weder ihre Herrin, noch der Nordmann.

Fjölnir tat sich am Apfel gütlich und schnaubte zufrieden vor sich her, hatte Elorie durch ihre milde Gabe bereits ein Stein beim Pferd im Brett. Er ließ sich streicheln, zuckte aufmerksam mit den spitzzulaufenden, rabenschwarzen Ohren und sah ob dem Gebaren der eifersüchtigen Stute in der Nachbarboxe nur flüchtig zu ebendieser hin. Zeit genug die zierliche Adelsgeborene weiter um den sicheren Halt zu bringen, für den sie vermutlich seit einigen Mondzyklen so vehement hat kämpfen müssen. Gefühlte Ewigkeiten, verpackt in wertvollen Sekunden, die Kassander dazu aufbrachte die Reaktionen ihres Leibes zu studieren. Als geübter Jäger mochten ihn die Anzeichen, ihr viel zu schneller Atem und das rasante Pochen ihres jungen Herzens, tatsächlich an ein Rehkitz erinnern können, welches da zum ersten Mal mit jedem Atemzug die Lungen mit frischer Sommerluft flutete.

 

Von draußen waren schließlich Schritte zu vernehmen. Jemand schien die beiden nun doch stören zu wollen, vielleicht musste Elorie baden und auf den Tag vorbereitet werden, doch just bevor dies geschah wurde das Mädchen flink wie ein Wiesel. Im Nu hatte sie sich von seiner Nähe gelöst, war unter dem Arm hindurch getaucht, doch wenn Kassander glaubte sie wolle vor ihm fliehen, so irrte der Mann gewaltig. Plötzlich fühlte er ein Zerren an seiner Hand und wenn er hinabsah, dann waren es ihre Finger. Sie zog ihn erstaunlicherweise mit sich, wenn er sich fügte, zog ihn weiter zu den Boxen und als sich eine Leere fand, öffnete Elorie diese und flüchtete hinein. Kein Wort kam über ihre Lippen, doch Kassander wurde ein sanftes, vielleicht sogar amüsiertes Lächeln geschenkt. Ein Finger lag an ihrem Mund, bedeutete dem Mann still zu sein, damit man nicht so schnell gefunden wurde. Vielleicht brachte es Ihnen noch ein paar Minuten länger ein, wer wusste das schon.

Mit voranschreitender Zeit zu zweit entpuppte sich der Rotfuchs also als abenteuerlustiges Frauenzimmer. Allem voran aber als ein Mutiges und eines, dass an dieser Stelle des frühen Tages nur zu gerne ausblendete, was der Mann, den sie so erfolgreich mit sich auf die metaphorische Reise ins Ungewisse nahm, tatsächlich war. Ein Schlächter. Ein Mörder und Schänder, der in manchen Lebenslagen zu etlichen Gräueltaten fähig war.Ebenso aber war der gestählte Wildling ein Mann, der vor allen Dingen stets wusste was er wollte. Ihr Lächeln hatte es ihm angetan, während die nonverbale Aufforderung, still zu sein, alles andere als von Nöten gewesen wäre.

In der leeren Box war Elories Lächeln aber gewiss nicht das Einzige was auffiel, denn als des Nordmanns Blick tiefer glitt, fand der Schlächter einen Hinweis darauf, dass ihr Körper nach wie vor auf seine Nähe reagiert. Dem dünnen Stoff sei Dank drängten sich ihre Brüste etwas mehr in den Vordergrund, ließen ihn wissen, dass die Versuche, sie aus der Reserve zu locken, gelungen waren. Möglicherweise lockten ihn die reifen Äpfel an, doch am Ehesten wohl ihr Mund.

Barsch griff Kassander nach ihrem Handgelenk, was lediglich durch das nicht minder schelmische Lächeln auf seinen Zügen kaum so bedrohlich anmutete, wie es am Abend zuvor noch auf die blutjunge Schönheit eingewirkt haben musste. Kein besonders beschwerlicher Kraftakt das Mädchen näher an sich heranzuziehen, auf das ihr filigraner Körper seicht mit dem seinen zu kollidieren drohte.

„Elorie“, erscholl derweil die altbekannte Stimme des zukünftigen Landbesitzers, der seinen schweren Schritten just beim Eingang des Pferdestalls Einhalt gebot. Ein paar Sekunden zu spät, frei der Zweifel und wüsste Simon um die Schandtat des Eisprinzen, wie sich dieser aufs Neue an diesem Morgen leicht vorbeugte, um seinen Mund näher an das hübsche Antlitz seiner Zukünftigen zu bringen. Schamlos versiegelte er ihre Lippen mit einem Kuss, noch bevor es der armen Adligen gelungen wäre auf den Ruf ihres Vetters eine Antwort zu formen.

Elorie sah noch verwundert auf, schien zunächst naiverweise zu glauben er wolle ihr etwas erzählen, um in nächster Sekunde eines Besseren belehrt zu werden. Von ihm selbst, von seinem Mund. Sie hatte damit nicht gerechnet, umso fester kam Kassander in den Genuss ihrer Lippen, konnte das weiche, zarte Fleisch fühlen und schmecken, noch bevor die junge Frau den Rückzieher machte.

Auch jetzt reagierte Elories Körper ohne dies mit ihrem Verstand abzusprechen. Waren ihre Wangen nicht eine Spur röter? Die Lippen einen Teil voller? Wenigstens hatte das Mädchen diese geöffnet, entsandte erhitzten Atem, ein überraschter Ausdruck in den grünen Weiten ihrer Augen. Ihre Hand wollte sich der seinen entziehen, nicht panisch, eher vorsichtig. Was er mit ihr tat war nicht anständig, aber nur weil die Adlige nicht wusste warum ihr so warm wurde, warum die Knie sich anfühlten wie Butter und ihr ganzer Leib bebte, als habe er vor sich gleich wieder nach vorne gegen seine nackte Brust fallen zu lassen.

"Nicht...", kam es ihrer Ladyschaft nur leise, gehaucht von den schimmernden Lippen. Gewiss war er ein grausamer Mann, ging es um seine Feinde, doch so wie Elorie ihn gerade kennenlernte, gab es auch andere Seiten die vielleicht nur für sie bestimmt waren. Das Rufen Simons sollte ihr die Chance zur Flucht geben, doch die Füße standen an Ort und Stelle und wollten nicht folgen. Sie starrte Kassander an, sehr lange, bis der Zeitpunkt kam sich abzuwenden. Fast schon behutsam näherte Elorie sich der Tür und legte haltsuchend beide Hände auf dem Holz ab.

 

Wie seltsam es doch war, seiner eigener Taten Henker zu sein. Und Henker war der Schlächter in dieser Sache allemal, drohte er sich, so flüchtig dieser Moment auch gewesen sein mochte, in diesem Mädchen zu verlieren. Wortlos sah er dem Rotschopf nach und besah man sich seines Blickes, so konnte man für die Dauer zweier loser Herzschläge eine unergründliche Verwirrung in seinen eisengrauen Iriden ausmachen. Keine Liebe, denn ohnehin glaubte Kassander für den Rest seines Lebens genügend Liebe gegeben zu haben. Pflicht, wie er sich plötzliche weit mühevoller in Erinnerung rufen musste. Pflicht und der erhabene Wille der Schicksalsmutter, die ihm Zeit seines Daseins schon oft in Form einer Spinne, welche da unentwegt die weißgrauen Seidenfäden von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sponn, in den Träumen erschienen war. Elorie zu küssen hatte sich richtig angefühlt. Gleich wie es richtig war das Mädchen zur seinen zu machen, doch zu welchem Sold? Welchen Preis die schöne Adlige für das Wohlergehen ihrer Eltern tatsächlich zu zahlen hatte, war dieser vermutlich nicht einmal im Ansatz klar. All das wurde dem Königssohn deutlich, dies beim letzten Blick, den er auf das geküsste Mädchen fürs Erste erhaschen durfte.

"Ich bin hier. Ich komme." Erklärte sie lauter und warf keinen Blick mehr zurück. Besser sie sah ihn nicht länger, denn so fiel das Fortgehen um Einiges leichter. Selbstverständlich hatte Kassander seine Verlobte ziehen lassen, um sich, als im Stall endlich Ruhe einkehrte, neuerlich der Körperpflege hinzugeben.

 

Simon empfing seine Cousine ein wenig irritiert, doch er dachte sich nichts Weiter dabei und führte sie zu seinem Vater. Von da an würde sie für die Nordmänner erst am späteren Tag wieder sichtbar sein. Zuvor verbrachte die junge Adelige viel Zeit mit Baden und hatte einen weiblichen Austausch mit Lady Edith. Das Thema war heikel und wenigstens bei der schamlosen Schwarzhaarigen fanden Elories Fragen ein offenes Gehör. Nur schmälerten deren Antworten ihre Aufregung nicht im Geringsten.

"Was passiert dann?" Elorie sah durch den Spiegel in dunkle Glutaugen und bemerkte, dass es Edith offenbar Spaß bereitete ihre neugierigen Fragen zu beantworten. Mit fast schon penibler Sorgfalt kämmte Simons Eheweib das Haar der jungen Braut und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

"Die erste Nacht ist für eine Ehefrau nie besonders angenehm. Es wird auf den Barbaren ankommen, doch vermutlich wird er ungehobelt und grob sein. Stell dich auf einen kurzen, heftigen Schmerz ein und erschrick dich nicht, solltest du Blut finden. Es wird schnell gehen, du bist hübsch und anregend für einen Mann, dann sind sie schnell fertig und wälzen sich schweratmend neben dir auf die Seite. Es sei denn er will dich von hinten besteigen, dann musst du dich auf den Bauch legen und einfach abwarten bis er von dir ablässt." Edith sah Elories steigende Abneigung und lachte hell auf.

"Ach Liebes, mach Dir keine Gedanken, es wird besser werden. Wenn Dein Barbar ein guter Liebhaber ist, dann wird es beim zweiten Mal schon schöner sein und dir vielleicht auch gefallen. Wir sind Frauen, es ist schwierig uns zu erfreuen. Hast Du denn nie deine Hand wandern lassen, wenn Du allein gebadet hast? Wenn Du nicht weißt, was du magst, woher soll es der Heide dann wissen?" Ein Zwinkern, ein Zwicken in den roten Haaren, dann begann Lady Edith das lange Haar zu flechten und die junge Braut ansehnlich herzurichten.

4.

Die Kunde darüber, dass der Sohn von König Roland tatsächlich eine verpönte Christensklavin zum Weibe nahm, wurde im unweiten Heerlager mit gemischten Empfindungen aufgenommen. Eine Christin, wo Kassander durch das Kreuz höchst selbst wohl den schlimmsten Verlust von allen hat auf sich nehmen müssen. Was bei allen Göttern trieb ihn dabei um? Wie nur, so fragten sich jene Männer und Frauen, die ihm treu ergeben waren, würde er mit ihrem Glauben seinen Frieden schließen können?

Unverständnis machte sich in der eisländischen Lagerstadt breit, war kaum einer der hartgesottenen Krieger wirklich dazu in der Lage die Tragweite des Bundes verstehen zu können. Keine Liebe, so viel stand fest. Aber was dann? Ginge es dem Prinzen tatsächlich um Thronerben, so hätte dieser unter seinesgleichen wohl hunderte willige Weibsbilder gefunden, die ihm diesen Wunsch nur zu gern erfüllt hätten. Warum also eine Grünländerin, wo das unvergängliche Reich nun wirklich genügend schöne Frauen für einen ruhmvollen Kriegsherrn bereitgehalten hätte? Dennoch. Es war nicht die erste Entscheidung, deren Beweggründe vom Königsheer nicht gänzlich nachvollziehbar gewesen ist. Eines aber stand fest: Kassander ging auch in dieser Sache mit Kopf und Verstand vor. Jeder Weg, den der Ruhmreiche für sich ebnete, besaß seine gewichtigen Gründe.

Boron fand seinen Herrn genau dort, wo er ihn in den frühen Morgenstunden verlassen hatte – im Schlepptau eine Handvoll Männer, sechs Pferde und das verlangte Gold, gleich wie ein halbwegs sauberes Hemd und eine Schwertschwester, der es nach einigen Überzeugungskünsten gewährt war das wilde Haar des Heidenprinzen zu einem halbwegs anständigen Zopf zusammenzuflechten. Aus dem Wildling wurde, auch wenn mehr als eine leidige Diskussion mit diesem von Nöten gewesen war, ein ansehnlicher Barbar. Christlicher Ehebund hin oder her, so sprach die robuste Blonde, der man so viel weibliche Raffinesse in Anbetracht der Tatsache, wie gut es ihr gelang einem Mann das Haupt vom Kopf zu schlagen, gar nicht zutraute, es galt die Angelegenheit ihrer Ansicht nach keinesfalls im Dreck der letzten Schlachten zu suhlen.

 

Neue Verpflichtungen standen an, die Kassander wiederum lediglich mit Boron an seiner Seite in Angriff nahm. Den Verhandlungen sollten Taten folgen, denn gleich was man sich über die Wilden aus dem Eis hinter vorgehaltenen Mündern zuflüsterte, man würde ihnen nicht nachsagen können unzuverlässige Handelspartner zu sein. Sechs junge Eislandpferde, die Gustav Habing nur zu gern in seinen Besitz nahm, gleich wie die achtzehn Unzen Gold, die den Fleischigen für die Obhut seiner Nichte entschädigen sollten. Hernach galt es Verträge zu unterzeichnen, samt und sonders vom Diplomaten bis ins Detail studiert und abgesegnet, was in Anbetracht ihres unehrlichen Gastgebers ein zwingendes Übel darstellte. Mit der Aufforderung an den Hausherrn, Elories nötigste Habe zusammenzuraufen, wurden die erfolgreichen Verhandlungen abgeschlossen, so stand es im Sinn des Schlächters, sein Weib nach der bevorstehenden Pflichtveranstaltung unverzüglich unter seinesgleichen zu bringen.

Nur kurz hatte die schwarzhaarige Gemahlin Simons der Gesellschaft beigewohnt und Boron mehr als einmal genau beobachtet, doch mehr hatte sie dem Nordmann nicht zugestanden und sich dann ihrer Pflicht ergeben, das junge Ding anzukleiden. Elorie schwieg auf das vorhergehende, aufklärende Gespräch hin und dachte darüber nach, was sie erwarten mochte. In den Stallungen hatte der Nordländer keinen groben, angsteinflößenden Eindruck gemacht. Im Gegenteil, sie dachte gerne an den kurzen Moment allein mit ihm zurück und wie zur Erinnerung hob sie den Daumen an ihre Lippen und fuhr noch einmal prüfend darüber. Der Kuss war kurz, aber angenehm gewesen. Kein Herumreißen an ihren Schultern, kein AnDieWandPressen damit sie nicht entkommen konnte, Elorie war sich aber noch immer nicht sicher, was genau sie davon halten sollte.

Unten in der Halle prüfte Gustav zusammen mit Simon die mitgebrachten Goldunzen, man ließ sich Zeit, aber alles schien seine Richtigkeit zu haben. Den guten Zustand der Pferde hatte der Fleischige sich von seinem Stallmeister bestätigen lassen. Leider konnte Gustav nun nichts mehr tun, als seine Nichte in die Hände des Nordmanns zu geben. Es fiel ihm nicht leicht das Mädchen gehenzulassen, aber er sprach sich im Stillen Hoffnung zu, Elorie würde ihre Familie schon nicht vergessen. Und nicht vergessen, was er für sie getan hatte!

Während Edith und die Adelige noch die letzten Hochzeitsvorbereitungen trafen, klopfte das blonde Dienstmädchen vom Vorabend an und bat darum, die Habseligkeiten zusammenpacken zu dürfen. Viel hatte Elorie nicht hierher mitgebracht, sodass bloß eine große Truhe zusammenkam, wo andere Frauen drei oder vier an der Zahl mitnahmen. Edith wusste nicht genau, ob sie das Mädchen beneiden sollte. Sie würde vollkommen andere Welten sehen, eine andere Kultur kennenlernen und wenn die Gerüchte stimmten, dann waren die Nordmänner wilde und leidenschaftliche Liebhaber von denen Simon sich noch eine große Scheibe abschneiden konnte. Die letzte Haarnadel wurde am Kopf der Rothaarigen festgesteckt, dann begutachtete Edith ihr Werk und ließ Elorie dafür aufstehen. Das Mädchen trug für den heutigen Anlass blassgrüne Seide, die gut zu ihrer Haarfarbe passte. Bestickt mit echten Silberfäden, sah das Kleid edel und teuer aus, zeigte etwas Dekolleté und Schulter, doch fiel dann weich und bodenlang hinab. In ihren Haaren hatte Edith ein paar kleine Perlen eingeflochten, die meiste Pracht war oben, nur an Stirn und Nacken kringelten sich kleine, feine Locken. Der einzige Schmuck, den Elorie trug, war ein silberner Ring und ein Paar Ohrringe.

 

Man traf sich dort wo man auch das erste Mal aufeinander getroffen war, im Hof vor dem Anwesen und vor aller Augen. Elorie wurde von Edith an ihren Onkel übergeben und ebenjener würde ihre Hand zum Zeichen des Einverständnisses nun auch an Kassander weiterreichen. Wenigstens sah sie nicht verängstigt aus, vielmehr ruhig, wachsam und darauf bedacht keinen schwerwiegenden Fehler zu machen.

"Ich übergebe Euch hiermit meine Nichte, Lady Elorie Habing von den voranischen Ländern, mögt Ihr sie als ihr baldiger Ehemann behüten und beschützen, auf dass ihr kein Leid widerfährt." Die Verabschiedung von Elorie war kurz, ihr Onkel küsste sie auf die Stirn und ließ sie dann ziehen. Tatsächlich sah man nur Lady Edith ein stilles Tränchen verdrücken, der Rest trug gemischte Gefühle auf den Gesichtern, manche Angst und Sorge, andere wiederum Gleichgültigkeit. Der Stallmeister führte nebenbei die hellbraune Stute des Mädchens zu den Nordmännern, wusste aber nicht, ob sie das Pferd auch mitnehmen durfte.

Wie sich also herausstellen sollte, war der Besuch des örtlichen Geistlichen nicht mehr als Formsache, was bei den beiden Nordmännern wiederum auf leichte Irritation stieß. Lieblos mutete die ganze Angelegenheit an, dem Viehhandel gleich. Ein Handel war es ja auch gewesen, doch wurde ein solcher mindestens im Land des ewigen Eises nicht minder feierlich begangen. Da stand sie also – die Verkaufte. Unweit ihres Käufers, der aus eisengrauen Iriden zu ihr hinsah. Vermutlich hätte sich das Mädchen ihre Eheschließung anders vorgestellt, doch welche Dame, ob gutsituiert oder arm wie eine Kirchenmaus, gab sich dieser viel zu romantischen Vorstellung einer wunderbar romantischen Hochzeit nicht gerne hin? Mindestens diesen Wunsch würde er ihr erfüllen, obschon eine Trauung unter den Wilden anders vonstattenging denn bei den Grünländern. Kassanders Antlitz blieb versteinert, als er die seinen schwerterprobten Finger um ihre Hand schloss. Dem aufmerksamen Beobachter mutete es an, als nahm er die Worte Gustavs nicht einmal im Ansatz wahr, und vielleicht war dem auch so. Seinen Teil der Abmachung hatte er eingehalten, blieb zu hoffen, dass es ihm gelang das Schicksal der Herren von Voranien, wie es ihnen zu diesem Zeitpunkt noch gegeben war, abzuwenden. Nur die Nornen würden diese Frage beantworten können, doch hörte er deren lieblicher Gesang bereits seit ungezählten Wochen nur noch selten.

„Sie wird bei uns in guten Händen sein“, hielt sich Boron vage, während seine narbenversehrte Fratze ein letztes Mal in Ediths Richtung wanderte. Zu schade, dass das hübsche Ding nicht ganz so leicht zu haben war, wie es ihr loses Mundwerk nur zu gern vermuten ließ. Der Diplomat hätte seine helle Freude daran gehabt dem Weibe Simons durch und durch zu verdeutlichen, wie standhaft ein Nordmann sein konnte, wenn er denn die Gelegenheit hatte zwischen den schlanken Schenkeln einer schönen Maid zu versinken. Sei es drum. Vermutlich taten sie beide gut daran verdorbene Fantasien, jeder auf seine ganz eigene Weise, in sich niederzuzwingen. Und dennoch. Der hochgewachsene, robuste Krieger, von seinen Landesmännern oftmals jovial als Diplomat verschrien, ließ sich eine letzte Dreistigkeit nicht nehmen. Sein eisblaues Augenmerk sank, tiefer und tiefer, um einen unsittlichen Moment zu lange auf die lieblichen Kurven ihres üppigen Busens zu starren. Ein anzügliches Grinsen zupfte an seinem bartumrahmten Mund, während das offenkundige Schütteln seines Hauptes nur zu gut den Subtext zwischen den Zeilen zutage trug.

„Abair beannachd“, floss es über die Lippen des Sohnes Rolands, welche sich da nur ein paar Stunden zuvor auf die seiner jetzigen Frau zur Ruhe gebettet hatten. Ihre Nähe war nicht spurlos an ihm vorbeigezogen und obschon der Bund ihrer Ehe lediglich zweckdienlich war, schien Kassander mittlerweile durchweg davon überzeugt zu sein, dass es dem filigranen Mädchen unter den seinen Brüdern weitaus besser gehen könnte, denn unter ihresgleichen.

„Verabschiede Dich, Lady Elorie.“, so der Narbengesichtige, dessen Blick vom Objekt seiner Begierde fort zur lieblichen Adligen geglitten war. „Dein Mann will gehen.“

Nun wer wusste schon, ob sich Ediths und Borons Wege nicht einmal wieder kreuzen sollten? Die Nordmänner blieben doch noch einige Tage in der Nähe, war das nicht eine gute Gelegenheit für einen nächtlichen Ausritt? So oder so ähnlich mochten die Gedankengänge der Schwarzhaarigen wohl anmuten, als Borons Blick über deren Körper glitt, denn sie wirkte keinesfalls zornig oder bloßgestellt. Im Gegenteil, das erwiderte Lächeln war beinahe schon als hungrig zu bezeichnen.

Im Gegensatz zu Elories. Jenes war erst gar nicht vorhanden, auch dann nicht, als der Nordmann ihre Hand fast schon verpflichtet ergriff und nichts mehr zu spüren war von dem Gefühl, das seine Finger unlängst auf ihrem Bauch ausgelöst hatte. Sofort schwand die Hoffnung, dass er ein anderer Barbar sein würde. Der Abschied kam schnell näher, zu schnell. Aber er blieb seitens Elorie fern von erstickten Tränen und sehnsüchtigem Schluchzen. Sie richtete nur ein paar leise Worte an die Menschen die ihr Obhut gewährt hatten und sah in erster Linie nach Falla. Die Stute wartete seelenruhig, schien einen Teil des Gemüts ihrer Herrin zu besitzen, auch dann als der Stallmeister die Zügel in die Hand eines Nordmannes drückte. Er schien tatsächlich Mitleid mit der jungen Adeligen zu empfinden, auch wenn man selten ein Wort miteinander gewechselt hatte, so ging der Abschied nicht spurlos an dem Mann vorüber. Er tat es jedoch als Schnupfen ab und drehte sich weg.

 

Die Sonne drohte bereits hinter den Hügelkämmen im Westen unterzugehen, als die Habe des neuen Nordmannweibes den Besitzer wechselte. Boron hatte die wilde Schar aus dem Königsheer herbeigepfiffen, auf das die hölzerne Truhe bald schon wohlbehalten den Weg ins Feldlager finden sollte. Keiner von ihnen, wie sie da grimmig und ungewaschen die Tore des Anwesens passierten, wollte sich aus den Blicken, die ihnen unweigerlich zuteilwurden, einen Hehl machen. Man tat wie geheißen, ungeachtet des Zwiespalts den man ob dem fragwürdigen Willen des Eisprinzen unabdingbar im Herzen trug. Man nahm die Truhe an sich und verschwand, wobei Kassander geduldig der Dinge harrte, die eine Verabschiedung unweigerlich mit sich brachte. Er war nicht in Eile, gleich wie sein Bruder im Geiste es keinesfalls war, doch drängte es sowohl den einen als auch den anderen jene feine Gesellschaft, deren schönstes Juwel fortan ein kleiner Teil des Eisheeres darstellen sollte, bald schon hinter sich zu wissen. Die Geschicke Voraniens sollten von dieser Stunde an nicht mehr auf den Schultern dieses Habing-Zweiges ruhen. Man hatte Gustav für seine Mühen fürstlich entlohnt und die Schuld seines bisherigen Mündels mit feinstem Gold aus den Eislandbergen beglichen. Nichts dergleichen wäre von Nöten gewesen, doch schien es dem Königssohn der einzig richtige Weg gewesen zu sein.

Dieser hielt es nicht für nötig den feinen Damen und Herren dieses Anwesens den gebührenden Respekt zu zollen. Wortlos hatte er sich abgewandt, um erhabenen Schrittes in Richtung der Pferde zu gehen, von denen eines Falla war, die man mit allumfassender Sicherheit nicht hier zu lassen gedachte. Elorie würde ein gutes Pferd brauchen, blieb zu hoffen, dass es die Seefahrt, die nach getaner Pflicht auf alle wartete, auch unbeschadet überstand. Samt und sonders wirkte die Braune robust. Nicht ganz so gestählt wie die Rösser des unvergänglichen Reiches, aber stark genug um dem harten Seegang und den langen Tagen auf offener See standhalten zu können. Und wenn nicht, so dachte der Schlächter unbekümmert bei sich, dann mussten die Götter für das Reittier der Adligen ganz einfach andere Pläne gehabt haben. Ob so oder so, fürs Erste gedachte man Stute und Herrin nicht voneinander zu trennen. Falla musste dem Mädchen wichtig sein, wie sonst sollte der morgendliche Besuch in den Stallungen erläutert werden?

„Bidh sinn a ’dol gu na h-easan faisg air a’ champa“, entkam es Kassander, der sich nach geregelten Angelegenheiten aufs Pferd schwang, an Boron gerichtet. „Tha an oidhche soilleir agus bidh a 'ghealach làn. Cluinnidh Freya sinn.“ Dem Diplomaten erschien es legitim, nicht zuletzt aus dem simplen Grund, dass die Aufmerksamkeit aller auf dem zierlichen Adelsgeschöpf ruhen würde, just hatte man das Feldlager erreicht. Elorie würde noch früh genug in eine Welt katapultiert, die ihr auf mannigfaltige Weise zuwider sein sollte, besser war es wohl ihren ohnehin schon aufgewühlten Geist nicht noch brachialer, als es das Ganze ohnehin schon tat, in Mitleidenschaft zu ziehen.

 

Elorie wagte trotz des einigermaßen lieblosen Lebewohl Sagens dennoch nicht zurückzusehnen. Tatsächlich hatte das junge Ding noch nicht begriffen wie ihr neues Leben bald aussehen und noch viel weniger wo es stattfinden würde. Dass Voranien eine ganze Zeit fernbleiben musste, ebenso wie die Chance ihre Eltern wiederzusehen, wo doch äußerste Dringlichkeit bestand. Für Elories Gemüt würde sie diesen Nordmann heiraten und im Anschluss seine Krieger erhalten, welche für die Ehre ihrer Familie genauso kämpften wie für seine. Dass all das dauern könnte, ahnte sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht.

Falla war so robust wie sie aussah und mehr. Die Stute mochte vielleicht gut gepflegt und sanft daherkommen, aber ihr Geist glich einem Bären. Einem Bären der gemütlich durch die Wälder trottete und irgendwann zu seinem Honig stapfte, kurzum sie war genügsam und nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Vielleicht hätte sogar ein Feuer toben können, ohne dass es die Stute interessierte. Nur dann, wenn man ihre geliebten Äpfel anrührte, lernte man weibische Eifersucht kennen. Dass der Diplomat dem Neuzugang aufs Pferd helfen wollte, wurde dankbar angenommen. Elorie wirkte glücklicherweise auch sicher genug auf dem Rücken, vielleicht war es bei den morgendlichen Besuchen ja nicht immer nur bei einem Apfel und Streicheleinheiten geblieben. Hätte man das blonde Dienstmädchen oder den Stallmeister gefragt, so konnten jene von Ausritten berichten, welche gar undamenhaft schienen. Nicht, dass sie sich zu einem Mann geschlichen hätte, vielmehr die Art und Weise wie Elorie über die Felder geritten war.

"Wohin gehen wir?", erkundigte sich der Rotfuchs bei dem bereits bekannten Gesicht des Diplomaten und sah zu jenem auf. "Oder nein, bitte übersetzt es mir, damit ich ihn selbst fragen kann, würdet Ihr mir diese Freude machen?" Sie würde jetzt nicht aufhören die Sprache lernen zu wollen. Wo auch immer sie hingingen gab es gewiss nur Boron, der sie verstand und das sollte nicht lange so bleiben. "Und wie kommt es, dass Ihr beide Zungen versteht? Wer hat es Euch gelehrt?"

„Meine Eltern waren Grünländer.“, löste der kräftige Haudegen unverzüglich das gegebene Mysterium auf. „Sie erlagen einer Seuche, die zu seiner Zeit fast den ganzen Landstrich zur See hin ausgelöscht hat.“ Mit Sicherheit waren diese schwarzen Tage selbst hier in den Geschichtsbüchern verewigt, obschon Borons Heimat mehrere Sonnenzyklen nördlich von hier lag.

„König Roland fand mich am Totenbett meines Vaters und sah meine Unversehrtheit inmitten des Todes als Odinszeichen. Er nahm mich mit ins unvergängliche Reich und ließ mich als Bruder meines Herrn zum Krieger werden.“ Vermutlich verdeutlichte dies weitaus inniger denn jede andere Geschichte, weshalb sich Boron von den seinen in manchen Dingen so sehr differenzierte. Allem voran aber zeigte es, dass der rohe Krieger die neue Frau seines Herrn in manchen Dingen vielleicht sogar besser zu verstehen in der Lage war, denn irgendjemand sonst. Auch Boron war einst Christ. Auch er hatte die ersten Schritte unter den Nordlingen mit Scham und Abscheu getan, nur um eines Tages zu erkennen, dass selbst in den wildesten Barbaren das Gute innewohnen konnte.

Überraschung tauchte auf den hellen Zügen der Adelsdame auf, denn scheinbar war damit nicht zu rechnen gewesen. Vielleicht gefiel er Edith deswegen? Weil sie gesehen hatte was er war und der Gedanke einen Mann, der unter diesen rauen Nordländern aufgewachsen war, zwischen den Schenkeln zu spüren seitdem nicht mehr aus ihrem Kopf ging? Zum Glück wusste Elorie nichts von diesen Wünschen, noch hätte sie etwas Derartiges geahnt. Was das Spiel der Sinne und Begierden anbelangte, war sie noch recht unerfahren. Kassander hatte es bemerken dürfen, mehr als einmal an diesem Morgen war ihr Körper wie ein Blatt im Wind gewesen, immer geschmiegt an denjenigen der ihr Halt bot.

"Ich möchte gerne mehr darüber erfahren, wenn Ihr mir Zeit erübrigen könnt. Wie heißt ihr?" Elorie fiel auf, dass sie sich gar nicht erkundigt hatte. Ein Versäumnis, das sie nun nachzuholen gedachte, mit einem kleinen Lächeln versehen, damit er es ihr nachsah.

„Mein Name ist Boron. Und wir werden noch Zeit genug dafür haben, Mädchen. Durch mich wirst Du Dir die Sprache des Nordens aneignen.“, antwortete der Diplomat.

„Càite a bheil sinn a 'dol? Wohin gehen wir.“ Der Diplomat sprach nun die übersetzte Frage langsam aus, ehe er auffordernd in Kassanders Richtung nickte und gar väterlich lächelte, um an der Seite seines Herrn die nahen Wälder anzustreben. Nur kurz ritt er neben den beiden her, um die Geschwindigkeit seines Gauls am Waldrand dann zu drosseln und den frisch Anvertrauten den nötigen Freiraum zu lassen.

 

Sowie die gewünschte Übersetzung von seinen Lippen gekommen war, wiederholte die junge Adelige die Worte gemurmelt, sprach sie erst dann lauter und in Richtung Kassanders aus, als sie sicher war genau den Ton zu treffen, den Boron von sich gegeben hatte.

"Boron … er ist … Euer Bruder? Bruder?" Versuchte sie ein neues Gespräch mit dem Nordmann zu eröffnen. Warum dies geschah lag auf der Hand: Sie war nervös, aufgeregt und versuchte alles um sich zu beruhigen. Zuallererst sollten natürlich die Menschen um sie herum dabei behilflich sein, indem sie Fragen beantworteten, sie von dem ablenken was unweigerlich auf sie zukommen mochte. Und von dem Edith nicht gerade geschwärmt hatte...

Natürlich wusste Kassander um die Nervosität seiner Frau. Überdies sah er sich mit der Frage konfrontiert, mit welchen Schauermärchen man dem Mädchen bezüglich der körperlichen Liebe begegnet sein könnte. Die Geister schieden sich dahingehend vermutlich von Weib zu Weib immens. Und gerade weil ihre aufkommende Nervosität für den Schlächter so spürbar schien, als könne man unvermittelt nach ihr greifen, hielt er die Idee, nicht gleich ins Heerlager zurückzukehren, für unablässig. Mit Sicherheit sprach da allerdings nicht minder ein gewisser Egoismus aus ihm. Er wollte Elorie für sich haben und in der Tat fühlte er sich mindestens für den Moment von der Anwesenheit seines Schwertbruders gestört.

„Lass uns in Ruhe, Boron“, entkam es dem Eisprinz daraufhin in nordischer Zunge, als sich der ausgetretene Waldweg vor ihnen gabelte. „Tuigidh an nighean mi, na gabh dragh.“ Das Mädchen wird mich verstehen, keine Sorge.

Nur flüchtig hatte Kassander über die Schulter zu ihm hingesehen, um unverzüglich ein Nicken zu ernten. Den Worten folgten Taten, denn anstatt den Waldweg – so wie sein Herr – gen links einzuschlagen, nahm er die Pfadgabelung zur Rechten in Angriff. Seit dem Verlauf, dem man sich in den frühen Morgenstunden nur zu gerne hinzugeben wusste, hatte sich nichts geändert. Nichts außer der Tatsache, dass der ruhmreiche Kriegsherr im Beisein fremder Augenpaare ein anderer war. Er wirkte unnahbarer, distanzierter, unberechenbarer! War das Gesicht eines Mannes in Anwesenheit seiner Untergebenen nicht stets ein anders?

Mit einem mulmigen Gefühl sah Elorie wie der einzige Mann, der ihre Sprache sprach, den falschen Weg einschlug. Der Blick, der Boron verfolgte, hätte durchaus Eifersucht erwecken können, gab es so eine Regung bei Kassander überhaupt. Der Rotfuchs nahm sofort wieder Haltung an, streckte den Rücken gerader durch, als benötige sie nun mehr und mehr einer abwehrenden Körpersprache. Wenn nur sie und der Nordmann einen anderen Weg verfolgten, bedeutete das, dass gewisse Dinge wohl unweigerlich bevorstanden. Wenigstens Falla war an ihrer Seite, die treue Stute würde bald das Einzige sein, was sie an ihre Heimat erinnerte.

„Bràthair“, begann der Wildling, als Boron letztlich wortlos von den dicht an dicht stehenden Baumriesen des kasselanischen Forstes verschluckt worden ist. „Is e Boron mo bhràthair. Bruder.“ Kassander machte in dieser Sache keine Abstriche, denn die Tatsache, dass der Diplomat nicht den Lenden seines Vaters entsprungen war, schien ihm keinesfalls von Belang zu sein. Warum auch? Seit jeher sah er im narbenversehrten Krieger den ältesten Sohn seines Vaters. Wohl nicht legitimiert eines Tages über das unvergängliche Reich zu herrschen, doch machte das einen gravierenden Unterschied?

„Bidh sinn a ’dol gu na h-easan“, sprach er des Weiteren Wort für Wort langsam aus, während sein aschgraues Augenmerk zur voranischen Schönheit wanderte. „Fallwasser.“ Fragende Züge nahm sein bisher so versteinert anmutendes Antlitz an. Ob sie die Beantwortung ihrer vorhergehenden Frage richtig würde einordnen können? Der Schlächter bemühte sich und wusste darum, dass es bis hierhin auch ohne Zutun eines Übersetzers funktioniert hat. „Na biodh eagal ort.“

Als Kassander wieder zu ihr sprach, betrachtete Elorie die Gestalt des Mannes einmal mehr. Viele Mädchen würden sie für seinen Anblick beneiden, er war nicht hässlich, doch natürlich zählte Aussehen allein nicht, wollte man glücklich werden.

"Fallwasser … ihr meint Wasserfall", erkannte die Rothaarige und sie lächelte ein wenig, weil sie verstand und weil das Wort verkehrt herum auch seinen Charme besaß. Aber was sein letzter Satz heißen sollte, konnte sich die junge Adelige nicht erklären.

"Warum dorthin?", wollte der hübsche Rotfuchs aber wissen. Sein Lager schien nicht am Wasserfall zu liegen, denn dann hätte Boron die beiden nicht verlassen müssen. Glaubte der Mann, sie müsse noch reingewaschen werden? Ihr fiel der Morgen ein und auch wie sie herausfinden konnte, was sie wissen musste.

"Kassander Acras?" Er kannte die Frage nach seinem Hunger und er hatte sie auch schon beantwortet. Mit heißen Atem an ihrem Hals, eine Hand auf ihrem Bauch. Der Gedanke daran ließ die Emotionen wieder aufleben, die Aufregung, das Klopfen ihres Herzens. Sie sah ihn unentwegt aus grünen Augen an, beobachtete jedes noch so kleine Detail, das der Mann nicht vor ihr versteckte und machte schließlich Anstalten von Falla zu steigen. Es würde der Adeligen auch ohne Probleme gelingen, sie wirkte durchaus geübt.

"Ich will den weiteren Weg dahin gehen. Mit Euch. Gehen." Sie deutete auf ihre Füße und nach vorne, den Weg entlang. Das würde seinen Hunger ein bisschen stillen, zumindest musste der Mann warten, bis sie ankamen. Elorie glaubte das, ein wenig Naivität steckte eben in jeder jungen Frau.

Und freilich, die Herrin Voraniens musste die Sprache des Eises nicht beherrschen, um für den Mann an ihrer Seite ein offenes Buch darzustellen. Ihre Nervosität schien grenzenlos, allem voran sorgte sie in ihrem Kopf aber für eine Arglosigkeit, die durchweg mit seinem Amüsement zu kollidieren drohte. Als müsse Kassander warten, bis das Ziel für diesen Abend erreicht war. Im Grunde gehörte sie ihm bereits und wenn ihm danach wäre, so würde er das gottgegebene Recht, ihr hier und in dieser Sekunde die Kleider vom Leib zu reißen, sein Eigen nennen. Ein angenehmer Gedanke, wäre der Schlächter von Galgenfels nicht bereits seit langem dem Alter entwachsen, in dem es einem Mann aus dem unvergänglichen Reich unmöglich gewesen wäre sich in Geduld zu üben. Er würde sich das Mädchen schon noch zu Eigen machen und sie? Sie würde es, ob mit Gefallen oder Nichtgefallen, hinnehmen müssen. So sittsam war der Krieger nicht, als das er sich um ihre Bedürfnisse wahrhaftig kümmern wollte. Noch immer stand seine Triebhaftigkeit der ihren übergeordnet und ob der Tag kommen würde, an dem er für Elorie tatsächlich so etwas wie Liebe empfinden konnte, war fraglich. Beruhte dies nicht auf Gegenseitigkeit? Er war ihr lediglich Mittel zum Zweck, obschon man keinesfalls leugnen konnte, dass es ihnen bis hierhin gut gelungen war im Einklang aufeinander zuzugehen.

„Wasserfall“, echote der Eisprinz dunkel schnaubend, während er sich insgeheim dafür verfluchte die Aufforderung seines Bruders, die Sprache des grünen Landes zu lernen, stets so vehement von der Hand gewiesen zu haben. Nichtsdestotrotz kam er dem Wunsch seines Weibes nach, glitt vom sattellosen Rücken des stämmigen Gauls und machte ein paar Schritte auf Elorie zu, um ihr die Zügel der Stute zu entwenden. Abermals kam er ihr dabei nahe. Abermals scheute er sich für keinen einzigen Herzschlag davor seinen einnehmenden Blick über ihr liebliches Antlitz und weiter hernieder über die wohlgeformten Rundungen ihres Leibes wandern zu lassen. Wahrlich, es würde ihm in dieser Nacht eine Freude sein ihre unberührte Furche zu pflügen. Ob sie sich gar bereits schon selbst berührt hatte? Stillschweigend und verstohlen in dunklen, einsamen Nächten? Wusste die Schöne um jene Lust, die ihr schöner Körper zu empfinden im Stande war?

„Tha mi an-còmhnaidh acrach, mo bhean“ Ich habe immer Hunger, meine Frau, antwortete er ihr dann auf die erste Frage hin in ein und demselben Wortlaut wie morgens im Stall, wobei sich ein anzügliches Funkeln in seine Augen stahl. Lediglich flüchtig, doch mochte es seine Vorfreude darüber, bald schon zwischen ihren Schenkeln zu liegen, kaum verbergen.

„Mo bhean“, wiederholte Kassander lediglich ebenjene zwei Worte, die in den frühen Morgenstunden nicht gefallen waren, während er die Hand anhob und mit dem Zeigefinger oberhalb des lieblichen Runds ihres Busens gegen ihren Brustkorb tippte.

Der Blick, den der Nordmann über das elfenbeinzarte Gesicht und den Körper der voranischen Adligen schickte, war deutlich. Genauso gut hätte er auch seine Finger nehmen können und diese über ihre Haut gleiten lassen. Offensichtlich kam ihm der Gedanke sogar und anders als noch am Morgen, hielt ihn diesmal kein dünner Stoff auf, um zu fühlen wie weich und angenehm ihre Haut sich unter seinen Fingerspitzen gab.

„Is e Elorie mo bhean.“ Elorie ist meine Frau. Erst nachdem er sich ihres Verständnisses sicher sein konnte, nahm er den Zeigefinger von ihr und deutete auf sich selbst.

„Is mise an duine agad“, was der gestählte Barbar allerdings noch verständlicher zum Ausdruck zu bringen gedachte, „Is e Kassander an duine agad“ Kassander ist Dein Ehemann. Erst dann mutete sein Mienenspiel ein wenig nachdenklicher an. „A-mhàin air a 'phàipear“, fügte er an, nur um sich hernach halb von ihr fortzudrehen, um den Weg gemächlichen Schrittes neuerlich aufzunehmen.

"Is e Kassander mo duine agad", versuchte Elorie zu formulieren, wobei ihre Zunge gewiss noch Schwierigkeiten bei der einen oder anderen Silbe aufwies. Aber immerhin. "Is e Falla mo each." Sie schmunzelte, hoffend die richten Worte zu treffen und streichelte die Stute ein wenig, bevor sie Kassanders Schritten folgte.

„Nichts Priester bei Du.“ Wechselte der Prinz das Thema und was er damit wissen wollte, war vermutlich nicht ganz unverständlich. War das Weib nicht gottesfürchtig genug, um einen Bund vor ihrem falschen Jehova unverzichtbar zu machen? Eine Sache, die ihn wunderte … die ihm aber gleichsam einem Silberstreifen am Horizont gleichkam, würde es die Angelegenheit zwischen ihnen erheblich erleichtern.

Die Antwort darauf erschien dem Rotfuchs aber schwieriger als gedacht. Ohnehin könnte sie es ihm nicht gut genug übersetzen, von daher benutzte Elorie zunächst die eigene Zunge um es sich einfach von der Seele zu reden:

"Ich wollte nicht, dass ihr Ihn tötet." Gab sie offen zu. In der Tat hatten sowohl Boron als auch Kassander versprochen, dass dem Gottesmann nichts geschehen würde, doch die dann stattfindende Beratung beider Männer, die gemurmelten Worte, gaben den Ausschlag dafür, dass sie die Legitimation ihres Ehebunds zusammen mit der Sicherheit des Priesterlebens verband. Der Mann weilte auch jetzt noch unter der Obhut ihres Onkels, seine Unterschrift hatte der Priester geleistet, ohne dass Elorie sich später dessen Tod schuldig fühlte.

"Ich denke, wenn nicht Ihr, dann hätten Eure Männer ihn getötet. Lieber begegne ich Eurer Welt allein, als Schuld auf mich zu laden." Während sie sprach, richtete Elorie den Blick nach vorne, er musste ja nicht verstehen was sie sagte, erst als ihn die grünen Augen wieder aufsuchten, ihm in die seinen sahen, formulierte die junge Frau einfacher.

"Nicht töten." Er würde gewiss verstehen worauf sie anspielte. Die Worte waren klar, selbst für einen Nordmann. Die Abwesenheit des Priesters lag also nicht an Elories fehlendem Glauben, sie lag an ihrem Mitgefühl. Und möglicherweise hoffte das Mädchen auch, dass der Herr selbst ihr diese Gnade vergalt, sie im Lager der Nordmänner beschützte. Was sie wieder zurück zu Kassanders Blicken brachte. In der Tat fragte sie sich noch immer, was geschehen würde, wie hungrig dieser Mann wirklich war. Noch wirkte es, als hielte er sich zurück, die Adelige war sich sicher, dass der Wasserfall aber die Antwort bringen würde. Um den Weg dahin aber nicht wie den Gang zum Henkersbeil werden zu lassen, hielt die junge Frau plötzlich inne und griff nach dem Ellbogen des Eisprinzen, damit auch der Nordmann stehenblieb.

"Ihr werdet mir doch nicht wehtun?" Auch wenn er sie nicht verstand, die Blicke mochten Bände sprechen und sie deutete mit den Fingern federleicht nach oben auf ihre Lippen. Wollte sie den Kuss wieder aufleben lassen? Der Heide könnte es so interpretieren, was aber die junge Frau meinte war, dass sie den Mann mochte, der sie ohne grobe Gewalt geküsst hatte. Der sie auch nicht über die Maßen festgehalten hatte, sondern der sie hielt, beschützt.

"Euer Kuss hat mir gefallen", gab das Mädchen zu, bemühte sich ein Rotwerden zu verhindern, doch die Wangen wurden spürbar wärmer und zeigten sich schon bald in zartem Rosé.

Der volle Mond prangte bereits hoch am nachtschwarzen Firmament, als ihn das Mädchen zu seiner Rechten neuerlich dazu animiert hatte den gemächlichen Schritten Einhalt zu gebieten. Fahl beschien sein Licht ihr liebliches Antlitz, um das zu offenbaren, was die gemeine Zunge dieses Landes kaum zu schaffen vermochte. Die Zierliche fürchtete sich vor Kommendem, was nachvollziehbar war. Und dennoch. Ganz gleich wie langsam der Weg, welcher bereits nach der nächsten Krümmung zum Ziel führte, auch in Angriff genommen wurde, vor dem, was am Wasserfall auf sie warten sollte, würde Elorie nicht gefeit sein. Ohnehin spukte in ihrem hübschen Kopf wohl eine völlig falsche Vorstellung dessen, was mit der körperlichen Liebe Hand in Hand ging, einher. Kassander konnte wild und ungestüm sein. Er war ein leidenschaftlicher Mann, der sich keine Sekunde davor scheute zu nehmen was ihm zustand. Gleichfalls aber konnte man ihm in dieser Sache eine unerwartete Weitsicht nachsagen, letztlich lag es wohl ganz einfach in seiner schwerterprobten Hand, wie seine blutjunge Frau zukünftig zur eigenen Sexualität stand. Was in dieser Nacht geschehen wollte, das passierte ohnehin. Im Zweifelsfall würde er seine Bedürfnisse gnadlos über die ihren stellen, doch war das wirklich nötig? Ihre Ladyschaft machte nicht den Anschein, als wolle sie sich davor zieren. Was sie wohl umtrieb, war die Furcht vor dem Unbekannten!

Schier endlose Sekunden verstrichen, die der Krieger damit zubrachte das Grün ihrer Seelenspiegel zu ergründen, dann erst wandte er sich aufs Neue minimal von seiner Frau ab, um die Zügel der beiden Pferde pragmatisch aneinander zu knüpfen. Fjölnir würde in der Nähe bleiben, dessen war er sich sicher. Wie es sich mit Falla verhielt, wusste der Nordmann nicht, doch würde ihr die Gunst der Flucht durch das Eislandpferd verwehrt sein. Nach getaner Arbeit ließ er die Zügel fahren, die beiden Reittiere zum Grasen der eigenen Wege ziehen, um sich zur blutjungen Frau in seiner Obhut hinzudrehen. Vermutlich hätte Kassander an dieser Stelle tausendundeine Erklärung bieten können, doch was nutzten Worte, wo ebendiese dazu in der Lage waren neue Klüfte aufzubrechen? Am sinnvollsten war es, so erschien es wenigstens dem Königssohn, den roten Faden genau da aufzugreifen, wo man ihn vor etlichen Stunden am frühen Morgen noch zwangsläufig hat niederlegen müssen.

Abermals an diesen Tag überwand er die minimale Distanz zu ihr und neuerlich konnte das Mädchen deutlich spüren, wie sich raue Fingerspitzen zielsicher über ihre weiche Haut stahlen. Links und rechts ihres Halses suchten sich diese einen Weg dem zerbrechlichen, schmalen Genick entgegen. Viel Zeit, um über Kommendes auch weiterhin zu spekulieren, gab er der Schönen nicht mehr. Ohnehin schienen ihre Gedanken Gift für das zu sein, was da unaufhaltsam auf das Mädchen zuhielt.

Es gab andere Mittel, um ihr die Furcht vor dem Ungewissen zu nehmen. Mittel und Pfade, an denen sich Kassander nur zu gern bediente, während er seine Lippen für einen neuen Kuss sorgsam auf die ihren bettete. Sein Ansinnen lag klar auf der Hand und dennoch machten seine Hände, die sich auf ihrem Nacken teilten, langsam über die Schulterblätter hernieder glitten, keine Anstalten grob mit ihr ins Gericht zu gehen. Es bedurfte keiner Gewalt, um die schöne Adlige aus ihrer Komfortzone zu locken; um sie für sich zu erobern und auf den richtigen Weg zu locken, dahin, wo wilde Gedankengänge und Furcht vor dem, was einem Unbekannt war, kein Gewicht besaßen. Der Schlächter war einnehmend, zielstrebig und dennoch weitsichtig genug ihr jenen Freiraum zu gewähren, den das liebliche Rehkitz bedurfte um sich in seiner überaus präsenten Nähe zurechtfinden zu können.

Elorie war fast überrascht, dass es so einfach sein sollte und begegnete dem Blick des Schlächters durchaus unruhig. Er sah wie sie bei der folgenden Reaktion förmlich den Atem anhielt, jede Fingerkuppe auf der Haut aufnahm wie Wassertropfen, spätestens dann als er ihr Genick umfasste, sollte die junge Adelige es mit der Angst zu tun bekommen, doch irgendetwas mochte geschehen sein, dass Furcht gerade nicht greifbar schien. Ihre Lippen waren noch so weich wie am Morgen, noch so lieblich unberührt, dass sie kaum wussten was zu tun war. Langsam, ganz allmählich begann sich ihr Mund jedoch zu öffnen, schmiegte sich an den seinen und wagte mehr. Er verhielt sich zwar wie ein Wolf, doch wie ein Wolf der seine Beute erst umgarnte bevor er sie riss. Und Elorie war drauf und dran sich in dieser Art Nähe zu verlieren. Spätestens dann, als die Hände jedoch über ihre Schultern glitten, zog das Mädchen ihren Mund zurück, riss sich regelrecht los und sah zur Seite.

Kassander erkannte, dass ihre Lippen nun umso verlockender wirkten, feucht von den seinen, voll und empfindsam von den Blutstropfen, welche sich in dem weichen Fleisch ansammelten. Es war unmöglich zurückzuweichen und das hatte Elorie auch nicht vor. Sollte Kassander glauben, sie würde ihn verlassen, so brachten ihn zwei Hände an seiner Brust auf einen anderen Pfad. Sie berührte ihn, freiwillig, ertastend, den Blick wieder hoch in seine Augen gerichtet, als wolle sie sehen ob sie seine Erlaubnis besaß. Keinerlei Absprache, Blicke und Körpersprache, darauf mussten die beiden sich nun verlassen und der Leib der Adeligen sprach Bände. Auch wenn ihr Verstand wach schien, so war das Fleisch schwach und sie in diesem Moment eine junge Frau, deren Leib nach etwas verlangte, was er nicht kannte und doch kennenlernen wollte.

"Berührung...", flüsterte das Mädchen leise und war erschrocken über den Klang der eigenen Stimme, denn mochte darin nicht der Hauch einer Bitte, eines unweigerlichen Flehens mitschwingen? Über diese Art der Empfindung hatte Lady Edith nichts verraten. Es war schwierig zu agieren, denn Kassander offenbarte sich bei dieser Situation mehr und mehr, dass nicht nur die Zunge, sondern gleichfalls die Körpersprache ein Problem darstellte. Elorie kannte die Sprache ihres Leibes nicht, kannte die Lust nicht, die das gesprochene Wort für gewöhnlich unnötig machte. Hier und heute hatte es das Mädchen wohl gleich mit zwei Sprachen zu tun, die sie erst für sich würde entdecken müssen.

Für die Flüchtigkeit einiger Lidschläge wünschte sich der gestählte Barbar Boron zurück, doch was hätte dieser tun können? Sein Bruder im Geiste hätte wohl kaum danebenstehen können, während man sich näher kam. Es musste auch ohne ihn funktionieren und im Grunde tat es das sogar, obschon es schwierig war die eigene Gier dem Unwissen des Gegenübers anzugleichen. Sex war etwas, was für den Nordmann einer ganz eigentümlichen Normalität anheimfiel. Gier und Lust zu empfinden war dem Atmen gleich und gehörte zum Leben dazu. Es war das Geschenk der Göttin Freya an die Menschen! Er hatte sich bereits des Öfteren mit der Frage konfrontiert gesehen, aus welchen Gründen jener Gott, zu dem sein neues Eheweib betete, die Fleischeslust als verwerflich betrachtete. Warum gab er den Menschen solch intensive Empfindungen mit auf den Weg, nur um sie dann zu verteufeln?

Kassanders Blick sank auf die filigrane Hand, welche da wohl scheu und doch so mutig auf seinem Brustkorb ruhte – getrennt nur vom dünnen Leinen seines Hemdes von nackter Haut. Sein kontinuierlicher, kräftiger Herzschlag musste für die Adelsdame spürbar sein.

„Berührung“, floss es ihm dunkel von den Lippen, als wollte er das schöne Mädchen in ihrem Vorhaben bestärken. Die Nacht machte es ihnen obendrein leicht. Lediglich der Mond war Zeuge dessen, was hier auf der Lichtung so nah des Wasserfalls, dass man das Plätschern des fallenden Wassers bereits hören konnte, geschah. Niemand hier, der sie störte. Niemand hier, der dem Unaufhaltsamen hätte Einhalt gebieten können.

Abermals schlossen sich seine Finger um ihr Handgelenk, doch mutete es für diesen Augenblick weder grob noch barsch an. Er lenkte die Zierliche, führte ihre filigranen Kuppen über das dünne Leinen seines Hemdes; über gestählte Muskulatur und manches Narbengeflecht; stets hernieder bis zum Saum des Leinenhemdes, wo er ihre Hand letztlich schamlos unter den Stoff und auf die nackte Haut seines Leibes lenkte.

„Tha sin a 'faireachdainn math“, gestand er dunkel, fast rau, während nur dem aufmerksamen Zuhörer das leise Wohlgefallen im Unterton des Nordmanns auffallen mochte. Eine feine Gänsehaut, die sich, von den samtigen Fingerspitzen ausgehend, über die warme Haut ausbreiten wollte, war mindestens so deutlich spürbar, wie es unlängst sein Herzschlag für sie gewesen sein musste.

„Fios … Berührung“ Sein Blick blieb unentwegt an ihrem lieblichen Antlitz haften, als wolle er jede ihrer Gefühlsregungen in sich aufnehmen – dem trockenen Schwamm gleich, der das Wasser in sich aufsog.

„Tha sin a 'faireachdainn math“, wiederholte der Mann, „Ist … gut für … ich.“ Es fühlte sich gut an, doch war es eher das dunkelstirnige Raunen, welches da die Kehle des Wildlings verließ, als die erklärenden Worte, die das gegebene Wohlgefühl offen zutage trug.

Ihr Mund blieb offen, unfähig sich jemals wieder zu schließen weil sie sonst nicht genug Atem bekäme. Elorie stand vor dem Krieger und konnte ihre Füße nicht bewegen um wegzulaufen. Sie hatte es bei Weitem auch nicht vor. Zu verdanken blieb dies Kassander, dem Nordmann, der die barbarischen Gerüchte über ihre Grausamkeit soeben Lüge strafte. Gewiss, so naiv war der Rotfuchs nicht, konnte er anders sein. Gröber und gnadenloser. Doch im Moment war er zu ihr mehr als einfühlsam und genau das wollte ihm auch mehreren Lohn einbringen. Zum Ersten blieb die junge Frau bei ihm, zum Zweiten berührte sie ihn sogar, zum Dritten trat Elorie einen Schritt näher heran. Die Hitze, die sein Leib ausstrahlte, war kaum in Worte zu fassen und ohne es zu wollen kam Neugier in ihr auf. Die Hand, welche da über den Leinenstoff strich, war behutsam, zaghaft noch, aber keineswegs scheu. Erst unter dem Stoff, auf der fremden Haut ankommend, hörte sie auf, einfach um zu fühlen was er fühlte. Die Gänsehaut wurde bemerkt und sogar mit einem sanften Lächeln aufgenommen. Als entdecke Elorie gerade den Inhalt einer kostbaren Schatztruhe, so mochte sich der Nordmann vorkommen.

"Fios", wiederholte das Mädchen passend und sah zu ihrer Hand unter dem Stoff. Unwirklich erschien das eigene Tun, denn seit wann wagte sie einfach so einen fremden Mann zu berühren? Edith hatte ihr geraten sich auf den Nordmann einzulassen, zu nehmen was er gab und zu geben was er nahm. Sie hatte versprochen, dass es sich lohnen sollte, war er ein Mann von Ehre. Kassander schien genau ein solcher Mann zu sein.

"Fios Elorie..." Das Raunen seiner Stimme passte zum Klang der Ihren, obwohl heller und feiner, lag unerkannte Begierde darin. Und spiegelte sich zudem in ihren Augen wieder, die da unergründlich und doch so sicher schimmerten. Sie wollte seine Berührung wieder, wollte die Fingerspitzen zurück auf ihrer Haut, an ihrem Gesicht und an ihren Schultern und tiefer noch. Ihr Körper schien es zu wollen und ohne eine einzige Erklärung zog das Mädchen ihre Hand zurück und schmiegte sich, ein für allemal die Vernunft wegschiebend, an seine Brust. Ihr Kopf lag nun dort, das Ohr an seiner Brust, konnte den wilden Herzschlag hören, sowie sich nicht nur ihre Nähe gut anfühlte … die weichen Brüste drückten sich an seinen Oberkörper, weder Leinen noch ihre Seide würde den Barbaren von dieser Empfindung abbringen können.

"Ihr seid ganz anders, als ich erwartet habe..." flüsterte der Mund gegen den Stoff, ließ warmen Atem dazustoßen, bevor die Fingerspitzen sich weiter unter sein Hemd wagten. Sie wollten mehr spüren, mehr erkunden und es mochte lange Zeit her sein, dass sich eine Frau so ausgiebig mit seinen Narben und Verletzungen beschäftigt hatte. Jeden Zentimeter fuhr ihre Neugier entlang, kostete die spürbaren Unterschiede aus und landete irgendwann oben an der gestählten Brust Kassanders.

Sie konnte es nicht wissen, doch sprach er ihr hier und heute, unter Freyas Blick und den wachsamen Augen des Mondes, dieselben Rechte wie seinem einstigen Weib zu. Es war mitnichten so, dass er die Berührungen etwaiger Huren nicht gerne in Kauf genommen oder genossen hat, doch war es eine Sache ihn zu berühren, weil es der aufglimmenden Lust zuträglich war, nach einem ganz anderen Paar Stiefel mutete allerdings das Erkunden seiner Narben an. Aus seiner Sicht entstand daraus eine Intimität, die er beileibe nicht jedem x-beliebigen Weib zusprach. Ein tiefkehrliges Schnauben ging damit einher. Kein Widerwille oder gar der Groll, den er in dieser Hinsicht wohl bei jeder anderen verspürt hätte. Seine Narben sprachen die Sprache des Krieges. Des Blutes! Sie sangen wie die Skalden im Eis das Lied darüber, wie sehr er Zeit seines Lebens in der Gunst seiner Höchsten gestanden hat und wie willig er in ihrem Namen das Schwert führte. Entbehrungsreich und doch alles, was er heute noch besaß.

Behütend schlossen sich seine Arme um den filigranen Leib seiner Anvertrauten, während das aschgraue Augenmerk gen nachtschwarzen Himmel glitt. Zugegeben, Kassander verstand nicht ganz was hier geschah. Vermutlich wäre es leichter gewesen ihr ganz einfach die Röcke zu lüften und sich zu nehmen, was ihm unweigerlich zustand. Kein besonders gravierender Kraftaufwand, sein hartes Glied mit einem kräftigen Ruck in ihr Innerstes zu stoßen. Elorie hätte vermutlich gezetert, ob dem damit verbundenen Schmerz gewimmert und das Interessen an körperlicher Nähe dadurch fürs Erste eingebüßt. Ihre Lust sollte ihm eigentlich einerlei sein. Sie sollte die Mutter seiner Kinder werden, nicht mehr und nicht weniger hatte der Handel auf den Tisch gelegt. Warum aber, diese Frage stellte sich der Schlächter unentwegt, ging es alles andere als spurlos an ihm vorbei? Ihre Nähe, ebenjene Ruhe die Elorie zu verkörpern im Stande war, schenkte ihm mehr als er sich zu nehmen gedachte.

„Chan eil mi gad thuigsinn“ Ich verstehe Dich nicht. Worte, die nicht lediglich darauf bezogen waren, dass er die Liebliche in seinen Fängen verbal nicht verstand. Sie war ihm ein Rätsel! Dennoch lachte er – nicht laut oder herablassend. Nicht unangenehm, lediglich ein raues, tiefes, leises Lachen, auf das sein Brustkorb darob leicht vibrierte.

Nun war es Kassander der einen Schritt zurücktrat, nicht gar, um sich ihrer Nähe zu entziehen oder den tastenden Finger auszuweichen, sondern um das zu tun, was sich die hübsche Adelsdame wohl nicht traute. In einer fließenden Bewegung entledigte er sich seines Hemdes, ehe das Leinen achtlos über die breite Schulter geworfen wurde.

Wie festgesogen lagen die adligen Blicke nun auf dem nackten Oberkörper des Barbaren. Gewiss hatte sie ihn bereits gesehen, noch am Morgen, voll von Wasser, doch noch nicht inmitten des Mondscheins. Er war gewaltig. Wie eine Statue, nein, ein wirklicher, echter Krieger mit allen Zeichen, die die Kämpfe ihm geschenkt hatten. Ihr Herz begann wieder wilder zu klopfen als der Heide seine Hände hob, nur um sie wieder über ihre Haut zu streichen. Nicht nur ihre Berührungen lösten eine Gänsehaut aus, bei den Seinen verhielt es sich nicht anders.

Noch immer standen sie auf dem Waldpfad, daran wollte der Schlächter arbeiten. Bedächtig ließ er die Finger wandern, an Schultern und Armen entlang, um hernach ein klein wenig ungestümer vorzugehen. Ungefragt, allem voran aber vermutlich unerwartet, nahm er Elorie in den Braugriff.

Ohne Vorwarnung war sein Griff erfolgt und entzog ihr den Boden unter den Füßen. Elorie hielt sich mit beiden Armen um seinen Hals fest, mehr aus dem Reflex geboren, doch sie zog ihre Hände danach keinesfalls zurück.

„Kassander acras“, wiederholte der Heide, um es mit ihren Worten zum Ausdruck zu bringen, wobei sich ein schelmisches Lächeln auf seine Züge stahl. „Elorie acras!“ Er klang nicht gierig, aber amüsiert und zunehmend unbeschwert. Es war ihm ein leichtes sie zu tragen und es war ihm ein leichtes den Weg außer Acht zu lassen, während sich seine Füße unbeschwert gen Ziel ihrer kleinen Reise bewegte.

Das Lächeln auf seinen Zügen sprach Bände, ebenso wie die Worte, welche die junge Frau mittlerweile sehr gut verstand. Er glaubte, sie sei so hungrig wie er? Niemals.

„Wir berühren an Fallwasser.“ Kassander bemühte sich, es verständlich auszudrücken, was ihm allerdings nur bedingt gelang. Eines aber wurde offensichtlich: Es eilte ihn nicht! Die Nacht war jung und die Neugierde seiner Gattin willkommen. Die beiden würden ihren Weg finden, davon mochte der Krieger überzeugt sein.

"Wasserfall", korrigierte das Mädchen ihn, hatte sich dabei offenbar von seiner Unbeschwertheit anstecken lassen und antwortete dabei mit einem Lächeln. Schwach und noch vorsichtig, doch es war dort auf den geschwungenen Lippen. Er trug sie wirklich, als wöge sie nichts, regte die Gedanken an, wie viel Kraft der Mann doch besaß und wie wenig sie dem entgegenzusetzen hätte, würde er Dinge verlangen, welche sie nicht wollte. Noch immer tobte ein Zwiespalt in Elorie, eine leise Stimme flüsterte, dass sie den Mann nicht kannte, dass er den falschen Glauben trug, dass er sie gekauft hatte. Doch es gab auch jene Reaktionen ihres Leibes, die all das vergessen wollten, die nur berührt werden wollten und das von ihm. Und nur von ihm. Von dem Barbaren der er war, dem Mann den er ihr zeigte, fordernd aber dabei lockend, gierig aber geduldig.

Die Fingerspitzen begannen mit seinem Nacken zu spielen, über die Haut zu fahren, ganz nebenbei, als könne er es nicht merken. Das Geräusch rauschenden Wassers kam näher und näher, bis sie an ihrem Ziel ankamen. Elorie fühlte ihr Herz mittlerweile so stark, als wolle es ihr aus der Brust springen, doch nichts geschah. Ihre Blicke lagen auf den Grauen des Nordmanns. Sie hatte gerade kein Auge für die Schönheit des Ortes, für die angenehme Natur oder den Wasserfall, sie durfte sich nicht ablenken lassen.

Sowie Kassander sie wieder auf ihre Füße setzte, trat die Adelige sogar ein paar Schritte von ihm weg. Ihrem Gesicht war keine Angst abzulesen, sie schien tatsächlich beinahe ehrfürchtig. Der wohlgeformte Busen hob und senkte sich in ihrem Kleid dabei lockend, als wolle er endlich gesehen und berührt werden. Als habe er lang genug hinter Seide und Leinen ausharren müssen.

"Fios Elorie...", hauchte die Herrin Voraniens noch immer atemlos, oder mochte Kassander dort sogar eine leichte Ungeduld heraushören? Wenn, dann war ihr Körper schuld daran, denn dieser reagierte eben auf seine Hände und Nähe. Seit sie nebeneinander herliefen hatte sich Prickeln in ihr aufgetan, etwas das sich danach sehnte mehr zu fühlen. Elorie hatte Edith zugehört, doch nicht geglaubt was die Schwarzhaarige ihr vorschwärmte. Nun aber wusste sie es.

 

Ihre Ungeduld war die seine, mit einem kleinen, nuancenreichen Unterschied, denn Kassander zeigte sich keinesfalls bemüht darum die aufglimmende Gier nach ihr Lügen zu strafen. Das Ziel war erreicht und somit gab es keine Gründe mehr die eigenen Triebe in Schach zu halten. Hinzu kamen ihre lieblich dargebrachten Worte, die ihm den Weg in ihre Ungewissheit unabdingbar zu ebnen gedachten. Ihr Ausfallschritt wurde ausgeglichen. Der Nordmann ließ es ganz einfach nicht zu, war nicht willens jene Nähe, die er sich zuvor so unbeschwert erarbeitet hatte, wieder aufzugeben. Wozu auch? Sie wollte berührt werden und er tat wie ihm geheißen.

Warme, raue Hände, die sich unvermittelt hoben, um sich an den Schnüren jenes Kleides zu Schaffen zu machen, das seine Berührungen von ihrer nackten, seidigen Haut noch trennen konnte. Nicht lange, vorausgesetzt ihr gesunder Menschenverstand mochte sich nicht doch noch einschalten wollen, und die Seide, die ihren wohlgeformten Körper vor seinen Blicken verborgen gehalten hat, floss an ihr hernieder wie es das Wasser des Wasserfalls über die steilabfallende Kluftklippe tat.

Als die Seide fiel, überkam ihren Körper eine Gänsehaut und machte deutlich, wie empfindsam der junge Leib auf jegliche Regung reagierte. Ihr Anblick gefiel, allem voran die helle Haut, ein deutlicher Kontrast zu der Seinen. Ebenso wie die weiblichen Formen, ihre Brüste welche gleichzeitig weich und voll wirkten. Längst hatten sich ihre Knospen erhoben, streckten sich dem Nordmann beinahe willig entgehen und fuhren seine Augen tiefer über ihren flachen Bauch, war das süße Zentrum von Locken in der Farbe ihres Kopfhaars bedeckt. Weibliche Hüften, ein ansehnlicher Po, trotz des mädchenhaften Aussehens war Elorie mehr eine Frau denn ein Kind. Und reif diesen Schritt endlich zu gehen, das mochte Kassander nicht nur an ihrem Körper sehen, sondern diese feine Nuance auch in der Luft schmecken können.

Die junge Herrin Voraniens war ein schönes Mädchen. Kassander wusste das bereits seit gestern, seit dem ersten Blick in das Medaillon, welches noch immer in der Tasche seiner Lederhose ruhte, doch trug sich die Schönheit der Adligen erst recht durch ihre Nacktheit zutage. Gefühlte Ewigkeiten, verpackt in wenigen Atemzügen, die der Schlächter von Galgenfels damit zubrachte den Blick gleich anzüglichen Liebkosungen über sein Weib wandern zu lassen. Im Gegensatz zu ihm war sie in ihrem Ansehen perfekt. Vor Narben, die den Gesang einer entbehrungsreichen Existenz anstimmten, gefeit, was mitnichten bedeuten sollte, dass der filigrane Schönheit Zeit ihres Lebens keine solchen zugefügt worden sind. Entbehrung hatte sie schließlich erst in die Arme jenes Barbaren getrieben, dessen Augenmerk an ihr emporkletterte, um letztlich den ihm zuteilgewordenen Blick einzufangen. Abermals hoben sich seine Hände an. Neuerlich fanden sie ihren Weg auf ihre schmalen Schultern, ehe er das liebliche Mädchen bestimmend um die eigene Achse drehte und hernach inniger an sich drückte.

Sowie er sich rücklings an sie schmiegte, seinen Körper endlich Haut an Haut brachte, schloss Elorie die Augen und atmete weiter, wo sie es zuvor vermieden hatte. Als wolle ihr Leib über seine Fingerspitzen hindurch zeigen, was sie empfand, spürte Kassander den hohen Puls und als er endlich am ersten Ziel ankam auch ihr klopfendes Herz. Kein Laut entwich ihren Lippen, doch die Knie wurden weich und das Gewicht, welches sich an seine Brust drängte, etwas schwerer. Elorie wusste nicht was sie tun sollte, oder gar empfinden. Als wären all ihre Sinne nur darauf geschärft den Weg seiner Finger zu folgen, die feinen Härchen richteten sich auf, lechzend nach jeder Berührung.

Keine Seide mehr, die seine Berührungen von ihrer weichen, makellosen Haut hätte trennen können. Nichts, was sie vor seinen rauen Fingerspitzen, die auf ihrem flachen Bauch ansetzten, um Bedächtig über ihren bloßen Leib emporzugleiten, hätte schützen können. Kräftige Hände, die von einer unverkennbaren Ambivalenz geleitet wurden. Sanft griffen sie zu, just die weiblichen Rundungen ihres straffen Busens erreicht, während das leise, dunkle Knurren, das ob dieser Zärtlichkeit nah an ihrem Ohr von seinen Lippen floss, einen ganz anderen Wesenszug preisgab. Besitzergreifend wirkte es, an ihren gesunden Menschenverstand appellierend und offenbarend, dass es sich fortan besser zu fügen galt. Kassander zeigte sich geduldig, willens das Mädchen an sich zu gewöhnen, obschon es keine Wahloption mehr gab. Sie gehörte ihm und er würde sich nehmen, was ihm durch den Handel unweigerlich zugesprochen wurde.

Es gab kein Zurück mehr. Jetzt nicht, seit dem Unterzeichnen des Vertrages nicht. Genaugenommen war die jetzige Situation zeitens zuvor durch die Intrige gegen ihre Eltern entstanden. Und wer auch immer dafür verantwortlich war, würde sich nun mehr als einmal ärgern, sähe er wie innig sich das Paar unter dem Wasserfall annäherte. Da gab es weder ein ängstliches Flehen ob groben, gewalttätigen Händen, noch ein Hilferuf. Elorie mochte eine verkaufte Ware sein, ein Mädchen welches sich zu fügen hatte, doch in diesem Fall war der Nordmann jener Punkt, welchen der Intrigant nicht beeinflussen konnte. Ein Barbar mit mehr Ehre im Leib, als die meisten Adeligen dieses Landes. Schon immer war es ihr auf den wenigen Bällen schwergefallen sich zu amüsieren, denn die Luft war schwer von Kerzenwachs und billigen Parfums und die Blicke mehr wie Hände auf ihrem Leib. Da hatte es Lord Ashfort gegeben, blondgelockt, gutaussehend und ein wahrer Gentleman. Bis sie mit ihm allein auf dem Balkon stand und er ungefragt eine Hand an sie legte, so lange Worte in ihr Ohr flüsterte bis einer der Diener kam um sie zu erlösen. All das hatte sich falsch angefühlt, widerwärtig und abstoßend. Kassander war es nicht. In seinem Tun lag soviel Zärtlichkeit, dass Elorie noch immer nicht glauben mochte, dass Nordmänner grausame Krieger waren die ihre Streifzüge mit Met und Sklavinnen feierten. Unter den Fingerspitzen, die da unberührte Haut liebkoste, fühlte Kassander sehr wohl das Zittern ihres Körpers. Eine Mischung aus Unsicherheit, Ungeduld, Lust. Ja die junge Frau bemerkte wie sich ihr Kopf ausschalten wollte, ihr riet sich fallen zu lassen, ihm zu geben wonach es ihm verlangte. Nach ihr. Das bemerkte Elorie nicht zuletzt seiner Blicke wegen.

Mit Daumen und Zeigefinger griff er nach den Knospen, welche da so unverhohlen auf den weiblichsten ihrer Wölbungen thronten. So neckend wie kundig zog er an ihren, nur um die bisher so unberührten Brüste dann bedeutend gieriger zu massieren. Wie wenig spurlos die Reize seines erworbenen Weibes an ihm vorbeiziehen wollten, war für dieses spürbar. Deutlich zeichnete sich die Härte seines Gliedes gegen ihren schmalen Rücken ab, während sich die Rechte vom Busen löste, um neue Wege einzuschlagen. Langsam ließ er sie herniederwandern. Nicht gar, um sich den erkauften Leib noch schmackhafter zu machen, sondern um Elorie das Wandern seiner Hand gen Körpermitte spüren zu lassen. Ihre Nervosität war ein viel zu selten erhaltener Sinnesschmaus, dazu befähigt die dunkle Gier, die dem gestählten Krieger unweigerlich innewohnte, um ein vielfaches zu intensiveren. Der Königssohn genoss ihre Unwissenheit zutiefst, umso mehr gefiel es ihm dahingehend aus dem Vollen zu schöpfen.

Zentimeter für Zentimeter ließ er sie die Kuppen seiner Finger spüren, wie diese über den flachen Bauch hernieder strichen, um das Ziel letzten Endes zu erreichen. Ein weiteres Raunen der Lust drang, gepaart mit dem hitzigen Atem, der unvermittelt gegen die feine Neigung ihres Halses prallte, vielsagend an ihr Ohr. Die kleine Adelsgeborene war ein guter Kauf. Sie fühlte sich gut an und der Genuss stieg ins unermessliche, je näher die wandernde Schwerthand den stummen Lippen zwischen ihren schlanken Schenkeln kam, nur um diese letztlich – lediglich um des perfiden Spieltriebs willen – doch noch auszusparen und sich von ihr zu lösen.

Nun bekam Kassander seinen Triumph: Ihr Stöhnen. Nur leise, weich und doch so sinnlich klingend, einfach weil sie die Anspannung nicht mehr aushielt. Zwischen ihren Schenkeln war es so warm, seit Minuten spürte Elorie den feuchten Nektar, welcher dem Krieger den Weg weisen wollte. Er musste sie berühren, sie wollte es, jetzt mehr denn je. Nur gestattete ihr der Eisprinz dies nicht. Er entfernte sich, entzog ihr seinen Halt und ließ die junge Adelige fürs Erste wieder erwachen.

Lediglich minimale Distanz brachte er zwischen ihre Leiber. Gerade mal soweit, dass es ihm gelang das Mädchen dem lauernden Wolf gleich zu umwandern und vor ihr stehen zu bleiben. Zielstrebig griff er nach ihren Händen, die unlängst so neugierig über seine Narben gewandert sind, um diese auffordernd an den Bund seiner Lederhosen zu lenken.

Die Blicke der Adligen wirkten verwirrt, unsicher über sein Einhalten, doch die Hände verstanden. Mit jedem Atemzug hoben und senkten sich ihre Brüste ihm entgegen, die Haut war zum Zerbersten gespannt, fast unerträglich nur von Luft und Mondlicht berührt zu werden. Ihre Finger zitterten indes spürbar als sie die Schnürung lösten, immer wieder von seiner Haut kosteten. So lange, bis auch ihren Augen nichts mehr vorenthalten wurde. Sie waren nun gleich entblößt und wie der Nordmann zuvor, konnte auch Elorie ihren Blick nicht von ihm wenden, auch wenn ihre Neugier sich auf einen wesentlichen Teil konzentrierte. Edith hatte ihr Dinge ins Ohr geflüstert was sie tun sollte, kam diese Nacht, doch Elorie konnte nicht glauben, dass man so etwas machte. Jetzt aber, war sie anderer Meinung.

Vorsichtig und behutsam, den Blick wieder nach oben in seine Augen gerichtet, versuchte sie ihn dort zu berühren, wo er sich bei ihr zurückgezogen hatte. Ob es ihm gefiel? Wollte der Wolf vom Rehkitz gestreichelt werden? Langsam, behutsam und tastend schlossen sich die hellen Finger um seinen Schaft, doch mehr traute Elorie sich nicht. Aber ihr Mund öffnete sich ein wenig und während diesem warmer Atem entströmte, kam noch mehr.

"Ja." Sie gab ihm ihr Einverständnis, leicht rau klingend, belegt vor unbekannter Gier, einer Lust die ihren Körper durchströmte und die jegliche Furcht weghielt. "Ja, Kassander."

 

Sein stattliches Glied, von ihren filigranen Fingern umschlossen und gierend von seinen Hüften abstehend, zuckte ob der erhaltenen Zärtlichkeit verräterisch – eine Sprache, die man nicht erst in die hiesige Zunge übersetzen musste, um zu verstehen wie sehr der Nordmann Gefallen daran fand von seinem Weib berührt zu werden. Kassander war wohl das, was man gemeinhin als gut bestückt bezeichnen würde, wobei sich eine zartbesaitete Jungfer zurecht mit der Frage konfrontiert sah, wie es ihm gelingen könnte sich in ihr zu versenken. Eine Frage wiederum, die er ihr zu gegebener Zeit auch ohne Worte beantworten sollte. Und je länger ihre unbedarfte Liebkosung währte, desto inniger mochte der Schaft in ihrer zarten Hand anschwellen. Der Sohn Rolands neigte den Kopf in den Nacken, flüchtig und mit einem tiefkehligen Seufzen, der ihr lieblich leises Stöhnen von zuvor zu unterstreichen wusste. Er war ihr zugetan, einzig das war der Grund weshalb ihr darauf folgender Zuspruch nicht jäh belächelt werden sollte. Auf seltsame Weise empfand er es für liebreizend, dieser arglose Glaube daran in dieser Sache ein Mitspracherecht zu besitzen.

Nicht lange und das Haupt neigte sich wieder in ihre Richtung. Abermals handelte der Mann wohl unerwartet, als er sein zierliches Weib fast grob zu Fall brachte. Grob, wahrlich, doch sollte der vermutlich erwartete Aufprall auf darbendes Blattwerk keinesfalls jäh vonstattengehen. Kassander wahrte sie vor dem harten Aufschlag. Eine Nebensächlichkeit, die womöglich rasch an Belang verlor, wo sich seine Nähe bald schon inniger denn jemals zuvor in ihre Sinne zu graben gedachte. Bald schon fand sie ihn auf sich vor, das zuvor gestreichelte Glied markant gegen ihre Körpermitte gedrängt und der zarte Busen gegen seinen Brustkorb geschmiegt. An seinen Mundwinkeln zupfte ein anzügliches Lächeln, des bloßen Wissens wegen wie leicht es doch wäre ihre schlanken Schenkel anhand bloßer Willenskraft auseinander zu drängen, um sie zu pfählen. Jeder weitere Aufwand wäre mindestens so unnötig, wie es der Aufwand zuvor gewesen ist, allerdings erlaubte es ihm an dieser Stelle auf keinem allzu angsterfüllten Weib zu liegen.

Fürwahr, dem zarten Rotschopf blieb keine Zeit länger über das für und wider ihrer Bettsetzung nachzudenken, denn da war sein Antlitz schon wieder nahe und sie sah in jene grauen Augen, die ihr, Elories Ansichten nach, versprachen Rücksicht zu nehmen. Er hatte es ja auch zuvor schon bewiesen, dass dies keine grauenvolle Hochzeitsnacht werden sollte, wie man sie in grünländischen Kreisen wohl nur kannte. Keine ihrer spärlichen Anzahl von Freundinnen wusste von einem Mann zu berichten, der sie zärtlich behandelt hatte. Vielleicht lag dies aber auch daran, dass die Adelige die meisten von ihnen nach deren Heirat nie wiedergesehen hatte. Ihre Lippen wurden von neuen, warmen Atem abgelenkt und bestimmt erheiterte es den Nordmann, dass sie den Anschein machte ihn wieder küssen zu wollen. Elorie hob den Kopf, damit sich ihre Münder berühren konnten, doch da war er schon fort und wurde für die Dauer einer Sekunde schmerzlich vermisst.

„Earbsa“, flüsterte er ihr zu, die Lippen so nahe der ihren, das sein warmer Atem nun unentwegt gegen ihr hübsches Antlitz strich. „Vertrauen.“ Lediglich ein neues Wort, während der Krieger den Oberkörper leicht anhob, um sich letztlich zwischen ihren Beinen aufrecht hinzuknien. Ein schöner Anblick, den sie ihm so völlig bereitwillig bot. Anreizend grub sich die Schönheit des Mädchens in sein Bewusstsein, um die Gier auf Kommendes noch um ein Vielfaches zu intensivieren.

„Tha earbsa aig Elorie“ Elorie vertraut. Es hatte etwas Interessantes die Fronten ihres Horizontes in so mancherlei Hinsicht auszudehnen, während sein aufmerksames Augenmerk über die hübschen Rundungen ihres Bunsens hinwegstrich, um dann neugierig den ihren Blick einzufangen. Kassander ließ sich Zeit, blieb aber dennoch unabdingbar sicher auf den Pfaden seines Vorhabens. Nur zu spürbar, wie seine Rechte an der Innenseite ihres Schenkels ansetzte; wie sich raue Fingerspitzen nahezu tänzelnd über weiche Haut voran wagten; wie er, just das Zentrum ihres Leibes erreicht, die stummen Lippen teilte, um zärtlich die unberührte und so überaus empfindsame Perle zu liebkosen. Flüchtig und doch intensiv. Die Adelsgeborene wäre bereit für ihn, was am warmen Nektar, von dem seine Finger benetzt wurde, deutlich erkennbar war, doch zeigte sich der Nordmann deshalb nicht weniger weitsichtig.

Sein Tun brannte sich sehr schnell in ihre Sinne ein. Die Hand, welche an der weichen Haut ihrer Schenkel entlangfuhr spürte das leichte Beben ebenjener, ihr Leib zitterte leise, nicht ängstlich, mehr überfordert. Je näher Kassander ihrem Zentrum kam, umso schneller hoben und senkten sich ihre Brüste vor seinen Augen. Die Anspannung war zum Greifen nahe, ihr Blick brannte sich förmlich in seinen Kopf und sobald er sein Ziel erreichte, brannten ihre Wangen vor dunklen Rottönen. Auch in dunklen Ecken, in Heuställen, auf dem Waldboden hatte kein Mann seine Hand so weit gebracht wie der Nordmann über ihr. Es war eindeutig Elories erste Berührung - wie es um die eigenen Finger stand blieb unsicher - denn das Mädchen reagierte so unschuldig und gleichzeitig reizvoll.

Einem konnte man sich sicher sein: Kassander würde sich jener Mühe, die er sich in dieser Nacht unweigerlich gab, nicht immer hingeben. Dennoch, und dieser Fakt blieb bestehen, lag es wohl in seinem Ermessen, wie empfänglich sein Weib zukünftig für ihn sein würde. Der Barbar beugte sich über sie, mit dem Zeigefinger fortwährend über die empfindsame Lustperle streichelnd, doch erreichten seine Lippen nicht die ihren, sondern schlossen sich um die harte Knospe ihres Busens, um ihre lustgeprägten Sinne sogleich mit neuen, ungekannten Reizen zu fluten. Seine Intension dahinter war für den Kundigen offensichtlich – es ging ihm mitunter darum die Liebreizende von den wilden Gedankenstürmen zu lösen, die es ihr erst möglich machten den Schmerz des ersten Eindringens zu fürchten. Seine Lippen waren fordernd, gierig … kundig, wie sie an der harten Knospe saugten, um diese dann neckend mit einem angedeuteten Biss weiter aus der Reserve zu locken. Auch seine Finger blieben unerbittlich im Vorhaben jene für sie so fremd anmutende Lust, die da mit jedem kraftvollen Herzschlag brachial durch ihre Blutbahnen schoss, voranzutreiben. Nicht mehr lange, so jedenfalls die Vermutung des Heiden, und er hätte sein frischangeeignetes Eheweib genau dort, wo er sie haben wollte.

Ihre Augen schlossen sich rasch, unfähig ihn dabei zu beobachten. Eine Hand fuhr zum Laubbett und griff danach, einfach um der einströmenden Gefühle auf irgendeine Art und Weise wieder Herrin werden zu können. Sie konnte es nicht. Nicht als Kassander sich auch noch über ihre Brüste hermachte. Ihr Mund teilte sich wieder, öffnete sich weiter, um zu seufzen, noch immer leise, aber bald schon heller ohne dass Elorie sich darüber bewusst war, was sie tat. Das Zittern ihrer Schenkel hielt an, wann immer sein Finger sie wieder auf herrlichste Art und Weise quälte. Das Gefühl, welches der Mann in ihrem Leib hervorrief, war zur einen Hälfte sündhaft, zur anderen Hälfte herrlich wie nichts anderes. Elorie stand irgendwo dazwischen. Er war immer noch ein Heide, aber gleichzeitig ein Mann.

Bald schon spürte Kassander, dass der Druck ihrer Schenkel nachgab, dass sie sich etwas mehr öffnete um ihn weiter, tiefer spüren zu können. Ihr Zentrum war bereits mehr als feucht, der Duft eines willigen Mädchens mochte ihm weiter und weiter in die Nase steigen und hungriger machen. Wie frisches Blut einen Wolf! Elories andere Hand wusste nicht wohin, lag einmal über ihrem Haupt, mal an ihrer Seite, schließlich auf seinem Haupt, behutsam, als wolle sie ihm für sein Tun danken. Statt eines Dankes kam jedoch ein neues, sehr viel innigeres Stöhnen aus dem noch unschuldigen Mund, kaum wissend woher sie solche sündhaften Laute nahm. Kassander merkte jedoch, wie sie langsam begann ihre Hüften zu bewegen, höher, weiter dem quälenden Finger entgegen, als seien jene ihr neues Lebenselixier. In ihren Adern brannte wirklich ein Feuer, welches ihren kompletten Leib durchströmte. Und auch ihr Oberkörper schien süchtig zu werden, Elorie bog ihr Kreuz durch, ohne zu wissen dass sie es tat.

Die süße Frucht wurde nur noch mehr gegen seine umtriebigen Finerkuppen gepresst und wenn der Mann glaubte, sich fast am Ziel zu wissen, dann hatte er Recht. Nicht mehr lang und er hatte ihren Körper tatsächlich genau da wo er ihn haben wollte, bloß und feucht und brennend, der ideale Moment um sich in der Hitze des Mädchens zu versenken, den Schmerz durch Lust abkühlen zu lassen, auch wenn er ihr nicht alles davon nehmen konnte. Wenn er es schnell hinter sich brachte, so war ihm ihr kleiner Aufschrei gewiss, auch der Blick ihrer Augen weil sie jene aufriss um zu sehen was geschehen war. Elorie wandte das Gesicht von ihm ab, bettete den Kopf zur Seite und versuchte sich mit jedem weiteren Stoß daran zu gewöhnen. Soviel zärtliche Vorbereitung der Krieger ihr auch hatte zukommen lassen, es reichte nie aus um eine Jungfrau diese Erfahrung zu ersparen.

Mittels einer fließenden, unnachgiebigen Hüftbewegung hatte er sein Weib reuelos um die Unschuld beraubt, nur um tief in ihrem Innern innehalten zu müssen. Elorie war eng. Wunderbar eng, was der Heidenprinz weder von seinem einstigen Weib, die ihm zwei Kinder geschenkt hat, noch von etwaigen Hurenweibern gewohnt war. Der Nordmann füllte das liebliche Geschöpf unter sich vollkommen aus, dehnte und weitete es, während ihm ein angetanes, dunkelstirniges Stöhnen von den Lippen perlte. Ihr Schmerz konnte er tatsächlich nicht lindern, hatte der Mann mindestens sein Bestmögliches dazu beizutragen das Leid so gering wie möglich zu halten. Mehr konnte er nicht für sie tun und nun, als seine pulsierende Härte so wohltuend von ihrer lieblichen Enge umschlossen war, wollte er das auch nicht. Eigennutz flutete seine Sinne. Das Wissen darum wie sehr ihm das Weib doch gehörte und der Wille den Kauf, der ihm teuer zu stehen gekommen war, auch zu nutzen.

Sie presste die Lippen aufeinander, während die Unteren sich immer wieder feucht und willig teilten um ihn auch weiterhin aufzunehmen, als sei dies ihre Bestimmung. Wieder und wieder spürte das Mädchen den Mann tief in ihr Innerstes vordringen, fühlte die Haut seines Beckens an ihren bebenden Schenkeln entlangreiben und sie hörte sein Stöhnen. Warum nur gab sich ihr Leib dem weiter hin? Warum brannte er immer noch? Ihr Hunger schien zu schwinden, doch Kassander trug daran nur bedingte Schuld. Gott hatte diesen Akt für die Menschen erschaffen, auch ein Nordmann konnte daran nichts ändern. Aber er hatte sein Bestes getan um die Adelige genügend darauf vorzubereiten, denn in ihrem Körper kämpften Schmerz und Lust nahe beieinander. Je weiter er kam, umso stärker wurden beide, doch spätestens dann, als Elories Mund sich wieder öffnete um seinem Gehör ein Stöhnen zu schicken, wurde klar, wer doch hoffentlich gewann.

Vermutlich stimmte es, was man sich im grünen Land über die Nordmannen erzählte. Samt und sonders waren es wilde Barbaren, gnadlose Tagediebe deren Intellekt über Trieb und Blutgier nur selten hinausging. Kassander hatte sich bemüht das Mädchen an seine Größe zu gewöhnen, wenigstens für die Dauer mehrerer wertvoller Herzschläge, nur um die Körpermitte dann anzuheben und das pulsierende Glied auf ein Neues in ihre feuchte Enge zu treiben. Unnachgiebig im Tun und im Willen sie heute Nacht zur Frau zu machen. Seine Stöße wurden herber, während er seine stetig steigernde Lust unbarmherzig über die ihre zu stellen wusste. Kein Fehler, wie ihr schier zerbrechlich anmutender Leib schon bald so offen wie ehrlich preisgeben wollte. Ihr Schmerz musste verebbt sein, mindestens weitestgehend, denn ganz gleich wie zaghaft die Erwiderung seiner Stöße auch vonstattengehen mochte, es entging dem Barbaren nicht. Wie auch, wo sich ihr wunderbar enges Innerstes bald noch inniger um seine Erregung schloss? Wie hätte er das Geschenk ihres Leibes nicht annehmen und das auf- und ab seines Beckens nicht intensivieren können, wo ihm die Sinne höchst selbst offenbarten auf dem richtigen Weg zu sein?

Die Hand im Laub ballte sich zu einer Faust, zerquetschte Blätter und Gras, während die junge Frau spürte, dass etwas nicht stimmte. Irgendetwas war so merkwürdig, anders, schön. Trotz der Schmerzen empfand sie noch mehr und mit jedem Stoß wurde dieses Etwas stärker. Stärker und stärker und ließ die Schenkel nicht mehr schwach und kraftlos zurück. Kassander fühlte die Bewegung ihrer Hüfte weiterhin nur mäßig, vielleicht auch gar nicht, doch er spürte ihr Innerstes. Im nächsten Moment war sie fern dieses Ortes. Die Augen geschlossen konnte Elorie ihrer eigenen Lust sowieso nichts entgegensetzen. Der Höhepunkt erfasste das Mädchen an dem Punkt, an dem sie nicht mehr zurückkonnte, sie ließ sich treiben, hielt ihre Stimme nicht länger zurück, sondern stöhnte deutlich lauter als zuvor. Noch immer gab es den Schmerz, doch da war etwas Warmes, Angenehmes das ihren Leib durchflutete, als habe der Herr ein Einsehen mit ihr. Die helle Haut ihres Gesichts zeigte unlängst Rötungen, ihre Lippen kamen dem Nordmann viel voller und schimmernder vor. Ein Glanz lag in den Augen als sie wieder zu ihm sah, unsicher ob er nun über sie urteilen würde.

In seinen Blicken lag kein Hohn oder gar joviale Belustigung, als ihr grünes Augenmerk auf das stahlgrau seiner Iriden traf. Grenzenlose Gier mochten seine Augen zutage tragen, wobei das Stöhnen, welches unentwegt der Männerkehle entrann, wahre Bände sprechen mochte. Ein letztes Mal bäumte sich der Wildling auf. Ein letztes Mal stieß er die Härte seines Schaftes tief in ihre wohltuende Enge, während das angetane Stöhnen schier nahtlos in ein tiefkehliges, wohltuendes Knurren übergehen wollte. Kassander ergoss sich in ihr, Schub um Schub. Deutlich konnte man ihm den Hochgenuss von den mondbeschienen, markanten Gesichtszügen ablesen. Seine gestählten Muskeln arbeiteten unter der straffen, narbenversehrten Haut, wobei das bis hierhin so rhythmisch taktvolle auf- und ab seiner Hüften fahriger wurde. Selbst jetzt, als das höchste aller Empfindung unausweichlich gegipfelt war, dachte der rohe Krieger keine Sekunde darüber nach sich ihr zu entziehen. Der Moment, an dem es unweigerlich geschehen sollte, würde kommen, doch bis dahin genoss er ihren bis hierhin so unberührten Schoss zutiefst.

Zufriedenheit machte sich in ihm breit. Das Wissen darum in Bezug auf Elorie nicht betrogen worden zu sein. Links und rechts ihres hübsch anzusehenden Hauptes stützte er sich mit den gestählten Armen ab, um das filigrane Mädchen nicht vollends unter sich zu begraben, ehe er seine Lippen auf den ihren zur Ruhe bettete. Noch immer pochte ihm das schlagende Herz viel zu schnell gegen die Brust. Noch immer hörte er in seinen Ohren das Blut rauschen und noch immer empfand er in Anbetracht des Tagverlaufes lediglich Zufriedenheit. Der Abend hätte andere Bahnen ziehen können, sie beide wussten das. Die Adlige hatte sich seinem Willen gefügt und es – hoffentlich – nicht bereut! Sie hatte richtig gehandelt, wohlwissend, dass er sich selbst dann, hätte sie sich vor dem Akt geziert, von ihr genommen hätte was ihm zustand.

Abermals dieses Knurren, ehe Kassander den zerbrechlichen Leib unter sich zu seinen Gunsten lenkte. Sorgsam schob er einen Arm unter ihren Rücken, um den metaphorischen Spieß umzudrehen. Der Krieger stieg nicht einfach von ihr herunter, wie es hierorts wohl einer üblichen Alltäglichkeit entsprach, nein, er drehte sich mit dem Weib, auf dass sich dieses bald schon auf ihm befand. Dass er ihr dabei entglitt war ein notwendiges Übel, das der Gestählte so oder so irgendwann hat in Kauf nehmen müssen. Nichtsdestotrotz schenkte er ihr mit seiner Nähe wohl mehr, als er ihr nach dem Akt mit Worten hätte darbringen können. Pragmatisch wurde ihr Kleid zu einem Bündel zusammengeknüllt und als Kissen missbraucht, ehe sich Kassander die Zeit nahm mit rauen Fingerspitzen ziellos über die nackte Haut ihres schmalen Rückens zu streicheln.

In der Tat wirkte der Barbar durch und durch im Einklang. Eine bittere Stimme im Innern der Adligen verriet, dass sie den Handel wert gewesen sein musste. Die Andere flüsterte ihr zu nun eine Frau zu sein, mit all den Verpflichtungen, die damit einhergingen. Kassander sagte ihr noch etwas anderes, als er seinen Leib unter den ihren brachte und sie auf ihm thronen durfte, ganz als habe sie den Wolf besiegt. Den vorausgegangenen Kuss hatte sie nur dürftig erwidert, doch allein aus Atemnot, auch ihr Herz schlug wie wild und die Lungen benötigten jede Luft die sie kriegen konnten. Schweigend ruhte die junge Frau auf seiner Brust, schmiegte sich mit der ihren gewiss wiederum verlockend an seine Muskeln. Ohne es wirklich zu bemerken begannen die Finger an seiner Haut entlangzustreichen, so wie seine Hände ihren Rücken bedachten. Elories Haar war ein wenig zerzaust, doch es stand ihr, ein weiteres Zeugnis von dem Geschehen einen Moment zuvor. Hätte er sie mit Gewalt genommen, wäre ein so inniges Daliegen wohl schwierig gewesen und nur mit weitaus mehr Muskelkraft möglich. So aber lag eine fast friedliche Ruhe über dem ungleichen Paar.

„Wasserfall“ Beinahe klang es so gewichtig wie gedanklich unheimlich weit entfernt. Als könne er ihr mit diesem vollends aus dem Kontext gerissenen Wort seine Gedankenwelt zu Füssen legen. Sie beide würden ihren Sprachhorizont erweitern müssen, um die Kommunikation zu vereinfachen. „Elorie und Kassander berühren Wasserfall.“

Sowie der Heide wieder sprach, senkte sich aber endlich das Haupt des Mädchens hinab und auf seine Brust. Einerseits hörte Elorie den wilden, starken Klang seines Herzens, andererseits das Rauschen des Wasserfalls. Ihr Körper wurde noch nicht ruhiger, doch wenigstens ebbte der Schmerz zwischen ihren Beinen ab und machte einer wohligen Wärme Platz, die sich sogar bis in die Fingerspitzen ausbreiten wollte.

"Ihr wollt baden gehen?“, schätzte sie seine Worte wohl falsch ein und hob das Kinn an, um zu der dunklen Quelle zu blicken. Ein wohltuender Gedanke, doch sie war noch viel zu schwach auf den Beinen. Jetzt noch in sein Lager zu reiten würde eine Qual werden, aber wenigstens verdrängte Elorie die Gedanken solange es noch nicht dazu kam.

"Warten Eure Männer nicht auf uns?" Natürlich würde er nicht verstehen. "Boron, Bràthair, wartet." Vielleicht verstand Kassander so besser. Währenddessen blieb das Mädchen an ihn geschmiegt, eine spürbare Hitze ging von ihrem jungen Körper aus, wohingegen ihre Finger federleicht über die Narben seiner Brust wanderten.

"Ihr besitzt mehr Ehre im Leib als die meisten Männer die ich kenne", gab Elorie dann noch zu. Er musste es gar nicht verstehen, sie sprach mehr zu sich selbst. Sie würde in dieser vollkommen fremden Welt zurechtkommen müssen und es blieb ein großer Trost, dass Kassander sie zu keinem Zeitpunkt schlecht behandelt hatte. Er schien auch zu wollen, dass ihr die Eingewöhnung einfacher fiel. Doch das warum konnte Elorie sich nicht beantworten.

"Wir sollten gehen." Schlug sie anstatt des Wasserfalls vor. "Gehen." Ihre Finger liefen vor seinen Augen seine Brust entlang, hoffend dass die Geste ausreichte.

5.

„Gehen.“ , echote der Nordmann halbherzig, während sein aschgrauen Augenmerk das Grün ihrer Iriden suchte. Etwas roh mutete es an, wie seine Hand nach der ihren griff, nur um sie dann zu seinen Lippen zu führen. Da gab es niemanden, der auf sie wartete. Mindestens heute nicht. Bereits mit dem Aufgang der neuen Sonne sollte das Leben ein anderes sein. Ein Kuss auf die filigranen Fingerspitzen gehaucht, schüttelte der Sohn Rolands verneinend das Haupt. Nichts würde ihn dazu bringen heute noch die traute Zweisamkeit gegen eine Horde stinkender Barbaren einzutauschen.

„Fanar sinn an seo … bleiben.“ Was sprach gegen eine Nacht unter den Sternen? Nach wie vor blieben seine Hände rastlos, wobei das markante Antlitz schelmische Züge annahm. Freilich, er musste nicht aussprechen, was ihm durchs Gedankengut huschte. War es nicht offensichtlich? Zur Gänze war er mit seinem Weib noch nicht fertig. Die Nacht war mittlerweile zwar vorangeschritten, doch beileibe noch jung genug, um dem ersten Akt einen zweiten folgen zu lassen.

Wahrlich ein anregender Gedanke, den der Schlächter nur zu gern verfolgt hätte, wäre da nicht von weither ein Hufschlag zu vernehmen, der ihm gehörig die Unbeschwertheit aus den Sinnen trieb. Kassander hätte es besser wissen müssen. Die Vorstellung, die Nacht am Wasserfall zu verbringen, war zu schön um wahr zu sein. Ein unwirsches Schnauben entfloh der Kehle des Gestählten, als er sich mitsamt Elorie zur Seite drehte. Nicht mehr lange und die traute Zweisamkeit würde dünnem Glas gleich in tausend Splitter bersten. Sorgsam bettete er seine Anvertraute auf weichem Grund, um sich hernach in einer fließenden Bewegung vom Erdreich in einen festen Stand zu bugsieren.

„Dèan èideadh“ Was damit gemeint war, wurde durch eine einfache Tat übersetzt. Vergrämt deutete er auf ihr Kleid, welches ihm da bis hierhin noch als Kissen dienlich gewesen war. Er selbst tat es seiner Ehefrau vor und zog sich an, obschon mit deutlich mehr Müßiggang. Es gab nur einen, der sein Pferd so zielsicher auf die mondbeschienene Lichtung lenken konnte; nur einen der wusste, wohin sich der Schlächter für die Hochzeitsnacht begeben hat. Die Hose hatte der Nordprinz bereits übergestreift als Boron aus dem dichten Unterholz brach, um sein Pferd in respektvoller Entfernung zum Stillstand zu bringen.

„Dè tha a 'dol air adhart?“ , richtete Kassander das Wort, für den Rotfuchs unverständlich, an den Nahenden, wobei seiner Stimmlage bereits zu entnehmen war wie wenig ihm die Störung gefiel. Der Diplomat indes antwortete nicht, sondern erhob seine Stimme in der gemeinen Zunge, um mit Elorie zu sprechen. Auch er klang alles andere als freundlich, was dem Eisprinzen keinesfalls entging. Oftmals musste man eine Sprache nicht verstehen, um zu wissen welche Richtung die darin geführten Gesprächsverläufe einschlugen.

„Ius primae noctis“ Drei Worte, die grollender nicht hätten klingen können. Drei Worte, welche da die Sitten dieses Landstriches nicht besser hätten unterstreichen können. Das Recht der ersten Nacht lag hierorts oftmals nicht beim Ehemann … nicht beim Herrn des Landstrichs, sondern einzig und allein beim König! Fraglich nur, wie es diesem gelungen war so schnell zu handeln. Die Habings beherbergten einen Spion des Königs, so viel stand nun fest, die Frage war nun aber, ob Elorie darüber Bescheid gewusst hat. „Gibt es etwas, was Du mir sagen willst, Mädchen?“, wollte Boron daher wissen.

Es hätte indes keiner Aufforderung bedurft, damit der adlige Rotschopf sich erhob und mit dem Kleid notdürftig ihre Reize bedeckte. Mit einer Hand zog Elorie das Haar über die Schultern und würde darauf achten ein wenig hinter dem Nordmann stehenzubleiben. Zum Glück war es das bekannte Gesichts des Bruders im Geiste, sodass die junge Frau glaubte aufatmen zu können, doch das Gegenteil war der Fall und er klang mehr als ernst. Elorie verharrte an Ort und Stelle. Als Boron das Wort allerdings an sie richtete, schien das Mädchen merklich blass zu werden. Gewiss kannte sie das Gesetz, doch sie gehörte nun einem Nordmann, keinem Adeligen. Weswegen sollte König Anastaniel sein Recht einfordern? Dass es in den eigenen Reihen Verrat geben konnte, daran dachte Elorie zu keiner Sekunde. Es war Borons eindringliche Stimme, die klang als habe man den gesamten Wasserfall über ihren Kopf gegossen. Glaubte der Mann tatsächlich, sie habe etwas damit zu tun? Kassander musste nur den Blick in ihr Gesicht richten, um zu wissen, dass seine Frau mit diesem Ränkespiel nichts zu tun hatte. Er las das ehrliche Entsetzen, die Überraschung, die aufkommende Panik, falls sie sich dem Willen des Königs würde fügen müssen.

"Ihr denkt ich habe etwas damit zu tun", schlussfolgerte Elorie fast ein wenig zu leise und sah zu Boron auf seinem Pferd. Der Mann ließ das Tier unruhig hin- und hertänzeln, sein Schweif ging hin und her, drückte die Unruhe des Reiters mehr als gut aus. Mit einem Mal kamen die Gedanken. So schnell und rasch, dass sie eine Hand nehmen musste um Einen davon festzuhalten.

"Dass ich die Aufmerksamkeit des Königs nur so auf mich lenken konnte...denkt Ihr das wirklich?!" Sie trat an Kassanders Seite und einen Schritt an ihm vorbei, aber kaum ausgesprochen wurde ihr beinahe schlecht. Sie konnte ahnen, wer sich dieser grausamen List bedient haben konnte. Für einen kurzen Moment hatte die junge Adelige wirklich geglaubt nicht mehr als Spielball angesehen zu werden. Und nun war diese Hoffnung mit nur drei Wörtern zerschlagen. Kassander sah die aufkommende Verzweiflung auf ihren Zügen, die Augen welche anfingen zu schimmern, das Zittern ihres Körpers.

"Ich würde niemals einen Menschen hintergehen." Versicherte sie Boron mit erstickt klingender Stimme. Man hatte sie benutzt, schlimmer als Kassander es hätte tun können. Ihre Unschuld war einer anderen Sache zum Opfer gefallen und nun fühlte sie sich zurecht elend. "Wer hat es Euch gesagt?" Das war wichtig, um einen Hinweis zu erlangen. Elorie verdächtigte wie auch die Nordmänner ihren Onkel, doch sollte das Spiel so leicht vonstattengehen? Warum hatte er nicht einen anderen Plan gefasst, um an Voraniens Ländereien zu kommen? Es sei denn Gustav steckte gar nicht dahinter.

Dem Narbengesichtigen jedenfalls war es mitnichten zu verübeln derart zu schlussfolgern. Man kannte die Habings nicht. Eine von ihnen zierte fortan allerdings die Seite des Eisprinzen, während des anderen Versuch, die Nordmannen über den Tisch zu ziehen, im Keim des Seins erstickt worden ist. Boron war hin und hergerissen, machte zuweilen auch keinen Hehl aus dem aufkeimenden Zwiespalt.

„Er nennt sich Balder.“, wurde der Schlächter zu seinem Leidwesen weiter außer Acht gelassen. Und wäre Boron nicht sein Bruder im Geiste, beide Barbaren wussten das, hätte sich der Krieger auch nicht so ins Abseits drängen lassen. „Er und seine Männer, fünf an der Zahl, ritten ins Heerlager, um Dich im Namen des Königs abzuholen.“ Zugegeben, der Diplomat wusste nicht recht was davon zu halten war. Lediglich seiner Weitsicht war es zu verdanken, dass er das Wort zuerst an die Adlige richtete, damit Kassanders Aufmerksamkeit auf der Reaktion seines Weibes ruhen konnte. Die Lage war Ernst und denkbar ungünstig. Man wollte mit dem König des grünen Landes um das Wohlergehen ihrer Eltern feilschen, musste ihm allerdings, weit vor die Verhandlungen ihren Lauf nehmen konnten, das Recht der ersten Nacht verweigern.

„Loki soll mich holen, wenn dieses Bündnis nicht bereits von Anfang an ein abgekartetes Spiel gewesen ist.“ Boron klang wütend, doch je inniger er die Tatsache gedanklich drehte und wendete, desto mehr glaubte er den Drahtzieher nicht in Elorie sondern in ihrem Onkel zu finden. Der Nordmann musste nur sein Augenmerk auf die Rothaarige richten, um zu wissen, dass sie keinen Verrat beging. Ihr Antlitz war unschuldig, ihr Körper nicht mehr, doch ihre Seele umso stärker. Eine hübsche Schachfigur, mehr stellte das zarte Vögelchen unter Ihresgleichen nicht dar und wäre die Intrige um ihre Eltern nicht gewesen, hätte man ihre Jungfernschaft gewinnbringend an den höheren Adel verkaufen können.

Was der Mann aber erkennen konnte, dem Mondschein sei Dank, war die aufkommende Blässe auf ihren Wangen. Aufgetreten beim Nennen eines bestimmten Namens. Sie kannte den Mann. Und seine Position. Elorie war ihm bei einem Ball begegnet, ein flüchtiger Moment an den sie sich nicht gern erinnerte. Lord Balder war niemand, den man sich gerne zum Feind machte. Dass der König sie in seinem Bett haben wollte, musste seiner falschen Zunge zu verdanken sein. In diesem Punkt gab es keinen Zweifel, in der Luft lag Verrat. Sie wusste nur noch nicht in welche Richtung sie suchen sollte. Und was für ein Sieg am Ende davongetragen werden sollte. Um die Nordmänner anzugreifen brauchte es keinen Grund, den hatten sie durch das Ermorden von Priestern und Entweihung von Kirchen längst selbst gegeben. Ging es tatsächlich um Voranien, so musste man nur seine Hände um ihren Hals legen und zudrücken. Dann fiel das Land zwar an die anderen Habings, doch wo ein Mörder herumlief, war ein Zweiter nicht fern. Elorie war ratlos und genau das brachte sie auch zum Ausdruck.

"Ihr denkt mein Onkel hat das getan?" Schlussfolgerte Elorie zunächst und blickte zwischen Boron und Kassander hin- und her. Die Beiden mochten ihre Meinung gewiss teilen, denn auf den ersten Blick profitierte der Mann natürlich zuallererst vom stattgefundenen Handel und seinen auftauchenden Problemen. Doch jetzt, da der König davon erfahren hatte, gab es noch viel Schlimmere. Die Luft war mit einem Mal so kalt und stellte die feinen Härchen auf ihrer Haut wieder auf.

„Gustav verschacherte Dich, Mädchen, um Deines eigenen Friedens Willen an einen Nordmann, der wiederum seit drei Mondzyklen raubend und mordend durchs grüne Land reist. Just sind die Verträge unterschrieben, reiten die Schergen des Königs ins Heerlager der Glaubensmörder, um Dich abzuholen.“ Ein unwirsches Schnauben entfloh den Lippen des Berittenen. „Erkennst Du den Verrat an Deiner Peson nicht selbst?“ Eine rhetorische Frage, denn noch bevor ihre Ladyschaft zur Antwort ansetzen konnte, nutzte Boron die Gunst des Momentes aus, um seinen Herrn über die jüngsten Geschehnisse in Kenntnis zu setzen. Es bedurfte einiger Augenblicke, um ihm dieses eher irritierende Gesetz verständlich zu machen. Das Recht der ersten Nacht, als würde das noch eine Rolle spielen, hatte Kassander bereits erfolgreich an sich gerissen.

„Cò tha am Balder seo?“, verlangte der Heerführer von seinem Weib zu erfahren, während dieses sich wohl mit der Frage konfrontiert sah, wie der Mann an ihrer Seite auf die prekäre Situation wohl reagierte. Für den gegebenen Augenblick mutete er unbeeindruckt an. Freilich hatte er im Antlitz seiner Anvertrauten gesehen, was für ihn wichtig angemutet hat. Ihr Schreck war ehrlich, gleich wie die gegebene Irritation über die eher unerwartete Wendung dieses Abends. Nach wie vor stand ihnen eine angespannte Sachlage bevor. Eines aber, würde gewiss sein. Kassander gedachte seinen Besitz nicht mit einem hergelaufenen Hurentreiber zu teilen, der sich selbst König schrie.

„Hast Du von diesem Balder bereits gehört?“, wurden die Worte des Schlächters unvermittelt in die gemeine Zunge übersetzt.

"Er ist der Lordsiegelbewahrer des Königs. Ein Mann in einer mächtigen Position. Ich bin ihm jedoch nur einmal flüchtig begegnet und er kennt mich kaum." Elorie trat nun allerdings einen Schritt näher zu Kassander und griff sanft nach seinem Handgelenk, damit er seine Aufmerksamkeit auf sein junges Weib legte.

"Ich sollte gehen. Nur für diese eine Nacht. Um weiteres Übel zu verhindern." Da war wieder jener Mut, den der Nordmann schon bei ihr hatte entdecken dürfen. Dieses Mal würde er ihm aber bestimmt nicht gefallen. Sie opferte sich? Für den Nordmann keine Option, soviel ahnte auch Elorie. "Ich komme wieder zu Euch, ich verspreche es. Ihr habt mein Wort." Sie nahm die Hand Kassanders und führte diese nach oben zu ihren Lippen, um einen Kuss darauf zu setzen. Dann würde sie ihn loslassen, wenn er sie ließ auch auf den wartenden Boron zutreten.

"Ihr müsst mich zu ihm bringen." Sie rang die Gedanken nieder wie es sein mochte. Sie wollte gar nicht wissen wie es war! Als wäre ihr Körper etwas, das dazu imstande war grausame Dinge zu verhindern und so musste sie ihn einsetzen. Mit einem Schwert in der Hand wären manche Taten natürlich sehr viel einfacher. "Boron." Er machte keine Anstalten sie zu sich aufs Pferd zu holen, daher versuchte Elorie ihrer Stimme mehr Nachdruck zu verleihen und hoffte, dass jene Früchte trug.

 

Die Frage, was an Voranien so unglaublich wertvoll war, lag plötzlich mehr denn jemals zuvor auf der Hand. Warum gab man sich derart Mühe die Herren dieses Landes hinter Gitter zu bringen, während Elorie die Gunst ihres Onkels genießen durfte? Das allein machte keinen Sinn. Es musste mehr dahinterstecken, als Kassander auf Anhieb erkennen konnte. Hinzu kam der Wille der Nornen, denn das gottesfürchtige Grünlandweib zu ehelichen hatten die Götter für ihn vorherbestimmt. Wo nur, so fragte sich der Schlächter von Galgenfels, lag der Ursprung dieses Quells? Nahezu verdattert sah er auf seine Anvertraute hernieder, ehe sich in seinen Augen ob der Übersetzungen des Schwertfreundes etwas grundlegend veränderte. Wut stieg in ihm auf, die nicht lediglich der verqueren Situation geschuldet war. Hatte Elorie wirklich das Gefühl diese Nacht könne das Leben ihrer Eltern noch retten? Glaubte sie wirklich, der Genuss ihres Leibes würde über das Wohlergehen der wahren Herren Voraniens entscheiden? Der Grünlandkönig, so viel stand fest, brauchte den Bruch dieses fragwürdigen Gesetzes nicht als Anlass, um ihr eigenes Fleisch und Blut aufs Schafott zu führen. Wie naiv der Rotfuchs doch erschiene, glaubte sie tatsächlich, Demut wäre der richtige Weg mit der Angelegenheit umzugehen. Sie mochte mutig sein, setzte ihren Mut allerdings falsch ein.

„Nein“, entkam es dem Königssohn, als sein trautes Weib bereits versucht war die Situation selbst in die Hand zu nehmen. Lediglich ein Wort, allerdings mehr als nur minimal dazu befähigt ganz andere Wesenszüge denn Geduld und Freundlichkeit zutage zu tragen.

„Cha do phòs mi whore. Stad a bhith a 'giùlan mar aon!“ Sie als Hure zu bezeichnen, wenngleich er lediglich damit klarzustellen gedachte, keine solche geheiratet zu haben, ließ der Diplomat unübersetzt. Boron kannte seinen Bruder im Geiste bereits zu lange, um an dieser Stelle seines aufglimmenden Zorns das Falsche zu tun. Als könne die Verweigerung der ersten Nacht an der Situation etwas ändern. Was hier geschah war die reinste Form von Provokation und Kassander kein Mann, der sich davor fürchtete das Kriegsbeil in die Hand zu nehmen, um damit Schädel zu spalten.

„Ich kann Deinen Gedankengang nachvollziehen, Mädchen, aber Du übst Dich dabei nicht in Weitsicht.“ Entkam es dem Narbengesichtigen, während sein Blick aus eisblauen Augen von seinem Schwertbruder zu dessen Gattin glitt.

„Was, wenn es die einfachste Methodik ist Dich unter sein Dach zu bekommen?“ Eine dritte Option, die bis hierhin unausgesprochen geblieben ist. „Bisher standest Du erfolgreich unter dem Schutz Deines Onkels und warst damit unantastbar. Die Ehe, ganz gleich mit wem – so würde ich in der Position Deines Königs denken – bringt Dich ganz von selbst in seine Fänge. Denkst Du wirklich, der Grünlandkönig wird Dein Leben verschonen, wenn er denn alle Fliegen mit einer einzigen Klappe erschlagen kann?“ Vermutlich war es genau das, was den Höchsten dieses Landes umtrieb. So simpel wie plausibel, was die Schuld des Verrats im Umkehrschluss allerdings von Gustavs Schultern nahm. Eine Erkenntnis, auf die auch der Anführer des Königsheers gekommen war. Ein Pfiff, ausgesandt von Kassander, animierte Falla und Fjölnir dazu aus den nahen Wäldern zur Lichtung zu trotten.

„Du kannst nicht wissen, ob Deine Eltern noch am Leben sind, Mylady“, fügte Boron derweil väterlich an. „Sind sie es noch, so viel steht fest, wirst Du – handelst Du Deinem Mann zuwider – euer aller Todesurteil unterzeichnen.“ So und nicht anders machte dies vermaledeite Ränkespiel einen Sinn. „Vertraue auf meinen Herrn, Mädchen, warum sonst hast Du Dich auf seine Seite gestellt?“ Die Narbenfratze übte sich in Rhetorik, während sein Bruder im Geiste forsch nach dem Arm der Adligen griff. Sie würde mit ihm auf Fjölnir reiten, nicht zuletzt um vor Balder ebenjene Einheit darzustellen, die unlängst durch den sinnlichen Akt wahrhaftig besiegelt worden ist.

Elorie mochte naiv sein, ein gutes Herz in einer Welt die jene Herzen mehr verschlang, als dass sie wirklich einmal etwas bewirkten. Wenn, dann nur bei den Menschen um jene herum, niemals für sich selbst. Sie war wirklich überzeugt davon sich mit der Nacht vor königlichen Zorn retten zu können, umso niederschmetternder wirkte Kassanders Reaktion auf das Mädchen. Gewiss wäre die Sachlage merkwürdig, stimmte der Nordmann einfach so zu, auch dann hätte er seinem Weib vor den Kopf gestoßen. Es gab also keine Antwort, die den zartbesaiteten Rotfuchs irgendwie beruhigen konnte. Boron schaffte es aber wenigstens derart zu ihrem Verstand vorzudringen, dass die Rothaarige verstand wie das Spiel gespielt wurde. Zudem hatte der Mann Recht mit dem was er sagte. Sie sollte Kassander vertrauen. Er würde sie beschützen und nicht zulassen, dass irgendjemand Leid über sie brachte. Vollkommener Irrsinn, dass ausgerechnet eine Christin so dachte, aber noch bewies ihr niemand das Gegenteil.

„Bidh na diathan còmhla rium“ Die Götter werden bei uns sein, entkam es Kassander überzeugt, während er seiner Frau, nachdem sich diese kurzerhand zum Aufbruch gerichtet hatte, auf den rabenschwarzen Eislandrappen half. Sein letztes Wort, bevor es galt selbstsicher und göttertreu dem Heerlager entgegenzureiten.

Das Gefühl war zunächst kein angenehmes, wie die schöne Voranierin insgeheim erkennen musste. Ihr Leib fühlte sich nun kraftloser, erschöpfter an. Als sei sie über ein ganzes Feld gelaufen. Kassander, der hinter ihr Platz auf dem Pferderücken Platz nahm, spürte die aufkommende Schwäche der jungen Frau aber nur daran, dass sie den Rücken während des Ritts enger an ihn schmiegte. Als fehle ihr im Moment die Kraft sich aufrecht zu halten. Doch als Fjölnir zu traben begann und Elorie erkannte, dass man sich dem Lager näherte, rief sie ihre Kräfte wieder zusammen und war bemüht so stolz wie möglich zu erscheinen.

 

Balder und seine Männer befanden sich natürlich noch dort. Dem König mit leeren Händen zu begegnen war keine Option für den Lordsiegelbewahrer. Seine Erscheinung war wohl am Ehesten mit einem Raubtier zu vergleichen. Ein kräftiger, muskulöser Mann von hohem Wuchs. Ein Hüne wie Kassander selbst und mit Augen die leider intelligenter wirkten, als Gustavs es taten. Er war nicht allein gekommen, sodass neben Kassanders Männern fünf Augenpaare mehr auf das ungleiche Paar blickten. Elorie würde nicht zu sprechen anfangen. Sie würde sich zunächst zurückhalten, Boron sprechen zu lassen wirkte stärker, als sei sie bereits in einer höheren Position.

"Lady Elorie von Habing, wie dem König zu Ohren gekommen ist, habt Ihr Euch gegen die Bestimmung der Kirche mit diesem Heiden vermählen lassen. Zum Ersten verlangen es die Gesetze unseres Landes, dass dem König das Recht der ersten Nacht zusteht. Zum Zweiten ist es gegen den königlichen Willen einen Gemahl zu nehmen, den die eigenen Eltern nicht benannt haben. Zum Dritten sind diese Männer Feinde der Krone und ihr nun etwa auch? Mädchen, denkt genau nach, was Ihr tun werdet." Sein Tonfall gefiel ihr nicht. Der Mann gefiel ihr nicht. Und Kassander würde da keine Ausnahme darstellen. "Gebt sie in meine Obhut, ich bringe sie wieder auf den Pfad der Vernunft."

Kassander ließ sich die Worte des Lordsiegelbewahrers vom Schwertbruder an seiner Seite genau übersetzen, ehe stille einkehrte. Nicht nur Stille, hätte dies lediglich die Abwesenheit von Lärm bedeutet. Was Balder an dieser Stelle der voranschreitenden Nacht allerdings mit der samtigen Implosionswucht einer auseinanderstiebenden Pusteblume traf, war ein eisernes Schweigen, bei dem Stille womöglich als ohrenbetäubender Radau hätte gewertet werden können.

Der Schlächter von Galgenfels dachte nach. Sein Augenpaar ruhte dabei eisig auf dem dreisten Fleischberg, der ihm in Größe und Kraft wohl durchweg das Wasser reichen konnte. Balder wäre ein guter Krieger geworden, läge ihm nicht so viel daran seine Stimme für einen König zu erheben, der aus der Sicht des Nordmanns kaum dazu fähig war ein Land zu regieren. Wahre Könige versteckten sich nicht hinter ihren Schergen. Wahre Könige hatten es ebenfalls nicht nötig Ländereien Dritter auf derlei arglistige Weise an sich zu reißen.

Der Rotfuchs fühlte, dass etwas nicht stimmte. Nur Nuancen die sich ihrer Sinne bemächtigten, unbewusst, schleichend. Der Mann in ihrem Rücken wurde zu ruhig, das Blut in seinen Adern dafür umso pulsierender. Elories Herz begann zu schlagen, schneller und schneller je länger sie Balder ansah und mitbekam, dass der Mann hinter ihr zunächst nichts tat als diesen anzusehen.

Was dann geschah, fiel lediglich maßloser Provokation anheim. Ein süffisantes Lächeln zupfte an den Mundwinkeln des Heiden, während dieser beherzt nach der lieblichen Brust seines Weibes griff und das Haupt neigte, um mit den Lippen gar hochmütig an der feinen Neigung ihres schmalen Hals entlangzuwandern. Was dies zu bedeuten hatte, war dem grünländischen Haudegen durchaus klar – sein Gegner hatte das Recht der ersten Nacht bereits eingefordert. Kassanders Tat indes war nicht lediglich dreist, sondern zweckdienlich.

Allmählich begann sich die Ruhe der Adligen in Unruhe zu verwandeln, hervorgerufen durch den plötzlichen Griff des Barbaren an ihre Brust. Elorie erstarrte deutlich, glaubte für den Bruchteil einer Sekunde, dass er sie vorführen wollte, doch in der nächsten Sekunde benötigte es nur den heißen Atem an ihrem Hals um ihren Irrglauben fortzuschicken. Vor aller Augen bemühte die junge Frau sich nichts anmerken zu lassen, den Blickkontakt mit Balder nicht zu verlieren.

„Vertrauen“, raunte der Eisprinz, von den meisten ungehört, ans Ohr seiner Anvertrauten, ehe er sich letztlich von ihr löste und von Fjölnirs Rücken glitt. Abermals sollte Unerwartetes geschehen, denn wenngleich Balder inmitten blutrünstiger Barbaren mit vielem rechnete, dann aber dennoch keinesfalls mit Unbedarftheit. Und unbedarft mutete es an, wie sein ebenbürtiges Gegenüber selbstbewussten Schrittes auf ihn zuhielt, nur um dann, den Lordsiegelbewahrer fast erreicht, dem Mann zu seiner Rechten die Axt zu entreißen. Zwei weitere behände Schritte seitens des Barbaren brachten diesen in unmittelbare Nähe des Gegners. Ein Schrei, seiner Kehle entspringend und dem Kriegsgebrüll eines fleischgewordenen Berserkers ähnelnd, zerfetzte die zum Bersten gespannte Stille.

Balder hätte es kommen sehen müssen. Und wenn nicht er, dann mindestens seine Herdkarls, doch bevor einer dieser Soldaten des grünen Landes verstanden hatte, was Kassander zu tun gedachte, rollte der Kopf des Trossanführers bereits über den Boden des Heerlagers. Blut quoll aus dem hauptlosen Halsstumpf, spritzte dem Schlächter unvermittelt ins Gesicht, wobei fünf schockierte Soldaten Zeuge vom Fall ihres Eigners wurden. Dumpf schlug der Körper des Enthaupteten neben dessen Schädel auf kalter Erde auf.

Im Gegensatz zu seiner Frau mussten die Männer des Prinzen gewusst haben was der Barbar vorhatte. Das Mädchen sah es erst, als der Kopf des Lordsiegelbewahrers zu Boden fiel. Kein Schrei kam über ihre Lippen, sie blieb stumm. Man mochte glauben, dass sie nun in Ohnmacht fiel beim Anblick von Blut. Männer glaubten doch immer daran, dass eine Frau umfiel, sah sie erst genügend Blut, und dabei vergaßen sie, dass das Wunder der Geburt manchmal rötlicher schimmerte als ein toter Körper. Gewiss war der Anblick ein Schock für die junge Adelige, seit dem Morgen wurden ihrem Leib und ihrer Seele immer wieder neue Erfahrungen zugemutet, dass man sich wundern mochte, warum sie noch stand. Was sich in den grünen Augen widerspiegelte war jedoch nicht zu erkennen und konnte von Ekel über Bewunderung alles bedeuten. Die Männer Balders mussten indes tatenlos mitansehen, wie ihr Anführer schneller fiel als ein Sack Mehl. Sie alle griffen nach ihren Schwertern, doch niemand zog in Anbetracht der Nordmänner um sie herum.

„Bidh am boireannach seo gu bhith na banrigh“ Inbrünstig deutete er mit der blutigen Axtklinge auf die Herrin von Voranien. Entflammt seine Stimme, die erhaben, laut und schreckensverkündend über die herrenlose Soldatenschar hinwegfegte. „Cuiridh i ri beairteas an t-saoghail le mic. Seirbheisich Odin, is iadsan na gaisgich as làidire a bhios an saoghal agad a-riamh. Is e Elorie mo bhean agus cha bu chòir do dhuine sam bith teagamh a bhith ann! Chan e le faclan no le gnìomhan.“

Worte, die unmissverständlicher nicht hätten dargebracht werden können. Worte, die nicht nur an die irritierten Soldaten des grünen Landes sondern gleichfalls an seine Männer gerichtet waren. An jeden, der es wagte an der Richtigkeit dieses Bundes zu zweifeln! Worte, die seitens seiner Untergebenen mit bedeutungsschwangerem Beifall untermauert wurde, während die fünf Herdkarls Balders unbeholfen in deren Mitte standen, bis sich Boron dazu herabließ den inbrünstigen Aussagen seines Herrn eine Übersetzung beizufügen:

„Lady Elorie von Voranien, zukünftige Königin des unvergänglichen Reichs, wurde legitim und vertraglich in unsere Reihen aufgekommen.“, sprach der Narbengesichtige, noch immer hoch zu Pferd und mit dem Blick aus klugen Seelenspiegeln auf die Fremden gerichtet.

„Ich kenne eure Gesetze! Und ich weiß um das Recht ihres Onkels über seine Nichte zu bestimmen, wo es ihr Vater nicht mehr zu tun vermag.“ Kurze Pause, um dem gesprochenen Wort Nachdruck zu verleihen. „Geht zu eurem König und sagt ihm, dass wir bereit sind zu verhandeln. Mit ihm und nur mit ihm! Von König zu Prinz – von Angesicht zu Angesicht – wie man es im Land unserer Ahnen zu tun pflegt. Mit weniger gibt sich Kassander Odinson nicht zufrieden. Und“, was für Elorie wohl am Wichtigsten erschien, „sollte euer König den Herren von Voranien ein Leid zufügen, so sei der Krieg mit dem ewigen Eis Gewissheit.“

Sodann entschieden sich die feigen Hunde Balders lieber zur Flucht, um zu berichten was hier vorgefallen war. Elorie blieb auf Fjölnir sitzen, der Kopf so voll, dass ihr schwindlig zu werden drohte. Was der Schlächter dort getan hatte war grauenvoll gewesen, grausam und ein Zeugnis dessen, was er mit Männern der Kirche tat. Aber seine Worte passten nicht dazu, denn so wie Borons Zunge sie übersetzte, hatte Kassander sein junges Weib jetzt schon mit Leib und Seele anerkannt. Er verbürgte sich regelrecht für sie. Wenn eine Sache das Mädchen bis ins Mark traf, dann die Worte des Nordmanns. Der Rausch fand jedoch ein schnelles Ende, als Boron ihre Familie erwähnte. Was sollte den König davon abhalten durch diese schnelle Rache an ihr und dem Nordmann zu nehmen? Die Armee des Königs war der Seinen haushoch überlegen, so nahm der Rotfuchs an. Elorie war nicht sicher was sie tun sollte. Gar nichts wäre wohl der sicherste Weg. Doch wenn sie einen sicheren Weg gehen wollte, warum hatte sie sich dann auf den Handel mit einem nordischen Heiden eingelassen?

So behutsam wie möglich stieg das Mädchen also vom Pferd, spürte dabei gewiss noch immer die innige Berührung des Nordmanns, doch versuchte sich diese vor all seinen Männern nicht anmerken zu lassen. Man würde gewiss jeden Schritt von ihr beobachten, also ging Elorie langsam aber stetig auf Kassander zu. Er hielt noch immer die Axt in der Hand, Blut tropfte von dieser, ebenso wie von seinem Gesicht. Er sah aus wie ein Wahnsinniger und trotzdem wagte sie sich zu ihm. Noch immer zeigten die Augen keine eindeutige Emotion, vielleicht ein wenig Vorsicht. Sie würde ihn aber nicht vor allen Männern auf Lord Balder ansprechen. Nur allein, unter vier Augen. Sechs.

"Ich habe Durst." Kein einziger Hinweis zu seiner Tat, kein Schreien, kein Verfluchen, auch wenn Kassander das leichte Zittern in ihrer Stimme bestimmt mitbekam. So wie jetzt, mit all dem Blut in seinem Gesicht, sah der Heide wie jener Mann aus der Priester und Kirchen schändete. Nicht wie der Mann, der sie zärtlich berühren konnte. Aber die junge Frau zeigte keine Furcht deswegen.

"Und Ihr sicher auch", fügte sie hinzu, hoffend das Richtige gesagt zu haben. Was mochten seine Männer von der zierlichen Rothaarigen halten? Gab es auch in seinen Reihen Verräter, die sich jetzt schon Gedanken darüber machten der Christin die Kehle durchzuschneiden? Elorie sah zu keinem von ihnen, sondern behielt den Blick auf Kassander gerichtet. "Trinken."

 

Was manche vielleicht als Fehler betrachteten, stellte die wohl einfachste Methodik dar die Aufmerksamkeit des hiesigen Königs in des Eisprinzen Richtung zu lenken. Ein argloses Unterfangen, mindestens dann, ging man von dem aus was man sah. Kassanders Armee mochte weit mehr sein, als jene zweihundertsiebzig ungewaschenen Männer und Frauen, die sich ihrem Herrn mit Herz und Treue unterordneten. Sie alle erachteten die Tat ihres Anführers als legitim. Nordmannen verhandelten nicht mit Dritten, wenn sie denn überhaupt verhandelten. Gnadenlos und unnachgiebig, dies bis in den Tod! Man führte Schlachten keinesfalls um des Kämpfens Willen, sondern aus Überzeugung; aus der grundlegenden Gewissheit heraus die Waffe im Namen der Götter zu führen. Und wer, wenn nicht der Schlächter von Galgenfels, handelte im Namen der Götter? Er, dessen Zukunft für die Seher im Ungewissen gelegen hat. Er, dessen Schicksal selbst für jene, die mit der Mutterspinne allen Seins im Einklang standen, nicht vorhersehbar gewesen ist.

Seine aschgrauen Augen wirkten entrückt, da wo sein Blick mit dem ihren kollidierte. Boron selbst stieg vom Pferd, keinesfalls argwöhnisch aber unsicher über das Handeln Elories. Ihre standhafte Art und Weise, mit dem Eisprinz umzugehen, zeugte allerdings von unverkennbarem Mut. Mut, der wiederum nicht spurlos an den Kriegern des Heidenheers vorbeiziehen wollte, deren Fokus tatsächlich aufmerksam auf der Herrin Voraniens lag. Sie, deren Schicksal mit dem Unterzeichnen etwaiger Verträge zu einer der ihren geworden ist. Und sie, die sich unter den Menschen des Nordens würde beweisen müssen, um letztlich als jene anerkannt zu werden, die sie in Zukunft sein würde. Elorie zeterte nicht, vermutlich hatte man genau das erwartet. Nichts an ihrer Haltung gab preis, was in ihrem hübschen Köpfchen vorging, doch wahrte sie das Gesicht ihres Mannes, wie eine jede Frau aus dem ewigen Eis es für ihren Anvertrauten tun würde.

Ihr Brechen der Stille sorgte dafür, dass Kassander das Kinn reckte. Trinken, mehr verstand er davon nicht, wusste aber, dass es dem zierlichen Mädchen wohl weniger darum ging ihren Durst zu stillen. Ein dunkelstirniges Schnauben perlte von seinem blutbespränkelten Lippenpaar und er hob die Hand, um sie übers markante Antlitz wandern zu lassen. Das Blut des Feindes mochte verschmieren, nicht aber verschwinden. Ein vielsagendes Nicken gen Zelt, das größte und im Zentrum stehende, wies der filigranen Adligen den Weg. Der Schlächter folgte, gleich wie Boron, denn mindestens Letzterem war gewahr, dass kommende Gespräche ohne seine Übersetzungsgabe wohl zum scheitern drohten.

 

Vielleicht mochte Elories Zugehen auf den Barbaren für mutig befunden worden sein, sie selbst empfand es als Notwendigkeit um nicht inmitten der Nordmänner und -frauen unterzugehen. Ihr war deutlich bewusst, dass mit jedem Schritt, ja vermutlich sogar jedem Wimpernschlag beobachtende Blicke auf ihr ruhten. Seit der Vertragsunterzeichnung hatte man ihr dieses Leben gegeben und sie sich wiederum ebenfalls auferlegt. Kassanders entrückten Blick nahm die junge Adelige wahr, mehr noch, er glitt tief unter ihre Haut. Wie ein wildes Tier … der erste Gedanke, der ihr durch den Verstand jagte, dem Teil der davon noch übrig war...Vielleicht lag es an diesem Gedanken, dass die junge Frau keinen Fehltritt beging. Ein wildes Tier musste man ruhig behandeln, behutsam und den Augenkontakt wahren, um es wieder zur Raison zu bringen. Ob der Anblick für die Umstehenden ungewohnt anmutete? Kassander und eine junge Schönheit die zu ihm sprach, ohne schreiend und bettelnd vor ihm auf die Knie zu fallen? Elorie nahm den Hinweis, dass der Mann verstanden hatte, allerdings mehr als dankbar auf und ging voraus. Mit seinen Leuten konnte sie sich auch die nächsten Tage noch beschäftigen, nun aber ging es darum ihren Standpunkt zu vertreten. Und das so, dass der Barbar sie verstand. Ein Glück. dass Boron dieses Vorhaben auch ohne Nachfragen durchschaute und nicht aufgefordert werden musste.

Das Spiel hatte begonnen, wenngleich ihre Ladyschaft arglos die ihr zuteilgewordenen Figuren in die Hand genommen hat. Fortan oblag es Kassander, über richtig und falsch zu entscheiden, und von seiner Warte aus betrachtet hatte er das einzig wahre Richtige getan. Die Armee des unvergänglichen Reiches stand hinter ihm. Nicht lediglich zweihundertsiebzig blutrünstige Krieger, sondern ein jeder Soldat, der vom Eiskönig ins grüne Land geschickt worden ist. Nicht mehr lange, vielleicht bis zum Anbruch des neuen Tages, und man würde von der hiesigen Königsbrut hören … nicht mehr und nicht weniger erwartete der Heerführer von einem Mann, der es nicht wagte die eigenen Ränkespiele offen auszutragen. Balders Ableben war bereits beschlossene Sache gewesen, bevor dieser den Auftrag seines Höchsten in Kauf genommen hat. Und ein jeder Nordmann dieses Heers würde Klingen aus Stahl fressen, hätte der hiesige König vom Verlauf dieses Abends nicht bereits im Vorfeld gewusst.

Das Zelt erst einmal erreicht, tat sich für Elorie eine Nebensächlichkeit auf. Solange ihr Mann mordend durchs grüne Land zog, würde ihr Leben spartan ausfallen. Eine fellbelegte Lagerstatt zur Linken des Eingangs, eine kleine Truhe zur Rechten und ein mit Karten ausgelegter Holztisch, der die Mitte ihres neuen Heims krönte. Mehr gab es nicht und mehr brauchte es nicht! Kassander hatte die blutverschmierte Axt vor Eintritt ins Zelt achtlos auf das feuchtnasse Gras gleiten lassen. Abermals war es still um ihn, denn nach begangener Tat galt es die gegebenen, metaphorischen Schachfiguren neu zu positionieren.

 

Inmitten des Zeltes, geschützt vor anderen Blicken, blieb Elorie stehen. Sie sah sich nur kurz um, wohl auch weil es nicht viel zu sehen gab, das Hauptaugenmerk lag natürlich wieder auf Kassander. Erst jetzt sah man ihr wieder an, dass sie ein abgeschlachteter Mann keineswegs kalt gelassen hatte. Ein kurzes Straucheln, die weichen Knie, dann hatte die junge Frau sich aber wieder gefangen und sah erneut zum blutverschmierten Gesicht ihres Gemahls. Sie würde sehr auf ihre Wortwahl achten müssen. Er würde nicht gerne reden wollen. Elorie erkannte das und wechselte ihre Aufmerksamkeit von Kassander zu Boron.

"Ich wünschte er hätte das nicht getan", formulierte sie nur kurz und wirkte beinahe wehmütig. Sich in dieser Welt zurechtzufinden würde schwierig werden. Sehr sogar. Die junge Adelige war ein Mensch, der Gewalt zwar nicht fremd war, aber die sie nicht gerne duldete.

"Ihr habt mich verteidigt und dafür möchte ich Euch danken", richteten sich die Worte urplötzlich wieder an den Eisprinzen, denn es schien ihr der richtige Weg das Gespräch zu beginnen, genauer gesagt zu erzählen was ihr auf der Seele lag. "Es werden mehr kommen." Erklärte sie, glaubend dass beide verstanden, mehr würde nicht aus dem geschwungenen Mund fallen. Elorie hielt sich deutlich zurück, versuchte Haltung zu bewahren und stand dabei fast etwas unbeholfen in der Zeltmitte. Wie der hübsche Preis, der sie nun mal war. Um die aufkommende Stille abzuschwächen hatte sie allerdings eine andere Idee.

"Wir sollten Euer Gesicht waschen. Waschen." Sie formte ihre Hände zu zwei Kelchen und tat, als streiche sie damit über ihr Gesicht, wohl wissend, dass diese Art der Kommunikation mit dem Nordmann bislang funktionierte. Es hatte sein Gutes, dass er zumindest ein paar Wörter von Boron aufgeschnappt hatte. "Boron ihr kennt dieses Land, ihr wisst, dass mehr kommen werden. Nicht wahr?"

Ihre Anspannung war für Kassander auch ohne ihre Sprache zu beherrschen mehr als spürbar. Ein deutlicher Beweis dafür, dass seinem Weib eine solche Vorgehensweise wohl anhand dargebrachter Geschichten bestens bekannt war, allerdings hatte sie derlei Grausamkeiten niemals mit eigenen Augen gesehen. In jedem anderen Fall hätte Boron übersetzt, allerdings wohnte ihm in dieser Situation das Vertrauen seines Bruders inne, der wiederum die Gebärden der rothaarigen Schönheit verstand und zur Waschschale schritt, die man für gegebene Anlässe auf der Truhe bereitgestellt hatte.

„Auf jeden Soldaten, der Dein König ins Feld schickt, haben wir zwei, die mit Inbrunst die Axt gegen ihn erheben.“ Kein Übermut, sondern die Wahrheit. Eine Gewissheit sprach aus dem Narbenversehrten, die man keinesfalls als Unbedarftheit abtun konnte. Doch woher nahm er sich diese Gewissheit?

"Aber sie sind nicht hier. Oder? Eure Krieger." Erkundigte sich Elorie mit einer Stimmlage, die Boron verdeutlichte, dass er sie besser weiter beruhigen sollte. Sie wusste nicht wie die Nordmänner aufgesplittert waren, ob über das Meer oder hier im eigenen Land. Hätte man nicht davon gehört, wenn es neben diesem Lager noch andere gab? Die junge Frau kannte die nordischen Taktiken nicht, deswegen war ihr Einwand durchaus berechtigt. Die Truppen des Königs konnten jederzeit kommen, sie umlagern, auch wenn es Elorie weiterhin widerstrebte, dass ausgerechnet sie und Voranien für eine solche Situation verantwortlich sein sollten. Bereits in den nächsten Sätzen sollte es Elorie in Erfahrung bringen können: „Es gibt einen Grund, weshalb wir das Heer des unvergänglichen Reich aufgesplittert haben. Die Seher haben uns dazu geraten, ohne die Wahrheit dahinter offenbart zu haben. Aber wir vertrauen unseren Sehern, weil sie den Göttern am nächsten sind.“

Boron gab sich durch und durch als jener Nordmann, zu dem er unabdingbar geformt worden war, weit fern jenes verweichlichten Christengottes, unter dessen Nordstern er ins Leben geholt worden ist. Das Leben im Eis hatte ihn verändert, ob zum Guten oder zum Schlechten, dies lag im Auge des Betrachters. Die Wahrheit war einfach. Roland hatte ihn vor dem Hungertod bewahrt. Der König des Nordens hatte ihm ein Leben geschenkt, wo ihm der Tod ein sicheres Omen hat zukommen lassen. Wie nur, sollte der Diplomat die Stimme des Kreuzes denn nicht hinter sich gelassen haben?

„Du musst Deinem Mann vertrauen, Mädchen.“ Eine Wiederholung, die er ihr – so der Verdacht - noch des Öfteren würde zukommen lassen. Oft, aber kein einziges Mal ohne den unerschütterlichen Glauben an seinen Bruder im Geiste. Boron tat einen Schritt auf die Zierliche zu, während Kassander die Hände in frisches Wasser tauchte, um sich letztlich halbherzig das Blut des Feindes vom Gesicht zu waschen.

„Du magst Dich fragen, aus welchen Gründen er so sehr zu Dir steht, ohne Dich zu kennen. Eine legitime Frage, doch die Antwort wird für Dich befremdlich sein. Denn die Antwort ist, dass er seinen Göttern folgt!“ Wie sollte das für jemanden, der den falschen Glauben sein Eigen nannte, verständlich sein? „Das ist es, was ihn zu jenem Krieger macht, den er Zeit seines Kriegsdaseins verkörpert, Elorie.“ Und war es nicht auch das, was ihre Ladyschaft umtrieb? Der unerschütterliche Glaube an höhere Mächte?

„Es gab für Kassander nur zwei Möglichkeiten mit dieser Angelegenheit zu verfahren“, sprach der Narbenversehrte unbeirrt weiter, „Entweder er übergibt Dich für die erste Nacht dem König oder aber er stellt Dein Wohlergehen über sein eigenes. Hast Du wirklich damit gerechnet, er würde Dich ziehen lassen, um hernach ein zweites Eheweib zu Grabe zu tragen?“ Eine rhetorische Frage, die sich Boron auch nicht beantworten ließ. „Deine Eltern ob Balders Ableben zu töten provoziert ein Krieg gegen den Norden, der sich hierorts keinesfalls einschätzen lässt. Dein König, oder mindestens Dein einstiger, wird dieses unkalkulierbare Risiko nicht eingehen. Wenn Deine Eltern noch Leben, dann sind sie nun vermutlich sicherer als jemals zuvor. Und, was noch wichtiger ist, Deinen Worten wird fortan Gehör geschenkt. Du bist nun nicht einfach mehr der verarmte Anhang von Landesbesitzern, Du bist die zukünftige Königin der Nordlande!“ Verstand sie nun?

Jedenfalls lenkte er das Mädchen erfolgreich auf andere Bahnen, als er ihr verdeutlichte was genau Kassander dort draußen getan hatte und aus welchem Grund. Es beantwortete dennoch nicht ihre geheimen Fragen, denn die Götterwelt war der Ihren so fern wie das Leben der Nordmänner. Boron las es in den grünen Augen, die ihn unablässig betrachteten. Wie ein Rehkitz das beobachtete, was sein Gegenüber tat um es verstehen zu können. Elorie würde bald seine Königin werden, die Königin all jener Männer da draußen und auch wenn sie so zierlich und zerbrechlich wirkten, war doch etwas in ihren Augen das Hoffnung weckte. Eine gewaltige Aufgabe stand vor der jungen Frau, aber sie stand nach den Erlebnissen am Wasserfall, nach der Gewalt da draußen, immer noch aufrecht. Man durfte also wirklich vermuten, dass die Seher sich nicht irrten. Es blieb abzuwarten.

 

„Dè a tha cho luachmhor mun dùthaich agad?“, schaltete sich Kassander letztlich in den Gesprächsverlauf ein. Noch immer war sein Antlitz voller Blut, hatte er das Waschen nur halbherzig in Angriff genommen. „Dein Mann will wissen, was Voranien so wertvoll macht. Es muss einen Grund für die Ränkespiele geben… für den Kraftaufwand eines Königs! Warum hat er sich Voranien nicht einfach genommen? Allem voran, was könnte Deine Heimat so wichtig für ihn machen?“

Die Antwort würde schwierig werden, denn sie selbst stellte sich jene Frage seit geraumer Zeit. Man hatte sie ihr ganzes Leben lang im Dunkeln gelassen, woher also sollte Elorie nun sagen können worum es dem König ging? Die Wahrheit lag tiefer verborgen als das Mädchen oder die Nordmänner nur ahnen konnten.

"Ich weiß es nicht." Gestand Elorie daher und blickte dabei nur zum Schlächter. "Es gibt weder große Gesteinsvorkommen, noch besonders viele Felder. Es gibt Wälder, einen Fluss, Fisch und Wild, doch keine Gebiete, die auf irgendeine Art und Weise interessant für seine Majestät wären." Eine unbefriedigende Aussage, aber sie machte nicht den Eindruck etwas zu verschweigen. Man würde Gustav möglicherweise noch einmal zu Rate ziehen müssen. Und dieses Mal mit weniger freundlichen Worten.

 

Der Rotfuchs hoffte, dass die Befragung fürs Erste ein Ende fand. Der Tag war aufregend genug verlaufen und ihr Körper sehnte sich nach etwas Ruhe und Schlaf. Insgeheim fragte sie sich jedoch, ob sie neben Kassander würde schlafen können, einen immer noch fremden Körper nahe dem Eigenen zu spüren war etwas Neues für das Mädchen. Und so wie er aussah … Elorie erkannte, dass sie wohl besser selbst dafür sorgte. Lady Edith hatte mit ihr nicht nur über den körperlichen Aspekt einer Ehe gesprochen, auch über andere hilfreiche Dinge.

"Ihr seid noch immer schmutzig." Belehrte das Mädchen Kassander und würde mit ruhigen Schritten zur Waschschale gehen. Für Boron bestimmt das Zeichen sich zurückzuziehen, besaß er denn das nötige Feingefühl. Es lag kein Stück Tuch in der Schale, auch darin unterschieden sich die Nordmänner von den Grünländern. Elorie würde also die Hände nehmen müssen. Einen Blick in die Schale stellte sie jedoch vor ein anderes Problem.

"Wen muss ich fragen, um neues Wasser zu bekommen?" Boron musste ihr erst noch erklären wie diese Dinge im Lager abliefen, man hatte ihr keine Dienerschaft angegeben, von daher war Elorie verunsichert. Musste sie selbst dafür sorgen? Und wenn ja, wo? Selbst die einfachsten Dinge schienen auf einmal nicht mehr so einfach wie zuvor, doch sie war zu stolz um sich davon entmutigen zu lassen. Und sobald wieder frisches Wasser in der Schale wartete, würde das Mädchen Kassander mit einer simplen Geste bedeuten zu ihr zu kommen. Sie nahm ihre Hände zur Hilfe, um ihm das restliche Blut aus dem Gesicht zu waschen. Eine kleine Geste des Dankes.

Kassander nahm, als nun endlich Ruhe im Zelt einkehrte, die Fürsorge seines neuen Weibes an. Schweigend rückte er sich einen Stuhl zurecht und hielt still, während seine Gedanken bereits sprunghaft den Ernst seiner Lage zu erfassen suchten. Mit einem Krieg hatte man nicht gerechnet, diesen allerdings gleichfalls nicht ausgeschlossen. Niemand hier war arglos genug, um zu glauben ungestraft über etwaige Kirchen herfallen zu können. Klerus und Adel gingen hierorts, oftmals zu Ungunsten der niederen Bevölkerung, Hand in Hand, und pisste man den Fürsprechern des falschen Jehovas ans Bein, so waren deren Vasallen nicht weit entfernt. Trotzdem würde der König, war er denn ansatzweise klug, tunlichst darüber sinnieren, wie mit der gegebenen Sachlage umzugehen war. Arglos würde er seine Männer nicht ins Feld schicken, was den Nordmannen wiederum ein paar Tage einräumte, um die eigenen Reihen neu aufzustellen.

"Danke. Dass Ihr mich nicht fortgegeben habt." Kam es leise von den Lippen der voranischen Adligen, wissend dass er nicht verstehen würde, aber es sich selbst sagen zu hören, stärkte die Hoffnung in Kassander ein gutes Herz vorzufinden. "Danke für....toten Mann. Tot."

Abermals war es Lady Elorie, die es vermochte den frisch Anvertrauten aus den erhabenen Hallen seines Gedankenpalastes zu locken. Und abermals wünschte sich dieser, sich beim Versuch seines Ziehbruders, ihm die Sprache des Grünlandes einzuverleiben, nicht so vehement zur Wehr gesetzt zu haben. Allerdings war Kassander weit davon entfernt ein dummer Mann zu sein. Lose Worte drangen verständlich an sein Ohr und erlaubten es ihm die richtigen Schlüsse zu ziehen.

„Is e Elorie mo bhean“, entkam es seiner Kehle, was keinesfalls resigniert aber müde klang. „Is e Kassander an duine agad.“ Wie so oft bediente sich der Schlächter an den einfachsten Sätzen, um mehr damit zu meinen, als es die Worte an sich preisgeben konnten. Man hatte sich füreinander entschieden, wohl aus Zweckdienlichkeit und nicht aus Liebe, doch gab es deshalb dennoch keine andere Option als jene Einheit zu bilden, die sich ihre Ladyschaft womöglich insgeheim sogar erhofft hat. Sie gehörte ihm! Und was ihm gehörte, würde der hochgewachsene Kriegsherr keinesfalls leichthin aus den Händen geben.

„Schlafen“, fügte der Wildling an, nur um sich dann zu erheben und zur fellbelegten Lagerstatt herüberzuschreiten. Auch hier gab es für Elorie kaum eine Wahlmöglichkeit, als mit ihm das Bett zu teilen, obschon Kassander davon absah ihr neuerlich den Stoff vom wohlgeformten Leib zu schälen. Für heute war der Pflichten genüge getan, von beiden Seiten aus. Dennoch gedachte er die filigrane Schönheit in seiner Nähe zu halten, denn würde sie seiner Aufforderung folgeleisten, so schloss er sie auf gar besitzergreifende Weise in die Arme, um die Distanz zwischen ihren Leibern aufs Massivste zu verringern.

Die Nacht war kurz aber erholsam, mindestens für den Schlächter. Tief und fest schlief er an der Seite seines Weibes und mochte selbst dann nicht erwachen, als Boron mit den ersten fahlen Sonnenstrahlen an die Schlafstatt seines Herrn trat.

 

6.

Bis das Mädchen am gestrigen Abend eingeschlafen war, vergingen Stunden, dann forderten Müdigkeit und die Ereignisse des Tages ihren Tribut. Sie träumte in dieser Nacht viel, immer wieder etwas Neues, sodass es Boron am Morgen nicht schwerfiel die junge Frau zu wecken, war sie doch sowieso ständig wieder wach geworden und hatte sich vergewissert das alles nicht geträumt zu haben.

„Mädchen“, drang es dunkel und leise ans Ohr der Adligen, während der sprachkundige Haudegen behutsam mit der Schwerthand gegen ihre Schulter tippte. „Balders Frau ist hier und wünscht mir Dir zu sprechen.“ Was das Weib umtrieb und weshalb sie ausgerechnet das Gespräch mit Elorie suchte, würde diese wohl selbst in Erfahrung bringen müssen.

Verwirrung lag zunächst in den grünen Augen der voranischen Schönheit, doch der erwähnte Name ließ sie groß werden. Elorie wusste nicht, was man ausgerechnet mit ihr besprechen wollte, doch eine Witwe war niemals aus Dankbarkeit hier. Ein kleiner Seitenblick fiel auf den Schlächter, aber Kassander schien immer noch friedlich zu schlafen. Sie schob behutsam seine Arme von ihrem Leib und befreite sich aus den warmen Fellen. Von Boron ging in ihren Augen keinerlei Gefahr aus, sodass sich der Mann noch im Zelt befand während die zukünftige Königin aufstand, von den leichten Stoffen bedeckt, das rote Haar ein wenig ungeordnet. Sie war keine Frau wie Edith, keine rassige Versuchung wie deren scharfe Zunge, aber besaß durchaus ihren Reiz. Ehe sie sich anzog wartete Elorie aber doch ab, bis der Diplomat das Zelt verließ. Wahllos griff sie nach einem anderen Kleid, ein dunkles Samtblau, anders als die hellen Töne und es machte das Mädchen wenigstens ein paar Jahre älter. Schnelle Finger bemühten sich das rote Haar so gut wie möglich zu flechten, ehe sie entschied, dass es ausreichte, um der Frau entgegenzutreten. Elorie war sich sicher, dass jene Rache für ihren toten Mann wollte. Sie verspürte aufkommende Unruhe, es kam sicher auf jedes gesprochene Wort an. Ihr Magen verriet leichte Übelkeit, aber es gab keinen Weg zurück. Sie musste sich der Frau stellen. Und das tat Elorie auch, folgte dem Diplomaten, um zu sehen was genau Lady Balder in das Lager der Nordmänner trieb, wenn nicht der Wunsch nach Vergeltung.

Entgegen aller Erwartungen waren die müde wirkenden Seelenspiegel, die aus dem filigranen Gesicht einer älteren Frau in Elories Richtung blickten, alles andere als zornerfüllt. Ein jeder dieser Gefilde kannte Balder und wusste um seine garstige Wesensbeschaffenheit. So mancher nannte ihn einen Sadisten! Einen ehrlosen Bastard, der sich zuweilen viel zu gern der Hurerei hingegeben hatte. An ihrer Ladyschaft konnte es nicht gelegen haben. Die hochgewachsene, schlanke Frau, an deren linken Hand ein blondbeschopftes Kind aufmerksamen Blickes über die vielen unbekannten Gesichter vermeintlich gottloser Wilder huschte, war eine Schönheit, der das Alter nichts anhaben konnte. Zwischen ihr und Elorie lagen einige Lenze, dennoch hatte man sich vor gar nicht allzu vielen Jahren Freunde genannt.

Der Blick des adligen Rotschopfs lag zunächst nicht auf der Frau, sondern fiel auf den jungen Knaben an ihrer Seite. Ein Fehler. Jeder konnte sehen, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie hatte für den Moment in ihren Schritten innegehalten, starrte in die dunklen Augen des Kindes und wusste, dass das vaterlose Aufwachsen des Jungen ihre Schuld war.

„Lady Elorie“, erhob Idelia die Stimme, just als das Mädchen, gefolgt von Boron und den Blicken der Kriegerschar, in greifbarer Nähe war. Nein, Vergeltung hatte das Weib Balders nicht ins Lager der Nordmänner getrieben. Konnte man in ihrem hübschen Gesicht, sah man nur genau hin, nicht sogar so etwas wie Seelenfrieden erkennen? War es ihr zu verdenken, wo man um den Fakt, wie sehr sie unter dem Zorn ihres Mannes zu leiden hatte, in Kreisen des Adels doch bestens Bescheid wusste? Doch wenn nicht Zorn oder Vergeltung, was trieb die Grünländerin um? Und warum traute sie sich mit ihrem Sohn, der nicht älter als sieben Jahre zählen konnte, hierher? Mindestens letzteres konnte sich der Diplomat erklären. Ebenso Kassander, der sich – just hatte sein Weib das Zelt verlassen – aus der Schlafstatt geschält und ins Freie gewagt hat. Idelia glaubte fest daran, dass man ihr im Beisein eines Kindes nichts anhaben würde. Ob sie damit richtig lag oder ob ihr Gesuch, bei Elorie bittzustellen, lediglich Schutz genug darstellte, würde dem mutigen Weib am Ende wohl niemand so richtig beantworten können.

„Ich bin hier, um Euch um die sterblichen Überreste meines Gatten zu bitten.“ Legitim, mindestens für den narbengesichtigen Hünen, der in lediglich zwei Schritten Entfernung stets an der Seite der zukünftigen Eiskönigin harrte. Allem voran aber keine Sekunde zu spät, hatte man den enthaupteten Balder bereits auf einem Scheiterhaufen niedergebettet, auf dem der Leichnam in Kürze hätte brennen sollen.

„Lasst mich nicht betteln, Lady Elorie, wir beide wissen, dass es – ganz gleich welch Teufel in ihm wohnte – sein gutes Recht ist die letzte Ölung zu erhalten. Balder war ein schlechter Mann, aber er war stets darum bemüht ein guter Christ! Er soll unter seinesgleichen Frieden finden und in der Familiengruft zur letzten Ruhe gebettet werden.“ Flehen spiegelte sich in den blassgrünen Augen des Weibes wieder. Ein Flehen, welches ihr aus Stolz wohl niemals über die Lippen gekommen wäre. „Wir sind uns stets in Freundschaft begegnet und wenn es jemanden gibt, der Deinen Bund mit Heiden verstehen kann, dann ich. Bitte lass uns auch in Zukunft nicht mit Groll begegnen. Gib mir meinen Mann. Ladet ihn auf den Pferdekarren und lasst mich meinen christlichen Pflichten nachkommen.“

Die Worte der Witwe drangen kaum noch an Elories Ohr. Ihre Aufmerksamkeit hatte sich an dem kleinen Menschen dort festgewachsen und wollte nicht weg. So ein süßes, kleines Kind dem so viel Grausamkeit widerfahren war. Es traf die junge Frau mitten ins Herz und so sehr sie auch dagegen ankämpfte, es war unmöglich die Emotionen zurückzuhalten. Elorie wusste, dass man sie beobachtete, dass sie alle dort warteten und doch spürte ihre Haut mit einem Mal das Salz zweier feuchter Tränen, die sich ihren Weg über die Wangen der Adeligen bahnten. Auch wenn Balder kein guter Mensch gewesen war, er war ein Ehemann und Vater. Gewesen.

Kassander kam indes nicht näher, sah er die Szenerie – auch ohne viel davon zu verstehen – als die ersten Schritte zur Selbstständigkeit seiner Gattin an. Ohnehin würde ihrem Willen fortan mehr Gewicht verliehen. Irgendwann würde das filigrane Mädchen lernen müssen damit umzugehen. Auch Boron verhielt sich still, hegte dieser wohl dieselben Gedanken wie sein Bruder im Geiste. Oftmals trauten sich die Witwen nicht nahe genug an das Heerlager jener heran, die sie um ihre Männer betrogen haben, wenngleich es ihr gutes Recht war die verblichenen Gatten in ihre Obhut zu nehmen. Also verbrannte man sie, räumte ihnen dasselbe Ahnenrecht wie einem jeden Krieger der eigenen Reihen ein, ohne zu wissen, dass das Verbrennen von sterblichen Überresten in vielen anderen Glaubensrichtungen als Frevel galt.

 

Eine plötzliche Stille befiel das Heerlager, nachdem Idelia fertig gesprochen hatte, gefolgt von einem Räuspern aus Borons Kehle, welches da den lieblichen Rotfuchs aus ihren Gedanken schreckte und deren Blick in das Gesicht der Witwe wandern ließ. So gut sie auch sonst ihre Emotionen verdecken konnte, hier war das Grün ein offenes Buch. Schmerz über das Schicksal des Knaben, gepaart mit dem Gefühl von Schuld lasteten schwer auf ihrer jungen Seele und fast hatte es den Anschein, als würde das Mädchen daran zerbrechen. Die Stille zog sich in die Länge, so lange bis Elorie mehrere Schritte auf die Beiden zumachte. Und es waren schwere Schritte. Schwerer als alle Anderen zuvor.

"Es tut mir leid", hauchte sie ehrlich und bedauernd. "Was Euch widerfahren ist tut mir leid." Auch wenn Idelia den Verlust ihres Mannes nicht mit Inbrunst betrauerte, so hatte sie ihre Sicherheiten verloren, genau wie ihr Sohn, der in seinem jungen Alter keine Chance mehr bekam mit seinem Vater den Schwertkampf zu üben oder Reiten zu lernen.

"Ich werde Euch niemals mit Groll begegnen. Ihr seid nicht schuld an dem was geschehen ist." Sie fühlte sich verpflichtet Idelia diese Worte hören zu lassen und wandte sich dann an den Jungen. Tatsächlich beugte Elorie sich sogar zu ihm und schaffte unter höchster Anstrengung zu Lächeln.

"Linus, nicht wahr? Hab keine Angst. Sowohl Dir als auch deiner Mutter wird nichts geschehen. Ihr habt mein Wort." Versprach sie dem Kind, auch weil sie nicht wusste was man einem Jungen sagte, der gerade seinen Vater verloren hatte. Ihre Hand zuckte, willens den blonden Schopf des Kindes zu streicheln, doch sie ließ es bleiben, richtete sich stattdessen wieder auf und den Blick zu Idelia.

"Ihr habt nichts mit alledem zu tun, Lady Idelia. Ich werde Eurem Wunsch nachkommen. Zwischen uns hat nie böses Blut geherrscht und das wird auch in Zukunft so bleiben." Elorie wartete noch einen Moment, dann umarmte sie die Frau vor sich ohne jegliche Vorwarnung. Ein weiteres Zeichen um ihr Beileid auszudrücken, um ihr zu verdeutlichen, dass sie ihr beistand.

"Sollte man Euch irgendetwas vorwerfen, sollte Euch jemand schaden wollen, dann kommt zu mir. Das ist das Mindeste was ich tun kann." Sie würde es versprechen, aus eigenem Willen und freien Stücken. Ein geflüstertes Versprechen in Idelias Ohr, ohne dass irgendjemand der Außenstehenden Kenntnis davon hatte. Kurz danach löste Elorie sich von der Frau, schenkte jener ein schwaches Lächeln und wandte sich dann an Kassander, für den der Diplomat hoffentlich übersetzte. Dass sie ihre Entscheidung einfach laut aussprechen musste, daran glaubte Elorie wohl noch nicht.

"Mo duine agad" Mein Ehemann, betitelte sie ihn, damit den Worten mehr Gewicht verliehen wurden. "Gebt ihr den Leichnam ihres Mannes mit. Er gehört ihr und ihrem Sohn und sie sollen ihn mit sich nehmen." Hoffentlich wies er diesen Wunsch nicht ab. Noch immer war die Spur der Tränen feucht auf ihren Wangen zu finden, die innere Zerrissenheit in ihren Augen abzulesen. Elorie war mitfühlend, ein Charakterzug von dem sie nicht wusste wie ihn die Nordmänner aufnahmen und sie wusste nicht was geschah, lehnte Kassander diesen Wunsch ab. Auch auf die Gefahr hin, dass man die Adelige für schwach hielt, sie würde an der Entscheidung festhalten, da konnte Boron soviel auf sie einreden, wie er wollte.

 

Aufmerksam beobachtete Kassander die Szenerie, nur um für sich zu befinden, dass Elorie einen Wesenszug in ihrem Herzen trug, den er bereits viel zu lange hinter sich gelassen hat. Güte! War es das, was die Götter für ihn vorhergesehen haben? Ein gütiges Weib, das seine erhabene Stärke komplettieren konnte? Wie der Tag und die Nacht sollten Herrscher sein, so hatte es ihm König Roland in jungen Jahren vermittelt. Auch Sora, Kassanders verblichene Gattin, hatte viel Wärme in sich getragen! Auch sie hatte sich von den Frauen des Eises in so mancherlei Hinsicht differenziert, denn ohne ihren Mann wäre sie an den scharfkantigen Klippen des Daseins vermutlich zerschellt. Genau das aber hatte er an ihr zu lieben gelernt, denn nur ihre Sanftmut hatte es ihm erlaubt da für sie stark zu sein, wo ihre Schwäche begonnen hat. Sora war mehr gewesen, als er sich für seine kriegerischen Lebtage jemals erhofft hatte. Und wenn es einen Moment gab, so gering dieser auch sein mochte, um die Wesenszüge seines verblichenen Weibes in Elorie widergespiegelt zu finden, dann dieser, als sein aufmerksames Augenmerk auf die tränenverschleierten Blicke der Adligen traf.

Eine Erkenntnis, die ihn innerlich zugrunde richtete, während man es ihm von außen hin nicht ansehen konnte. Nach wie vor blieb das Antlitz des Schlächters versteinert. Nach wie vor war er jener eherne Krieger, der über den Dingen stand und den Göttern damit noch näher war, als es die Seher jemals sein könnten.

„Bhruidhinn mo bhean!“ Meine Frau hat gesprochen, rief der Eisprinz aus, ohne jenes Mitleid, das beim Blick in Elories Antlitz allgegenwärtig war, in sich selbst zu verspüren. Fraglich ob er ihr dieses Recht selbst dann eingeräumt hätte, käme es nicht den natürlichsten Gesetzen der Menschlichkeit nah. Eine Frau hatte das Recht ihren Mann zu begraben. Nicht mehr und nicht weniger sollte Lady Idelia eingeräumt werden.

„Co-cheangal ris a 'bhoireannach gus am faigh i an rathad air ais gu sàbhailte“, fügte er an und bedachte seine Anvertraute mit einem letzten, tiefgreifenden Blick, um sich dann zurück ins Zelt zu begeben. Boron blieb an der Seite der zukünftigen Eiskönigin, neigte den Kopf allerdings in die entgegengesetzte Richtung, um die Befehle seiner Ziehbruders zu vertiefen.

Elorie konnte aus dem Gesicht ihres Mannes noch lange nicht so gut lesen, wie ich lieb wäre. Nicht wenn er vor seinen Männern stand. Boron musste ihr dringend helfen mehr der fremden Sprache zu verstehen. Was Kassander sagte konnte alles bedeuten, insbesondere sein Abgang verhieß Ungutes. Warum sollte er gehen, wenn nicht nach einem Ablehnen ihrer Bitte? Warum sollte er sonst gehen? Die junge Frau richtete ihr Augenmerk nunmehr halb fragend, halb befürchtend auf den Diplomaten, doch was dieser aussprach verstand Elorie genausowenig. Ein paar Männer gingen los und just in dem Moment eilte die Adelige zu Boron und griff nach seinem Arm, um ihn aufzuhalten und sich seiner Aufmerksamkeit sicher zu sein.

"Was hat er gesagt? Was tun die Männer da? Sagt es mir!" Sie klang aufgeregt, atemlos und Boron bemerkte den grünen, bohrenden Blick auf sich, bevor Elorie ihn wieder losließ. Nachdem er ihr aber bedeutete abzuwarten erkannte die Rothaarige was dort hinten geschah und schloss die Augen. Man kam ihrem Wunsch nach. Tatsächlich. Erleichterung flutete ihre Sinne, stieß Schwermut von ihren Zügen und ließ sie sogar wieder lächeln.

Umstandslos wurde der Wille ihrer Ladyschaft umgesetzt, auf das Balders sterbliche Überreste schon bald auf dem Pferdegespann niedergebettet lagen und bereit zur Überführung in heimische Gefilde waren.

„Prinz Kassanders Odinson, der Schlächter von Galgenfels, gewährt Euch ein paar seiner Männer – auf das ihr wohlbehalten Nachhause findet.“ Ein Vorschlag und keine Pflicht ebendiese Hilfestellung anzunehmen. Vermutlich war es weitaus mehr, als sich die Witwe für den heutigen Tag erhofft hatte, doch nickte sie Boron lediglich knapp zu, ehe sie ihr Wort neuerlich an Elorie richtete:

„Ihr habt ein gutes Herz, Mylady! Lasst es meinetwegen nicht schwer werden“ Ein mattes Lächeln manifestierte sich auf dem feingeschwungenen Lippenpaar jener, die die Hand ihres Sohnes für keine Sekunde losließ. „Ihr habt mir neue Wege geebnet. Es wird uns gutgehen.“, versicherte Idelia bedeutungsschwer und wusste um die Fähigkeit ihres Gegenübers, aus den wenigen Worten die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Ohne Balder würde es ihr besser gehen, auch wenn die Zukunft ungewiss vor ihren Füssen lag.

„Ich nehme das Angebot Eures Gatten an!“ Und wo man sich in Freundschaft begegnete, würde man keinen Hinterhalt fürchten müssen.

„Lass mich mit ihr gehen, Mädchen“, entkam es Boron darob und wenngleich es fast nach einer Frage klang, würde er sich das Recht herausnehmen, ohne eine Antwort abzuwarten, seiner eigenen Pfade zu ziehen. Lady Idelia verabschiedete sich, während der kindliche Blick ihres Sohnes noch immer auf Elorie ruhte. So recht mochte er ihre Trauer nicht nachempfinden können. Oder gar ihr Mitgefühl, wo ihm ebendieses durch die Hand seines Vaters bereits in seinen jungen Jahren ausgetrieben worden ist.

„Ich werde ein großer Krieger werden!“, versprach der kleine Bub inbrünstig, noch bevor er sich – gleich wie seine Mutter – zum Gehen abwandte. „So groß und stark wie alle diese Männer hier, Lady Elorie. Habt Vertrauen in mich, ich werde meine Mutter beschützen, wo es Vater nicht mehr zu tun vermag.“ Damit hatte selbst der kleinste Spross der Runde an diesem frühen Morgen noch einen Schwur geleistet, auf dass er an der Seite Idelias stolz erhobenen Hauptes von dannen schreiten konnte.

Elories Lippen entkam ein kurzes, helles Auflachen, fröhlich aufgrund jener Worte, gelöster von Trauer und sie nickte ihm zu. "Daran würde ich niemals zweifeln. Gib auf euch Acht", gab sie dem Kind mit auf den Weg und blieb solange an Ort und Stelle stehen, bis sie im Dickicht der Wälder verschwanden. Erst dann fühlte Elorie sich wieder ins Hier und Jetzt versetzt, wurde der Blicke gewahr, welche man immer noch auf sie richtete. Nun stand sie vollkommen allein im Lager der Nordmänner, ohne Kassander, ohne Boron und kam sich verloren vor. Die Tränenspur auf ihren Wangen strich die junge Frau aber noch nicht hinfort, stattdessen wusste sie genau, wohin sie gehen wollte. Schon am Abend hatte Elorie den Diplomaten gefragt wo ihr Pferd untergebracht war und zu dem notdürftig hergerichteten Stall ging sie nun. Falla würde zwar bemerken, dass sich etwas geändert hatte, doch das morgendliche Ritual, der Besuch ihrer Herrin, sollte deswegen nicht ausfallen. Sie fand auf dem Weg sogar eine Möhre, um sie der Stute mitzubringen. Der Anblick der friedlich dreinblickenden Stute schenkte Elorie wieder mehr Zuversicht, sodass die Adelige endlich den Handrücken nahm um ihre Tränen wegzustreichen, bevor Falla die Möhre schnappen wollte.

 

Falls Kassander sich wunderte, wo denn sein Weib blieb, musste er sich nur an den ereignisschweren Morgen des gestrigen Tages erinnern. Nur dass sie sich nun in seiner Welt befand und man sich nicht hinter der Boxentür vor wachsamen Augen verstecken musste. Elorie erkannte auch Fjölnir und zog die Leckerei im letzten Moment vor der gierigen Stute zurück. Wie auch der Apfel wurde die Möhre geteilt und an beide Tiere verfüttert. Streicheleinheiten gab es in erster Linie aber nur für Falla. Das Pferd lenkte Elorie ab, denn jetzt gerade wusste das Mädchen nicht, ob sie wieder ins Zelt zurückgehen wollte. Die Ungewissheit über das was sie dort erwartete, sorgte für neue Unruhe. Ob er zornig über ihre Tränen war? Oder gar enttäuscht? Elorie war davon überzeugt, dass der Schlächter mit ihrer Entscheidung nicht einverstanden gewesen war, sie aber hinnahm, weil sie als sein Weib gesprochen hatte. Wie konnte sie den Mann nur erreichen, wenn er ihre Reaktion verurteilte, weil er sie nicht verstand? Falla musste den inneren Kampf bemerken, stupste mit der Nase gegen die Wange Elories und entlockte dem Mädchen ein neues Lächeln. Und eine Idee. Die Stute hatte Recht. Man musste manchmal einen Schritt nach vorne wagen.

Kassander fragte sich nach wie vor wo sein Weib blieb, was sie trieb, und war gerade im Begriff das Zelt auf der Suche nach ihr zu verlassen, als ihre Hand den Stoff zur Seite schob und Elorie hereintrat. Sie wirkte bereits jetzt schon sehr viel gefasster, trug den Kopf erstaunlich gerade auf den Schultern und schien irgendwie bemüht ihn mit Blicken zu fesseln.

"Ich habe das Richtige getan", platzte es urplötzlich aus dem Mädchen heraus, nicht ahnend, dass der Schlächter ihre Entscheidung ja auch gutgeheißen hatte. "Es war nicht an Euch über seinen Leib zu entscheiden, er gehörte Euch nicht. Wenn Ihr mir jetzt zürnt, dann sei es so, aber ihr sollt wissen, dass ich mich jederzeit wieder so entscheiden würde. Tut also, was Ihr tun müsst. Ich bin hier." Obwohl die Adelige sich bemühte standhaft zu bleiben, konnte sie ein Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. Kassander würde nicht verstehen was sie sagte, doch Elorie ging es besser, nun da die Worte ihren Mund verlassen hatten. Sie hielt sich noch im Eingangsbereich des Zeltes auf, bereit jederzeit einen Haken zu schlagen, sollte der Wolf zubeißen. Boron konnte nun nicht helfen, um zu vermitteln, das mussten sie von selbst schaffen.

Fürwahr, Kassander besaß nicht den leisesten Hauch einer Ahnung, was sein Weib ihm damit hatte sagen wollen. Hatte er sie erzürnt? Versuchte sie ihr vorhergehendes Handeln zu rechtfertigen, wo er ihr das Recht der Entscheidungsgewalt bereits freimütig eingeräumt hat? Hätte er nach ihr suchen sollen, um ihre Tränen zu trocknen? Nein. Elorie müsste bereits bestens darüber Bescheid wissen, dass ihr Mann nur bedingt zu so viel Empathie fähig war, die wiederum vor seinem Heer oftmals kläglich auf der Strecke blieb. Eines aber wurde dem Schlächter von Galgenfels abermals klar: Nicht nur sie würde sich darum bemühen müssen die Sprache des Eises zu lernen, nein, auch er sollte sich tunlichst mit der ihren Zunge auseinandersetzen. Erst dann würde man miteinander streiten können, vorausgesetzt der Zorn hatte das schöne Mädchen dazu gebracht jene unverständlichen Worte ans Ohr ihres Mannes zu tragen. Das Zittern in ihrer Stimme wollte die geglaubte Intuition Irrtum strafen. Und dennoch besaß der Nordmann weder die Lust noch die nötige Geduld, um jenes Mysterium zu lüften, das Elorie offenbar umtrieb. Es gab Wichtigeres zu tun, als ihre Gefühlswelt wieder ins Lot zu bringen. Eine dieser Wichtigkeiten, mit der man sich den heutigen Tag um die Ohren schlagen sollte, war es dafür Sorge zu tragen, dass man verbal auf einen Nenner kam. Nichts was sich in nur einem Sonnenlauf bewältigen ließ, doch glaubte er dieses Ansinnen mit seiner Frischanvertrauten zu teilen.

In seinen Augen lag Irritation und aufgrund ebendieser, fand Kassander Selbige nun auch in dem Grün seiner Frau. Natürlich wusste er nicht wovon sie gesprochen hatte, was sie meinte, doch vermutlich hätte der Schlächter ebenso reagiert, wären sie bereits der gegenseitigen Zunge mächtig. Elories Reaktion war für einen Mann schwer nachzuvollziehen, eben weil es Männer waren. Sie dachten nicht so viel über die Welt nach, oder eben über andere Aspekte als Frauen. Er sagte nichts und allein das genügte um sich mehr als dumm vorzukommen. Elorie senkte jedoch zu keinem Zeitpunkt die Wimpern, sondern beobachtete seine Reaktion aufs Genauste.

„Ist Name Kassander bei ich“, versuchte der Heerführer genau da anzusetzen, wo das Zwischenmenschliche mittlerweile keinerlei Steine mehr in den Weg konnte. Kein Zorn, der ihn umtrieb, und keine Ungeduld, die es ihm erschwert hätte seinem Weib eine Hand zu reichen. Weshalb auch? Noch immer stand er in ihrer unmittelbaren Nähe, genau da, wo ihm vor wenigen Herzschlägen noch der Weg ins Freie jäh abgeschnitten worden ist. Was er damit bezwecken wollte, war selbst für jene offensichtlich, mit der sich für kommende Zeit wohl jedes noch so kleine Gesprächsgeflecht als Herausforderung herausstellen sollte. Nichtsdestotrotz musste man diese Kluft überwinden, ob gewollt oder ungewollt, um jene Einheit, die man vor der Außenwelt unabdingbar darstellen sollte, nicht zu gefährden. Der Wildling lächelte nicht, hob allerdings auf gar beschwichtigende Art und Weise beide Hände, ehe er auf seine Gattin zuhielt, um seine Lippen für die Flüchtigkeit zweier Herzschläge auf ihre Stirn zu betten. So sie ihm grämte, war es wohl der Versuch ihre Wut auf ihn zu zähmen. Und so das Mädchen davon ausging, er würde ihr aus unerfindlichen Gründen grollen, war der gestählte Krieger willens diese Annahme im Keim des Seins zu ersticken. Ohnehin war es ihm bedeutend zu früh für Auseinandersetzungen. Abgesehen davon war er, nachdem er seine letzte Mahlzeit am Tisch der Habings eingenommen hatte, zu hungrig für etwaigen Zwist.

„Tha an t-acras orm.“ Ich habe hunger. Um anzudeuten, dass der Hunger keinesfalls auf die Gier bezogen war, legte er sich die Schwerthand auf den Bauch. „Tha an t-acras air Kassander.“ Kassander hat Hunger. Die linke Hand gedachte ob den Worten eine bedeutungsschwere Geste in Elories Richtung zu tun, denn nur dann, wenn der liebliche Rotfuchs damit begann, das, was ihr mittlerweile verständlich war, zu übersetzen, würde man die hürdenreiche Sprachbarriere so schnell wie möglich durchbrechen können. Und vielleicht, so die Hoffnung, half es ihnen sogar dabei sich näherzukommen.

 

Erst dann, als Kassander ihr die Lippen an die Stirn setzte, senkten sich ihre Lider für die Dauer des flüchtigen Moments und offenbar genügte dies um den Mann wieder sprechen zu lassen. Langsam, sodass Elorie auch verstand. Acras verstand sie bereits sehr gut und erkannte auch was er ihr zu sagen versuchte. Sie sprach es zunächst nach und wartete auf Kassanders Reaktion, doch die fiel anders aus als erwartet. Erst nach neuem Nachdenken begriff die Rothaarige was er von ihr hören wollte.

"Hunger. Du hast Hunger....nein...ich meine...Kassander hat Hunger? Kassander hat Hunger." Ein guter Start, doch ob sie so schnell lernte blieb abzuwarten. Es konnte sich auch bloß um einen Glückstreffer gehandelt haben. Schnell kehrte ein kleines Lächeln zurück auf Elories Züge, ehe sie vom Eisprinzen behutsam aus dem Zelt gescheucht wurde, um den Weg gen Feuerstelle in Angriff zu nehmen – dahin, wo sich die wenigen Kriegsunkundigen damit beschäftigten die Bäuche der Schwerterprobten zu füllen. Die Sonne kitzelte ihre Nase nicht zum ersten Mal an diesem Morgen, doch wirkte der Tag schon wieder ganz neu und anders. Als habe Lady Idelias Besuch vor längerer Zeit stattgefunden. Sie ließ ihren Gemahl vorgehen, folgte ihm und ließ die Blicke bei jedem Schritt im Lager umherwandern. Mehr und mehr fiel ihr dabei auf, Dinge die sie noch gar nicht wahrgenommen hatte, sei es die Anordnung oder wer überhaupt zu Kassanders Männern und Frauen gehörte, jung, alt, groß, klein, dick, dünn. An der Feuerstelle angekommen sah sie zu der Ansammlung und hoffte eines Tages verstehen zu können, worüber sie gerade sprachen. Vermutlich über sie? Und wenn ja, was würden sie sagen? Dass sie zu dünn, zu schwach war, um an Kassanders Seite zu bleiben? Bestimmt wunderten die Frauen sich, warum er den Handel eingegangen war, wo doch genug starke und schöne Weiber auf ihn warteten.

 

Nicht lange und man nahm den nahenden Anführer des Heidenheers wahr. Nicht lange und es löste sich ein gütiges Geschöpf aus der traubengleichen Ansammlung schnatternder Frauenzimmer, welche sich da in seligem Einklang ums Feuer versammelt hatten. Nicht jede kümmerte sich ums Kochen, gab es so manches Weib, das sich mit dem Flicken zerschlissener Kleidungsstücke beschäftigte oder aber Felle gerbte. Es war eine stämmige Nordmaid mit rabenschwarzen, geflochtenen Haaren und freundlichem Gesicht, die sich der Nahenden annahm. Das Frühstück sollte frugal aber nährend ausfallen, wurde Kassander Brot und Käse gereicht, ehe er ersteres entzweibrach und Elorie das kleinere Stück vor die Nase hielt.

Die auftauchende Nordmaid strafte Elorie ihrer Gedanken sofort Lüge, denn sie wirkte aufrichtig freundlich. Ihr fiel auf, dass sie gar nicht wusste wie man grüßte. Etwas Wesentliches, das sie möglichst schnell lernen musste. Der Barbar forderte ihre Aufmerksamkeit wieder ein, wedelte mit dem Stück Brot vor ihrem Gesicht herum und das auftauchende Knurren ihres Magens ließ die Adelige sofort zugreifen. Keine Scheu, kein angewiderter Blick, Elorie war nun mal hungrig und nicht dumm.

„Aran“, meinte er dabei, ohne den Geduldsfaden des Erklärens dabei einzubüßen. „Aran ithe“, fügte der Schlächter unter den neugierigen Blicken des Nordweibes an, deren wachsames Augenmerk interessiert zwischen den beiden hin und her wanderte. Um zu untermauern, was er damit meinte, brach er ein neues Stück von seiner Brotration ab, um es sich zwischen die Lippen zu schieben.

„Bidh Kassander agus Elorie ag ithe aran.“ Gleich verfuhr er mit dem Käse, um sich die dargebrachten Sätze im Umkehrschluss sogleich in die Zunge des grünen Landes übersetzen zu lassen. Ein Anfang, frei der Zweifel, doch ein holpriger; einer, bei dem er sich unweigerlich mit der Frage konfrontiert sah, wohin Boron so rasch verschwunden ist? Dass sich dieser nicht ewiglich als Übersetzer missbrauchen lassen wollte, mutete verständlich an. Nichtsdestotrotz hätte sein Hiersein die Kommunikation vereinfacht.

"Aran." Wiederholte Elorie und tippte auf das Brot. Dass er ihre Sprache dabei hören wollte, verstand die junge Frau noch nicht. Erst als der Käse dazukam und der Schlächter sein Spiel wiederholte. Erst da begriff sie das Ausmaß und war durchaus überrascht. Wollte er ihre Sprache lernen? Nein, daran glaubte sie dann doch nicht. Vielleicht glaubte Kassander, dass es ihr dabei nur besser ging, wenn hin und wieder ein vertrautes Wort aus ihrem Mund kam.

"Aran Brot. Caise. Käse. Ithe. Essen." Sie sprach es langsam aus, schob dazwischen kleine Bissen abgezupftes Brot zwischen die Lippen und sah dann zu der Nordmaid.

"Danke." Der fragende Blick galt allerdings Kassander, eine Hand legte sich auf ihr Herz um zu zeigen welches Wort ihr gerade in seiner Sprache fehlte. "Ich möchte Danke sagen. Für Aran...agus...Caise." Sie benutzte noch immer die Wortstellung ihrer Sprache, aber gewiss konnte man sie dennoch verstehen.

"Tha an t-acras orm...apill. Eins. Einen." Sie hob ihre Hand mit dem erhobenen Zeigefinger um zu verdeutlichen was sie meinte. Mit Händen und Füßen ließen sich auch diese Blockaden lösen. "Und Durst. Ich bin durstig, was bedeutet das?" Erkundigte Elorie sich weiter. Sie schien fast schon Gefallen an dieser Art der Kommunikation zu finden, denn je weiter der Morgen voranschritt umso mehr Dinge hatte Elories Zeigefinger schon angestupst. Wasser, Feuer, Messer, Becher, Haare, Danken, tatsächlich schien die Rothaarige sogar erfreut, dass man ihr bereitwillig Hilfe anbot. Allen voran der Schlächter selbst, der sich zwischendurch sogar ein kleines Lächeln erredete. Boron wurde natürlich dennoch vermisst. Elorie konnte nicht einmal sagen, ob es daran lag, dass er ihre Sprache sprach, aber der Mann wirkte auf seine eigene Art und Weise vernünftig und ehrenhaft. Ein seltenes Gut wie sie hatte feststellen dürfen.

„Tha am pathadh orm“, war es nun die Nordmaid, die regelrecht über beide Ohren hinaus zu strahlen begann, hatte sie die Bedürfnisse ihrer neuen Herrin weit vor deren Mann erkannt. „Ich … bin … durstig. Tha am pathadh orm.“ Ohne Scheu wurde Elorie von der robusten Wildlingsdame am Handgelenk gepackt und näher zu den anderen Frauen geführt – weitaus schneller, als das Kassander dem ganzen einhaltgebieten konnte, hätte er dies denn überhaupt vorgehabt. Er ließ sie ziehen, setzte sich ans Feuer zu den wenigen Kriegern, die das aufregende Spektakel verhalten beobachteten oder mindestens so taten, als hege man am Geplänkel der hiesigen Weibsbilder keinerlei Interesse. Die Adelsdame wurde mit Wasser versorgt, ebenso mit weiterem Brot und Käse, schließlich hielt man sie bei Weitem für zu dünn.

„Ithe“, wurde sie von allen Seiten aufgefordert. „Essen“, lernte eine jede schwertunkundige Frau fleißig mit, was dem Sohn Rolands wohl zum ersten Mal seit langem ein verborgenes Schmunzeln abverlangte.

An der Feuerstelle bemerkte die Adelige zuallererst eine wichtige Sache: Es gab einen weitreichenden Unterschied, der über Leben und Tod entscheiden konnte. Stellte man sich mit den Männern in der Welt der Grünländer gut, so wurde man von deren Frauen zerrissen. Hier war es fast angenehm, dass keiner der Krieger wirkliches Interesse an Elorie zeigte. Wo sie daheim auf Bällen stets aufgefordert und begutachtet worden war, wirkten die Blicke einzelner Nordmänner schlichtweg nüchtern. Nur die Blicke des Schlächters waren anders, beobachtend, prüfend, aber sobald die Rothaarige ihnen begegnete, sah sie nur grau und nichts Weiter. Als habe es die wenigen Nuancen an Annäherung nie gegeben. Die Ablenkung durch die Nordmaid kam ihr da mehr als gelegen, auch wenn sie sichtlich nervös wurde in Anbetracht der Frauen. Sie kannte diese Art Haifischbecken, in denen man stets darauf achten musste sich nicht falsch zu verhalten, keinen falschen Blick zu schenken, kein falsches Wort zu sagen. Hier wurde aber rasch klar, dass die Frauen des Nordens nicht auf solche Oberflächlichkeiten achteten. Bis auf Elories schmalere Figur. Sie folgte der Aufforderung und schob dann zwischen zwei Brotkrumen auch mal Käse in den Mund, würde aber trotzdem nicht anfangen dem ganzen Lager die Haare vom Kopf zu essen.

"Tapadh leat. Tapadh leat..." Danke. Danke, richtete Elorie an jene Frauen, welche ihr immer wieder Essen reichen wollten, doch zwischendurch musste sie ablehnen, um nicht gleich am ersten Tag zu platzen.

"Dein Name? Wie ist dein Name? Is e mo ainm Elorie.", bezog die Adelige nun sogar die amüsierte Nordmaid mit ein und war gespannt zu hören, wie sie hieß. Und wer sie war. Eine ganz ungewohnte Unterhaltung, nicht auf schöne Kleider oder Haare oder den besten Fang des Abends begrenzt. Hier schien all das keine Bedeutung zu haben. Eine Meinung, welche Elorie trotz ihrer mitgebrachten, feineren Kleider, teilte.

 

Ein gutes Frühstück hatte schon immer die Macht Fremde zu Freunden zu machen, mindestens machte es an diesem frühen Tag exakt diesen Eindruck. Das Eis brach, nicht nur zwischen Kassander und Elorie, sondern ebenfalls zwischen der Adligen und den restlichen Ehefrauen, deren Aufmerksamkeit mehr und mehr in Richtung des zierlichen Neuankömmlings wanderte. Über eines konnte man sich sicher sein und vermutlich differenzierte sich diese Gepflogenheit nicht sonderlich von jener der Grünländer: Stellte man sich mit den Weibern gut, dann konnte man sich der Freundlichkeit derer Männer gewiss sein. Des Weiteren fiel es sicher ebenfalls keiner Unüblichkeit anheim, dass die Frauen am Feuer stets über alles und jeden Bescheid wussten.

Hier wurde getratscht. Hier bildeten sich Meinungen, gleich über was oder wen, um sich vom Zentrum bis hin zum entlegensten Winkel des Heerlagers ausbreiteten. Elorie tat gut daran hier Freundinnen zu finden, wo ihre nichtvorhandene Schwerterprobtheit insbesondere bei den Kriegern unter keinem guten Stern stand. Mitunter hat es den Schlächter von Galgenfels genau aus diesem Grund hierher getrieben. Seine Frau brauchte Kontakte, die über ihn selbst oder Boron hinausgingen. Sie musste sich unter ebenjenes Volk mischen, dessen Wohlergehen eines Tages auch auf ihren Schultern ruhte. Und wie es den Anschein machte, mindestens für den Kopf des Königsheers, fand die junge Schönheit sichtlich Gefallen an den ersten Berührungen mit ihrer neuen Umgebung. Und es beruhte auf Gegenseitigkeit.

„Wie ist Dein Name Aslaug“, plapperte die freundliche Nordmaid munter drauflos, erntete aber seitens ihres Mannes, der sich zur Linken des Eisprinzen befand und diesem den Weinschlauch reichte, ein liebgemeintes Augenrollen.

„Was ist der Name bei Dir - Tha e a 'ciallachadh, dè an t-ainm a th' ort?“ Gelächter machte sich breit, Belustigung und Selbstironie, während mit voranschreitender Zeit stets deutlicher wurde, dass man sich lieber mit der lieblichen Adelsdame befasste, anstatt gegen diese zu arbeiten. Intrigen in den eigenen Reihen waren den eingefleischten Brüdern und Schwestern dieses Heeres fremd.

„Ist Name Aslaug bei Du“, warf Kassander ein, nur um sich dann trotz der frühe Morgenstunden am Wein gütlich zu tun.

„Ist der Name Aslaug bei Dir“, wurde er unverwandt verbessert, ehe zwischen den beiden Männern eine Diskussion entflammte, die unter dem Strich unnötig war, da beide nicht zur Gänze richtig lagen. Die Nordmaid winkte ab, lächelte und meinte dann pragmatisch:

„Is e mo ainm Aslaug.“ Warum schwierig, wenn es denn einfach ging? Ein Leitsatz, der bei den Frauen am Feuer für heiteres Gekicher sorgte – nicht zuletzt, da sich die Krieger noch eine lange Weile über falsch und richtig unterhalten sollten.

Das Bild dort hatte man wahrlich selten gesehen, glaubte man den wilden Geschichten über die Nordländer. Würde stimmen, was die Grünländer über deren Lebensweise verbreiteten, dann würde Elorie nicht inmitten all der Frauen sitzen, sondern unter jedem einzelnen Mann liegen und im Anschluss wie ein Hund angekettet in irgendeinem Zelt verrotten müssen. Wie sehr man damit doch falsch lag. Das Problem mit der Sprache zog sich urplötzlich durch die Reihen und schien vielmehr für Unterhaltung zu sorgen. Als Elorie mitbekam, dass selbst unter den Männern ein kleiner Disput entbrannte, empfand sie dies fast genauso amüsant wie die anderen Frauen. Doch auch wenn sie aufzutauen schien, hielt sie sich doch noch zurück, übte sich mehr in Beobachtungen und war bemüht freundlich zu bleiben. Dass sie tatsächlich Königin über all diese Menschen werden sollte war immer noch so fern und auf eine Art und Weise undenkbar, wie sollte sie als unerfahrene Außenseiterin herrschen? Wie überhaupt? Sie war nicht einmal ein solcher Charakter wie Kassander. Ihm folgten die Menschen, er strahlte etwas aus, etwas Starkes. Sie selbst dagegen?

Elorie trank einen Schluck Wasser und spülte aufkommende Zweifel schnell runter. Dafür war keine Zeit. Dass sie sich für das Nordvolk unentbehrlich machte, würde nicht nur ihr Leben retten, sondern das ihrer Familie. Und darauf kam es doch an.

"Könnt ihr alle kämpfen?" Wollte die Rothaarige dann wissen und deutete auf eines der Schwerter, im Anschluss auf die Nordmaid. "Auslaug? Du?" Unvorstellbar, dass es Frauen gab, die genauso wild kämpften wie ihre Männer. Elorie hatte Geschichten gehört, es dennoch nie mit eigenen Augen gesehen.

"Wer ist die beste Kriegerin, der beste Krieger?...Stark..." Versuchte sie herauszufinden und deutete auf ihre wenig vorhandenen Muskeln am Oberarm. Wenn diese putzige Geste für neues Gelächter sorgte, dann umso besser. Es gefiel Elorie, dass die Menschen ihre Emotionen so offen zeigten. Alle bis auf den Schlächter. Ihr Blick suchte ihn wieder auf, nur kurz, dann lag ihre Aufmerksamkeit wieder bei den Frauen. "Kassander? Boron? Aslaug?" Hakte das Mädchen nach, begierig nach einer Antwort.

In Aslaug eine Kriegerin zu sehen, sorgte für Heiterkeit. Man erklärte der Adelsdame mit Händen und Füssen, dass es sich bei ihr um eine Näherin handle, deutete allerdings, ebenfalls munter in der Sprache des Eises plappernd, zwischen den Zelten hindurch und an der behelfsmäßigen Stallung vorbei in Richtung Übungsgelände, wo man die Kriegerinnen dabei beobachten konnte, wie sie sich konzentriert dem Zweikampf hingaben. Große, starke Frauen, frei der Zweifel, die mit dem zartbesaiteten Geschlecht des grünen Landes nicht viel gemein hatten. Das Sagen unter ihnen hatte eine Walküre mit Namen Dorma. Und als habe sie aus weiter Ferne begriffen, dass der Fokus am Feuer unweigerlich auf ihr lag, sah sie zu den Waschweibern herüber.

Eine stolze Kriegerin, mit gerecktem Kinn und gerader Haltung. Ihr robuster, gestählter Körper steckte in einer einfachen Lederrüstung, während ihr das schwarze Haar in einem wilden Zopf seitlich über die Schulter hing. Gewiss zählte sie sich zu den Besten, obschon die Mentalität innerhalb des Königsheers so etwas wie ´der oder die Beste´ einfach nicht zuließ. Eine Einheit war lediglich so gut wie das schwächste Glied. Und das schwächste Glied in einer metaphorischen Kette bestimmte gleichfalls über Siege und Niederlagen. Man kannte den Krieg bereits seit jüngsten Jahren und wusste um die nuancenreichen Details, die ein eingefleischtes Miteinander unweigerlich ausmachen konnte, was mitnichten bedeutete, dass man sich nicht von Zeit zu Zeit in seinem Können maß.

Derlei Angelegenheiten aber wurden einmal Jährlich im Zuge großer Festivitäten geregelt. Nur in diesen Tagen fand man sich zusammen, um unter den Stärksten und Mutigsten jenen zu finden, welcher da der Beste unter allen war. Nicht selten hatte sich Kassander bei solchen Kämpfen unter Beweis gestellt, gleich wie im Krieg und bei Raubzügen. Er war der Sohn seines Vaters, der wiederum in seinen besten Jahren als der gefürchtetste Kriegsherr der gesamten Nordreiche in aller Munde gewesen ist. All das versuchte man Elorie näher zu bringen. Mit eingeschränkten Mitteln und vagen, eher unverständlichen Übersetzungen von Aslaugs Ehemann, doch war der Schlächter von Galgenfels dem Alter, in dem man sich von Herzen gern in Lobeshymnen badete, längst entwachsen. Fraglich, ob er sich jemals gern hat feiern lassen, denn wer ihn kannte, der wusste um seinen unerschütterlichen Glauben daran vollends im Dienst seiner Götter zu stehen. Nur seine Überzeugung hatte ihn zu jenem Mann werden lassen, den er heute mit jedem Atemzug zu verkörpern imstande war. Sie hat ihn nicht nur an die Spitze seiner Männer gebracht, nein, sie half ihm auch zu einer unverkennbaren Weitsicht und dem Willen mehr zu sein, als man von außen hin oftmals in ihm sehen wollte.

Elorie war über die aufkommende Erheiterung zunächst verwundert, doch der Fingerzeig zu den Kriegerinnen war Erklärung genug. Der Anblick war, trotz ihrer unterhaltsamen Gesprächspartner - konnte man sie so nennen- fesselnd. Die junge Frau hatte niemals andere Frauen kämpfen sehen. Bei den Gründländern war die Rollenverteilung allzu klar, bis auf wenige Ausnahmen welche Elorie jedoch nie kennenlernen durfte. Das Weib war dem Manne Untertan und auch abhängig von seinem Schwert. Dass diese Frauen dort mit den Männern Seite an Seite in den Krieg zogen, war bemerkenswert. Fast unvorstellbar, würde die Adelige es nicht mit ihren eigenen Augen sehen.

Die Weiber am Feuer blieben weiterhin angenehme Gesellschaft, auch wenn man sich nur teilweise verstand. Niemand machte Elorie einen Vorwurf oder rümpfte die Nase, wenn sie etwas falsch aussprach oder nicht verstand, allein dieser Umstand machte die nordische Gesellschaft um so vieles wertvoller. Daheim hatte Elorie nur wenige Mädchen als echte Freundinnen angesehen. Genauer gesagt reichte eine Hand, um sie abzuzählen, die meisten jungen Frauen waren nur darauf bedacht gewesen einen möglichst reichen Ehemann zu finden. Und dann unter seinem Dach Schutz zu genießen, seine Kinder zu gebären. Genaugenommen durfte sie selbst niemanden verurteilen, denn dasselbe Los war nun auch Elorie zuteilgeworden. Nur dass das Leben als Frau eines Nordmanns, als Königin eines Barbarenvolkes, so anders ausfiel wie man es sich kaum vorstellen konnte.

Nun aber, wo er sein zierliches Eheweib in guten Händen wusste, bediente sich der hochgewachsene Barbar noch einmal am Wein, um sich dann in einer fließenden Bewegung zu erheben. Kassander kehrte in sein Zelt zurück, suchte die Ruhe und die Einsamkeit, um sich brütend über jene ungezählten Landkarten zu beugen, die sich samt und sonders wild verstreut auf dem hölzernen Tisch im Zentrum seines kleinen Reiches stapelten. Es galt Herr der Lage zu werden. Allem voran aber galt es Voranien auf den Karten ausfindig zu machen, denn wenn dies Land nicht reich an Bodenschätzen war, dann aber womöglich für den König ein strategisch wichtiger Ausgangspunkt.

 

Sobald Kassander aufstand, um sich zurückzuziehen, ging der Blick seiner Frau ihm nach und trieb neue Heiterkeit in die Weiberrunde. Las man da etwa Sehnsucht heraus? War ihm das junge Ding nach der ersten Nacht bereits verfallen? Und Elorie erhob sich sogar, bestimmt wollte ihm das Weib nacheilen um mehr von den Freuden zu kosten, die zwischen Mann und Frau aufeinander warteten. Das Gekicher ebbte jedoch ab, als klar wurde, dass sie genau die entgegengesetzte Richtung einschlug. Sie entschuldigte sich, halb verständlich, die andere Hälfte hoffte auf Verständnis der Nordmaiden, und näherte sich dann dem Platz an dem die Kriegerinnen trainierten. Bestimmt waren jene Frauen anders als Aslaug, weniger mitteilungsfreudig und wer konnte es ihnen verdenken? Elorie blieb am Rand stehen, das Grün glitt wieder umher, von Frau zu Frau, Schwert zu Schwert. Sie erwartete nicht angesprochen zu werden und sie sprach auch niemanden an um nicht zu stören.

In einem Zelt brütete Kassander derweil über das Land seiner Frau und kam zu keinem befriedigenden Ergebnis. Voranien war an jeder Grenze zu anderen Ländereien abgeschlossen, keine militärisch herausragende Stellung wohnte ihm inne. Seine Struktur war so unbesonders, dass es sich beim Interesse des Königs bloß um einen schlechten Scherz handeln konnte. Vielleicht waren die Götter auch nur daran interessiert gewesen ihm endlich ein neues Weib zu verschaffen. Es gab nur ein paar Augen, die dem Mann helfen konnten, zu wissen was der König wusste, aber diese Augen waren nicht greifbar und auch nicht in der Nähe. Boron würde, was die Information anging, noch eine wichtige Rolle spielen. Nur auch davon ahnten Schlächter und der Diplomat selbst noch nichts.

Elorie hatte den Schwertfrauen eine ganze Weile zugesehen und fühlte sich danach beinahe schlecht, nur so wenig selbst zu beherrschen. Sie konnte zwar ebenfalls etwas nähen, aber keineswegs kochen. Doch. Es gab wenigstens eine Sache die sie konnte und das besser als junge Adelsdamen sie beherrschen sollten. Falla würde immer noch beim Unterstand auf sie warten, weswegen das Tier nicht endlich ein bisschen fordern? Der Tag hatte gerade seinen Mittagsstand erreicht, es blieb genügend Zeit. Gab es niemanden, der die junge Frau aufhielt, dann ging sie wieder zu ihrem Pferd und band es los, nahm die Zügel in die Hand und hatte vor die Umgebung zu erkunden. Kassander würde doch niemand zu ihrer Bewachung abgestellt haben? Wenn doch, dann musste derjenige wohl oder übel hinter dem Mädchen her, denn sie war drauf und dran den Wald auf eigene Faust erkunden zu wollen. Zusammen mit Falla natürlich.

Man hatte Kassander über den Ausritt seines Weibes in Kenntnis gesetzt, doch tat dieser keine Anstalten ebendieser hinterher zu eilen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass der liebliche Rotfuchs sein Vertrauen genoss. Doch Vertrauen hin oder her, und stünde man faktisch nicht gerade vor einem Krieg mit dem hiesigen König, würde man Elorie auf Befehl ihres Mannes hin nicht aus dem Blick lassen. Die Späher hatten sie im Auge, Pferdelänge für Pferdelänge, die das Mädchen auf ihrer Erkundungstour durch den Forst hinter sich ließ. Man musste keinesfalls in der Kriegskunst bewandert sein, um zu erkennen aus welchen Gründen der Heerführer seine Mannen nahe des Wasserfalls postiert hat. Zur Linken des Lagers erstreckte sich eine steile Bergkette und zur Rechten der Fluss, bei Weitem zu breit und zu störrisch um sich den Nordmännern auf heimtückische Weise zu nähern. Lediglich eine breite Holzbrücke ließ den Durchgang zur Lagerstadt zu, während man von ebendieser etwaige Nahende bereits über mehrere Pfeilschussspannen hinweg erspähen konnte.

Wohin es Elorie auch immer trieb, über kurz oder lang erblickte sie den einen oder anderen Wildling. Jäger und Sammler, denn der alte Wald war reich an Wild und somit ein idealer Versorger für einen Tross, der in ein paar Tagen um das Dreifache anschwellen würde. Kassander hatte seine Reiter bereits entsandt, um die eigenen Reihen im Falle eines unerwarteten Angriffs gestärkt zu wissen. So rasch aber rechnete er nicht mit einem Kampf, hieße das, der Herrscher besäße kein Geschick für Diplomatie. Der Lordsiegelbewahrer musste ein verschmerzbarer Verlust für ihn dargestellt haben, denn mit seinem Ableben hatte man rechnen müssen. Alles Weitere lag in den Händen der Götter.

 

Boron erreichte die nahen Wälder, als sich die Sonne am höchsten Stand ihrer Wanderung befand. Mittagszeit, was ihn und die Schwertbrüder in seinem Beisein dazu bewog das kleine Mahl, von Lady Idelia zum Dank für die Hilfe mit auf den Weg gegeben, am nahen Wasserfall einzunehmen. Wirklich allein, so würde sich die liebliche Adelsdame bald schon gewahr werden, war sie hierorts nie. Suchte sie aber tatsächlich die Einsamkeit oder trieb es das Mädchen lediglich der Neugier halber aus dem Schutz des Heerlagers? Neue Freiheit, war dem nicht so? Freiheit, die Kassander zu fördern gedachte und die ihr Zeit ihres jungen Lebens vermutlich viel zu oft genommen worden ist.

Elorie war ganz sicher erstaunt über die Freiheiten, die man ihr gewährte. Die Einsamkeit in den Ställen, des Morgens wenn noch niemand wach war um sie zu überwachen, war gar kein Vergleich zu dem was sie hier erfahren durfte. Sie vermutete dahinter jedoch weniger Vertrauen als vielmehr einen Test ihres Gemahls. Wollte er sehen, ob sein neues Weib flüchtete? Wenn er glaubte ihr dafür einen Grund gegeben zu haben, dann irrte Kassander sich jedoch. Die junge Frau ritt gemächlich durch den Wald und über die Wege, sie verlangte Falla kaum etwas ab, denn die Stute war lange nicht mehr in wilden Galopp verfallen und Elorie wollte das geliebte Tier noch für sehr lange Zeit am Leben wissen. Sie kam tatsächlich zu dem Wasserfall wo die Erinnerungen noch so frisch waren, dass sie glaubte wieder die Hände des Nordmanns auf sich spüren zu können. Nur für den Moment glitten ihre Gedanken zum heutigen Abend, zur heutigen Nacht. Wie würde es diesmal werden, wenn der Schlächter nicht so müde war? Gab er sich erneut derart warmherzig, rücksichtsvoll?

Elorie musste schon eine ganze Weile auf die kleine Gruppe an den Steinen gestarrt haben, ohne sie wirklich zu sehen. Gewiss fragten sich die Männer inklusive Boron schon was mit dem Mädchen nicht stimmte. Der Schrei eines Raben riss die Adelige aber wieder aus ihren Gedanken und sie sah endlich hin, erkannte wenigstens eine Person unter den Versammelten und kam näher. Wenigstens gab es einen Mann dort, der sie verstand. Der Rotfuchs hätte nicht gewusst, was sie überhaupt ohne den Diplomaten tun sollte, auch wenn es den Morgen über recht gut funktionierte, es ersparte bestimmt Monate mit Boron an der Seite des Schlächters.

"Ihr habt meine Freundin wohlbehalten zurückgebracht", begrüßte sie die Männer, wenngleich auch nur einer wusste, was da aus dem geschwungenen Mund kam. Zumindest lächelte Elorie aber, es ging ihr also gut und sie war nicht auf der Flucht. Boron hatte während seiner kurzen Zeit mit Idelia ein paar interessante Dinge zu hören bekommen. Die Lady war über seine Begleitung angenehm überrascht gewesen und wie sagte man so schön? In guter Gesellschaft wurde die Zunge flatterhaft. Sie war erschrocken über die Verhaftung der Habings, hatte aber von Anfang an an deren Unschuld geglaubt, nur wer würde der Frau des Lordsiegelbewahrers zuhören? Ihre Zweifel musste Idelia für sich behalten, doch jetzt da ihr Mann tot und Boron nicht dem Adel zugehörte, sprudelten die Gedanken nur so aus ihr heraus. Elorie war bereits einem Mann versprochen gewesen, doch es kam nie zur Hochzeit, da der Kandidat zuvor verstarb. Man habe sich zwar über dessen Todesumstände gewundert, doch dem Alkohol die Schuld gegeben. Danach gab es noch zwei weitere Männer, von denen einer sein Angebot zurückzog, der andere schwachsinnig wurde. Man gab insgeheim dem Mädchen die Schuld, flüsterte sie sei verflucht oder habe ihre Seele dem Teufel zugetan, doch niemand sprach das jemals öffentlich aus. Idelia hatte zu ihr gehalten, nicht auf das Gerede gehört, doch als die Eltern des Mädchens inhaftiert wurden sprach noch mehr gegen Elorie. Als wolle sie ihre Ländereien allein für sich beanspruchen. Um das Land zu halten brauchte sie natürlich dennoch einen Ehemann und nun hatte sie ihn jenseits der Grenzen gesucht und gefunden. Gerüchte und Tratsch konnten einen Ruf tatsächlich mehr als ruinieren. Boron wusste nun, warum sie nur unter der Obhut ihres Onkels und nicht eines Ehemanns gestanden hatte, auch warum es keine neuen Angebote gab. Aber steckte der König selbst dahinter? Idelia musste sich verabschieden, bevor er nachfragen konnte. Voranien war und blieb ein Rätsel, auch für den Diplomaten.

Tatsächlich wies der adlige Rotfuchs am Ende des Gesprächs mit Lady Idelia mehr Fragen denn Antworten auf. Natürlich glaubte Boron nicht daran, dass das Mädchen mit dem Teufel im Bunde stand oder aber grundsätzlich verflucht sein würde, doch erinnerte er sich gegen Ende der informativen Unterhaltung mehr und mehr an einen verheißungsvollen Abend am Herd seines Bruders. Kassander war nicht zugegen, ebenfalls die beiden Söhne nicht, als Sora gar geistesabwesend Worte von sich gab, die für den Diplomaten damals nicht wirklich Sinn ergeben hatten. Er hatte es auf den Wein geschoben, den man gemeinsam zu sich genommen hat, war sich heute allerdings nicht mehr gänzlich sicher, ob Sora in dieser einen Stunde nicht von den fleischlosen Händen einer Nornenschwester berührt worden ist. Das Weib seines Herrn hatte um ihren nahen Tod gewusst. Mit allumfassender Gewissheit hätte sie die Stunde, in der ihr Atem zum Stillstand kam, nicht beim Namen nennen können, und dennoch war das zierliche Mädchen der festen Überzeugung erlegen weit vor ihrem Mann an der reichlich gedeckten Tafel ihrer Ahnen zu speisen. Das allein mutete ungewöhnlich an, war es innerhalb eines kriegerischen Volkes, wie es die Nordlinge unweigerlich waren, oftmals doch so, dass der Mann weit vor seiner Anvertrauten die Welt der Sterblichen hinter sich ließ. Allerdings war es nicht das, was Boron dazu bewog die Worte der filigranen Schönheit nur vage wahrzunehmen. Insgeheim sinnierte er über die Worte Soras nach, die ihm an besagtem Abend vom roten Fuchs berichtete, der die Seite ihres Mannes zieren sollte. Erst dann, so hatte sie es benannt, würde Kassander seiner wahren Bestimmung zugeführt. Die Götter würden ihm den Weg ins eislose Land weisen! Hatte sie am Ende damit Recht behalten?

 

"Boron?" Elorie hatte den Mann noch einmal ansprechen müssen, da er nicht reagierte. "Von wem träumt Ihr?" Erkundigte sich das Mädchen unerwartet offen. Ihre Züge wirkten freundlich, fast ein bisschen amüsiert aber auf zurückhaltende Art und Weise. Bestimmt genoss sie es einfach nur verstanden zu werden.

„Von Wein, Weib und Gesang, Mädchen“, lachte der nordische Diplomat, „Von Wein, Weib und Gesang.“ Bei der zweiten Wiederholung klang es bei weitem zu nachdenklich, um es wahrlich für bare Münze nehmen zu können.

"Ich habe Aslaug kennengelernt, ihren Gemahl und andere Frauen. Doch wo war Eure?" Wollte Elorie wissen, eine Frage, die sie auf grünländerischen Bällen bestimmt nie gestellt hätte. Nun aber befanden sich ihre Füße auf anderem Terrain.

„Gerda ist unter ihresgleichen. In Sicherheit und bei den Kindern.“, wurde Elorie dann aufgeklärt. „Die meisten meiner Töchter sind noch zu jung, um dem Gesang des Schwertes zu folgen, so lange hat sie ihre Klinge ruhen zu lassen.“ Gerda zählte sich also zu den Schwertschwestern, im Normalfall, entschied sich allerdings gegen den Krieg und dafür Borons Erbe mit frischem, jungem Blut zu stärken. Eine angenehme Abwechslung für den Diplomaten, auch wenn er es offenkundig nicht zugeben würde. Er mochte sein Weib, genoss aber durch die Distanz, die für unbestimmte Zeit zwischen den beiden währte, zum ersten Mal das Recht die gegebene, ausgeprägte Gier an anderen Weibern auszulassen.

"Ich habe bereits ein paar Wörter gelernt. Und Sätze." Fügte das Mädchen nicht weniger stolz hinzu, bemerkte dann den Weinschlauch eines Mannes und sah zu jenem. "Tha am pathadh orm."

Elories Lernfähigkeit kollidierte mit der Freude der Nordmannen. „Tha tart aig Elorie“ Elorie hat Durst, rief der Krieger mit dem Weinschlauch amüsiert aus, erntete damit das Lachen seiner Brüder, und reichte das süße Gebräu an ihre Ladyschaft weiter. Boron lachte mit, während er ihren Lernwillen insgeheim durch und durch begrüßte.

„Nicht mehr lange und Du brauchst mich nicht mehr, um mit Deinem Mann zu sprechen.“ Davon war der Narbengesichtige in Anbetracht ihres wachen Geistes durchaus überzeugt. Und wo zuvor noch ein raues Lachen aus seiner Kehle gedrungen war, mochte ihm der Ernst bereits neuerlich aus dem malträtierten Antlitz sprechen.

„Lady Idelia sang wie der Spatz vom Dach, Elorie.“ Es klang weder argwöhnisch noch vergrämt, hatte der schöne Rotschopf sein Vertrauen bereits inne. „Sie erzählte mir von Deinem Unglück, wenn es um potenzielle Ehemänner geht. Ein paar Zufälle zu viel, wenn Du mich fragst.“ Da die anderen Nordmänner dem Gespräch nicht mehr folgen konnten, wurde ihr Fokus in andere Richtungen gelenkt. „Wüsste ich es nicht besser, so würde ich der allgemeinen Meinung, Du seist verflucht, vielleicht sogar zustimmen. Im Augenblick aber bin ich der Überzeugung erlegen, dass wir jemanden finden müssen, der uns dahingehend ein wenig Licht ins Dunkel bringen kann.“ Kurze Pause, um des Grübelns Willen. „Und ich glaube auch schon zu wissen, wer in dieser Sache singen wird, hatte sie erst ihren Spaß mit einem waschechten Nordmann.“ Ränkespiele dürften Lady Edith nichts Fremdes sein und Boron war willens Stahl zu fressen, würde man diesem Weibsbild am Ende nicht doch noch die eine ohne andere Wahrheit entlocken können … natürlich nur, wenn man das Spiel zu ihren Gunsten spielte.

"Wovon sprecht ihr?" Irritation lag in den grünen Augen und mochte den Mann genauso verwirren. Elorie wirkte ehrlich, nach wie vor, hatte er seine Vermutungen so undeutlich formuliert oder wo lief der Hase lang?

"Welches Unglück?" Ihm mochte die Kinnlade herunterfallen. Odins Zorn sollte ihn beim Scheißen treffen, wäre das Mädchen eine brilliante Schauspielerin. Doch Elorie trug ihr Herz auf der Zunge, ebenso wie manchmal ihren Verstand. Die anderen Männer konnten spüren, dass die Situation hier gerade anders wurde und ihre Leichtigkeit verlor. Irgendetwas stimmte nicht. Die Blässe ihrer Haut stach auf einmal unnatürlich hervor.

"Was meint ihr damit...ich sei verflucht...." Sie machte tatsächlich einen Schritt zurück, unsicher werdend ob jener Worte, die allem Anschein nach niemals selbst an die Ohren der Adeligen gedrungen waren. Wie hatte man es nur geschafft, dass das Mädchen nichts von Alledem je mitbekam? Gerede hinter ihrem Rücken...kein Wort über die merkwürdigen Unfälle? Bei den Habings, bei den Grünländern allgemein stimmte irgendetwas ganz und gar nicht.

"Boron...was soll das bedeuten?" Elorie fühlte sich auf einmal nicht mehr wohl. Denn wenn sie genau nachdachte, dann würde diese Meinung ein paar Dinge erklären. Warum niemand mehr mit ihr sprechen wollte, warum viele Menschen sich von ihr abgewandt hatten. Aber sie war doch keine wichtige Person! Sie war nichts und niemand von herausragender Stellung, wer sollte einen Nutzen davon haben? Der Wein, bestimmt hatte ihr der Wein die Sinne genommen. Zwar nur ein Schluck, doch der musste gereicht haben! Heidenwein!

"Sagt mir was Lady Idelia Euch gesagt hat." Sie hatte stets ihrem Onkel vertraut, darauf gehört was Gustav ihr sagte. Sollte er gelogen haben? Das Brot und der Käse in ihrem Magen wollten hochkommen, doch Elorie kämpfte gegen das Unwohlsein an und sah zu Falla. Sie sollte direkt zu Idelia reiten, sie befragen. Boron hatte allerdings eine andere Idee, das hörte Elorie heraus und betrachtete den Mann unsicher.

"Nein." Sagte sie nach einem Moment des Überlegens und versuchte dem Blick des Diplomaten standzuhalten. "Ich möchte zu meinem Onkel. Ich möchte ihn fragen. Und nur ihn." Wieder glitt Elories Blick zu Falla. "Wir könnten jetzt zu ihm, sofort. Er muss es nicht erfahren und danach sind wir rechtzeitig zurück." Er war Kassander. Elorie würde sich gewiss seine Einwilligung einholen müssen, doch das bedeutete zurückzureiten und ein Gespräch zu führen, bei dessen Resultat sie befürchtete neues Blut für seine Axt zu sehen. Wenn Boron, sein Bruder, bei ihr war, zählte seine Stimme nicht? "Kommt Ihr mit mir?"

 

In der Tat mutete es seltsam an, stimmten die Munkeleien, die man in Bezug auf den Rotfuchs vermutlich zuhauf aufschnappte, hörte man nur genau hin, absolut nicht mit dem Weltbild ebendieser überein. Eines jedoch kristallisierte sich mehr und mehr heraus. Elorie war ein Spielball. Ein argloses Mädchen, das den gereichten Zucker, den man ihm tagtäglich zugesteckt hat, bereitwillig schluckte. Dies ohne jemals einen Gedanken darüber zu verschwänden, welche Schachfigur sie im perfiden Spiel um Politik tatsächlich darstellte. Man hatte das Mädchen in Schach gehalten, doch wie kam Gustav aufs Mal dazu dem ganzen zuwider zu handeln? Hatte er nicht genau das getan, als er unlängst im Heerlager aufgetaucht war, um seine Nichte zu verschachern? Und was wenn der Kopf der Habings genauso Ahnungslos war wie sein Mündel? Nichts, aber auch wirklich überhaupt nichts passte.

„Wir gehen nirgendwo hin“, antwortete Boron streng, denn wenngleich dieser den Segen seines Ziehbruders im Herzen trug, oder gerade weil dem so war, begann er nun an diesem Tag gewiss nicht damit gegen ihn zu arbeiten. Wie käme er dazu?

„Obendrein spricht das Gift des grünen Landes aus Dir, Weib!“ Zum ersten Mal klang der Narbengesichtige ungehalten, obschon auf eine faire, väterliche Weise. Väterlich traf es in dieser Sache auf den Punkt, so sprach er mit der Adelsgeborenen, wie er wohl das Wort gestreng auch an seine Töchter gerichtet hätte.

„Deine Ehe währt kaum einen Sonnenlauf und schon gedenkst Du zu hintergehen, was Dich bereitwillig in unsere Reihen aufgenommen hat. Glaubst Du er…“, mit Absicht nannte er Kassander nicht beim Namen, um den anwesenden Anderen keine Sekunde einen Durchblick in die Materie zu gestatten, „… wird es nicht als Fall in seinen Rücken ansehen? Es gibt Lügen und es gibt Lügen, Mädchen! Und wenn ich Dir über Deinen Mann eines mit Gewissheit sagen kann, dann das Dein Wille, schweigend gegen ihn zu halten, ihm alles andere als schmeicheln wird.“ Kurze Pause, diesmal aber um den Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen.

„Ich tu Dir einen Gefallen und vergesse die geplante Tücke. Und ich tu Dir einen zweiten Gefallen, indem ich Dich ins Heerlager zurückbringe. Die Gelegenheit, mit Deinem Oheim zu sprechen, wirst Du erhalten, doch wirst Du das Gespräch mit Gustav im Beisein Deines Mannes führen. Habe ich mich klar genug ausgedrückt?!“

Stille. Verwirrte Blicke, womöglich von Neugier durchtränkt, denn die anderen Barbaren hatten durch die fremde Zunge den Faden des Wesentlichen längst verloren. Diese außer Acht lassend, war es Boron der die Zügel der Stute einfing, um bedeutungsschwer in Richtung des Heerlagers zu nicken und loszumarschieren.

„Kassander gibt Dir jede nur erdenkliche Freiheit“, fügte der Narbige außer Hörweite jener Schwertbrüder an, die am Rastplatz zurückblieben und die Reste der Mahlzeit verspeisten. „Und wie ich meinen will hat er Dir bis hierhin keinen Grund geliefert, der Dich Glauben lassen könnte ohne ihn besser dran zu sein. Du musst aufhören wie ein Kopfloses Huhn im Kreis zu rennen!“ Es klang beschwichtigter, freundlicher, fast beschwörend! „Mir ist klar, dass das alles nicht nur neu, sondern gleichfalls verwirrend für Dich ist. Dennoch wird es Zeit Weitsicht walten zu lassen. Mit dem Kopf durch Wände zu preschen bringt höchstens noch mehr Lügen, während die Wahrheit mehr und mehr versiegt. Gibst Du mir dahingehend nicht wenigstens Recht?“

Kopfloses Huhn. Das traf wirklich gut auf die junge Frau zu. Aber wer konnte es ihr verdenken? Sie schien zum ersten Mal von mehreren potentiellen Ehemännern zu hören, von merkwürdigen Zufällen, von Tuscheleien über einen Fluch der auf ihr lasten sollte. War es ein Wunder, dass Elorie Klarheit wollte? Borons Worte trafen jedoch tief. Tief genug um sie innehalten zu lassen, um sie an Ort und Stelle zu behalten. Er klang, als habe sie Verrat an Kassander üben wollen, dabei war ihr Ansinnen nur den Barbaren mit solchen Kindereien nicht zu belästigen. Mehr lag nicht hinter ihrer Absicht und Elorie hatte das Gefühl den Sachverhalt klarstellen zu müssen, da der Diplomat in ihr mehr und mehr ein unreifes Kind zu sehen glaubte.

"Es war keine Tücke." Boron erkannte den Schimmer in ihren Augen, Unglück darüber welche Meinung er nun von ihr haben musste. Aber da lag auch Ernst in den Blicken und eine Wahrheit, welche sie ihm nun mitzuteilen gedachte. Denn er war der einzige Mensch in diesem Lager, der sie voll und ganz verstand.

"Es war weder Täuschung noch Verrat. Ich wollte ihn nur nicht mit meinen Wünschen belästigen." Elorie hatte gelernt, dass die meisten Menschen um sie herum wenig Interesse an ihren Belangen hatten. Bis auf ihre Eltern. Gustav hatte es einen feuchten Dreck geschert wenn sie ausreiten wollte, damit niemand sah wenn sie ihre Tränen auf dem Waldboden vergoss. Niemanden mit Nichtigkeiten zu belästigen, diese Tatsache war etwas, das sich eingebrannt hatte. Und das nun offenbar für Probleme sorgen sollte? Sie war froh, dass die anderen Nordmänner nichts von ihrem Gespräch mitbekamen.

"Wenn er mir jede erdenkliche Freiheit gibt, dann dürfte ich jetzt zu meinem Onkel." Wagte das Mädchen mutiger- oder dummerweise anzumerken. Wohl eher eine Trotzreaktion, weil sie sich gescholten vorkam.

"Er hat andere, wichtigere Dinge um die er sich kümmern muss. Er hat mich heute kaum beachtet. Wenn ich Königin werden soll, muss ich dann keine eigenen Entscheidungen treffen dürfen? Ich habe keinen Anlass gegeben mir zu misstrauen, noch habe ich Anlass gegeben, dass ich flüchten würde. Lady Idelia hat Euch offenbar Dinge anvertraut, die mein Ohr nie erreicht haben, die aber meine Person betreffen. Ist es nicht mein Rechtdem auf den Grund zu gehen?" Man könnte fast meinen die Rothaarige schmollte, doch dem war nicht so. Elorie gab eher ihre Gedanken preis, sie hätte auch allein auf weiter Flur sein können und vor sich hin geplappert. Zwischendurch wirkte das Mädchen reifer als ihr gut tat.

"Ich wollte Euch mit meinem Handeln nicht in Schwierigkeiten bringen, verzeiht." Ihr war elend zumute. Seine Standpauke hatte gesessen und lag wie ein Stein im Magen. Aber Borons Worte machten ihr wieder eine Sache mehr als deutlich. Sie war allein. Inmitten der ganzen Nordmenschen war sie trotzdem allein. Es würde sich mit der Zeit ändern, an dem Gedanken musste Elorie festhalten, doch noch war sie der Fremdling, ganz gleich wie viel Freundlichkeit man ihr entgegenbrachte. Vielleicht war das Mädchen deswegen bemüht schnell Anklang zu finden, doch die Hürden waren beschwerlich und es würde noch viele auf ihrem Weg liegen.

"Berichtet ihm nur davon. Er darf es ruhig wissen. Ich will nicht, dass Ihr etwas vor eurem Bruder verschweigen müsst." Der beste Weg war immer der, welcher geradeaus führte. Vielleicht lagen dort mehr Kieselsteine und die Füße schmerzten, doch er war am schnellsten überwunden. Daran wollte Elorie sich halten.

Boron schnaubte, was keinen sonderlich tiefen Einblick in seine Gedankenwelt zuließ. Der kleine Rotschopf mochte dem festen Glauben erlegen sein, unter Fremden alleine der Wege gehen zu müssen, doch dem war nicht so. Wer sollte das besser nachvollziehen können, als ein Mann, der selbst hat lernen müssen als Christ unter Heiden zu wandern?

„Ich verstehe Dich, Elorie“, floss es einlenkend von seinen Lippen, doch ließ er es nicht darauf beruhen. „Vielleicht besser als Du denkst.“ Bedeutungsschwer, doch vermutlich nicht einmal im Ansatz dazu in der Lage ihr die Schwere zu nehmen, die da mehr und mehr auf ihrem jungen Herzen zur Ruhe kam. „Allerdings musst Du lernen, was es bedeutet ein Teil dieses Volkes zu sein … ein Teil von Kassander … gleich wie mein Bruder erst lernen muss ein Part Deiner selbst zu werden. Das braucht Zeit!“ Viel Zeit, selbst das wusste der Haudegen nur zu gut.

„Die Wahrheit ist, dass wir im Augenblick allesamt im Trüben fischen. Sei es nun, was den Bund zwischen Dir und Kassander angeht oder aber wenn es um die Frage geht, welche Mysterien sich tatsächlich um Deine Person ranken. Zu viele Fragen und keine Antworten. Das ist es, was an Dir nagt und selbst das kann ich besser nachvollziehen, als Du glauben magst.“ Boron wiederholte sich, immer und immer wieder, doch ein jedes Mal mit massig Geduld in den Knochen. „Und dabei verlierst Du das Wesentliche aus den Augen. Kleine Wichtigkeiten wie die Freude darüber, heute so manches Wort aufgeschnappt zu haben, oder aber … frei zu sein! Freier als jemals zuvor in Deinem jungen Leben, denn hier gibt es keinen goldenen Käfig in den man Dich zu sperren gedenkt.“ Auch wenn es manchmal vielleicht gar nicht so unklug war die metaphorischen Zügel dieses Mädchens in die Hand zu nehmen. Elorie brauchte Führung! Und wer wäre der narbenversehrte Hüne, würde er ihr nicht als Mentor dienen wollen?

„Die Sache mit Lügen und Unwahrheiten ist simpel, Elorie, sie finden immer den Weg ans Licht. Manchmal auf Umwegen, aber mit der Zeit wird eine jede Lüge von der Wahrheit eingeholt.“ Ob die Adlige verstand, auf was ihr robustes Gegenüber hinauswollte? „Abgesehen davon solltest Du insbesondere jetzt nicht zurück, sondern vorwärts sehen. Du magst den Eindruck haben, aus dem Interessensfeld Deines Mannes geraten zu sein, was aber hast Du getan, um ihm eine Hand zu reichen?“ Kein Vorwurf, was seiner gutgemeinten Stimmklangfarbe durchaus zu entnehmen war, umso mehr aber ein Denkanstoß. „Hast Du ihn gefragt, ob er Dich in die Wälder begleitet?“ Was im Grunde nicht das Wesentliche war, den Sinn aller Dinge jedoch untermauern konnte. Kassander hatte ihr neue, wundersame Wege geebnet und Elorie würde lernen müssen nun ihm die Hand zu reichen, auf das er sich mehr und mehr auf die junge Frau einlassen konnte. Ein geben und ein nehmen, man musste es nur wagen auf diesem dünnen Drahtseil Fuß zu fassen.

„Dein Mann meint es gut mit Dir, er hat nur verlernt die Welt mit den Augen eines Menschen zu sehen … nicht aus dem Blickwinkel eines Kriegsherrn. Du aber, Mädchen, hast die Macht ihn wieder auf den richtigen Weg zu führen – das aber setzt voraus seine ungenannten Bedürfnisse mit Deinen gleichzusetzen. Geben und nehmen, die einfachste Dualität! Und denke nicht, dass ihm Deine Wünsche belanglos sind. Wie soll er sich überhaupt eine Meinung bilden, wo Du vorweg davon ausgehst er könne Banalität darin erkennen?“ Eine rhetorische Frage. Weitere Denkanstöße, mit dem Ziel die beiden auf einen Nenner zu bringen. „Sicher bist Du frei und hast das Recht Deinen Oheim aufzusuchen. Du besitzt aber gleichermaßen die Freiheit die neusten Fakten erst einmal zu verdauen, ins Heerlager zurückzukehren und Zeit mit Deinem Mann zu verbringen.“ Das war die Schwierigkeit mit zu viel Freiheit, man war fortan dazu verdammt eine eigene Wahl zu treffen. „Du bist nicht allein, Mädchen… Du denkst lediglich es zu sein, weil es für Dich normal geworden ist.“

 

Boron hatte leider mit vielen Dingen recht. Dadurch, dass er Elories Situation wohl als Einziger gut nachvollziehen konnte, gelang es dem Mann überdies ihren Kopf wieder geradezurücken. Vielleicht hatte es dem jungen Ding auch gutgetan, sich ein paar Worte von der Seele zu reden, auf dass diese etwas weniger schwer wog.

"Ich bin andere Männer als ihn gewohnt." Gab das Mädchen zu und sah dabei offen zum Diplomaten. "Jene, die man in Ruhe lässt, wenn sie sich zurückziehen. Aber ich werde mir Euer Gesagtes zu Herzen nehmen", versprach Elorie, nickte und ging eine Weile schweigender neben Boron her. Auf einmal begann sie jedoch wieder zu lächeln.

"Ich schätze ihr seht Lady Edith als einen reifen, saftigen Apill an, hm?" Erkundigte sie sich aus heiterem Himmel, verband damit die Freude über ein gelerntes Wort mit der Tatsache, dass sie zuvor sehr gut zugehört hatte. Wen sonst sollte Boron meinen? Wer sonst sollte wegen des Nordmanns singen? Ihr waren die Blicke nicht entgangen, auch wenn niemand dies bemerkt hatte. Elories Frage diente darüber hinaus als eine Art Wiedergutmachung, als Stimmungsaufheller, denn wenn der narbenversehrte Diplomar Recht besaß und sie ihren Gemahl so falsch einschätzte, dann gab es wirklich Hoffnung. Für beide.

Boron schwieg über Elories Gabe die richtigen Schlüsse zu ziehen, lächelte allerdings so frivol wie vielsagend. Lady Edith durch die Laken zu scheuchen wäre mit allumfassender Gewissheit nicht die unangenehmste Interaktion, um seinen Teil zum Wesentlichen beizutragen. Mit ihrem wohlgeformten Körper, den vollen Lippen und dem lasziven Schlafzimmerblick war das Weib alles andere als unattraktiv, ungeachtet dessen, dass ihr Innerstes womöglich jedwede äußerliche Schönheit zunichtemachen konnte. Man würde sehen. Eines war allerdings durchaus klar, denn man musste ihre Charakterbeschaffenheit keinesfalls mögen, um sich an ihr die ausgeprägte Männergier zu stillen.

"Darf ich Euch um einen Gefallen bitten? Würdet Ihr Falla wieder zu ihrem Unterstand bringen? Was heißt bitte in der Sprache des Nordens?" Fügte Elorie noch an und nachdem Boron ihrem Wunsch nachgekommen war, fiel der jungen Frau noch mehr ein. "Ich möchte Eure Gedanken kennen. Sagt Ihr mir auch, wie das ausgesprochen wird?"

Auf ein Neues zeigte sich der Narbenversehrte geduldig. Ein weiteres Mal wurde der Wissensdurst ihrer Ladyschaft gestillt und als Übersetzer gedient, bevor es nun an ihm war die treue Stute zurück zu den Stallungen zu führen. Nichts was dem hochgewachsenen Haudegen zuwider war. Boron war zufrieden mit dem Gesprächsverlauf, damit Elorie dabei beobachten zu können, wie sie entgegen ihres Tatendrangs die eigenen Schritte gen Hauptzelt lenkte, um darin zu verschwinden. Es kam gewiss noch öfter vor, dass er die voranischen Edeldame wieder auf den richtigen Pfad ansetzen musste, sie hatte noch viel zu lernen.

 

Kassander brütete noch immer über den Karten, aber die Götter hatten kein Einsehen mit ihm. Es gab keinerlei Erkenntnis, nicht einmal den Funken einer Idee. Allerdings hatte er die Frage, aus welchen Gründen Voranien für den König so unglaublich wichtig war, gedanklich bereits abgelegt. Die Zeit würde dies Mysterium irgendwann ganz von selbst lüften. Bis dahin war es von großer Wichtigkeit auf jedwede Eventualität vorbereitet zu sein. Und Eventualitäten, die es für einen Mann wie den Schlächter zu überdenken galt, gab es freilich reichlich!

Ob er überhaupt hörte, dass sein Weib wieder in seiner Nähe stand? Elorie hatte sich fast unbewusst angeschlichen, möglicherweise um den Eisprinzen bei seinem Tun ein wenig beobachten zu können. Ihr Blick fuhr dabei an seinem Körper entlang, wenn er seinen Kopf drehte würde Kassander sie dabei regelrecht ertappen können. Sobald der Barbar ihre Anwesenheit registrierte schenkte Elorie ihm ein kurzes Lächeln und formulierte dann den Satz, den Boron ihr übersetzt hatte. Dabei deutete sie auf die Karten vor seiner Nase, zum Schluss aber auch auf sich selbst, auf ihre Brust, ihr Herz. Er musste sich nicht jetzt mitteilen, es war eher ein Zugeständnis der jungen Frau an ihn. Sie wollte ihr Interesse wachsen lassen, nicht nur ein Weib an seiner Seite sein, denn dann hätten die Götter dem Schlächter nicht eine Christin gesandt.

Fürwahr bemerkte dieser sein nahendes Weib nicht auf Anhieb, nahm die Gunst der Stunde, sich von seinen brütenden Gedanken fortlocken zu lassen, allerdings nur zu gerne wahr, als sein Blick aus aschgrauen Iriden letztlich doch noch von den Pergamenten hoch in ihre Richtung glitt. Sie hatte ihn beobachtet, ausgesprochen was ihr da wohl schwirrend durchs aufgepeitschte Gedankengut huschte, und seitens ihres Gatten, der sich aus seiner gebeugten Haltung in einen geraden Stand bugsierte, ein verstehendes nicken geerntet. Seine Gedanken sollten die ihren sein, Wahrheit um Wahrheit, doch nicht sofort. Der Tag war noch relativ jung und der Königssohn, auch wenn es ihm oftmals nicht leichtfiel, durchaus willens die Fronten der eigenen Prioritäten zu verschieben.

"Boron ist wieder da", fügte das Mädchen zum Ende hin noch an, er würde es bestimmt wissen wollen. Langsam kam Elorie näher zum Tisch und sah auf die Karten. Eine davon kam ihr bekannt vor.

"Voranien." Entwich es den Lippen und ihr Finger sah sich gezwungen die Ländergrenzen einmal abzufahren. "Heimat", Fügte sie hinzu, ehe die grünen Augen sein Gesicht aufsuchten. "Kassanders Heimat...wo?" Um es ihm einfacher zu machen deutete das Mädchen hierhin, dorthin und zuckte mit den Schultern, damit der Mann besser verstand worauf sie hinauswollte. "Ainm. Elorie Voranien. Kassander...?" Begriff er so eher? Sie wollte mehr von ihm wissen. Mehr von dem Mann, nicht von dem Krieger. Am Besten sie fingen auch sofort damit an, Borons Gehirnwäsche war gründlich gewesen. Nein. Er hatte einfach Recht. Kassander würde von nun an ihr Anker in dieser Welt sein und sie? Der Seine.

Aufmerksam lauschte der Eisprinz ihren Worten, betrachtete die Wanderung ihres Zeigefingers und mochte einmal mehr die nötigen Schlüsse ziehen können. Nur einen Schritt bedurfte es, um letztlich – wie bereits ein paarmal zuvor – hinter der lieblichen Schönheit zum Stillstand zu kommen. Kassander beugte sich vor, nicht gar, um das Mädchen einnehmend in die Arme zu schließen, sondern um das Wesentliche mit dem Nützlichen in Einklang zu bringen. Ganz gleich wie sehr er sich innerlich noch dagegen sträubte, die Tatsache, dass ihm die Nähe seiner frischanvertrauten Ehefrau durchaus zusagte, war keinesfalls ausblendbar. Mit der Rechten schob der gestählte Heerführer die Karte Voraniens zu Seite, gleich wie manch anderes Pergament, um einen weitaus detailreicheren Plan zutage zu befördern. Die Karte zeigte nicht lediglich die Geographie des grünen Landes und das Meer, von dem es nordwärts flankiert war, sondern gleich drei Kontinente, die wiederum durch mehrere eingezeichnete Seepassagen miteinander in Verbindung standen.

Am einfachsten erschien es Kassander seiner Anvertrauten jenen Weg preiszugeben, den es zu gehen galt, um letztlich hier das Lager aufschlagen zu können. Sein warmer Atem brandete seitlich gegen die feine Neigung ihres Halses, als er seine Schwerthand auf die ihre legte, um den ihren filigranen Zeigefinger zu ebenjenem Punk zu führen, auf dem man sich derzeit befand. Dann führte er sie, vorbei an den Grenzen Kasselans und durch ungezählte kleinere Ländereien bis hin zu einer unbedeutenden Küstenregion im Norden des grünen Landes, die mit dem Namen Klagenklippe beschriftet war. Erst dann fuhr ihr Finger, vom nordischen Schlächter geführt, eine lange Weile übers Meer.

„Thàinig sinn le bàtaichean.“ Wir sind mit Booten gekommen, erklärte er geduldig, nur um Elorie in aller Beiläufigkeit einen Kuss auf die Wange zu platzieren. „Bàtaichean…“, kurz suchte der Schlächter gedanklich nach dem richtigen Wort und wurde fündig, „…Boote.“

Dann erreichte der geführte Finger die südlichsten Fjorde des unvergänglichen Reiches; dem riesenhaften Kontinent, über den der Rotschopf an der Seite ihres Mannes eines Tages herrschen würde. „Heimat“.

Was der Barbar unbestreitbar beherrschte, war die Gabe ihr mit seiner unmittelbaren Nähe immer wieder Wärme in den Körper zu schicken. Auch jetzt, wo der Mann hinter ihr stand und sie seinen eigenen Geruch mehr als deutlich wahrnahm. Ob er es wusste? Ob ihm diese Tatsache gefiel? In jedem Fall nutzte Kassander den Umstand aus und sah zum Glück nicht, dass Elorie für einen Moment die Augen schloss, als sein Atem ihren Hals kitzelte. Sobald aber seine Hand die ihre führte, erkannte man wieder die Unterschiede. Die Ihre versank fast in der seinen, war hell und zart, während sich die des Schlächters rauer anfühlte und dunkler blieb. Elorie sträubte sich nicht gegen die Berührung, sie versuchte jedoch ihre Sinne von seinem Körper zu lösen und sich auf die Karte zu konzentrieren, auf die verschiedenen Länder und Gegebenheiten. Was Kassander ihr auf seine eigene Art und Weise da mitteilte, verstand das Mädchen ohne Worte und hielt ihr Augenmerk trotz des Kusses auf den nachgefahrenen Weg gerichtet. Dahin würde sie also mit ihm gehen müssen? Aber wann? Blieben sie noch hier, damit er und seine Männer noch viele Priester umbringen konnten? Wenn ja, dann musste sie das verhindern. Oder ihn zumindest umstimmen keine Kirche mehr zu überfallen. Es lag allein in ihrer Hand, vielleicht war das auch der Grund, weswegen ihr Gott den Heiden geschickt hatte. Allein um sie und ihren Glauben zu prüfen und zu stärken.

"Wann?" Kam die Frage über ihre Lippen. "Wann Heimat? Elorie und Kassander Bàtaichean nach Heimat." Es war nicht so, dass das Mädchen gerne von hier weg wollte, aber wenn ihr eigenes Wohl gegen das von vielen Gottesmännern stand, dann war sie bereit aufzubrechen.

Ob der Frage hob und senkte der Heide die breiten Schultern, konnte er es ihr zu diesem Zeitpunkt einfach noch nicht sagen. Nicht das Kreuz fiel hierbei ins Gewicht, sondern die Verhandlungen mit dem König; das Leben ihrer Eltern, denn ein Kriegserprobter wusste darum, wie lange sich derlei Zwistigkeiten dahinziehen konnten. Kassander vermutete stark, dass es ihnen vom Herrscher dieses Landes ohnehin nicht allzu leicht gemacht wurde.

Die Hand entzog sich der seinen und der Rotschopf wandte sich am Tisch herum, um ihn anzusehen. Ein Fehler wie sie sofort bemerkte. Nun war sie der muskulösen Brust und seinem Gesicht gefährlich nahe. Als Elorie sich seiner unbestreitbaren Präsenz wieder bewusst wurde versuchte sie den Blick von seinen Augen zu lösen, doch das wollte nicht gelingen. Also musste sie wieder sprechen um sich abzulenken.

"Odinstag. Wann?" Sie hatte nicht vergessen, dass an diesem Tag die Heirat vor seinen Göttern stattfinden sollte, mehr als nur eine Unterschrift, soviel war gewiss. Der voranische Rotfuchs fühlte jedoch, dass es besser wäre sich darauf vorzubereiten. Boron musste ihr helfen. Oder die liebevolle, freundliche Aslaug.

Um ihm die Chance einer verständlichen Antwort zu geben hob die junge Adelige ihre Finger, zeigte abwechselnd einen, zwei oder drei damit er ihr so die Tage anzeigen konnte. Diese Verständigung funktionierte bisweilen besser als gedacht.

Der Schlächter hob die Hand und deutete auf den ersten ausgestreckten Finger.

„Amàireach thèid sinn gu Gustav“ Morgen gehen wir zu Gustav, erklärte er langsam. „Amàireach“ Ein bedeutungsschweres kreisen mit dem Zeigefinger, womit Kassander den Lauf der Sonne imitierte, musste als Übersetzung reichen. Er gedachte den Oheim seines Weibes noch einmal in die Mangel zu nehmen. Wer, wenn nicht dieser fleischige Lügenbold, sollte ihnen in mancher Sache Rede und Antwort stehen können? Rede und Antwort stehen müssen! Gustav war kein ehrlicher Mann, dies hatte er vor knapp zwei Tagen überdeutlich unter Beweis gestellt. Und wer mochte dadurch nicht der Vermutung erliegen, dass ebendieser über manche Dinge einfach geschwiegen hat, um die liebe Nichte so schnell wie möglich unter die Haube zu bekommen? Zuzutrauen wäre es diesem ranzigen Ziegenschiss von Edelmann allemal und der Eisprinz war gewillt den sämtlichen Stahl seiner Männer zu fressen, würde der morgige Sonnenlauf keine wissenswerten Neuigkeiten zutage befördern.

Sobald Elorie den Namen ihres Onkels hörte wirkte das Mädchen verwundert. Und im Anschluss direkt nachdenklich. Immerhin war sie bei den ersten Verhandlungen nicht dabei gewesen und konnte daher keineswegs sagen, ob Kassander und ihr Onkel nicht noch irgendeine andere Art Vereinbarung getroffen hatten. Sie würde abwarten müssen, aber das eigene Gefühl riet dem Mädchen, dem Nordmann mehr zu vertrauen als ihrem eigenen Blut. Nur wollte sie nicht, dass Gustav etwas geschah. Sie hatte Balders Tod noch so lebhaft in Erinnerung, dass sie selbst mit geschlossenen Augen dessen abgetrennten Kopf sehen konnte.

"Ich möchte mit Euch gehen. Zu Gustav. Elorie und Kassander. Zusammen." Die Adelige hoffte er verstand, denn wenn nicht musste sie Borons Dienste wieder in Anspruch nehmen, doch fürs Erste blieb sie gerne mit dem Nordmann allein und dieser nickte zu ihrem Glück einlenkend.

Kein einziges Wort bisher zu Borons Fragen oder Idelias Plauderei. Sie schwieg lieber, denn es gab andere Momente, in denen sie mit ihm darüber sprechen konnte. Momente, in denen der Hüne ihr nicht so nahe war, dass seine Hitze spürbar an ihre Haut drang. Um zu fühlen, ob dies stimmte oder ob sie sich täuschte, hob Elorie die Hand und legte diese an seine Wange, nur kurz, als habe sie sich nicht mehr beherrschen können. Dann zog sie die Finger rasch wieder zurück, ein verlegenes Lächeln blieb jedoch aus, sie schien vielmehr auf eine Art und Weise fasziniert.

"Warm", formulierte Elorie schlicht.

 

Letztlich deutete der Wildling auf den zweiten ausgestreckten Finger und sprach: „Odinstag.“ Weshalb ihm diese Frage gestellt worden ist, lag auf der Hand. Einem konnte man sich in dieser Sache wiederum sicher sein – so lieblos, wie der Ehebund unter den Christen vollführt wurde, würde es in den Reihen der Nordmänner nicht zugehen. Eine Hochzeit war ein Feiergrund, gleich ob diese nun in der eigenen Heimat oder aber in einem Heerlager zelebriert wurde. Einerlei. Selbst dann, wenn er ihr über die verschiedenen Gepflogenheiten, welche es in dieser Sache einzuhalten galt, hätte berichten können, verlor es samt und sonders durch ihre Berührung an Belang. Wie nur, konnte er ihr bereits so sehr verfallen sein? Die Götter, was er willens zu glauben war, meinten es in Bezug auf seine Anvertraute offenbar gut mit ihm.

Zeit das Mädchen aufs Neue aus der Komfortzone zu locken, wenngleich der Tag an sich noch einige Arbeit mit sich bringen wollte. Sie hatte freiwillig die seine Nähe gesucht und wer wäre er, würde er den hübschen Rotschopf dafür nicht belohnen wollen? Ein netter Antrieb, zweifelsfrei, wäre dieser von massigem Eigennutz nicht minimal geschmälert worden. Vorsichtig, als hätte man das Weib aus Glas geschaffen, legte er die rauen Fingerspitzen der Schwerthand unter ihr Kinn, um in ein und derselben fließenden Bewegung den Kopf neigen. Seine Lippen trafen auf die ihren weichen, bevor die Adelsdame länger als nötig darüber hätte nachdenken können. Ohnehin gab es für sie keinerlei Fluchtmöglichkeiten, weder rückwärts noch seitlich, war das schöne Weib zwischen Tisch und gestähltem Männerkörper gefangen.

Elorie erstarrte förmlich unter dem Kuss. Ihre Lippen blieben bei ihm, an ihm, doch ihr Leib schien tatsächlich eine Art Flucht anstreben zu wollen. Dichter drängte sie sich an den Tisch, aber nur der Überraschung geschuldet. Sobald Kassander ihren Mund wieder freigab spürte er sofort den schnell gehenden, warmen Atem seines Weibes gegen sein Kinn strömen. Das Grün ihrer Augen schimmerte, während das Rot ihrer Lippen umso voller schien. Ihr Herz pochte rasend gegen den Brustkorb, hob und senkte die Brüste verlockend. Und all das gehörte bereits ihm.

„Berühren Kassander“, raunte er an ihr feingeschwungenes Lippenpaar, ehe ein deutlich schelmisches Lächeln an seinen Mundwinkeln zupfte. Dass sich derlei Aufforderungen in der Sprache des Grünlandes wohl am ehesten bei ihm einprägten, war wohl nur zu verständlich.

"Nein", entkam es Elories Mund aber urplötzlich und gehaucht. Die Ablehnung spiegelte weniger Abscheu oder Ekel wider, vielmehr wollte die junge Frau sich gegen jene aufkommende Bedürfnisse wehren, die ihr Körper unverkennbar besaß und die der Nordmann in der vergangenen Nacht angestoßen hatte. Wenn sein Gehör also dem eines Jägers gleichkam, so hörte der Heidenprinz die feinen Nuancen heraus. Allein das Hauchen verriet ihm mehr über ihren Leib, als der Rotfuchs wollte. Kassanders Mühen hatten sich gelohnt und statt eines angsterfüllten Mädchens hatte er jemanden vor sich, der sehr wohl sehnsüchtig wirkte, diese Emotionen aber immer noch nicht wirklich zuordnen oder gar verarbeiten konnte. Er hätte alles für sie sein müssen! Jemand den sie verachtete, weil er einen anderen Glauben trug, weil er ihre Sprache nicht sprach, doch da gab es einen wenig rationalen Gedanken, der all das von sich wies und dafür sorgte, dass trotz des Neins von ihren Lippen ihr Kopf mit einem Mal wieder an seiner Brust lag. Die Stirn gebettet an seinen Hals hielt Elorie die Augen geschlossen.

"Nein", flüsterte das Mädchen, nun gewiss das Gegenteil meinend und der Prinz des unvergänglichen Reichs spürte zu seiner Überraschung einen Kuss auf den Hemdstoff niedersinken, bevor die Hände der jungen Frau dazukamen, behutsam, langsam an seinen Rücken gelegt. Sie umarmte ihn tatsächlich und das aus freien Stücken. Auch durch den Stoff spürte sie die Muskeln und deren feines Spiel, wann immer der Heide sich bewegte. Edith würde behaupten sie habe ein wahres Prachtexemplar von Mann vor sich, aber jene wüsste auch sofort, was sie mit dem Nordmann anstellen konnte. Elorie war verhaltener, ihr Körper flüsterte was er wollte, doch noch überwog Scheu und Unsicherheit unbestreitbare Neugier.

 

Wie so oft zuvor war die voranische Schönheit schwierig einzuschätzen. Allem voran aber mutete es keinesfalls leicht an ihr die eigenen Bedürfnisse unterzuordnen. Es war mitnichten so, dass dem Sohn Rolands danach wäre ihren jungen Leib zu seinen Gunsten gefügig zu machen; sie um die eigene Achse zu drehen, auf den mit gestapelten Karten versehenen Tisch zu drängen, die Röcke zu lüften und nach guter, nordischer Gepflogenheit ihre Furche zu pflügen. All das, ihre Ladyschaft sollte sich darüber besser im Klaren sein, würde mit der Zeit noch auf sie zukommen. Kassander konnte wild sein, ungestüm und darauf aus sich an ihr auszutoben. Im Moment, und genau diesen Fokus hielt sich der Mann stets und ständig vor Augen, wäre es der Sache allerdings alles andere als zuträglich. Abgesehen davon mochte er ihre innere Zerrissenheit in Bezug auf die körperliche Liebe, während ein kleiner, vager Teil seiner selbst der Hoffnung erlag, ebendiese Schüchternheit noch eine lange Weile an ihr beobachten zu dürfen. Er selbst hatte erst durch Sora die Erkenntnis erlangt, dass die Gier höchst selbst ein doch recht wertvolles Gut war; dass es mehrere Möglichkeiten gab die Sinneslust auszuleben, wenngleich in ihm oftmals zu viel Barbar wohnte, als das er die Lust an sich bei jedem Akt wirklich genießen und ausleben wollte. Heute jedenfalls schien ihm Eile ein Fremdwort zu sein. Es gab keine Wichtigkeiten mehr, die sich nicht auf eine spätere Stunde verschieben liessen.

„Kassander berühren Elorie“, raunte der gestählte Wildling in seiner dunkelstirnigen Stimmklangfarbe, kaum willens ihr gehauchtes Nein zu akzeptieren, wo ihr lieblicher Körper dem Ganzen ohnehin zuwiderhandelte. Seine rauen Hände, die die Hände eines Mörders waren, mochten sanft aber bestimmend sein. Selbstbewusst und wegweisend legten sich diese auf die hübschen Globen ihres Hinterns und schoben sich bedächtig empor, ehe Kassander einen minimalen Schritt rückwärts machte.

Er hatte Macht über sie. Nicht jene, die Frauen dazu zwang Dinge zu tun, die sie nicht wollten. Nicht jene Macht, die Kriegsherrn über ihre Beute hatten. Diese Macht war sehr viel schlimmer, denn sie war zwischenmenschlich. Kassander besaß die Fähigkeit, allein durch seine Aura fesselnd zu sein. Elorie musste nur seinen Blick erkennen, um sich nicht mehr rühren zu können. Nicht mehr rühren zu wollen. Ein Wolf der seine Beute fixierte war nichts Anderes, doch begab man sich unter manchen Umständen gerne in seine Fänge. So wie auch jetzt. Elorie war gewillt den Atem anzuhalten als jenes dunkle Raunen über seine Lippen kam. Schlimmer noch, dass ihr Leib sich nur noch enger an ihn schmiegen wollte. Sie lief nicht weg als seine Hände begannen über ihren Körper zu fahren, sich an ihren Hintern wagten.

„Elorie vertrauen Kassander.“ Was nach einem rauen Befehl klang, war grundsätzlich anders gedacht. Er hielt sie nicht fest, gab ihr sogar die Möglichkeit dem seinen Willen zu entgehen, doch blieb sie durch das aschgrau seines Blickes regelrecht fixiert. Niemand würde es wagen die beiden zu stören. Wäre die Gunst der Stunde, sein schönes Weib aufs Neue aus den Kleidern zu schälen, nicht bestens gewählt? Genau das sollte geschehen. Kundige Finger machten sich an den Schnüren ihres Kleides zu schaffen, woraufhin der edle Stoff an ihr hernieder zu Boden glitt. Ein Anblick, den der Schlächter wohl immer wieder genießen konnte, wenngleich es ihm um den eigenen Genuss im Moment nur zweitrangig ging.

Elorie würde sich in ihrer Gier finden müssen, doch um dazu fähig zu sein, würde das Mädchen wohl erst in Erfahrung bringen müssen, wie gut einem die Lust tun konnte. Unvermittelt hob er sein Weib auf die Arme, verwehrte ihr die Möglichkeit es ihm gleichzutun und den Gatten um den Stoff an seinem Leib zu berauben.

Die junge Frau hielt still, so still wie man mit deutlich klopfendem Herzen eben noch sein konnte. Auch als seine Finger die Schnürung ihres Kleides gelöst hatten, begegnete dem Barbaren keine Zwischenwehr, aber sie sah den Nordmann unentwegt an, kaum lesbar was in ihrem Kopf vorgehen mochte. Angst stellte sich jedoch nicht ein, nur das Ungewisse spukte in jeder einzelnen Zelle ihres Körpers. Sobald er sie allerdings hochhob schien das Schicksal sowieso besiegelt. Für Elorie stand fest, dass geschehen würde was am Wasserfall war. Er würde sich ein weiteres Mal zwischen ihre Schenkel legen und tun was er sich so teuer erkauft hatte.

Fürs Erste stand sie in der Gunst des Barbaren, der die filigrane Schönheit wiederum behutsam auf den Fellen ihrer beider Schlafstatt niederlegte. Ein Schauder durchzog ihren Leib. Sofort zeigte sich die Gänsehaut auf dem jungen Körper und auch die Aufregung würde Kassander sehen können. Vielleicht sollte er sich Zeit nehmen das Bild einen Moment eingehender zu betrachten, sich jenen Anblick einzuverleiben der ihm, so er denn wollte, jeden Abend aufs Neue beschert werden konnte: Die unverhüllte, rothaarige Adelige mit der blassen Haut auf den dunklen Fellen.

Nicht lange und er lag bei ihr, neben ihr und mit dem aufmerksamen Blick auf ihrem Antlitz, während seine Hände ohne zu zögern neue Impulse durch ihren wohlgeformten Körper sendeten. Beherzt griff er zu, grub die rauen Kuppen seiner Finger ins weiche Fleisch ihrer Brüste, ließ sie hernach allerdings nicht hernieder sondern empor gleiten; über die liebliche Knospe ihres Busens, das zarte Schlüsselbein, die Neigung ihres Halses, die Wange.

Ihr Leib reagierte, als habe er bereits sein ganzes Leben lang auf diese Berührungen gewartet. Elorie war ruhig, leise nahezu, doch ihr Körper umso lebendiger und lebhafter. Als strecke sich den Fingerspitzen jegliches Wohlwollen entgegen, war ihre Haut ein eigenes Lebewesen, welches erbebte unter jeder ausgeführter Zärtlichkeit. Eins stand jetzt schon fest, Elorie war sinnlich ohne es überhaupt zu wollen. Es bedurfte keinerlei Anstrengung seitens der jungen Adeligen, um diesen Eindruck zu vermitteln.

„Dùin do shùilean“, flüsterte Kassander rau, während sich seine Hand, um wortlos für eine Übersetzung zu sorgen, über ihre Augen legte. Sie musste lernen zu fühlen, unter der Führung ihres Mannes in kalte Gewässer zu springen, sich fern der aufkeimenden Gedankenstürme in der Lust zu finden. Er würde ihr dabei helfen.

Sie ließ ihren Leib sprechen, mehr noch als sie den Mund zu jenem Zeitpunkt öffnete als der Mann ihr die Augen verschloss. Es war verlockend zu sehen, brachte den Gedanken auf mehr mit den weichen Lippen oberhalb anzustellen, vielleicht den Daumen über diese streifen zu lassen, ihn sogar leicht hineinzulegen, ihre Zunge zu berühren, um sie auf andere Genüsse vorzubereiten. Jede Faser ihres Körpers war empfindsam und seine Berührung schenkte der jungen Frau Emotionen, die jene noch nicht kannte.

"Kassander", kam es für den Moment eigener Schwäche über ihre Lippen, leise, gehaucht, mit dem flehenden Klang dass er nicht aufhören sollte sie zu berühren. Sie kam sich schäbig vor, dass ausgerechnet ein Heide derartige Wünsche in ihr auslöste. Ein Mann der Priester geschlachtet hatte, doch sie konnte sich seiner Präsenz nicht entziehen. Und wollte dies auch nicht. Mit geschlossenen Augen tasteten ihre Finger nach dem Leinenstoff neben ihr, nur um zu fühlen, dass er noch dort war. Welcher Mann ihres Landes war dazu fähig? Sie konnte niemanden benennen. Niemanden der ihm gleichkam in diesem Moment. Die Hand wanderte hoch zu seinem Hals, behutsam über die Haut streifend um weiterzumachen, sein Kinn hinauf und Zeige- und Mittelfinger striffen seine Unterlippe. Um zu wissen ob es ihm genauso erging wie ihr.

"Dùin do shùilean..." wiederholte das Mädchen gehaucht. Bloß um sich das wohlklingende Raunen seiner Stimme in Erinnerung zu rufen, nicht um ihn aufzufordern. Worte die sie ganz gewiss nie vergessen würde.

 

Ein sinnliches Mädchen, frei der Zweifel, was wiederum eine Tatsache darstellte, die Kassander äußerst zufrieden stimmte, während die rauen Kuppen seiner Schwerthand über die weiche, warme Haut ihrer Lippen strich. In der Tat nahm er sich Zeit, um insgeheim zu bewundern, was ihm da von den Göttern höchst selbst an die Seite gestellt worden ist. Sie, die seinen Namen aussprach, als gäbe es auf dieser Welt kein schöneres Wort, kein wichtigeres, unausgesprochenes Gesetz. War es nicht das, was er nach Soras grausamem Ableben so sehr vermisst hat? Das Wissen darum gebraucht zu werden? Das Wissen darum begehrt und geehrt zu werden? Nicht gar von einem Heer und nicht von einem Volk, über das er in Zukunft würde seine schützende Hand legen müssen. Ein Gedanke, der dem Schlächter von Galgenfels ein leises, schier unwirsches Schnauben abverlangte. Womöglich ein Gedanke, welcher der sonst so rohe Nordmann innert solch kurzer Zeit auch gar nicht auf sich hat zukommen sehen, denn bedeutete es nicht ein Stück weit zu vergessen, was einst gewesen ist? Ebendiesen Zorn, der ihn gepaart mit den Befehlen seines Vaters erst ins Grüne Land geführt hat, mindestens im Ansatz ruhen zu lassen?

Einerlei! Manches, so wusste Kassander mittlerweile nur zu gut, sollte und musste zur Ruhe kommen. Und wie sollte es einem Mann besser gelingen, seine eigene Gedankenwelt zum Schweigen zu bringen, wenn nicht im Beisein einer schönen Frau, deren Körper so viel mehr über ihr Wesen offenbaren wollte, als es ihr feingeschwungenes Lippenpaar jemals hätte tun können? Nur zu gern beugte er sich über sie. Nur zu gern küsste er das Mädchen, weder stürmisch noch überfordernd, aber mit der Gewissheit sein eigen Weib aufs Neue in Richtungen gelenkt zu haben, von denen es in diesem Augenblick keine Wiederkehr gab.

Sein Kuss kam schnell und verschloss ihren Mund zur Gänze. Elorie war nicht darauf vorbereitet und vielleicht war das ihr Glück. Denn so blieb der Verstand ein paar Sekunden zurück und sie gab sich dem aufkommenden Reiz ohne nachzudenken hin. Ihre Lippen fühlten sich genauso weich an wie zuvor, aber dieses Mal wurde die Berührung erwidert. Zaghaft noch, aber spürbar für den Schlächter, der sogar ihre Zungenspitze fühlte. Ein unbeholfenes Stupsen gegen seine Unterlippe, ein Zeichen dafür, dass sie ihn keineswegs abwehren wollte. Oder konnte.

Elorie gehörte ihm und der Königssohn verstand sich darauf ihr dies nicht mit Worten, sondern mit Gesten verständlich zu machen. Und die Bedenken verblassten, je inniger der Schlächter mit den Sinnen seiner Anvertrauten zu spielen begann; je weiter sich seine Lippen, vor wenigen Herzschlägen noch auf den ihren zur Ruhe gekommen und abgeglitten, auf ihrer weichen, samtigen Haut voran wagten.

Viel zu schnell war sein Mund wieder weg und ihre Lippen blieben einsam zurück. Untätig jedoch keineswegs als der Kopf des Mannes an ihrem Körper hinabzugleiten begann. Sofort hörte er ihren schnell gehenden Atem, wurde jener nicht gerade vom wild pochenden Herzen überlagert. Elorie kämpfte mit sich, mit ihren Tugenden, den Prinzipien die jener Mann gerade bis in ihre Grundfesten erschütterte. Ediths Beschreibungen hatten ihr vieles offenbart, doch Worte aus einem Mund zu hören und diese Schilderungen am eigenen Leib zu erfahren waren zwei verschiedene Welten. In ihrem Innern tobte ein Kampf und es war noch nicht auszumalen welches Gesicht der Sieger trug.

Womöglich wäre es ihre Aufgabe gewesen ihn zu verwöhnen und mitnichten war es so, als hätte ihm dies bis aufs Mark widerstrebt. Die Erkenntnis, das Geschenk in Form einer leidenschaftlichen Frau erhalten zu haben, ließ allerdings bei weitem mehr als das zu. Es machte Freude ihren wohlgeformten Leib mit ungezählten Reizen zu fluten, die dem schönen Adelsspross bis hierhin unbekannt gewesen sind. Ob sich Kassander so viel Zeit für sie genommen hätte, wüsste er nicht um ihre Jungfräulichkeit, die wiederum einer erfrischenden Abwechslung gleichkommen wollte? Seine Sinne jedenfalls waren und blieben bei ihrer Ladyschaft. Es interessierte den hartgesottenen Kriegsherrn wie sein Weib auf ihn reagierte, was ihr gefiel und was sie zu dulden gedachte weil es ihm zusagte, um damit eine Grundlage für zukünftige Genüsse zu schaffen.

Genussvoll arbeitete er sich an ihr hernieder, umwand mit der warmen, feuchten Spitze seiner Zunge die lieblichen Knospen ihrer Brüste und hinterließ eine Spur aus Küssen, welche da lediglich in unkeusche Gefilde führen konnte. Schwierig auszuloten, ob das junge Mädchen wusste was ihr blühte – selbst dann, als sein Mund einen Kuss auf die feine Kuhle ihres Bauchnabels setzte, um die letzte Distanz zur Körpermitte dann mittels einer fließenden Abwärtsbewegung zu überwinden. Behutsam spreizte er ihre schlanken Schenkel, willens den Blick auf ihr nahezu unberührtes Zentrum einen Moment länger zu genießen und den Kopf hernach gemächlich zu senken.

Elorie war niemals auf fleischliche Genüsse vorbereitet worden. Auch dann, als sein Mund die Grenzen aller Sittsamkeit bereits überschritten hat, woher sollte das Mädchen wissen wozu er fähig sein würde? Ediths Zunge hatte zu frivol erzählt, als dass es wirklich stimmen könnte. Wenn Boron wüsste wie schamlos der Mund der Schwarzhaarigen sein konnte, würde es ihn bis in seine Träume verfolgen und gewiss nicht schlafen lassen. Jetzt, wo Elorie wieder daran dachte, wurde ihr warm. Sie dort unten zu küssen konnte nicht der Weg sein, auf dem sie wandeln sollte. Auf dem sie wandeln wollte. Niemals würde sie etwas Derartiges zulassen, er konnte doch nicht ....!... als seine Finger zwischen ihren Schenkeln ankamen, schien das Mädchen endlich zu erwachen. Ihre rechte Hand glitt über den eigenen Bauch hinab, wollte ihn daran hindern, doch da gelang es dem Barbaren ihre Beine so mühelos zu öffnen, dass die Überraschung ihre Finger stoppen ließ. Elories Blick glitt zu Kassanders, Panik lag darin, doch nicht vor dem Mann selbst. Vor dem Unbekannten. Vor der eigenen, unaufhörlich steigenden Lust. Ihre Wangen glühten bereits, einerseits vor Scham, andererseits vor denselben Gefühlen, die von den Erinnerungen am Wasserfall herrührten.

 

Ein letztes 'Nicht ' floss aus dem geschwungenen Mund just dann, als er das ersehnte Ziel erreichte; als er mit der Zunge die ihren stummen Lippen teilte, um den Geschmack ihrer Lust aufzufangen. Nichts was Kassander nicht schon hundertfach vor ihr getan hätte und doch fand er zwischen den Schenkeln seiner neuen Ehefrau aus für ihn doch reichlich unerfindlichen Gründen seinen neuen Frieden wieder. Frieden, der womöglich in völligem Missklang zu seiner Tat stand, denn noch bevor Elorie darüber nachdenken konnte, sich aus seinen Fängen zu winden, schmiedeten sich seine rauen Hände ehern um ihr schmales Becken und rückten den wunderbaren Leib zu seinen Gunsten zurecht. Fast grob mutete es an, sofern es einem nicht gelang zwischen den Zeilen zu lesen. Er mochte seine Gemahlin verwöhnen und zeitgleich aus purem Eigennutz handeln. Das Mädchen fühlte sich gut an! Allem voran hätte sie, würde ihr Verstand eines schönen Tages mit der Sinnlichkeit ihres Wesens auf Augenhöhe sein, ein perfektes Mittel in der Hand, das es ihr erlaubte den Wildling auf ihre ganz eigene Weise zu zähmen. Belanglos! Mindestens für den Augenblick… mindestens jetzt, als seine Zunge quälend langsam über die erogene Perle glitt, deren Liebkosung ihrem Leib ein neues Beben abverlangen dürfte.

Kraftlos sank der Kopf der Edeldame zurück auf die Felle. Er fiel regelrecht, während sich ihr Leib aufbäumen wollte so sehr er konnte. Was der Heide mit ihr anstellte verstieß gegen jedes Gebet, gegen jede Tugend und doch wollte Elorie, dass er nicht mehr aufhörte. Sie hörte Edith flüstern, ihr ratend sich dem hinzugeben was ihrem Körper gefiel, aber der Verstand schrie sie müsse sich doch wehren! Gegen den Teufel der von ihr Besitz ergreifen wollte. Doch statt die Faust zu erheben, griffen die Finger fest in das weiche Fell, gruben sich hinein um irgendein Ventil für den schnellen Schlag der barbarischen Zunge zu finden. Ohne sich weiter zurückhalten zu können, erntete Kassander endlich seinen ersten Lohn in Form eines lieblichen Stöhnens. Es glitt so unbedarft, überrascht und lüstern von ihren Lippen, dass der Rotfuchs ihre eigene Stimme nicht erkannte. Ihre Lider sanken unlängst herab, gaben sich der Dunkelheit und den Impulsen hin, welche der Nordmann mehr und mehr durch ihren Körper jagten.

Der Griff an ihre Hüften war grausam, doch unendlich verlockender, bekam man doch das Gefühl ihm vollkommen zu gehören, seinem Spiel ausgeliefert zu sein. Und das war Elorie. Von der ersten Sekunde an. Fast schon hilfesuchend mochte sich die freie Hand ihren Weg über den eigenen Körper bahnen, berührte die eigene Brust, den Bauch, landete schließlich in seinem wilden Haar und auf seiner Kopfhaut, als könne ihn die Berührung irgendwie aufhalten.

"Bitte...bitte...hört auf...." Er würde ihr Flehen nicht verstehen, kam es doch umso erregter aus ihrem Mund, vollkommen überfordert und doch keineswegs dazu bestimmt ihn wirklich aufhören zu lassen. Wieder entglitt ihr ein Stöhnen und endlich gab das Mädchen auf. Just dann, als seine Zunge damit begann ihr Innerstes zu weiten, weich aber unnachgiebig, als wäre er Wasser und sie der Stein der davon umschlossen wurde.

Ihre Gegenwehr hatte etwas liebliches, etwas, das dem Nordmann ein leises, tiefes Lachen abverlangte; etwas, das ihn aus reiner Perfidität dazu verleitete die Lippen noch inniger um die erregte Perle zu schließen… noch beherzter daran zu saugen, um ihr damit jedweden Gedanken an das für und wider dieser Szenerie schelmisch aus den Händen zu reißen. Elories Worte drangen dabei unverständlich ans Ohr des Schlächters, doch musste er diese nicht verstehen, um ihre ins Wanken geratene Gefühlswelt bestens nachempfinden zu können. Auch Kassander war einst jung. Auch er kannte die Unsicherheit, die wohl ein jeder bei den ersten körperlichen Annäherungen mit dem anderen Geschlecht in sich vereinte, auch wenn diese Nervosität bereits viele, viele Jahre in der Vergangenheit lag. Eines jedoch würde der Mann wohl nicht verstehen können, selbst dann nicht, wenn man es ihm in der Sprache des Eises begreiflich machen wollte. Die Lust, so nach den Leitsätzen des Nordvolkes, war eines der höchsten Geschenke, die dem Menschen von den Göttern angedacht worden ist. Wie sollte seine Gunst, ihr ebendiese Gier mit jedem taktvollen Zungenschlag in Mark und Bein zu hauchen, wider der Gebete sein? Und wie konnte man durch sein eigenes Gedankengut schmähen wollen, was eine jede Seele zum Glühen bringen konnte?

"Bitte...." Wiederholte Elorie, aber flüsternder, zärtlicher, hingebungsvoller als Momente zuvor. Ihre Hüften bewegten sich unter seinen Händen unkontrolliert, doch vor- und zurück, gewiss nicht an Flucht denkend. Es war deutlich zu hören, zu fühlen, zu schmecken, er hatte sein Weib genau da wo er sie haben wollte. Wie auch am Rande des Wasserfalls würde es nicht mehr allzu lange dauern und er bekäme seinen Tribut gezollt: feuchte, warme, laut hinausgestöhnte Dankbarkeit! Wollte er sich der eigenen Gier wiederholt hingeben, so gäbe es wohl keinen besseren Moment um sich wieder mit der rothaarigen Schönheit zu vereinen.

Ihr Widerstand verebbte, was Kassander zum Anlass nahm den Griff um ihre Hüften zu lockern. Untätig blieben seine kampferprobten Hände hernach allerdings nicht, denn sie wanderten. Fuhren über samtig weiche Haut und über liebreizende Rundungen. Ihm gefiel was er spürte, was er eroberte und für sich beanspruchte, während der wohlgeformte Körper, auf dem der Hochgewachsene wie auf einem Instrument die lüsterne Melodie der Gier spielte, jedwede Gegenwehr nach und nach aufzugeben gedachte. Wie lange noch, bis der schöne Rotfuchs die Bedenken fahren ließ? Bis sie ihre Reize, von denen das liebliche Weib ohne Zweifel mehr als genügend besaß, gegen ihn einsetzte? Ein Gedanke, der ihm das Blut unvermittelt inniger in südliche Regionen entsandte, sodass es zunehmend schwerer wurde nicht einfach über die blutjunge Schönheit herzufallen. Lediglich das Wissen, mit diesem Weib erst am Anfang ihrer beider Wege zu stehen, hielt ihn davon ab die Gunst der Stunde zu nutzen. Selbstsicher intensivierte er das Treiben der Zunge, während sich der Nektar ihrer Lust wohlig schwer auf seinen Geschmacksknospen zur Ruhe bettete.

Es war nicht rechtens, nicht gottesgetreu, doch göttlich genug um die junge Frau genau dort zu halten wo sie war. Elorie trieb zwischen Himmel und Hölle, nicht wissend wohin es sie drängte. Alles aber auch alles verlor seine Bedeutung und es gab nur noch Hände, einen Mund und heißen Atem der zwischen ihren Schenkeln auf und abfuhr, als sei es Bestimmung. Die Finger an Kassanders Haupt blieben dort ruhen, gruben sich aber zwischendurch fahrig in seine Haut, kaum bemerkend falls es ihn schmerzte. Ihr ganzer Leib brannte wie Feuer, ein Teil davon mochte sogar flüssig durch ihre Adern wandern. Immer wieder spürte das Mädchen den Zungenschlag des Nordmanns und immer wieder schob er sie näher an den Rand himmlischer Erlösung. Diese Gier war neu, unbekanntes Terrain, doch Elorie wagte sich vor, tastete nach der Lust und nahm sie an. Zumindest für diesen Moment. Was blieb ihr übrig? Sie konnte nicht länger an sich halten, diese Gefühle mussten fort, mussten weichen und entluden sich mit einem Mal in jener Hitze, die auch am Wasserfall über die junge Schönheit gekommen war. Ihre Faust ballte sich um die Felle, Fingerspitzen gruben sich in Kassanders Kopfhaut und ihr Leib drängte sich nur noch enger an seine Lippen und Finger.

Das Zucken ihres Körpers war wie ein Reigen, eine Offenbarung für den Schlächter der wohl lange nicht mehr leibhaftige Unschuld zwischen seinen Händen hatte halten dürfen. Und hier lag sie. Die Haut schimmernd, die bloßen Brüste hoben und senkten sich rasch, das verlockende Tal zwischen den Schenkeln glitzerte feucht von Tau. Elorie war Segen und Fluch zugleich, genau wie der Barbar für sie selbst.

Ihr Höhepunkt sollte sein Lohn sein und just dann, als er diesen nahen spürte, drangen die kundigen Finger seiner Linken genussvoll langsam in ihr tiefstes innerstes vor, um den schönen Adelsspross letztlich vollends um den Verstand zu bringen. Auch das wollte nicht gänzlich uneigennützig vonstattengehen. Wenngleich es dem sonst so rauen Nordmann nicht ohne weiteres zuzutrauen war, schöpfte dieser aus den unsteten Muskelkontraktionen, welche da ihren betörenden Leib zum Beben brachte, mehr als lediglich Sinnesbefriedigung. Kassander schöpfte daraus Zufriedenheit, eine längst verlorengeglaubte Gedankenstille, die es ihm wiederum erst wirklich ermöglichte mit Sinn und Verstand vollends bei seinem Weib zu sein. Die Gier verging ihm dabei, dies allerdings ohne Zweifel im positiven Sinne. Ohnehin war der Tag noch nicht allzu vorangeschritten und wer wusste schon, was der Abend an Zweisamkeit noch für die beiden bereithielt?

Ihr Höhepunkt sollte für den Augenblick als Sieg verbucht werden. Als Triumph über ihren Zwiespalt und jenen falschen Cjristengott, zu dem sie betete und der ihr laut dessen Fürsprecher die reinste Form von Genuss verwehrte, höchst selbst. Womöglich kam es auch minimal einem nonverbalen Statement gleich, sich nach dem geschenkten Höhepunkt nicht eilends aus den Kleidern zu schälen, um die metaphorischen Stürme zu ernten, wo man doch so erfolgreich Winde gesät hat. Einer stummen Offenbarung gleich, die ihr prägend einverleibte wie sehr sie ihm gehörte. Und Anstatt sie dem Tier gleich, das man oftmals zu Recht in ihm sehen wollte, nach dem angedachten Höhenflug zu pfählen, legte er sich, noch immer in Kleider gehüllt, auf sie – die Arme links und rechts neben ihrem Haupt auf den Ellbogen abgestützt, ehe er die Lippen sorgsam auf die ihren legte.

Nachdem sie wieder in der Lage war die Augen zu öffnen, lag Kassander schon über ihr und erwiderte den Blick. Was er darin las war nichts Unbekanntes, die Scheu vor seiner Präsenz, doch da war mehr. Und wenn sie es auch nicht wollte, so genügte der Geschmack seiner Lippen um ihrer Zurückhaltung eine kleine Pause zu gönnen. Noch trunken vor Lust und Erregung öffneten sich der geschwungene Mund und hieß ihn willkommen. Zusammen mit einem neuen Seufzen, einem Stöhnen, kostete die Schönheit zum ersten Mal mehr von ihrem Gemahl. Ihre Zunge suchte die seine, wenngleich auch verhalten, doch es war ein Fortschritt der Kassander hoffen ließ. Hinter dem scheuen Mädchen verbarg sich mehr als das Auge sehen konnte und gewiss mochte der Tag kommen, an dem sie ihre eigenen Reize nicht mehr verkannte und gegen den Mann einsetzte. Nur um ihn noch enger an sich zu binden. Durch den Stoff seines Hemdes hindurch spürte der Mann immer noch die aufreizenden Knospen und jene glühend heiße Haut. Abgelenkt wurde er aber weiterhin von jenem grünäugigen Blick der ihn heimsuchte.

"Ich vertraue Euch..." hauchte das Mädchen endlich, die Stimme noch schwer vor Lust. Ihr Gesicht bot aus der Nähe ein liebliches Bild, gerötete Wangen welche von zerzausten Strähnen gekitzelt wurden, dazu die prallen, vollen, unendlich rot wirkenden Lippen, gereizt durch den Kuss. Elorie hob ihren Kopf sogar an um sich nochmal in den Genuss seines Mundes zu bringen, doch da schalteten sich die Götter in Form einer Störung ein.

7.

Wylla Habing, der unerwartete und nahende Gast, würde für die Gemahlin des Heidenprinzen ein mehr als willkommenes Gesicht sein, ebenso aber eine wirkliche Überraschung. Warum man sie in Gustavs Anwesen nicht angetroffen hatte, war einfach zu erklären, sie war verheiratet und lebte zusammen mit ihrem Mann, Baron Elren, in Windfeste. Gekommen war die blonde Frau jedoch allein und zu Pferd. Ein schöner Fuchs, doch die Gestalt der Baronin mochte manchen von dem Tier ablenken. Sie besaß eine vollkommen andere Schönheit als Lady Edith, deren Anblick das Blut in die Lenden schickte. Bei Wylla fiel es schwer den Blick abzuwenden, weil sie soviel Freundlichkeit und Herzlichkeit auf den Zügen trug. Ein wahrlich warmes Gemüt wohnte der Frau inne und offenbar auch eine große Portion Mut sich allein auf den Weg zu wagen. Sie hatte natürlich davon gehört was Elorie widerfahren. Gehüllt hatte sich die anmutige Frau in blaue Stoffe, Leinen von teuren Fäden durchzogen, doch die Kleidung wirkte schlichter als Elories. Ihr weizengoldenes Haar wurde von einigen wenigen Spangen gehalten, ansonsten blieb ihre Gestalt schmucklos. Nur ein Ring an einer Hand, mehr nicht.

"Ich möchte zu Lady Elorie", sprach Wylla den ersten Mann an, der ihr in den Weg kam, hoffend dass dieser sie verstand. Wenn nicht, dann würde er aber wohl jemanden holen der sie verstehen konnte. Während sie abstieg, betrachtete die schöne Adelsdame das hergerichtete Lager, die beobachtenden Augen und fügte noch "Mein Name ist Wylla, Tochter des Gustav Habings, dem Herrn Kasselans" hinzu. Auch wenn es den Zeugenberichten zufolge gut um Elorie stand, so war der Gedanke, dies blutjunge Ding unter Fremden zu wissen, unerträglich gewesen. Sie musste sich selbst von der Unversehrtheit ihrer Base überzeugen, wenigstens ein paar Tage lang.

Man teilte dem Nordprinzen also mit, dass sich wieder einmal ein Besucher eingefunden hatte, doch diesmal sollte eine andere, nicht bekannte Frau der Störenfried sein. Sobald Elorie deren Namen hörte, horchte sie auf und sah zu Kassander. Dieses Mal fiel es nicht schwer ihre Blicke zu deuten, sie kannte die Besucherin. Ein ungewohnt helles Lächeln schlich sich auf ihre Züge.

"Cousine", kam es fröhlich klingend aus dem jungen Mund. Wylla schien ein gerngesehener Mensch zu sein und dass ihre Anwesenheit durchaus einen taktischen Vorteil brachte, verstand sich von selbst. Musste der gute Boron wirklich Lady Ediths Feld pflügen, um an Informationen zu kommen?

Doch taktischer Vorteil hin oder her, es würde Boron von seinem Vorhaben, sich das Weib eines anderen mindestens für ein paar Stunden zu Eigen zu machen, keinesfalls abbringen können. Und taktischer Vorteil hin oder her, selbst das Lächeln auf den feingeschwungenen Lippen seiner Frau konnte Kassander das Ärgernis über eine weitere Störung nicht zur Gänze aus den Sinnen treiben. Verhalten fluchte der Schlächter in sich hinein, hatte sich dieser für den restlichen Tag gewisslich andere Pläne zusammengeschustert. Elories Nähe war verlockend. Die lieblich erröteten Wangen, die Scheu und die Unsicherheit in ihren Augen, all das hätte der gestählte Krieger in den kommenden Stunden freilich lieber genossen, als sich heute noch einmal grünländischem Besuch zu stellen.

Die Nornen ebneten ihnen aber andere Wege. Was blieb dem Sohn Rolands denn anderes übrig, als gute Miene zum boshaften Spiel zu tun? Als das Lächeln seiner Anvertrauten schmal zu erwidern, ihre Lippen mit einem neuen Kuss zu bedenken und sich langsam von ihr zu lösen? Gäste ließ man nicht warten, soviel gebot selbst im unvergänglichen Reich die Höflichkeit. Hinzu kam der Gedanke, dass ein vertrautes Weib an Elories Seite womöglich tatsächlich äußerst hilfreich sein konnte. Fürwahr ein zweischneidiges Schwert, wusste der Eisprinz um die Triebhaftigkeit jener, deren Frauen jenseits des großen Wassers auf die Rückkehr ihrer Gatten warteten. Man war dem Eis bereits über mehrere Mondzyklen fern. Welcher Wildling also, diese Frage lag auf der Hand, würde sich die eine oder andere Gelegenheit aus den Händen reißen lassen?

Kassander schwieg über seine Bedenken, als er sich seitlich auf der Schlafstatt langmachte, um seinem lieblichen Rotfuchs dabei zuzusehen, wie sich dieser aufs Neue an diesem Tag in die vermutlich sündig teuren Stoffe wand. „Tha na diathan gràsmhor dhut, mo bhean, co-dhiù airson beagan uairean a thìde.“ Die Götter sind dir gnädig, meine Frau, zumindest für ein paar Stunden. Der schöne Adelsspross konnte die Worte ihres Mannes zwar nicht verstehen, schaffte es aber womöglich anhand des anzüglichen Blickes zu erahnen, was damit gemeint war. So leicht kam sie ihm nicht davon, erst recht jetzt nicht, wo sich nach und nach herauskristallisierte, mit wie viel Sinnlichkeit das Mädchen von Freya höchst selbst beschenkt worden ist.

Elorie sah zu ihm, konnte keines der Worte verstehen, doch die Blicke, jene verstand sie. Statt zurückzulächeln, senkte das Mädchen die Wimpern und behielt etwaige Gedanken für sich. Dass es in ihrem Kopf überhaupt dazu kam, musste dem Teufel von Nordmann zu verdanken sein. Allein seine Berührung musste ausgereicht haben, um ihre Seele mit Sünde zu füllen, ihre Wünsche mit Begierde zu tränken. Nur dagegen ankämpfen … warum nur tat sie nichts dagegen? Während die junge Adelige sich wieder bekleidete, waren die eigenen Fingerspitzen immer noch wie kleine, angenehme Stiche auf ihrer Haut, der dunkle Stoff ein Streicheln als seien es wieder die Hände des heidnischen Barbaren.

„Kassander berühren Elorie“, versuchte er ihr das zu erläutern, was sein frivoles Lächeln längst zutage getragen hat, „Elorie berühren Kassander.“ Eine rollende Bewegung mit dem Zeigefinger verdeutlichte, dass jedwede wohltuende Nähe zwar aufgeschoben aber nicht aufgehoben war. Fürs Erste wollten ihm die Götter einen Strick um die Handgelenke legen, doch war sich der Schlächter von Galgenfels reichlich sicher, dass der Tag noch weitere sinnliche Momente bieten würde. Also erhob sich der gestählte Krieger, in einer fließenden Bewegung und längst wieder mit dem Schicksal im Reinen, um wenig später und an der Seite seiner Gattin den Gast in Empfang zu nehmen.

Wylla wollte bleiben, was mindestens innerlich mit leichter Argwohn und Verblüffung Hand in Hand zu gehen gedachte. Wie nur war es dem Weibsbild gelungen Gustav von der Richtigkeit dieses augenscheinlich wankelmütigen Vorhabens zu überzeugen? Oder aber, was noch die viel wichtigere Frage darstellte, war der Wille zum Beistand lediglich der Deckmantel eines Spionageversuches?

All das würde sich klären lassen, nachdem man für die filigrane Blondine eine Rückzugsmöglichkeit organisiert hat. Die Nordmannen würden zusammenrücken müssen, denn mindestens für den Anfang war deren Anführer nicht bereit das Grünlandblut mit dem Blut des unvergänglichen Reiches zu mischen. Wylla sollte mit dem Recht vertraut werden, sich frei im Heerlager bewegen zu können, dennoch aber einer gewissen Isolation unterliegen – mindestens solange, bis man ihr Hiersein nicht mehr allzu sehr in Frage stellte.

„Feumaidh mo bhean ionnsachadh mo chànan. Tha an lagh seo a 'buntainn ri gach coigreach a gheibh fasgadh an seo.“ Seine Worte waren an die Baroness von Windfeste gerichtet, wurden aber vom Diplomaten, der sich an der Seite seines Bruders aufgestellt hatte, in für den Gast verständlichere Sätze geflochten.

„Königssohn Kassander, Schlächter von Galgenfels, heißt dich, Tochter des Gustavs, im Heerlager willkommen, knüpft seine Gastfreundschaft aber an eine Bedingung.“, sprach Boron zu Gunsten seines Bruders, genauso wie es ihm aufgetragen worden war. „Auch Du sollst die Sprache des Eises lernen, vorausgesetzt Du hast vor länger im Lager meines Herrn zu bleiben. Du tust der sprachlichen Entwicklung Deiner Cousine keinen Gefallen, solltest Du Dich diesbezüglich schwertun, denn Elorie wird die Zunge ihres Mannes zeitnah beherrschen müssen.“

Freude lag in den blauen Augen als sie das rothaarige Mädchen endlich sah, unbeschadet an der Seite des Nordmanns. Wylla trat bereits den ersten Schritt näher, hörte dann aber zu was man ihr dort zunächst verwirrend, dann verständlich erklärte. Kassander war ein ansehnlicher Mann, doch wie Wylla wusste, war Aussehen nicht alles was zählte um glücklich zu werden. Ihr Augenmerk glitt wieder rüber zu Elorie, musterte die junge Frau von Kopf bis Fuß und stellte fest, dass sie weder Male von Gewalt auf ihrer Haut trug, noch zuckte das Mädchen beim Klang der nordischen Stimme zusammen. Es musste ihr also gut ergehen wie auch Lady Balder berichtete.

"Sollte Gastfreundschaft nicht ohne eine Gegenleistung gegeben sein?" Erkundigte sich die Weizenblonde beim Übersetzer, ließ ihre Worte für den Moment im Raum stehen und lächelte dann sanfter.

Wyllas Freundlichkeit war aus der Sicht des Diplomaten ein zweischneidiges Schwert und es würde vermutlich eine lange Weile dauern, bis sich der narbengesichtige Nordmann über die Vertrauenswürdigkeit der Blondine sicher sein konnte – wenn überhaupt.

„Mein Vater stellte seinerzeit die Behauptung auf, dass Freundschaft wie Gold sei: Leichter gewonnen, als erhalten“, hielt Boron mit seinen Bedenken keinesfalls hinter dem Berg. Und was Kassander an Worten nicht verstehen konnte, nahm dieser überaus deutlich aus dem unwirschen Unterton seines Bruders im Geiste wahr. Er vertraute der Herrin von Windfeste nicht, was den gestählten Heerführer wiederum zur Vermutung brachte, dass seine rechte Hand offenbar mehr Informationen in seinem Gedankengut barg, als dieser ihm bis hierhin mitgeteilt hatte. Es wurde Zeit für ein Gespräch unter vier Augen, spätestens dann, wenn man den filigranen Gast in einem der Zelte untergebracht hat.

"Ich werde mich natürlich dieser Bedingung stellen", gab sich die weizenblonde Habing entwaffnend von sich, bevor sie dann schnellen Schrittes auf ihre Base zutrat und deren Gesicht zwischen beide Hände fasste.

"Liebe Cousine … Du siehst wunderschön aus. Es muss dir gut gehen", vermutete sie, umarmte die Rothaarige und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Für Elorie kam der Überfall nicht überraschend, sie kannte Wyllas Charakter und schenkte dieser ein Lächeln.

"Ja", bestätigte sie deren Vermutung und sah an deren Schulter vorbei. "Wo ist Dein Gemahl?", wollte junge Frau wissen, etwas irritiert, Wyllas Reaktion, ein vielversprechendes Lächeln verriet allerdings nichts darüber.

"Fern", gab der unvermutete Gast nur zurück, wandte sich danach dann direkt an Kassander und seinen Übersetzer. "Meinen Dank, dass ihr so gut auf sie Acht gebt. Elorie ist mir sehr wichtig. Eine der wenigen Lichtblicke auf den Feierlichkeiten unserer Familie", gestand Wylla. Aus der Nähe betrachtet konnte sie genauso gut aus dem Norden stammend, mit Augen so blau wie die Flüsse und einem unverkennbar starken Charakter versehen. Sie war einige Jahre älter als Elorie, vielleicht vier, bereits gestandener und schien zu wissen wo genau der Weg lag, den das Leben ihr zeigte. Die Beschaffenheit ihrer Haare verlockte dazu, es zu berühren und daran zu riechen um herauszufinden, ob es denn den Duft von Weizen oder von Gräsern besaß, von irgendetwas das der Nase schmeichelte. Zu vermuten war sogar, dass Lady Edith die Frau aus ihrer Umgebung hatte haben wollen, weil man sich in ihrer Nähe wohler fühlte, geborgen, verstanden.

"Ich will Euch mehr geben als meinen Verstand, um eure Gastfreundschaft zu entlohnen. Ich kenne mich in der Heilkunst aus und vielleicht können wir voneinander lernen. Oder ich kann euch helfen. Wäre das in eurem Sinne? Es wöge den Platz und die Speisen auf, die ihr für mich opfern müsst." Ein freundliches Angebot und eines, das Elorie hätte kommen sehen müssen. Diese aber äußerte sich nicht, sondern ließ dem Gespräch seinen vorgezeichneten Verlauf.

„Wo, diese Frage stelle ich mir in diesem Moment, Lady Wylla, war Deine Freundschaft, als man der zukünftige Königin des unvergänglichen Reiches nachgesagt hat verflucht zu sein?“ Eine rhetorische Frage wie sie vom groben Wildling, dem die Sprache des grünen Landes in die Wiege gelegt worden ist, des Öfteren zutage getragen wurde. „Und wo war sie bei jedem Einzelnen, der Elorie vor dem Schicksal, als Christin unter Heiden gehen zu müssen, hätte wahren können?“ Nur wer an dieser Stelle den nötigen Intellekt besaß, um bei den dargebrachten Fragen zwischen den Zeilen zu lesen, würde begreifen können, dass es Boron wenig darum ging das Schicksal ihrer Ladyschaft als Schlecht zu verstehen. Vermutlich war die Ehe mit Kassander das Beste, was dem zierlichen Rotschopf hätte passieren können, dies nicht nur aus dem simplen Grund heraus, da die Herrin von Voranien durch den Ehebund in ein paar Jahren zur Herrscherin über einen ganzen Kontinent herangedeihen sollte, sondern weil ihr die Freiheit, die das Mädchen in naher Zukunft zweifelsfrei für sich entdecken würde, schlichtweg gut zu Gesicht stand. Nein, der Diplomat sprach nicht gegen ihr Schicksal, gedachte seinem Schützling allerdings durch Argwohn begreiflich zu machen, dass der neue Gast womöglich nicht lediglich nur gutes im Schilde führte.

Wylla betrachtete den Diplomaten, von dem es interessant sein würde zu erfahren, warum er zwei Zungen beherrschte. Es hätte jedoch keinerlei Übersetzung bedurft um zu sehen, dass der Mann ihr nicht vertraute. Es schien vielmehr als missbillige er ihr Kommen und müsse seine neue Herrin verteidigen wie ein tollwütiger Hund. Zum Glück war Gustav Habings Tochter kein verängstigtes, junges Ding mehr. Die offenkundigen Vorwürfe des narbengesichtigen Heiden sorgten weder für erschrockene Blicke, noch dafür dass sie verunsichert wirkte.

"Gebt mir ein wenig Zeit, um Euer Vertrauen zu gewinnen. Davor wird es Euch reichlich egal sein welche Worte aus meinem Mund kommen, Euer Misstrauen wird bestehen." Sie lieferte ihm keine Antworten, von denen er sowieso in jeder eine neue Intrige sah.

„Chan eil earbsa agad air a 'bhoireannach seo agus tha mi a' tuigsinn sin“ Du vertraust dieser Frau nicht und ich verstehe das, floss es dem Schlächter von Galgenfels über die Lippen, noch bevor Boron sein Wortgeflecht hätte weiterspinnen können, „Ach nam biodh mo bhean dìreach doll, dè a tha i?“ Aber wenn meine Frau nur eine Puppe war, was ist sie dann?

Das eisblaue Augenmerk des hünengleichen Diplomaten ruhte noch eine lange Weile auf der Fremden, ehe dieses von der freundlich anmutenden Schönheit zu Kassander glitt.

„Tha mi a 'guidhe gum faic thu na tha mi a' faicinn, bràthair“ Ich wünschte, du könntest sehen, was ich sehe, Bruder, knurrte Boron zwiegespalten, denn wie sollte er diesem Weibsbild nach den informativen Gesprächen mit Lady Idelia noch Vertrauen schenken können?

„Chì thu deamhan mar a tha thu daonnan a 'dèanamh“ Du siehst wie immer Dämonen, entgegnete Rolands Sohn, ehe er seinem Schwertbruder freundschaftlich und kräftig auf die Schulter klopfte. Borons Gesichtsausdruck sprach Bände und auch Elorie bemerkte das. Ebenso wie sie bemerkte, dass ihr Gemahl der für ihn Fremden anders gegenüberstand. Er war gewiss kein Narr, aber für ihn schien ihre Zuversicht in Wylla ausschlaggebend zu sein. Zumindest vermutete die Rothaarige dies und fühlte sich dazu verpflichtet nach dem kurzen Disput der beiden einen Einwand vorzubringen.

"Sie ist eine Freundin", bekräftigte Elorie noch einmal und sah dem Narbigen fest in die Augen. Das Blut des Nordens hatte sie offensichtlich bereits gestärkt, kaum absehbar, wie viel davon noch in die schönen Rotfuchs floss. Ihre Stimme besaß noch immer den hellen, grünländischen Klang, aber das Gefühl, ihren Mann unabdingbar in ihrem Rücken zu wissen, gab dem zarten Weib den nötigen Halt.

Zu weiteren Wortwechseln kam es allerdings nicht, denn als Kassander die Stimme aufs Neue zum Sprechen erhob, entkam seiner Kehle der eine oder andere Befehl.

Wylla sollte das Zelt neben dem seinen bekommen und es fürs Erste mit niemandem teilen müssen. Kaum ausgesprochen, kam Regung in die umstehenden Männer und Frauen, die sich emsig daran machten besagtes Zelt zu räumen. Ohnehin war die Hauptattraktion des angehenden Abends allmählich uninteressant geworden, mindestens für jene, die eine Grünländerin lediglich dann wirklich für reizvoll empfanden, wenn sie kniend und weinend um Gnade flehte. Die Baroness war zwar hübsch, doch wollte ihre wahre Schönheit nicht durch jedermanns Verstandesäther dringen. Interessant war sie lediglich für jenen, der aus mehreren Pferdelängen Entfernung zu ihr herüber spähte und dessen Blick aus blinden Augen mehr offenbarten, als so mancher jemals für möglich halten konnte. Bereits seit ihrer Ankunft ruhte das moosgrün seines Augenpaars auf der weizenblonden Adligen. Kein Blick der Neugierde, nein, denn nur dem unaufmerksamen Beobachter würde entgehen, dass er die Fremde mit dem Blick des Erkennens bedachte. Wie aber war das möglich? Immerhin war der Beobachter des Sehens unfähig und ein Weib des grünen Landes gewiss niemand, das es als Heide zu kennen galt.

„Bidh do chuid eòlais feumail“ Ihr Wissen wird nützlich sein, sprach Kassander nun an sein Weib gewandt, ehe er diesem mit wenigen Handbewegungen zu verdeutlichen versuchte, dass es an ihr war Gastfreundschaft walten zu lassen.

„Zeig dem Mädchen, wo sie sich für die Dauer ihres Aufenthalts zurückziehen kann“, wurde die Gestik des Heerführers von Boron verbal untermauert, ehe sich dieser neuerlich an Wylla wandte. „Heute Abend wirst Du an der Tafel meines Herrn speisen. Ich hoffe Du bist klüger als Dein Vater und begegnest den Worten des zukünftigen Königs mit Wahrheit.“

"Hier geht es mir wirklich gut und auch Dir wird es gut ergehen", versprach Elorie, bat die Cousine dann mit einem Handzeichen ihr zu folgen. Beieinander untergehakt führte sie ihre Cousine zum hergerichteten Zelt. Ein deutlicher Abstrich zum Luxus den Wylla kannte, aber sie beschwerte sich nicht. Ihr wohnte ein anderer Geist inne, als ihn Lady Edith trug. Die verhasste Schwägerin hätte längst vor Zorn getobt und Dinge zertrümmert. Das war das einzig Gute an ihrer Heirat mit dem Baron von Windfeste gewesen, dass sie die schwarzhaarige Hure nicht länger würde sehen müssen. Borons Anweisung hatte die Blonde mit einem neuen Nicken unterstrichen und hielt offenbar daran fest, ihm nicht mehr als nötig zu sagen, solange er in ihr eine Feindin sah.

 

Inmitten des Zeltes stehend bettete Wylla das Gesicht der Rothaarigen zwischen ihre Hände.

"Du siehst verändert aus. Ist er gut zu Dir?", erkundigte sie sich und brauchte keine Antwort mehr, als sich die Wangen Elories rosa verfärbten. Das helle Auflachen der Blonden ersparte der Voranierin jedwede Erklärung. "Ich freue mich für dich", gestand Wylla, umarmte Elorie noch einmal und gab sie dann wieder frei.

"Du fragst Dich sicher, warum ich alleine hier bin." Sie wusste, dass diese Frage auf den geschwungenen Lippen brannte und der lieben Cousine war sie eine Antwort mehr als schuldig. "Ich habe von Deinem Schicksal gehört und wollte dir beistehen. Meinem Mann gefiel das jedoch nicht. Vater hätte dich nicht einfach an einen Nordmann verkaufen dürfen, an einen Heiden! Ich habe gesagt, dass es Unrecht ist und dass ich wissen muss, ob es dir gut geht. Er wollte nicht hören, hat mir gesagt, jetzt da Deine Seele dem Teufel angehöre, müsse ich Dich fallenlassen. Aber ich war es, die ihn hat fallen lassen." Wylla trat einen Schritt näher an die Rothaarige und wirkte ernster. "Ich habe den Zeitpunkt genutzt, da er auf Reisen ging und bin zu dir gekommen. Ich weiß nicht wie viel Zeit uns beiden bleibt, aber ich will Dir solange helfen, wie ich nur kann. Was geschieht, wenn er mich findet, ist unwichtig", versprach Gustavs Tochter, doch ihre Wortwahl erzeugte große Sorge in den Augen vor ihr. Der Rotfuchs schien mit einem Mal unwillig und hob ihre Hand im Ansinnen, einen Teil von Wyllas Stoff der Schulterpartie zur Seite zu schieben, doch sie ließ es bleiben. Besser man genoss die gemeinsame Zeit und längst hatte sich ein Plan im Kopf der Rothaarigen eingenistet. Wylla musste mit ihr kommen. Die liebe Cousine sollte dieselben Freiheiten bekommen und genau das würde sie ihrem Gemahl sagen. Selbst Boron würde sie von Wyllas guter Seele überzeugen, auch wenn der Diplomat mit überschwänglichem Misstrauen gesegnet schien.

Der Rotfuchs übergab Wylla zunächst wieder ihrer eigenen Gesellschaft und verließ das Zelt. Sie machte sich auf, den direkten Weg zu Boron und ihrem Mann wählend. Und wo auch immer sich die beiden aufhielten, um Wyllas Erscheinen zu bereden, wurden sie nun von ihr gestört. Wo sie vor einiger Zeit noch hätte Höflichkeit walten lassen, ging sie nun ohne Abzuwarten dazwischen.

"Ich will, dass sie bleibt", kam es aus dem geschwungenen Mund, den Blick fest auf Kassanders gerichtet, nur ein Seitenblick wurde schließlich an Boron ausgeteilt. "Und ihr dürft aufhören so misstrauisch zu sein. Wylla ist eine Freundin, eine Schwester wie ihr ein Brathair für Kassander seid", beteuerte Elorie vehement, sah dann aber wieder auf zu dem Schlächter. Aus seinem Gesicht war hoffentlich mehr herauszulesen. "Kassander vertrauen Elorie", fügte sie hinzu und legte ihre Hand unvermittelt an dessen Brust. So wie sie ihm vorhin im Zelt vertraut hatte.

 

Eines mochte Wyllas Worte an Boron unmissverständlich zutage getragen haben. Die Weizenblonde war nicht einfach ein dahergelaufenes Weibsbild, deren Verstand vom Aussprechen unsinniger Befehle und der Kunst des Nähens längst verkümmert war. Kassander hatte den Disput zwischen ihr und seinem Bruder nicht verstanden, konnte aber genau das ihren Blicken entnehmen, die wiederum von einem Geist erzählten, den man keinesfalls unterschätzen durfte. Hierbei saß der Schlächter womöglich zum ersten Mal zwischen zwei Stühlen gefangen, denn just hatte man die beiden Frauen ihrem Schicksal überlassen, wollte ihm der Diplomat ins Gewissen sprechen. War es diesem denn wirklich zu verübeln? Nach alldem, was ihm zu Ohren gekommen war und darüber hinaus die Zukunft einer filigranen jungen Dame in den Grundfesten des Seins erschüttert hat?

„Ein Messer im Rücken, von Freunden geführt, schmerzt nicht nur im Fleisch sondern in der Seele, Weib“, beharrte Boron, auch wenn dieser gegenüber der zukünftigen Königin einen anderen Ton anschlug, als er es unlängst noch bei deren Cousine hat walten lassen. „War es nicht Dein eigen Blut, dass Dir den Dolch bereits mehrfach ins Kreuz zu jagen wusste?“ Abermals übte sich der grobschlächtige Wildling in Rhetorik, wobei ihm nicht besonders viel daran lag Lady Wylla tatsächlich etwas zur Last zu legen, wofür sie unter Umständen genauso viel konnte, wie für die dicke, dichte und graue Wolkenfront, welche da von westwärts her auf das Heerlager zuhielt.

"So dürft Ihr nicht von ihr sprechen", beharrte Elorie, zum ersten Mal fast ein wenig erzürnter und dennoch blieben die grünen Blicke ungetrübt. "Wylla hat mir nie etwas getan. Sie ist genauso wie ich", beteuerte die Rothaarige immer noch inbrünstig und suchte für Kassander nach verständlichen Worten "Is e Wylla mo Brathair Schwester..." Er verstand hoffentlich. "Wenn eine Frau heiratet, muss sie bei ihrem Mann wohnen und ihr Heim ist weiter entfernt. Wenn sie etwas gehört hat, wird sie dem widersprochen haben, doch wer glaubt einer Frau schon? Ihr Gemahl ist zudem kein guter Mann, er wird ihr lieber den Mund zugehalten haben", bekräftigte Elorie weiter und hoffte, dass Boron verstand was sie ausdrücken wollte. Bei den Grünländern gab es nur wenige Weiber, die mehr zu sagen hatten als ihre Männer. Gleichgestellt waren sie in einer Ehe nie.

Kassander hielt sich Wortkarg, selbst dann noch, als ihm das Wort seiner Gemahlin verständlich zu Ohren gekommen war. Sein aschgraues Augenmerk ruhte auf ihrem Blick, wirkte weder haltgebend noch abweisend, doch umso nachdenklicher. Eine schwierige Situation, wo der filigrane Gast vermutlich ein Mann im Hintergrund hatte, der dem Wesen Gustavs womöglich ähnlicher war als gut sein konnte. Wylla in den Reihen der Nordmannen aufzunehmen kam dem Öl gleich, das man aus Übermut und Unüberlegtheit ins Feuer des Schicksals goss. Es würde für Dispute sorgen, wo der Fokus einzig auf dem Zwist mit dem König liegen sollte.

„An toiseach tha mi airson bruidhinn rithe. An uairsin bidh sinn ga fhàgail gu na diathan“, entkam es dem Schlächter von Galgenfells, der die Hand anhob um seiner Anvertrauten im Zuge einer liebevollen Geste – der ersten überhaupt in der Öffentlichkeit – eine lose Strähne ihres weichen Haares aus der Stirn zu streichen. „Chan urrainn dhuinn a bhith a 'sabaid air dà thaobh“, fügte Kassander an, denn letztlich musste man ihr verständlich machen, dass es nicht besonders klug war sich das ganze Grünland zum Feind zu machen.

„Dein Mann will mit Lady Wylla sprechen“, übersetzte Boron unverzüglich. Noch immer mit der neuen Wendung im Hader, empfand er den Willen seines Bruders für zu riskant. Kassander mochte ein weitsichtiger Mann sein. Weitaus weitsichtiger als viele jener Brüder und Schwestern, die er samt und sonders Freunde nannte. Doch, dies wusste der Diplomat nur zu gut, auch weitsichtige Männer konnten sich irren. „Bring sie in euer Zelt, wir werden in kleiner Runde speisen.“

 

Wylla wusste zu diesem Zeitpunkt natürlich nichts von den Plänen der Rothaarigen, noch hätte sie jene untermauert. Ihr war nur daran gelegen das eigene Gewissen zu beruhigen, zu sehen dass es ihrer Cousine gut erging, danach würde sie wieder an die Seite ihres Mannes zurückkehren, wenn jener sie nicht vorher einfing. Dass Kassander allem Anschein nach darüber nachdachte ihrem Wunsch Folge zu leisten und dies, so glaubte Elorie, mit Wylla zu besprechen, ließ die grünen Augen funkeln und die Lippen zu einem Lächeln wandern. Tatsächlich missverstand sie die Absichten ihres Gemahls, griff aber in überschwänglichem Dank nach seiner Hand, um einen Kuss darauf zu setzen, und sich dann in Windeseile wieder zu Wylla zu begeben. Die aufkommende Freude und das ungestüme Wesen mochte Außenstehende amüsieren können, zeigte die voranische Edeldame jetzt gerade etwas weniger Zurückhaltung und mehr von ihrem Herzen.

Die Einsamkeit Lady Habings währte also nicht lang, schon sah Wylla zu den vor Aufregung gefärbten Wangen Elories und fragte sich nach dem Grund. Ein Abendessen allein konnte nicht verraten, weswegen der Rotfuchs förmlich aufblühte und sie nach einem kurzen Moment der Erklärung in das nebenanstehende Zelt zog. Als habe man die Rollen getauscht blieb der zurückhaltende Part nun auf Wyllas Schultern ruhen, während Elorie sich bereits wie die Hausherrin persönlich um sie kümmerte.

Man hatte den Holztisch von den Karten befreit und mit vier Stühlen gesäumt, auf das die Gespräche tatsächlich fern neugieriger Blicke und noch neugierigerer Ohren stattfinden konnten. Hinzu kam, dass die Jäger mit reichlich Beute aus den nahen Wäldern wiedergekehrt waren und das Abendmahl, sowohl im Zelt des Schlächters als auch an den vier großen Feuern, die man zwischen den Zelten entzündet hat und an denen sich der Hauptteil des Heers tummelte, reichlich ausfiel. Wildbret und Met stimmte die Gemüter der Nordmänner friedvoll und redselig – feierlaunig, wenngleich der Ehebund des Heerführers nicht für jeden an den Feuern ein Grund zum Feiern darstellte. Man unterhielt sich darüber, oftmals im Flüsterton und hinter vorgehaltenen Mündern, denn wahrlich, Elories Wesen kam für das hartgesottene Volk aus dem Eis oftmals einer zweischneidigen Klinge gleich. Viele bezweifelten stark, dass es dem filigranen Adelsspross jemals gelingen würde ein Schwert zu führen. Und, so stellte man sich in aller Deutlichkeit die Frage, wie sollte eine Frau, deren Herz an einer Front vermutlich aufgab bevor die Hörner zur Schlacht riefen, jemals über das unvergängliche Reich herrschen können? Und dass sie eines Tages regieren musste, dies stand außer Frage. Nur selten war ein Mann von den Göttern höchst selbst so sehr gesegnet, auf dass es ihm gelingen wollte das Zepter der Macht an den ersten Sohn zu überreichen. Bereits viel zu oft hatte diese feierliche Aufgabe die Witwe des Königs übernommen, nachdem sie bis zum sechzehnten Lebensjahr ihres Erstlings über das Land regiert hat. Freilich müsste sich Elorie in dieser Hinsicht erst einmal beweisen, doch würde ihr dies auch gelingen?

"Nimm hier Platz", forderte sie Wylla auf und schob ihr bereits am Tisch einen Stuhl zurecht. "Bist du durstig?" Natürlich hatte Elorie nicht vergessen, dass der Schlächter eine Bedingung gestellt hatte und so wie er ihr entgegenkam, erwiderte sie jenes zu gerne.

"Tha am pathadh orm. Das bedeutet, ich habe Durst. Sag es nach, es wird ihn freuen." Wer 'Er' sein sollte blieb unbestimmt. Es könnte Kassanders Gemahlin genauso viel daran gelegen sein Boron von Wyllas Seele zu überzeugen. "Und wenn Du Hunger hast, dann sagst Du: Tha am acras orm. Tapadh leat. Das heißt Danke." Gustavs Tochter betrachtete ihre Base beim Aussprechen der fremden Sätze genau. Sie wies noch immer keinerlei Anzeichen von Misshandlung oder schlimmeren Dingen auf, ihre Freude war echt und nicht gespielt.

"Boron kann dir viel beibringen, er war einst auch ein Grünländer." Diese Erklärung fiel so aus Elories Mund, sie selbst war sich kaum bewusst, dass sie sich selbst, Wylla und deren Familie mithilfe der nordischen Bezeichnung bedachte. Wie viel Hass musste in Elorie wohnen, dass diese sich so schnell in die fremde Welt der Heiden einfügte? Was war nur in ihr Ohr geflüstert worden? Die Blonde lächelte jedoch über den Eifer und nickte wohlwollend.

"Tha am pathad orm", Wiederholte sie, sah dann jedoch zu Boron, während Elorie aus dem Zelt verschwand um mehr Becher zu holen. Wylla war für den Moment mit beiden Nordmännern allein, doch ihre Haltung blieb unverändert. Sie sackte nicht in sich zusammen, sondern hielt den Rücken gerade und die Augen offen.

"Ich kann euer Misstrauen verstehen. Ich würde mir an eurer Stelle ebenfalls nicht trauen, aber vielleicht genügt ein Blick in die Augen eurer Herrin, um zu wissen, dass ich ihr nie ein Leid zugefügt habe und auch nie zufügen werde." Es gab natürlich andere, drastischere Methoden um den Mann auf ihre Seite zu ziehen und da Wylla nicht wusste, wie viel Zeit ihr blieb, auch damit Elorie nichts mitbekam, nutzte sie diese. Ohne Scheu schob sie an der Schulter einen Teil des Kleides zur Seite und entblößte dieselbe weiche Haut wie Elorie sie besaß, doch hier prangte etwas Unnatürliches. Ein großer, blutunterlaufener Fleck, in allen Farben schillernd und bestimmt noch immer schmerzhaft. Wylla schob den Stoff wieder darüber, als sie sicher sein konnte, dass beide Männer die Stelle gesehen hatten.

"Was mein Mann mit mir machen wird, wenn er mich hier findet, muss ich euch nicht sagen. Seid euch gewiss, dass ich jegliche Verantwortung auf mich nehmen werde. Ich wollte nach ihr sehen und nichts weiter. Soviel ist sie mir wert", stellte die Blonde mit ruhiger Stimme fest und betrachtete gerade Boron genauer. "Und wenn Ihr denkt, das sei eine List und ich habe mir diese Wunden selbst zugefügt, dann seid Ihr ein Dummkopf."

Jene Offenbarung indes, die den beiden Männern im Zelt des Schlächters vor Augen geführt wurde, kollidierte keinesfalls mit Überraschung oder gar Mitleid. Ihnen allen war bereits seit geraumer Zeit durchaus klar, dass den Männern dieses Landes weitaus mehr Barbarei innewohnte, als es die Nordmannen an sich jemals würden zutage tragen können. Jene schlugen ihre Weiber nicht. Machte sie dies allerdings zu besseren Menschen? Wohl kaum. Die Normannen waren und blieben Mörder, Räuber und Vergewaltiger. Ihre Wesensbeschaffenheit als besser zu erachten, nur weil sie nicht willens waren ihre Weiber zu schlagen, mochte dem Vergleich einer Tomate mit einer Holzbrücke gleichkommen. Kassander überließ das Sprechen seinem Bruder, hatte man im Vorfeld bereits das wesentlichste miteinander besprochen um auf einen Nenner zu kommen. Ein unerschütterliches Vertrauen währte zwischen diesen beiden Schwertgesellen und selbst der eine oder andere wortgewaltige Disput konnte daran nichts ändern.

„Ich bewerfe Dich nicht ohne Grund mit schwarzen Federn, Mädchen.“, verklang die tiefkehlige Stimme des Narbengesichtigen, ehe sich dieser zu Wyllas Linken an den kleinen Tisch setzte. „Und ich bin willens Dir mein Vertrauen zu schenken, sobald Du es verdient hast. Bis dahin begegnen wir uns auf neutralem Boden und lassen die Götter bestimmen.“ Eines sollte deutlich werden. Boron stammte zwar aus dem grünen Land, lebte mittlerweile allerdings viel zu lange unter den Norden, als das ihm der Name Jehovas noch offenkundig geläufig wäre. In ihm floss das Blut des Eises und eben das hatte sowohl Körper als auch Herz und Geist gestählt.

Die Gunst der Stunde wurde seitens der Wildlinge ausgenutzt. Wo der Schlächter unlängst noch mit Wohlwollen erkannt hat, dass sein Weib scheinbar willens war ihr eigen Wort zum Gesetz zu machen, wurde sein Gesichtsausdruck bei Elories verschwinden ernster.

„Faighnich i!“ Frag sie, entkam es dem Eisprinzen, als auch dieser sich an den reichlich gedeckten Tisch setzte, was Boron dazu veranlasste etwaige Streitgespräche über Vertrauen und Misstrauen hintanzustellen.

„Kassander will aus Deinem Munde hören, was Dein Vater aus Deiner Sicht dazu veranlasste seine Nichte an die Nordmänner zu verkaufen.“ Besser war es wohl, das Wesentliche ohne die liebliche Rothaarige abzuhandeln. Nicht gar, um ihr damit in den Rücken zu fallen, sondern um die dreckige Wahrheit unbeschönigt auf sich wirken lassen zu können. Im Beisein ihrer Ladyschaft würde deren Cousine wohl niemals so offen sprechen, letztlich wollte das Mädchen die Gefühlswelt ihrer Anverwandten womöglich nicht noch mehr in Mitleidenschaft ziehen, als es diese ohnehin schon war. „Und was weißt Du über Voranien?“

Wylla war sich sehr wohl darüber bewusst, dass ihr schändliches Mal keine Trauer oder Mitleid hervorrief, so eine Reaktion war auch nicht beabsichtigt worden. Sie hatte nur zeigen wollen, dass sie für Elories Wohl sehr viel auf sich nahm und somit das Vertrauen der Nordmänner verdiente. Dass dies nicht sofort, vielleicht auch niemals geschah, war Gustavs Tochter ebenso bewusst. Die Frage Kassanders sorgte im hellhäutigen Gesicht der Adligen an diesem Tag jedoch zum ersten Mal für ehrliches Erstaunen. Und es zeigte, wie wenig die Männer offenbar über das Herz ihrer Cousine wussten. Wylla wechselte zwischen Boron und dem Barbaren, entschied sich dann natürlich für den Schlächter, immerhin war er Elories Gemahl.

"Ist das nicht offensichtlich?", wollte die Frau wissen, doch allem Anschein nach war es das ja nicht. "Eine gestohlene Kuh ist verloren. Eine verkaufte Kuh bringt Geld. Handelt man geschickt, bekommt man neben dem Geld auch weiterhin Milch von ihr." Wenn der Diplomat mit seinen Metaphern so liebäugelte, dann schien Wylla ihm diese ebenfalls gerne vor Augen zu führen. "Denkt ihr, wenn mein Vater in Schwierigkeiten gerät, würde Elorie ihm nicht helfen wollen? Und besäße sie nicht die Macht Euch ebenfalls davon zu überzeugen? Das Mädchen muss Euch etwas wert sein, ich habe bei ihr keine Male wie bei mir sehen können und sie ist weder eingeschüchtert noch ängstlich. Wie eine Blume, die endlich erblüht kommt sie mir vor." Der Vergleich ließ ihre Ladyschaft lächeln, denn sie erkannte ihre Base in der Tat kaum wieder. "Seine Nichte als Teil eines Volkes großer Krieger zu wissen birgt viele Vorteile. Voranien hingegen ist nur ein Stück Land für Euch. Gut zu bewirtschaften, doch wenn ihr große Reichtümer erhofft, dann muss ich Euch enttäuschen." Wylla schien nicht zu ahnen worauf die Männer hinauswollten, doch die Information war viel wert, es lag also nicht an den Ländereien? Dann blieb nur Elorie selbst.

Just in dem Moment kam die Rothaarige auch wieder zurück ins Zelt, zeigte zufrieden die Becher und stellte diese auf dem Tisch ab. Wie selbstverständlich holte das Mädchen Honigwein und schenkte allen davon ein, dann nahm sie an Kassanders Seite Platz und schien zu merken, dass irgendetwas im Raum lag. Der Rotfuchs blickte von Einem zum Anderen, es war glücklicherweise Wylla, die die unangenehme Stille überbrückte.

"Seit Du hier bist, haben die Angriffe auf unsere Kirchen nachgelassen, soviel hörte ich von den Waschweibern." Wylla lächelte ihre Cousine an, schien aber rasch zu bemerken, dass das Thema kein Gutes war. Sie wollte ihr einzig und allein Mut machen. "Wenn Du das hörst, wirst du hoffentlich einsehen, dass das Gerede um einen Fluch der auf Dir lasten soll, vollkommener Unsinn ist. Es gibt keine Flüche. Nur dieser hier zu meiner Linken könnte einer sein." Ein Scherz von den Lippen der Blonden, um mehr Heiterkeit in das Zelt zu bringen. Elories Aufmerksamkeit glitt rüber zu Boron, aber anstatt sich von Wyllas Zunge anstecken zu lassen schüttelte das Mädchen den Kopf.

"Er ist kein Fluch und mein Gemahl auch nicht", stellte sie fest, erstaunlich überzeugt davon. "Ich möchte, dass du hierbleibst Wylla. Geh nicht mehr zurück, hier wird es dir gut gehen. Mir geht es hier gut", fügte sie hinzu und legte eine Hand zur Verdeutlichung auf Kassanders Unterarm. Der Heide durfte sich seit den Ereignissen vor wenigen Stunden zwischen den Fellen deutlich mehr Berührungen ausgeliefert sehen. Das musste selbst Boron auffallen.

"Is e Kassander an duine agam." Ob die Herrin Voraniens noch berauscht von den Genüssen war? Ob sie Blut geleckt hatte und mehr wollte? Vielleicht war sie bloß trunken vor Wiedersehensfreude, dazu noch trunken von den Zärtlichkeiten des Schlächters. Eine erstaunliche Mischung. "Is e Boron...un each." Boron ist ein Pferd. Elorie vergrub ihre Nase im Honigwein, während Wylla über die Bedeutung im Unklaren blieb. Leider kannte die Rothaarige keinen anderen Tierbegriff, um den Mann zu necken. Für Lady Ediths Ohren hätten die Worte durchaus zutreffen können.

 

Was Wylla nicht zu bewerkstelligen vermochte, ging Elorie weitaus einfacher von der Hand, denn Boron ließ sich zu einem amüsierten Schmunzeln verleiten – ganz im Gegensatz zu Kassander, dessen Gedankengut der neuesten Entwicklungen wegen längst nicht mehr beim Gast und den anderen war. Die schlimmste Befürchtung war eingetroffen. Es lag nicht an Voranien, sondern an seinem Weib höchst selbst. Eigentlich keine überraschende Wendung, jedoch eine, die man eigentlich hatte von sich weisen wollen. Aus menschlicher Sicht war die Ehe mit dem zierlichen Rotschopf denkbar ungünstig, denn mit allumfassender Sicherheit wäre seine Gemahlin nicht die erste Frau, die das Zünglein an der Waage eines Krieges darstellte. Ob Gustav nun lediglich handelte, um sich selbst unter dem Schutz der Nordmänner zu wähnen, war fraglich. Es musste mehr dahinterstecken, denn besah man sich die Sachlage einmal genauer, so hätte es gewiss eine Handvoll anderer Männer gegeben, die ihm diesen Schutz genauso hätten zuteilwerden lassen können. Männer aus dem grünen Land, aus Frisland oder den immergrünen Steppen. Christen, welche da ungezählte Soldaten in Kriege führten. Zudem hatte Gustav im Vorfeld nicht wissen können an wen er seine Nichte verschacherte; er hatte nicht wissen können, dass Kassander der Sohn eines Königs war … oder?

Das vermaledeite an neuen Erkenntnissen war wohl, dass sie oftmals mehr Fragen als Antworten mit sich brachten. Ihrer Ladyschaft ging es unter den Nordmännern zwar gut, was allerdings nicht viel damit zu tun hatte, dass sie ihrem Mann am Herzen lag. Wenngleich dies mit allumfassender Sicherheit der Fall war, wäre ihr selbst dann kein Leid widerfahren, hätte man sich nicht so rasch finden können.

„Du hast ein großes Mundwerk, Mädchen“, rissen ihn die unverständlichen Worte seiner Bruders, der sich wiederum am aufgetischten Wildbret gütlich tat und das Abendmahl damit zum Verspeisen freigab, aus den erhabenen Hallen seines Gedankenpalastes. Die überschwängliche Art der Prinzgemahlin sollte ansteckend wirken, im selben Atemzug allerdings gleichfalls ein klein wenig zerschlagen werden. „Dein Mann hat mit keiner Silbe sein Einverständnis zum Bleiben Deiner Cousine abgegeben.“ Boron sprach es nicht aus, um Wylla zu kränken oder aber um ihr ein Schnippchen zu schlagen, sondern um Missverständnisse aus dem Weg zu schaffen, bevor es zu spät war. „Verzeih mir meine Ehrlichkeit, Wylla. Was ich sage, hat nichts damit zu tun, ob ich Dir nun mein Vertrauen schenke oder nicht. Du aber dürftest Dir im Klaren darüber sein, dass das Auflösen eines Ehebundes in diesen Landen keinesfalls leicht zu bewerkstelligen ist. Selbst mit Deinen Malen, die Deinen Mann zweifelsfrei als keinen besonders guten Gatten ausweisen, wird es schwierig sein.“ Eine kurze Pause verlieh den Worten den nötigen Nachdruck.

Eine Pause, die das Narbengesicht dazu nutzte den aktuellen Gesprächsverlauf in die Sprache des Eises zu übersetzen. Erst jetzt wurde Kassander klar, aus welchen Gründen die Freude seiner Gemahlin so sehr überwog. Und obschon es ihm widerstrebte ihre gute Laune zu zerschlagen, nickte er zustimmend ob den Worten des Bruders im Geiste.

„Tha thu a 'smaoineachadh gu bheil e ro fhasa“ Du stellst Dir das zu einfach vor, sprach er in seiner basslastigen Baritonstimme an sein Weib gerichtet, während sich seine Schwerthand flüchtig auf der ihren zur Ruhe bettete. Der Blick indes, mit dem er seine Anvertraute bedachte, blieb ernst. Der Schlächter war kein Mann, der leichtfertig mit Versprechen um sich warf. Versprechen, die er am Ende womöglich nicht halten konnte.

„Im Besten Fall würde Dein Mann vor uns den Schwanz einziehen, das befreit Dich aber längst nicht vom Willen des Kreuzes.“, untermauerte Boron wie so oft zuvor die Gedanken seines Schwertbruders – diesmal an Wylla gerichtet. „Es gibt laut unseren Gesetzen nur zwei Wege, die Dich in die Freiheit führen.“, fügte der Diplomat in ernstem Tonfall hinzu, abermals zu Gunsten des Eisprinzen, wenngleich dieser längst noch nicht willens war die weizenblonde Schönheit für immer bei sich aufzunehmen. „Entweder Du hast das nötige Gold, um Dich von Deiner Pflicht als Ehefrau vor Jehovas Gesetzen freizukaufen oder aber Du findest einen Mann, dem Du Dich versprichst; Der für Dich tut, was getan werden muss.“ Ob Wylla verstand, was Letzteres zu bedeuten hatte? Und würde sie den Tot ihres jetzigen Gatten tatsächlich mit dem eigenen Gewissen vereinbaren können? Freilich, auf Mord würde es herauslaufen, vorausgesetzt sie fand einen Mann, der ihr diese Bürde abnahm.

 

Wylla verstand nicht auf Anhieb. Sie verstand noch weniger, als Boron viele Worte von sich gab. Schließlich aber wurde der Blonden das ganze Ausmaß ihres Besuchs bewusst. Und sofort suchte ihr Blick den voranischen Rotfuchs heim.

"Elorie", sprach sie jene an und musste ihren eigenen Mut suchen. "Ich kann hier nicht bleiben, wenn Du das denkst." Es tat weh dem Mädchen das Herz brechen zu müssen. Ein weiteres Mal, nur diesmal war es auch ihre Schuld. "Ich kann nicht mit dir kommen. Ich bin eine Ehefrau, vielleicht, so Gott mir gnädig ist, irgendwann eine Mutter. Und ich bin verantwortlich für die Menschen die mir unterstellt sind. Ich kann nicht weglaufen und sie Elrens Zorn überlassen. Das musst du verstehen." Wyllas Stimme war einfühlsam, weich, beinahe auf angenehme Art und Weise einlullend. Für ihre Dienste als Heilkundige ein regelrechter Segen. Und dann wandte sich die Blonde wieder an Boron und Kassander. "Was auch immer Elorie zu euch gesagt hat, ich bin hier um für einige Tage nach ihrem Wohlergehen zu sehen, ich werde nicht bleiben", betonte sie noch einmal um zu zeigen, dass ihr Besuch nicht dem entsprach, was man ihr soeben auf den Leib dichten wollte. Mitnichten war Wylla eine Frau, die sich für derartige Pläne begeistern konnte. Weder mit dem Tod ihres Mannes, noch mit einer anderen Gräueltat.

"Aber er ist schlecht zu dir!" Warf Elorie plötzlich ungläubig ein, betrachtete Wylla durchaus entsetzt und fassungslos während die Blonde mit einer beinahe stoischen Ruhe am Tisch sitzen blieb und auf den Vorwurf der Rothaarigen reagierte.

"Er ist mein Ehemann", korrigierte sie und lächelte sanfter. "Nicht alle haben das Glück, welches Du allem Anschein nach gefunden hast. Ich kam hierher in dem Wissen, was auf mich zukommen kann. Und ich tat es dennoch. Du darfst dir weder Schuld zuschreiben noch darfst du Mitleid mit mir zeigen. Sei stark für mich Elorie, denn ich bin es auch." Wylla streckte ihre Hand aus, um die der Cousine zu ergreifen, sie sanft zu drücken und dann auf mütterlicher Art zu ihr zu nicken. "Und nun iss", forderte die Blonde das Mädchen auf und nahm sich selbst ein wenig Fleisch. Die Diskussion war beendet. Fürs Erste. Elorie würde aber nicht aufgeben, denn der Gedanke, Wylla von ihrem Mann wegzuholen, sie bei sich zu wissen, war unumkehrbar fest in ihren Wünschen verankert und wollte nicht so schnell weichen.

Um die Stimmung wieder aufzulockern richtete Wylla ihren Blick wieder auf Boron. "Each. Was ist das?" Der Satz mit Kassander war irgendwie zusammenzubekommen. Der andere weniger. "Ihr wisst, dass Ihr Euch mit mir auseinandersetzen müsst, wenn ich einen Teil eurer Sprache lernen soll. Etwas weniger offensichtliches Misstrauen wäre daher wünschenswert." Wylla nippte am Wein, während die blauen Blicke über den Becherrand hinweg am Diplomaten haften blieben.

Elorie nahm sich schließlich auch Fleisch, hob den Kopf kurz darauf allerdings nochmal an, um Kassanders Ohr zu erreichen. Ihre Lippen schmiegten sich warm und weich an seine Haut, einmal mehr verlockend sich vorzustellen wie es sein würde der Adeligen mehr als nur die Zunge in den Mund zu legen.

"Is e Elren Wylla duine agadh. Is e Elren...böse...grausam..wie...Balder", versuchte sie ihm mitzuteilen und zog sich zurück, blinzelte kurz und widmete sich gleich darauf wieder ihrer Mahlzeit, als sei nichts weiter geschehen.

"Habt Ihr eine Familie? Oder seid ihr eurer Herkunft wegen ein besonderer Mann unter Ihnen?" Erkundigte sich Wylla zwischenzeitlich bei Boron. "Und was mich vielmehr interessiert, was könnt Ihr mir über Elories Gemahl sagen? Wenn die Gerüchte stimmen, so hat es nur zwei Tage gedauert um sich über alles zu einigen." Während die anderen Beiden in ihre Flüsterei und in die Mahlzeit vertieft waren, hoffte Wylla bei Boron mehr über die ungewöhnliche Verbindung zu hören. Leider war sie nicht Lady Edith, die für jene Art Verhör gewiss den Raum unter dem Tisch und ihre Hände gut einzusetzen gewusst hätte. Wo aber die Lüsternheit der Schwarzhaarigen fehlte, mochte den Diplomaten wenigstens der Verstand hinter dem blonden Haar als Unterhaltung dienen. Wylla war vielleicht die Tochter ihres Vaters - viel wusste man ja nicht über Gustavs Pläne und Hintergedanken - aber wenigstens eine ehrliche Seele. Umso deutlicher gewann man den Eindruck, dass die Machtverhältnisse innerhalb der Habings an das falsche Geschlecht übertragen worden waren. Doch damit mochten sie nicht die einzige Familie sein.

Eines jedenfalls kristallisierte sich in aller Deutlichkeit heraus: Ein jeder, der es wagte Wyllas wachen Geist zu unterschätzen, war ein Narr. Ihre Klugheit machte das Weib begehrenswert, sah man einmal von ihrer offenkundigen Schönheit ab. Sowohl das eine als auch das andere aber war eine überaus ungesunde Mischung. Boron wusste das, gleich wie dessen Schwertbruder, der wiederum einen kleinen Moment vom gesprochenen Wort seiner Gattin abgelenkt war. Ihr den Becher nicht zu entwenden kam purem Eigennutz gleich, denn Kassander wollte sich durch die Wirren der neuen Schicksalswenden keinesfalls davon abhalten lassen sein hübsches Weib in dieser Nacht ein weiteres Mal zu pflügen. Ein Gedanke, der ihm zusagte, wenngleich dieser im Augenblick außerhalb des Möglichen aufgereiht war. Eigentlich gab es Wichtigeres, worüber sich der Schlächter von Galgenfels Gedanken machen sollte. Allem voran die Weizenblonde, deren Mann ihm nach dem, was die Haut der Schönheit an Schandmalen unweigerlich aufwies, lediglich ein neuer Dorn im Auge war. Wenigstens war Gustavs Tochter einsichtig. Es ging ihr offenbar nicht darum, ihren eigenen Nutzen aus der Gastfreundschaft der Eismänner zu schlagen, oder aber sie versteckte ihr wahres Ansinnen gut hinter einer Maske von Freundlichkeit und Weitsicht.

„Der Sohn Rolands wurde unter dem Dämmerstern geboren. Dies an einem Tag, an dem die Grenzen zwischen den Welten der Götter und den Menschen äußerst dünn waren“, gab Boron von sich, dessen Blick für die Flüchtigkeit eines Momentes an seinem Bruder im Geiste hängenblieb, „Man sagt ihm nach in Odins Gunst zu stehen… in der Gunst aller Götter zu denen er betet und deren Ruf er oftmals inniger vernimmt als jeder einzelne von seinen Brüdern und Schwestern. Lange Zeit war sein Schicksal unklar, doch ist es ihm gelungen den Schwertgesang mit dem lieblichen Klang der Höchsten in Einklang zu bringen.“ Mit Absicht zäumte er das metaphorische Pferd von hinten auf, während er das Fleisch auf seinem Teller pragmatisch mit den Fingern zerteilte. „Doch die Götter, mit denen wir allesamt verbunden sind, stellten ihn vor manche Prüfungen, an denen die meisten von uns zerbrochen wären. Odin nahm ihm seinen jüngeren Brüder, da nannte mein Herr gerade mal sieben Mondzyklen sein Eigen. Das Kreuz wiederum beraubte ihn um alles was sein Herz im Einklang schlagen ließ und machte ihn zu jenem Mann, den er heute verkörpert. Kassander braucht neue Erben und Elorie wird sie ihm schenken. Und sieh selbst..“ Eine Handgeste in ihre Richtung konnte das gesprochene Wort untermauern. „Sie wird es gerne tun! Gleich wie er ihr jene Bürde gerne nehmen wird, die ihr da vom eigen Fleisch und Blut auf die Schultern gelastet worden ist.“

Auch hier galt es tunlichst darüber zu sinnieren, was gesagt und was damit gemeint wurde. Boron lag es fern neues Öl ins Feuer des Misstrauens zu werfen, denn wo er Wylla zuvor nicht besonders über den Weg getraut hat, hatte ihre Weitsicht und Gewissenhaftigkeit bereits erste Samen des Vertrauens gesät. Nicht nur das, denn wenn der Diplomat einmal eingehender darüber nachdachte, so würde er zwangsläufig einige Parallelen zur Vergangenheit ziehen können, welche der hartgesottene Krieger in dieser Stunde des Tages noch gar nicht hat erkennen wollen.

Wylla lauschte den Worten, die der Diplomat von sich gab, doch sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Die Götterwelt der Nordmänner war ihr fremd und sie selbst kannte nur das Gebet, um dem eigenen Gott so nahe zu sein. Sie wollte nachfragen, nachhaken, doch ausgerechnet Elorie beendete das Gespräch auf überraschende Art.

 

"Wylla, ich werde lernen ein Schwert zu führen", schaltete sich Elorie also wieder ins Gespräch ein und sah zu zu ihrem Mann, deutete auf die Waffe welche da angelegt am Zelteingang stand und auf sich, genauer gesagt auf ihre Hand. "Is e Elorie un Kriegerin", behauptete die Rothaarige und erntete ein weiteres Mal an diesem Tag den liebevollen und durchaus glücklichen Blick der Blonden. Sie brachte es nicht übers Herz Elorie deswegen zu entmutigen.

"Dann wirst du neue Kleider brauchen. Deine Arme passen dann nicht mehr in die Ärmel." Wylla schmunzelte, Elorie lachte herzlich auf und der arme Kassander benötigte eine Übersetzung. Noch immer blieb die gute Laune seiner Frau bestehen, war angenehm zu sehen, fast erschreckend wie plötzlich diese gekommen war und nicht mehr gehen wollte.

"Boron, habt Ihr gehört? Gebt ihr mir dann Eure?" Wein und ihr Gemüt würde sich nicht gut vertragen und bestimmt ließ der Diplomat den liebevollen Spott nur über sich ergehen, weil er wusste, wie schlecht sich das Mädchen am nächsten Morgen fühlen musste, besonders jetzt da ihre Nase wieder im Weinbecher versank.

Ihr Zwischenruf sorgte zum einen für neue Heiterkeit und zum anderen dafür, dass der Narbengesichtige im Augenblick davon absah über seine eigenen Familienverhältnisse zu sprechen oder zu übersetzen, mit welch dreisten Tiernamen er von seiner Herrin bedacht worden war.

„Seinnidh tu òrain mu dheidhinn, nigheanan-sìthe“ Sie werden Lieder über dich singen, Feenmädchen, bekräftigte Kassander roh doch lachend, während er den Kelch vor sich zum Prosten anhob.

„Hört her, hört her!“, stimmte Boron ein, dessen Lachen im Einklang mit jenem seines Bruders war, „Doch wenn man Deine Taten besingt, Mädchen, dann solltest Du Dich vielleicht nicht in den Gewändern eines ´each´ … eines Pferdes … zeigen.“ Worte, die wiederum – just drangen sie übersetzt ans Ohr des Schlächters – für neuen Ernst in seinem Mienenspiel sorgte.

Dass das Mädchen wirklich lernen sollte ein Schwert zu schwingen konnte die Blonde wiederum nur schwer glauben. Sicher nur Worte, um ihren Mut zu stärken. Doch es funktionierte. Elorie war jetzt schon offener, als sie die Kleine auf familiären Festen jemals hatte erleben dürfen. War das alles den Nordmännern zu verdanken? Oder steckte noch mehr dahinter? Wylla trank ebenfalls neuen Wein, aß vom Fleisch des Gastgebers und stimmte in das Lachen mit ein. Sie mochte eine Fremde sein, doch am heutigen Abend wirkte die kleine Gesellschaft gelöster, vertrauter, als sei dies nicht die erste Zusammenkunft dieser Art.

"Denkt ihr wirklich, sie werden Lieder über mich singen? Wylla könnte sie weitergeben, sie hat eine schöne Stimme", behauptete Elorie, allem Anschein nach und durch honigweinsches Zutun angetan von der Idee in einem Lied vorzukommen. Die Behauptung über die Cousine ruhte überdies nicht von irgendwoher. "Du hast mir früher öfter etwas vorgesungen, glaube ja nicht, dass ich das vergessen habe", warnte Elorie die Blonde und entlockt jener ein neues Lachen. Wylla schwieg jedoch, prostete nur in die Luft und war gleich wieder abgelenkt von Kassanders Worten:

„Elorie gut bei ich!“, gab der hochgewachsene, gestählte Eisprinz nämlich standhaft von sich, womit er das Offensichtliche ins gebrochene Wort der Grünländer fasste. Nicht nur sein Weib lernte dazu, nein, er tat es ebenso… und war das nicht ein gutes Zeichen?

„Tha mi gad gealltainn“ Ich verspreche es Dir. Lediglich ein weiteres Versprechen, welches da guten Gewissens für die Nachwelt ins gesprochene Wort konserviert werden wollte; ein Versprechen, dass gehalten werden konnte, denn selbst wenn es sich der Sohn Rolands am allerwenigsten eingestehen konnte, mochte ein Teil seines oftmals kalten Herzens bereits an jener hängen, die fortan seine Seite zierte.

Bislang hatte er damit allem Anschein nach Recht behalten, sie konnte nur für Elories Seele beten, dass dem auch so blieb. Das Mädchen hatte den Becher mittlerweile in erstaunlicher Geschwindigkeit geleert und griff wieder nach dem Krug, um sich selbst und den anderen nachzuschenken. Kassanders Zuspruch hatte sie mit einem Lächeln bedacht.

"Elorie geht es gut bei mir", korrigierte sie den Mann und schob seinen wieder gefüllten Becher unter dessen Nase. "Earbsa", fügte sie hinzu, sah dann zu Wylla. "Das heißt Vertrauen", übersetzte sie an Borons Stelle, füllte auch seinen Becher und kam dann zur weizenblonden Tochter Gustavs herum. Eine durchaus niedliche Schankmaid, selbst das Mundwerk schien an diesem Abend zu passen.

"Ich vertraue ihm, Wylla. Er hat Lord Balder getötet, als dieser mich holen wollte. Für den König", klärte sie die Cousine auf. Wyllas Blicke verfielen rasch wieder in Ernsthaftigkeit, glitten hoch zu Elories Gesicht und musterten jenes. Hatte sie den Mord an dem wichtigen Mann so schnell überwunden? Oder sah sie das Blut noch in ihren Träumen?

"Ihr habt ihn getötet?" Kassander verstand ihre Worte nicht, doch die Überraschung in ihren Blicken sprach genauso Bände. "Einen Mann des Königs? Ich denke nicht, dass das klug war", warf Wylla ein, nicht daran denkend, dass es viele Männer gab die zuerst handelten und dann nachdachten. Beim Schlächter von Galgenfels war wohl die dritte Art zu finden: Jene, die sich einer anderen Sache verschrieben hatten und alles dafür taten. Ob Elorie für den Mann wirklich eine so wichtige Person darstellte? Es machte ganz den Anschein.

"Nicht klug, aber notwendig." Die Worte stammten tatsächlich von geschwungenen Lippen, der grüne Blick der Rothaarigen war überraschend ruhig. "Ich habe bereits mit Lady Idelia gesprochen und es geht ihr gut. Sie dankt uns sogar. Auch ihrem kleinen Sohn geht es gut, du hast keinen Grund zur Sorge", beteuerte das Mädchen und nahm lächelnd wieder Platz. "Wylla, es geht mir gut hier. Morgen werde ich Dich Aslaug und den anderen Frauen vorstellen. Sie sind herzliche Menschen." Vielleicht würde diese Art der Bekanntschaft helfen, um der Blonden mehr Zuversicht zu schenken. Fürs Erste schien Wylla allerdings zufriedengestellt, trank noch einen Schluck aus ihrem Becher und erhob sich dann.

"Ich werde mich zurückziehen. Tapadh leat.", wandte Wylla den gelernten Dank an und wünschte in ihrer Sprache eine gute Nacht. Den Inhalt der Satteltaschen würde man gewiss in ihr Zelt gebracht haben, sodass die Blonde ohne Umwege hineingehen konnte. Elorie blieb und sah zu Boron.

"Misstraust Du ihr immer noch?" Wollte sie wissen, den Mann offenbar nur mit Wein im Blut duzend. "Sie ist nicht wie die anderen. Elorie vertrauen Wylla." Fügte sie für Kassander hinzu und sah wieder zu ihrem Gemahl. "Kassander vertrauen Wylla", erbat sie von ihm, doch das musste der Nordmann natürlich selbst entscheiden. "Wen können wir für sie finden? Welchen Mann?" Elorie lachte schon wieder bei dem Gedanken. Wylla musste einen Mann finden, damit sie Elren loswurde, das gefiel dem mittlerweile angetrunkenen Mädchen sehr wohl. "Er muss aber gut sein." Verlangte die Rothaarige und schob die Nase zurück in den Becher. Wenn Kassander nicht Acht gab würde die Adelige unter ihm einschlafen anstatt sich wohlig zu räkeln.

 „Ich vertraue nur dem Wein, kleine Kriegerin, dem Du wiederum ein wenig mehr Misstrauen zukommen lassen solltest“, gab Boron schier väterlich von sich, kaum willens die gute Laune der zukünftigen Königin im Keim des Seins zu ersticken. Wylla mochte ihr am Herzen liegen, doch war diese zu Gunsten Kassanders zu pflichtbewusst, um ihr dunkles Eheschicksal an einen Schwertkundigen abzutreten. Und so erhob sich Boron, getrieben vom nonverbalen Wink mit dem Zaunpfahl seines Herrn, um die beiden Höchsten des Heerlagers hinter sich zu lassen. Ohnehin hatte ihm der Tag einiges abverlangt und der Kommende würde schneller nahen als es den Männern und Frauen aus dem Eis lieb sein konnte. Er ließ die beiden hinter sich, verließ das Zelt und bewegte sich westwärts auf seine eigene Schlafstatt am Rande des Heerlagers zu.

Elorie hatte Boron noch eine geruhsame Nacht gewünscht, ließ sich auch jene Worte übersetzen und hatte nicht einmal eine Sekunde zu ihrem Gemahl sehen müssen, um zu wissen, dass jener etwas im Schilde führte. Das Funkeln in dessen Augen war deutlich herauszulesen. Aber sie flüchtete nicht, eine solche Reaktion hatte Kassander zu keinem Zeitpunkt von ihr erfahren und gewiss konnte der Mann sich keine größere Zufriedenheit wünschen, denn der Rotfuchs hielt sich an jene Abmachung die getroffen worden war.

 

Die Gunst der Einsamkeit wurde im Zelt des Schlächters in der Tat weislich ausgenutzt. Flink entwand Kassander seinem Weib den Weinkelch, stellte diesen auf dem schmalen Holztisch nieder und packte mit der anderen Hand nach ihrem Stuhl, um diesen ohne Schwierigkeiten näher zu sich herzuziehen. Abermals konnte man auf seinen Lippen das frivole Lächeln erkennen, welches da auch ohne große Verständigungsschwierigkeiten zutage trug, was in seinem Oberstübchen vor sich ging. Starke Hände packten nach der Zierlichen, lenkten ihren Leib als käme ihr Gewicht einer Feder im Sturmwind gleich, sodass sich die voranische Adelsdame schon bald auf dem Schoss ihres Mannes wiederfand.

„Kassander hungrig“, raunte der gestählte Nordprinz ohne weiteres Federlesen, gab seinem Weib jedoch keine Möglichkeit ihm die Flausen anderweitig aus dem Kopf zu schlagen. Freilich, es dauerte nicht lange bis seine Lippen wohlig auf der samtigen, nackten Haut ihres Dekolletés landeten; bis sich seine Zähne neckend ins feine Fleisch ihres Busens gruben und unter dem teuren Stoff feine Bissspuren hinterließen. Beherrscht war anders, zweifelsfrei, doch wollte der leichte Schwips der Kleinen gleich wie die Einsamkeit weislich ausgenutzt werden.

Sobald sie sich wieder in unmittelbarer Nähe zu ihm, auf ihm, befand, sah ihn die Rothaarige an, als sei es wieder die Nacht am Wasserfall. Nur fand Kassander anstatt Unruhe und Ungewissheit eine leichte Glut in den grünen Augen vor. Eine vorfreudige Atemlosigkeit, die seine Lippen nur weiter vorantrieb. Elorie schloss die Augen, als sein Mund zum ersten Mal von der Haut ihres Dekolletés kostete, und rasch fanden ihre Arme den Weg um seinen Hals, sei es nur um sich festzuhalten.

"Kassander immer acras", raunte das Mädchen, mittlerweile wissend und lächelte dennoch, begann sogar unbewusst mit ihren Fingerspitzen seinen Nacken zu berühren. "Is e Kassander mo apill." Neckte sie den Barbaren urplötzlich, lachte unbeschwert auf und zog eine Hand von ihm fort, um nach dem Weinglas zu greifen. Umsonst, daher schmiegte sich die zarte Zierde wieder enger an Stuhl und Gemahl. Sein Vorhaben stieß eindeutig auf Zustimmung. Sie zeigte es in unbewussten Gesten, mehr aber noch auf den feinen Zügen ihres Gesichts. Zwischendurch huschte immer wieder ein fast schelmisches Lächeln über ihre Mundwinkel und schließlich war es sogar die junge Adelige, die den Kopf vorbeugte um ihre Lippen auf jene des Nordmanns zu legen. Und mehr noch, denn ihre Zunge suchte sich weich und trunken einen Weg in seine Mundhöhle, genoss den Geschmack des Heidenprinzen und schien mehr und mehr Gefallen daran zu finden. Gewiss mochte viel dem Alkohol zugeschrieben werden, aber konnte dieser doch nur hervorholen was bereits tief im Innern verborgen lag, nicht wahr?

"Mo apill", flüsterte Elorie in seinen Mund, musste dann aber wieder auflachen und ihre Lippen zurückziehen, um ihn fast herausfordernd amüsiert anzublicken. "Kassander ist gut zu mir." Kam im selben Atemzug von ihr, ehrlich und freudig darüber, weswegen sie ihn schnell wieder küsste und dabei den wohlgeformten Oberkörper spürbar fest an seine Brust presste.

„Kassander immer acras“, echote der Feldherr indes mit einem frivolen Lächeln auf den Zügen, ehe er nur zu gern von ihren süßen Lippen kostete. Ihr Kuss war verlockend, trug zutage, was der Wein zutage tragen wollte. Elorie konnte leidenschaftlich sein und ihr Mann freute sich auf jenen Tag, an dem es ihr gelingen wollte jene Reize, die ihr zweifelsfrei gegeben waren, auf ihn wirken zu lassen.

„Kassander immer gut zu Du“, doppelte der gestählte Wildling nach, während er die Schwerthand ungeniert unter ihren Rock und über die Innenseite ihres Schenkels gen weibliches Zentrum schob. Ihr Durst war geweckt, was unschwer an den lüsternen Blicken seines Weibes zu erkennen war. Und wo der Durst aus dem tiefen Schlummer des Unwissens gelockt war, so die Hoffnung, würde er bald schon mit wacher Neugierde Hand in Hand gehen wollen. Hauchzart, gar neckisch, stupsten die rauen Fingerspitzen gegen die stummen Lippen seiner Anvertrauten. Verlockend und lockend zu gleichen Teilen, während sich der Nordmann müßig auf seinem Stuhl zurücklehnte. Einmal mehr war es der Blick aus aschgrauen Augen, der sie fixierte; der seine Aufmerksamkeit voll und ganz auf der Frau auf seinem Schoss hielt, als gäbe es in diesem Augenblick kaum wichtigeres sehen.

Behutsam wurden die stummen Lippen geteilt. Kundig betteten sich die Kuppen von Zeige- und Mittelfinger auf der intimsten Stelle ihres Leibes, doch zu flüchtig um ihrer Ladyschaft ebenjenen Genuss zu schenken, nach dem sie sich womöglich auf ein Neues an diesem Tag sehnte.

Elorie fühlte seine Hand unter den Stoff ihres Kleides wandern und war jedes Mal aufs Neue überrascht wie angenehm Fingerspitzen auf nackter Haut sein konnten. Nie hätte sie zu glauben gewagt, dass es einen Mann gab, der ihre Sinne so sehr reizte und ihre Gier wecken konnte wie eben jener Barbar aus dem Norden. Ein Heide, wie sie sich verpflichtend immer wieder ins Gedächtnis rief, doch soeben wurde all das zunichte gemacht durch zwei Fingerkuppen, die eine Gänsehaut über ihren Körper jagten. Schon hatte Elorie die Augen geschlossen, schien zu glauben, dass sie wieder etliche Genüsse zu spüren bekam, doch dann zog dieser grausame Schuft sich zurück und erntete dafür einen fast schmollenden Blick, den er noch lange in Erinnerung behalten würde.

„Elorie berühren Kassander.“ Fast klang es nach dem, was es unweigerlich war. Keine Bitte, sondern ein Befehl – eine Aufforderung die Neugierde zu stillen, genau da wo es keine Worte aber Taten gab. Der Schlächter von Galgenfels genoss die Tatsache, hierbei einmal mehr am längeren Hebel zu sein, mehr als nur minimal. „Gabhamaid malairt“, gab der Barbar amüsiert von sich, die Fingerspitzen so nah und doch so fern vom süßen Lustzentrum entfernt. „Malairt“, sprach er langsam weiter. „Handel“, fügte er das Wort in der Sprache des grünen Landes an. „Kassander berühren Elorie. Elorie berühren Kassander.“ Eine Berührung für eine Berührung – ein fairer Handel, wie der Feldherr für sich befand.

Elorie betrachtete sein Gesicht und sah die Amüsanz darin. Er genoss es deutlich mit ihr zu spielen, ihre Erfahrungen gemeinsam zu erleben. Sein Befehl wollte einen neuen Schauer über ihren Rücken jagen lassen, wohlig, denn genau wie am Wasserfall würde der Mann kein Nein dulden.

"Malairt", wiederholte Elorie und ließ den Blick schließlich an seinem Gesicht hinabwandern. Über Hals und Brust, bis zum Ansatz seiner Hose, dann schlug das Mädchen die Wimpern wieder auf. "Ja." Nur zwei Buchstaben, die doch soviel mit sich trugen. Zumal das aufkommende Lächeln auf den weichen Lippen den Barbaren gewiss noch mehr amüsieren konnte. Die Rechte an seinem Nacken machte sich auch gleich auf und davon, streichelte sich nach vorne über Kehle und Hals, fuhr behutsam unter sein Hemd und begann erst oben, in keuscheren Gefilden, zu erkunden. Wie am Wasserfall interessierten Elorie besonders die Narben, denn dort war die Haut anders geformt und keine glich der Anderen. Er war warm, strahlte eine unbändige Hitze aus und je näher ihre Berührung in Richtung seines Bauches und den dort vorhandenen Muskeln kamen, umso leichter mochte es seinen Fingern fallen Stück für Stück weiter vorzudringen. Das Mädchen war feucht und dafür konnte man nicht dem Alkohol die Schuld geben. Ohne es zu bemerken, spreizte die schöne Edeldame ihre Beine ein wenig mehr, als mache ihr Gemahl sie nahezu kraftlos.

"Elorie berühren Kassander", bestätigte die junge Schönheit und biss sich in einem Anflug von wachsender Ungeduld leicht auf die Unterlippe. "Jetzt Kassander berühren Elorie." Ihre Stimme mochte ebenfalls befehlen können, wenn es auch nicht für Heerscharen, sondern nur für den Barbaren reichte. "Bitte..." hauchte sie ungeduldig mit dem Klang einer erregten, willigen Frau. "Berühre mich."

Ihre weichen, samtigen Fingerspitzen auf seiner Haut, ließen den gestählten Heerführer zufrieden knurren. Wölfisch mutete es an. Schelmisch und spitzbübisch, während die trainierten Muskeln unter ihrer Berührung deutlich arbeiteten. Eine Zärtlichkeit für eine Zärtlichkeit. Wer wäre er, würde er den Handel nun ausschlagen. Nur zu gern gab er dem Weib, was es begehrte. Diesem schönen, lieblichen und schützenswerten Fuchs, deren wohlgeformter Leib sich danach sehnte aufs Neue an diesem Tag erobert zu werden. Ihre Worte hingen betörend im Raum. Kaum ausgesprochen, als sich seine Hand ein weiteres Mal vorwagte um die stummen Lippen zu teilen. Noch mehr, denn Kassander liebkoste seine Anvertraute nicht nur. Selbstgerecht mutete es an, wie er die Finger in ihrer feuchten Enge versenkte, wobei ihm das Blut noch inniger gen Körpermitte sickerte. Tief drang er mit Zeige- und Mittelfinger in sie ein – gab dem schönen Mädchen wonach es ihren Sinnen in dieser Stunde am ehesten verlangte, genoss es aber umso mehr das liebliche Wesen weiterhin zu quälen.

Er hätte über sie herfallen können, um es nicht nur ihr sondern gleichfalls sich selbst nicht schwer zu machen. Wo aber bliebe da der Reiz? Verschmitzte Züge nahm sein sonst so versteinert anmutendes Antlitz an, als er sich ihr unerwarteterweise entzog; als er die von ihrem Lustnektar feucht schimmernden Fingerspitzen unter dem Rock hervorzog, um ihr die Möglichkeit zu geben sich selbst zu schmecken. Eine Rückzugmöglichkeit gab es nicht, als er mit dem feuchten Kuppen die filigranen Konturen ihrer Lippen nachzog. Aufmerksam ruhte der Blick aus aschgrauen Iriden auf ihrem lieblichen Gesicht während dieser Tat. Gewiss ein neuer Ausflug über die Grenzen der üblichen Konventionen hinweg, doch bevor Elorie einfallen konnte nur einen Gedanken an das für und wider zu verschwenden, legte er seine Lippen auf die ihren. Auch er konnte sie schmecken. Ihre Gier, der süße Geschmack ihrer Lust, der dazu in der Lage war die niedrigsten Triebe seiner selbst zu wecken.

Keine Geduld die sich da im folgenden Kuss widerspiegelte, dafür harsches Verlangen. Wieder dieses Knurren des Wohlbefindens, das sein Wesen und Sein jenem Wolf ähnlich machte, den er oftmals gerne verkörperte. Nicht mehr lange und er deutete ihr an sich zu erheben, doch entgegen der Gewohnheit machte sich der Königssohn nicht auf Anhieb daran sie zu entkleiden. Nein, es war an ihr den Handel zu vertiefen. „Elorie berühren Kassander.“ Genau so besagte es die Vereinbarung.

 

Soeben entwich dem einen, unschuldigeren Mund ein süßes Stöhnen als sich Finger verlockend rau und tief in ihr Inneres schoben. Sie konnte ihn deutlich spüren, er trieb nicht nur ihre Gier, sondern auch ihren Puls an. Wie schnell sich ihre Brüste hoben und senkten war ein jedes Mal aufs Neue ein wunderbares Schauspiel. Wie ihr Körper mit den neuen Reizen umging ein Genuss für die Sinne. Das Mädchen schloss vor Erregung wieder die Augen, wagte es sogar den Kopf ein wenig gen Nacken zu legen, doch da verließ man sie ein weiteres Mal. Enttäuschung suchte Kassander heim, fast wild anmutendes Schmollen, weil er sie so gerne quälen wollte. Gerne hätte Elorie den Mann mit Verwünschungen bedacht, doch er küsste sie im selben Moment und trieb alles wieder von sich. Nur um den Kuss gleich darauf zu lösen und das arme Ding genauso unbefriedigt zurückzulassen wie zuvor. Dennoch kam die Rothaarige seinem Wunsch nach und erhob sich, wenn auch auf wackelige Beine. Vor ihm stehend war es nun die junge Frau, welche hinabsah, wieder geschmückt mit einem Lächeln. Er schien sich diese Berührung genauso zu wünschen wie sie. Und wo, das hatte Lady Edith ihr lang und breit erklärt. Sie selbst es ja in der Nacht am Wasserfall schon erlebt. Genau dort, wo auch ihr eigenes Zentrum innewohnte mochte der Mann des Nordens ebensolche Empfindungen erhalten können. Elorie wagte einen Schritt näher an ihn heran und streckte die Hand aus. Sie begann jedoch noch nicht ihn zu quälen, sondern zupfte am Stoff seines Hemdes und würde warten bis dieses fiel. Erst dann begann die Rechte am Bund seiner Hose nach den Schnüren zu greifen und zu ziehen, bis die Linke folgte um zu helfen. Just in dem Moment als sie fallen wollte, gesellte sich jedoch eine andere Stimme hinzu.

"Es tut mir leid, gerade jetzt stören zu müssen." Elories Kopf fuhr herum. Sie sah einen Mann in dunkler Gewandung, das Gesicht durch eine Kapuze verhüllt, doch in seiner Hand trug er ein Messer. Wie er sich in das Zelt hatte schleichen können blieb sein Geheimnis, doch nun stand er hier, leibhaftig vor Elorie und Kassander, sprang vor und griff nach dem Arm des Mädchens, um es an sich zu ziehen. Sofort suchte blanker, scharfer Stahl ihre Kehle heim und bot mit dem panischen Blick Elories einen schrecklichen Anblick.

"Einen Schritt und sie ist tot." Kassander brauchte keine Übersetzung, um zu wissen, was aus dem Mund des Schwarzgewandeten floss. Der dunkle, fast schwarze Blick des Fremden genügte. Es bereitete ihm Spaß Angst zu verbreiten. Um den Barbaren dazu noch zu kopflosem Handeln zu zwingen senkte er den Kopf und bettete seine Nase in das weiche Haar der nordischen Prinzgemahlin. "Sie riecht so gut...ich wette sie schmeckt genauso....", wisperte er gut hörbar für Kassander, aber auch für Elorie, welche halb erstarrt die Augen schloss. "Übersetze es ihm, meine Schöne! Sag ihm, dass er uns gehen lassen soll." Die junge Adelige öffnete die Augen wieder, schimmernd vor Furcht, auch wenn dies nicht die ganze Wahrheit zu sein schien. "Gehen lassen. Kassander vertrauen Elorie..." flüsterte die Edeldame leise, flehend, und musste bereits die ersten Schritte rückwärts machen, als der Fremde dies auf selbige Art verlangte. 

"Geh", raunten böswillige Lippen an das Ohr der Schönen, warteten bis sich ihre Füße in Bewegung setzten, den Blick immer noch ohne Unterlass auf den Schlächter gerichtet. Es machte dem Mann Freude den Barbaren bis aufs Blut zu reizen denn er war gut bezahlt worden. Elorie musste ihrer Starre schließlich ein Ende bereiten um nicht jetzt schon Bekanntschaft mit der scharfen Klinge zu machen. Ihr letzter Blick galt Kassander, wehmütig, tatsächlich sehnsüchtig, denn sie wollte wieder zu ihm. Was dachten sich der Herr und seine Götter nur? Welchen Plan mochten all jene verfolgen, die da als unsichtbare Strippenzieher über allem standen? Elorie wusste es nicht zu sagen und ihre Aufmerksamkeit lag nunmehr darauf keinen falschen Schritt zu machen. Wenigstens riss der Mann ihr außer Reichweite des Lagers endlich die Klinge vom Hals und packte sie stattdessen fest und grob am Arm, um sie mit sich zu ziehen.

"Komm Mädchen, ich werde noch gut für dich bezahlt", grollte er eigentümlich selbstzufrieden und zerrte den Rotfuchs ohne Rücksicht auf Verluste ins Dickicht des Waldes. Hier war zu sehen, dass der Mann vorbereitet war. Ein dunkler Rappe versteckte sich in einer Höhle, darin die Reste eines Lagers. Wie viele Tage mochte der Fremde hier gewartet haben? Auf seine Chance gelauert? Beim Pferd angekommen ließ er Elorie zum ersten Mal los und griff in die Satteltaschen, um ein Seil herauszuholen. Die Adelige blieb stehen, unschlüssig, und sah hinter sich, doch Kassander war nicht zu sehen. Sie hatte fast damit gerechnet den Barbaren in blinder Wut und mit einer Axt durch den Wald rennend hinter sich zu wissen, die Tatsache dass hinter ihr niemand war … traf sie ernüchternd.

"Er kommt nicht, Mylady." In einer schmerzhaften Geste zog der Fremde an ihren Händen, faltete diese zusammen und band den Strick fest um die zarten Gelenke. "Und dennoch werden wir uns sputen. Bei den Barbaren habt ihr gewiss gelernt zu reiten..." Ein spöttisches Lachen seiner Wortwahl wegen, dann griff er wieder nach Elorie und half dem Mädchen unsanft aufs Pferd, nur um sich direkt dahinter zu schwingen, unter ihren Armen hindurch nach den Zügeln zu greifen und loszureiten. Wohin? In Richtung der Landesgrenze, dem breiten Fluss Aue, den nur eine einzige Steinbrücke mit dem anderen Land verband.

8.

Um das eigene Zelt, in dem die weizenblonde Adlige für die Dauer ihres Aufenthaltes untergebracht war, zu erreichen, musste Wylla an jenem Feuer vorbeischreiten, welches da lediglich von einer einzelnen Seele als Wärmequelle genutzt wurde. Ruhig wirkte der Mann, welcher da aus moosgrünen Augen in die tänzelnden Flammen starrte. Leer war sein Blick, was lediglich dem aufmerksamen Beobachter auffallen sollte. Konnte er aus jenen Seelenspiegeln, die die Farbe zerklüfteter Wälder in sich vereinten, überhaupt sehen? Nichts daran machte den Anschein er wäre des Sehens unfähig, denn wie hätte er sein Augenmerk unlängst auf ihr zur Ruhe betten können, wäre er blind? Etwas Mystisches haftete dem fremden Hünen an; etwas Unnahbares, Ungreifbares; etwas, das man auf Anhieb keinesfalls beim Namen nennen konnte! Sein langes, dunkelbraunes Haar tänzelt im aufziehenden Wind des nahenden Sommergewitters, während die frische Luft den wohligen Geruch von Regen übers Heerlager brachte. Auf Anhieb war er wohl ein Fremder unter Fremden – einer von dutzenden Nordmännern, die aus der Sicht der Grünländer mit dem Teufel höchst selbst im Bunde standen. Und doch war da mehr… ein loses Gefühl, ein Stich in der Seele… ein Flüstern aus den Wipfeln der nahen Baumriesen, wie sich diese unweit der Zeltstadt dicht an dicht zu einem Wald formierten.

„Wann habt Ihr, Lady Wylla, zum letzten Mal von Löwen im Schnee geträumt?“ Eine seltsame Frage. Allem voran aber eine, die entweder durch Mark und Bein fuhr oder aber spurlos an der lieblichen Blondine vorbeiziehen wollte. Die Stimme des Sehers war tief, dunkel und schier unnatürlich, jedoch keinesfalls unangenehm im Klang. Als riebe man Schiefer auf Schiefer, während die Worte, die seiner Kehle entrannen, wohlverständlich doch überaus akzentschwer anmuteten. Wer immer da einsam und verwaist am Feuer saß, er beherrschte die Zunge des grünen Landes, doch hatte er diese längst nicht so perfektioniert wie Boron. „Oder aber, um die Frage anders zu stellen..“, fügte der Seher an, bevor die Angesprochene das feingeschwungene Lippenpaar, zur Antwort ansetzend, hätte teilen können, „Habt Ihr Euch niemals gefragt, aus welchen Gründen bis heute kein Kind unter Eurem Herzen wuchs, wo Euer Mann – wir wissen es beide – das Grünland bereits zigfach um Bastarde bereichert hat?“ Wo die eine Frage seltsam klang, durchbrach diese die Privatsphäre der schönen Adelsgeborenen wie ein Pfeilschuss. Wenngleich man sich bis zum heutigen Tag noch nie über den Weg gelaufen war, mochte der Fremde, dessen Blick noch immer auf den labenden Flammen ruhte, mehr über Wylla wissen als dieser behagen konnte.

Die Baronin von Windfeste hatte nur ein einziges Mal den Kopf gewandt, nur einen Augenblick zu dem Fremden am Feuer gesehen, doch bereits das Neigen ihres zarten Halses war zu viel, wie sie nun feststellen musste. Als die erste Nuance seiner Stimme ihren Gehörgang erreichte, blieb die junge Frau stehen und sah wieder zu ihm hin. Ihr Gesicht ließ keinerlei Rückschlüsse zu, sie hätte ängstlich, überrascht, neugierig sein können. Was dort von unbekannten Lippen floss war wie ein Spaziergang durch einen Traum. Jene Situation wo man verfolgt wurde, aber die Beine wie angewurzelt wirkten. In ihren Augen schimmerte der rötliche Feuerschein, doch noch kam Wylla nicht näher. Schweigen schlug dem Fremden entgegen, doch es war auf seine Art und Weise laut. Vielleicht wusste er ja auch genau, was sie gerade dachte.

"Das habe ich", lautete die ruhige Antwort und schließlich deutete das Zuwenden ihres Körpers an, dass sie sich auf jenes Gespräch einlassen würde. "Viele Male", fügte Wylla hinzu, entließ den mysteriösen Nordmann dabei zu keinem Zeitpunkt aus ihrem Blick. "Wer seid Ihr?" Eine Frage, die gleichzeitig Aufschluss darüber geben konnte, woher er sie kannte und ob sie ihn überhaupt kannte. Endlich kam sie einen Schritt näher, noch immer ruhig, doch das Flackern der Flammen in ihrem Blick deutete ihr inneres Zerwürfnis durchaus an. Wylla war beherrscht, eine Meisterin darin schlechte Gedanken und das eigene Seelenheil so gut wie möglich vor anderen zu verbergen. Nun aber schien selbst dieser Versuch nicht zu gelingen. Als sei sie ein offenes Buch für jene moosgrünen, blinden Augen des Fremden.

„Als mein Volk zum ersten Mal gen Osten segelte, ins Land der aufgehenden Sonne, war es im Vorteil“, sprach der Mann am Feuer, was anfangs aus dem Kontext gerissen nicht so richtig zur Frage passte, die man ihm gestellt hat. Irritierender aber musste für die Weizenblonde die Erkenntnis sein, dass der Fremde zwar vom flackernden Feuer auf und zu ihr hinsah, es allerdings nicht zur Gänze schaffte mit seinen Iriden den ihren Blick einzufangen. Nichts mochte dem Geist einer Heilerin den Eindruck vermittelt, er wäre des Sehens nicht mächtig, doch war dem so. Der Nordmann war blind, dessen Sehnerv von etlichen Jahren des Lichtentzuges zu sehr verkümmert, um der wahren Bestimmung seines Daseins Folge leisten zu können. Und doch sah er sie an. Nicht gar durch das schöne Weib hindurch, wie es Blinde oftmals zu tun pflegten, nein, er blickte ihr ins Antlitz, während die rechte Hand eine einladende Geste vollführte. Sie sollte sich zu ihm setzen, ihm Zeit schenken. Aufmerksamkeit, gleich wie er ihr eine Aufmerksamkeit schenkte, die im grünen Land zwischen Mann und Frau kaum mehr gegeben war.

„Die Menschen aus dem Morgenland sind keine Bootsbauer. Genaugenommen haben sie bis vor wenigen Jahrhunderten nicht einmal gewusst, wie ein Schiff auszusehen hat. Es überschritt ihre Lehren … ihren Verstand … und was der Geist nicht kennt, das kann das Auge meist nicht wahrnehmen.“ Scharfsinnig. Unvorstellbar, jedoch oftmals wahr. „Sie haben die Schiffe meiner Ahnen am Horizont nicht gesehen!“, fügte der Fremde an, ehe seine Lippen ein amüsiertes Lächeln formten. Wahrlich, der Wildling sprach in Enigmen, war aber keinesfalls gewillt die filigrane Adelsdame länger als nötig im Unklaren zu lassen. „Gleich verhält es sich mit Euch und mir, Lady Wylla.“ War das ein weiteres Rätsel? „Ihr kennt meinen Namen, vermutlich bereits Euer ganzes Leben lang. Ich war schon immer da, Mylady, die Spannweite einer Feder weit von Eurer Wahrnehmung entfernt.“ Wie nur, war das möglich? Der blinde Seher, diese Erkenntnis lag nahe, sprach von Dingen, die sich außerhalb der vom Kreuz auferlegten Grenzen abspielten. Von Teufelsbünden und Magie, welche man als Christin niemals würde verstehen können. Niemals, vorausgesetzt man hielt vehement an jenen Dingen fest, die man kannte. „Man nennt mich Fhean, von Fheannag, was in Eurer Sprache Krähe bedeutet.“

"Wollt Ihr mir sagen, ich hätte einen Mann wie Euch übersehen, nur weil ich nie einen Mann wie Euch sah?" Erkundigte sich die Blonde und nahm die Einladung, sich zu setzen, kurz darauf an. Beide Hände ruhten nun in ihrem Schoß, den Oberkörper ein wenig vorgebeugt lag all ihre Aufmerksamkeit auf dem Fremden. Sie hatte aus Erzählungen gehört wie vorsichtig man bei den Barbaren aus dem Norden sein musste. Dass ihre Seelen mit dem Teufel im Bund waren und dass es hier Dinge gab, die weder der Natur waren. Merkwürdigerweise wollte sich keine Furcht einstellen, da war nur Neugier und noch mehr Neugierde.

Als der Name des Mannes fiel schien die Frau vor ihm in Erinnerungen zu suchen, diese zu durchforsten, doch bis auf das Bild einer Krähe in einem Baum fiel Wylla nichts dazu ein. Er konnte wohl kaum seine Gestalt verändern.

"Wie kann es sein, dass ich Euren Namen ein Leben lang kenne, wo Ihr doch gewiss kein Leben lang in diesen Landen verweilt? Haltet Ihr mich für eine Närrin?" Sie machte dem Blinden keinen Vorwurf, schien eher weiter daran interessiert herauszufinden, was er ihr mitteilen wollte. Die helle Stimme der Baronin überschritt zu keinem Zeitpunkt die angenehme Ruhe, sie blieb warm und geduldig, eine seltene Tugend. "Man hat mir gesagt, dass es unter den Barbaren Zauberer geben soll, seid Ihr ein solcher Zauberer, Fhean?"

Fhean lachte. Ein dunkles, tiefes, heiteres doch keinesfalls herablassendes Lachen. Die Reaktion jener Frau, mit der er für den Abend die Wärme des Feuers nur zu gerne teilte, hätte anders ausfallen können. Er mochte ihre ruhige Art. Diese Weitsicht, welche da gepaart mit einem wachen Geist und Freundlichkeit eine begehrenswerte Mischung ergab.

„Ich bin kein Zauberer“, erklärte der Blinde, wobei er die Hand ausstreckte und tastend nach einem Holzscheit suchte, um das Feuer mit neuem Brennstoff zu speisen. „Ich bin ein Warge.“ Was das zu bedeuten hatte, dies wurde außenvorgelassen. Würde es ihren Horizont nicht übersteigen, hätte er ihr an dieser Stelle offenbart eine Gabe zu besitzen, die es ihm ermöglichte, durch die Augen der Raben zu blicken. Noch mehr. Menschen wie Fhean gab es selbst im Eisland nur sehr selten. Vermutlich weniger als eine Handvoll und oftmals fürchtete man ihr Können.

„Es mag für Euch schwierig zu begreifen sein, Mylady, doch habt Ihr mit Euren Worten nicht gänzlich Unrecht. Ich war da.“ Pause, um den Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen. „Nicht im selben Land und schon gar nicht im selben Haus, aber da.“ Sein bartumrahmtes Antlitz neigte sich in ihre Richtung, doch auch jetzt gelang es ihm nicht gänzlich ihren Blick einzufangen. Das Rätsel wollte nicht so leicht zu lüften sein, vermutlich weil der Seher das Ende der Geschichte längst nicht kannte.

„Ihr habt für mich gesungen, als ich weder Licht noch Ton mein Eigen nannte. Und Ihr habt für mich gelächelt, als ich mein Lächeln in der allumfassenden Dunkelheit meines Daseins aufgegeben habe.“ Weitere Enigmen, jedoch mit einer Gewissheit ausgesprochen, die den Mann keinesfalls Lügen strafen konnte. Fhean glaubte daran. Er nahm die hübsche Blondine mitnichten aufs Korn und schon gar nicht schrie er diese damit eine Närrin. „Der Tag wird kommen, an dem Ihr es verstehen werdet, Lady Wylla. Nicht heute und nicht morgen – gebt dem Samen, den wir heute in die Erde pflanzen, ganz einfach Zeit.“

Wylla sah zu der suchenden Hand. Sie war von niemanden gelehrt worden, doch zu irgendeinem Zeitpunkt hatte die blonde Frau sich dazu entschieden den Dingen in unmittelbarer Umgebung mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Vielleicht lag es an ihrem Wissen in der Heilkunst, dass selbst kleinste Dinge beachtenswert waren. Woher auch immer jene Wachsamkeit kam, nun war es Fhearn der davon profitierte. Die blonde Frau hatte sich erhoben um zu dem kleinen Stapel zu gehen. Schließlich fühlte der Blinde, wie ihm das Stück Holz in die Hand gereicht wurde.

"Wie kann es sein, dass Ihr mich gesehen habt?" Und das Holzstück nicht. Sie sprach es nicht aus, doch der Klang ihrer Stimme leitete den Mann auf diesen Weg. Noch immer ging von seinem Gegenüber weder Argwohn noch Missverständnis aus. Sie schien wissen zu wollen, was es mit seinen Worten weiter auf sich hatte.

"Ein Warge und ein Zauberer sind nicht dasselbe? Dann seid Ihr eine Art...Orakel", vermutete Wylla, der man auch diesen Begriff im Zusammenhang mit den Heiden genannt hatte. Stammend aus dem Mund ihres Gemahls, der da spottend und verletzend über die Verbindung ihrer Cousine gesprochen hatte. Bis heute verzieh sie ihm diese Bosheiten nicht. Dass Erlen so falsch wie nur möglich lag, bewiesen doch eine Hand voll Menschen in einem Zelt unweit der Feuerstelle.

„Ein Orakel“, echote der Mann und dachte darüber nach. War er das tatsächlich? Soweit würde Fhean vermutlich nicht gehen, auch wenn seine Gattung der Bezeichnung vermutlich überaus nahe kam. Er sah, wenngleich nicht mit eigenen Augen. Hatte er jemals gesehen, wie die Sonne hinter den fernen Bergen seiner Heimat die ersten Strahlen über das Land schickte? Vor vielen Jahreszyklen, auf das es heute lediglich noch einer längst vergangenen Erinnerung gleichkam. Kein schmerzlicher Verlust, denn blind zu sein bedeutete für den robusten Nordmann nicht nichts sehen zu können.

„Ich sehe mehr, als Du glaubst“, fügte er bedacht an, um dann das Feuer mit dem dargebrachten Holz zu speisen. „Ihr seid neugierig, Mylady, und ich verstehe das. Doch was nützt Euch jedes erklärende Wort von meinen Lippen, wenn Ihr damit nichts anfangen könnt?“ Eine rhetorische Frage. Eine, die keine Antwort bedurfte und dennoch vielsagend anmutete. „Die volle Wahrheit wird Euch ereilen, wenn Ihr bereit dazu seid, Wylla.“ Wieder lächelte er, nahezu gütig und freundlich, obschon seine moosgrünen Augen von der Einsamkeit höchst selbst berichteten. Seine Bindung zu ihr war bedeutend enger, denn ihre zu ihm. Eine Tatsache, die man der lieblichen Adelsgeborenen nicht würde verübeln können. Wie auch? Die Wahrheit wohnte ihr bereits inne. In Herz und Seele, doch oblag es ihrer eigenen Entscheidungsgewalt ebendiese ans Licht des Tages zu bringen.

Abermals öffnete er das Lippenpaar, um sein Wortklang an die filigrane Blondine zu bringen, doch zu weiteren Informationen kam es nicht. Wo unlängst noch friedvoller Einklang unter den Nordmannen geherrscht hatte, wurde diese von der gewaltigen Stimmklangfarbe des Heerführers regelrecht in tausend Splitter zerfetzt. Kassander war außer sich, doch bedurfte es mehrerer Anläufe seitens seiner Männer um den Grund dafür in Erfahrung zu bringen. Was war dem Sohn des Königs denn anderes übrig geblieben, als sein Weib in die unliebsame Obhut des Assassinen zu geben? Er hatte keine andere Wahl, ruhte sein Schwert außerhalb des Zeltes und nicht – wie es sonst der Fall war – in unmittelbarer Nähe. Ohnehin hätte jedes unbedarfte Handeln den illustren Fremden dazu angestiftet die Klinge an der zarten Kehle seines Weibes Blut schmecken zu lassen.

Zorn! Blinde, alles betäubende und hasserfüllte Wut, wo seine Augen vor wenigen Minuten noch liebevoll auf das wohltuende Treiben seiner Anvertrauten gelegen hatten. Schäumend teilte er die Stofffalten des Zelteingangs, um in die kalte Nacht herauszutreten. Sein Versprechen an Elorie, welches er ihr lediglich mit Blicken hat darbringen können, trieb den urtümlichen Puls seines Wesens zur Höchstleistung an.

„Lorgaidh mi thu, nighean shìthiche.“ Ich werde Dich finden, Feenmädchen, hatte er ihr versprochen und bei allen Göttern die ihm lieb und teuer waren, genau das würde ihm gelingen! Er würde sie suchen … und finden! Und in der Tat, so schwor er es seinem Bruder im Geiste, der ob Kassanders wildem Gebrüll aus seinem Zelt getreten war, würde er auf seiner Suche eine blutige Schneise der Zerstörung hinter sich herziehen.

Odin lenkte ihn, als er einem unbestimmten Gefühl folgend zur behelfsmäßigen Stallung stapfte und Fjölnir wenig später ungesattelt zur Eile antrieb. Der Schattenwanderer würde ihm nicht durch die Finger gleiten, nein, und Kassander war gleichfalls nicht willens ein zweites Weib an einen Mann des Kreuzes zu verlieren.

 

Fhean indes erhob sich, als er Borons Schritte nahen hörte.

„Du!“, rief der Hüne wütend aus, mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf Wylla deutend, „Das kann doch kein Zufall sein!“ Sein Blick glühte, als sich der Warge zwischen ihn und die Baroness stellte.

„Denk nach, Boron!“, rief der Blinde aus – weder angespannt noch furchtsam, doch bedeutend parteiergreifend. „Das Weib wäre nicht mehr hier, hätte es diese Würfel ausgespielt."

"Von welchem Zufall sprecht ihr?" Wollte sie zunächst wissen, um das ihr aufgeladene Urteil verstehen zu können. Dass Fhean sich opferte, um einen Teil des Zorns auf sich zu nehmen, ehrte den Mann, doch es war wiederum Wylla, die ihre Hand auf den Arm des Blinden legte und an ihm vorbei trat, sich dem Diplomaten regelrecht stellend."Boron, was auch immer Ihr mir vorwerft, wollte ich wissen." Elren musste gekommen sein. Welche andere Erklärung gab es für diese Art von Reaktion? Das bedeutete jedoch, dass sie Elorie gleich wieder verlassen musste. Eine Vorstellung, welcher sie sich gerne noch die verbleibenden Momente entzog.

Weit kam Wylla indes nicht, denn just hatte sich diese windig an Fhean vorbei gemogelt, konnte sie die Präsenz des blinden Sehers bereits deutlich hinter sich spüren. Einhaltgebietend schob sich seine Hand an ihrem schmalen Kreuz empor zur Schulter hin, der nonverbalen Warnung gleich das Glück nicht gänzlich überzustrapazieren.

„Du solltest achtsam sein, Bruder“, keifte Boron dem Wutausbruch nahe, denn wie sich die Krähe auf die Seite der Blonden stellen konnte war ihm bisweilen ein Rätsel. „Giftnattern können beißen!“ Auf eine Antwort wartete der sonst so besonnene Diplomat, dessen eisblaues Augenmerk vom Seher zur Adligen hüpfte, keinesfalls. „Erst kommst Du hierher und dann folgt Deinem Aufwarten ein Schattenläufer.“ Allmählich kam Licht ins Dunkel. „Hältst Du uns für Narren, Mädchen?!“ Sein Zorn, wenngleich er der Weizenblonden womöglich Unrecht tat, war unermesslich. Boron spuckte aus, unmittelbar vor die Füße des Heerlagergastes, als Zeichen seiner tiefempfundenen Verachtung. „Der Apfel fiel nicht weit vom Stamm – Du bist die Tochter Deines räudigen Vaters.“ Pause, doch bei Weitem nicht lange genug, um seitens der Adelsgeborenen zu argumentieren. „Ich rate Dir, bei allen Göttern die mir heilig sind, eine plausible Rechenschaft abzulegen. Und einem kannst Du Dir sicher sein, Hurenweib, wenn mir nicht gefällt, was ich von dir zu hören bekomme, wird es Dein Mann sein, der Deinen kalten Körper mit der neuen Sonne gen Grabstätte trägt. Wo ist Elorie?!“ Fheans Hand auf der schmalen Schulter der Blonden übte bedeutend mehr Druck aus – nicht bedrohlich, sondern auf merkwürdige Weise schützend.

Tränen würde man ob der wütenden Ansprache des Narbigen keine auf Wyllas Gesicht finden. Sie hatte bereits zu viel gesehen, zu viel erlebt, als dass Borons Ausbruch sie erschrak. Dennoch brauchte es nur den Vergleich mit ihrem Vater, um die ruhige Welt zu durchbrechen und ihre Züge in deutliche Verletztheit zu tauchen. Nicht einmal das Spucken vor ihre Füße war grausam genug. Endlich aber schaffte der Mann eine Antwort zu geben, die zu verstehen half. Elorie war fort. Und offenbar gab man ihr selbst die Schuld daran. Wylla wurde blasser. Denn was wenn er Recht besaß? Wenn ihr jemand gefolgt war? Der Gedanke kam auf, dass es ihre Leichtsinnigkeit gewesen sein mochte, die Unheil über den voranischen Rotfuchs brachte. Schweigen schlug dem Mann entgegen, auch wenn er zweifelsfrei aus ihren Augen ablesen konnte, dass sie unschuldig war. Er brauchte einen Sündenbock und das schöne Weib vor ihm war die Einzige, welcher er nicht vertraute.

„Sie wird sich vor Kassander erklären. Bis zu dieser Stunde verbürge ich mich für die Baroness von Windfeste!“ Fhean sprach ernst und duldete keinen Widerspruch, was Borons Wut nicht schmälerte, ihm aber die Hände band.

"Ich werde hier am Feuer auf Euch und euren Herrn warten. Ihr habt mein Wort." Auch wenn es dem Zornigen nichts wert sein dürfte, für Wylla bedeutete es etwas. Sie blieb immer noch ruhig, doch aufkommende Sorge und die Hitze von Borons Zorn ließen die Gemahlin Elrens ganz gewiss nicht kalt. "Könnt Ihr auch zu ihr, Fhean? Zu Elorie? Könnt Ihr sie sehen, wie Ihr mich gesehen habt?"

„Ihr stellt es Euch zu einfach vor“, antwortete der Warge, dessen Schicksal mit Wylla um ein Vielfaches inniger verwoben war denn mit seiner zukünftigen Königin. Er war kein Magier und wenn er einem Orakel, wie es die Weizenblonde so trefflich beim Namen genannt hat, nahe kam, war es ihm nicht gegönnt die Spinnfäden der Mutterspinne zu seinen Gunsten zu verknüpfen. „Habt Vertrauen, Lady Wylla, es wird Eurem Blut kein Leid widerfahren.“ Wieder diese Gewissheit, wo auch immer sie vom blinden Nordmann hergenommen wurde, während Boron auf dem Absatz kehrtmachte, um seiner eigenen Wege zu ziehen. Auf den Gedanken, der filigranen Adelsdame großes Unrecht angetan zu haben, kam der narbenversehrte Hüne nicht. Die Parallelen waren zu offensichtlich! Es konnte keinem Zufall anheimfallen, wie auch? Konnte man ihm seinen Gram wirklich verübeln? Ihn uneinsichtig schallen, wo sich die Splitter des Geschehens so bestens fügten?

Wylla wusste indes nicht, warum sie ausgerechnet dem Mann vertrauen sollte, der ihr bis vor wenigen Momenten fremd gewesen war. Und auch jetzt noch. Sie schwieg, sah dem weggehenden Boron nach und fragte sich, was wirklich im Zelt des Nordmanns geschehen war. Ein Schattenläufer, was sollte das heißen? Ein Attentäter? Die Blässe auf ihren Wangen ließ nicht nach, nur als sie sich wieder zu Fhean umwandte schmiegte sich Feuerschein an ihre Haut.

"Was habt Ihr noch alles gesehen?" Jetzt wäre ein günstiger Moment ihr mehr zu berichten, damit auch die Blonde seine Zuversicht teilte. Wylla war nun wacher denn je. An Schlaf war sowieso nicht zu denken, jetzt da Elorie in Gefahr schwebte. Und irgendwo in ihrem Kopf machte sich tatsächlich der kleine, giftige Gedanke bemerkbar, dass sie wirklich Schuld daran trug. Hatte sie den Schattenläufer zum Lager geführt?

"Habt ihr einen Schluck Wein für mich?" Wollte sie mit einem Mal wissen und würde sich auch wieder am Feuer hinsetzen, wenn Fhean sie denn ließ. "Hat er einen Namen?" Gen Falken gewandt, der sich ganz in der Nähe des Wargen befand. Hoch über dessen Haupt auf einem Ulmenast saß er, aufmerksam auf das Geschehen am Lagerfeuer niederblickend. Ein schönes Tier. Elren hätte ihn gewiss gejagt, erlegt und ausstopfen lassen. Er war ein Barbar, wenn es um Dinge ging die seinem Auge gefielen.

 

Seher hatten es oftmals nicht leicht. Stets und ständig sahen sie sich mit der unleidlichen Frage konfrontiert, ob Dinge geschahen, weil sie geschehen mussten, oder aber aus dem simplen Grund heraus, da sie bereits ins gesprochene Wort konserviert worden sind. Noch schwieriger verhielt es sich bei Wylla, deren Geschichte ihm bereits seit jüngsten Jahren bestens bekannt war. Wer wäre der Blinde, würde er ihr offenbaren was er gesehen hat? Und wer wäre Fhean, würde er es für sich behalten? Ein zweischneidiges Schwert, zweifelsfrei, denn würde es das Wesen der Weizenblonden nicht in den Grundfesten des Seins erschüttern, wüsste sie darum das Leben ihres Gemahls eines Tages auf dem Gewissen zu haben; wüsste sie darum eines Tages ein Schwert zu führen und Entscheidungen treffen zu müssen, welche da in dieser heutigen Nacht noch unvorstellbar auf ihr Gemüt einwirken sollten?

Der Warge ließ sich Zeit, ließ Schweigen walten wo ihm die Möglichkeit, sich zu erklären, zweifelsfrei gegeben war. Lediglich eines Schrittes bedurfte es, um die Distanz zur filigranen Adelsdame zu überwinden; um seine bärigen Hände anheben und gar liebevoll an die Seiten ihres Halses betten zu können. Zum ersten Mal erreichte sein starres Augenmerk ihren Blick. Ein glücklicher Zufall, während die Berührung weitaus mehr auszusagen imstande war, als es seine Lippen jemals hätten tun können.

„Ihr werdet glücklich sein.“, sprach der Mann gewissenhaft, während die Kuppen seiner Daumen fein die Kontur ihres Kinns nachzeichneten, „Und Ihr werdet Mutter kräftiger, starker Söhne sein, die Euer Herz mit Stolz erfüllen werden.“ Mehr brauchte Wylla zu diesem Zeitpunkt nicht zu wissen und doch appellierte der Barbar insbesondere mit der letzten Offenbarung womöglich an ihre tiefempfundenen Sehnsüchte.

Wylla wirkte wieder etwas ruhiger als der Mann ihr auf einmal beide Hände an den Hals legte. Sie hätte zurückweichen müssen, ihn abweisen, doch merkwürdigerweise herrschte jetzt schon eine vertraute Basis. So erwiderte die Blonde also nur den Blick jener moosgrünen Augen und hörte zu, was an unvorstellbaren Worten aus dem Mund des Mannes kam. Er konnte einfach nicht von ihrem Gemahl sprechen, wenn er behauptete sie würde glücklich sein. Nicht an Elrens Seite. Gewiss, hin und wieder war Wylla glücklich, besonders in jenen Momenten die sie damit verbrachte Menschen zu versorgen, die von ihren Künsten gehört hatten. Es hatte viel Überzeugungsarbeit bedurft, um ihren Mann gnädig zu stimmen, schlussendlich hatte Elren nachgegeben. Und von da an begnügte sich die Baroness mit den kleinen Zwischentönen des Lebens, einer besonders schönen Blume, einem Singvogel, einem rotbackigen Apfel. Was blieb ihr übrig?

"Ich hoffe, dass Ihr Recht habt", gab sie nur von sich, ein wieder sanftes Lächeln auf den Lippen tragend.

„Und jetzt kommt“, fügte Fhean an, dessen Finger die Berührung zu ihrer weichen Haut aufgaben, um das Mädchen gen Zelt zu lotsen. „Ein Sturm zieht auf. Boron wird es uns nachsehen, wenn wir unser Versprechen aufgrund des Regens ein klein wenig ausdehnen.“ Kaum einen Schritt getan, löste sich der Falke von seinem Platz im Ulmenwipfel, spannte seine erhabenen Flügel und glitt zum Ort des Geschehens, um sich auf der Schulter seines Eigners niederzulassen. „Bile nennt man ihn“, wurde die Frage beantwortet, wobei trotz der bitteren Umstände ein amüsiertes Schmunzeln an Fheans Mundwinkeln zupfte. „Schnabel, würde man es in Eure Sprache übersetzen wollen.“

Der Falke auf Fheans Schulter wurde von der Blonden mit aufkommender Neugier betrachtet und gewiss bemerkte der Seher das Zucken ihrer Finger, willens die Kuppen wenigstens einmal in das weich anmutende Federkleid zu tauchen. Stattdessen behielt Wylla ihre Haltung und ging voraus in das ihr zugewiesene Zelt. Im Innern verhielt sie sich jedoch so, als wäre dies ihr Zuhause und bot Fhean einen Platz und Wein an.

 

Den Assassinen zu finden hatte für die Nordmannkrieger ausserhalb des Heerlagers keine große Schwierigkeit dargestellt. Viel interessanter wäre vermutlich in Erfahrung zu bringen, wie es diesem gelungen war an den Spähern vorbei zu kommen. War man zu unachtsam gewesen? Hatte man es diesem vermaledeiten Sohn einer räudigen Hure am Ende zu leicht gemacht? Kassander ließ sich von den Götter leiten, von den Nornen und Asen – seiner Bestimmung folgend, die ihn hoch zu Pferd nur in eine Richtung lenkte. Elorie mochte ob dem Fernbleiben ihres Gatten Ernüchterung verspüren und ebendiese konnte er ihr für den Moment nicht nehmen. Da war sie, vom fahlen Licht des vollen Mondes beschienen und bar des Schutzes, den er ihr mit Treue und Verbundenheit hat schenken wollen. Aus dem Dickicht sah er zu ihr hin, wutentbrannt und doch weitsichtig genug ebenjenem Zorn keinen Raum für Unbedarftheiten zu geben. Dunkel und unscheinbar, während die Wahrheit das erkaltende Herz mit voller Breitseite zu neuen Schlägen zwang. Er war sich seiner Sache zu sicher gewesen! Ein Fehler, den sich der gestählte Wildling im schlimmsten Fall genauso wenig würde verzeihen können, wie das Ableben seines ersten Weibes. Elorie lag ihm am Herzen. Schon jetzt. Bereits seit diesem vagen Moment, als sie unter sternenklarem Himmel Wahrheit gegen Wahrheit getauscht hatten. Ein schleichender Prozess. Zu schleichend, als das es der barbarische Heidenprinz im Vorfeld hätte begreifen können. Nichts geschah ohne Grund! Und wenn der Grund war, sich ihrer zu bekennen, so hätte sich Kassander tausendfach lieber freiwillig in gewetzte Klingen geworfen, als dem Strauchdieb gleich im Dickicht zu stehen und mitansehen zu müssen, wie sein eigen Weib den Glauben an ihn gegen vermeintliche Realität eintauschte.

Donnergrollen fegte von westwärts über das grüne Land. Lichtblitze zuckten am Himmel, unterstrichen die bittere Szenerie mit all ihrer Macht und brachten Kunde eines nahenden Gewittersturms. Herber Regen setzte ein, just als sich der Schwarzgewandete im unfreiwilligen Beisein ihrer Ladyschaft zum Aufbruch bereitmachte. Der nordische Königssohn ließ sie ziehen, doch wo sich der Assassine bereits siegessicher wähnte, hatte er die Rechnung lange nicht mit dem Wirt gemacht. Sieben Augenpaare ruhten auf ihm, bei jedem Hufschlag vom Rappen getan und bei jeder Pferdelänge, die der unbekannte Schattenläufer dem lediglich ihm bekannten Ziel entgegen tat. Eine Stunde nur sollte sich der Fremde sicher wähnen, bis zur Weggabelung, deren linker Pfad zur Steinbrücke führte, doch selbst dann, als ihm der vermeintlich trunkene Saufbold schwankend des Weges entgegenkam, würde dem Entführer nicht aufgehen können, dass etwas nicht stimme. Wie aber verhielt es sich mit Elorie? Sie mochte die torkelnde Gestalt unter der tropfnassen Kapuze, unter der sein Gesicht im Schatten lag, nicht erkennen können, war ihr das Reittier, welches der vermeintlich Betrunkene an den Zügeln führte, aber wenigstens bekannt? Fjölnir.

 

Was war nur mit dieser Welt geschehen? In wenigen Tagen hatte sie es geschafft Elories vollkommen auf den Kopf zu stellen, sodass sich selbst das Mädchen zu fragen begann, ob nicht doch ein Fluch auf ihr lastete. Der Körper eines fremden Mannes in ihrem Rücken holte sie weit schneller in die Realität zurück und versprach, dass die Rätsel noch lange nicht vorbei waren. Aber vielleicht erlebte sie alle Antworten auch nicht mehr. Vielleicht nutzte der Mann sein Messer doch noch und wartete nur auf den richtigen Moment. Die Aussicht sterben zu können schickte erste stumme Tränen übers filigrane Gesicht der Edeldame. Sie wollte noch so viel erleben, besonders jetzt wo es ihr an der Seite des Nordmanns so gut ergehen sollte. Gott bestrafte sie für ihren Bund mit dem Heiden und dass ihr der Teufel mehr und mehr gefiel. Genau so musste es sein. Die junge Frau war verzweifelt und noch nicht gefestigt genug um mehr Stärke zu zeigen. Wenigstens versuchte sie ihre Angst nicht allzu offenkundig zur Schau zu tragen. Kein Wort ward mehr gesprochen, der Grausame überließ ihre Gedanken der Fantasie, ein gemeiner Pfad um die Kleine zum Schweigen zu bringen. Nicht mehr lange und er war sie los, erntete die verdienten Goldstücke und konnte sich auf und davon machen. Was dann mit dem Rotfuchs geschah, hatte für ihn keinen Wert. Vielleicht malte er sich in Gedanken bereits aus, wohin es ihn als Nächstes verschlug, denn nur so war zu erklären, warum er derart unaufmerksam blieb. Er hätte ihn kommen sehen müssen, einem Torkelnden niemals vertrauen dürfen, dessen Hand die Zügel des Pferdes mit aller Seelenruhe zog. Ein unausweichlicher Fehler.

Es dauerte, bis sich die beiden Wege kreuzten; bis sich beide Parteien gleich auf waren, erst dann wollten sich die Ereignisse überschlagen. Kassander nutzte die Gunst der Ahnungslosigkeit. Gestählte Hände griffen brachial nach der in Schwarz gehüllten Gestalt, die das nahende Ende seiner Existenz nicht hatte kommen sehen. Lediglich ein erstickter Schrei der Überraschung entglitt dessen Kehle, ehe er mit dem Rücken hart auf dem morastigen Boden aufschlug. Ein neuer Blitz erhellte die Szenerie, gönnte dem Assassinen einen Blick auf das wutverzerrte Gesicht seines Rivalen.

„An robh thu a 'smaoineachadh a bhiodh am plana agad ag obair?“ Hast Du wirklich geglaubt, Dein Plan würde aufgehen? Vor Wut und Hass schäumend spie er ihm die Worte entgegen, doch selbst wenn der Entführer verstanden hätte, was an Zorn so vehement über ihn hinweg rollte, wäre es ihm nicht gelungen, zur Antwort anzusetzen. Kassanders Faust traf ihn unvermittelt ins Gesicht, sodass unter der malträtierten Haut wüsten Tones die Knochen knackten. „Wer?!“ Noch bevor der Unbekannte nachvollziehen konnte, was mit dieser Frage gemeint war, nämlich wer ihn zu dieser Schandtat bewegt hat, kollidierte bereits der zweite Faustschlag mit seinem Antlitz.

Auch Elorie war im Schlamm gelandet, nicht wissend was auf einmal geschehen war, doch während sie über den Boden vor dem brutalen Geschehen wegzurobben begann, hörte sie die Stimme des eigenen Gemahls doch noch zu ihr durchdringen. Kassander war hier. Er war gekommen. Der Nordmann, welcher nun den Körper des Assassinen zu Brei schlug. Zitternd vor Erleichterung wandte Elorie den Kopf nach hinten und wo schlammiges Haar einen Teil ihres Gesichts freiließ, konnte sie den Ausbruch an Gewalt gut genug erkennen. Blutige Zähne blitzten auf, ein herbes, gurgelndes Lachen erklang.

"Niemand", gurrte der Zerschmetterte und öffnete noch einmal seine dunklen, fast schwarzen Augen. "Du wirst fallen, wenn sie fällt." Seine letzten Worte, denn urplötzlich quoll Schaum aus seinem Mund. Kassander sag an ihm hinab, erkannte den kleinen Einstich an dessen Hand. Die dünne Nadel, mit der der Assassine sein Leben beendete, um das seiner Auftraggeber zu schützen. Elorie lag noch immer dort im Schlamm, das Kleid vollgesogen, ebenso eine Hälfte ihres Gesichts und Haars, doch die Augen waren groß wie nie. Endlich öffnete sie aber den Mund, spürte einströmenden Regen und war zu einem Wort fähig.

"Kassander", flüsterte sie nur, mehr nicht, denn es genügte.

Kassander aber vernahm sie in seiner Verärgerung nicht. Zudem hatte er tatsächlich nicht verstanden, was ihm der Schattenläufer zu sagen versuchte, bevor dieser seinem Leben selbst ein Ende setzte. Doch musste der aufgebrachte Heerführer auch nicht verstehen, um die Erkenntnis zu erlangen, dass des Rätsels Lösung mit dem letzten Atemzug seines Rivalen in weite Ferne rückte.

„Nein!“, schrie der in Rage geratene Wildling lautstark, als ihm der Faden des Schicksals aus den Händen glitt. Immer und immer wieder kollidierte seine Faust brachial mit dem Antlitz des sterbenden Assassinen. Ein Feigling, doch auch wenn dieser Bastard den Freitod wählte, würde er es ihm nicht gänzlich leicht machen. Was geschehen sollte, blieb vor Elories Augen verborgen, hatte sich einer der Späher, unlängst aus dem dichten Unterholz des Waldes ausgebrochen, ihrer angenommen. Zwischen ihr und ihrem Gatten, um dem Weib kommende visuelle Grausamkeit zu ersparen, hatte sich der Barbar aus festem Stand in die Hocke begeben. Sein Blick war aufmerksam, nutzte die hellen Sekunden etlicher zuckender Blitze, um sich der Unversehrtheit seiner zukünftigen Königin sicher zu werden.

„Faodaidh tu bàsachadh, ach air mo theirmean“ Du magst sterben, aber zu meinen Bedingungen, knurrte der Sohn Rolands verächtlich, ehe er die letzten Lebenssekunden des Schattenläufers so qualvoll wie möglich zu gestalten gedachte. Erbarmungslos der Dolch in seiner Hand. Gewissenlos die Tat, wie er dem Unbekannten ohne Gnade die Augenlider abschnitt, um ihm den Blick in die Jenseitswelt zu entsagen. Schreie des Schmerzes, denn das Gift wirkte nicht schnell genug. Schreie, denen Stille folgte. Ein unerträgliches Schweigen, das sogar das Rauschen fallender Regentropfen für die Dauer mehrerer Herzschläge nicht würde durchbrechen können. Kassander entwand dem Entführer Münzen und Kreuz, sodass ihn sein heuchlerischer Erlöser niemals würde finden können; sodass er den Sold, den ein jeder frisch Verblichene dem Fährmann zu zahlen hatte, nicht würde vergüten können. Freilich, es gab aus der Sicht der Wilden Schlimmeres als den Tod! Und das Schlimmste, was ein Nordmann dem sterbenden Feind antun konnte, das wurde jenem, der aus Schutz seiner Herren den Freitod gewählt hat, angetan. Erst dann wandte er sich vom Verstümmelten ab und seinem Weib zu.

„Chan eil i air a ghoirteachadh“ Sie ist nicht verletzt, hörte er den Späher noch kundtun, doch wurde dieser schroff zur Seite gedrängt, um vor seinem Weib in die Hocke gehen zu können. Rasch entwand er ihr die Stricke, um den zitternden Leib seiner Anvertrauten dann fast ein wenig barsch aber schützend in die Arme zu schließen.

In ihrem Mund schmeckte die junge Schönheit Schlamm und ein wenig Blut. Beim Sturz auf den Boden hatte das Mädchen auf ihre Backe gebissen, doch der metallische Geschmack bedeutete doch, noch am Leben zu sein. Elorie zitterte vor aufkommender Kälte, vor immer noch andauernder Aufregung und vor der Gewissheit, dass es Menschen gab, die Gefahr bedeuteten. Der Späher wurde kaum wahrgenommen, auch wenn die Adelige zu ihm aufsah, sah sie beinahe durch ihn hindurch. Erst die lauten Schmerzensschreie des Assassinen holten die Rothaarige wieder in die dreckige Realität zurück. Sie schloss die Augen und als sie jene wieder öffnete war Kassander da. Ihr Blick traf sofort die aschgrauen Augen des Gemahls, dann sah sie zu dem Messer, welches ihre Fesseln durchtrennte, und schließlich fühlte sie seine Wärme fest um sie herum. Ein Moment, der den Damm endlich brach und sein Gehör um aufkommende Schluchzer bereicherte. Das Mädchen weinte, als die Anspannung von ihr fiel, schmiegte den Kopf gegen seine Brust und vergrub ihr Gesicht, auf dass sich Tränen mit dem regendurchtränkten Stoff mischten. Sie war am Leben. Dank des Barbaren. Dank eines Heiden. Das zu begreifen überstieg noch immer ihren Verstand.

„Hausenach ich bringe Du“, versprach er ihr gewissenhaft. In der Wortwahl verquer, was die Tragweite seiner Aussage keinesfalls zu schmälern wusste. Die Sorge wich, doch krallte sich die Anspannung über begangene Fehler vehement an Mark und Knochen fest. Kassander musste umdenken. Allem voran musste er damit beginnen ebenjene Wissensquellen zu nutzen, die ihm von den Göttern höchstselbst in die Hände gelegt worden sind. Angefangen bei Wylla, der er – im Gegensatz zu seinem Bruder – keine Schuld an den verhängnisvollen Schicksalswendungen dieser Nacht geben wollte.

"Danke...tapadh leat...", flüsterte sie tränenerstickt und schmiegte ihre Nase schließlich an die Stelle seines Halses, welche vom Stoff unbedeckt blieb. Kassander spürte ihre nassen Lippen und zwei Küsse, welche sie auf seine Haut setzte. "Nach Hause..." Elories Stimme blieb zittrig, ihr Leib war feucht, kühl und bebte noch immer. So zerbrechlich mutete die junge Adlige in diesem Moment an, doch sie brach nicht vollends zusammen sondern schlang beide Arme um den Hals ihres Retters. Kassander immer gut zu Dir. Ja. Das war er. Immer noch unbegreiflich, doch sie hatte keinen Grund je daran zu zweifeln. Er beschützte sie, verteidigte sie. Elories Herz schlug schnell und ein kleiner Teil davon bereits unrettbar für den Nordmann. Sie mochten die Sprache des anderen nicht beherrschen, aber es gab andere Kleinigkeiten, die sie viel inniger verbanden.

"Ich will mit Euch zurück", erklärte sie daher nochmal und schaffte sogar wieder ein Lächeln, ehe sie den Kopf hob und über seine Schulter hinweg das Bild des Assassinen im Regen sah. Blut sickerte neben seinen Schultern hervor, doch es kam von seinem Gesicht. Dunkle Rinnsale, die dort anfielen wo der Schlächter ihm die Lider abgeschnitten hatte. Nun sah der Mann für immer in den Himmel, den er nie erreichen würde....ein grausames Bild. Eines, welches sich einbrannte und doch, tief in Elorie für eine innere Zufriedenheit und ein Feuer sorgte, das sie noch nicht kannte. Süße Rache. Kassander mochte überrascht wirken, als ihre Lippen ihn ein weiteres Mal trafen. Innig und weich, fast drückend, dann löste sie den Kuss und würde mit ihm aufstehen wollen. Nach Hause.

 

Kassander half seinem Weib also erst auf die Beine und dann auf das ungesattelte Reittier. Keine Armlänge wich er mehr von ihr, mindestens in dieser Stunde. Wohlbehalten brachte er sie Nachhause, fort von ebenjenen Gräueltaten, die der Assassine zur Strafe über sich hat ergehen lassen müssen, wo Elorie unverzüglich in die Obhut Aslaugs übergeben wurde – nicht ohne das Versprechen ihres Mannes, bald zu ihr aufzuschließen. Der rothaarige Adelsspross wurde ins Hauptzelt gebracht, wo man sich darum bemüht zeigte ihre aufgepeitschten Sinne zu beruhigen und ihren zitternden Körper aus dem nassen Kleid zu schälen, um das Mädchen in trockenen, wärmenden Stoff zu hüllen.

Elorie war dankbar über Aslaugs Fürsorge und murmelte immer wieder ein Tapadh Leat, während sie sich noch immer fühlte, als sei das alles gar nicht wirklich geschehen. Doch Schlamm in ihrem Haar und Blut in ihrem Mund strafte dieser Gedanken Lüge. Was nur hatte der Mann von ihr gewollt? Ausgerechnet von ihr? Ein Racheakt des Königs wegen Lord Balder? Irgendwie wollten die Puzzleteile nicht richtig zusammenpassen, auch wenn alles danach aussah. Dass ein großer Verdacht auf Wylla fiel, wie hätte Elorie dies nur ahnen können, selbst Boron traute sie solche Verleumdungen nicht zu und musste bald wohl eines Besseren belehrt werden.

"Aslaug", sprach sie schließlich zu der Frau und deutete in Richtung Zeltausgang, dann auf ihr Haar und ihren verschmutzten Leib. "Ich möchte mich gerne waschen. Waschen..." Sie versuchte der Nordfrau mit wenigen Gesten begreiflich zu machen, dass es mehr als nur notwendig war den Geruch des Attentäters schnell loszuwerden. Sich wieder sauber und beschützt zu fühlen mochte ein erster Trost für die junge Adelige sein. "Kommt Ihr mit mir? Bitte."

Aslaug hatte das gesprochene Wort ihrer Herrin nicht verstanden, folgte ihr jedoch ohne weiteres Federlesen. Ihr Wille war nachvollziehbar, würde allerdings lediglich dann in die Tat umgesetzt werden können, wenn sich der eine oder andere Schwertkundige dazu bereiterklärte mit an den Flusslauf zu gehen. Die Walküren unter den Wildlingen aber, ließen sich nicht allzu lange bitten. Man half, wo man eben helfen konnte, denn lediglich so würde das Band einer starken Einheit gefestigt sein. Elorie kam zu ihrem Willen, während Aslaug dem Befehl des Anführers folgte und nicht von ihrer Seite glitt.

 

Der Königssohn indes stapfte durch den Regen in Richtung des Zeltes seines Gastes, um, am Ziel angekommen, ungefragt einzutreten. Überraschung wollte sich beim Blick auf den Blinden, der sich Wylla offenkundig angenommen hat, auf seinen sonst so versteinerten Gesichtszügen breitmachen, doch gab es derzeit Wichtigeres als die Frage, wie es der Weizenblonden wohl gelungen sein könnte den sonst so verschwiegenen Wargen auf ihre Seite zu ziehen.

„Tha Elorie air ais. Ann an sàbhailteachd.“ Elorie ist zurück. In Sicherheit, wohl auch für die Cousine seines Weibes eine Erleichterung, die Fhean unverzüglich in die Zunge des hiesigen Landes übersetzte, während sein Herr einen Schritt auf die liebliche Blondine zu tat.

"Dem Herrn sei Dank", floss es von Wyllas Lippen, ein zuversichtliches Lächeln zeigte sich auf jenen, doch sie erkannte dass Kassander nicht allein dieser wertvollen Information wegen gekommen war. Etwas stimmte nicht. Sie würde jedoch alles erzählen was sie konnte, das schuldete sie der Gastfreundschaft die man ihr entgegenbrachte.

„Feumaidh sinn bruidhinn“, sprach der Schlächter ohne zu hadern weiter, während sein Blick aus aschgrauen Seelenspiegeln ernst auf dem Antlitz seines Gastes zur Ruhe gebettet lag. „Innis dhomh a h-uile dad a tha fios agad mu mo bhean. Agus mura h-eil dad agad, Wylla, innis dhomh cò as urrainn mo cheistean a fhreagairt.“

„Kassander will wissen, was Du ihm über Deine Cousine berichten kannst“, vermittelte der Seher, der anstelle Borons als Übersetzer dienlich war.

"Ich kenne Elorie seit sie sechs Jahre alt ist. Sie wurde in einem Kloster geboren, so heißt es. Ein aufgewecktes, mutiges Mädchen. Wir haben oft genug Wälder erkundet in die wir gar nicht hinein durften. Simon kam mit uns, aber beschützt haben wir ihn", erinnerte Wylla sich mit einer Wärme in der Stimme, als sie an die unbeschwerten Zeiten zurückdachte. "Doch je älter sie wurde, umso stiller fand ich sie oftmals vor. Als wäre ihr nicht mehr wohl in ihrer Haut, da sie dem kindlichen Dasein entwuchs und Aufmerksamkeit anderer Art geschenkt bekam. Als ich meinen Mann heiratete, war sie dreizehn und ich konnte sie nicht mehr oft sehen. Sie war mehrmals versprochen, doch es ist nie zu einer Ehe gekommen." Wylla endete ihre Erzählung und wartete bis Fhean die Worte übersetzt hatte. "Ist das genug?" Wollte die Baroness dann wissen, schien aber noch eigene Fragen zu haben. "Was genau ist geschehen? Um mich herum hüllt sich jeder in Schweigen, nur Euer Bruder spie mir Gift und Galle entgegen. Ich kann es ihm nicht verübeln, doch Ihr solltet wissen, dass ich mir nie verzeihen werde, war es meine Spur, die den Schattenläufer angelockt hat." Sie benutzte einfach das Wort des Diplomaten, worum es sich dabei genau handelte wusste die Blonde ja immer noch nicht.

„Es wird sie stärken“, übersetzte Fhean geduldig das Wort seines Herrn, ehe dieser einen weiteren Schritt auf den Gast zu ging und sich letztlich zu den beiden an den Tisch setzte. In einem Kloster geboren. Das machte keinen Sinn. Gab es hierorts nicht unzählige Hebammen, die sich samt und sonders darum rissen die Kinder des Adels auf die Welt zu bringen? Wozu also ein Kloster und weshalb hatte man das Mädchen dem eigen Fleisch und Blut nicht schon eher vorgestellt? Lag Voranien so weit des Weges von hier entfernt?

Auch Kassander zeigte sich geduldig, als er dem Weib zu berichten begann, was sich an diesem Abend an Schrecknissen zugetragen hat. Er gab ihr keine Schuld, so viel stand fest. Genaugenommen zog er zwischen Wylla und dem Schattenläufer bis hierhin weder bewusst noch unbewusst seine Parallelen. Wozu auch? Der Meuchler hatte sich unweit des Heerlagers vermutlich über mehrere Tage hinweg in der Höhle verschanzt, bis ihm die Gunst der Stunde gegeben war. Womöglich ging es hierbei nicht einmal um Elorie höchstselbst, viel mehr aber darum eine Schneise der Zerstörung im Herzen des Odinsons zu hinterlassen. Zu viele ´was wäre wenn’s´ und keine Antworten, die ihm in dieser Sache eine klare Richtung hätten vorgeben können.

„A bheil Elorie nighean a h-athar?“ Eine Frage, die dem Schlächter von Galgenfels bereits seit geraumer Zeit im Kopf herumschwirrte. Allem voran aber eine pikante Angelegenheit, denn wäre sie es nicht, würde ihr von Rechtswegen aus entweder mehr oder gar nichts zustehen.

„Kassander möchte wissen, wie sicher Ihr Euch über Elories Geburtsrecht seid“, gab der Seher von sich, ehe er mit rauen Fingerspitzen nach dem Trinkhorn tastete, welches da irgendwo auf dem schmalen Tisch für ihn bereitstand. „Seine Frage ist, ob sie einst tatsächlich den Lenden ihres Vaters entsprang.“ Wenn nicht? Es würde an seinem Handel mit dem filigranen Rotschopf nichts ändern, immerhin hatte er ihr der Götter wegen sein Wort gegeben… und …! Unwichtig. Im Moment zumindest. Es war unerheblich, wie er zu seiner Frau stand. Wie sehr sein Herz bereits nach wenigen Tagen an der zierlichen Blume des grünen Landes hing. Sie könnte eine Bettlerin oder eine Prinzessin sein. Handel war und blieb Handel und sein Wille, hierorts kein Land sein Eigen nennen zu wollen, blieb existent.

 

Die Baroness überdies, schwieg an dieser Stelle zum ersten Mal. Einen langen Moment musste man die Stille damit überbrücken sie lediglich anzusehen, die geröteten Wangen, der unbewegte Mund, die blauen Augen, bis schließlich ein "Ich bin mir dessen nicht sicher" von ihr kam. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war, gab es diesen Verdacht schon lang, doch ganz gleich ob Elorie nicht die leibliche Tochter ihres Onkels war, sie liebte das Mädchen wie eine Schwester. Aber warum stellte der Nordmann diese Frage? Wylla wurde blass um die Nase. Hatte sie einen Fehler begangen, indem sie aussprach, was durch ihren Kopf ging?

"Es ist nicht gewiss, nur eine Vermutung." Hatte sie nun zwei Todesurteile unterschrieben? Das ihrer Cousine und das ihres Onkels? Die Blonde machte einen festen Schritt nach vorne, stand nun so nahe vor dem Nordmann, dass er sich fragen mochte was sie damit bezwecken wollte. "Ich verbürge mich für Elorie, sie ist eine gute Seele und ich bin mir gewiss, dass sie selbst nichts von dieser Vermutung weiß. Sollte das dem Handel widersprechen, den ihr und mein Vater eingegangen seid, so lasst Gnade wallten. Es war niemals ihre Schuld. Mit meinem Vater tut was ihr wollt, doch Elorie soll unter meinem Dach weiter wohnen dürfen." Hätte Boron die Blonde jetzt nur sehen können. Konnte sie eine so gute Schauspielerin sein? Und wenn, was wäre das Resultat? Elorie als neue Dienstmagd für sich gewinnen zu können? Über diese Umwege? Selbst der Diplomat musste einsehen, dass er sich auch irren konnte. Wylla liebte das Mädchen, das war unbestreitbar.

"Was werdet ihr tun?" Erkundigte sich die Adelige, immer noch versucht ruhig, doch das stille Gewässer ihres Wesens war in Aufruhr zu versetzen. Und Kassander war dies Kunststück gelungen, allein mit einer einzigen, richtig platzierten Frage. Dennoch behielt Wylla ihre Haltung, jahrelange Übung und Erziehung vergaß man eben nicht so schnell. Ob Fhean nicht sehen konnte was den Schattenläufer hierhergetrieben hatte? Ob er nicht mehr sah, als er zugeben wollte?

 

Im Zelt der Baroness schoss der Pfeil also endlich ins Blaue, auf das sich die Vermutung bald schon zu einer unguten Ahnung formierte. Das Recht der ersten Nacht. War es hier nicht allgegenwärtig? Und was, wenn der König in dieser Nacht ein Kind unter das Herz einer Jungfer gepflanzt hat? Oder, anders, was wenn durch Elories Venenkleid weder das Blut der Mutter noch das des Vaters floss? Kassander musste Wylla nicht verstehen, um ihr die Sorge nachempfinden zu können. In seinen Augen war ein Handel ein Handel, wenngleich er vermutlich abgrundtief betrogen worden war. Seinem Weib nun nachzusagen, sie habe die Intrige selbst gesponnen, kam dem Schlächter nicht in den Sinn. Warum eigentlich nicht? Waren zartbesaitete Wesen nicht fähig Intrigen zu spinnen? Wie gut kannte er Elorie denn, um sich in dieser Sache für sie verbürgen zu können? Abermals folgte Schweigen, diesmal seitens des Heerführers. Schier unerträgliche Herzschläge, die der Sohn Rolands dazu nutzte den eigenen Gedanken nachzuhängen.

„Is i mo bhean, Wylla“ Sie ist meine Frau, Wylla, drang seine basslastige, feste Stimme hernach bedeutsam an ihr Ohr. Die Weizenblonde würde nicht verstehen, dem Unterton allerdings deutlich entnehmen können, dass in dieser Nacht keine Todesurteile unterschrieben wurden. Es hatte sich nichts geändert, denn horchte Kassander einmal tief genug in sich hinein, so ahnte er ihr nichtvorhandenes Geburtsrecht bereits seit dem ersten Blick auf ihr hübsches Antlitz. Gustav hätte sich niemals dazu hinreißen lassen die gottlosen Barbaren um Hilfe zu bitten, wäre der Handel mit rechten Dingen zugegangen. Er musste mehr wissen und der Eigner seiner Nichte war willens dieses ´mehr´ aus ihm heraus zu kitzeln – wenn es denn sein musste mit rasender Gewalt.

„Bidh mi a 'dìon agus a' gràdhachadh Elorie. Sin na tha mi a 'dol a dhèanamh.“ Ich werde Elorie beschützen und lieben. Das werde ich tun.

Worte, die dazu in der Lage waren den Blick des Sehers, welcher da starr auf einen imaginären Fleck zur Ruhe gebettet lag, in Richtung seines Herrn zu lenken. Bedeutungsschwer, zweifelsfrei, wo Fhean seiner Lebtage nicht geglaubt hätte derlei Sätze jemals wieder aus dem Munde seines Schildbruders hören zu dürfen. Die Götter führten ihn, daran hatte der Blinde nie gezweifelt. An dieser Stelle aber wurde deutlich, dass sie ihn nicht lediglich führten, sondern um das beschenkten, was ihm durch den Mord an Weib und Kind so sehr abhandengekommen war. Um einen Lebenssinn.

Kassander wandte sich ab, verließ das Zelt seines Gastes ohne ein weiteres Wort gesprochen zu haben, was Fhean dazu bewog ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.

„Es wird sich am Bund, den mein Herr mit Eurer Cousine schloss, nichts ändern. Elorie wird eines Tages über das unvergängliche Reich herrschen.“ Etwas Nachdenkliches hatte sich in der rauen Stimmklangfarbe des Wargen festgesetzt. Keine Überraschung, denn dafür wusste der Mann über die Zukunft zu viel, doch umso mehr das Bild einer Wahrheit, die bisher lediglich vage ins Zeitgefüge hineingeflochten worden ist.

Fhean räusperte sich, um sich nur zwei Atemzüge später von seinem Platz am Tisch in einen festen Stand zu bugsieren. „Ihr findet mich am Rande des Lagers, so Ihr nach mir sucht. Ein wenig außerhalb, zwischen den geborstenen Tannen – fragt nach, wenn Ihr es nicht findet.“ Reisende sollte man bekanntlich nicht aufhalten, oder?

Wylla sah dem Nordmann nach, als jener im Begriff war das Zelt zu verlassen. So ruhig und vernünftig die Blonde auch schien, jetzt hatten die Ereignisse des Abends ihr Blut doch unruhig zurückgelassen.

"Bleibt, wenn Ihr mögt." Fhean schien zu glauben, dass es an der Zeit war zu gehen. Irgendetwas musste ihn in diesen Glauben versetzt haben und sei es nur die Stille, die schwer auf dem Zelt ruhen wollte. Endlich wandte sich die Blonde wieder ihrer ungewöhnlichen Bekanntschaft zu und schaffte auch zu lächeln. "Ihr habt nicht ausgetrunken." Ihre Hand wies auf das Horn und auch wenn der Nordmann nicht sehen konnte, würde er wissen, was Wylla meinte. Der Wein war noch nicht einmal zur Hälfte geleert und allein trank es sich nicht gut.

Wyllas Einladung kam unerwartet, selbst für einen Seher. Einen Seher, der tunlichst darauf achten musste, das, was ihm von den Göttern ins Ohr gehaucht worden ist, nicht allzu sehr zu forcieren. Nach seinem Wissen war man bereits weiter. Viel weiter! Dennoch nahm er ihren Willen auf und blieb, setzte sich erneut auf den zugewiesenen Platz, während Schnabel munter ungeschickt von seiner Schulter auf den Tisch hopste und tapsig auf die Herrin dieses Zeltes zuhielt.

Auch die Baroness setzte sich endlich wieder zu ihm und griff nach dem eigenen Becher. Ihr Blick landete dabei auf Bile. "Wie seid Ihr an den Falken gekommen? Ein wunderschönes Tier."

„Genaugenommen kam er an mich“, offenbarte Fhean ohne zu hadern. „Als man mich aus meiner Pflicht entließ, da ich bereit war meinem Volk zu dienen, war er der Erste, durch dessen Augen ich sah. Bile akzeptierte mich, ebenjene Kollektivität, auf die ich angewiesen bin, um als Blinder sehen zu können. Und er blieb. Nicht gar, weil es meinem Willen entsprach, sondern weil es ihm offenbar bei mir gefiel.“

"Was bedeutet, man hat Euch aus Eurer Pflicht entlassen? Was meint Ihr damit, Fhean?" Wylla hörte zu, doch der Falke lenkte ihr ganzes Augenmerk auf sich. Behutsam streckte die Blonde ihre Hand nach dem Vogel aus, neugierig wie er reagieren mochte und ob es gelingen würde das weich anmutende Gefieder berühren zu können.

„Fast mein ganzes Leben verbrachte ich im Fleisch der Berge, Lady Wylla“, erklärte Fhean wohlwissend, dass seine Vergangenheit vermutlich auf Unverständnis seitens der charmanten Blondine traf. „Fern der Sonne in der Dunkelheit. Abseits weltlicher Einflüsse und fern der Menschen höchst selbst. Genau so werden Seher ihrer Bestimmung zugeführt und nur so lernen sie die Dualität zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verstehen.“ Der Warge drückte sich einmal mehr vage aus, hätte dieser über die Zeit in Finsternis gewiss mehr als nur drei Sätze zu berichten gewusst.

"Ihr seht also durch Biles Augen? Dann sagt mir, was ich gerade mache." Ein kleiner, charmanter Test, nicht boshaft gemeint und Wyllas Verhalten bedurfte keiner Entschuldigung. Sie war nicht der Typ Mensch, der sich über eine Andersartigkeit belustigte. Das passte nicht zu ihrem ruhigen, warmherzigen Charakter. Neugier entsprang den blauen Augen, ein charmanter Schalk der dafür sorgte, dass Wylla ihren Finger in den Becher tauchte, um mit nasser Kuppe das Wort 'Bile' auf den Tisch zu malen. Würde Fhean ihr nun zürnen? Die Blonde konnte es sich nicht vorstellen. Der Seher wirkte ihr zugetan, auch wenn noch immer nicht überzeugend feststand, warum dem so war.

Ihr liebgemeinter Test indes, stieß dem Nordmann wahrlich nicht sauer auf, bewies Wylla damit nur, dass ihre Sinne zu geschärft waren, um alles zu glauben was man ihr aufzutischen gedachte. Der Falke ließ etwaige Berührungen freimütig über sich ergehen, genoss diese sogar sichtlich und richtete den Blick dann geduldig auf das Treiben ihrer filigranen Hände. Fhean konnte nicht lesen, mindestens keine grünländischen Schriftzeichen. Sein Augenmerk lag einmal mehr auf einem unbestimmten Fleck oberhalb der Schlafstatt zur Ruhe gebettet, denn um den Test zu bestehen musste der Mann keinesfalls in ihre Richtung sehen.

„Ihr erhitzt das Mütchen eines jeden Barbaren, Mylady, wenn Ihr es im Beisein meines Volkes wagt auf derlei verschwenderische Weise mit unserem Wein umzugehen.“ Ein amüsiertes Schmunzeln legte sich auf seine bartumrahmten Lippen. War ihr dies Beweis genug? Mindestens für seine Gabe durch die Augen jenes Falken, der tapsig über die Niederschrift seines Namens schlenderte und auf weitere Streicheleinheiten hoffte, zu sehen? „Mir wurde das Lesen nicht beigebracht.“, offenbarte der Blinde indes, „Doch sagt mir, blondes Mädchen, wie kamt Ihr zur Heilkunde?“ Nichts was er in Visionen gesehen hatte, doch sprachen sich solche Informationen in einem Heerlager schnell herum.

Wylla lachte auf. Die Erwähnung ihrer Haarfarbe sollte wohl eine Retourkutsche für ihren Versuch sein. Ihr zeigen, dass er sehr wohl alles sah, ohne es mit eigenen Augen zu können. Bile ergatterte derweil neue Zärtlichkeiten ihrer Finger, nebenbei, das Hauptaugenmerk lag immer noch auf Blinden selbst.

"Mein Vater ist nicht ein so schlechter Mensch, zumindest war er das nicht immer. Simon und ich durften uns eine Tätigkeit aussuchen, die wir erlernen wollten. Er entschied sich für den Kampf und ich mich dafür, seine Wunden versorgen zu können. Vater war nicht besonders erbaut, doch er hielt sein Wort und gab mich für zwei Jahre in die Obhut einer Heilerin. Ihr Name war Mary, doch alle nannten sie nur Kräuterweib, weil sie stets ein paar Bündel davon an ihrem Rock trug. Ich habe viel von ihr lernen dürfen, Gutes und auch Schlechtes", beendete die Baroness von Windfeste ihre kleine Aufklärung und schob den Weinbecher ein wenig von sich. "Meinem Mann gefiel der Gedanke jedoch nicht, dass ich mich in Gesellschaft kranker Menschen befinde. Er hat mir verboten meine Dienste anzubieten, doch ich muss gestehen, dass es genug Vorfälle gab, von denen er nichts weiß und nichts wissen sollte. Ich war meinem Gewissen treuer, als seinen Vorschriften und würde es auch wieder tun", fügte die blonde Adelige hinzu.

Fhean nickte nachdenklich und lauschte der Erklärung seiner Gastgeberin mit ehrlichem Interesse. Was man sich hierorts über Gustav zu berichten wusste, schnitt sich etwas mit der Aussage seiner Tochter, doch war der Seher willens ihr Glauben zu schenken.

„Ihr habt einen guten Weg gefunden das ´muss´ mit dem ´dürfen´ in Einklang zu bringen. Heiler sind in dunklen Zeiten das höchste Gut eines jeden Volkes.“ Ob Krankheit oder Krieg. Wer in der Kunst des Heilens bewandert war, der stand an der Spitze – weit über Adel und Klerus, obschon ihm niemals der Dank zugesprochen wurde, der ihm eigentlich zustand.

 

"Ihr wart also lange in vollkommener Dunkelheit? Dann müssen eure Sinne geschärft sein wie die Augen eures Falken. Das bedeutet ihr könnt Blätter fallen hören und Blumen wachsen. So zumindest stellt sich eine Närrin wie ich Eure Welt vor." Wylla lächelte. Sanftmut war aus ihrer Stimme zu vernehmen und schon benetzte neuer Wein die weiche Zunge. "Wie seht Ihr Elorie. Denkt Ihr, sie wird ihren Weg gehen? Habt Ihr es vielleicht gesehen? Ich wäre dankbar, wüsste ich um ihre glückliche Zukunft. Es würde mein Herz leichter machen."

Wyllas Äußerung verursachte ein neues Zucken seiner Mundwinkel, wenngleich es freudlos anmutete. „Vermutlich höre ich das Gras wachsen, würde ich nur lange genug danach lauschen.“ Seine Sinne waren geschärft, doch hatte der Mann auch vieles dafür geben müssen. Hinzu kam, dass er sich dieses Schicksal nicht selbst ausgesucht hat. Der Warge war dazu verdammt worden anzunehmen, was ihm die Götter höchst selbst als vermeintliches Geschenk in die Wiege gelegt haben. Und wieder zeigte sich die Weizenblonde wissbegierig genug, um das Geflecht ihrer Neugierde in ungekannte Richtungen zu lenken. Zu neugierig, was ihr vermutlich nicht gänzlich bewusst war. Es animierte Fhean dazu Haupt und Augenmerk in ihre Richtung zu lenken, während die Hand nach dem Trinkhorn tastete. Stille kehrte ein, doch wirkte sie keinesfalls unangenehm. Der Seher dachte nach, wog für und wider ab, nur um sich auf seine Weise an einer womöglich kaum zufriedenstellenden Antwort zu versuchen:

„Ich schätze Ihr lest gern, Lady Wylla, habe ich damit recht?“ Eine kurze Sprechpauseause folgte, doch räumte er ihr damit keinesfalls das Recht zur Antwort ein. „Und nun stellt Euch vor, man würde Euch bei jedem Buch, das Ihr fortan in die Finger bekommt, bereits nach den ersten zehn gelesenen Seiten das Ende verraten. Wäre das Lesen dann auf Dauer nicht irgendwie eintönig?“

"Ihr mögt Recht haben, doch dabei vergesst Ihr eine wichtige Sache." Wyllas Finger verließen den Falken. Weil das, was sie zu sagen hatte zu wichtig war. Und stattdessen legten sie sich nun um den Weinbecher, den Fhean mit einer Hand hielt, gleichzeitig also um dessen Finger. Eine Berührung, weil Wylla glaubte ihren Worten so genug Bedeutung verleihen zu können. "Elorie ist ein Buch, welches ich schon bald aus der Hand legen muss. Vielleicht schon am Morgen, vielleicht erst am Nachmittag oder am Abend. Fest steht aber, dass ich das Ende nicht lesen werde. Mir fehlt die Zeit, denn gewiss hat mein Gemahl seinen Verlust bereits bemerkt und wird auf dem Weg sein. So wie Ihr mir geantwortet habt, ob ich glücklich sein werde, will ich dass Ihr mir in Bezug auf Elorie antwortet. Bitte Fhean. Ich bitte nicht um viel und ich bitte selten, doch dieses eine Mal sollt Ihr der Mann sein, den ich dabei anspreche." Ihre warme Haut verließ ihn und fand Biles Gefieder wieder, sollte es dem Falken noch gefallen. Der Vogel stand ihr gut zu Gesicht und wäre Elorie nicht von den Göttern erwählt worden, wäre mit Wylla eine noch stärkere Persönlichkeit bei der Hand. Die blonde Adelige war der Inbegriff von Klugheit und Taktgefühl, es würde ihr gewiss nicht schwerfallen ,sich einzuleben, denn sie besaß Empathie und ein Wesen, dem man gerne Vertrauen schenkte. Mit Ausnahme von Boron, der vermutlich soeben allein in seinem Zelt darüber nachdachte ihr die schönen Finger zu brechen, um den Verrat aus ihrem Mund bestätigt zu hören.

Ihre Bitte mutete legitim an, während die zarte Berührung durch Mark und Bein fuhr. Zu Wissen war eine Sache. Eine andere Schmiedekunst war es, das Wissen zu nutzen um Schicksalsfäden aus eigener Kraft miteinander zu verknüpfen. Bile hatte damit begonnen sein tiefbraunes Gefieder zu putzen, weshalb es seinem alten Freund kaum möglich war durch die Augen des Tieres zu sehen. Dennoch war seine Hand, die sich über jene der Adelsdame legte, Einhaltgebieten. Er räumte seiner Gegenüber schlichtweg das Recht nicht ein die Berührung aufzulösen – seiner Präsenz, die ihr womöglich unerfindlich bekannt war, zu entsagen.

„Wylla“ Ein einziges Wort, fern der handelsüblichen Höflichkeitsfloskeln, gesprochen mit einer basslastigen Stimmklangfarbe, die an Schiefer erinnerte.

„Du bist ein Teil dieses Buches und beschreibst die leeren Seiten mit der zukünftigen Königin des unvergänglichen Reiches gemeinsam.“, fügte Fhean ernsten Tonfalls an. Was er zu sagen hatte, war lediglich für die Ohren jener liebreizenden Schönheit gedacht, die ihm in dieser Nacht gegenüber saß. „Aber nur dann, wenn Du es für Deinen Weg annimmst. Der Tag wird kommen, an dem Du Dich gegen Deinen Mann und für Dein Glück entscheiden musst. Das ist Dein Schicksal, blondes Mädchen. Letztlich liegen die Fäden der Mutterspinne einzig und alleine in Deiner Hand.“ Stille. Gewichtiges Schweigen, welches da vom Seher gebrochen wurde. „Du musst nicht gehen, wenn Du nicht gehen willst. Aber bedenke: Bleibst Du hier, dann stellst Du Dich Bestimmungen, die außerhalb der Hand Deines Gottes liegen. Dein Weg ist kein leichter, ganz gleich, wofür Du Dich entscheidest.“ Erst jetzt ließ er das Mädchen los, um das Trinkhorn in einem Zug zu leeren und aufzustehen. „Du musst lernen über den Willen Deines Mannes hinwegzudenken.“ Und nun kam, was der Barbar niemals auf diese Weise hätte offenbaren dürfen. Und doch tat er es… aus Liebe! Aus Liebe zu einer Frau, die ihm lediglich dann gehören würde, entschied sie sich für mehr als das, was sie bis hierhin vom Leben erfahren hat. „Einer von euch beiden wird durch die Hand des anderen sterben. Entweder Du durch seine oder er durch Deine. Es wird geschehen Wylla – die Frage ist lediglich, ob Du willens bist für nichts in den Tod zu gehen.“ Damit ließ er die Blondine zurück, allein mit ihren Gedanken und wissend das sie ihn finden würde, gedachte das Weib nach ihm zu suchen.

 

Elorie ahnte von dem tiefgreifenden Gespräch im Zelt nichts. Sie war dankbar über die Begleitung, brachte dies auch mehrmals zum Ausdruck und entblösste sich vor den Frauen ohne einen Anflug von Scheu. Mehr denn je wollte sie sich den Geruch vom Körper waschen und tauchte rasch in das kalte Wasser ein. Einen langen Moment blieb die voranische Edeldame unter Wasser, doch dann als Aslaug vielleicht schon nachsehen wollte, kam sie wieder hoch und strich sich das nasse Haar aus dem Gesicht. Sie verlor kein Wort, doch man konnte Elorie ansehen, dass sie trotz der Kälte wieder mehr Leben entfachte. Mit beiden Händen schaufelte sie Wasser und ließ es über die nackte Haut von Hals und Brüsten rinnen. Kassander war zu diesem Zeitpunkt am falschen Ort des Geschehens. Die Rothaarige brauchte aber nicht lang, hüllte sich danach wieder in mitgebrachte, warme Kleidung und ließ sich von Aslaug zurück ins Zelt begleiten, wo sie von dieser neuen Wein bekam. Eine Wohltat für die Zunge und rasch fehlte dem Becher die erste Hälfte.

"Bleib bitte hier, Aslaug. Ich möchte nicht allein sein", versuchte sie der Frau zu erklären. Mit Hand und Fuß, deutete jener an sich zu setzen und schob den eigenen Becher Wein in Richtung der Nordfrau. "Trink."Aslaug hatte sich gern zur zukünftigen Königin gesetzt, um mit ihr zu trinken, erhob sich dann aber und verschwand, als der tropfnasse Schlächter zurückgekehrt war. Kassander wirkte müde. Nachdenklich. Dennoch schritt er auf seine Gemahlin zu, um ihr auf schier fürsorgliche Weise einen Kuss auf die Stirn zu hauchen.

„Schlafen“, raunte er ihr zu, während sein Blick zur Schlafstatt glitt und ein aufforderndes Nicken folgte. Er selbst wandte sich ab, um sich schweigend aus den aufgeweichten Kleidern zu schälen, die mittlerweile kalt und unangenehm am vernarbten Körper klebten.

Draußen prasselte weiterhin starker Regen auf die Zelthäute, ein Geräusch, welches einlullend und gemütlich auf die meisten Gemüter wirkte. Ebenso auf Elories. Sobald Aslaugs Gesellschaft schwand, sie dafür aber Kassander wiederbekam, erhob sich der Rotfuchs wortlos. Sie ließ ihren Gatten keinesfalls aus ihren Blicken, beobachtete seine Versuche sich auszuziehen und während der Krieger damit beschäftigt war, die Schnürung seines Hemds zu lösen, fühlte er vertraute Wärme in seinem Rücken. Zarte, weiche Hände setzten sich an seine Hüften und begannen den Stoff auf seiner Haut nach oben zu schieben. Das Mädchen half ihm sich zu entkleiden, dies in einer fürsorglichen Geste, die gleichzeitig Dank und Respekt ausdrückte. Doch da war noch mehr. Sobald sein kompletter Rücken bloß vor ihren Augen lag, Elorie sich jede Narbe regelrecht einverleiben konnte, bemerkte Kassander den gehauchten Kuss auf einen seiner Makel. Ein stilles Geständnis, dass auch sie ihn mochte, seine Fürsorge und seinen Schutz schätzte. Die Hände legten sich wieder an den Mann, diesmal an den Bund seiner Hose und fuhren an diesem entlang.

"Elorie berühren Kassander. Kein Handel", wisperte sie mit warmen Atem gegen seine Haut und sollte die Chance bestehen unter den Stoff seiner Hose zu gelangen, so tat sie es. Behutsam und tastend glitten die Finger seiner Frau hinein, von der Seite angefangen nach vorne, um ihn zu berühren. Vom dunklen Haar bis zu empfindlicher Haut, sie machte nicht Halt, sondern erkundete den Nordmann, der er zweifelsohne war. Kassander fühlte ihren Leib dabei eng an seinen Rücken geschmiegt, spürte durch ihr Kleid hindurch die weiche, verlockende Brust und den wilden Herzschlag seiner Frau. Ihr Atem drang schnell und warm an seine Haut.

"Nicht schlafen", flüsterte sie regelrecht liebevoll und setzte einen neuen Kuss auf seine Haut, noch bevor sich die ungeübten Finger um seinen Schaft schlossen. Eine ungewohnte Erfahrung, doch zu ihrer eigenen Überraschung nichts, was sie bereute oder was sich unrein anfühlte. Edith hatte nicht gelogen. "Zeigen. Wie?" Elorie war sehnsüchtig. Nach den Geschehnissen des Abends mehr denn je. Das rote Haar lag noch nass und schwer auf ihren Schultern, tränkte den Stoff eines schlichten, blauen Kleides, aber ihr Leib war warm und brannte förmlich. Sie brauchte ihn. Diesen Nordmann vor sich. Einen Mann, der sie bis vor wenigen Tagen nicht kannte und sie dennoch behandelte wie eine Königin. Ihre Wange bettete sich zwischen seine Schulterblätter und er mochte die feuchte Spur aus Tränen fühlen, dieses Mal jedoch nicht von Trauer oder Furcht stammend. Sie war glücklich. Noch zu leben. Und dass er am Leben war.

Kassander hielt in seiner Bewegung inne, als sich die warmen, weichen Fingerspitzen des Weibes auf seiner malträtierten Haut zur Ruhe betteten; als er ihren filigranen, wohlgeformten Leib an den seinen gestählten geschmiegt spürte. Immer wieder appellierte das Mädchen an Dinge, die ihr Anvertrauter bereits seit vielen Mondzyklen vergessen glaubte. An Schutz und Geborgenheit, daran der Stärkere zu sein, wo ihre Schwächen zweifelsfrei begannen. War es nicht das, was sich in ihrem Beisein so spürbar heilend über seine Seele spannte? Was sich nicht minder so gut anfühlte, wie ihre Hände auf seinem Körper? Ihre Lippen auf seinen Narben?

Ihre Verführungskünste mochten unbeholfen wirken, doch reichten sie vollkommen aus, um dem Rohling das Blut gen Süden zu schicken. Elorie konnte es spüren. Mit jedem sanften Tasten und mit jeder zärtlichen Liebkosung, wie seine Männlichkeit unter ihren feingliedrigen Fingerspitzen anschwoll. Nicht lange und die Anspannung fiel vom Eisprinzen ab, schwand, als habe sie seine Sinne bis hierhin nicht in stählernem Griff gehalten. Ihr Tun kollidierte mit Wohlgefallen, was sich lediglich im Detail widerspiegelte: Darin, wie er den Kopf in den Nacken legte und die Augen schloss; wie seiner Kehle ein leises, genüssliches Knurren entrann und wie seine gestählten Muskeln bei jedem noch so sanften herantasten deutlich unter straffer, geschundener Haut arbeiteten.

Er sollte ihr zeigen, wie es dem Mädchen gelingen würde seine Lust voranzutreiben. Gewiss eine Möglichkeit schneller die erwünschten Ziele zu erreichen – wollte das der Schlächter überhaupt? War es nicht das Unschuldige, was den zierlichen Rotschopf erst begehrenswert machte? Was ihr Mann noch so lange, wie es gegeben war, zu seinen Gunsten vollkommen ausreizen wollte?

„Nein“, entgegnete er ihr dunkel. Kein ´nein´, das auf dem Unwillen basierte mit ihr zu schlafen. Ein ´nein´, welches da überdeutlich zutage trug, dass er ihr diese Hilfe nicht schenken wollte. Wozu auch? Elorie konnte spüren, wie richtig sie auf ihren Wegen war. Deutlich und markant, wie sich sein Glied den ihren sanften Berührungen entgegendrängte. Die Leidenschaft war keine Kopfsache, was sich der jungen Frau mehr und mehr auftun sollte. Kassander war willens sein Weib zu lenken, doch erst dann, wenn er selbst es für richtig befand.

Regung kam in seinen Körper, doch nicht gar um der frisch Anvertrauten zuwiderzuhandeln. Ihre Tränen nahm er hin, schien der Barbar trotz seiner oftmaligen Wildheit durchaus zur Empathie fähig zu sein. Der Feldherr wand sich aus der Hose, ehe er die Hand zur einzigen Kerze lenkte, die das Innere des Zeltes in spärliches Licht tauchte. Dunkelheit hielt Einzug, wo die Flamme der Talkkerze erstickt war. Mehr denn je waren die beiden fortan darauf angewiesen über die Grenzen der Sprache und des Visuellen hinwegzudenken. Zu spüren und zu berühren – das für und wider, richtig oder falsch, aus den Sinnen zu bannen. Er hatte sich zu ihr umgedreht. Langsam und bedächtig, ehe seine Hand spürbar auf ihrem Hals zur Ruhe kam. Kassander übte keinen Druck aus, nahm ihr nicht den Mut, den es zweifellos bedurft hat um seine Nähe zu suchen, lenkte sie aber gekonnt zu den Fellen, vor denen er den Rotfuchs geduldig aus dem blauen Kleid schälte um sich hernach mit ihr hinzulegen. Nicht auf, sondern neben das Mädchen legte er sich… gemütlich auf den Rücken, um ihr die Aufgabe, die er seiner Gattin auftrug, so einfach wie möglich zu gestalten. „Elorie berühren Kassander.“

 

Das ausgesprochene Nein hatte die Hand der Adligen zurückzucken lassen. Sie verließ seine Männlichkeit auf gar grausame Weise, nicht Stück für Stück, sondern abrupt und sofort. Was dann folgte waren Beobachtungen, Elorie wusste zunächst nicht was sie von seiner Reaktion halten sollte, doch als Dunkelheit aufkam, gewann neue Aufregung die Oberhand. Noch ehe sie fragen konnte, was ihr Gemahl vorhatte, spürte sie schon die wohltuende Berührung an ihrem Hals. Die junge Adelige konnte sich nicht dagegen wehren, dass der Heide ihr mit jeder einzelnen Fingerkuppe einen Schauer durch den Leib jagte. Nur zu willig ließ sie sich zu den Fellen treiben und sobald sie nackt neben ihm lag, reichte allein seine Wärme, um sie einzulullen. Unsichtbar für den Nordmann legte sich ein neues Lächeln auf ihre Lippen, als Kassander es sich scheinbar gemütlich machte für folgende Berührungen. Wenigstens aber nahm er ihre Versuche an. Das Nein war also nicht auf ihre Verführungskünste bezogen. An seine Seite geschmiegt machte sich das Mädchen ein weiteres Mal auf den Weg ihre Dankbarkeit zu zeigen. Und zu Elories eigener Überraschung geschah dies nicht einmal ungern. Kassander war anziehend, ein Mann, vor dem sie sich früher gefürchtet hätte, doch jetzt schienen all die Geschichten gar nicht zu stimmen.

Sie genoss das Gefühl von Schutz, welches er vermittelte. Das Gefühl begehrt zu werden. Und das Gefühl, dass dieser Mann ihr Achtung schenkte und sie als Persönlichkeit sah. Sobald die Gedanken wieder in ihrem Kopf auftauchten, schien neues Leben in der jungen Frau zu wachsen. Ihre Hand schob sich erstaunlich schnell Richtung Süden und legte sich erneut um den Schaft des Kriegers. Atemlos versuchte Elorie die Reaktion Kassanders auszumachen, lauschte auf das Geräusch seines Atems, auf die Reaktion seines Körpers. Wie seine Muskeln arbeiteten war unbestreitbar anziehend und während ihre Hand damit begann, wie von Edith beschrieben auf- und abzugleiten, schmiegte Elorie ihren Kopf in die Kuhle seines Schlüsselbeins. Sein nackter Körper ließ die junge Adelige gewiss nicht kalt, ihre Knospen waren längst fester geworden und zwischen den weichen Schenkeln entflammte neue Hitze. Elorie setzte einen Kuss auf seine Haut und sandte warmen, erregten Atem darüber ohne zu wissen, was sie dort tat. Erschreckend wie sehr sie sich wünschte, er möge ihre Hand ergreifen und sie festhalten, sich über sie beugen, um ein weiteres Mal zu tun, was am Wasserfall geschehen war. Sie fühlte sich lebendig, frei … glücklich!

Reflexartig schob sich ihr Bein leicht über das seine, ließ ihn ein wenig der Hitze spüren, die ihren Leib heimzusuchen begann. Das Mädchen war deutlich erregt, ein leichtes Spiel für den Nordmann, er würde keine Mühe haben ein weiteres Mal in ihre warme, feuchte Enge einzutauchen. Elorie horchte derweil weiter, begann den Kopf zu heben, jedes noch so kleine Wort aufzunehmen, sollte er überhaupt zu ihr sprechen.

Ihre filigranen Finger auf seiner Härte ließen den Nordmann wohlig schaudern … vergessen welche Übel der Abend mit sich gebracht hatte. Elorie mochte unerfahren sein, allerdings neugierig genug, um ihre Dankbarkeit weislich in Taten umzusetzen. Dunkel entstieg seiner Kehle ein angetanes Keuchen, während sich seine Hand um die ihre schloss und den Druck auf sein Glied intensivierte. Kassander gab den Takt an, zeigte seiner wissbegierigen Gemahlin fortan gern, wie es ihr auch in Zukunft gelingen konnte ihn um den Verstand zu bringen. Bald schon würde sie ihn mit Waffen schlagen, die keiner Ehefrau in die Hände gelegt werden sollten; mit Waffen, die es ihr ermöglichten seinen Willen zu lenken, auf das er ihr noch ergebener gegenüberstehen sollte, als er es ohnehin schon tat.

Das Knie, bedeutungsschwer über seine Beine gebettet, hielt den Feldherrn dazu an die Gunst der Stunde ein für alle Mal genutzt zu wissen. Elories Leib wurde mit bestimmendem Nachdruck gelenkt. Nicht er sollte es sein, der sich auf seine frischanvertraute Gattin legte, nein Elorie war es, die sich bald schon rittlings auf ihrem Gemahl wiederfand. Zeit die Grenzen ihres erhabenen Horizontes weiter auszudehnen. Zeit dem Mädchen zu offenbaren, was ihr tatsächlich innewohnte und wie machtvoll eine Frau in manchen Belangen über ihren Mann bestimmen konnte.

Elorie hielt zwischendurch den Atem an, um nach der Reaktion ihres Gemahls zu lauschen. Gefiel ihm ihr Tun? Kassanders Reaktion war jedoch eine Andere und nicht weniger hilfreich. Und offenbar auch anregend genug! Das Ergreifen ihrer Hüfte überraschte die Adlige, welches geglaubt hatte noch länger neben dem Nordmann zu liegen. Er ließ ihrer aufkommenden Scham sowieso keine Chance, noch konnte sie ihm entkommen. Eine ungewohnte Situation sich auf einem Mann zu befinden, doch das Gefühl seiner Härte an ihren Lippen schickte jegliche Bedenken fort. Elorie wollte ihn. Erschreckend genug, wie sich dieser Wunsch in ihrem Innern festigte, wie er ihren gesamten Leib so ergriff wie der Nordmann. Sie wollte einen Heiden, wollte ihn in sich spüren, ihn berühren, sich ihm hingeben, all das und mehr.

Deutlich drängte sich seine Erregung zwischen ihre stummen Lippen. Markant und einprägsam packte er nach den Hüften ihrer Ladyschaft, um sich unter ihr in Position zu bringen… um ihr in einer kraftvoll vollführten Aufwärtsbewegung das zu geben, wonach ihre lustgeschwängerten Sinne bereits lechzten.

Nur zu gern eroberte er den jungen Rotschopf, drang mit seiner Härte in ihre wunderbare Enge – dehnte und weitete, pfählte sie, wobei das von seinen Lippen perlende Stöhnen an Intensität gewann. Auch hier in dieser erhabenen Position ließ er den Rotfuchs nicht im metaphorischen Regen stehen. Anstatt ihr die Zügel auf grausame Weise in die Hände zu werfen, lenkte er ihre einladenden Hüften in eine rhythmische auf- und Abwärtsbewegung, wobei ihr der Schlächter in Körpermitte deutlich entgegenwirkte. Womöglich dauerte es einen Moment, um einen gemeinsamen Takt zu finden, doch zeigte sich Kassander keinesfalls ungeduldig. Ein wenig ungestüm vielleicht, wo ihre nahezu unberührte Enge allein bereits dazu fähig war ihn um seine Ruhe zu bringen. Ein Akt, der jenen am Wasserfall deutlich übertraf – der nicht lediglich den Sinn in sich barg die eigene Gier schnellstmöglich befriedigt zu wissen.

Langsam fuhren seine Hände über die feine Neigung ihrer Taille empor, ehe die Fingerspitzen ein wenig grober nach den harten Knospen ihres Busens griffen. Perfide zog er daran, beschenkte ihren wunderbaren Körper um weitere Reize und lenkte diesen hernieder, sodass ihr feingeschwungenes Lippenpaar für einen unkeuschen Kuss mit den seinen kollidierte.

Sobald Kassander sich wieder in seinem Weib befand, bekam auch er seinen Triumph in Form eines überraschten, doch süßen Aufstöhnens. Elorie benötigte einen Moment ,um sich wieder an ihn zu gewöhnen, denn zwischen einem Finger, einer Zunge und einer steifen Männlichkeit herrschte ein gewaltiger Unterschied. Letzteres erreichte, so schien es ihr zu ergehen, Stellen ihres Leibes, an denen sonst nichts gelangte. Er rieb an ihren feuchten Seiten entlang, reizte sie bis aufs Blut und trug das Mädchen mit sich fort. Das Beben ihrer Schenkel mochte von Lust und Unsicherheit gleichzeitig herrühren, doch auch hier war der Barbar einfühlsam genug und überließ sie nicht selbst dem eigenen Schicksal. Wie er ihre Hüften führte begann sich gut anzufühlen und nach einer Weile, dann als seine Hände ihren Leib verließen, schob Elorie ihr Becken von selbst auf und ab. Bis zu dem Moment wo der Mann sie auf schmerzhaft, empfindsame Art und Weise neckte, doch ihr Mund wurde von dem Seinen sofort erstickt und statt Schmerz, raunte das Mädchen ihre Erregung nun neben dem Spiel zweier Zungen mitten in seinen Mund. Wie konnte man sich nun nicht lebendig fühlen?

Beide Hände ihrerseits lagen auf seiner Brust, haltsuchend, das Muskelspiel ertastend. Der Kuss fühlte sich gut an, doch es gab diesen kleinen Moment in welchem sich sein Weib entzog, den Oberkörper wieder aufbäumte um zu Atem zu gelangen. Und jener war bitter nötig, denn das Hinein- und Hinausgleiten seiner Härte forderte die junge Adelige deutlich. Sie stellte fest, dass die Bewegung ihrer Hüften das aufregende Gefühl noch intensivierte und grub zwischendurch ihre Finger fester in seine Brust. So auf ihm zu thronen gab Elorie ein Gefühl von Stärke, die Erkenntnis ihre eigene, noch immer am Anfang stehende Lust, in eigenem Rhythmus erfahren zu können. Und das Mädchen ließ sich Zeit, quälend grausam mochte es für Kassander anmuten, dass sie mal langsamer, mal schneller auf ihm ritt, immer wieder darauf achtend was sich besser anfühlte. Schließlich glitt eine Hand sogar von seiner Brust auf die eigene, um zu tasten welche Punkte der Nordmann berührt hatte um ein brennendes Feuer in ihrem Leib zu entfachen. Dazwischen entlockte er ihren oberen Lippen immer wieder süße, anbetungswürdige Stöhner, Seufzer und Kassander hatte diese Musik gewiss lang nicht mehr gehört.

Das Eis brach. Kassander spürte es deutlich, wenngleich zu seinem Nachteil. Er tränkte sein Weib mit Wein, den er ihr nicht immer willens zu geben war. Heute aber stand sie in seiner Gunst. Ein anzüglicher Lächeln machte sich ob ihren Selbstversuchen auf seinen Lippen breit, verborgen von der allumfassenden Finsternis und untermauert vom steten Rauschen des Regens, wie er seine eisigen Tropfen auf die Welt herniederschickte. Der Sohn Rolands genoss was man ihm gab, stets versucht ihren eigenen Rhythmus anzuerkennen, den ihre einladenden Hüften nach der Manier einer Kissentänzerin auf und ab sandte. Gab es besseres, als ein leidenschaftliches Weib? Ein größeres Geschenk, denn eine Frau, die sich ihrer Reize durchaus gewahr war? Der Schmerz, wie sich ihre feinen Nägel in seinen gestählten Brustkorb gruben, war keinesfalls unangenehm. Ganz im Gegenteil, kollidierte jener leidenschaftliche Impuls durch und durch mit dem Wohlgefallen ihres Gemahls. Eine lange Weile ließ er den lieblichen Rotschopf machen, überreichte ihr die Zügel und vermittelte mit Wohlgefallen wie viel der Macht ihr innewohnen konnte.

Geduldig und keinesfalls unbeteiligt, denn Kassanders Körpermitte schob sich ihrem Schoss kraftvoll entgegen, auf dass seine Härte wahrhaft tiefer denn jemals zuvor in ihre wunderbare Enge drang. Nichtsdestotrotz würde sich die Liebliche über kurz unter lang unterordnen müssen. Nicht gar, da ihm das Gefallen an ihrem rhythmischen Beckenspiel abhandengekommen wäre, sondern aus dem simplen Grund heraus, weil es ihrem Mann bald schon nicht mehr ganz so leicht von der Hand gehen sollte die eigenen Triebe in Schach zu halten. Abermals legte er Hand an. Grober und willensstärker, ohne den Willen im Blute ihr Schmerz zuzufügen, packte er nach der filigranen Schönheit, um ihr eines überdeutlich unter Beweis zu stellen. Ihre Macht unterlag lediglich seiner Gunst. Und ebenjene Gunst, die es ihr erlaubt hatte die eigene Lust für sich zu entdecken, mochte nach und nach verstreichen. Er tat ihr nicht weh, blieb behutsam genug um ihre Sinne nicht zu überreizen, brachte die zukünftige Königin des unvergänglichen Reichs allerdings in einer fließenden Bewegung unter sich.

Wölfisch der Blick aus aschgrauen Seelenspiegeln, was das gleißende Licht eines neuen Blitzes durchaus zutage trug. Elorie fand sich auf die Felle gedrückt wieder, den Barbaren zwischen ihren Schenkeln und tief in ihr vergraben, während sich seine Hände links und rechts des Antlitzes abstützten.

„Tha thu nam m´“ Du gehörst mir, entkam es ihm lustgeprägt, besitzergreifend, während er die Hüften anhob, fast zur Gänze aus ihrer feuchten Enge glitt und kraftvoll in sein schönes Weib vordrang. Der Takt wurde herber, was zweifelsfrei offenbaren konnte, dass die Geduld des Wildlings gen Nulllinie sank. Ein gutes Zeichen, mindestens dann, wenn man dazu in der Lage war es als solches wahrzunehmen, hatte ihre Leidenschaft den Herrn dieses Lagers um den Verstand gebracht. Nur zu gern fickte er das Mädchen. Schonungslos und dunkeldreckig, untermauert von einem allumfassenden Begehren, dass er weder Hurenweib noch Abenteuersünde jemals hätte entgegenbringen können.

Auch wenn er zunächst Vorsicht walten ließ, wenn der Barbar sich geduldig zeigte, verständnisvoll, so erschrak Elorie doch bei der plötzlichen Umkehr der Welten. Nun lag sie unter ihm, begraben von seinem Körper und offenbar genau dort wo er sie haben wollte. Das Gefühl, ihm nunmehr ungehindert ausgeliefert zu sein, wurde stärker, doch unter den herben Beigeschmack mischte sich Wohlgefallen in einer Süße, die schwer zu beschreiben war. Elorie verzog das Gesicht bei seinem ersten, heftigen Stoß, doch schon beim zweiten, dritten empfand sie neue Lust durch ihren Leib fließen. Beim vierten und fünften biss sie sich hilfesuchend auf die Unterlippe, beim sechsten und siebten entlockte der Nordmann ihren Lippen fast kleine, lustvolle Schreie. Längst hatte Elorie den Kopf zur Seite gewandt, entsetzt über ihr eigenes Verhalten, doch es war nicht zu ändern und noch weniger zu verbergen. Sie gab sich ihm gerne hin, ließ sich gerne von seinem Körper erobern. Gerade jetzt wo Gott sie auf die Probe stellte, war es doch der Teufel der ihren Leib mit so göttlicher Leidenschaft füllte, dass dem Mädchen keine Wahl blieb.

Kassander mochte in seinem Takt spüren wie ihre Brüste hin- und herwogen, ein wilder, sinnlicher Reigen. Die Haut überzogen von Schweißperlen war die filigrane Adelige bei jedem neuen Blitz ein erregender Anblick ohne sich ihrer Macht gewahr zu sein. Acht, Neun.Zehn..Elorie hielt den Kopf zur Seite gelegt, schloss die Augen und schrie leise auf, als der Barbar sie zu einem neuen Höhepunkt brachte. Als sei er jene Welle, die sich unbarmherzig durchs Meer schob, nur um als schaumige Brandung an ihrem Strand zu vergehen. Ihr Oberkörper bog sich ihm entgegen, dass er nur den Mund öffnen musste um die Zähne in ihren empfindsamen Gipfeln versenken zu können. Unbewusst hatte sie ihre Schenkel noch weiter geöffnet und sollte er nach ihrem Orgasmus noch weiterstoßen, so blieben diese kraftlos liegen, genauso wie die Schöne selbst.

Ihr Atem ging schnell, der Puls raste und rote Strähnen klebten an Wange und Hals. Ihr war warm, ihr Leib hitzig, die Lippen feucht. War das jenes Feuer von dem Edith ihr berichtet hatte? Das Feuer der Nordmänner hatte sie es genannt, ein gnadenloser Akt zu vergleichen mit wilden Tieren. Doch Kassander war kein Tier. Er war unbestreitbar ein Mann. Ihr Gemahl. Mit zitternder Hand tastete Elorie nach seinem Haupt, nach seiner Wange und bettete jene in die weiche Kuhle hinein, strich mit dem Daumen über seine Haut und ließ die Hand rasch wieder sinken. Kein Wort kam von ihren Lippen.

Wunderbar, wie sich ihre feuchte Enge ob des Höhepunktes noch inniger um seine pulsierende Härte schloss; wie ihr wohlgeformter Leib ob seinen Stößen zu beben begann und das zarte Antlitz von einer Ergebenheit sprach, die einzig und allein ihm gehören sollte. Was viel zu lange nach einem Traumgespinst angemutet hatte, wurde in dieser Sekunde Realität. Sie gehörte ihm! Ihm allein und ein jeder, der es wagte diesem Bund mit Spott oder Arglist zu begegnen, sollte seinen Zorn erfahren. In einem hatte der Schattenläufer allerdings Recht, obschon in differentem Kontext: Ihr Fall sollte der seine sein – ihr Höhepunkt seine Henkerschlinge. Schub um Schub gab er seinen Samen in ihr tiefstes Inneres, wobei die Akzeptanz darob für die Flüchtigkeit mehrerer Herzschläge verzögert war. Schier erbarmungslos trieb der Wildling seine Härte unnachgiebig in ihr Innerstes, selbst dann noch als die Lust in seinen Sinnen bahnbrach. Kassander fiel aus dem herben Takt, verlor den Rhythmus, ehe er seine Lenden ein letztes Mal mit jedweder verbliebenen Härte gegen ihre betörenden, stummen Lippen drängte.

Zufriedenheit machte sich in ihm breit. Das Wissen darum gewonnen zu haben, wobei auch sein Weib siegreich aus der Schlacht um Trieb und Leidenschaft hervorgehen sollte. Erst dann beugte er sich zu ihr hernieder, vergrub ihren oftmals so zerbrechlich wirkenden Körper unter dem seinen gestählten, und küsste sie. Mehr bedurfte es nicht. Weder Worte noch Geständnisse. Weder Sprachbarrieren noch sonstige Hindernisse. Man war sich eins. Womöglich mehr denn jemals zuvor. Und so harrte er auf dem lieblichen Rotschopf aus, zwischen ihren Schenkeln und so lange es ihm möglich war, in ihr.

 

Zwischenzeitlich konnte Fhean nicht sehen wie Wylla reagierte. Wie sich das Blau der Augen dunkler färbte, die Mundwinkel ein klein bisschen hinabsanken, doch nicht traurig, mehr nachdenklich, überrascht von den Worten die da so gewichtig aus dem Mund des eigentlich fremden Mannes kamen. Doch ihre Antwort, ganz gleich was er ihr da sagen wollte, stand bereits vor dem Gespräch fest. Daher eroberte wieder Sanftmut, wenngleich auch eine Bitterkeit, den Klang ihrer Stimme. Wylla war loyal. Und würde es bleiben.

"Mein Weg ist noch nie leicht gewesen, Fhean." Behauptete die blonde Adelige und bemühte sich ruhig zu bleiben, auch wenn die Worte des Sehers sie gewiss nicht kalt ließen. "Ich werde nicht sterben, aber ich werde auch nicht mit Elorie gehen können. Da draußen gibt es Menschen, die sich auf mich verlassen. Die ich schützen muss. Ich habe mit meinem Ehebund ein Versprechen abgegeben, diejenigen die mir untergeben sind, zu verteidigen. Sie stehen unter meinem Schutz und das ist was ihr bei euren Worten vergesst." Wylla erhob sich, als der Seher den Anschein machte gehen zu wollen. Und sie hielt ihn nicht auf, sondern schob die Seite des Zeltes hinfort, damit er gehen konnte.

„Nichts vergaß ich bei meinen Worten, Lady Wylla, Ihr zäumt das Pferd lediglich von der falschen Seite auf.“, sprach Fhean im Regen stehend, mit Bile auf seinem gestählten Arm und ein letztes Mal in ihre Richtung gedreht. „Und nichts von dem, was lediglich für Euer Ohr bestimmt gewesen ist, schließt Euer Pflichtbewusstsein gegenüber jenen aus, denen ihr Euch verschrieben habt.“ Schweigen, durchsetzt vom lieblichen Singsang fallender Regentropfen, während sein blinder Blick bedächtig an jener haftete, die ihm Leuchtfeuer und Zuflucht in der Dunkelheit gewesen ist. Abermals teilte sich sein Lippenpaar, doch sollte den geschenkten Worten kein weiteres folgen. Der Seher entschied sich kurzerhand um, wohlwissend der Kunde der Götter bereits genüge getan zu haben. Der Samen der Erkenntnis war gepflanzt! Nun war es an der weizenblonden Schönheit darüber zu sinnieren und eigene Schlüsse daraus zu ziehen. Doch was, diese Frage stellte sich der Warge als er sich aufs Neue von ihr abwandte und trittsicher in nördliche Richtung von dannen zog, wenn Wylla den falschen Weg einschlug? Würde er entbehren können, was ihm niemals gänzlich gehört hat? Könnte er den Willen der Götter anerkennen, wo er sich durchaus im Klaren darüber war über die Macht zu verfügen ihr das Schicksal zu entreißen?

"Schlaft gut." Wünschte sie dem Mann und sobald sie mit neuer Einsamkeit umgeben war blieb Wylla mitten im Raum stehen. Das Gespräch mit dem Seher war eines, das man nicht so schnell vergaß. Allein seine Präsenz behielt man im Gedächtnis, er hatte etwas Mystisches an sich und ein kleiner Teil der vernünftigen Frau fragte sich, ob die Wahrheit irgendwo zwischen seinen Worten lag. Das Prasseln des Regens mochte ihr Gemüt beruhigen, es zu entspannen, doch nicht an diesem Abend. Wylla blieb unruhig, rastlos.

Die Gedanken entglitten ihr, sprangen in die Ferne zu ihrem Gemahl. Elren konnte charmant sein, wenn er wollte. Er war ein gutaussehender Mann, doch leider spiegelte sein Charakter diese Schönheit nicht wieder. Aber er würde sie nicht umbringen können. Wylla wusste um die zahlreichen Affären, die der Baron unterhielt, doch am Ende des Tages, trunken von Wein sank er oft genug in ihr gemeinsames Bett und bat sie um Verzeihung. Sie liebte ihn nicht, das hatte die Blonde vom ersten Moment an gewusst. Bei Elren hatte sich jedoch eine krankhafte Besitzgier eingenistet. Er war oft genug zwiegespalten und ein Teil von ihm begehrte und liebte Wylla. Doch sie war zu vorausschauend für ihn, oftmals zu widerspenstig, zu starrköpfig. Eine Frau die sich damit schwertat sich unterzuordnen, wo er ihren Platz oft genug angezeigt hatte. Oftmals mit den Mitteln die er zur Verfügung hatte. Unbewusst fuhr sich die Baroness mit der Hand über die Schulter und sobald der Schmerz begann, ließ sie es bleiben. Besser sie schlief, wer wusste schon was der neue Tag brachte. Langsam löste sie die Schnürung ihres Kleides, brachte den darunterliegenden, dünnen Stoff zum Vorschein und schien auch diesen von ihren Schultern schieben zu wollen, doch im Tun hielt Wylla inne. Was wenn er auch jetzt noch....das Kleid blieb an ihrem Körper. Sie knüpfte stattdessen nur noch ihren Zopf auf und fuhr mit den Fingern durch die blonden Wellen. Erst dann legte sich die Adelige in das für sie hergerichtete Bett, zwischen die weichen Felle und bettete ihren Kopf in unruhigen Schlaf. Sofort würde sich dieser aber sicherlich nicht einstellen.

 

Drüben in einem anderen Zelt begann Elorie den Kuss zu erwidern, zärtlich, langsam, noch immer um Atem kämpfend aber mit dem Gefühl wohliger Wärme. Wenn es nach ihrem Körper ging, hätte sich dieser wieder auf den Mann gesetzt und das Spiel von vorne begonnen. Kassander würde den Hunger des Mädchens vielleicht dadurch bemerken, dass sie auch jetzt noch ihre Hüften bewegte, diese sanft an ihm rieb als könne allein dieses Gefühl ausreichen, um sie ein weiteres Mal brennen zu lassen. Ihre Hand war stattdessen so sanft wie irgendmöglich und strich nun durch das lange Haar des Barbaren. Des Heiden, dem sie sich fast wollüstig hingegeben hatte. Doch der Beichtvater war weit entfernt und sie gefühlt nicht mehr im Land ihres eigenen Gottes. Hier gab es andere Regeln.

"Was habt Ihr zu mir gesagt...vorhin..." Er konnte sie nicht verstehen, daher bemühte sich Elorie den Wortlaut zu wiederholen: "Thatunam." Die Finger wurden verspielt, lockten eine Strähne, während die andere Hand zu seinem Oberarm wanderte, auch hier Zärtlichkeiten austeilte. Das Mädchen war durchaus Balsam für eine geschundene Seele und zum Glück nicht an einen alten, widerlichen Grünländer verschwendet worden.

"Ihr fühlt Euch gut an..." Elorie sprach ihre Gedanken aus, leiser, gar nicht einmal für ihn bestimmt und als ihr bewusst wurde, dass sie zu zeigen begann wie sehr der Nordmann ihre Sehnsüchte weckte, begann sie zu erröten. Zum Glück war es im Zelt noch zu dunkel, um sehen zu können. "Ihr seid....stark." Fügte sie hinzu und fasste an die Muskeln des Oberarms. "Kassander ist stark."

Der Eisprinz mochte es, wenn seine Gemahlin achtlos sprach. Wohl gelang es ihm nicht ihre Worte zu verstehen, doch trug es deutliche Anzeichen zutage, dass sie sich in seinem Beisein wohlfühlte. Zudem gefiel ihm ihre Stimmklangfarbe.

„Tha thu nam m´“, wiederholte er langsam, dunkel, während der Takt ihrer wiegenden Hüften keinesfalls spurlos an ihm vorbeiziehen wollte. Elorie gönnte ihrem Gatten keine Ruhe, so viel stand fest. Womöglich hatte er ihren Hunger nach Leidenschaft zu sehr entfacht, was den seinen dazu verdammte ebenso standhaft zu bleiben. Nichts was der Mann ihr grämen konnte, ganz im Gegenteil. Und mit allumfassender Sicherheit handelte er dem eigenen Weib keinesfalls zuwider, als er sich aufs Neue mit ihr drehte, um ihr das Zepter der Macht selbstgerecht in die Hände zu spielen. Was ihre Ladyschaft daraus machte, war ihr überlassen. Der Nordmann müsste sich wohl selbst einen Lügner strafen, würde er behaupten darüber keine Neugierde zu empfinden. Die Härte in Körpermitte jedenfalls, war noch spürbar vorhanden, obschon von der bahngebrochenen Lust nicht mehr ganz so stattlich.

„Gehören mir“, versuchte der Mann ihre Frage zu beantworten, welche dieser lediglich am falschen Wortlaut ihres Echos hat erahnen können. „Elorie berühren Kassander gut.“ Unbeholfen aber selbstbewusst, womit er dem schönen Mädchen gestand, wie sehr er der ihren Nähe zugetan war. Auf dem Rücken liegend und das spärliche Gewicht seiner Frau auf sich spürend, mochte die Welt eine andere sein. Sie war es, die der Schwärze seines Daseins einen neuen Sinn verlieh – eine Erkenntnis wiederum, an die sich der Schlächter von Galgenfels nach und nach gewöhnte, während raue Fingerspitzen selbstvergessen über die weiche, samtige Haut ihres schmalen Rückens streichelten.

9.

Der Sohn Rolands war im Einklang mit sich selbst, nicht aber Elren, dessen weingeschwängerten Sinne dem Jähzorn bedeutend zu nahe kamen, als er sein Ehebett zu mitternächtlicher Stunde verwaist vorfand.

„Sie ist … wo?“ Der Baron glaubte sich verhört zu haben, als ihm der Aufenthaltsort seiner Gattin von arglistigen Zungen ins Ohr gehaucht wurde. Eine Wahrheit, die dem Mann durch Mark und Bein wanderte; die in ihm brodelte und kochte, wo er doch die Güte besessen hatte von seinen Reisen verfrüht zu Lady Wylla heimzukehren. Der jungen Dienstmagd, welche da bereits seit der ersten Stunde, die sie im hohen Haus von Windfeste zubrachte, viel zu sehr mit dessen Oberhaupt liebäugelte, bekam die Arglist keinesfalls gut. An wem, wenn nicht an ihr, würde der charismatische Trunksüchtige denn sonst den aufglimmenden Zorn ausleben können? Stählern gruben sich seine Finger ins Haar der Bediensteten, drängten ihr hübsches Haupt auf brachialen Wegen in den Nacken, während die andere Hand blindlings zum Schlag ausholte.

„Der Teufel soll sie holen“, keifte er von Sinnen, „Der Teufel soll euch alle holen“ Jäh landete der Schlag im Gesicht der Arglistigen, ehe er das Mädchen achtlos von sich stieß. „Diese Hure wird mich kennenlernen.“, murmelte Elren noch, wobei sich das Schmieden von Plänen gepaart mit weinschweren Hassgedanken zu einem unguten Vorhaben zusammenzubrauen gedachte.

 

Inmitten des prasselnden Regens konnten weder Elorie, noch Wylla wissen, welch Sturm sich auf der anderen Seite ihrer Welten zusammenzog. Elorie hatte Wyllas Mann nur wenige Male gesehen, doch dies hatte ausgereicht, um ihre Cousine Nacht für Nacht in ihre Gebete einzuschließen. Elren mochte nach außen hin den perfekten Ehemann abgeben, doch in unbeobachteten Momenten zeigte er durchaus sein wahres Gesicht. Und jenes war hässlich. Wylla verdiente Besseres, ein Grund mehr warum Elorie so felsenfest davon überzeugt war, dass auch die Blonde mit in die Nordlande kommen musste. Nur die Schönheit allein schien den Gedanken nicht zu befürworten, denn auch nach Fheans Ansprache haderte Wylla mit sich.

Die Baroness streckte ihre Hand in den Regen, ließ die Tropfen auf ihre Haut fallen, bis ihr Unterarm nass und kühl wurde. Aber auch dieses kleine Spiel half nicht. Schlaf wollte sich nicht einstellen. Doch ihr Gesprächspartner war nicht hier und sie würde den Mann nicht um seine verdiente Ruhe bringen. Das Lager schlief. Besser sie schloss sich dem endlich an.

Zwischen den weichen Fellen haftete ihr Blick an der Decke des Zeltes. Ihr Geist war viel zu wach, um jetzt einzuschlafen. Ganze fünf Minuten hielt sie es aus, dann trafen nackte Füße wieder auf den Boden und die Blonde verließ ihre Bettstatt, um zurück zum Zelteingang zu gehen. Die rechte Seite wurde zur Seite geschlagen und sie begnügte sich damit dem fallenden Regen zuzusehen und zu warten, bis das Prasseln sie wieder müde machte.

 

Elorie war genauso wach wie ihre Cousine und blieb nach neuer Umkehr der Gegebenheiten auf dem Hünen ruhen. Sich noch immer mit ihm verbunden zu wissen, genauer gesagt zu fühlen, war anregend, aufregend. Die junge Adelige lächelte auf den Hünen hinab und genoss die Streicheleinheiten, welche er ihr zugestand. Das vermeintliche Kompliment entlockte dem Mädchen sogar ein helles Auflachen, angenehm und erfreut, auch wenn Kassander nicht viel sah, so würde er spüren können, dass sie lächelte. Auch, als der Mann ihr seine Worte erklärt hatte. Ihm gehören. Ja. Das tat sie. Und Elorie wunderte sich jeden Moment aufs Neue, dass ihr dieser Gedanke keine Angst mehr bereitete. Weil Kassander ihr ein gutes Gefühl gab, es fühlte sich richtig an derart beschützt und begehrt zu werden. Er war eben immer hungrig.

"Kassander immer acras." Wiederholte sie seine Worte und lachte wieder angenehm auf, wagte es sogar den Untenliegenden in die muskulöse Brust zu kneifen und bettete danach ihre Wange auf eben diesen Punkt. Ihr Ohr lag genau so, dass sie den wilden, starken Herzschlag hören und spüren konnte. Die eine Hand hatte damit begonnen an seiner Seite entlang zu streicheln, während er langsam aber sicher doch aus dem Mädchen glitt. Ein seltsames Gefühl ihn gehen lassen zu müssen, doch noch immer wohnte ihrem Leib eine wohlige Genugtuung inne, das Gefühl von warmer Erschöpfung.

"Morgen ist Odinstag", fiel ihr mit einem Mal wieder ein und sie hob den Kopf an, auf dass die weichen Haare seine Haut kitzelten. "Morgen Kassander Thatunam Elorie." Probierte der voranische Rotfuchs und hauchte einen Kuss auf denselben Punkt wie zuvor. Eine kleine, charmante Wiedergutmachung, ehe sie ihre Finger an seiner Hüfte entlanggleiten ließ. Fast schon fürsorglich mutete es dann an, als Elorie sich seitlich von ihm gleiten ließ und nach einem Stück Fell griff um wenigstens seinen Bauch damit zu bedecken.

Eigentlich verwunderlich, wie einfach es den beiden fiel trotz gewichtiger Sprachbarrieren miteinander zu kommunizieren, doch waren es viel eher die Zärtlichkeiten, an denen sich Kassander interessiert zeigte, denn das gesprochene Wort. Nur zu gerne gab er sich diesen hin, wölbte sich ihnen entgegen und schloss die Augen, um die Vorzüge eines zur späten Stunde noch viel zu wachen Eheweibes vollkommen auszukosten.

„Morgen Gustav“, rüttelte der Mann nach geraumer Weile ihre Erinnerung wach, um sich während des Sprechens seitlich zu ihr hinzulegen. Das Suchen nach Nähe basierte offenkundig auf Gegenseitigkeit. Obendrein erweckte es den Eindruck, der Wildling sei mit seinem Besitz noch längst nicht fertig. Markant bettete sich seine Linke auf der einladenden Wölbung ihrer Hüfte, um das Mädchen in Körpermitte näher an sich zu pressen. „Morgen morgen Odinstag“, was wohl seine Art war, ihr zu verdeutlichen, dass der Tag ihrer Hochzeit erst übermorgen stattfand. Einerlei!

„Ach tha thu mar-thà, mo mhnaoi“ Aber du bist schon mein, Gemahlin, fügte der Hochgewachsene an, während sich seine Lippen zu einem spitzbübischen Lächeln verzogen; während raue Fingerspitzen unaufhaltsam über die lieblichen Globen ihres Hinterns wanderten und der Wille, ihren wohlgeformten Körper gleich wieder auf sich zu spüren, in die Tat umgesetzt wurde. Ein weiteres Mal in dieser Nacht wurde ihr filigraner Leib gelenkt. Und ein weiteres Mal in dieser Nacht sollte sich Elorie rittlings auf dem Gatten wiederfinden. Zu schade, dass ihre nackte Schönheit von der allumfassenden Dunkelheit verschluckt war. Lediglich hin und wieder konnte sich sein Blick an ihren Rundungen ergötzen, immer dann wenn Thor gunstvoll seine zuckenden Lichtblitze über den Himmel schickte.

„Agus tha boireannach math ag èisteachd ris an duine aice“ Und eine gute Ehefrau ist folgsam, sprach Kassander weiter, wohlwissend, dass ihre Ladyschaft keinen Bruchteil dessen verstand, was er ihr auf schelmische Weise zu sagen versuchte. Auch das fiel nicht ins Gewicht, untermauerte allerdings das Treiben seiner Hände, wie sich diese auf die ihren legten um sie zu führen.

„Elorie berühren Elorie“ Unter seiner Lenkung eine einfache Aufforderung, während er sich ihr in Körpermitte bedeutungsschwer entgegendrängte, um den Druck auf sein Glied wohlig zu intensivieren.

"Kalt." Betonte das Mädchen und tippte auf die kühl gewordene Haut seines Brustkorbs, nahm ohne Scheu seine Hand und führte diese an ihren Hals. "Warm." Eine weitere Sprachlektion ganz ohne Boron. Jener wäre jetzt auch eher hinder- als förderlich. "Ihr macht mich warm. Kassander berühren Elorie. Elorie warm." Versuchte sie ihm begreiflich zu machen, hoffend er verstand, dass sie seine Berührungen genoss und das bis jetzt ohne Ausnahme. Selbst die harten, wilden Stöße des Barbaren, auch wenn zwischen Lust noch Schmerz aufgekommen war, doch Lust hatte überwogen und Elorie sich merkwürdigerweise keineswegs schlecht gefühlt.

Der Eisprinz konnte deutlich spüren, dass die Nacht am Wasserfall und sein weiteres, rücksichtsvolles Vorgehen mit der jungen Frau jetzt schon Früchte trug. Sie entzog sich der Nähe nicht, schien sie durchaus zu genießen, zu suchen, ebenso wie Zärtlichkeiten und seinen Körper.

"Träumen. Was träumen Kassander? Kämpfen? Frau?" Elorie schien im Gegensatz zu ihrem Gemahl wacher denn je und gewillt mehr über den Mann an ihrer Seite in Erfahrung zu bringen. Gemütlich an ihn geschmiegt schien sie immer mehr aufzublühen. "Elorie träumt von Freiheit, von Liebe." Gestand das Mädchen, setzte einen neuen Kuss auf die Haut des Nackten und fuhr mit der Hand unter das Fell.

„Tha mi a 'bruadar air sneachda.“ Ich träume von Schnee. Dunkelstirnig drang der basslastiger Bariton ans Ohr seines Weibes, denn wenngleich es auf Anhieb nicht so angemutet hat, schien der Schlächter von Galgenfels durchaus verstanden zu haben. „Kassander träumen von Schnee“ Eigentümlich, aber wahr. „Von…“, kurzerhand dachte der Eisprinz über den richtigen Wortlaut nach, wurde er ihm vom hübschen Adelsspross vor wenigen Stunden offenbart. „…Heimat.“ Genau so hatte sie es genannt. Heimat!

Mitmal stemmte sich der gestählte Oberkörper des Barbaren in die Aufrechte, wobei ihre Ladyschaft von starken Armen umfangen wurde. Er setzte sich auf, brachte seine Lippen näher zu den ihren und küsste sie. „Sein Freiheit bei Du, Elorie. Nur gehören mir.“ Ob das Mädchen verstand, was er ihr damit zu verdeutlichen gedachte? Hatte sich somit nicht bereits einer ihrer zwei Träume bewahrheitet, während der andere womöglich näher war, als sich die beiden zu dieser Stunde eingestehen wollten?

"Ich gehöre Euch.", bestätigte die Rothaarige dem Schlächter sanft nach einem weiteren Kuss und bei einem neuen Blitzschlag sah Kassander das weiche Lächeln auf geschwungenen Lippen. Zerzaustes Haar, schimmernde Haut, eben genau jenes Abbild einer soeben verführten Jungfer und auch die Brüste hoben und senkten sich immer noch einladend schnell. Die Hand war mutig genug seine Wange zu erreichen, bettete diese in die weiche Kuhle ein. "Danke. Für Eure Freundlichkeit mir gegenüber. Tapadh leat." Flüsterte Elorie gen Ende hin und beugte sich vor, küsste ihn nun von selbst und fühlte wie sich ihr Busen dabei fest gegen die muskulöse Brust ihres Gemahls presste. Wer hätte je gedacht, wie angenehm solche Nähe sein konnte. "Und Ihr gehört auch mir", entwich es mutig gewordenen Lippen darüber hinaus, die Hand verließ seine Wange und bettete sich an die Stelle seines pochenden Herzens. "Und jetzt müssen wir schlafen." Behauptete das Mädchen. "Kassander nicht mehr acras. Kassander satt. Elorie satt." Stellte sie klar und würde gemeinsam mit ihm wieder seitlich in die Felle fallen, noch ein kleines Lachen von ihren Lippen schickend ehe sie sich wieder an ihn schmiegte, den Kopf auf sein Schlüsselbein gebettet, um endlich einzuschlafen. Beschützt von dem Heiden der ihr vielleicht doch von Gott selbst gesandt worden war.

 

Einklängige Zweisamkeit, durchsetzt von Nähe und manchmal ein wenig zu forschen Liebkosungen folgten, während westlich Elren mit dem Sturmwind um die Wette ritt und sich in östlicher Richtung eine hinterlistig anmutende Weiberseele in die Hand eines Nordmanns wünschte. Lady Ediths nahm gerade ein Bad, als heimlich, still und leise ein weißer Rabe vor dem Fester neben dem dampfenden Zuber landete. Ein erhabenes doch gleichsam ungewöhnliches Tier. Ein Bote, zweifelsfrei, der den eintönigen Wind von Lady Ediths Schicksal in unerwartete Richtungen schickte. An seinem rechten Bein, so konnte man bei genauerem Hinsehen in Erfahrung bringen, war eine Botschaft befestigt – nur wenige Worte, mit schwarzer Tinte niedergeschrieben, die den Empfänger nicht verfehlen sollten:

 

Der nächste, der Eure betörende Spalte pflügt, werde ich sein! Womöglich schon morgen. Der Eisprinz aus dem unvergänglichen Reich kündigt sich an. Zu schade, dass die Aufmerksamkeit Eures Mannes dann gewiss nicht auf Euren liebreizenden Kurven liegt.

 

Boron

 

Eindeutig zweideutig, nicht nur zwischen den Zeilen, sondern von offenkundiger Frivolität durchtränkt. Boron gedachte das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden! Bereits morgen würde manch bisher unausgesprochene Wahrheit vielleicht für mehr Klarheit sorgen. Und selbst wenn Lady Edith nichts zur Wahrheitsfindung würde beitragen können, so wäre der Diplomat wenigstens gewillt sein erzürntes Gemüt an ihr zu besänftigen – vorausgesetzt die zwiespältige Schöne öffnete ihm Tür und Tor.

 

Zurück im Heerlager hatte auch Wylla nach einiger Zeit Schlaf finden können, der Morgen begann allerdings nicht wie man wollte. In der Ferne kündigte sich ein Reiter an. Einer, den die meisten Männer bereits gesehen hatten: Simon. Offenbar glaubte Gustav, dass sein Sohn jegliche Privilegien unter den Barbaren besaß, was soviel hieß wie er glaubte sein Sohn wäre der Letzte, den diese Tiere umbrächen. Er schien jedoch keineswegs guter Laune zu sein.

Dennoch besaß alles seine Richtigkeit, denn Simon wurde bereits erwartet. Nicht von Kassander, sondern von seinem Bruder im Geiste. Edith mochte scharfsinnig sein, doch keinesfalls weitsichtig. Hätte sie Boron nicht mehr Weitsicht zugetraut, würde dieser es lediglich auf ein sinnliches Schäferstündchen abgesehen haben? Und würde sie dem narbengesichtigen Barbaren nicht weitaus mehr Intellekt zusprechen wollen, sollte das, was der Brief an Frivolität zum Besten gegeben haben, tatsächlich nur für ihre Augen bestimmt gewesen sein?

"Mein Vater hat gehört, dass Ihr uns mit einem weiteren Besuch beehren wollt. Er schlägt die Mittagszeit vor und lässt die Halle für Euch herrichten, um Speis und Trank zu sich zu nehmen." Auf seinem Pferd sitzen bleibend betrachtete Simon seine Cousine mit Argwohn, welche Person jedoch deutlich mehr Aufsehen erregte, war Wylla. Er schien überrascht seine Schwester im Lager des Feindes zu erblicken, maß sie jedoch nur mit Blicken und sparte an Worten. Die letzte Person, welche deutlich unterkühlter angesehen wurde, war Boron. Edith musste den erhaltenen Brief gezeigt oder ihn schlecht versteckt haben, in jedem Fall war der Zorn des Mannes gewiss. Eine solche Unverfrorenheit gegenüber seiner Frau musste gesühnt werden. Gustav lud den Schlächter also nicht nur deswegen an seine Tafel ein, es schien hier auch um verletzten Stolz und um Ehre zu gehen.

Der Heerführer registrierte das Nahen Simons und wenngleich er dessen Einladung verbal nicht verstehen konnte, war es ihm trotz allumfassendem Unwissen durchaus möglich die nötigen Schlüsse zu ziehen. In ein stoisches, malträtiertes Gesicht blickte der Sohn Gustavs. Hatte er auf den Zügen Borons sogar so etwas wie ein hämisches Grinsen entdecken können? Und sollte ihn das nicht stutzig machen? Das Gute an eifersüchtigen Männern war wohl, dass die Gedanken über den verletzten Stolz oftmals nicht würden hinwegsehen können. Die Einladung konnte eine Falle sein und vermutlich war sie das sogar, doch zu welchem Preis?

"Wenn die Sonne am Höchsten steht", ersetzte den Abschiedsgruß und Simon stob davon. Wylla sah ihrem Bruder nach. Sie trug heute grüne Farbe, das Haar mit einem Band aus der Stirn und wandte sich gleich nach dieser Begegnung zu Kassander, Elorie und auch zu Boron. Letzterer wurde kurz angesehen um zu erkennen, ob er ihr noch immer zürnte.

"Vielleicht ist es eine Falle", gab die Blonde zu bedenken und sah hinab in Elories makelloses Gesicht. "Du siehst aus, als hättest zu gut geschlafen." Bemerkte Wylla und lächelte warmherzig und vielleicht etwas zweideutig. Es freute sie für die Rothaarige. "Würdest du mir bis dahin alles zeigen?" Erkundigte Wylla sich bei Elorie und wartete ab wie man entschied.

Elorie nickte sofort und erhob sich, aber ihr Blick fand tatsächlich noch den Weg zu Kassander. Sein Mienenspiel wurde mit einem Lächeln hinweggefegt. Er brauchte sich nicht zu sorgen, sie würde im Lager bleiben. Die Spuren der Geschehnisse vergangenen Abends hafteten noch an der jungen Frau, auch wenn diese sich bemühte nichts davon deutlich zu zeigen. Das Mädchen hatte sich heute für ein helles, pfirsichfarbenes Kleid entschieden und stach damit gewiss unter allen Anwesenden hervor, ohne es darauf angelegt zu haben. Eins war jedoch gewiss: Der Barbar verlieh ihr mehr Mut. Ohne Umschweife suchte Elorie die Nähe von Aslaug und bat die Nordfrau mit Händen und Füßen darum mitzukommen, als weibergeschwängerten Streifzug durch das Lager. Von den Männern gewiss amüsiert belächelt schlossen sich nach und nach mehr Frauen an, die meisten, um zu sehen, was es da zu sehen gab. Es gab für einen möglichen, neuen Angriff also fürs Erste keine Gefahr, wollte man sich nicht mit tollwütigen Weibern anlegen.

 

„Bha sin gòrach“ Das war seltsam, raunte der hochgewachsene Anführer dieses Heers zeitgleich am Feuer bei den Weibern sitzend, ehe er sich das letzte Stück seiner Brotration zwischen die Lippen schob. Noch fehlte es ihm am nötigen Kontext und der vagen Ahnung, dass Simon bei Weitem nicht der einzige unliebsame Besucher an diesem frühen Morgen sein sollte. Nein, denn der Zweite war nicht weit entfernt. Bereits seit Stunden umschlich er dem Wolf höchst selbst gleich das Lager am Waldrand, tunlichst darauf bedacht sein schönes Weib unter den gottlosen Wilden ausmachen zu können; tunlichst darauf bedacht dabei nicht in die Hände der Späher zu geraden.

„Urras dhomhsa, bràthair, nach e sin!“ Du vertraust mir doch, Bruder, nicht wahr?, entgegnete Boron, ohne den geringsten Selbstzweifel an den Tag zu legen. Kassander schwieg. Sein Augenmerk ruhte einen langen Moment auf den beiden Grünländerinnen, denen eine offene Konfrontation mit dem Hause ihres Blutes alles andere als schmecken dürfte.

„Dè tha thu an dùil a dhèanamh?“ Was hast Du vor?, verlangte er dann von seinem Schwertbruder zu erfahren, der ihm seine Tat – den Brief an Edith – offen darbrachte. Groll hörte man aus der Stimmklangfarbe des Schlächters keinen, jedoch Argwohn. Er vertraute Boron, womöglich inniger denn sonst irgendwem im Lager, doch selbst der weitsichtigste Mann war vom Begehen etwaiger Fehler nicht gefeit.

„Bidh sinn a 'cluich le dolls, tha sin uile“ Wir spielen mit Puppen, das ist alles. Boron schmunzelte amüsiert, erntete von seinem Sitznachbar jedoch lediglich ein unwirsches Schnauben, während boshafte Blicke den beiden Adelsdamen aus dem grünen Land folgten. Wie sehr Erlen doch darauf hoffte seine Frau am Schopf packen zu können, dies weit fern jener, die ihr offenkundig Schutz versprachen.

 

Als Erstes zeigte Elorie Wylla die provisorischen Ställe, wo auch Falla wieder ihren gewohnten Apfel bekam. Karras, der Fuchs der Baroness musste mit Streicheleinheiten vorlieb nehmen, ehe die Schar weiter in Richtung Kämpferinnen zog. Elorie blühte deutlich auf, zeigte schon bald munter hierhin und dorthin, bemühte sich sogar von Aslaug die richtigen Begriffe zu bekommen. Wieder war zu sehen, dass das Mädchen sich wohlfühlte und sich auch nicht wie ein Stück erworbenes Fleisch sah. Möglicherweise hatte sie auch jetzt schon Gefallen daran gefunden die Männer und Frauen dieses Lagers als ihre neue Gesellschaft anzuerkennen. Wylla mochte über das Verhalten der Nordfrauen jedoch weniger überrascht sein als angenommen, immerhin kam sie öfter in Berührung mit Nicht-Adeligen und kannte also auch die andere Seite des Geldes.

Elren wollte vor Zorn platzen, als er das Lachen seiner Frau sah und hörte, wie sie sich offen amüsierte. In einem Lager voller Heiden, bei einem Mädchen, das die Sklavin ihres Anführers war. Dass das Knacken seiner Fäuste den Mann nicht verriet glich einem Wunder. Aber er würde abwarten, bis der richtige Zeitpunkt kam. Elren hatte zwar keine Geduld, aber er war auch kein Narr einfach in die noch heile Welt hineinzuplatzen. Allmählich wurde es Mittag und der Frauentrupp schien sich nicht auflösen zu wollen. Man würde sie schon dazu zwingen müssen und ebendies geschah, als sich Aufbruchsstimmung von anderer Seite zeigte. Wylla war diejenige, welche ihre Cousine daran erinnerte.

"Vater wartet nicht gern", betonte die Blonde und begleitete Elorie zurück zu Schlächter und Diplomat. Das Mädchen glaubte daran mitzureiten und hielt Fallas Zügel bereits in der Hand, bereit aufzubrechen. Wylla hingegen hielt sich im Hintergrund und beobachtete das Treiben. Elorie würde glücklich werden. Aber sie selbst? Fhean hatte die Blonde mit vielen Gedanken zurückgelassen, doch noch wusste Wylla nicht, was sie davon halten sollte.

"Ich komme mit." Elorie sah zu ihrem Gemahl auf und schien daran zu glauben, dass er ihr diesen Wunsch erfüllte. Ob es jedoch klug war das Mädchen mitzunehmen stand auf einem anderen Blatt Papier. Wylla wäre wohl die bessere Wahl, vielleicht auch, um ein passendes Druckmittel gegen den eigenen Vater zu haben. Ob Boron dieser Gedanke nicht kam? Ein Messer gegen den schlanken Hals zu drücken war doch am gestrigen Abend ein großer Wunsch des Mannes gewesen.

 

Hoch auf Fjölnir konnte man dem gestählten Heidenführer einmal mehr kaum vom Antlitz ablesen. Wohl hatte er seinem Weib versprochen sie mitzunehmen, überdachte dieses Vorhaben nach Borons Ränkespielen aber tatsächlich. Unsicherheit machte sich in ihm breit, schaffte es aber nicht das Licht des Tages zu erblicken. Eine lange Weile ruhte sein Blick aus aschgrauen Iriden auf dem lieblichen Gesicht seiner Frau, ehe er verneinend den Kopf schüttelte. Sein Wille würde ihr nicht schmecken, jedoch ehernes Gesetz sein. Ohnehin gab es für das Mädchen wichtigeres, denn ihre Wahrheit lag womöglich näher als gedacht. Die Aufmerksamkeit des Schlächters glitt ob diesem Gedanken unbeirrt zu Wylla.

„Nach eil fìrinnean ann a tha thu airson bruidhinn mun anam?“, fragte er die liebliche Weizenblonde und erntete damit das Interesse seines Bruders im Geiste, der mit den gestrigen Geschehnissen keinesfalls abgeschlossen hatte. Noch immer misstraute er dem Weibsbild, wenngleich sein Gemüt mittlerweile ein wenig gutmütiger gestimmt war.

„Kassander meint, dass Du Deiner Cousine etwas zu erzählen hättest.“ Nur was? Sein gestriges Fehlen sollte Tribut zollen und die Neugier wog schwer auf seiner Seele, doch würde man ihn – so es dem Wille seines Herrn entsprach – schon darüber in Kenntnis setzten.

Kassander beugte sich indes seiner Gattin entgegen, um ihr in einer fürsorglichen Geste über die Wange zu streicheln. „Elorie gehören Kassander.“ Was im Augenblick wohl durchweg aus dem Kontext gerissen klang, besaß schon Sinn und Zweck. So Wylla verstand, würde ihre Ladyschaft schon bald mit einer Wahrheit konfrontiert, die ihre brüchige Welt noch inniger ins Wanken bringen könnte. „Kassander gehören Elorie.“ Was der rohe Wildling sprach hatte Bestand. Die Nacht hatte an seinem Vorhaben, das Leben mit seinem neuen Weib zu teilen, nichts geändert. Es war, wie es war! Die Götter hatten ihrer beiden Wege geebnet und niemand sollte dem Ruf der Höchsten im Wege stehen. Elorie war mehr, als es ihr Mann zu hoffen gewagt hat. Jetzt schon! Sie berührte sein kaltes Herz mit einer Intensität, die es ihm erlaubte fortan zu alter Größe zurückzufinden.

Im Blick seiner Frau fand der Schlächter durchaus jene Enttäuschung die er vermutet hatte, aber Elorie begann keineswegs zu betteln. Sie ließ bloß die Hand, welche Fallas Zügel hielt, ein Stück weiter sinken. Kassander blieb dennoch ein schlauer Fuchs, denn das Gesagte lenkte die Gedanken von ihm zu Wylla. Jene erwiderte erst die Blicke Borons, da dieser zu ihr zu sprechen begann. Und er hatte Recht. Elorie sollte wissen, was sie selbst wusste, auch wenn alles zu wage schien, um richtige Schlüsse daraus ziehen zu können.

Den Männern wurde eine ganze Weile nachgesehen. Erst dann, als ihre Schatten vom Wald verschluckt waren, löste sich die kleine Menge auf und kehrte zurück zu ihren Aufgaben. Nicht aber Elorie, diese schenkte ihrer Cousine einen fragenden Blick, während Wylla sie zu den Stallungen begleitete um Falla wieder dort unterzustellen. Hier konnte man auch ungestört reden. Im ganzen Lager, waren doch Fhean und Boron vermeintlich die einzigen beiden, welche ihre Sprache verstanden und der Seher war nirgends zu entdecken.

 

Unterdessen lenkte Kassander sein Pferd an der Seite des Schwertbruders gen Anwesen der Habings, doch ritt man – was selbst dem aufmerksamen Beobachter entgehen sollte – keinesfalls alleine. Boron hatte vorgesorgt, für alle Eventualitäten und in der Gunst des Heerführers stehend. Man ritt, der Wahrheit entgegen und hoffend ebensolche ein für alle Mal offenzulegen. Simon, nicht gar dessen Schwester, sollte der Schlüssel zu allem darstellen.

Die Sonne stand hoch am wolkenlosen Firmament, als man die ersten Ausläufe des Habing-Anwesens erreicht hatte. Offenkundig stand es ruhig um die Gemüter der beiden Barbaren, obschon ihre Sinne wachsam waren. Verletzter Männerstolz durfte keinesfalls unterschätzt werden. Nur dann war man dazu befähigt ihn zu eigenen Gunsten vollkommen auszunutzen.

Man ließ die Pferde am Flusslauf, um die letzten zweihundert Steinwürfe auf Schusters Rappen hinter sich zu bringen. Die beiden Männer sprachen miteinander, als sie den steinernen Torbogen zum Innenhof passierten – dort, wo der Feldherr seinem heutigen Weib zum ersten Mal begegnet war. Wahrheit für Wahrheit, mit weniger wollte sich dieser nicht zufriedengeben. Der Tag musste aufschlussreicher denn die letzten sein! Die Hoffnung aber, dass sich Boron nicht grundlegend verschätzt hat, wog schwer auf den Sinnen des Schlächters – nur die Zeit würde es zeigen können.

 

Sobald die Nordmänner in Reichweite des Anwesens gesichtet wurden, kamen letzte Anweisungen von Gustav selbst an seine Männer. Man hatte mit einem weiteren Besuch nicht gerechnet und der Verdacht lag nahe, dass Elorie sich nicht als die gute Ehefrau gezeigt hatte, die sie hätte werden sollen. Was wenn Kassander der Schlächter dafür Rache nehmen wollte? War es dem Mann also zu verdenken, dass zahlreiche Wachmänner mehr den Weg zum Anwesen säumten? Simons Kind hatte man vorsorglich an einen anderen Ort gebracht, Lady Edith und Gustavs Frau mussten jedoch bleiben, um den Schein zu wahren und keinen Verdacht zu erregen. Heute trug der Fleischige sogar ein Schwert an der Seite, hatte teure Stoffe am Leib und sah den Nahenden mit gemischten Gefühlen entgegen. Seine Frau hielt sich wie immer im Hintergrund, auch was ihre Kleidung anbelangte, während Edith, ganz zum Verdruss ihres Mannes, eine Augenweide blieb.

Ein tiefdunkles Blau zierte ihren Körper. Teure Seide aus anderen Ländern, obenrum eng anliegend um das Augenmerk auf den betonten Busen zu lenken. Wo sich die perfekt anmutende Wölbung in der Mitte traf ruhte das filigrane Gold eines Medaillons auf ihrer Haut. Ebensolches Gold trug sie an Ohren und Armen. Herausgeputzt wirkte die Schöne betörend, um von manchen Dingen ablenken zu können. Das Haar war hochgesteckt, ließ den Nacken frei, wenngleich ein paar kleine Locken sich neckend in diesen verirrt hatten. Ihr Blick ruhte sorgsam auf nur einem von beiden Männern und dieser war, zu seinem Leidwesen, nicht Boron.

Gustav trat hervor, deutete ein Kopfnicken in Richtung des Schlächters an. "Seid mir gegrüßt Prinz Kassander Odinson. Ich hörte, dass Ihr mich besuchen wollt und habe die große Halle herrichten lassen. Ich hoffe Ihr seid hungrig, meine Köchin hat die fetteste Sau schlachten lassen." Er lachte leicht, versuchte der unangenehmen Situation eine andere Wendung zu geben und trat beiseite, eine einladende Geste in Richtung der Halle vollführend. Sollten die Männer hineingehen, so folgte man ihnen.

In der Halle war alles wie beim letzten Mal, der Tisch jedoch etwas üppiger gedeckt und die Weinbecher bereits gefüllt, Krüge standen dieses Mal direkt daneben. Simon kehrte erst einen Moment später zu ihnen allen ein, warf Boron immernoch einen deutlich scharfen Blick zu und setzte sich dann direkt neben sein Weib, um ihm auch gleich die Hand auf den Unterarm zu legen. Diese Reaktion sorgte bei der Reizvollen jedoch nur für ein amüsiertes Zucken der Mundwinkel. Ihr Gegenüber war trotz Allem der Diplomat und die Tafel nicht breit genug, um Gier und Verlangen voneinander fernhalten zu können. Edith schenkte dem Mann nun endlich einen Blick der vielversprechend wirkte, tiefgründig, betrachtend, lauernd.

"Nun, werter Gast, weswegen seid Ihr hier?" Erkundigte Gustav sich dann auch sofort, hatte die Dienstmägde jedoch zuvor angewiesen Speisen hineinzutragen um die Gäste zufriedenzustimmen. Ob die kleinen Schweißperlen auf seiner Stirn vom Gang in die große Halle herrührten? Oder wusste er, dass ein gewisser Schattenläufer nicht wiedergekehrt war? Sofern Gustav den Mann überhaupt geschickt hatte!

 

Die Speisen blieben unberührt, gleich wie der Wein, während dem jovialen Blick Borons, der unablässig an Edith klebte, durchaus abzulesen war, mit welchen Vorstellungen er sich gestern Abend wohl selbst um den Zorn gebracht hatte. Freilich, der Diplomat gedachte aus seinen begehrenden Empfinden gegenüber einer verheirateten Frau kein Geheimnis zu machen. Die Provokation blieb unkommentiert, doch bedurfte es freilich keiner Worte, um Simon begreiflich zu machen, dass er kurz und knapp davor war sein Weib an einen Nordmann zu verlieren – auch wenn nur für ein paar lose, unbedeutende Stunden der Leidenschaft.

Kassander indes verhielt sich, wie man es von ihm in aller Öffentlichkeit gewohnt war, schweigend. Still, zweifellos, doch auf eine Weise, die einem das Fürchten lehren konnte. Müßig hatte er sich auf seinem Stuhl aus massivem Edelholz zurückgelehnt, das Augenmerk auf Gustav gerichtet, um jede noch so kleine Regung des Fleischlings in sich aufzunehmen, wie ein trockener Schwamm das Wasser.

„Wie ich sehe, Weib, bist Du Deiner Bestimmung artig nachgekommen“, verklang die Stimme des Diplomaten an Edith gerichtet, während dieser sich unangenehm frivol visuell an ihr ergötzte. „Ich frage mich, wo Deine Hände waren, bevor sie nach dem Raben des Sehers griffen.“ Der Affront sollte seiner gezielten Bestimmung nachgehen, während die eisblauen Iriden von der Schönheit weg zu deren Mann hüpften und schließlich über Umwege zum Herrn dieses Heims wanderten.

„Lady Elorie Habing von Voranien, die zukünftige Königin des unvergänglichen Reiches, wirft Fragen auf, Gutav.“, begann der narbenversehrte Rohling dann unverzüglich damit die Karten des Schicksals neu zu mischen. „Beispielsweise jene, wie euer aller König so rasch über die Kunde einer neu geschlossenen Ehe hat verfügen können, was Lord Balder wiederum den Kopf gekostet und das grüne Land um eine gutbetuchte Witwe reicher gemacht hat.“

Die Fronten verschoben sich, spürbar und merklich, war der Herr dieses Hauses vermutlich davon ausgegangen seinen Kuhhandel mit ungebildeten Blutrünstigen abgehandelt zu haben. Hatte dieser tatsächlich mit keinen weiteren Besuchen seitens der Nordmannen gerechnet oder bei seinem falschen Jehova einfach darum gebettelt, dass die Wahrheit erst dann zutage trat, wenn es bereits zu spät war?

„Oder aber, weshalb jener Schattenläufer, der uns gestern einen Besuch abstattete und seinen Weg zu Gott im Übrigen niemals finden wird, es auf eine augenscheinlich doch reichlich unbedeutende Adlige abgesehen haben könnte.“ Eine effektvolle Pause folgte, die dem gesprochenen Wort den nötigen Nachdruck verlieh. „Wie Du siehst hinterlässt der Bund zwischen Elorie und Eisprinz Kassander eine blutige Schneise auf Deinen Ländereien, Fleischling. Du solltest Dir allerdings über eines im Klaren sein: Mein Herr wird des Tötens so schnell nicht müde werden, selbst dann nicht, wenn er für das Wohl der zukünftigen Mutter seiner Sprösslinge über Leichenberge klettern muss.“

Hatte man damit nicht rechnen können? Nein, hätte man damit nicht sogar rechnen müssen?! „Wir sind keine schlechten Menschen“, sprach Boron weiter, wobei das amüsierte Grinsen auf seiner Narbenfratze die Worte Lügen strafen wollte. „Daher wollen wir willens sein Dir Wege zu ebnen. Lass jene Gelegenheit, die volle Wahrheit über Elorie vor Kassander auszubreiten, nicht verstreichen. Zugunsten Deines Sohnes, der, so Du Dich für weitere Lügen entscheidest, keinesfalls Gefallen daran finden wird, muss er zeitnah dabei zusehen wie ich seinem Weib den Schwanz in die unbefriedigte Fotze zwänge … bevor ich die kleine Schönheit nach befriedigter Gier zur Hure der Nordkrieger erkläre.“

Es begann einen Sinn zu ergeben, insbesondere für Edith, die bedeutungsschwer darauf hingewiesen wurde nicht mehr und nicht weniger als Mittel zum Zweck gewesen zu sein. Konnte sie es ihm verübeln? Zu schade nur, dass das Schäferstündchen dadurch vermutlich weit, weit in die Ferne gerückt war.

„Möglicherweise auch zu Gunsten Deiner Tochter, die aus freien Stücken zu uns kam und die nicht minder anregendes Fickfleisch für hungrige Männer darstellen könnte.“ Derb und unverfroren, doch müsste sich Gustav zähneknirschend weitsichtig zeigen. Er konnte sich einen Disput mit den Barbaren einfach nicht leisten, wo ihm seine Späher vor wenigen Stunden von weiteren Nordheeren berichterstatteten, die von West- und Südwärts gen Kassanders Lager marschierten, um des Königsohns Reihen zu stärken.

Jetzt war es also soweit. Der Moment war hier, um dem Schlächter zu sagen, was dieser Bund bezwecken sollte. Gustav hatte nicht damit gerechnet, die Nordmänner derart schnell wiederzusehen. Dass seine eigene Tochter dafür ausschlaggebende Informationen gegeben hatte, wusste der Mann zu dieser Stunde ja noch nicht. Erstaunlicherweise änderte der Fleischige sein Verhalten über Borons Rede hinweg und schien sicherer zu werden. Als gefiele es ihm, mehr zu wissen als die beiden Gäste unter seinem Dach. Nur der Tonfall schmeckte Gustav ganz und gar nicht, wie er schließlich mit auf den Tisch donnernder Faust zur Geltung brachte. Der Mann erhob sich.

"Schluss damit", bekamen Kassander und Boron aus seinem Mund zu hören. "Drohungen und Beleidigungen dulde ich unter meinem Dach nicht." In seiner Stimme schwang durchaus Kraft mit. Hatte der Mann den Norden über die gesamte Zeit hinweg getäuscht? Mit einem Mal wirkte er überlegen, der Stand fest und nicht bereit sich einschüchtern zu lassen. "Ich muss gestehen, ich bin überrascht Euch so schnell wiederzusehen. Aber das ist meine eigene Schuld, denn ich habe offenbar vergessen wie impulsiv euer nordisches Blut sein kann. Für Lord Balder kam mir jenes nur recht. Und es ist herrlich zu wissen, dass dieser Dummkopf wirklich geglaubt hat die Schrift des Königs zu lesen." War dies schon die Antwort auf die Frage? Der Schattenläufer musste also von ihm stammen. Elorie hatte ihm sein Ziel gebracht und die Stellung des Lordsiegelbewahrers war in greifbare Nähe gerückt. Doch wozu das Mädchen töten lassen, sofern das überhaupt der Grund der Entführung gewesen war? Das Puzzle wollte nicht zusammenpassen. Und gleichwohl verriet Gustav, dass er mit dem Schattenläufer wirklich nichts zu tun hatte, denn bei der Erwähnung hatte sein Gesicht überraschte Züge gezeigt.

"Was den Attentäter angeht, bin ich so ratlos wie Ihr. Ein Grund mehr mir zu danken, dass ich Euch das Mädchen in die Hände gegeben habe. Sie scheint wertvoll, nicht wahr?" Natürlich wusste der Mann Bescheid. Elories Herkunft war der Grund für eine Reihe geschmiedeter Pläne, von denen viele mitsamt Pergament von Flammen verzehrt worden waren und nur wenige etwas taugten.

"Hinaus", kommandierte er sämtliche Dienstmädchen und sogar seine Wachen. Nach einer Weile gab es nur noch ihn, Boron, Kassander, Simon und Edith. Gustavs Frau hatte sich unpässlich entschuldigen lassen. Man wartete, bis alle Türen geschlossen wurden, dann setzte auch Gustav sich wieder, ließ sich allerdings Zeit mit der Erklärung. Simon und seine Frau hatten während der ganzen Unterhaltung kein Wort verloren. Die Schwarze überbrückte die Stille jedoch mit Blicken, die einzig und allein Boron galten. Das Blau ihrer Augen war intensiv, mochte den Heiden durchbohren ohne feindselig zu wirken. Irgendetwas schien sie immernoch zu reizen.

"In diesen Landen haben wir einen Vogel namens Kuckuck. Ein jeder trägt seine Eier, sobald diese noch klein sind, in fremde Nester und lässte sie von anderen Vögeln unbemerkt ausbrüten. Sobald sie flügge sind, glauben diese eine Amsel, ein Spatz, ein Specht zu sein und dabei sind sie doch ein Kuckuck. In unserem Land hat vor vielen Jahren ein Krieg getobt. Wir gegen diejenigen, die an den südlichen Grenzen liegen. Frisland ist ein wertvolles Land, ein großes Königreich, doch es geschah was kommen musste. Unsere Truppen, unsere Männer sind in das Land eingefallen und haben getan was getan werden musste. Für Simon war es sein erster Krieg und wir befanden uns in der Nähe eines feindlichen Klosters. Das Grauen, welches sich uns bot, war für meinen Sohn kaum zu ertragen, doch dann hörten wir es: Süßes Gewimmer, das Schreien eines Babys. Als ich die Mutter sah, dort in ihrem eigenen Blut liegend, mit wallend rotem Haar und dem Siegelring am Finger, wusste ich sofort wer sie war. Ich zog den Ring von ihrem Finger und erlöste die Frau von ihrem Leid. Das Baby nahm ich an mich und trug es fort. Wochen später erst erfuhr ich von der Tragweite meines Handels. Ich hatte die wertvollste Geisel genommen, die man sich vorstellen konnte. Der Krieg wandelte sich zu einem Stillstand, einer Übereinkunft, einem Tausch um Frieden zu halten." Gustav war also ein edler Retter, ein Held, ein..."doch ich bin betrogen worden. Anstatt dass man mir den Respekt und die Anerkennung zollt, die ich verdiene, wurde dem König selbst alles zugesprochen." Allmählich begann sich das Tuch um Elories Dasein zu lüften, tatsächlich war das Mädchen wertvoll. Sogar wertvoll genug, dass ihr Überleben Menschenleben sicherte. Und was Gustav damit bezweckte war eindeutig.

"Rache. Ich will Rache. Ich will die Achtung und den Respekt den ich verdiene. Er soll auf meinen Sohn übergehen. Wenn Ihr Elorie in den Norden mitnehmt, wenn eure Söhne über den Norden und über Voranien herrschen, dann will ich Frisland. Als Dank für meine Tat und damit meine Familie die Anerkennung bekommt, welche ihr zusteht." Ob er auch für das Wegsperren ihrer vermeintlichen Eltern verantwortlich war? Für das Ableben der Heiratskandidaten? Die Gründe sprachen für sich und auch für Gustav. Zu was ein rachsüchtiger Geist fähig war, wussten nur wenige. Ob Kassander und Boron begriffen, in was sie hier durch eine kleine, unscheinbare Heirat hineingeraten waren? Der Norden musste warten, denn jetzt hatten sie ein Königreich gegen sich stehen. Die Kunde von Elories Vermählung hatte Wellen geschlagen und wurde in Frisland mit Unmut aufgenommen. Niemand wollte die rechtmässige Königin des Landes in den Händen von Heiden und Barbaren sehen. Wer Ihnen nun helfen konnte, war also Gustav und dessen Brut. Aber wie konnte Wylla nichts von alledem gewusst haben? Oder wusste die Blonde doch mehr, als sie hatte sagen können? Der Verdacht lag nahe.

 

Kassanders Mienenspiel verfinsterte sich mit jedem Satz, der ihm von Boron übersetzt wurde, ein kleines bisschen mehr. Allmählich begann er zu verstehen, was die Götter ihm in die Hände gespielt hatten. Keine liebliche Bettlerin, die unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit bereits im Säuglingsalter zur Adligen emporgestiegen war. Königsblut! Elorie war seiner inniger würdig, als es sich der Schlächter von Galgenfels jemals zu träumen gewagt hätte. Das machte die Angelegenheit nicht nur einfacher, nein, es machte sie auch um einiges komplizierter. Das Unvergängliche Reich war durch den unbewussten Bund mit einer rechtmäßigen Thronerbin auf einen Schlag um ein vielfaches gewachsen, doch galt es nun gleich zweierlei Parteien zum Schweigen zu bringen, um das eigene Eheweib und jene Kinder, die ihr über kurz oder lang durch seine Manneskraft unter dem Herzen wuchsen, zu ihrem Recht kommen zu lassen.

Es brauchte seitens des Sohnes Rolands einen Moment der Stille, um die Tragweite dessen erfassen zu können, was ihm hier und heute vom Schicksal höchst selbst gegen die Stirn gedonnert wurde. Und anstatt sich darüber zu freuen, wo er dem grünen Land an fähigen Soldaten bedeutend überlegen war, begann es in seiner Magengrube gefährlich zu brodeln. Gustav hatte seine Schachfiguren lediglich vermeintlich günstig aufgestellt. Glaubte er denn wirklich, eines Tages Herr von Frisland zu sein? Ging er tatsächlich davon aus, sein Sohn würde jemals die Gunst eines falschen Jehovas erfahren? Hinzu kam, dass er den Mann seiner Nichte schamlos ausnutzte, um wenigstens bezüglich Balders Stellung zu seinem Recht zu kommen. Auch das besaß einen gefährlich bitteren Beigeschmack, zumal sich Kassander in Bezug auf diese Familie wahrhaftig willens gezeigt hatte, ein guter Handelspartner zu sein.

Wahrlich, das Schicksalsgeflecht rund um den roten Fuchs Voraniens verschob seine Fronten. Dem Eisprinz wurde klar, dass es nur wenig Sinn ergab sie weiter im Heerlager zu beherbergen, wo es allem Anschein nach zu unübersichtlich war, um jedwede Gefahr, die ihr von den Göttern angedacht, abwehren zu können. Also wann, wenn nicht just in diesem Moment, galt es zur Wahrung seines eigenen Hauses umzudenken?

Lautstark sog der Heidenprinz die Luft durch die Nase ein, um die Lungen zu fluten, ehe er sich bedrohlich dunkelgestimmt vorbeugte, um die Arme angewinkelt auf der Tischplatte abzustützen.

„Dè a chì thu nuair a sheallas tu mi san t-sùil?“ Was siehst Du, wenn Du mir in die Augen schaust? Ausnahmsweise übte sich nicht Boron, sondern dessen Bruder im Geiste in Rhetorik. „Cuideigin nach urrainn a thuigsinn an fhìrinn?“ Jemand, der die Wahrheit nicht verstehen kann? Pause, die von einer Stimmgewalt durchbrochen wurde, welche keinesfalls unterschätzt werden sollte. Kassander schrie nicht oft, denn das ließ sein besonnenes Gemüt nicht zu. In dieser Stunde tat er es aber mit einer Intensität, die dazu in der Lage war die Wände vibrieren zu lassen. „Is mise mac rìgh agus aon latha thèid mi suas don rìgh-chathair.“ Ich bin der Sohn eines Königs und eines Tages werde ich auf den Thron steigen. Seine zur Faust geballte Hand donnerte auf das raugemaserte Holz der Speisetafel und ließ das Gedeck lautstark erbeben. „A bheil thu a ’smaoineachadh gu bheil cùram agam de na tha thu ag iarraidh?“ Glaubst Du, es interessiert mich, was Du willst?

Boron hatte seinen Bruder im Geiste aussprechen lassen, bevor er das gesprochene Wort in die Zunge des Grünlandes übersetzte. Kassander indes, traf eine folgenschwere Entscheidung. Gustav sollte ihm von diesem Herzschlag an zuwider sein, weshalb die Aufmerksamkeit des Schlächters unvermittelt vom Hausherrn zu dessen Sohn umgeschichtet wurde.

„Tha thu airson riaghladh dùthaich? A bhith nad rìgh?“ Du willst ein Land regieren? König werden? Aschgraue Iriden klebten an Simon – ernst, jedoch keinesfalls so feindselig, wie sie unlängst noch an seinem Vater hafteten. „An uairsin ag ionnsachadh a bhith nad dhuine. Stad a 'falach mar a bhios clann ga dhèanamh.“ Dann lerne, ein Mann zu sein. Hör auf, Dich wie ein Säugling zu verstecken. Auch das wurde übersetzt, ehe sich der Schlächter erhob.

„Bi mo aoigh! An uair sin bidh sinn a 'dèiligeadh ris an fhìrinn.“ Eines wurde deutlich, während sich der Wildling ohne weiteres Federlesen abwandte, um das Heim der Habings zu verlassen. Fortan oblag es Simon die gewichtigen Fehler seines Vaters auszubügeln. Auch Boron erhob sich, nicht ohne den Blick aus eisblauen Seelenspiegeln ein letztes Mal provokativ über den reizenden Busen der verheirateten Edith streifen zu lassen und die Aufmerksamkeit dann auf deren Mann zu lenken. „Mein Herr sprach Dir zu, sein Gast zu sein“, wurde erklärt, „Fortan wirst Du die Interessen Deines Blutes vertreten.“ Kein Vorschlag, nein, eine Tatsache. „Und wenn ich Dir, Jungchen, einen Rat geben darf, dann tust Du es besser geschickter, als Du Deine Leidenschaftsangelegenheiten regelst. Allem voran aber nach bestem Wissen und Gewissen.“ Ein guter Ratschlag, auch wenn ihm ein weiterer gewichtiger Affront innewohnte. Die Gespräche sollten damit ihr Ende finden. Wohl galt es nun in beiden Lagern das gesprochene Wort auszuloten, um das Beste aus dem unaufhaltsam nahenden Desaster herauszuschlagen.

 

Gustav blieb ruhig, so ruhig wie er angesichts jener Situation bleiben konnte. Dass die Männer jedoch klug genug waren, nicht in besinnungsloser Wut auf ihn loszugehen, wollte er mal als Sieg für sich verbuchen. Er und seine Familie lebten noch und nun schien sein Sohn endlich an jener Schwelle zu stehen, die den Weg zu Ruhm, Macht und Reichtum öffnen konnte. Mit einer Frau wie Edith an seiner Seite würde der Junge endlich zu dem Mann wachsen, der über ein Land herrschen konnte. So zumindest dachte Gustav sich seinen Teil und schwieg zu allen gesagten Worten. Man ließ das Nordvolk ziehen, die Pille nur ein Puzzlestück in einem viel größeren Werk zu sein schmeckte gewiss bitter genug. Es gab dem Fleischigen eine heimliche Genugtuung sich gegen den Schlächter so gut geschlagen zu haben. Seiner bescheidenen Meinung nach...

Gustav als vermeintlicher Sieger zu krönen, besaß indes für den Eisprinz Sinn und Verstand. Wenn es eine Sache gab, die Kassander jenseits des Eises zu lernen gewusst hat, dann die Tatsache unterschätzt zu werden. Innerlich mochte sich die Sicht der Grünländer auf die Nordländer keinesfalls gut anfühlen, hat man sich hierorts jedoch ein einziges Mal die Frage gestellt, weshalb man den Mutterboden des Eiskönigs als unvergängliches Reich abtat? Wäre ein dummes Volk, so ging es dem Schlächter vergrämt durch den Kopf, tatsächlich dazu fähig über undenkbar viele Generationen hinweg ein Land zu regieren? Selbst da, als der Mensch noch bar an Geschichte gewesen ist, hatten die Odinsons bereits achtsam über das Eis geherrscht! Und ein jeder, der willens war ebendiese Wahrheit zu verkennen, sollte im bodenlosen Schlund der Unterwelt innig um Vergebung betteln müssen.

Edith erhob sich sobald die Männer weg waren. "Ich hoffe, ihr werdet mich nun aus diesem Theaterstück entlassen, ich bin müde geworden." Das schwarze Haar wirbelte umher während die Schöne den Tisch verließ, wiegenden Schrittes aus der Halle stürmte, doch da hatte sie die Rechnung ohne ihren Gemahl getan. Simon eilte ihr nach. Durch den neuen Bund mit den Nordmännern offenbar beflügelt, griff er nach dem Handgelenk seiner Anvertrauten und zerrte sie an die nächstbeste Wand. Nur den Bruchteil einer Sekunde gab er ihr Zeit, dann stürzte sich sein Mund hungrig auf den ihren, forderte einen Kuss, während seine freie Hand durch den Stoff hindurch an ihre rechte Brust griff. Sein Blut war in Wallung, nicht nur, um seiner Frau zu zeigen, dass sie den Nordländer endlich vergessen sollte.

"Au!" Schrie er mit einem Mal auf, zog den Kopf zurück und tastete nach seiner Lippe. Das Miststück hatte ihn tatsächlich gebissen! Ediths Blicke funkelten angriffslustig, zornig und glühend.

"Ich bin nicht Deine Hure!" Zischte ihm die Schönheit entgegen und griff urplötzlich nach seinem Kragen. "Und Du wirst nicht die Hure dieser Barbaren werden, verstehst Du mich?" Raunte ihr Mund und verzog sich mit Mal zu einem Lächeln. Nun war sie es die Simon küsste, innig, verlangend, ihren Körper an ihn drängend. Ihre Lippen zogen eine blutverschmierte Spur über seine Wange bis zum Ohr.

"Was glaubst Du, wer den Assassinen losgesandt hat? Denkst Du es war Dein Vater, der hierzu die Stricke in Händen hält?" Ohne Umschweife griff ihre Hand durch die Hose ihres Gatten nach dessen Glied und hielt es an der Schwelle zwischen Erregung und Schmerz. "Du wirst diesem Heiden sagen, dass es Dein Vater war. Bettle um Gnade, winsle um Verzeihung, dass du es nicht hast aufhalten können, doch du willst ihm ein ehrlicher und besserer Verbündeter sein." Ihre Hand begann ihn durch den Stoff zu massieren, während die andere den Mann weiterhin auf Abstand hielt. "Er wird Dir glauben und Dir sein Vertrauen schenken. Und dann...wenn..." Sie ließ ihre Zunge über seine Ohrmuschel gleiten, stöhnte angetan hinein. "...wenn du ihm ein treuer Verbündeter bist....dann stichst du zu..." Sie schob ihren Schenkel passend genau zwischen seine Beine, drängte das angeschwollene Glied in eine verlockende Enge zwischen Hand und ihrem weichen Fleisch, zog dann aber den Kopf zurück und sah ihren Gemahl zufrieden und überlegen an. "Stich zu...." Raunte ihm die Schönheit entgegen und schob sich den Stoff des Kleides von beiden Schultern, ließ es an ihrem Körper hinabgleiten und nahm ihre Hände von Simon, damit er genau das tun konnte, was sein Leib so sehr begehrte.

Während er sie mitten im Gang, das Gesicht an die Wand gepresst, nahm, schloss die Schönheit jedoch ihre Augen und dachte an einen anderen. Sobald ihr Gemahl zu den Nordmännern ging würde sie ihn begleiten. Simon war eine gut lenkbare Marionette und sie ihrem Ziel heute ein großes Stück nähergekommen.

Lady Edith beherrschte ihr Spiel. War es allerdings nicht genau das, was dies vermaledeite Weibsbild so begehrenswert machte? Und was wohl, ging der Adligen durch den Kopf, als sie sich von ihrem Mann an eine kühle, feuchtkalte Steinwand gepfählt wiederfand, während ihr Blick in unweiter Entfernung das weißgefiederte Rabentier auf der Statue eines Habing-Ahnen sitzend erspähen konnte? Hatte ihr Boron zwischen den Zeilen nicht aufgewiesen, dass ihm durchaus gewahr schien wo sich ihre Hände befunden haben, bevor sie nach der Nachricht griff? Und hatte sich die schwarzhaarige Schönheit nicht mit der Frage konfrontiert gesehen, ob die Aussage aus dem Munde der Narbenfratze lediglich gut platziertem Zufall oder doch Wissen anheimgefallen war?

Der Rabe krächzte jovial, als Simon die Härte seiner Männlichkeit in die Enge der Gattin stieß. Kraftvoll, für seine Verhältnisse, doch keinesfalls mit der Intensität eines Mannes, der sich darauf verstand sein eigen Weib in lustvollen Momenten zur Hure zu machen. Eine Farce, zweifellos, wo sich ihre Ladyschaft womöglich mehr denn jemals zuvor danach sehnte benutzt zu werden. Frau sein zu können – nicht lediglich ein Biest unter Biestern, wie es das Leben unter den Grünländern von ihr zu erwarten wusste.

Edith bemerkte den Raben und fing dessen Blick ein. Je fester die Stöße ihres Mannes wurden, umso intensiver hielt sie den Kontakt zu dem Tier, als gab es ihr bessere Ablenkung, um Simon ertragen zu können. Fürwahr begehrte sie ihren Gemahl nicht und hatte es nie getan. Zwischen den Beiden herrschte keine innige Liebe und auch wenn Simon der verführerischen Schönheit zugetan war, blieb Edith oftmals unterkühlt. Sie hatte sich zu dieser Ehe durch ihre Schwester verpflichten lassen, aber der eigene Wille hatte ihre Hand in die der Familie Habing gelenkt. Sie wusste wie leicht jene Männer zu lenken wären und das in den Gegebenheiten Potential lag, um aufzusteigen. Bis zum Gipfel und noch viel höher hinaus.

Simon presste sein Gesicht an ihren Hinterkopf, legte seinen Mund an ihr Ohr und begann ungehaltener hineinzustöhnen. Er war bald fertig, Edith wartete bis das Zucken seines Glieds vorbei war um sich seiner Nähe so rasch wie möglich wieder zu entziehen. Der Samen ihres Mannes glitt warm und feucht an der Innenseite ihrer Schenkel hinab, während sie hoffte, dass daraus kein weiteres Kind entstand.

"Ich werde mich nun um unseren Sohn kümmern", ließ die Schwarzhaarige verlauten und wandte sich ab, ehe ihr Mann noch auf den Gedanken kommen mochte ihr für diesen Akt Geld vor die Füße zu werfen. Er selbst brauchte noch einen Moment um sich wieder zu sammeln, um sich wieder herrichten zu können, dann kehrte auch der junge Spross des Habinghauses zu eigenen Aufgaben zurück.

 

Im Lager des Nordvolks ging alles seinen gewohnten Gang, nur die beiden Frauen hatten sich abgesetzt, saßen gemeinsam am Ufer des Flusses und unterhielten sich. Wylla sprach von vielen Dingen und Elorie hörte zu. Die Blonde hatte begonnen ihr einen Kranz aus Blumen herzurichten und setzte diesen zwischendurch auf das rothaarige Haupt wie eine Krone. Wie sehr dieses Bild ihren Gemahl aufwühlen mochte, konnte zum jetzigen Zeitpunkt ja noch niemand ahnen. Am Allerwenigsten Elorie selbst.

Der krönende Kranz auf dem Haupt seines Weibes, nahm der heimgekehrte Eisprinz als neues Zeichen der Nornen wahr. Er befand sich auf dem richtigen Weg, so viel der inbrünstigen Gewissheit wohnte ihm inne, doch galt es nun die Ruhe da zu suchen, wo es ihm stets gelungen war die weisesten Entscheidungen zu treffen – bei jenem, dem er bis zum letzten Atemzug verpflichtet war, dem Göttervater höchst selbst. Nur flüchtig streifte Elorie seinen Blick. Angespannt und keinesfalls glücklich mutete der Wildling hoch zu Pferd an, doch reichte der kurze Blickkontakt während des Vorbeireitens durchaus fürs Verständnis aus, dass der aufgezogene Gram nicht ihr galt.

Wylla lächelte Elorie am Ufer des Flusslaufes warmherzig an. "Es wird so oder so alles gut werden, du wirst sehen. Dein Gemahl ist gut zu Dir und er ist stark und besitzt Macht. Du bist bei ihm in guten Händen, auch wenn er einem anderen Glauben folgt." Behauptete die Blonde weissagend, blickte dann aber über ihre Schulter, als die Reiter zurückkehrten. Kassanders Mienenspiel verriet nichts Gutes, Boron war ihr gegenüber immer noch unterkühlt, auch wenn Wylla hoffte, dass der Mann irgendeines Tages einsehen mochte, dass sie unter all den Grünländern die geringste Gefahr darstellte.

„Auf ein Wort, Mädchen“, verklang der tiefe Stimmklang des Diplomaten, dessen Weg sich von jenem seines Herrn mittig des Heerlagers getrennt hatte und der sich auf seinem Eislandrappen den beiden Damen am Flussufer genähert hat. Väterlich klang der Barbar, wie immer, wenn er das Wort an die zukünftige Nordkönigin richtete, doch der Blick, den er ihrem weizenblonden Gast zuteilwerden ließ, blieb kühl.

„Geh und hol Dein Pferd, wir reiten ein Stück.“ Nichts bedrohliches, denn wo Kassander aus sprachlichen Gründen nicht dazu befähigt war, der Wahrheit Tribut zu zollen, würde Boron es tun. „Lady Wylla wird den Kranz auch ohne Dich zu Ende flechten können.“ Freilich eine Aussage die offenbarte, dass er die filigrane Dame seines Misstrauens für kommende Gespräche nicht dabei haben wollte.

 

War das Erlens Gunst der Stunde, wie er sie geduldig abgewartet hat? Ungesehen von Jägern und Spähern war ihm der Wille seines Gottes bis hierhin gewogen geblieben, aber wie lange noch? Fiel es nicht lediglich einer Frage der Zeit anheim, bis man sein Hiersein entdeckte? Bis er würde erklären müssen, weshalb er sich einem Schattenläufer gleich durchs Dickicht tummelte, wo es als Mann ihrer Ladyschaft sein gutes Recht gewesen wäre ebendiese wieder zurück in heimische Gefilde zu holen? Er haderte, wusste jedoch nicht aus welchen Gründen. Eine innere Stimme war es, die ihm heimlich, still und leise zuflüsterte die gegebenen Geschehnisse keinesfalls auf die leichte Schulter zu nehmen.

 

Wylla und Elorie erhoben sich, doch die Schritte, welche die Rothaarige soeben auf ihren Gemahl zumachen wollte, verklangen nach dem Dritten. Jener Blick verhieß Unheil und dass Boron mit ihr zu sprechen gedachte war ebenso kein gutes Zeichen. Dabei hatte das Mädchen nichts Unrechtes getan und war sich keiner Schuld bewusst. Dennoch nickte sie und ließ sich den Blumenkranz von Wylla abnehmen, um zu den Stallungen zu gehen.

"Was ist geschehen?" Elorie wartete mit ihrer Frage, bis sie bei den Stallungen angekommen waren, und als ihre Hand nach den Zügeln Fallas griff suchte sie Borons Blick heim. "Will er mich nicht mehr?" War es nicht herrlich zu hören, wie viel Sorge in ihrer Stimme mitschwang? Bereits jetzt schien das ungleiche Paar in dem Maß Gefallen aneinander zu finden, dass man gerne blieb und sich für den anderen umgewöhnte. Elorie war durchaus bereit zu tun was man von ihr verlangte, wenn sie nur bleiben konnte. So seltsam es auch klingen mochte, doch es gefiel ihr hier. Im Lager unter den Menschen zu leben, welche alle so freundlich zu ihr waren. Nur wenige sahen sie noch komisch an, die Meisten schienen ihr wohlgesonnen und dieses Gefühl war überwältigend genug, um sich nicht einen Meter fortzuwünschen.

"Ich will nicht weg von hier. Mir gefällt es hier", gab das adlige Kleinod fast ein wenig trotzig zu, niedlich anzusehen und wusste man welch königliches Blut in ihren Adern floss wirkte sie doch genau wie eine Prinzessin. Nur unkomplizierter. "Wenn Ihr mich wegbringen wollt, dann … dann müsst Ihr mich schon dazu zwingen", platzte es mitunter aus Elorie heraus und sie stellte sich kerzengerade vor Falla, als sei das Tier jemand, der beschützt werden musste. Worum es eigentlich ging ahnte das Mädchen nicht im Geringsten.

Ihre störrische Ader, die viel zu oft von Sittsamkeit und Tugend unterdrückt worden war, um sich heute zum ersten Mal vage einen Weg gen Tageslicht zu graben, verlangte Boron ein amüsiertes Schmunzeln ab. Fürwahr, der Mann sah in Elorie viel mehr eine Tochter, deren Sinne geschärft und geformt werden mussten, auf dass es ihr in naher Zukunft erlaubt war mit warmem Herz und eherner Hand über das Eis regieren zu können.

„Ruhig Blut, Sturmwind, ruhig Blut“, floss es dem Narbenversehrten vom bartumrahmten Lippenpaar, wobei er beschwichtigend die schwerterprobten Hände hob. „Dein Mann hält Fürsprache mit den Göttern ab. Wir beide reiten nur ein Stück und unterhalten uns. Noch bevor sich die Sonne hinter den Bergen zur Ruhe bettet, werden wir wieder im Heerlager sein – mein Wort darauf.“ Seine Versprechen hatten bestand. Ihre Ladyschaft hatte keinen Grund daran zu zweifeln, doch erschien es sowohl dem Schlächter als auch dem Diplomaten wichtig ihr unbedarftes Mütchen langsam auf das vorzubereiten, was der Weg für das Mädchen bereithalten sollte – die Wahrheit.

Zu weiteren Erklärungen kam es nicht, mindestens nicht auf Anhieb. Ein einladendes Kopfnicken musste der rothaarigen Schönheit Genüge tun, um jenem zu folgen, der sich ihrer aus freien Stücken angenommen hat. Zudem ritt die junge Frau doch gerne auf Falla, oder irrte ihr Begleiter da? Es sollte ihr helfen etwaige Wahrheiten mit der dazu nötigen Weitsicht anzuerkennen, denn letztlich mochte das Wort der verkannten Prinzessin in dieser Sache mehr Gewicht besitzen, als sie selbst es für möglich halten könnte.

Man befand sich einige hundert Pferdelängen außerhalb des Lagers, als Boron aufs Neue das Wort an den blutjungen Spross zu seiner Linken richtete. „Bestimmt hat Dich Lady Wylla bereits vage an die nebulöse Wahrheit herangeführt.“, begann er, den Blick keinesfalls stoisch auf Elorie gebettet, sondern wachsam auf den Pfaden zu den Hufen seines Pferdes gerichtet. Fortan wurde der jungen Frau offen dargebracht, was der Besuch bei Gustav zutage getragen hat. Kassander gedachte also der frischangetrauten Gattin keinesfalls mit Schweigen zu begegnen. Er spielte mit offenen Karten, zweifellos und wissend, dass man dem Rotfuchs bereits schon viel zu lange durch Lügen den Mund verboten hat.

„Du bist demnach nicht die zukünftige Herrin über unbedeutende Ländereien, Du bist die rechtmäßige Thronerbin von Frisland, Mädchen. Und während Du durch die Ehe mit Kassander eines Tages übers große Wasser in die Heimat Deines Mannes segeln solltest, hegte Dein Onkel die Hoffnung, Simon in naher Zukunft auf Deinem Thron zu sehen.“, schloss Boron bedeutungsschwanger, ehe er Elorie durch Schweigen das Recht einräumte das Ganze zu verarbeiten.

 

Elorie war dem Mann bedenkenlos gefolgt, denn Boron genoss bereits ihr uneingeschränktes Vertrauen. Auf Fallas Rücken sah die Welt schon wieder ganz anders auch, doch noch immer war sie nicht dieselbe, welche Elorie im Haus ihres Onkels betreten hatte. Alles hatte sich verändert, die Gegebenheiten und sie selbst. Sie war nun eine Frau, eine Ehefrau und Mitglied eines heidnischen Lagers. Und wie Wylla ihr behutsam und weich beigebracht hatte, möglicherweise nicht ihrer Mutter und ihres Vaters Tochter. Das Mädchen hatte die Worte tapfer aufgenommen, ohne Zweifel geschockt, doch da es sich um Wylla handelte, welche sie vorbereitete, konnte das als großes Glück angesehen werden. Die Blonde besaß exzellentes Einfühlungsvermögen und fand oftmals die richtigen Worte.

Und auch Boron schaffte dieses Kunststück. Aber als er zu dem Punkt ihrer wahren Herkunft kam, hielt die Rothaarige ihr Pferd an. Und starrte zu dem Diplomaten. Sie sah ihn an als wäre er aus Glas, ein Mann durch den man mühelos hindurchblicken konnte. Gewiss lag in ihren Augen ein nicht zu verkennender Schimmer, welcher sich auch nach einem langen Moment als weiche Perlen über ihre Wangen schickte. Bitteres Schluchzen und lautstarkes Weinen blieb jedoch aus. Das Mädchen musste unter Schock stehen, anders war ihre Reaktion nicht zu erklären. Und wer mochte es ihr verübeln? Seit Tagen schon jagte eine Neuigkeit die nächste, immer wieder riss man der Rothaarigen den Boden unter den Füßen hinfort und es glich einem Wunder, dass ihr Verstand noch nicht dem Wahnsinn anheim gefallen war. Wie viel Schmerz ein Mensch im Geist auszuhalten vermochte, hing wohl immer vom jeweiligen Charakter ab und der Beschaffenheit seiner Seele. Elorie war ein starke junge Frau, doch auch ihre Stärke besaß Grenzen. Boron mochte zwischendurch glauben sie sei zu Eis erstarrt, doch endlich bewegten sich die grünen Augen wieder, sahen so schmerzhaft feucht von Tränen zum Nordmann hin, dass es schwerfiel seine zukünftige Königin so sehen zu müssen.

„Es ist wichtig, dass Du verstehst welch Mächte am Werke sind“, fügte der narbige Heide an, „Nicht nur für Deinen Gemahl, der den Bund mit Dir im Übrigen selbst dann nicht gebrochen hätte, wärest Du lediglich eine Bettlerin und so mittellos wie eine Feldmaus, sondern gleichfalls für Dich selbst. Also tausche mit mir Gedanken gegen Gedanken. Ich will versuchen Dir ein guter Gesprächspartner zu sein, wo es mein Bruder noch nicht kann.“

"Was...was soll ich tun?" Flüsterte das Mädchen ratlos, kopflos und sah zur Seite, in die Ferne, als könne sie dort jenes Land entdecken, welches allem Anschein nach ihr gehören sollte? Ein ganzes Land? Mit all den Menschen die darin wohnten? Boron sah das kleine Herz regelrecht flattern. Unter dem hellen, pfirsichfarbenen Stoff pochte es laut und ihre Atmung war sichtbar beschleunigt. Panik durchflutete ihren Körper beim Gedanken an die Verantwortung und die Macht, welche damit einhergingen. Als Königin des Nordens würde es ihr nicht anders ergehen, doch hier würde Kassander sie leiten, aber in Frisland? Er kannte die Gebräuche dieser Ländereien nicht.

"Was soll ich nur tun?" Hauchte Elorie immer noch wie von Sinnen und so weich, als streichle sie einem Fohlen den Kopf und wollte es nicht verstören.

Jeden seiner Töchter hätte Boron dazu angehalten die Tränen versiegen zu lassen. Hier war es ganz klar ein anderer Schwertknauf und Elorie war obendrein kein Spross seiner Lenden. Ihre Welt lag in tausend zerstückelten Splittern zu ihren Füssen und ein jeder, der dem Mädchen neue Wahrheiten in die Hände spielte, war gewillt auf den Scherben ihrer Vergangenheit zu tanzen. Ein Drahtseilakt, zweifellos, doch war die Wahrheit nicht besser als das Leben in einer Lüge? Ihre Ladyschaft würde es erst sacken lassen müssen.

„Niemand verlangt von Dir, aus dem Stegreif Pläne zu schmieden“, verklang die Stimme des Diplomaten. Auch er hatte den Hufschritten seines Eislandrappens einhaltgeboten und sah nun nachdenklich zu seiner Begleiterin hin. „Die Fronten verschieben sich, Tag für Tag, Elorie, und wir haben mit jeder aufgehenden Sonne zwei Möglichkeiten damit umzugehen: Entweder wir wachsen oder wir zerbrechen daran.“ Pause. Sein väterlicher Blick haftete an der lieblichen Frau seines Bruders, ohne ihren aufkommenden Tränen mit Jovialität zu begegnen.

„Ich kann Dir nicht sagen, was Du tun sollst.“ Ehrlichkeit. War man ihr vor der Ehe mit Kassander jemals so entgegengekommen? „Ich kann Dir aber sagen, dass Du mit Deiner Bürde nicht alleine bist. Du hast einen Mann, der für Dein Recht kämpfen wird. Und Du hast Weggefährten, die Dir in Treue ergeben den Rücken stärken.“ War das nicht weitaus mehr, als die Schöne vor wenigen Tagen besessen hat? „Lass es fürs Erste ruhen, Kindchen.“, fügte Boron guten Gewissens an. „Wisse jedoch, dass das Haus der Habings seine eigenen Ziele verfolgt! Gustav will, was ihm von seiner Warte aus gesehen zusteht, und Simon ist ihm zu sehr ergeben, um sich auf eigenen Wegen zu befinden. Und ich will ehrlich zu Dir sein. Möglicherweise tue ich Wylla unrecht, doch bitte ich Dich von Freund zu Freund darum, in Bezug auf dieses Weibsbild Vorsicht walten zu lassen.“ Konnte man es dem hochgewachsenen Wildling tatsächlich verübeln?

Elorie schob die Hände ins Gesicht, wischte unwirsch die Tränen beiseite und sah noch einen Moment länger in die Ferne. "Ich will daran wachsen....ich muss es", flüsterte das Mädchen und sah wieder zu Boron, dem Mann sogar ein schwaches Lächeln schenkend. Ja, er hatte Recht. Kassander würde für sie kämpfen, das hatte er bereits getan, als sie einander noch gar nicht kannten, und dieser Gedanke allein gab ihr Kraft. Und weckte eine bis dahin unbekannte Sehnsucht nach ebenjenem Heiden, der bereit war so viel für sie zu tun. Während der Diplomat weitersprach schwieg Elorie, doch die Erwähnung Wyllas weckte neue Lebensgeister.

 

"Ich werde ihr nicht misstrauen. Ich vertraue ihr. Sie nimmt viel auf sich, um nach mir zu sehen. Was hat sie getan, dass Ihr Wylla so sehr misstraut? Erinnert sie Euch an jemanden?" Ihre Standhaftigkeit kehrte zurück und das Mädchen presste die Schenkel zusammen, um Falla neben Borons Pferd zu lenken und ihm genauer in die Augen zu blicken. Sie mochte eine kleine Königin sein, aber sie war eine. Und in manchen Momenten lüftete sich der Schleier der Zukunft und zeigte was aus dem Mädchen einmal werden konnte. Sie war kühn genug den Bund mit einem Nordmann einzugehen und standhaft ihre Meinung vor jemanden zu vertreten, ohne zurückzurudern.

"Wenn ich einmal Eure Königin bin, müsst Ihr mir ehrlich antworten, Boron." Belehrte ihn Elorie, wirkte dabei aber versöhnlich und fast etwas schelmisch? Irgendein Gedanke hatte ihre Laune wieder gehoben, vielleicht jener, der sie dazu brachte das Pferd umzulenken und umzukehren. Zurück zu Kassander, ihrem Gemahl. Jenem, der ihr so unabdingbar loyal gegenübertrat, dass sein Fehlen schmerzhafter ausfiel, als die junge Adlige sich noch vor Tagen hätte erklären können.

 

Eine goldene Zunge und ein starkes Gemüt. Genau das war es, was Boron in seiner zukünftigen Königin erkennen konnte und was ihm letztlich doch noch ein weiteres schmunzeln abverlangte – jedoch eines, welches da viel zu rasch dem aufglimmenden Ernst würde weichen müssen. Ehrlichkeit verlangte das Weib und mit Ehrlichkeit würde er das feine Band ihrer neugewobenen Freundschaft ehren wollen.

„Sie ist Gustavs Tochter“, sprach der Diplomat, ehe auch er das Pferd gen Heerlager lenkte. „Im Augenblick reicht mir das, um ihr zu misstrauen, und ich wünschte Du würdest es mir gleichtun. Aber...“, was gewissermaßen der springende Punkt war, „... ich gebe Dir mein Wort, Elorie: So ich mich in Bezug auf Wylla irre, werde ich für meinen Fehler hoch erhobenen Hauptes um Vergebung bitten.“ Nicht mehr und nicht weniger wollte er der blonden Schönheit Wylla zusprechen.

 

Ebendiese hatte ihrer Cousine bei ihrem Aufbruch noch eine lange Weile hinterhergesehen, sich fragend wie viel Last noch auf den zarten Schultern Elories würde aufgeladen werden. Doch dann wurde die Schöne von einem Gefühl abgelenkt und warf einen Blick über ihre Schulter. Das Gefühl beobachtet zu werden war stark und so machte Wylla den Fehler, sich voll und ganz umzudrehen und einen Schritt näher zum Ufer zu treten.

"Fhean. Seid Ihr das?" Rief sie aus, auch wenn ihr Bauchgefühl bereits verriet, dass der Seher nichts damit zu tun hatte.

„Fhean“, echote es düster aus dem nahen Dickicht, ehe sich die erhabene Statur Elrens aus dem Zwielicht schob. Ein Name, in den der Lord weitaus mehr hineininterpretierte, als es zu diesem Zeitpunkt von Nöten war. Ungesehen von den Nordmannen blieb er im toten Blickwinkel der Späher stehen, die Augen vom Weingenuss noch immer verklärt, wobei das markante Beben seiner Nasenflügel auf das liebreizende Gemüt der Adelsdame bedrohlich anmuten musste. Jähzorn nagte an den Sinnen ihres Gatten. Der Wille, unbedarft zu handeln, während sich seine Hände zu satten Fäusten ballten. „Du verrätst Deinen Mann für einen dreckigen Heiden?“ Wenn Wylla eines durch die langjährige Ehe mit dem Baron von Windfeste gelernt hat, dann wohl wie gefährlich es für sie werden konnte, wenn die Intensität seiner Stimmgewalt schwand. „Nach allem, was ich für Dich getan habe, hintergehst Du vermaledeite Hure mich?!“

Wylla erschrak spürbar, sichtbar, als ihr Gemahl wie ein Geist zu ihr sprach und sich im Unterholz offenbarte. Natürlich hatte sie gewusst, dass er zornig sein würde, doch gehofft ihr bliebe mehr Zeit. Der Blumenkranz fiel zu Boden. Wylla blieb stehen, konnte den Blick nicht von ihrem Mann nehmen und sah sehr deutlich seinen Zorn. Und sie hörte ihn auch.

"Was immer in Eurem Verstand vor sich gehen mag, ich habe nichts Verwerfliches getan außer dem Blut, welches in meinen Adern fließt, etwas von meiner Sorge zu nehmen. Ihr könnt fragen wen Ihr wollt, ich bin Euch eine treue Gemahlin gewesen." Wylla versuchte ihre Stimme so ruhig, eindringlich und dennoch freundlich wie möglich zu halten. Nur würde sie den Namen erklären müssen. "Fhean ist der Mann, der mir ein paar Dinge erklärt hat, weil ich in Sorge um meine liebe Cousine war. Mehr ist nicht geschehen und das wisst Ihr." Beschwichtigend, höflich, respektvoll. Wylla war ein Juwel von Ehefrau und ganz und gar an diesen tollwütigen Bastard verschwendet. "Ihr seid gewiss hier, um mich nach Hause zu holen, und natürlich komme ich mit Euch." Da war nichts zu finden von Fheans Worten, von seiner Prophezeiung, es sei denn sie verbarg einen gefassten Plan sehr gut.

„Eine gute Gemahlin?!“, spie der tobende Baron aus, während sich seine weinverklärten Augen zu schmalen Schlitzen verengten. „Eine gute Gemahlin liegt zu mitternächtlicher Stunde im Ehebett, um den ehelichen Pflichten nachzukommen.“ Elren redete sich in Rage, dies mit allumfassender Sicherheit nicht zum ersten Mal. Wölfisch mutete es an, wie er sich behände auf die blonde Schönheit zubewegte. „Gute Gemahlinnen fragen ihre Gatten um Erlaubnis, wenn ihnen danach ist das Haus zu verlassen. Denkst Du, ich bekäme nicht mit, wenn Du Deinen vermeintlichen Pflichten als Heilerin nachgehst – wo ich es Dir ausdrücklich verboten habe?“ Pfeilschnell hob sich seine Hand, bettete sich grob um den schmalen Hals seiner Anvertrauten und zog das Weib grob näher zu sich her, just als dieses in Reichweite war.

Gute Gemahlinnen bleiben den Heiden fern und verkaufen sich nicht unter dem Deckmantel eines Familienbesuches an Barbaren.“ Elren schrie, was die Aufmerksamkeit der Lagerwächter auf sich zog – es war Fhean, der ebendiesen Einhalt gebot. „Du hast Deine Seele an den Teufel verkauft!“, brüllte der Adlige des Weiteren, wobei Wylla der unverkennbare Geruch nach Wein und Hure entgegenwehte. Seine Finger schlossen sich schraubstockgleich um den Hals seines Weibes und die freie Hand zum Schlag ausholte. „In Verlegenheit bringst Du mich, sodass man über meiner einer zu spotten beginnt!“ Lediglich ein Herzschlag fehlte, um den Willen, ihr die Flausen aus dem Leib zu prügeln, in die Tat umzusetzen. Ein Herzschlag nur … ein Atemzug… und er hätte es getan, wäre ihm der Seher nicht in die Quere gekommen. Nur aus dem Augenwinkel nahm er diesen war. Jenen mit dem starren, blinden Blick. Jener mit dem erhabenen Falken auf der Schulter und der schneidigen Klinge in der Hand.

„Schlag zu!“, raunte der Warge bedrohlich genug, um das Vorhaben seines Rivalen ins Wanken zu bringen. „Nur ein einziges Mal in meinem Beisein, Grünländer, und Du wirst für Deine Fehler mit Blut bezahlen.“

 

Schmerzhaft, doch auf andere Art und Weise, bekam Wylla das Wiedersehen mit ihrem Gatten zu spüren. Die Hand, welche sich um ihre Kehle schloss, war fest und von trunkenem Hass erfüllt. Hatte dieser Mann sie überhaupt jemals geliebt? Beide Hände schlossen sich um seinen Unterarm, versuchten ihn daran zu hindern weiter zuzudrücken, während ihrem Mund nur leise Worte entweichen konnten.

"Ihr sprecht mit trunkener, verdrehter Zunge", versuchte sie ihm weiszumachen, doch er schnitt ihr jedes weitere Wort ab. Wylla wusste, dass sie für den Mann niemals mehr als Mittel zum Zweck sein würde. Mit geschlossenen Augen wartete die Blonde auf die schallende Ohrfeige, bereit den Schmerz so zu ertragen, dass er seinen Triumph nicht bekam. Doch die brutalen Finger blieben fort und als sie hörte, dass eine bekannte Stimme sich einmischte, öffnete Wylla die Augen und sah zu dem Seher. Er durfte sich nicht einmischen, besser er täte es nicht.

"Geht Fhean!" Befahl Wylla dem Mann, bereit die Strafe für ihr Hintergehen auf sich zu nehmen, und legte beide Hände diesmal an die Finger um ihren Hals.

Der Griff um ihren Hals lockerte sich, gerade mal soweit, dass die leidgeprüfte Baroness nicht zu ersticken drohte.

„Ist das dieser Mann von dem Du sprachst?!“, herablassend sah er dem Wargen entgegen und erkannte, was Wylla nicht auf Anhieb verstanden hat. „Du fickst mit einem Blinden?!“ Wie schändlich.

"Ich habe Euch nicht betrogen, mit niemanden. Wer sein Gelübde gebrochen hat, das seid Ihr und immer nur Ihr gewesen. Jeden einzelnen Tag." Schmerz sprach aus Wyllas Gesicht. Ihre Augen schimmerten verletzt, denn er hatte ihren Stolz mit Füßen getreten. "Und wegen Eurer Sünden schenkt uns der Herr keine Kinder. Und das wird er niemals tun." Wylla nutzte die Worte Fheans für sich, auch wenn die Gefahr bestand, dass die Aussichten ihren Gemahl nur noch mehr erzürnten. "Lasst mich los und ich kehre zurück mit Euch, doch Ihr werdet mich respektvoller behandeln." Forderte die Blonde. Ob es einen Unterschied machte, wenn sie sich stärker gab? Wenn sie Widerworte gab? Nein. Und der Seher wollte einfach nicht gehen. Seinetwegen konnte die Situation nur noch mehr eskalieren. "Fhean. Geht."

Ihre Stimmklangfarbe brachte Elren indes dazu die Aufmerksamkeit von Fhean fort zur Gattin zu lenken, auf das sich seine Hand wieder inbrünstiger um ihre Kehle schloss.

„Du bist unfruchtbar, kleine Hure“, knurrte der Baron über jeden Zweifel vermeintlich erhaben. „Und nun gedenkst Du mir dafür die Schuld zu geben? MIR?!“ Eine Antwort wartete er nicht ab, war die Adelsdame durch den Schaubstockgriff um ihren Hals womöglich zu sehr damit beschäftigt nach Luft zu wringen. Jetzt schlug er zu. Brachial donnerte seine Handfläche gegen die weiche Haut ihrer Wange, während der Warge deutlich die Luft durch die Zähne sog; während sich seine Hand noch inniger um den Schwertknauf ballte und Bile angespannt in die Lüfte stob. Dennoch blieb er stehen, nicht willens zu gehen und von jener, die ihm über viele Jahreszyklen hinweg Leuchtfeuer in der Finsternis gewesen war, in Schach gehalten.

Der zweite Schlag folgte, während sie vermutlich lediglich der Griff um ihre Kehle auf den Füssen hielt. Mitmal verstummte die Welt – eine Veränderung, die selbst durch den rachsüchtigen Äther von Elrens Verstand drang. Der Baron blickte auf, aus unerfindlichen Gründen und lediglich einem Instinkt folgend, um zu den hohen Baumwipfeln zu seiner Rechten zu blicken. Der Schrei eines einzelnen, weissgefiederten Raben zerschnitt die aufziehende Stille. Eine Hundertschaft an Augenpaaren starrte auf die Szenerie hernieder, ehe dem Ruf des Raben eine Kakofonie an krächzenden Lauten folgte. Elren verstand nicht was vor sich ging, spürte jedoch in aller Deutlichkeit, dass unheimliche Mächte im Begriff waren ihr Werk zu tun. Sein Blick sank von den Baumwipfeln zur Gattin in seinen Fängen nieder, ehe sich ein boshaftes Lächeln auf seine Lippen schob.

„Hexe“, floss es ihm bedrohlich aus der Kehle, „komm mit mir und Du wirst Dich vor der Inquisition rechtfertigen. Bleib hier und Du wirst für den Pakt mit dem Teufel der gerechten Strafe zugeführt. Nicht heute und nicht morgen, aber es wird geschehen.“ Eines wurde deutlich: Fhean hatte mit seiner Weissagung Recht behalten.

Die Hand des Barons löste sich von seiner Frau, auf dass es nun an ihr war zwischen Pest und Cholera zu wählen. Würde nicht beides im letzten Atemzug enden?

„Kommt her, Lady Wylla, und ich werde es sein, der Euch Söhne schenkt.“ Fhean machte es nicht besser, doch war das Kind bereits in den Brunnen gefallen. Wylla würde sich entscheiden müssen, hier und heute, und nur einer der Wege sollte ihr Glück bedeuten. „Ich bitte Euch!“, appellierte der Blinde, „Dreht Euch ab und kommt her.“

 

Wylla spürte den Schlag mit aller Kraft. Sie fühlte wie sich seine Knochen durch ihre Haut drängten, auf den eigenen Knochen traf und wie sich ihre Haut mit Blut füllte. Beim zweiten Schlag schmeckte sie es in ihrem Mund und fühlte wie die weiche Haut an ihrer Lippe aufriss, um weiteres Blut gen Kinn zu schicken. Blondes Haar klebte an ihrem Mund, gab der Szenerie ein noch grausigeres Aussehen und als Elren sie als Hexe beschimpfte und losließ fiel die junge Frau zu Boden. Wylla brauchte einen Moment, um sich von der Heftigkeit der Schläge zu erholen, auch wenn die Worte ihres Gemahls weit tiefer getroffen hatten. Warum nur hasste er sie so sehr? Was an ihr mochte ihn stets so verärgern? Ihr Schoß? So oft hatte ihm die blonde Adelige Wünsche von den Augen abgelesen, war zärtlich gewesen und treu und Gott strafte sie auf eine Art und Weise, die es schwer machte an einen höheren Plan zu glauben.

Mit zitternden Knien stand Wylla wieder auf, taumelte noch und schob dann die Hand an den Mund, um Blut davon abzuwischen. Die Liebe sollte zärtlich und gut sein, dies hier war nichts von Alledem!

"Wenn Ihr denkt, dass ich eine Hexe und ein Teufelsweib bin, dann habt Ihr allein diese Entscheidung getroffen." Ihre Stimme zitterte und wer konnte es der jungen Frau verübeln? Noch immer tropfte Blut aus der aufgeplatzten Lippe, benetzte Haut und Kleid und war ein grausamer Makel an der sonst so stark wirkenden Frau.

Fheans Worte sorgten dafür, dass sie den Kopf zu ihm neigte, den Seher einen langen Moment ansah, um dann jedoch keinen der beiden Wege zu beschreiten. Wylla ging behutsam rückwärts in Richtung des Flusses und berührte bald schon kühles Nass mit den Füßen.

"Möge Gott eurer Seele vergeben, Gemahl!" Sie wandte sich ab, das Angebot des Sehers somit wohl ebenfalls ausschlagend und kniete sich in das sandige Ufer. Mit beiden Händen schöpfte Wylla Wasser und begann sich das Blut aus dem Gesicht zu waschen. Was nun? Sie ließ ihren Mann gehen, doch was dann? Zu ihm zurückzukehren würde ihren sicheren Tod bedeuten, zurück zu ihrem Vater eine unvergleichliche Schande. Doch hierzubleiben? Wylla konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen, dazu war alles noch zu frisch und schmerzhaft.

 

„So auch Deiner, Wylla.“, knurrte Erlen, dessen Gedanken bereits weiter waren. Sein Blick ruhte auf jener, die er zu gleichen Teilen liebte und verachtete, ehe das Augenmerk auf den blinden Frevler glitt. „Sie gehört mir!“, wurde diesem zugerufen, „Und wenn nicht mir, dann keinem.“ Deutliche Worte. Gewichtig und zweifellos niederträchtig, doch formten sich die Lippen des Sehers darob lediglich zu einem herablassenden Lächeln. Fhean nickte, wenngleich diese Geste keinerlei Bestätigung in sich tragen wollte. Der Sieg, den man hier und heute zu erzielen wusste, galt den Göttern höchst selbst. Was gab es denn nun anderes zu tun, als die Weizenblonde hinter sich zu lassen? Für beide Männer, wie sie da in entgegengesetzte Richtung der eigenen Wege schritten.

Aslaug sollte es sein, die sich der lieblichen Blondine annahm; die sich neben ihr aufs feuchtkalte Erdenreich niederließ und behutsam die Hände nach ihrem filigran geschnittenen Antlitz ausstreckte. Wylla war nicht alleine. Und es sollte eine Niedere sein, die sich ihrer aufgepeitschten Seele erbarmte. Sorgsam half ihr die Nordin die Wunden zu säubern. Wunden wiederum, die Aslaug bestens kannte, hatte sie derlei Schandmale vor der Ehe mit ihrem heutigen Mann selbst viel zu häufig auf der Haut getragen. Trunksüchtige gab es auch unter den Barbaren, gleich wie Frauenschläger, obschon Letztere im unvergänglichen Reich oftmals ein grausames Ende fanden.

„Kassander gut zu Elorie“, sprach das rundliche Weib leise auf die malträtierte Verschmähte ein, während kundige Finger in Form einer freundlichen Geste blondes Haar aus deren Gesicht strichen. „Aslaug gut zu Wylla.“, wurde angefügt, doch was weitaus wichtiger anmutete: „Fhean gut zu Wylla.“ Die Tragweite dessen, was der Seher für den Gast dieses Heers getan hatte, war ebendiesem vermutlich nicht allzu gewahr und würde anhand der Sprachbrocken, die das Barbarenweib nach bestem Gewissen von sich gab, womöglich kein Gewicht erlangen. Aus der Sicht eines Grünländers hatte sich der Warge vermutlich in Angelegenheiten gemischt, die eines Wildlings nicht würdig waren. Wie hatte Boron weit fern der gegebenen Szenerie aber so trefflich formuliert? Fronten verschoben sich, man könne an diesem Fakt lediglich wachsen oder zerbrechen.

 

Sobald der Rotfuchs mit Boron das Lager erreichte, an anderer Stelle und somit nichts von dem Vorfall am Flussufer mitbekommend, lenkte Elorie ihre Stute behutsam zwischen den Zelten hindurch und stieg erst vom Rücken des treuen Tieres, als sie am eigenen ankam. Ihre Schritte waren hastig, Hände warfen den Stoff des Eingangs förmlich auseinander doch als sie hineinkam fand die junge Frau nur Leere vor. Wo war er? Wo blieb er? Enttäuschung schlug sich auf ihrem Gesicht nieder, doch sie beschloss zu warten und setzte sich auf die Bettstatt. Ganze fünfzehn Sekunden, dann erhob sich die zukünftige Königin des Nordens wieder, ging hinüber zum Tisch und setzte sich dort. Der Blick auf den Zelteingang gerichtet veränderte immer noch nichts an der Tatsache, dass Kassander nicht kam, also erhob sich die Rothaarige ein weiteres Mal und versuchte sich die Karten und Pläne hinzulegen. Zeit zu überbrücken, die eigenen Gedanken abzulenken, doch am Besten eignete sich dafür der Nordmann selbst.

Auch Kassander bekam von Vorfall am Flusslauf nichts mit, als er von seinem Platz auf dem Hügelkamm herniederschritt und den Weg gen Zelt in Angriff nahm. Er wirkte gelöster, nun da es ihm gelungen war den Ruf seiner Götter in sich aufzunehmen. Selbstsicher und erhaben, wie er seine schweren Schritte durchs die Zeltstadt lenkte und seine Gattin genau da vorfand, wo er sie erwartet hat. Sein Blick ruhte loyal auf ihr, was keine Zweifel aufkommen ließ – sie gehörte ihm, während er der ihre war.

„Leig leis an latha seo gu crìch“ Lass diesen Tag enden, gab der Schlächter von sich, wohlwissend, dass Elorie kein Wort davon verstehen konnte. Resignation hatte sich in ihm breitgemacht, denn was blieb dem frischvermählten Paar denn anderes übrig, als die Dinge so hinzunehmen, wie sie gegeben waren?

Elorie war fast zu vertieft in den Umriss von Frisland, fuhr diesen immer wieder mit dem Zeigefinger nach, dass sie die Rückkehr ihres Gemahls kaum mehr wahrnahm. Und dabei hatte sie tatsächlich unwiderlegbare Sehnsucht hergetrieben, nur um in Anbetracht der Karten zu erlöschen? Erst der Klang seiner Stimme ließ Elories Kopf zu ihm wandern, ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen, doch es wurde schwächer beim Anblick des Mannes. Ihn beschäftigten Dinge, soviel war deutlich zu erkennen. Und natürlich entstammten diese den Enthüllungen des Tages. Für keinen von beiden leicht zu handhaben.

Den Weinkrug, den man dem Haupt dieses Heers sorgsam neben Waschschale und Wasser bereitgestellt hatte, an sich nehmend, setzte sich der gestählte Krieger an den Tisch. Seines Weibes Brüten über Landkarten verdeutlichte, das der Diplomat bereits mit ihr gesprochen hat. Seine freie Hand in Richtung ihrer Ladyschaft gelenkt, schlossen sich schwertkundige Finger um ihr Handgelenk, auf das die Rothaarige dem Willen des Ehemannes Folge zu leisten hatte. Er zog sie auf seinen Schoss, relativ unwillig sich weiterhin mit der Wahrheit auseinanderzusetzen. Das liebliche Wesen auf seinem Schoss war und blieb sein Weib, ob Bettlerin oder Königin, wenigstens daran wollte sich nichts ändern.

"Ihr habt..." Weiter kam das Mädchen nicht, denn im Nu fand sie sich auf dem Schoß des Barbaren wieder und lächelte. "Das gefällt Euch, nicht wahr?" Bemerkte sie in ihrer Sprache und legte die Arme um seinen Hals. So grüblerisch kannte sie ihn in der kurzen Zeit noch nicht und versuchte die Laune des Mannes rasch anzuheben. Diesmal war es der Rotfuchs die eine verirrte Strähne aus seinem Gesicht strich, dem Verlauf jener folgte und den Blick dann wieder in seine Augen richtete.

"Ihr werdet immer zu mir stehen, nicht wahr? Boron hat es mir gesagt. Ganz gleich wer...wer ich bin..." Sie hatte sich zusammenreißen wollen, stark sein wollen, doch der Nordmann trug die Schuld daran, dass sie plötzlich den Kopf an seinen Hals schmiegte, ihren Körper eng an den seinen. Beide Arme umfassten seinen Hals, seine Schultern und das Mädchen drängte sich ihm förmlich entgegen. "Ihr seid so gut....so gut zu mir....", flüsterte Elorie und kämpfte gegen Tränen der Rührung an. Um sich weiterhin zu beherrschen begann das Mädchen seinen Hals zu küssen, ganz gleich ob sie Salz oder Schweiß auf seiner Haut vorfand. Er war immer noch angenehm, in jedweder Hinsicht.

"Und ich werde auch immer gut zu Euch sein." Dieses Mal kam das Versprechen von anderer, lieblicher Seite, verbunden mit einem Blick der ihn ehrlich angetan traf. Elorie genoss im Gegensatz zu Wylla einen Luxus den kaum eine Frau für sich beanspruchen durfte, jener Heide dort stand zu ihr und ihrem Wesen. Wer von den Grünländerinnen konnte das von sich behaupten?

 

Am Ufer hatte Wylla unterdessen mit gemischten Gefühlen festgestellt, dass sowohl Elren als auch Fhean den Ort verließen. Dass auf einmal Aslaug an ihrer Seite aufgetaucht war, schien die Blonde erst viel zu spät zu bemerken.

"Tapadh leat." Danke. Das bereits erlernte Wort floss von Wyllas Lippen, doch dann ergriff sie die Hände der Nordfrau, hauchte einen Kuss auf die Oberseite und legte jene zurück in den Schoß der Frau. In der Hoffnung, dass die gutmütige Frau ihr nicht zürnte, erhob die Adlige sich dann wieder und sah über ihre Schulter in Richtung des beschriebenen Lagers von Fhean.

Es war einige Pferdelängen außerhalb der Zeltstatt, wie beschrieben zwischen zwei krummwüchsigen Bäumen und mit eigenem Feuer ausgestattet, dessen Rauch eine würzige Note von unbekannten Kräutern in sich barg. Ohnehin differenzierte sich das notdürftige Heim des Sehers grundlegend von jenen der anderen Nordländer, bestand es lediglich aus einer zwischen den Stämmen festgebundenen Plane und manchen knochengleichen Zierden, die gleich Windspielen in der sommerlichen Prise tänzelten. Der Grund war ausgelegt mit Wolfsfellen und jener Mann, der sich inmitten seines Reiches wähnte, wirkte unbeholfener denn sonst, was wiederum seine Gründe besaß. Kein Vogel leistete ihm Gesellschaft, was ihn dazu verdammte blind zu sein. Doch musste der Warge nicht sehen, um jene machtvolle Kraft zu spüren, die dem nahenden Weib innewohnte.

Nachdem Kälte ihrer Haut den gröbsten Schmerz nahm, empfand die Blonde sich dazu in der Lage mit dem Mann zu sprechen. "Warum habt Ihr das gesagt? Warum habt Ihr mir verschwiegen, was Ihr genau gesehen habt?" Wollte Wylla von ihm wissen und sollte er seine Blicke doch noch durch die Raben oder Bile auf die Schönheit richten, würde er bemerken, dass selbst die festen Schläge ihrem Wesen wenig anhaben konnten. Das Blut an ihrer Lippe war versiegt aber die Wunde klar zu sehen, ebenso wie die roten Wangen.

"Ihr habt von Euch gesprochen?" Erkundigte sie sich weiterhin und würde erst dann auf seine Antworten warten. Wann wenn nicht jetzt? Oder fehlte Fhean im Angesicht jenes Feuers in der Dunkelheit der Mut?

Ihre helle Stimmklangfarbe ließ den Barbaren in seiner bedächtig tastenden Suche nach Tabak und Pfeife innehalten. Mit dem Rücken in ihre Richtung gewandt, neigte er sein Haupt nur minimal in ihre Richtung, den Versuch, sie ansehen zu wollen, aus Gewohnheit in sich niederwringend.

Der mystische Wildling war zu weit gegangen. Er hatte seinen Göttern zuwidergehandelt, wusste das und bereute es mit keinem Atemzug. Wylla wollte die Wahrheit hören. Eine Wahrheit, die er ihr nach begangenem Fehler vermutlich sogar schuldig war. Doch wäre Fhean tatsächlich er selbst, würde er ihr diese einfach so zukommen lassen?

„Als ich Euch zum ersten Mal sah, ward Ihr ein Mädchen von gerade mal zehn Lenzen, während ich mich auf der Schwelle zum Mannesalter befand.“, verklang seine Stimme, wobei das Tasten seiner Finger nach Rauchwerk und Pfeife wieder aufgenommen wurde. Insgeheim ärgerte er sich, gelang es ihm selbst beim zweiten Versuch nicht zu finden, was begehrt war. Eine Schwäche, zweifellos, doch eine, die sich nun mal nicht ändern ließ.

„Am Rockzipfel Eurer Mutter hieltet Ihr Euch fest und habt über die Weiten eines endlos anmutenden, goldenen Weizenfeldes geblickt.“ Vermutlich war es eine Erinnerung von vielen, die das Weib bereits vor langer Zeit vergessen hatte. „Zum ersten Mal sah ich Euch… und die Sonne. Und ich fragte mich, wie Haar nur so golden schimmern kann, wenn sich Licht darin bricht.“, sprach Fhean unbeirrt weiter. „Jahre zogen ins Land. Ihr wurdet älter und schöner, doch nicht deshalb begann ich Euch zu lieben. Nein, ich begann euch zu lieben, weil Ihr da ward, als es sonst keiner war. Bedingungslos, obschon aus viel zu weiter Ferne.“ Der Seher erwartete kein Verständnis für seine Worte, doch hatte sie die Wahrheit hören wollen. „Eure Stimme war mein Weg, Wylla, und Eurer Leben mein Frieden. Ich war reich, dies bar an Licht oder Daseinsmelodien.“ Der Barbar schwieg einen Moment, ohne dabei vergessen zu haben, dass die eigentliche Antwort bis hierhin ausgeblieben war. „Stellt Euch eine rabenfinstere Kammer vor, in der es weder Konturen noch Geräusche gibt. Weder Mensch noch Tier. Eine Gruft, fern des Pulses jedweder Existenz. So lebte ich und so war ich … über zweieinhalb Jahrzehnte hinweg. Tag für Tag, Stunde für Stunde, Herzschlag für Herzschlag.“

"Das ist grausam." Wylla hatte zugehört, lange genug um nicht mehr zu wissen was davon der Wahrheit entsprach und was nicht. Und wie es überhaupt sein konnte, dass ein Blinder aus einem anderen Reich ausgerechnet sie gesehen hatte. Das Rätsel um diesen Mann schien ein weitaus Größeres zu sein, als er ihr weismachen wollte. Doch ihre Meinung bezog sich nicht auf seine Ehrlichkeit. Was die Baroness als grausam empfand war die Tatsache, dass er so lange unwürdig hatte leben müssen. An den Tag, welchen Fhean beschrieb, erinnerte sie sich dennoch, auch wie sie selbst das Gold des Feldes bewundert hatte. Im Gegensatz zu dem Seher war es ihr jedoch vergönnt gewesen zu riechen, zu schmecken, zu fühlen. Dass der Mann etwas suchte war der Blonden aufgefallen und als sie endlich erkannte, um was es sich handeln musste schritt Wylla an ihm vorbei, nur um Sekunden später behutsam nach der Hand des Sehers zu greifen und ihm die gesuchten Gegenstände hineinzulegen.

"Ihr wollt mir sagen, dass Eure Götter mich für Euch vorgesehen haben, dass wir eine Familie gründen werden. Doch im Gegensatz zu Euch habe ich nie die Gelegenheit bekommen eure Stimme zu hören. Ich habe einen Gemahl." Erinnerte Wylla Fhean und trat einen bedeutsamen Schritt von dem Mann zurück. Er kannte sie über Jahre hinweg und wer wusste schon, was er alles gesehen und gehört hatte. Momente in denen sie sich allein geglaubt, schienen nun nur ein Trugbild gewesen zu sein. Und Wylla kannte den Mann seit dem gestrigen Tag und nicht länger, wie konnte er sich seiner also so sicher sein?

Wie gewichtig der Fehler, den Fhean begangen hatte, tatsächlich war, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht benennen. Der Seher war damit jedenfalls am Ziel vorbeigeschossen. Er hatte sich das Recht herausgenommen so manche Geschicke, die bis hierhin keinesfalls in seinen Händen gelegen haben, selbst zu bestimmen – ein Fundament zu legen, wo es zu diesem Punkt der Geschichte keines hätte geben dürfen. Das Los eines jeden Sehers, der dazu auserkoren war die Geschicke von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander kombinieren zu können. Sie sahen. Sie wussten. Sie schwiegen, es sei denn die Götter höchst selbst verlangten es anders. Ein Kredo, dem mancher Makel anhaftete.

„Ich will damit sagen, dass diese Möglichkeit zur Wahrheit werden kann. Die Zeit ist nicht linear.“, erklärte Fhean, in dessen Hände Rauchwerk und Pfeife nun ungenutzt ruhen sollten. „Jeden Schritt, den wir gehen, verändert die Zukunft und bietet neue Lebenswege… neue Wünsche, Sehnsüchte und Wahrheiten. Nichts ist in Stein gemeißelt.“ Jedenfalls noch nicht, doch war die Möglichkeit, glücklich sein zu können, nichts was das Herz mindestens im Ansatz würde erwärmen können? Ein schwacher Trost, dass es andere Pfade gab, die zwar nicht minder beschwerlich jedoch lichter waren?

"Ich danke Euch für eure Hilfe vorhin, doch ich muss mich jetzt zurückziehen." Wylla wollte dem Mann keine Hoffnung machen, wo sie selbst keine sah. Die Dinge standen zu kopfüber und sie selbst konnte keinen klaren Gedanken fassen. Sich vorzustellen dem Seher zu gehören, sich zu ihm zu legen, seine Kinder zu gebären ging bislang über ihren Verstand hinaus. Mit weiterhin ruhigen Schritten trat sie den Rückweg ins Lager an und der blinde Seher ließ sie ziehen, denn was blieb ihm für eine andere Wahl? Sie war im Lager geblieben und hatte damit zum ersten Mal die Schicksalsfäden ihrer Existenz in die Hände genommen. Damit wollte sich der Warge begnügen. Fürs Erste.

 

Kassander ahnte von den bedeutungsschweren Worten des Sehers nichts, die er an den geschundenen Gast des Heerlagers richtete. Und selbst wenn, wäre es ihm von keinem Belang gewesen, wo er die Wärme seines Weibes so deutlich spüren konnte. Nichts hatte sich zwischen den beidem geändert, denn was einem die Götter bereitwillig geschenkt, dies hatte Bestand. Starke Arme schlangen sich um den wohlgeformten Körper der verkannten Prinzessin, auf das er sie noch inniger, noch besitzergreifender an sich ziehen konnte. Ihr Gesagtes verstand er nicht, zumindest nicht gänzlich, doch verlor sich die Bedeutung der ausgesprochenen Silben ohnehin in Belanglosigkeit.

„Kassander immer gut zu Elorie“, raunte er dunkel, während die Gedanken an die Zukunft selbst durch Zwang nicht im Keim des Seins erstickt werden konnten. Odin hatte ihm den Weg gewiesen. Den Pfad in den Krieg! Blut würde fließen müssen, um Weib und Kind zum eigen Recht zu bringen.

Ihre weichen Lippen auf seiner Haut zwangen den Wildling dazu die Augen zu schließen… zur Ruhe zu kommen, wenngleich der Frieden lediglich auf Raten in ihm widerklingen sollte.

„Morgen…“, kurze Pause, um nach dem richtigen Wort zu suchen – Elorie hatte es ihrem Mann gestern zu erklären versucht. „… sein..“, falsch, wenngleich der Rohling willens war es zu versuchen. „…Odinstag.“ Womöglich ein Lichtblick für die verschmähte Thronerbin und ein Fest, so die Hoffnung ihres Mannes, würde die Gemüter aller ein wenig erhellen können. Noch immer wirkte der Schlächter nachdenklich, doch mochte er deshalb nicht weniger Gefallen daran finden, mit der Hand über den feinen Stoff ihres Kleides zu fahren; über den schlanken Schenkel und die sündige Rundung ihres Hinterns, um sich auf dem schmalen Rücken zu verlieren.

„An ath latha bidh sinn a 'bruidhinn mun chogadh“ Zum ersten Mal war der Jarlsohn froh von seiner Gattin nicht verstanden worden zu sein, doch schmälerte es die Tragweite seiner Aussage nicht. Der Ehebund unter den Blicken der nordischen Götter stand im Vordergrund. Sie würden sich freuen, singen und lachen, um hernach die Erde des grünen Landes mit Blut zu speisen.

 

Elorie genoss den Moment wo der Barbar sie enger an sich zog und sie genoss es seine Hände auf ihrem Körper zu spüren. Neues Feuer regte sich in ihrem Leib, doch jetzt gerade sollte jenes nicht die Oberhand gewinnen. Stattdessen hörte sie zu, was den Mann umtrieb, natürlich ohne es zu verstehen. Doch nachdem er so nachdenklich wirkte bettete die junge Adelige sein Gesicht in ihrer beiden Hände und legte ihre Lippen auf die Seinen, zart und sanft, ein regelrecht unschuldig anmutender Kuss der jedoch bald inniger wurde. Behutsam öffnete sie den Mund und ließ ihre Zunge zu der Seinen gleiten, warm und weich, ein Fest für alle wachen Sinne. Elorie küsste ihn mit einer Intensität, die sie sich selbst garnicht zugetraut hatte. Mehr und mehr Dankbarkeit legte sie in den Kuss, schmiegte den Oberkörper fest an ihn und ließ schlussendlich zu, dass sie ihre Position änderte um nun rittlings auf seinem Schoß zu bleiben, je ein Bein rechts und links seiner Hüften, ihre beider Zentren nur durch wenig Stoff voneinander getrennt. Ein angenehmes, wohliges Seufzen schenkte Elorie ihm inmitten des Kusses und zog sich schließlich zurück, nahm den Kopf seitlich, wohl um wieder zu Atem zu kommen.

"Ihr macht mich schwach und stark zugleich." Behauptete das Mädchen und lächelte. "Kassander machen Elorie zu Butter, Wachs...." versuchte sie ihm veständlicher zu erklären und deutete auf die Kerze am Tisch. "Ja, Morgen ist Odinstag. Ich freue mich." Gestand sie sich und ihm ein.

Ein Kuss, der die schwelende Hitze in Kassander zu neuen Flammen der Leidenschaft auflodern ließ; der seinen Hunger auf die liebliche Schönheit einmal mehr zu entfachen wusste, doch hatte der Barbar fürs Erste andere Pläne. Ein anderer, weitaus weltlicherer Hunger nagte an seiner Magengrube, wo das Essen im Haus der Habings hat unberührt bleiben müssen. Hinzu kam, dass die Worte der Adelsdame mit seinem Unverständnis kollidierten. Gleich die Erklärung, den Fingerzeig auf die Kerze.

Stumm bedachte er sein Weib mit einem letzten, innigen Kuss und bedeutete ihr dann, mittels eines dreisten Klapses auf die wohlgeformten Globen ihres Hinterns, an, aufzustehen. „Elorie immer hungrig.“ Zum ersten Mal musste die Anspannung auf seinen markanten Gesichtszügen einem fast jugendhaft anmutenden grinsen weichen. Hätte es die Zierliche vor wenigen Tagen zu glauben wagen können, dass die Flamme der Lust nicht nur im Manne sondern gleichfalls in der Frau ewigwähren konnte? Fürs erste jedenfalls, würde die verkannte Prinzessin mit der Verschmähung ihres Leibes leben müssen. Stattdessen schloss sich die Schwerthand ihres Gatten um die ihre Kriegsunkundige, sodass man das Zelt gemeinsam würde verlassen können. Das Ziel war einfach auszumachen, lenkte der Schlächter die schweren Schritte neu ans Feuer der Tratschweiber, wo man unverzüglich mit den neuesten Kunden vertraut gemacht wurde.

10.

Die Auseinandersetzung zwischen Wylla und Elren hatte sich im engsten Kreis der Heerlagers einem Lauffeuer gleich verbreitet, nur um nun ans Ohr der zukünftigen Königin des unvergänglichen Reiches zu gelangen.

„Bu chòir dhut a dhol thuice.“ Du solltest zu ihr gehen, meinte Aslaug an Elorie gewandt, was von den übrigen Frauen anhand bedeutungsschwerer Gesten übersetzt wurde. Der Kriegsherr würde sie ziehen lassen, wenn es denn dem Willen seiner Gattin entsprach, um sich dem Müßiggang frönend neben seinem Bruder im Geiste ans wärmende Feuer zu setzen und ebendiesen balgend anzurempeln. „Butter. Dè tha sin a 'ciallachadh?“ Was bedeutet das?, entkam es ihm in seinem dunklen Bariton, was Boron dazu verleitete die Stirn irritiert in Falten zu legen. „Kassander machen Elorie zu Butter.“, wurde arglos wiederholt, was unlängst auf Unverständnis gestoßen war und den breitschultrigen Narbenversehrten nun offenkundig amüsierte.

„Tha e a 'ciallachadh gun do rinn thu a h-uile càil ceart, bràthair“ Es bedeutet, dass Du alles richtig gemacht hast, Bruder, lachte der Barbar frivol.

 

Elorie hatte sich indes ohne einmal mit der Wimper zu zucken erhoben und fand Wylla in ihrem Zelt, wo die Blonde soeben am Tisch über einer Schale Wasser saß und ihre geschundene Haut versorgte. Wylla musste nicht einmal aufsehen um zu wissen, wer sie aufsuchte. Elories Augen waren geweitet vor Schrecken, dann vor Schmerz.

"Es tut mir leid....", hauchte das Mädchen und kam langsam näher zum Tisch, "...dass ich nicht da war." Eine Entschuldigung wo keine von Nöten war, Elorie wusste das und Wylla wusste es auch. Ihre Hand blieb ganz ruhig während sie das Tuch an ihre Wange drückte, die Augen lagen auf ihrer Cousine, betrachteten die zukünftige Königin, welches ihr auf unerklärliche Art und Weise verändert vorkam. Ob es ihre Haltung war? Die leichte Neigung des Halses?

"Du hast doch keine Schuld daran, Elorie." Warmherzig, sanftmütig, verbunden mit einem Lächeln gedachte Wylla ihr jene Worte zu schenken und schob das Tuch zu ihrer Lippe, um die entstandene Kruste etwas aufzuweichen.

"Aber er hätte Dich töten können!", widersprach das Mädchen und kam langsam zu ihr, das Tuch fortnehmend um das geschundene Gesicht aus nächster Nähe betrachten zu können. Zum ersten Mal fühlte sie etwas in ihrem Körper aufsteigen, das hässlich war, das glühend war, ein bis dahin nie gekannter Zorn. Früher hätte sie sich gegen Elren nie ein falsches Wort herausgenommen, aber jetzt? Jetzt standen die Dinge anders. Und für sie. "Das wird er bezahlen." Wylla hielt inne und sah in Elories Gesicht. Es war immer noch derselbe liebliche Anblick, dieselbe helle Haut, dieselben geschwungenen Lippen, doch der Blick jener grünen Augen war anders, stärker, entschlossener wo früher Unsicherheit siegte. Ihre Hand ergriff die der Rothaarigen und drückte jene sanft.

"Das wird er. Gott wird sich seiner annehmen." Ein deutlicher Hinweis, dass der Rotfuchs ihre Finger aus dem Spiel halten sollte, sich nicht einmischen, denn dazu war ihr die Gemahlin Kassanders zu wichtig. Wylla setzte einen Kuss auf die weichen Fingerspitzen und ließ jene dann los, um sich wieder ihren Verletzungen zu widmen. Die Rothaarige schwieg, doch sie würde gewiss nicht untätig bleiben. Der Eisprinz musste davon erfahren, aber zu einem anderen Zeitpunkt. Jetzt hieß es erst mal, Wylla auf andere Gedanken zu bringen, auch wenn die Baroness von Windfeste keineswegs zerbrechlich anmutete. Ihre Cousine war so stark wie sie gerne wäre! Wenn Elorie sich richtig erinnerte, dann hatte sie die Blonde niemals weinen sehen.

"Komm doch mit mir, wir sitzen alle am Feuer und essen. Du bist bestimmt hungrig und niemand wird Dich verurteilen", versprach die zukünftige Königin des unvergänglichen Reichs. Was ihr gar nicht auffiel, sie hatte das nordische Volk und sich selbst in einem Atemzug genannt. Wir, war das nicht eindeutig? Sie fühlte sich wohl unter diesen Menschen und die Baroness hatte die Formulierung sehr wohl erkannt. Wer war sie, um die aufkommende Euphorie des Mädchens zu untergraben?

"Ich komme mit Dir", versprach sie und erhob sich nach einem Moment auch, legte das Tuch zurück in die Schale und folgte Elorie nach draußen. Unter den geschwätzigen Weibern war gewiss auch mehr über Fhean in Erfahrung zu bringen. Wylla wusste noch nicht, wie sie den Seher einzuschätzen hatte. Er war ihr gegenüber erschreckend loyal, aufopfernd, als sei sie bereits sein Weib. Ein merkwürdiger Gedanke, einem anderen Mann zu gehören. Einem der so vollkommen anders war als Elren. Und der sie allem Anschein nach besser kannte als sie sich selbst!

 

Elorie wartete bis Wylla das Zelt verlassen hatte, dann zog sie ihre Cousine widerstandslos mit sich und setzte sich zwischen Aslaug und den anderen Weibern hin. Der Baroness von Windfestes Blick fiel dabei kurz auf Boron, versuchte zu erkennen wie es jetzt, da er ihr geschundenes Gesicht sah, um sein Misstrauen ihr gegenüber stand. Man reichte beiden Frauen Wein und Brot.

"Ithe" Iss, forderte Elorie ihre Freundin auf, erntete dafür Zustimmung der nordischen Frauen. In ihren Augen konnten sowohl Elorie als auch Wylla mehr auf den Rippen vertragen, auch wenn Letztere deutlich mehr erwachsene, weibliche Rundungen besaß. Die Blonde nahm Speis und Trank dankbar an, musste dann aber innehalten, als Aslaug noch einmal mit dem Finger an ihrer Wange entlangfuhr. Diese Geste der Fürsorglicheit nahm die Blonde zum Anlass, um sie nach dem Seher zu fragen: "Aslaug, was kannst du mir über Fhean sagen?"

Elorie horchte auf, als ein noch nicht gehörter Name fiel und sofort mischte sich die Rothaarige in das Gespräch ein, versuchte so gut wie möglich zu übersetzen und begutachtete Wylla interessiert. "Fhean? Den Namen kenne ich nicht."

"Er ist ihr Seher. Und er scheint mich zu kennen." Was er noch alles gesagt hatte behielt Wylla für sich, hoffte aber durchaus an mehr Informationen über den geheimnisvollen Mann zu kommen. Und auch Elorie hörte gespannt zu, ob die nordische Feldköchin einigermaßen verständliche Worte für sie beide fand.

„Es gibt am nördlichsten Punkt des unvergänglichen Reiches, da wo des Winters niemals die Sonne scheint, eine Tempelstadt, die wir Dämmerstern nennen.“ Es war nicht Aslaug, die der Weizenblonden antwortete, sondern Boron, dessen Blick selbst dann noch unergründlich wirkte, als er ihn über das geschundene Antlitz des Gastes wandern ließ. Unergründlich, doch keinesfalls mehr ganz so feindselig wie am Abend zuvor. „Es ist das Land in dem Sythastyn regiert, das Orakel des Eises.“, fügte der Diplomat an, ehe er seine Erklärung unterbrach, um sich am Wein gütlich zu tun. „Sythastyn wiederum reist mit jedem zehnten Jahreszyklus durchs Land unseres Königs und sucht sich unter dem Volke Rolands zehn Jungfrauen aus, die sich ihm verpflichten müssen und in denen er ebenjene Gabe erkennen kann, welche er selbst in sich trägt. In eurer Religion könnte man diese Mädchen wohl mit den Jüngern gleichsetzten, die dem Sohn Gottes gefolgt sind.“

Stille hielt am Lagerfeuer Einzug, doch wirkte diese andächtig denn angespannt. Kassander ließ seinen Bruder im Geiste sprechen, wenngleich er nur vage erahnen konnte in welche Richtung dies Gespräch führte. Im Gegensatz zu seinem Weib, der Fheans Name bis hierhin noch nicht geläufig war, verband den Schlächter von Galgenfels vieles mit jenem, der für ihn in die Zukunft sah.

„Es wird diesen Auserwählten eine große Ehre zuteil, aus unserer Sicht womöglich die Größte die einem im Dasein widerfahren kann, doch gleichsam wird ihnen einiges abverlangt – beispielsweise die Enthaltsamkeit. Diese Frauen müssen ihre Unberührtheit wahren, rein bleiben, um das Wort der Schicksalsspinne für ihren Herrn und Gemahl empfangen zu können.“ So weit, so gut. Boron bediente sich müßig am Wildbret und spülte dieses mit einem weiteren Schluck des süßen Weins herunter.

„Von Zeit zu Zeit kommt es vor, dass eine dieser Reinen den zölibatären Gesetzen zuwiderhandelt, obschon ihnen mit dem Tag ihrer Auserwählung deutlich vor Augen geführt wird, welch harte Strafe ihnen dadurch blüht.“, sprach der Narbenversehrte weiter, während seine Aufmerksamkeit zwischen Elorie und Wylla hin und her wanderte. „Noch seltener erwächst aus dieser verbotenen Liebschaft ein Kind, doch wenn es geschieht, wird sein Schicksal durch Sythastyns Wille in die Hände der Götter gelegt. Wohl wird es mit ebenjenen Dingen versorgt, die es anfänglich zum Leben braucht – Muttermilch – doch bringt man es mit dem ersten Herzschlag ins tiefste Fleisch der Erde nieder, wo es im Atem Helheims entweder der Kälte und der Dunkelheit trotzt oder den Weg allem Irdischen geht. In der Regel überleben diese Säuglinge keinen Wochenzyklus. Fhean aber, der das Zeugnis einer befleckten Jungfrau war, hat die Strafe für das Vergehen seiner Mutter gesühnt.“ Undenkbar aber wahr. Aus der Pflicht entlassen worden zu sein, so wie es der Warge genannt hat, bedeutete also, die Sünden seines eigenen Blutes getilgt zu haben.

„Und als das Orakel des Eises begriff wie stark an Wuchs und Wille dieser Nordmann war, begann er ihn im Fleisch der Berge mit dem Wissen der Seher zu speisen. Das und offenbar Ihr, Lady Wylla, hat ihn davor bewahrt in der Finsternis…“ Boron hielt mit mal inne, im Sprechen und Speisen, hatte es dieser Erklärung unabdingbar bedurft, um sich selbst über einiges gewahr zu werden. Wie sehr einem die Wahrheit oftmals über Umwege in den Schoss fiel, mochte selbst auf das Gemüt eines gestandenen Mannes verwunderlich anmuten. Der Fuchs! Nicht nur Kassanders Erstweib, nein, auch Fhean hatte von ihm gesprochen. Was wenn dieser nicht Elorie sondern deren Cousine war? Hatte diese den Weg zum Heerlager nicht auf einem Fuchspferd in Angriff genommen? „… den Verstand einzubüßen.“

Der Diplomat erhob sich unverhofft ruckartig, als habe ihn die metaphorische Tarantel ins Hinterteil gebissen. Er musste seinen Standpunkt überdenken. Allein und ganz zur Überraschung aller, die sich da in andächtigem Einklang ums Feuer der Tratschweiber tummelten.

„Ho, Boron!“, rief Aslaug irritiert, „Dè tha ceàrr ort?“ Was ist los mit Dir? Keine Antwort, was die rundliche Wildlingsdame ratlos die Schultern zucken ließ, ehe sie sich mütterlich um das Wohl der Grünländerinnen kümmerte. Mehr Fleisch und mehr Wein.

Die Zeit wurde durch diese Art Beisammensein nahezu vollkommen ausgeblendet und durch Wyllas Schicksal hatte die Rothaarige auch kein Wort über die neusten Entwicklungen verloren. Morgen war auch noch ein Tag. Und ein bedeutender dazu. Sobald Boron mit seiner Erzählung geendet und das Feuer verlassen hatte fiel es der Rothaarigen wieder ein. "Morgen ist Odinstag. Du wirst doch bleiben, oder Wylla?" Jetzt musste man der Blonden nur erklären was das bedeutete und auch Elorie war über diesen Tag ja noch nicht wirklich im Bilde.

„Elorie gehören Kassander. Kassander gehören Elorie.“, fügte der Schlächter an, der seinem Bruder eine lange Weile nachgeblickt hatte, um auch die letzte Frage so gut wie möglich mit Erklärungen zu untermauern. „Feumaidh fios a bhith aig na diathan sin.“ Die Götter wollen das. Kurzerhand dachte der Feldherr nach, ob es ihm nur irgendwie gelang es den beiden Frauen verständlicher zu machen. „Götterehre.“ Mehr fiel ihm dazu nicht ein, dem Mann Auslaugs allerdings schon:

„Ist Ehe vor Götter bei Dich, Elorie. Machen Du zu Frau bei Ehre.“ Es beantwortete nicht, was es mit dem Odinstag tatsächlich auf sich hatte, offenbarte jedoch der Wille eines Mannes, der sein Weib mit Seele und Verstand an sich zu binden gedachte. Mehr musste ihre Ladyschaft im Augenblick nicht wissen.

Elorie hörte Aslaugs Mann an, nachdem Kassander nicht mehr erklären konnte. Langsam erkannte sie aber, dass der Odinstag wie eine Hochzeit der Grünländer sein mochte, nur vor anderen Göttern und gewiss mit anderen Ritualen. Man erkannte einander vor den höheren Mächten an, kein Vertrag der auf Papier geschlossen wurde. Was die Rothaarige erst jetzt wieder in ihr Gedächtnis rief: Dann war es unumkehrbar und ihr Schicksal mit dem des Nordmanns für immer verbunden. Doch Angst wollte diesem Gedanken nicht folgen, eher eine Aufregung die sich schwer beschreiben ließ. Ein deutliches Kribbeln, welches die junge Frau mit Wein herunterzuspülen gedachte.

 

Sowohl Wylla als auch Elorie gelang es während all den Erklärung nicht, auch nur einen Bissen oder Tropfen zum Mund zu führen, so fasziniert schienen beide Frauen von dem kleinen Einblick in eine für sie so fremde Welt. Besonders die Baroness rührte sich keinen Moment, schien noch immer nicht ganz zu begreifen inwieweit ausgerechnet ihre Erscheinung, ihr bisheriges Leben den Seher so berührt hatte. Doch die Entbehrungen, welche Fhean tatsächlich viele Jahre über sich ergehen lassen musste, waren dazu imstande irgendeinen Punkt in ihrem Herzen zu berühren, weil die Grausamkeit so unbegreifbar schien. Wie viel Willenskraft dem Seher innewohnte, wussten wohl nur seine Götter selbst. Aber allem Anschein nach wusste Boron auch für seinen Teil darüber Bescheid. Der urplötzliche Aufbruch des Mannes, die Überraschung der Anderen schien auch Elorie und die Blonde anzustecken. Doch von den beiden Frauen erhob sich nur eine, Fleisch und Wein ergreifend, um dem Mann nachzugehen. Ob Boron allein sein wollte, zählte für Wylla nicht, und wenn doch, dann besaß er einen Mund um es ihr zu sagen. Der Diplomat mochte soeben sein Zelt betreten und Luft ausgeatmet haben, als er spürte, dass jemand direkt vor den Tierhäuten zum Stehen kam. Dass es sich ausgerechnet um die blonde Adelige handelte, hätte er wohl nicht vermutet.

"Würdet Ihr noch einen Moment eurer Zeit opfern?" Erkundigte sich die Stimme von außerhalb des Zeltes und schließlich schob sich eine Hand mit einem Krug Wein zu Boron durch. Ein Bestechungsversuch, ein Charmanter dazu, auch wenn dem Diplomaten natürlich immer noch nicht aufgehen wollte, welch angenehmer Charakter da doch vor seiner Tür stand. Und nur schlechten Umständen war es doch zu verdanken, dass er überhaupt misstrauisch geworden war. Konnte sich das Blatt nun mit genügend Wein und warmen Worten wenden? Wylla wartete ab was geschah. Ob er nur den Krug ergriff und sie wegschickte, oder ob er eine Einladung aussprach.

"Ihr scheint über das was euer Seher weiß Bescheid zu wissen. Und da sein Schicksal merkwürdigerweise mit dem Meinen verknüpft sein soll, möchte ich gerne mehr wissen." Hatte Fhean dem Mann irgendetwas gesagt, dass er sie so misstrauisch bedachte? Ob es in Zukunft einen Moment gab, bei dem sie eine falsche Entscheidung traf? Wylla spürte, wie sich ihre gesamte Gefühlswelt gerade auf den Kopf zu stellen drohte.

Boron war zu tief in den erhabenen Hallen seiner eigenen Gedankenwelt versunken, als das er sich über etwaige Verfolgerinnen hätte gewahr sein können. Fragen über Fragen, gleich Puzzleteilen, die erst dann wirklich einen Sinn ergeben wollten, fügte man sie in der richtigen Anordnung zusammen. Die liebliche Stimme der Weizenblonden ließ ihn schnauben. Lautstark und unwirsch, was Wylla von außerhalb des Zeltes gewiss vernehmen konnte. Die Gastfreundschaft verbot es dem Mann aber der Aufforderung, ein paar weitere Herzschläge seiner Zeit zu opfern, entgegenzuwirken. Was also, sollte er anderes tun, als die Stoffe des Einganges zu teilen und den Blick auf die liebreizende Adelsdame zu lenken? Erpicht wirkte der Nordmann nicht. Gleichfalls wie er sich keinesfalls im Recht sah über das gesponnene Netz der Schicksalsspinne sein Urteil zu fällen. Im Grunde war er unter den Nordmännern nach wie vor ein Heide. Es hatte viele Jahre und so manche Stunde der Selbstreflexion bedurft, um den Glauben an einen falschen Jehova abzulegen; um sich die wahre Macht der richtigen Götter ins Bewusstsein zu rufen.

„Du irrst, wenn Du glaubst bei mir die Wahrheit zu finden, Mädchen.“ Ehrlichkeit, verpackt in verdrießlicher Nüchternheit. „Wer bin ich denn anderes, als jener, der lernte ein Nordmann zu sein?“ Rhetorik. „Ein unbedeutendes Blatt im Wind, Wylla. Weder vom nordischen Blut, noch von der vermeintlichen Ehrbarkeit des grünen Landes. Ein Mann, der zwischen den Ländern ging. Viele, viele Jahre lang.“ Was also, sollte er ihr sagen? Oder … würde er die Loyalität zur Erstfrau seiner Bruders nicht einbüßen, würde er mit einer Fremden besprechen, was vor Kassander seit jeher verheimlicht war?

Der angebotene Wein blieb unberührt, doch wurde die liebliche Blondine nicht einfach zum Teufel gejagt. „Wenn ich seit meiner Kindheit eines über die Götter des Eises gelernt habe, dann wohl der Fakt, dass ihre Stimmen lauter sind, als es jene des falschen Jehovas jemals sein kann. Und im Gegensatz zu euch, die ihr verlernt habt Gottes Wille zu erahnen, ist der Glaube unter den Nordlingen gegen kein Gold der Welt aufzuwiegen“, versuchte es Boron auf Wegen, die er mit sich selbst vereinbaren konnte. „Es gibt einen Grund, weshalb Dein Schicksal so eng mit jenem Fheans verwoben ist, aber ich kenne ihn nicht.“ Die Wahrheit. „Willst Du also wissen, was die wahren Götter für Dich vorhergesehen haben, dann wirst Du auf ihren Wegen gehen müssen. Allem voran aber, wirst Du ein und dieselbe Entscheidung treffen müssen, wie ich sie einst traf – obschon gewiss aus anderen Gründen.“ Die Worte des Narbenversehrten muteten gewichtig an. Es lag ihm nicht viel daran dem Misstrauen den Vorzug zu geben, wobei der Mann nach wie vor an einer Sache festhielt: Ihre Ladyschaft würde sich sein Vertrauen erst verdienen müssen. Ganz gleich, ob er ihr damit Unrecht tat oder nicht, Wylla war und blieb die Tochter eines Ränkespielers. „Die Entscheidung, ob Du im Land des Eises überlebst oder im grünen Land zugrunde gehst.“

 

Wylla hatte das Schnauben gehört, doch ihre Hartnäckigkeit sollte sich bezahlt machen. Als jedoch das Gesicht Borons vor ihr auftauchte fragte sich die Blonde, wann sie jemals so unerwünscht gewesen war? Im Gegensatz zu Kassander, der durchaus ein verschlossenes Gesicht sein Eigen nannte, blieb der Nordmann aber erstaunlich höflich und zeigte weniger Missmut als seine übersetzende Zunge. Aber sie ließ sich nicht abwimmeln und so wie es aussah, versuchte der Mann sie auch zunächst nicht loszuwerden, er hoffte scheinbar mit der raschen Beantwort ihrer Fragen auch so ans Ziel zu kommen. Durch den geöffneten Eingang ließ Wylla ihren Blick kurz durch das Zelt schweifen ehe sich die blauen Augen wieder auf den Narbengesichtigen legten. Er bat sie nicht herein und das war deutlich genug. Die Erklärung, welche dann aber über Borons Lippen glitt, traf einen anderen Punkt welcher erklären mochte, warum der Mann ihr gegenüber so kühl wirkte. Wylla musste sich zusammenreißen, um die Worte nicht über die Zunge zu schicken, von daher hörte sie weiter zu. Fühlte er sich nicht wichtig genug unter den Nordmännern? Irritation schlich sich in ihre Augen, von dem Diplomaten vermutlich falsch gedeutet und der Weinbecher in ihrer Hand sank tiefer.

"Wenn ich hier bleibe, dann bin ich genauso ein Blatt im Wind wie Ihr. Aber auch Ihr scheint zu wissen, dass meine Entscheidung, Elorie und das Nordvolk zu begleiten, mein Leben retten wird. Also wisst Ihr mehr, als Ihr mir weismachen wollt, Boron." Sie lächelte nur kurz und griff nach seiner Hand, sowie er dies zuließ, um den Weinbecher hineinzuzwängen. Wylla war so vollkommen anders als ihr Vater, dass man sich fragen mochte, ob es sich bei ihr nicht genauso verhielt wie bei Elorie. War der Mann überhaupt an der Zeugung eines so gutherzigen Wesens beteiligt gewesen?

„Dafür sind doch keine Weissagungen von Nöten“, entgegnete Boron, der den Kelch unberührt zur Seite stellte und das Augenmerk dann vielsagend auf ihr malträtiertes Antlitz lenkte. „Ein Blick auf Dein geschundenes Gesicht reicht vollkommen aus, um sich darüber im Klaren zu sein, dass es Dir im Norden besser gehen wird. Und das wiederum könnte Dir selbst ein Tölpel prophezeien.“ Der Grund, weshalb der Barbar sprach, wie er eben sprach, lag nicht darin mit dem Gefühl zu kämpfen für sein Volk nicht wichtig genug zu sein – immerhin war er unter dem Dach des Königs zum Mann geworden und nannte den Prinzen des unvergänglichen Reiches nicht nur Freund sondern mit Stolz seinen Bruder. Der Grund war, dass er sich selbst ganz einfach für nicht so bedeutungsvoll nahm. Dem Diplomaten wohnte ein genügsames Gemüt inne, ein loyales noch dazu, weshalb er über das, was ihm zu Ohren kam, oftmals lieber schwieg. Selbst jetzt, als die Möglichkeit geschwätziger denn sonst zu sein durchaus vorhanden gewesen wäre, zog er die Stille dem gesprochenen Wort vor.

"Schlaft gut." Kam schließlich überraschend einsilbig über ihre Lippen, dann wandte die Blonde sich ab, sofern Boron sich nicht umentschied um sie noch hereinzubitten. Aber Wylla schlug nicht den Weg zur Feuerstelle an, sondern kehrte zurück in ihr Zelt und würde weiterhin die Verletzungen im Gesicht behandeln.

 

"Wo ist dieser Fhean?" Erkundigte sich der voranische Rotfuchs unterdessen, auch um mehr über die merkwürdige Sache mit Wylla herauszufinden. Wieso sollte ein Seher ihre Cousine gesehen haben? Das ergab keinen Sinn. Absolut nicht. Aber wo sie gerade schon bei Wylla war...da lagen noch viel wichtigere Fragen im Raum. "Und nach Odinstag lerne ich ein Schwert zu führen." Halb Frage, halb Behauptung und sie deutete in Richtung des Platzes wo tagsüber die Schwertfrauen trainierten. "Kassander wird mich lehren." sie vollführte die Bewegung eines geschwungenen Schwertes, striff dabei beinahe Aslaugs Kopf mit ihrem Weinbecher und sorgte ein weiteres Mal für Unterhaltung. Es tat dem Mädchen gut jetzt gerade nicht an die Wendung des Tages zu denken, auch wenn sie das Flüstern verfolgte. Leise und heimlich, aber stets.

Ein überschwängliches Weibsbild, frei der Zweifel, und eines, in dem mehr Lebenskraft wohnte, als sie es sich selbst bis vor kurzem hat eingestehen können. Elorie veränderte sich. Mit jeder Stunde und jedem Atemzug ein wenig mehr, und ihrem Mann gefiel was ihm mit voranschreitender Zeit vor Augen geführt wurde. Es mutete ein wenig grob an, wie er sich vorbeugte, um nach seinem Weib zu greifen; wie sich seine Schwerthand willensstark um den schlanken Arm des Rotschopfs schmiedete und ihren Leib in seine Richtung lenkte. Starke Arme umfingen sie, ungeachtet der vielen Blicke, die unabdingbar am zukünftigen Königspaar hafteten. Seine markanten Gesichtszüge blieben versteinert, doch bekannte sich der barbarische Schlächter deshalb nicht weniger zu jener, die er in sein Leben gelassen hat.

„Kassander lehren Elorie.“ Sie würde ihn stolz machen. Daran zweifelte der Mann nicht, welcher da seit jeher in der Gunst seiner Götter stand.

Elorie hatte überrascht zu ihrem Gemahl gesehen, als dieser nach ihrer Hand griff, glaubte schon sie habe etwas Falsches gesagt, doch da fand sie sich vor aller Augen an seinen Körper gepresst. Kassander bemerkte die Überraschung über sein Tun, da diese so offene Bekundung zu ihr nicht zu seinem sonstigen Auftreten unter seinen Leuten passte. Doch sie nahm es gerne hin, ebenso gerne, wie sie hörte, dass der Mann selbst derjenige sein sollte, der ihr zeigte, wie man mit einem Schwert umging. Der Gedanke daran erfüllte die junge Frau mit Aufregung, was fehlte war die Weitsicht. Ein Schwert zu führen bedeutete auch irgendwann ein Leben beenden zu können und zweifellos würde das eines Tages geschehen. Jetzt aber dachte die Rothaarige nicht daran, sondern blieb in der Umarmung, fühlte sich aber auf angenehme Art und Weise herausgefordert.

"Elorie besiegen Kassander", behauptete der um einen Kopf kleinere Rotfuchs und mochte damit weiterhin zur Unterhaltung am Feuer beitragen. Sie meinte nicht, ihn zu töten, sondern irgendwann besser im Kampf zu sein als er. Natürlich undenkbar aber eine unterhaltsame Vorstellung für viele. Selbst für Elorie die zu ihm auflächelte, ihren kleinen Scherz somit aufdeckend.

"Elorie acras..." Sie führte jedoch eine Hand zu ihrem Bauch, zeigte ihm welchen Hunger sie meinte und dass er sie loslassen musste, damit sie essen konnte.

Kassander tat wie ihm geheissen, nicht ohne sich deutlich amüsiert über ihren Willen, den eigenen Mann in der Kunst des Schwertkampfes eines Tages schlagen zu wollen, zu zeigen. Amüsiert, doch keinesfalls abwertend, denn dafür hatte der Schlächter zu viele Frauen, die da Klingen wie Männer führten, an die Front ziehen sehen.

„Tha beul laoch agad mu thràth“ Das Mundwerk eines Helden hast Du schon, raunte er ihr zu und bedachte die Stirn seiner Frau mit einem Kuss, um sich hernach am Wein gütlich zu tun, der mittlerweile in rauen Mengen floss. Die Hochzeitsfeierlichkeiten hatte bereits begonnen, mindestens wirkte es beim Anblick der Wildlinge, wie sie sich in friedvollem Einklang um das Feuer wähnten, genau so. Die Männer brachten ihre besten Kriegsgeschichten zutage, lachten und balgten, während sich die Frauen mit Elorie auseinandersetzten. Insbesondere Alsaug hatte es die rothaarige Adelsdame angetan. Ein wissbegieriges Weibsbild, ohne Zweifel, war es wohl darauf bedacht sich die Sprache des Grünlandes schneller als der Eisprinz anzueignen. Bis spät in die Nacht saß man in gemütlicher Runde beisammen, die Schwere des Tages ausblendend und mit frohsinnigen Thematiken beschäftigt, was einem Außenstehenden zu offenbaren wusste, dass das Geschlecht der Barbaren nicht lediglich daran interessiert war dem Feind den Kopf vom Halse zu schlagen.

 

Ihre Baroness von Windfeste durfte sich unterdessen, zurückgezogen in ihrem Gastzelt, bald schon sicher sein in der Einsamkeit nicht alleine sein zu müssen. Bile hatte sich an ihre Fersen geheftet, passierte mit erhaben gespreizten Flügeln den Eingang zum Zeltinnern und vollführte zu Füssen ihrer Ladyschaft eine unglückliche Bruchlandung, bei der das sonst so anmutig wirkende Tier allerdings keinen Schaden nahm. Vermutlich hatte sich Bile nicht zum ersten Mal verschätzt, um in einem beachtlichen Überschlag über den Boden einer Schlafstatt zu kullern und dann so, als habe er heldenhafter nicht landen können, die Brust zu schwellen. Man konnte sich in Anbetracht des Falken wohl niemals sicher sein, ob Fhean nicht doch näher war, als es dem Wohlbefinden zuträglich sein könnte. Hier und heute, in diesem Atemzug und Herzschlag, mutete der Falke jedoch eher wie ein Wächter an; wie ein Schatten, unwillig ebenjene Seele allein zu lassen, die sich nach allen Geschehnissen dieses Tages womöglich einsamer denn jemals zuvor fühlte.

Wylla hatte es für besser empfunden dem Diplomaten keine Antwort zu geben, doch in ihrem Glauben waren die Nordlande gewiss nicht vor Gewalt gefeilt. Gab es zwischen den Männern nicht auch Charaktere, die Elren ähnelten? Sie musste wohl nur Aslaug fragen, um ihre Antwort zu bekommen. Der Norden mochte den Frauen dennoch mehr Möglichkeiten geben. Allein der Anblick der Schwertfrauen hatte die Blonde genauso fasziniert wie Elorie. Elren würde ihr niemals gestatten, ein Schwert zu schwingen, geschweige denn dass er davon begeistert war, dass sie hin und wieder ihre Heilkunst ausübte. Sie musste wieder einen freien Kopf bekommen, sich daran erinnert, dass ihre Heimat hier war. Aber zu ihrem Gemahl zurückzukehren würde kein leichter Weg. Ein mehr als zweischneidiges Schwert, denn im heimischen Anwesen gab es nicht nur ihr eigenes Leben, sondern das der Dienstmädchen, der Stallburschen, der Köchinnen. Sollte sie diese Menschen einfach dem Zorn ihres Ehemanns überlassen? Elorie hatte ein anderes, nicht vergleichbares Schicksal gewählt und würde diese Lande früher oder später verlassen müssen. Die Blonde musste sich dennoch eingestehen, dass sie sich unter den Menschen hier wohlzufühlen begann. Selbst bei Boron, der gewiss ein weiches Herz unter einer rauen Schale besaß. Inmitten ihrer Gedanken, die da interessanterweise zum Seher hinüberglitten, musste der Falke dies gespürt haben. Überrascht sah Wylla zu dem majestätisch anmutenden Tier und wich erschrocken zurück, als sich Bile als kleiner Bruchpilot entpuppte. Seine Reaktion darauf, das Vertuschenwollen seiner schlechten Landung, war jedoch mehr als entzückend und ließ die Blonde wieder lächeln. Sofort setzte sich die Heilerin in die Hocke und streckte ihre Hand nach dem Falken aus, begann sein Brustgefieder zu berühren und auch zu kraulen.

"Du bist wohl hergeschickt worden", vermutete Wylla und fragte sich, ob Fhean sie nicht nur sehen, sondern auch hören konnte. Kurzerhand runzelte die Frau ihre Stirn. Wollte der Seher sie ununterbrochen an sich erinnern? Daran, dass er ihr ein besseres Leben versprach? Seine Worte hallten immer noch in ihrem Kopf wieder.

"Solltet Ihr mich hören können, Fhean, Seher des Nordens, dann tätet Ihr besser daran persönlich vorbeizuschauen als euer Haustier vorauszuschicken", ermahnte die Adlige in Richtung Bile, der bestimmt kein Wort verstand. Vermutlich funktionierten die Dinge doch nicht so einfach und so wurde das Gesicht der Baroness wieder weicher.

"Das gefällt dir wohl." Sie begann besser mit dem Vogel zu sprechen, um sich nicht wie eine vollkommen Verrückte aufzuführen. "Ich wüsste nur zu gerne, ob ich auch einen Falken zähmen könnte. Und auf Befehl würde dieser meinem Gemahl die Augen auspicken", sinnierte die Blonde ohne boshaft zu klingen. Sie schien sich eher selbst beruhigen zu wollen und erfreute sich an der Schönheit des Falken.

Bile neigte das gefiederte Köpfchen. Zuerst nach links, dann nach rechts, ehe er sich die Streicheleinheit gurrend gefallen ließ. Das Tier wirkte unschuldig, geradezu feinfühlig genug, um den Gedanken, er wäre vom Seher vorausgeschickt worden, revidieren zu können. Tatsächlich hatte Fhean mit den Alleingängen seines Federfreundes nichts zu tun, doch wusste er die Gunst der Stunde durchaus für sich zu nutzen. Er hörte sie. Roch sie, als hätte er sich selbst in das Zelt begeben, um dem Weib nach allem was geschehen war ein Freund zu sein. Was aber hielt ihn zurück? Was nur bewog ihn dazu sich dem Ruf des Schicksals zu widersetzen und einsam in seinem Lager zurückzubleiben? Weitsicht. Womöglich das Wissen darum an diesem Tag bereits zu viel getan zu haben, was den Göttern zuwidergehandelt hat. Er hätte schweigen sollen. Schweigen müssen!

Und dadurch, dem eigenen Willen den Vorzug gegeben zu haben, auf seine eigene Weise egoistisch gewesen zu sein, würde sich der Blinde bis zu seinem letzten Atemzug mit der Frage konfrontiert sehen, ob die Schicksalsfäden anders hätten verwoben werden können, wäre er schweigsam geblieben. Zudem mochte er jene Stille, die ihm abseits der großen Lagerfeuer gegeben war. Die Einsamkeit war ihm ein Freund, wenngleich oftmals ein unliebsamer. Die Schuld seiner Mutter hatten ihm über zwanzig Jahre in der Dunkelheit gebracht. Über zwei Jahrzehnte ohne das anreizende Funkeln in den Augen eines Weibes oder dem herzwärmenden Empfinden, wenn man hoch oben auf schneebedeckten Bergen sitzend den Sonnenlauf betrachtete. War das fair? Die Frage, wie sein Leben hätte verlaufen können, nagte schwer am bröckelnden Mauerwerk seines Gedankenpalastes. Und wo die Einsamkeit das war, was ihm häufig am vertrauensvollsten erschien, suchte sein Falke die Nähe der weizenblonden Adligen, um dieser Gesellschaft zu leisten, wo er sich selbst nicht dazu in der Lage sah.

 

Elorie genoss derweil die Geselligkeit am Feuer. Auch ihrem Verstand tat der Wein und die Ablenkung gut. Zu viel war in der letzten Zeit geschehen, um ihr Weltbild umzukrempeln, auch heute war sie davor nicht gefeilt gewesen. Mit einer Engelsgeduld hörte sie Aslaug zu und tauschte ihrer beider Sprachen aus, versuchte ihr gestellte Fragen zu verstehen und verständlich zu beantworten, als sei sie schon immer Teil des Nordvolkes gewesen. Wieder leerte die junge Adlige den Becher, schon zum dritten Mal und wollte sich erheben. Gefährlich schwankend wäre sie beinahe zurück auf den Baumstamm geplumpst und begann über ihr eigenes Missgeschick jedoch herzlich zu lachen. Besser Kassander brachte sein angetrunkenes Weib zurück ins Zelt, doch sollte dieser den Versuch starten so schüttelte Elorie deutlich den Kopf und würde sich wieder zu Aslaug setzen.

"Elorie bleibt hier. Hier ist es schön. Hier habe ich Aslaug und viele andere! Kassander immer acras, Elorie acras für Geschichten. Kassander alleine acras machen!" Sie lachte wieder, all das Geschehen der vergangenen Tage einmal vergessend, und bettete die Stirn an Aslaugs Schulter. "Aslaug ist gut zu mir!" Behauptete die Rothaarige fast schon lallend und nun noch schlechter zu verstehen.

Das amüsierte Lachen der Frauenzimmer scholl heilsam durch die barbarische Lagerstadt, doch wollte sich Kassander nicht ganz so leicht vom eigenen Willen abbringen lassen. Keine Missgunst, die ihn umtrieb, viel mehr aber das Wissen darum das der Wein aus den Eislanden ein heimtückisches Zweitgesicht besaß. Wollte Elorie ihren Hochzeitstag wirklich damit beginnen, indem sie sich die Seele aus dem Leibe brach? Und hätte er ihr diese Frage in der Zunge des grünen Landes stellen können, vermutlich hätte er dies sogar getan, doch musste er sich in seinem trunkenen Taumel auf andere Mittel stützen. So tollkühn wie frivol hatte er sich zur verkannten Prinzessin niedergebeugt, um ihr vor den Augen und dem unbekümmerten Beifall seiner Schwertbrüder dreist in die betörende Neigung des zarten Halses zu beißen. „Machen Elorie wie Butter“, bediente sich der Eisprinz auf schier perfide Art und Weise an ihren Worten, um das Mädchen dann – ob zeternd oder nicht – hochzuhieven. „Ist mein Versprechen bei Du.“

"Nein!" Scholl es dem Schlächter deutlich unwillig entgegen, wenngleich auch das zweite Nein schon wieder halb amüsiert klang. Elories Lächeln tat sein Übriges dazu, wirkte mädchenhaft, doch gleichzeitig auf seine Art frech. Sobald sie hochgehoben wurde klopfte ihre Faust mehrmals erfolglos gegen den starken Unterarm des Mannes. "Aslaug!" Rief sie die Nordfrau um Hilfe, doch anstelle von heldenhaften Einschreitens erntete Elorie wohl wieder unterhaltendes Gelächter und musste sich wohl oder 'übel' ihrem Gemahl geschlagen geben. "Aslaug..", klang es leiser je weiter sich Kassander mit ihr entfernte, mittlerweile aufgebend aber trotzdem immer noch amüsiert.

Kassander ließ seine Gemahlin nölen und machte mit der betörenden Rothaarigen im Brautgriff schwankend auf dem Absatz kehrt. Freilich, im Moment war dem gestählten Kriegsherrn nicht danach ihr jene Freiheiten zu lassen, die er dem lieblichen Weib in allen Fällen durchaus zugestand. Er wollte sie pflügen. Wie sehr, dies konnte ihm Elorie vom verklärten Blick ablesen. Er begehrte sein Weib! Seine Lippen legten sich bedingungslos fordernd auf die ihren, noch bevor man das Zelt erreicht hatte.

„Tha mi airson sealltainn dhut dè tha e a 'ciallachadh a bhith mar bhean agam.“ Ich werde Dir zeigen, was es bedeutet, meine Frau zu sein. Heißblütig entkam es seiner Kehle, dies auf eine Weise, die wohl keinen Widerspruch zulassen sollte. Der Wein ließ es zu. Bei ihr und auch bei ihm! Die Nacht sollte in trauter Zweisamkeit ausklingen, so viel stand fest.

Elorie lachte wieder auf, fröhlich und durchaus glücklich, versuchte dieses Mal den Hünen zu zwicken, doch der überraschende Kuss ließ ihren Widerstand rasch dahinschmelzen. Wie Butter in der Sonne! Die zwickenden Finger glitten von Unterarm über seinen Bizeps bis nach oben zu seinem Nacken, wo sie sich hineinlegten, sich festhielten um seinen Mund dort zu halten wo er war. Sein Atem schlug heiß gegen ihre Lippen, als sie seine Worte hörte. Mit einem Klang, der ihr eine Gänsehaut bescherte. Der Rotfuchs hielt inne, betrachtete den deutlich verlangenden Blick des Mannes und senkte fast schon scheu die Wimpern. Nein das stimmte nicht ganz, sie mochten zudem auch aufkommende Neugier und Vorfreude verbergen. Was hatte er vor? Würde er sie wieder auf die Felle betten und sein Gesicht zwischen ihre Schenkel pressen? Es hatte ihr gefallen, ein merkwürdiges Gefühl, eine Mischung ihm ausgeliefert zu sein und auf der anderen Seite schien er ihr damit regelrecht zu huldigen. Ihre Hand bettete sich weich an seine Wange.

"Kassander und Elorie lieber schlafen. Morgen Odinstag", erklärte die nun wohl Vernünftigere der beiden und begann die Füße abwechselnd baumeln zu lassen, als wäre sie dennoch ungeduldig. Mit einem neuen, trunkenen Lachen fuhr ihr Daumen im Anschluss jedoch über seine Lippen und sein Kinn. Irgendetwas schien sie zu amüsieren.

"Wolf", betitelte sie den eigenen Gemahl und deutete auf sich selbst. "Kein Reh mehr, Wölfin!" Platzte es stolz aus dem jungen Ding heraus und sie wagte sogar trotzig das Kinn zu recken. "Kassander machen acras alleine!" Wiederholte sie ihre Worte und schien das aber nicht wirklich ernst zu meinen. Wie amüsant mochten die Gespräche erst werden, verstanden sie die Sprache des anderen sehr viel besser. Eins konnte man jetzt schon erahnen: Das Mädchen, so scheu und unschuldig es zu Anfang gewirkt hatte, besaß einen eigenen Kopf und würde noch mehr aufblühen je mehr Freiheiten sie bekam.

Elorie würde ihm gerecht werden. Was bis hierhin einer vagen Hoffnung anheimgefallen war, wurde zur Gewissheit. Sie würde ihm ein gutes Weib sein! Ein williges obendrein, denn ob es das Mädchen wollte oder nicht, Kassander dachte keinesfalls daran die eigens geschmiedeten Pläne einfach darnieder zu legen. Noch nicht. Ihr ´nein´ mochte gewichtig sein, doch wurde es fürs Erste keinesfalls ernst genommen – wohlwissend, dass die kleine Schönheit genügend Mut in sich vereinen konnte, würde ihr zuwider sein was im Zelt geschah. In der Dunkelheit, denn ihr Mann nahm sich keinesfalls die Zeit, um mittels eines Glimmspans die Talgkerze zu entfachen.

„Wolf“, echote der Eisprins in seiner dunkelstirnigen Stimmklangfarbe, als er die verkannte Prinzessin im Zeltinnern auf die Füße stellte. „Madadh-allaidh - Wolf“, fügte er an, während schwertkundige, raue Fingerspitzen sorgsam die weichen Strähnen ihres Kupferhaars zur Seite schoben. Nein, es war dem gestählten Wildling keinesfalls danach vernünftig zu sein. Aus welchem Grund auch? Sie gehörte ihm und mittlerweile hatte der Mann ganz gut verstanden, wie es ihm gelingen konnte die Lust seiner Frau zu entfachen.

Willensstark, darauf bedacht ihr erst gar keine Möglichkeit zu geben einen Widerspruch geltend zu machen, glitten die Spitzen seiner Finger auf weicher Haut hernieder; über die feine Neigung ihres Halses, das filigrane Schlüsselbein und bis hin zur wohlgeformten Wölbung ihres Busens, um beherzt zuzugreifen. Sie gehörte ihm. Über alle Zweifel erhaben packte der Wildling zu, ehe er die filigrane Schönheit schier ungeduldig aus den sündig teuren Gewändern schälte. Kassander wollte spüren, was ihm nicht lediglich gehörte, sondern gleichfalls gehören wollte.

Elorie blieb stehen, den Boden des eigenen Zeltes unter den Füßen spürend kam sie jedoch gleich in anderen Genuss. Die Fingerspitzen schoben ihren kaum ernst gemeinten Protest sofort in andere Sphären. Der Hüne konnte nicht sehen, dass sie bereits ihre Augen schloss, weil seine Berührungen jetzt schon dazu imstande waren ihren Körper mit Hitze zu füllen. So zärtlich und doch bestimmend, dass allein der Griff an ihre Brust dazu reichte dem Mädchen ein Aufseufzen zu entlocken. Er hatte sie sprichwörtlich wie auch bildlich in der Hand und die Rothaarige ließ es nur zu gerne zu. Ein kühler Hauch striff ihre Haut, als der Stoff ein weiteres von vielen Malen von ihr abfiel. Schon jetzt pochte ihr Herz mit einer zuvor nie gekannten Intensität. Nein, das stimmte nicht ganz. Beim Reiten war es ihr ähnlich ergangen, dort hatte sie sich auch frei gefühlt. Und tat es jetzt auch. Bei ihm.

„Aon latha choinnich nighean ri madadh-allaidh sa choille.“ Eines Tages traf ein Mädchen einen Wolf im Wald, raunte der Feldherr basslastig an die Lippen seines nackten Weibes, wissend, dass die altbekannte Sprachbarrieren zwischen ihnen stand, doch kümmerte es ihn nicht. In der Tat mutete es wölfisch an, wie er sich von ihr löste, um den Fuchs mit behänden Schritten zu umwandern. Stählern und fest mutete der Brustkorb an, an den sich Elorie bald schon rücklings gepresst wiederfinden sollte.

„Tha mi airson cluich còmhla ribh, thuirt an nighean ris a 'Madadh-allaidh.“ Ich will mit dir spielen, sagte das Mädchen zum Wolf. Der Eisprinz hatte den Kopf gesenkt, um seine Lippen nah an ihr Ohr zu bringen – eine feine Berührung während des Sprechens, wobei sein heißer Atem deutlich über ihre weiche Haut strich.

„Chan urrainn dhomh cluich còmhla riut, fhreagair am madadh-allaidh. Chan eil mi tame.“ Ich kann nicht mit dir spielen, antwortete der Wolf. Ich bin nicht zahm. Seine Hände schoben sich zwischen ihren Armen hindurch, um sich spürbar auf ihre Brüste zu legen.

Noch nie hatte Elorie ihren Gemahl so viel sprechen gehört und noch nie mit diesem Klang, der die feinen Härchen auf ihr Haut aufzustellen vermochte und den Nektar zwischen verbotene Lippen sandte.

„Tame mi.“ Zähme mich, sprach der Nordmann weiter, denn hatte ihm sein Weib nicht unlängst erklärt hungrig auf Geschichten zu sein? „Cha robh fios aig an nighean an fhacal sin agus dh'iarr e air a 'mhadadh-allaidh mu dheidhinn.“ Das Mädchen kannte dieses Wort nicht und fragte den Wolf danach. Und würde sich das Erzählen alter Eisgeschichten nicht wunderbar mit dem Erkunden ihres Leibes kombinieren lassen?

„Tha e a 'ciallachadh a bhith eòlach air a chèile.“ Es bedeutet, sich kennenzulernen. Seine Schwerthand löste sich von ihrer Brust, um andächtig gen Süden zu wandern. „Tha thu dìreach mar aon de mhòran dhaoine agus chan fheum mi thu, thuirt am madadh-allaidh. Agus tha mi dìreach madadh-allaidh, mar sin chan fheum thu mi.“ Du bist nur einer von vielen Menschen und ich brauche dich nicht, sagte der Wolf. Und ich bin nur ein Wolf, also brauchst du mich nicht.

Verführerisch versanken seine kundigen Finger zwischen ihren betörenden, stummen Lippen, während sich die Gier nach ihr in seiner rauen Stimmklangfarbe festsetzte. Der Schlächter konnte deutlich spüren, dass sich seine Gemahlin an ihn schmiegte, als er sie von hinten überfiel. Die Beine offenbar zu schwach vor aufkommender Lust fühlte er ihr ganzes Gewicht an sich ruhen. Und nicht nur das. Bei seiner gnadenlosen Berührung, sobald der erste Finger zwischen ihre Lippen sank, entglitt den geschwungenen Lippen ein ungewolltes Stöhnen. Hell und nahezu verzweifelt vor Erregung. Und das war sie, erregt, er konnte so mühelos in sie gleiten, dass es fast zu belächeln war. Ihre Brüste hoben und senkten sich in schnellem Takt und Kassander bemerkte wie das Mädchen ihre Schenkel etwas mehr für ihn öffnete.

„Ach ma nì thu mise tame, feumaidh sinn a chèile. Bidh thu mar an saoghal dhòmhsa. Agus bithidh mise an saoghal dhut.“ Aber wenn du mich zähmst, brauchen wir einander. Du wirst für mich die Welt sein. Und ich werde die Welt für dich sein.

Hätte die blutjunge Adelsdame nur ein Wort verstanden, ihr wären die Parallelen, die man von der Geschichte ableiten konnte, mitnichten entgangen. Was Elorie allerdings mit aller Deutlichkeit begreifen sollte, war die Perfidität ihres Gemahls, als er die Hand wieder von ihrem Lustzentrum löste, um das Weib an ihren eigenen Worten aufzuhängen: „Kassander und Elorie lieber schlafen. Morgen Odinstag.“

"Schuft", betitelte sie den Mann und wandte sich in der Umarmung um, behände und rasch. Ihre Brüste berührten seinen Bauch, schmiegten sich lüstern dagegen, während sie an dem ihren deutlich spüren konnte, wie wenig der Hüne jetzt aufhören wollte. Um ihn genauso zu ärgern griff das Mädchen ohne Warnung zu. Kassander musste nahezu 'hilflos' spüren, wie sich die weiche und doch vom Alkohol kräftig gewordene Hand um seinen Schaft schloss und sofort gnadenlos begann sich so zu bewegen, wie er es ihr gezeigt hatte. "Kassander Acras...", schnurrte seine trunkene Frau und ließ auch jetzt schon erahnen, dass es ihr in Zukunft leichtfallen mochte den Barbaren zu lenken. Furcht fand sich keine in der schönen Adligen, nur blinde Lust.

"Ich will nicht schlafen. Ich will Euch", behauptete Elorie mutig und beugte den Kopf, um Küsse auf seine Brust zu setzen. "Madadh-allaidh hungrig....", mischte sie ihrer beider Sprachen und wartete ab, was geschah.

Ihr weingeschwängerter Ungestüm ließ den Barbaren fast boshaft schmunzeln, mochten dessen Pläne bestens aufgehen. Und dennoch wollte ihm just in diesem Moment eines mit aller Deutlichkeit vor Augen geführt werden. Es bedurfte nur ihrer feingliedrigen Finger, wie sich diese wohltuend um die Härte seiner Erregung schlossen, um seinen Willen zu zerstreuen; um ihn zu lenken, dies in Richtungen, in die er seinem Weib womöglich irgendwann nicht würde folgen wollen. Elorie hatte Macht über ihn. Ein und dieselbe Macht, wie sie einst in den Händen einer Frau gelegen hat, deren Asche vor drei Jahreszyklen mit dem Nordwind in höhere Sphären aufgestiegen war. Fraglich nur, ob er dieser Macht zugetan war oder nicht. Hatte er sie nicht sogar gefördert? Gewollt? Für gut befunden?

Die verkannte Prinzessin Frislands hörte ihren Mann lachen, dunkel und vibrierend, nahezu bedrohlich und fremd, während sich seine Hand stählern in ihrem Haar vergrub. Das Gute an ebenjener Macht, die ihre Ladyschaft auf ihren Gemahl ausüben konnte, war, dass sie auf beiden Wegen funktionierte. Sie bildete ein Band, rund und endlos, wobei sich Kassander im Gegensatz zu seiner Frischanvertrauten durchaus darauf verstand sie für sich zu nutzen. Es war ihm ein Leichtes die junge Frau mit wenig Kraftaufwand in die Knie zu zwingen. Stetig abwärts, ohne das ihr hübsch geschwungener Mund auf seiner Haut jemals an Intensität verloren hätte. Da war ihr Lippenpaar nun, gelenkt durch den eisernen Griff seiner Schwerthand in ihrem langen, weichen Haar und dazu verdammt den muskulösen Körper des Barbaren zu erkunden. Narbe für Narbe, über Brustkorb und Bauch; über definierte Muskelstränge, die unter den auferlegten Zärtlichkeiten kraftvoll arbeiteten.

Den lieblichen Rotschopf knien zu sehen, ließ ihm die Erhabenheit mit jedem lebensspendenden Herzschlag inniger durch die Blutbahnen sickern. Elorie wirkte anmutig, selbst in einer Demutshaltung und lediglich vom schwachen Schein des Mondes beschienen, der sein Licht durch die gegerbten Felle des Zeltes entsandte. Was von der verschmähten Prinzessin verlangt war, musste nicht erst mit Worten kommentiert werden. Die Aufforderung war klar, umso mehr dann, als er mit seiner prallen Eichel bedeutsam über ihre feinkonturierten Lippen strich… um Einlass bat, ohne dabei den eigenen Willen auf brachialen Wegen kundzutun.

Elorie hörte zum ersten Mal dieses Lachen von ihm, dieses dunkle, herbe, welches zu den Nordmännern passte wie sie sich jene immer vorgestellt hatte. Auch der Griff in ihr Haar gesellte sich passend zu diesem Bild. Er schien mehr zu wollen, mehr zu fordern, und der Rotfuchs schien zunächst verunsichert wohin dieser Weg sie führen sollte. Gegen seine Stärke kam die junge Frau jedoch sowieso nicht an und so folgten die weichen Lippen dem vorbestimmten Weg, nicht aber ohne sich zu öffnen.

"Was habt Ihr vor?", erkundigte sie sich, wohlwissend, dass Kassander die Frage nicht verstand. Aber er antwortete. So plötzlich und unerwartet, dass die rothaarige Schönheit den Mund zurückziehen wollte. Nur ließ er sie nicht. So schnell war ihr Übermut also dahin, denn nun schickte ihr Gemahl sie auf unbekanntes Terrain und nutzte ihren trunkenen Verstand für sich aus. Wäre Elorie ihm nicht so zugetan, hätte sie sich gewiss deutlicher gesträubt, doch hatte er ihr nicht dieselben Freuden geschenkt? Mit wohliger Wärme im Bauch dachte das Mädchen an seine Zunge zwischen ihren Schenkeln, seinen Finger, der da verlockend zwischen ihren Lippen eintauchte. Auch jetzt noch war dieser Moment einer, an welchen sich die Prinzessin noch lange erinnern würde. Es galt keine Scham zu haben. Er mochte sie, das war deutlich und er würde nichts fordern was nicht auch sein gutes Recht war. Also tasteten sich die Lippen Elories zunächst behutsam an der dünnen, empfindsamen Haut entlang und fanden bereits jetzt schon den Geschmack dessen, was später auf sie zukommen mochte.

Salzig wie eine Träne kam es ihr vor. Nichts was die junge Schönheit nicht schon einmal gekostet hatte. Die Träne. Er drängte sich ihr schließlich weiter entgegen und das Mädchen verstand was er wollte. Genauso behutsam wie zuvor öffnete sie schließlich den Mund und ließ ihn eindringen. Stück für Stück musste sich ihre Zunge an das fremde Fleisch gewöhnen, ebenso wie ihre Lippen, die sich nach und nach weiter öffneten. Ob es ihm bereits genügte in der warmen, feuchten Höhle zu bleiben? Hatte er nur soviel gewollt? Sein junges Weib zeigte ihm auch hier wieder ihren unverdorbenen Charakter, während Lady Edith gewusst hätte was zu tun gewesen wäre. Ihre Hände würden nicht an einem seiner Schenkel bleiben, sondern hätten sich bereits aufgeteilt. Doch die einstige Unschuld kniete weiter vor ihm, auch wenn sie begann mit der Zunge weiterzutasten, als sei dies nur ein weiterer, mehr als inniger Kuss zwischen ihr und dem Barbaren.

Kassander setzte seinen Willen weiterhin durch, ohne diesen seinem Weib tatsächlich aufzudrängen. Er zwang sie nicht, doch sollte Elorie bald schon in Erfahrung bringen wie sehr es ihrem Mann gefiel mit dem erregten Glied zwischen ihre Lippen zu tauchen. Ein dunkles, leidenschaftliches Knurren entkam seiner Kehle, als sich der Griff in ihrem Haar lockerte; als er sich seinen Weg in ihren Mundraum aus eigener Kraft eroberte, ohne dabei tatsächlich übers Ziel hinauszuschießen. Der Schlächter nahm nicht mehr, als es seine Gattin bis hierhin zu geben vermochte. Würde das aber immer so sein? Was, wenn die Stunde kam, in der der Mann vor dem sie kniete die eigene Gier über jene der Unschuldigen stellte? Sie würde kommen. Beide wussten das und beiden war gewahr, dass er sich selbst dann nicht mehr zu nehmen gedachte, als er selbst geben wollte. Sie hatte ihn in der Hand und er bewies ihr das mit einer Selbstverständlichkeit, die der Königssohn wohl nicht jedem Weib so leichtfertig zugestehen würde.

Bedachtsam schob er das Becken vor, sodass seine Härte noch tiefer zwischen ihr feingeschwungenes Lippenpaar drang. Keine egoistischen Stöße, die es ihm erlaubt hätten die Grenze ihres Rachens zu durchdringen – lediglich ein Aufweisen der ungezählten Möglichkeiten, welche es dem Mädchen eines Tages erlauben sollten Königin und Hure zu gleichen Teilen zu sein. Nicht mehr und nicht weniger versprach sich ein triebhafter Eisländer von einer guten Ehe. Nicht mehr und nicht weniger bedurfte es, um den eigenen Gatten von etwaigen Dirnen fernzuhalten, wo man ebendiese doch augenscheinlich dann aufsuchte, bekam man von der besseren Hälfte nicht das, wonach sich die Sinne unabdingbar sehnten.

Was sie tat schien ihm zu gefallen, obwohl mehr Kassander die Führung übernahm und wer konnte es ihm verdenken? Wollte er einmal eine Frau mit den Zungenfertigkeiten einer Hure sein Eigen nennen, dann musste er sie selbst in die gewünschte Richtung lenken. Von nichts kam nichts sagte man doch. Das Mädchen schien ihrem Mann jedoch regelrecht gewissenhaft ebenjene Freuden zu schenken, welche er ihr auch gegeben hatte, und somit fühlte der Barbar weder ein Zurückziehen ihres Kopfes noch ein angewidertes Verziehen ihrer Lippen. So oder so war dies nicht möglich, denn er war groß genug sie auszufüllen und mehr....Elorie tastete mit der Zunge so gut wie möglich, erst dann als sein weiches Zustoßen ihr die Möglichkeit nahm, musste sie davon ablassen. Das Gefühl seiner Härte in ihrem Mund war eigenartig, hätte sie beschämen sollen, doch vielleicht war Wein und Lust ebenjene Mischung, die ihnen Beiden zum Vorteil gereichte.

Er entzog sich ihr, nur um seine pulsierende Erregung dann ein klein wenig inbrünstiger in die warme Höhle ihres Mundes gleiten zu lassen – eine Tat, die mit dem sanften Handrücken, wie er dabei über ihre Wange strich, minimal im Missklang stand. Zu wenig, um ihren Mut im Keim zu ersticken, zu viel, um ihre Bewusstseinsfronten kein weiteres Mal zu seinen Gunsten verschoben zu haben. Ein Versuch, nicht mehr und nicht weniger, ehe er die liebliche Adelsdame aus der auferlegten Demutshaltung befreite. Elorie würde darüber reflektieren müssen, um eines Tages vielleicht die richtigen Schlüsse daraus ziehen zu können. Bis dahin half er ihr zurück auf die Beine, küsste jenen Mund, der ihm für die Dauer viel zu weniger Herzschläge wohlgesonnene Wonnen verschafft hatte, und stemmte sie hernach ohne Schwierigkeiten hoch.

Nicht lange und sie fand sich auf den Fellen wieder. Nicht lange und sie spürte das Gewicht ihres Mannes auf sich, während er den Nektar ihrer eigenen Lust schamlos ausnutzte und unverhofft stürmisch in ihre feuchte Enge drang. Es war dem Barbaren nicht länger danach die Leidenschaft unnötig in die Länge zu ziehen. Viel mehr stand es in seinem Sinn, sein Weib nach der Manier eines Nordmannes zu pfählen und genauso hielt er es auch.

Wieder erntete er dafür ein Lachen und kurze Zeit später ein spitzes Aufstöhnen, als er sich zwischen ihre Schenkel zwängte und so brachial wie besitzergreifend in sie eindrang. Er gab ihr kaum Luft zum Atmen, sorgte dafür, dass ihre Wangen glühten, doch um die junge Frau wieder zu einem Höhepunkt zu bringen sollte es nicht reichen. Es war diesmal der Barbar, welcher als Erster siegreich aus der sündigen Schlacht hervorgehen sollte. Dem adligen Rotfuchs blieb nichts Anderes übrig, als es mit schnell gehenden Atem, schnell gehendem Brustkorb und unbefriedigter Hitze im Körper hinzunehmen. Dennoch schlangen sich beide Arme um seinen Hals und dennoch dirigierte ihn das Mädchen zu einem neuen, innigen Kuss und presste die Innenseite ihrer Schenkel etwas fester an seine Hüften. Offenbar war die trunkene Prinzessin noch nicht so weit ihn gehen zu lassen.

"Wolf...", raunte das Mädchen nahe seiner Lippen und wagte es, ihm sogar leicht in die Untere zu beißen. Als wolle sie ihn dafür strafen, dass er ihre Lust heute so unerfüllt ließ. Wie sehr mochte der Norden Elorie noch verändern?

 

Wylla ahnte in ihrem Zelt nichts von dem Glück, welches ihrer Cousine durch einen wildfremden Mann widerfahren war. Sie selbst begnügte sich damit den Falken zu kraulen. Trotz ihrer Worte erschien der Seher nicht und Wylla ertappte sich zweimal dabei zum Zelteingang zu blicken, als könne der Mann dort bereits ohne ihr Wissen eingetreten sein. Dass er sie hörte, schien die Frau demnach nicht zu wissen. Und noch weniger wusste die Blonde, wie sehr sie ihm wohl vor den Kopf gestoßen haben mochte. Ob er wirklich glaubte, dass gar keine Hoffnung mehr bestand? Wylla legte ihre andere Hand auf den Boden, dem Tier andeutend, dass es sich dort setzen konnte. Es wäre ihr eine Freude, könnte sie den Falken ebenso auf der Schulter sitzen haben wie Fhean. So behutsam wie möglich würde die Blonde dabei vorgehen, den Vogel mehr und mehr in die richtige Richtung drängen, hoffend dass es klappte.

Bile sollte sich indes wohl nicht als begnadeter Flugkünstler, jedoch als intelligentes Federvieh herausstellen können. Er verstand was von ihm verlangt war, hob die krallenbewährten Füße behutsam an und stieg unter dem einen oder anderen erpichten Krächzen auf die Hand der weizenblonden Adelsdame. Insbesondere der Vorschlag, zurück zu Fhean getragen zu werden, fand seinen Zuspruch. Nur fraglich, ob er die Schönheit tatsächlich verstanden hatte, oder ob ihm der Umstand, getragen zu werden, schlichtweg ganz im Allgemeinen zusagte. Ob so oder so, der Falke wirkte zufrieden mit sich und im Einklang mit einer Welt, die es mit seinem unter gekrümmten Bäumen ins leere starrenden Besitzer häufig nicht besonders gut gemeint hat.

"Dein Herr ist ein seltsamer Mann", begann Wylla wieder auf das Tier einzureden, auch wenn Bile gewiss nichts verstand. "Ich habe gehört, was ihm widerfahren ist. Die Jahre in Dunkelheit, so etwas sollte niemand erleben müssen. Denkst Du, ich bin zu hart zu ihm gewesen?" Natürlich würde der Falke nicht antworten, aber die Baroness war allein und wer sollte schon mitbekommen, dass sie sich mit dem Tier unterhielt? Elren hätte dem schönen Vogel längst einen Pfeil durchs Herz gejagt, ein Gedanke, den sie voll und ganz verabscheute. Da das Tier mittlerweile auf ihrer Hand Platz genommen hatte, probierte die Blonde vorsichtig mit ihm aufzustehen und ein Gefühl dafür zu kriegen, wie es war, wenn man einen tierischen Begleiter mit sich trug. "Ich denke, wir sollten dich zurück zu deinem Herrn bringen, nicht wahr?"

Den Zuspruch des Tieres schien sie auch als Solchen verstanden zu haben und balancierte den Falken auf ihrer Hand aus dem Zelt hinaus. Noch half der stehende Mond den Weg zum Platz des Sehers zu bescheinen und glücklicherweise hatte der Mann auch ein Feuer entfacht, sodass Wylla nicht stolperte und Bile unversehrt zu ihm gelangen konnte.

"Euer Freund hat Euch vermisst", begrüßte die Blonde den Blinden, kam näher und legte ihre Hand an die Schulter Fheans, auf dass der Vogel übertreten konnte. Im Schein des Feuers wirkten Wyllas Verletzungen einen Deut schlimmer als sie waren, denn die Flammen warfen Schatten wo keine hingehörten. Aber es schien der jungen Frau dennoch gut zu gehen.

"Warum sitzt Ihr hier, wo doch alle am Feuer sind? Ich hoffe, dass Ihr Euch nicht wegen meiner Worte dazu verpflichtet fühlt." Die Stimme der Baroness hatte nichts von ihrem angenehmen Klang eingebüßt und ihre Erlebnisse nichts von ihrer Freundlichkeit. "Warum kommt Ihr nicht mit mir, Fhean? Habt Ihr nicht genug Einsamkeit ertragen? Boron hat es erzählt...", fügte sie noch hinzu, denn der Seher sollte wissen, was sie wusste. "Oder fallt Ihr dem Glauben anheim, Euch auch weiterhin für die Sünden eurer Mutter bestrafen zu müssen?"

Es überraschte den Seher indes keinesfalls, dass sein Schicksal Erwähnung gefunden hat. Ein jeder, der sein Leben im ewigwährenden Eis fristete, kannte die Geschichte des zum Tode geweihten Säuglings, der für die Sünden seiner Mutter büßte und dadurch zum Mann geworden ist. Fhean mutete dadurch noch inniger nach einer Laune der Natur an, während sich so manches Nordweib des Nachts danach sehnte ebendiese Frau zu sein, die ihm dabei geholfen hat nichts von seinem Verstand einzubüßen. Er liebte, mit Leib und Seele, und obschon der Barbar lange zu vergessen versucht hat, war es ihm unter seinesgleichen nie gelungen mehr denn lose Liebschaften zu pflegen.

„Die Einsamkeit ist nicht unser Feind, Lady Wylla.“, verklang das raue Bariton des Wargen, während Bile mit einem ungeschickten Hopser von der Hand der Weizenblonden hüpfte und sich dann von der breiten Schulter seines Weggefährten abstieß, um in die Dunkelheit aufzusteigen. Seine Arbeit war getan und obschon es nun umso mehr so anmutete, als wäre er von seinem Freund als Schicksalsbote missbraucht worden, war dem nicht so. „Weshalb sie uns so sehr das Fürchten lehrt, ist einfach erklärt: Wir mögen es oftmals nicht durch ihr Zutun dazu gezwungen zu sein den eigenen Gedanken zu lauschen. Möglicherweise, da die innere Flüsterstimme des Lügens nicht fähig ist.“

Seine Hand legte sich auf die ihre, umschloss sie, sofern diese noch immer auf seiner Schulter ruhte. „Setzt Euch zu mir. Das Feuer reicht aus, um uns beide zu wärmen.“ Offenbar war Fhean nicht willens mit ihr zu gehen, gleichfalls aber auch nicht, sie fortzuschicken.

"Wenn man Euch sprechen hört, dann kommt man sich unendlich dumm vor wo man sich für weise hielt", entgegnete die Blonde mit einem sanften Lächeln und betrachtete den Seher aus nächster Nähe. Fhean hatte durchaus etwas Anziehendes an sich, was die Frage aufwarf, weswegen der Mann hier so einsam wohnte. Natürlich konnte es sein, dass sie sich täuschte, dass er öfter Besuch bekam als Wylla ahnte, doch irgendetwas sagte der jungen Frau, dass dem nicht so war. Sie würde ihn nicht fragen, auch deswegen nicht weil er ihr gegenüber von Liebe gesprochen hatte. Die Worte lagen auch jetzt noch in Wyllas Gedanken, doch ihr Verstand war unfähig diese auf irgendeine Art und Weise zu verarbeiten, mit der die Blonde umgehen konnte. Die Zeit war einfach noch nicht reif genug. Der Berührung ihrer Hand folgte Wylla mit Blicken, ließ seine Tat einen Moment zu und entzog sich der Seinen dann behutsam. Sie wollte den Seher nicht kränken, vielleicht setzte sie sich auch deswegen neben ihn auf den Stamm.

„Ich muss Euch um Verzeihung bitten, Mylady, doch sät es Zwiespalt in mir. Womöglich wäre ich damit nicht ehrlich, weder zu Euch noch zu mir selbst.“, fügte der Seher an, nachdem sich der eingeladene Gast tatsächlich die Zeit nahm und sich neben setzte. „Nichtsdestotrotz lag es nicht an mir, den Euren Willen mit dem meinigen zu stürzen.“ Ob seine Aussage bei ihrer Entscheidung, Elren ziehen zu lassen, überhaupt Gewicht besessen hat? „Nicht vieles, was den Sehern von den Göttern berichtet wird, ist für weltliche Ohren bestimmt. Wir sind zum Schweigen verdammt, doch brach ich mein Schweigen zu meinem eigenen Wohl. Das war ein Fehler.“

"Ich denke Ihr habt nichts Falsches getan. Eure Götter haben Euch in eurem Leben bereits viel abverlangt, wer könnte Euch daher zürnen, wenn Ihr einmal an Euer eigenes Wohl denkt?" Sie schien ihm zu verzeihen, denn das Schicksal des Mannes hatte die Adelige tatsächlich berührt. Was waren das für grausame Rituale? Er hatte das Licht der Welt in ihren Augen unschuldig betreten und wurde sofort einer furchtbaren Prüfung unterworfen, welche Götter erlaubten dies?

"Ihr wart da, als ich Hilfe benötigte." So schien die Baroness es stehen lassen zu wollen und senkte den Blick von seinem Antlitz einen Moment in die Flammen. "Ihr könnt durch die Augen von Vögeln sehen?" Erkundigte Wylla sich dann, offenbar bereit ein längeres Gespräch zu führen. Warum auch nicht? Elorie war beschäftigt...

"Dann muss ich also besser aufpassen, sobald Bile in meiner Nähe auftaucht?" Ein kleiner, versuchter Scherz um den Seher aus seiner Reserve zu locken. Wylla war danach, sich angeregter zu unterhalten, so konnte sie vielleicht auch schlauer aus dem ungewöhnlichen Mann werden.

Fhean lachte. Dunkel und kreidig, doch keinesfalls unangenehm. Lag in diesem Laut nicht sogar etwas Wissendes? Peinliche Berührtheit und Frivolität zu gleichen Teile? In dieser Sache war er der zierlichen Schönheit vermutlich eben auch schon zwei gute Schritte voraus, was an dieser Stelle aber keine Erwähnung finden sollte. Ohnehin schwante dem Seher Ungutes, würde er Lady Wylla offen darlegen wie viel der Intimität er in den dunkelsten aller Stunden bereits mit ihr geteilt hat.

„Durch die Augen eines jeden Tieres.“, wurde der Weizenblonden stattdessen anhand offener Ehrlichkeit geantwortet. „Die Vögel sind mir allerdings gewogener, denn die Füchse oder Wölfe… möglicherweise, da ich sie für ihre Flugkunst stets bewundert habe.“ Es schien ihm ein Leichtes zu sein, die Thematik rund um das, was die Götter an vorgeebneten Wegen preisgegeben haben, hinfort zu lenken. Wylla kannte ihn nicht, er sie allerdings schon fast ihr ganzes Leben lang. War er es ihr daher nicht ein kleines bisschen schuldig für Fairness zu sorgen?

„Als mir Bile zum ersten Mal begegnet ist, habe ich oft Stunden damit zugebracht die Welt aus den Wolken herab zu bestaunen.“, fügte Fhean an, während er seinen Blick aus grünen Iriden in Wyllas Richtung lenkte und dennoch dazu verdammt war minimal an ihr vorbeizusehen. „Es mochte über meinen Verstand gehen, wie groß es war – dieses Midgard, von dem ich fünfundzwanzig Jahreszyklen der festen Überzeugung erlegen bin, es würde jenseits des Eises enden.“ Kurze Pause, wobei sich eine gewisse Selbstironie in seine markanten Gesichtszüge stahl. „Ich will ehrlich zu Euch sein, Mylady: Als wir die Heimat hinter uns ließen, um König Roland zum ersten Mal ins grüne Land zu folgen, rechneten Teile meiner selbst beim Überqueren des Meeres noch immer ein kleines bisschen damit auf hoher See von der Welt zu fallen.“

Impressum

Texte: Elorie & Kassander Odinson
Bildmaterialien: -
Cover: Kassander Odinson
Lektorat: -
Übersetzung: -
Satz: -
Tag der Veröffentlichung: 21.12.2019

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Ein grosses danke an Elorie! Ohne sie wäre mein Leben nur halb so abenteuerlich;)

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