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Penalty!

„Olli! Mach das Ding rein!“, brüllte ich meinem großen Bruder zu. Die Leute um mich herum starrten mich an. Er holte aus und schoss den Puck aufs Tor. Der Torhüter der gegnerischen Mannschaft warf sich geradezu auf das Eis, um den Penalty, der das Spiel nun entscheiden würde, zu verhindern. Die letzten Sekunden verstrichen. Der Puck schlitterte beinahe ungehindert ins Tor. In diesem Moment war es, als würde alles wie in Zeitlupe ablaufen. Sämtliche Fans um mich herum starrten erst ungläubig aufs Eis, bevor sie voller Freude in die Luft sprangen und haltlos jubelten. Ich stand still da und beobachtete meinen Bruder und seine Teamkameraden, die sich triumphierend abklatschten, während so schien, als würde für die Gegner eine Welt zusammenbrechen.
Wir hatten das vierte Finalspiel der Playoffs nun mehr als erfolgreich hinter uns gebracht und nun stand nur noch das ewig lang ersehnte letzte Finalspiel an, bevor wir möglicherweise in die nächsthöhere Liga aufsteigen würden. Ich schob den Ärmel meines Fantrikots nach oben und wischte mir mit dem Handrücken über die Stirn. Immerhin war es schon Mitte April und ich musste unter meinem Trikot noch immer diesen verdammten Pulli tragen, damit niemand darunter schauen konnte. Außerdem war es inmitten von 4500 begeisterten Fans auch nicht gerade kühl.

   Der Torjubel war schon bald beendet und nachdem das Team seinen Freudentanz auf dem Eis aufgeführt hatte, pilgerten die meisten Fans nach Hause, um ihre Erlebnisse mit Hilfe von Blogs und sozialen Netzwerken mit der Welt zu teilen. Einige Hoffnungsvolle warteten, genau wie ich, geduldig vor der Spielerumkleide, um noch ein Autogramm oder Foto von ihrem großen Idol zu ergattern. Größtenteils waren das kreischende Mädchen, die ich auf ungefähr fünfzehn bis sechzehn Jahre schätzte. Anders als sie wollte ich aber weder ein Autogramm noch ein Foto, sondern lediglich meinen Bruder abholen. Das konnte allerdings noch etwas dauern, da er noch duschen musste. Sonst stank er nämlich wie ein mit Mist beschmiertes Schwein in der Sauna. Das war nach solchen Spielen aber völlig normal. Unser Vater, der im Stadion arbeitete, nannte die Umkleide der Spieler meist nur den „Schweinestall“, weil manche von denen wohl nicht dazu fähig waren, zu lüften und es deshalb anscheinend immer entsprechend stank.
Ich distanzierte mich inzwischen von der Meute von Fangirlies und lehnte mich an die Bande an der Eisfläche. Dort würde Oliver mich gut sehen und ich musste mich nicht durch den Pulk von Teenagern um ihn herum kämpfen.
Dieser bildete sich nämlich sogleich, als er aus der Kabine trat. Zu seinem Leidwesen hasste er das wie die Pest. Im Gegensatz zu einigen seiner Mannschaftskameraden, die es mehr als genossen, dermaßen umschwärmt zu werden. Ich konnte wirklich von Glück reden, dass mein Bruder nicht so drauf war.

   Ein Mädchen, das ungefähr in meinem Alter sein musste, stellte sich neben mich. Ich kannte sie nicht, also war sie im Moment auch nicht weiter interessant für mich.
„Na, wartest du auf wen?“, fragte sie mit einer glockenhellen Stimme. Ich stempelte sie automatisch als Tussi ab. Natürlich war das nicht okay, da ich sie ja überhaupt nicht kannte, aber arschlange, glänzende, wasserstoffblonde Haare (mit braunen Ansätzen) und High Heels zu knallengen Jeans sprachen für gewöhnlich für sich selbst. Dazu kam dann auch noch die winzige Designerhandtasche, die an ihrem zierlichen Unterärmchen baumelte. Nebenbei tippte sie wie eine Bekloppte auf ihr ach so tolles iPhone ein.
„Ja. Du auch?“, fragte ich aus reiner Höflichkeit nach, obwohl es mich eigentlich nicht interessierte.
„Jo, ich warte auf einen Freund von mir. Und für wen stehst du dir hier die Beine in den Bauch?“, harkte sie zwinkernd nach.
„Für den Deppen da hinten“, antwortete ich und deutete auf Oliver. Sie sah mich entgeistert an.
„Wie kannst du nur so über deinen Freund reden?“, meinte sie abwertend auf mich herabschauend. Na ja, sprichwörtlich gesehen. Eigentlich war ich größer als sie. Trotz ihren High Heels. Sie brachte mich damit unweigerlich zum Lachen.
„Die Freundin von Olli? Nee danke, du. Er ist mein großer Bruder und ich muss ihn nach Hause kutschieren“, erklärte ich lachend, nachdem sie mich verwirrt angeschaut hatte. Eigentlich hatte ich immer gedacht, dass Olli und ich uns ziemlich ähnlich sahen und man daher davon ausgehen konnte, dass wir Geschwister waren, aber dem war wohl doch nicht so.
„Ach so? Verstehst du dich denn nicht gut mit ihm?“, fragte sie ungehalten weiter. Olli war hingegen noch immer damit beschäftigt, seine Fans irgendwie abzufertigen. Tja, das war eben der Fluch der Sportler...
„Doch schon. Ich hab nur keine Lust, seinen Chauffeur zu spielen. Auf wen wartest du denn?“, fragte ich, um das Thema wenigstens ansatzweise zu wechseln.
„Auf Sven Neumann“, gab sie mir die Antwort auf meine Frage. Svens Namen betonte sie besonders stark. Irgendwie klang sie dabei schon sehr stolz. Ich grinste.
„Ich bin übrigens Marina“, stellte sie sich vor und streckte mir ihre Hand hin. Ich griff danach und schüttelte sie, wobei ich mich aber fragte, ob diese Geste nicht doch etwas förmlich für zwei Mädchen um die zwanzig war.
„Ich bin Christin“, stellte ich mich nun auch vor und lächelte.

   „Hey“, wurden wir von Olli und Sven gleichzeitig begrüßt. Sie standen mir und Marina direkt gegenüber. Auch wenn ich Sven dank meinem Bruder nun schon seit einigen Jahren kannte, konnte ich es nicht lassen, ihn genauer zu betrachten.
Wie immer waren seine kurzen dunkelblonden Haare perfekt gestylt, sprich nach oben gegelt. Nur im Nacken standen sie etwas ab. Seine dunkelblauen, vielleicht etwas zu klein geratenen Augen bildeten einen netten Kontrast dazu, da sie im Licht der Neonröhre an der locker zehn Meter hohen Decke etwas funkelten. Sein Gesicht war wie immer an einigen Stellen gerötet, wurde aber durch sein typisches schiefes Grinsen deutlich verschönert. Nur Svens Nase passte nicht ins Bild, da der Nasenrücken ziemlich breit war. Im Gegensatz zu sonst trug er heute keinen Drei-Tage-Bart, sondern war glatt rasiert. Das stand ihm wesentlich besser. Mit seinem (sogenannten) Bart sah er nämlich nur aus, wie ein pubertierender Achtklässler, der mit seinem beginnenden Bartwuchs angeben wollte.

   Glücklicherweise dauerte so ein „Scan“, wie ich ihn gern nannte, nicht länger als zwei oder drei Sekunden, sodass es auch gar nicht weiter auffiel. Nicht dass jetzt jemand auf die Idee kam - schon gar nicht er selbst -, dass ich in ihn verknallt sein könnte, was ich selbstverständlich auch nicht war. Allerdings verbreiteten sich solche Gerüchte wie ein Lauffeuer und wurden mit der Zeit natürlich auch immer wieder von irgendwelchen Pennern so ausgeweitet, dass man nicht mehr nur angeblich auf jemanden stand, sondern ihn demnächst auch gleich noch heiraten würde. Da hatte ich echt keine Lust drauf, geschweige denn darauf, mich von den Blicken der Fangirlies erdolchen lassen zu müssen.
„Na dann bis morgen, Olli. Ciao, Chrissy“, verabschiedete Sven sich und zog mit Marina davon. Ich hatte doch jetzt nicht wirklich das ganze Gespräch verpennt, oder? Anscheinend doch, denn mein Bruder grinste mich an, als ob er genau wüsste, an was ich gedacht hatte. Was er natürlich nicht wusste, da er wohl wieder was völlig anderes dachte, dass ich gedacht haben sollte.

   Als Sven und Marina außer Sichtweite waren, wendete ich mich an meinen Bruder.
„Geh'n wir dann auch, Bruderherz?“ Olli grinste.
„Natürlich, Schwesterchen“, lautete seine Antwort. Gemeinsam schlenderten wir zum Parkplatz, wo ich mein neu erworbenes Auto abgestellt hatte. Vor einigen Wochen hatte ich meinen Führerschein bestanden und hatte mir gleich darauf von meinem Ersparten einen gebrauchten, silbernen BMW gekauft. Allerdings hatte ich das Auto verdammt billig bekommen, da schon einige tiefe Kratzer im Lack waren und es extreme Probleme mit den Bremsen gab. Ein Studienkollege meines Bruders hatte die Bremsen aber wieder reparieren können und die Kratzer im Lack waren jetzt auch nicht so dramatisch gewesen, sodass er auch die wieder hinbekommen hatte.
Der BMW war sozusagen mein ganzer Stolz, auch wenn das von meinen Freunden kaum jemand nachvollziehen konnte. Gerade als ich einsteigen wollte, rief jemand von weitem meinen Namen. Ich drehte mich um und grinste. Sven rannte auf uns zu und war anscheinend ziemlich außer Atem.
„Was gibt’s denn?“, wollte ich wissen. Immerhin würde er uns ja nicht umsonst hinterherrennen. Das würde prinzipiell nicht in sein Image des „coolen“ Machotypen passen.
„Marinas Motorrad hat ‘ne Macke und sie muss jetzt wahrscheinlich noch ‘ne Stunde warten, bis der Pannendienst kommt. Da wollte ich fragen, ob du mich mitnehmen könntest. Ich habe Christoph versprochen, ihm heute Abend imPenaltyzu helfen.“
„Klar, kann ich machen. Steig ein“, antwortete ich und ließ mich auf den Fahrersitz fallen. Olli weigerte sich wie immer, sich anzuschnallen, aber daran war ich inzwischen gewöhnt, weshalb ich mich auch nicht weiter darüber aufregte. Sven rutschte auf den Sitz hinter Olli und half ihm, meine CDs zu durchstöbern, die dieser aus dem Handschuhfach gefischt hatte. Ich hingegen ließ den Motor an und fuhr vom Parkplatz. Schon ein paar hundert Meter weiter wurde mir eine CD in die Hand gedrückt, die ich einlegen sollte. Klar, jetzt wurde man schon nicht mal mehr gefragt.
Allerdings hatte ich Glück und es war die CD, die ich im letzten Jahr von meiner Mitbewohnerin Alina, auch Ally genannt, zum Geburtstag bekommen hatte. Darauf waren ausschließlich Lieder von einer meiner Lieblingsbands, ACDC.
Ich schob sie ein und das erste Lied ertönte. Ich grinste, während mein Bruder die Lautstärke deutlich hochdrehte. Er liebte eben „War Machine“. Wieder etwas, das wir gemeinsam hatten.
„Kannst du mich erst heimbringen? Sonst sauf ich nur wieder bis morgen früh“, rief Olli mir zu, da die Musik doch schon sehr laut war. Ich nickte nur und gab Gas. Immerhin waren hier 120 km/h erlaubt, warum sollte ich da mit 80 über die Straße schleichen?
Die Jungs begannen zusammen mit Brian Johnson zu grölen. In meinem Endorphinrausch ließ ich mich sogar dazu herab, den Refrain lauthals mitzusingen.


   Eine halbe Stunde später hatte ich meinen Bruder abgesetzt und war wieder auf dem Weg zurück in meine Heimatstadt. Sven saß inzwischen auf dem Beifahrersitz, wo vorher Olli gesessen hatte. Die Musik hatte er leiser gedreht und fummelte nebenher an seinem Handy herum. Übrigens ein ach so tolles iPhone. Ich hatte noch nie verstanden, was an diesen Mistdingern so toll war. Dieser ganze brandneue Technikkram interessierte mich sowieso nicht und hätte ich letzte Weihnachten nicht eines dieser Handys mit Touchscreen von meinem Vater bekommen, würde ich wahrscheinlich immer noch mit dem uralten Handy aus den Neunzigern rumlaufen, welches sogar noch eine Antenne hatte. Wie ich inzwischen herausgefunden hatte, konnte man die neumodischen Handys sogar als MP3-Player, Wecker oder Navigationsgerät missbrauchen, was ich im Übrigen total toll fand und auch jede Gelegenheit dazu nutzte. Wobei mir die klassische SMS-Funktion an diesem Ding doch noch am wichtigsten war. Allerdings hatte ich noch immer nicht kapiert, wie man mit diesem Ding Fotos oder gar Videos aufnehmen konnte, was ich sicher auch toll gefunden hätte.
„Danke nochmal fürs Mitnehmen. Hast du Lust, noch mit insPenaltyzu kommen?“
„Theoretisch schon, aber ich muss morgen früh raus, wegen der Arbeit“, antwortete ich, während ich an einer roten Ampel anhielt. Neben uns hielt gerade ein tiefschwarzes Cabrio, dessen weibliche Insassen gerade die Musik aufdrehten. Irgendein Lied von einer amerikanischen Boygroup drang mit geschätzten 120 Dezibel an mein Ohr. Die beiden Mädchen auf dem Rücksitz kreischten unaufhörlich und schütteten nebenbei noch irgendein alkoholhaltiges Zeug, schätzungsweise Whiskey, in sich hinein.
„Komm schon, bis Mitternacht geht’s doch, oder?“
„Meinetwegen“, gab ich es auf. „Aber Punkt zwölf bin ich weg.“ Sven grinste.
„Was arbeitest du denn, wenn es wichtiger ist, als mit deinen Helden zu feiern?“ Nein, dieser Typ war ja auch überhaupt nicht arrogant. Ich verdrehte die Augen und fuhr wieder an, um dann scharf nach rechts abzubiegen.
„Ich mach 'ne Ausbildung zur Physiotherapeutin“, antwortete ich. „Machst du neben dem Eishockey noch was?“
„Ja, ich mach eine Ausbildung zum Schreiner. Ist zwar nichts Besonderes, aber besser, als die ganze Zeit nur blöd rumzusitzen“, entgegnete er und sah dabei aus dem Fenster. Wir kannten uns inzwischen zwar lang genug, aber richtig unterhalten hatte ich mich schon ewig nicht mehr mit ihm.
An uns rauschten momentan nur einige Bäume und Felder vorbei. In der Ferne waren die Lichter der Autos auf der Autobahn zu erkennen. Dann widmete er sich wieder seinem Handy. Irgendwie hätte ich ihn in dem Moment sprichwörtlich erwürgen können. Was war an diesem verdammten Ding nur so toll, dass man es permanent in der Hand haben und wie ein Bekloppter auf das Display einhämmern musste?
„Stimmt auch wieder“, murmelte ich und versuchte, mich auf die Straße zu konzentrieren. Er schaltete sein Handy ab und verstaute es in seiner vorderen Hosentasche.
„Wo muss ich hier lang?“, fragte ich, als wir in Richtung Innenstadt fuhren.
„Ist nicht mehr weit. Die Nächste links, dann die Dritte rechts und ab da müsste es ausgeschildert sein“, erklärte Sven mir den Weg zur Stammkneipe des Teams. Dort bekamen sie nämlich meist eine Runde Bier aufs Haus, wenn sie ein Spiel gewonnen hatten. Außerdem gehörte sie einem mehr oder weniger berühmten ehemaligen Spieler der Mannschaft, der aber schon seit mindestens zwei oder drei Jahrzehnten nicht mehr aktiv war.
Das wusste ich noch, weil ich früher oft mit meinem Ex-Freund, auch ein Eishockeyspieler, dort gewesen war. Seit damals hatte sich bestimmt nicht viel verändert. Na ja, das Team schon, denn es waren nur noch fünf Spieler geblieben (der Rest hatte nach und nach gewechselt, nachdem die Mannschaft den Aufstieg immer wieder knapp verpasst hatte oder besser gesagt in jeder Saison gegen den späteren Meister rausgeflogen war).

   Ich hatte Glück und konnte einen Parkplatz in der Nähe der Kneipe bekommen. Wo man auch hinsah war alles zugeparkt. Waren die nicht fähig, mit mehreren in einem Auto zu fahren?
Die Luft imPenaltyselbst war stickig wie eh und je, aber stimmungsmäßig hatte sich in den letzten drei Jahren rein gar nichts verändert. Es war gerammelt voll, die Jungs sangen Loblieder auf sich selbst („So seh'n Sieger aus!“, „Die Nummer eins, die Nummer eins im Land sind wir!“, „Spitzenreiter, Spitzenreiter, HEY, HEY!“) und manche von ihnen führten sogar Freudentänze auf. Allein die Lautstärke war unglaublich. Zwar war es dort nicht ganz so laut wie die Musik der Mädels an der Ampel vorhin, aber leise war dennoch was anderes.
Sven mischte sich sofort unter seine Teamkameraden und sang lauthals mit ihnen. Schon nach wenigen Sekunden hatte ich ihn aus den Augen verloren. Jaja, von wegen, er will Christoph helfen… Mein Bruder war wohl der einzige, der keine Lust hatte, zu feiern, den anscheinend war das gesamte restliche Team hier. So wie ich Olli kannte, saß er daheim vor seiner Playstation und zockte, als gäbe es keinen Morgen.
Unschlüssig stand ich im Türrahmen, die Hände in den Taschen meiner Lieblingsjeans vergraben. Zu sagen, dass ich mir fehl am Platz vorkam, wäre wohl extrem untertrieben gewesen.
Jedoch grinste ich, als ich meinen Kumpel Matthew (genannt Matt) in der feiernden Meute entdeckte. Er sah mich ebenfalls und wies mir mit einem Handzeichen, dass ich zu ihm kommen sollte. Ich verdrehte die Augen und ging - zwangsweise einige Haken schlagend, da mir immer wieder jemand vor die Füße hüpfte - auf ihn zu. Selbst als ich noch gute zwei Meter von ihm entfernt war, breitete er schon die Arme aus. Das war mal wieder typisch für Matt, denn er wusste ganz genau, dass ich es mehr als alles andere hasste, umarmt zu werden.
Ich konnte aber nicht ausweichen und wurde direkt in seine Arme gezogen. Sachte klopfte ich ihm auf den Rücken, um ihm damit zu zeigen, dass er mich loslassen konnte.
Er verstand und ich durfte wieder selbstständig stehen.
„Hast dich ja gar nicht verändert, Kleines“, bemerkte er. Seit unserem gemeinsamen Fachabitur vor drei Jahren hatten wir uns nicht großartig gesehen und das, obwohl wir eigentlich die besten Freunde waren und ich so gut wie jedes Wochenende im Stadion war, um mir ein Spiel anzusehen. Ich glaube, wir hatten uns aus den Augen verloren, als er mit seiner damaligen Freundin zusammengekommen war. Mir war das ewige Rumgeknutsche der beiden irgendwann einfach zu sehr auf die Nerven gegangen.
„Du dich auch nicht, Großmaul“, antwortete ich ihm lachend und bekam eine Kopfnuss verpasst. Aus „Rache“ boxte ich ihm freundschaftlich gegen die Brust, was ihn mal wieder zum Grinsen brachte.
„Gewalttätig wie eh und je“, stellte er fest und drehte sich zur Theke, wo ihm der Typ dahinter gerade ein Bier hinstellte. Der war aber auch ein bekanntes Gesicht, denn auch mit ihm hatte ich mein Fachabitur gemacht. Es war Christoph, der Sohn des Besitzers der Kneipe. Ich hob die Hand, um ihn zu begrüßen und legte dann zwinkernd einen Finger auf die Lippen.
Heimlich nahm ich Anlauf und sprang auf Matts Rücken. Reflexartig klammerte ich mich mit den Beinen an ihm fest. Gleichzeitig stimmte ich in die Gesänge des restlichen Teams mit ein. Christoph lachte sich hinter der Theke einen ab, während Matt beleidigt die Arme vor der Brust verschränkte.

   So langsam hätte er doch wissen können, dass ich ein Talent dafür hatte, ihn zu ärgern, denn immerhin kannten wir uns nicht erst seit gestern. Von daher brauchte er sich auch nicht so anstellen. Anstatt deshalb abzuspringen, sang ich lieber lauthals mit:
„DERBYSIEGER, DERBYSIEGER! HEY, HEY!“
Ich hatte sogar einen High Five von einem der älteren und unter den Fans hoch angesehenen Spieler bekommen. Außerdem entdeckte ich den Mann meiner großen Schwester Franka an einem Tisch etwas weiter abseits. Auch er spielte leidenschaftlich gerne Eishockey und hatte heute einen legendären Save hinbekommen, sodass unsere Gegner dank ihm einen Penalty versiebten.
Ich glaube, das war der erste Freund meiner Schwester, den ich wirklich gut leiden konnte, aber das lag wahrscheinlich daran, dass wir beide regelrechte Freaks waren, was unseren Lieblingssport betraf. Nur mit dem kleinen (wer's glaubt!) Unterschied, dass Michael ein Lokalheld war und ich auf Schlittschuhen nur mit allergrößter Mühe zehn Meter geradeaus fahren konnte. Das hatte mich schon oft zum Gespött gemacht, und das leider vor allem bei Kursausflügen ins Eisstadion, wo meine damaligen Kurskameraden Christoph und Matt es sich natürlich nicht nehmen lassen konnten, mir einen dieser Pinguine mit Griffen am Schädel vor die Füße stellten. Ihr wisst schon, die Dinger, die man den Laufschülern im Alter von drei Jahren gab, damit sie sich nicht so leicht auf die Schnauze legten.

   Ich sprang von Matts Rücken und klopfte ihm auf die Schulter. Anschließend setzte ich mich an die Theke und ließ mir von Christoph eine Sprite geben. Alkohol war noch nie so ganz meins gewesen. Bier, Wein und Sekt fand ich beispielsweise toll, aber härtere Sachen mussten dann doch nicht unbedingt sein. Die einzige Ausnahme war Baileys, von dem ich dann auch mal mehr trinken konnte. Aber am liebsten war mir von den alkoholhaltigen Getränken immer noch Colabier.

   So verbrachte ich in etwa den Rest des Abends. Hin und wieder unterhielt ich mich zwar mit ein paar Leuten, aber Alles in Allem war es doch eher langweilig. Marina hatte ich den ganzen Abend über nicht gesehen, weshalb ich davon ausging, dass sie gar nicht erst aufgetaucht war.
Kurz vor zwölf machte ich mich dann auf die Suche nach Sven. Immerhin konnte ich ihn ja nicht einfach hier stehen lassen und ohne ihn fahren.
Im Flur wurde ich dann fündig. Allerdings war er nicht allein, sondern stand vor einem - sehr spärlich bekleideten – Mädchen und beugte sich zu ihr runter, um ihr die Zunge in den Hals zu stecken. Seine Hand lag dabei klischeehaft an ihrem prallen Hinterteil. Natürlich konnte sie es nicht lassen, ihre überaus großen Brüste an ihm zu reiben.
Nicht, dass ich eifersüchtig gewesen wäre oder so, aber dieses Bild war schlicht und ergreifend zum Kotzen.
„Sven, lass das Fangirl stehen und beweg deinen Hintern ins Auto, ich will verdammt nochmal heim!“, sagte ich deshalb und ging, ohne die beiden einen weiteren Blick zu würdigen, geradewegs zur Tür. Er ließ zwar von ihr ab, zog das aber ewig in die Länge. In den Türrahmen gelehnt betrachtete ich das „Pärchen“ und lachte mich innerlich über den geschockten Gesichtsausdruck des Mädchens kaputt.
„I-ist das deine Freundin?“, fragte sie mit leicht zitternder Stimme. Sven lächelte sanft.
„Nein, das ist nur eine Freundin“, antwortete er. „Es tut mir leid, aber ich muss los. Man sieht sich, Kleines.“
Beinahe fand ich es herzlos, wie er das Mädchen da stehen ließ und mir nach draußen folgte, aber ich hatte jetzt einfach keinen Nerv mehr, über so was nachzudenken. Mir war kalt, ich war müde und überhaupt hatte ich eigentlich keine Lust mehr, Sven jetzt auch noch nach Hause zu kutschieren. War ich der Depp vom Dienst, oder was? Aber eigentlich war ich ja auch selbst schuld daran.

   Sven schaute zu mir rüber und lächelte. Ich grinste kurz zurück. Geübt parkte ich aus und fuhr zurück in die Innenstadt. Sven hatte inzwischen das Radio aufgedreht und suchte verkrampft nach einem guten Sender. Überall lief nämlich immer nur dieselbe Pop-Technomusik.
„Wäre nett, wenn du mir sagen würdest, wo ich lang muss“, meinte ich, nachdem er nach endlos erscheinendem Suchen einen annehmbaren Sender gefunden hatte.
„Na klar“, antwortete er während er nachdenklich aus dem Fenster sah und gab mir eine Anweisung wie ich fahren musste.
„Kann ich dich mal was fragen?“, kam es nach einer recht bedrückenden Stille - wenn man das aufgedrehte Radio, in dem gerade Alice Coopers Poison lief, mal außer Acht ließ - vom Beifahrersitz.
„Hm? Klar, was gibt’s denn?“, harkte ich verwirrt nach.
„Hast du Lust, nächste Woche zum Finalspiel zu kommen?“ Genau wie auf der Hinfahrt hatte er sein Handy gezückt und tippte darauf herum. Ich war extrem genervt, versuchte aber, es mir nicht anmerken zu lassen.
„Im Prinzip schon, aber ich schätze, dass es bald keine Karten mehr gibt und in den nächsten Tagen habe ich auch keine Zeit, zur Geschäftsstelle zu gehen“, antwortete ich und bog nach rechts in eine Seitenstraße ein.
„Kein Problem, ich lass dir eine zurücklegen“, versprach er. Und widmete sich dann wieder seinem ach so tollen iPhone.
„Sag mal, was ist eigentlich so toll an diesem verdammten Ding?“, harkte ich entnervt nach und hielt Ausschau nach der nächsten Ausfahrt auf der linken Seite. Sven hingegen grinste nur und steckte sein iPhone dann in seine Brusttasche seiner olivgrünen Stoffjacke, die ihm im Übrigen verdammt gut stand.
„Gar nichts... Ich hab nur ein paar Nummern gelöscht.“
„Weißt du eigentlich, dass du ein totaler Weiberheld bist?“, meinte ich anklagend.
„Danke“, lautete seine schlichte Antwort. Mann, dieser Typ war echt unglaublich - im negativen Sinne, natürlich - ! Ein arroganter Weiberheld eben. Und so was war mit Olli befreundet? Ich konnte irgendwie nicht ganz glauben, dass mein Bruder Oliver - der am liebsten die ganze Zeit zocken würde und seine Fangirlies, von denen es übrigens mehr als genug gab, nicht mal eines Blickes würdigte - mit Sven befreundet sein konnte.
„Gott, manchmal regst du mich echt auf!“, murmelte ich vor mich hin und bog dann nach links in die lang ersehnte Ausfahrt ab. Sven kramte inzwischen in seinen Jackentaschen. So langsam wurde er etwas nervös, auch wenn ich mich fragte, warum das so war. Hektisch durchsuchte er auch die Taschen seiner verwaschenen Jeans.
„Alles okay bei dir?“, fragte ich nach, doch ich bekam keine Antwort. Stattdessen fluchte er leise vor sich hin.
„Kann ich heute bei dir schlafen?“, fragte er, nachdem er sich in den Sitz zurückfallen gelassen hatte.
„Hä... Wieso?“, erklang meine mehr als intelligente Antwort.
„Ich hab meinen Schlüssel verloren“, kam es von ihm zurück. Ich seufzte.
„Klar kannst du“, antwortete ich, fischte mein Handy aus meiner Jackentasche und reichte es ihm. „Ruf mal bitte Alina an und sag ihr, dass sie die Couch beziehen soll.“
Er suchte im Telefonbuch nach der Nummer meiner Mitbewohnerin und langjährigen Freundin und hielt sich dann das kleine schwarze Gerät ans Ohr.
„Alina?“, fragte er in den Hörer. Nach einer kurzen Pause sprach er weiter.
„Ich bin Sven Neumann, ein Freund von Christin. Hör mal, ich hab meinen Hausschlüssel verloren und weiß nicht, wo ich diese Nacht bleiben soll. Wäre es okay für dich, wenn ich mich auf eurer Couch breitmache?“ Er hörte sich ihre Antwort an.
„Super, ich danke dir! Bis gleich dann“, verabschiedete er sich und beendete das Telefonat, bevor er mir das Handy wieder zurückgab. Anstatt mich aber anzusehen, starrte er weiterhin aus dem Fenster.
Kaum hörbar seufzte ich und konzentrierte mich wieder auf die Straße.

   „Ist deine Mitbewohnerin eigentlich auch so ein Fangirl?“, fragte er ein, oder vielleicht auch zwei Minuten später. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen.
„Alina? Ganz bestimmt nicht. Mit Eishockey kann sie nichts anfangen, also hat sie wahrscheinlich noch nie von dir gehört. Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen“, erklärte ich grinsend, da Alina früher wohl mehr als ein Fangirl gewesen war. Wie oft hatte ich sie nun schon dazu bewegen wollen, endlich mal wieder mit mir zum Eishockey zu gehen, aber nie hatte sie es auch nur in Erwägung gezogen. Aber leider konnte ich sie ja auch nicht dazu zwingen.
Sven lachte und ich stimmte augenblicklich mit ein. Er war bestimmt ein guter Freund, wenn man mal dieses arrogante Getue außen vor ließ.


   „Endlich“, seufzte ich, als ich aus dem Auto gestiegen war und neben Sven zur Haustür lief. Das Haus war in schlichtem weiß und das Dach in einem hellen Rotton gehalten. Die Wohnung, die ich mir mit Alina teilte, befand sich im ersten Stock und beinhaltete sogar einen urgemütlichen Balkon.
Etwas nervös schloss ich die Haustür auf und erklomm gefolgt von Sven die Treppe ins erste Stockwerk.

   Alina, die uns wohl gehört haben musste, stand grinsend und mit verschränkten Armen im Türrahmen. So wie ich sie kannte musterte sie Sven nun bis auf das kleinste Härchen. Womöglich zog sie ihn auch mit ihren Blicken aus. Ich hatte keine Ahnung und eigentlich war es mir auch egal. Alles, was ich wollte war Schlafen. Einfach nur noch schlafen. Allein bei dem Gedanken an mein warmes, gemütliches Bett geriet ich schon ins Schwärmen.
Im Gegensatz zu mir war Sven noch absolut fit (eigentlich total unlogisch, da er es doch war, der sich beim Spiel total verausgabt hatte, und nicht ich). Charmant begrüßte er meine beste Freundin und gab ihr breit lächelnd die Hand. Da ich absolut keine Lust hatte, mir seine Schleimerei anzusehen, quetschte ich mich an Alina vorbei in die Wohnung.
Vom Flur aus, konnte ich sehen, dass sie bereits die Couch für Sven bezogen hatte. Eins musste man ihr lassen: sie war mehr als fürsorglich. Na ja, vielleicht sah sie in ihm auch einfach einen potentiellen festen Freund.
Ally war da schon immer etwas... anders... gewesen. Auf unserem allerersten Eishockeyspiel (damals war ich 13, genauso wie Alina) bekam einer der Spieler eine Strafzeit von zwei Minuten. Wir standen damals so, dass man nur seinen Hinterkopf sehen konnte. Tja, und was machte Ally? Logisch: sie verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Er war ganze acht Jahre älter und sie hatte noch nie sein Gesicht gesehen.
Damals hatte sie eigentlich absolut kein Interesse am Eishockey. Der einzige Grund, aus dem sie mit mir ins Stadion gepilgert war, war dieser verdammte Spieler. Irgendwann war die Gelegenheit für sie gekommen, um ihn anzusprechen: eine Autogrammstunde. Die hatte sie sich natürlich nicht entgehen lassen und mich gezwungen, mitzukommen. So blöd wie Alina damals gewesen war, hatte sie ihn natürlich absolut schamlos nach einem Date fragen müssen. Ich habe neben ihr gestanden und war gerade dabei gewesen, mir meinen Fanschal von meinem damals größten Vorbild signieren. Als ich gehört hatte, wie sie ihn gefragt hatte, habe ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Mein großes Idol hat nur dämlich gegrinst und verfolgt, wie sein Teamkamerad auf dieses „Angebot“ reagierte. Der ist - natürlich - sichtlich überfordert gewesen. Unbeholfen hatte er in der Gegend herumgedruckst und wohl zwanghaft nach einer Ausrede gesucht.
Am Ende ist es darauf hinausgelaufen, dass ich meine beste Freundin mit dem gebrochenen Herzen nach Hause begleiten und tage-, nein wochenlang trösten durfte. Seitdem hatte sie sich nie wieder auch nur in die Nähe eines Eisstadions begeben.
Das meinte ich auch mit „sie war mehr als nur ein Fangirl gewesen“.

   Jedenfalls lag ich nur knapp eine Viertelstunde später mit T-Shirt und Boxershort im Bett und schlief wie ein Murmeltier. Mein mehr als verhasster Wecker war auf sechs Uhr früh gestellt, sodass ich auch ja pünktlich wach wurde.
Man ließ mich aber allerhöchstens eine Stunde schlafen. Denn nach ungefähr dieser Zeitspanne legte sich ein gewisser Idiot zu mir ins Bett. Natürlich stellte der sich so blöd an, dass ich sofort wach wurde und ihm am liebsten eine saftige Ohrfeige verpasst hätte, denn wer mich einmal weckte, hatte einen Feind auf Lebenszeit. Jedenfalls in der Theorie.
„Neumann!“, knurrte ich. „Wenn du nicht sofort verschwindest, wirst du deines Lebens nicht mehr froh!“
„Die Couch ist ungemütlich. Ich schlafe hier“, murmelte er und klaute mir mit diesem Worten meine Decke. Sofort begann ich zu frösteln.
„Rück' sofort die Decke raus!“, drohte ich und wuchtete mich auf die Knie. Mein Körper fühlte sich noch ziemlich taub an und verdammt schwindelig war mir auch.
„Nein!“, antwortete er schmatzend. Na warte, Neumann! Mit einem lauten Kampfschrei sprang ich auf ihn und versuchte, ihm irgendwie die Decke - MEINE Decke - zu entreißen. So als ob er eine lästige Fliege erschlagen wollte, fuchtelte er mit der Hand vor meinem Gesicht herum und wollte mich so wahrscheinlich abwehren. Bei einem meiner Ausweichversuche verlor ich das Gleichgewicht und fiel geradewegs aus dem Bett. Neumann grummelte, setzte sich auf und streckte mir eine Hand entgegen.
„Komm zu mir, dann bekommst du auch ein Stück von der Decke“, bot er mir großzügig an. Na ja, was soll's, dachte ich mir. Das war immerhin besser als gar nichts. Moment mal, was dachte ich da nur?! Das waren immerhin MEINE Wohnung, MEIN Zimmer, MEIN Bett und verdammt nochmal MEINE Decke! Wenn hier jemand großzügige Angebote machen durfte, dann ja wohl ich! Empört stand ich auf und stemmte die Hände in meine Hüfte. Gerade als ich den Mund aufmachen wollte, um ihn anzuschreien, dass er sich gefälligst zu benehmen hatte, wurde ich von ihm gepackt und nach unten gezogen.
Da lag ich nun, eingekeilt zwischen der Wand und Sven und umklammert von Svens Armen, damit ich mich nicht mehr wehren konnte (meine Beine hatte er übrigens mit seinen umschlungen, damit ich auch nicht nach ihm treten konnte).
„So Grizzly, jetzt hältst du brav die Klappe und schläfst, verstanden?“ Grizzly?! Der Typ hatte sie doch nicht mehr alle! Wie konnte er es nur wagen, mir so einen Spitznamen zu verpassen?! Na gut, Christin ... Chrissy ... Grizzly... Irgendwie nachvollziehbar. Aber trotzdem! Der würde das noch bereuen. Spätestens morgen früh würde er sein blaues Wunder erleben, aber jetzt genoss ich einfach die wärmende Bettdecke und driftete langsam aber sicher ins Land der Träume ab.

Sweet, sweet Revenge!

Der nächste Morgen begann für mich um sechs Uhr früh mit dem ätzenden Klingeln meines verhassten Weckers. Sven bemerkte das Klingeln nicht mal und schlief weiterhin wie ein Stein. Seufzend rüttelte ich an seiner Schulter. Keine Chance. Na dann eben anders, denn ich würde ihn auf keinen Fall mit Alina allein lassen. Wer weiß, was sie mit ihm anstellen würde…

Hundemüde tappte ich in die Küche und füllte ein Glas mit eiskaltem Wasser. Fies grinsend schlich ich zurück in mein Zimmer, das Wasserglas fest umschlossen in den Händen. Ein schadenfrohes Kichern konnte ich gerade so unterdrücken. Rache ist süß, mein Lieber!

Ich stellte das Glas auf dem winzigen Nachttisch neben meinem Bett ab und krabbelte auf das Bett und kniete mich über Sven. Der lag quer über die Matratze ausgestreckt auf dem Rücken und ließ einen Fuß von der Bettkante baumeln. Sein Schnarchen war ohrenbetäubend laut und ich begann mich zu fragen, wie ich das die ganze Nacht lang hatte ertragen können.

„Attacke!“, flüsterte ich kaum hörbar und griff mit vor Schadenfreude zitternden Fingern nach dem Wasserglas. Ich atmete nochmal durch und schüttete ihm das Wasser dann geradewegs ins Gesicht.
Er schrie und setzte sich ruckartig auf. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. Ich japste nach Luft und begann zu lachen. Sven fand es wohl nicht so witzig und starrte mich an, als hätte ich ihn soeben tief in seinem Stolz verletzt.

Das war eben das Problem mit diesen Sportlern. Sie hatten ein Ego so groß wie was weiß ich was und waren verdammt schnell beleidigt. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Irgendwie lag ich mit meiner Annahme, er wäre beleidigt, wohl doch falsch, denn er begann zu grinsen. Ich war mir absolut sicher, dass er gerade dabei war, eine Racheaktion zu planen, doch ich hatte keine Ahnung, was es denn sein könnte.

 

Jedenfalls saßen wir eine halbe Stunde später am Frühstückstisch und unterhielten uns. Ich war noch nie der Typ, der morgens viel essen konnte, weshalb ich eigentlich eher Sven dabei zusah, wie er das Brot verschlang, das Alina am Vortag besorgt hatte. Nebenbei trank ich meinen Orangensaft.

„Was hast du heute noch vor?“, kam es von Sven. Ich lächelte und sah aus dem Fenster, wo sich einer unserer Nachbarn gerade damit beschäftigte, seine zwanzig Jahre jüngere Freundin zu begrabschen. Ich hatte ich schon immer gefragt, was die von ihm wollte. Er war alt, behaart, mehr als fett und Geld, auf das sie scharf sein könnte, hatte er auch keins. Verkehrte Welt...

„Arbeiten und dann... keine Ahnung. Warum fragst du?“, harkte ich nach.

„Wir wollten heute Abend ins Schwimmbad. Lust mitzukommen?“

„Kommt ganz drauf an. Wer ist denn bitte „Wir“?“ Sven grinste.

„Woher wusste ich das jetzt nur? „Wir“ sind Ole, Matt, Christoph, Florian und ich“, erklärte er. „Ist das der Dame genehm?“

„Klar. Wann wollt ihr denn los?“ Hellauf begeistert war ich nicht - vor allem, da ich diesen Florian nicht kannte und Matt und Christoph, mal abgesehen von gestern, schon seit Ewigkeiten nicht gesehen hatte -, aber dennoch wollte ich mit. Gerade weil ich Schwimmen liebte und ich keine Gelegenheit dazu ausließ.

„Wahrscheinlich so gegen vier“, antwortete er nach kurzem Überlegen.

„Passt. Mach hinne, ich kann's mir nicht leisten, nochmal zu spät zu kommen!“, befahl ich und stand auf, um den Haustürschlüssel zu suchen, den ich mal wieder verlegt hatte.

Eine gute halbe Stunde später saß ich vor Sven auf Ollis Motorrad, das er bei uns in der Garage vor seiner Freundin versteckte, die allgemein viel zu besorgt um ihn war. Das Geräusch des Motors klang wie Musik in meinen Ohren. Auch wenn mein Bruder es mir strengstens verboten hatte, „klaute“ ich ihm ab und an sein Heiligtum in Form dieser Honda CBR 1000.

Als Sven seine Arme um meine Taille legte, fuhr ich los. Wie immer fuhr ich ohne Helm, genau wie mein Beifahrer. Es war einfach zu toll, wie der Wind meine Haare zerzauste. Sven war wohl ähnlich begeistert.

Als ich ihn vor seiner Wohnung absetzte, schaltete ich den Motor kurz ab, da Sven anscheinend etwas zu sagen hatte.

„Danke fürs mitnehmen“, bedankte er sich knapp. „Wegen heute Abend... du müsstest entweder alleine oder mit Christoph fahren.“

„Kein Ding. Es ist mir auch relativ egal, wie ich da hinkomme.“

„Warte mal“, meinte er und kramte nach seinem ach so tollen iPhone. „Ich geb dir seine Nummer. Kannst dich ja bei ihm melden, wenn du dich entschieden hast.“ Ich zog ebenfalls mein Handy aus der Tasche meiner pechschwarzen Motorradjacke, die ich im Übrigen liebte wie sonst was, weil sie so verdammt praktisch war, und speicherte Christophs Nummer ein.

„Wo hast du eigentlich deinen Schlüssel gefunden?“, fragte ich. Sven grinste verlegen.

„In meiner Hosentasche…“, antwortete er. Ich grinste.

„Du bist manchmal echt ein Riesendepp!“

„Jaja... Man sieht sich dann heute Abend“, verabschiedete er sich und drückte mich kurz, bevor er im Haus verschwand. Überrumpelt blieb ich auf dem Motorrad sitzen. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Hatte Neumann mich gerade wirklich...? Irgendwas stimmte mit dem Kerl wirklich nicht, wenn man bedachte, dass wir uns nicht mal wirklich kannten, sondern nur über meinen großen Bruder.


Nach der Arbeit fuhr ich direkt nach Hause und packte meine Tasche. Während meiner Mittagspause hatte ich Christoph angerufen und ihn gefragt, ob er mich mitnehmen könnte. Für ihn war es, wie sich herausstellte, okay und er meinte, er würde Punkt vier vor meiner Tür stehen. Inzwischen war es schon viertel vor vier und ich hatte beispielsweise immer noch das Poloshirt an, das ich während meiner Ausbildung quasi als Uniform tragen musste. Ich hasste dieses Ding, denn der viel zu enge Kragen kratzte wie Sau und die Ärmel waren auch zu eng. So schnell wie möglich zog ich mich um. In dunkelblauen Röhrenjeans, einem schwarzen T-Shirt mit der leuchtend türkisen Aufschrift „Hockeyis my life“ und schwarzen Chucks stand ich wenig später vor der Tür und wartete auf Christoph.

Als er endlich kam, staunte ich nicht schlecht. Soweit er mir das gestern Abend erzählt hatte, arbeitete er nur als Eishockeyprofi. Dabei verdiente man meinem Wissen nach hier in Deutschland doch gar nicht so gut - schon gar nicht in der Oberliga -, es sei denn man ist Topscorer oder einer der besten Spieler auf seiner Position in der gesamten Liga. Oder natürlich man spielt in der ach so tollen DEL (die konnte und kann ich übrigens noch tausendmal weniger leiden als diese kreischenden, alles knuddelnden und knutschenden Fangirlies auf 20-Zentimeter-Pfennigabsätzen).

Jedenfalls hielt ein anscheinend brandneuer schwarzer Skoda in der Einfahrt. Entgegen meiner Erwartungen stieg Christoph aus und grinste mich an.

„Mund zu, es zieht!“, begrüßte er mich. Ich klappte meinen Mund zu warf meine Tasche auf den Rücksitz, bevor ich einstieg.

„Anschnallen, Kleines“, meinte er, als wir auf der Straße waren. Gott, er benahm sich ja wie eine überbesorgte Mutter. Mutter... Tse! Die letzten Worte, die ich von meiner Mutter zu hören bekam, waren „Wenn du die Faust nicht mitten im Gesicht haben willst, geh!“. Das erste Mal, als sie das sagte, war ich gerade mal 14. Das letzte Mal war ich so um die 17 Jahre alt. Damals hatte ich gerade mein Fachabitur gemacht und mir eine eigene Wohnung gesucht, um endlich von ihr weg zu kommen. Ich betete noch heute, fast drei Jahre später, sie nicht mehr sehen zu müssen, weshalb ich Familien- und Weihnachtsfeiern mied, als bedeuteten sie den Tod für die gesamte Menschheit.

Jedenfalls schnallte ich mich an und bemerkte, wie Christoph immer und immer wieder nervös auf die Uhr sah.

„Alles okay?“, fragte ich vorsichtshalber nach. Er nickte nur.

„Ja. Wir sind nur spät dran“, meinte er und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

„Christobal... Glaub ja nicht, dass ich nicht weiß, dass irgendwas ist. Sag schon!“, forderte ich. Ich hatte ihn absichtlich „Christobal“ genannt, weil ich ganz genau wusste, wie sehr er das hasste.

„Nenn mich nicht so! Das machst du jetzt schon seit der zehnten Klasse. Du glaubst gar nicht, wie mich das ankotzt!“

„Doch, das weiß ich. Was glaubst du denn, warum ich das mache, hm?“, versuchte ich weiterhin, ihn zu provozieren (gelang mir zwar nicht, aber was soll's). „Und jetzt weich gefälligst nicht vom Thema ab!“

„Ach, halt die Klappe und steig aus!“, befahl er. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir bereits auf dem Parkplatz vorm Schwimmbad standen. Ich tat, was er sagte und wartete geduldig (wer's glaubt) darauf, dass er den Wagen abschloss und mit mir zum Eingang lief. Dort warteten schon die anderen. Christoph begrüßte Olli und die anderen mit einem lässigen Handschlag, während ich mir von meinem Bruder durch die Haare wuscheln lassen musste. Sven grinste und Matt drückte mich kurz. Der fünfte Kerl im Bunde reichte mir seine Hand und drückte so fest zu, dass ich glaubte, meine Hand nie wieder bewegen zu können. Kraft hatte der ja schon mal, das musste man ihm lassen.

Jedenfalls kam er mir ziemlich bekannt vor. Logisch, bestimmt hatte ich ihn schon mal gesehen. Immerhin spielte er im selben Team wie mein Bruder und ich verbrachte sowieso fast alle meine Wochenenden im Stadion, was ich auch für nichts in der Welt aufgeben wollte.

„Hi, ich bin Flo“, stellte er sich vor und wendete sich dann an seine vier Teamkollegen hinter ihm. „Hätte mir vielleicht mal wer sagen können, dass noch jemand mitkommt?“

„Klappe, Flo“, lautete die einstimmige Antwort der Jungs und Gelächter folgte. Florian murrte und ich kam mir, mal wieder, verdammt fehl am Platz vor.

Jedenfalls gingen wir dann rein und machten aus, wo wir uns nach dem Umziehen treffen würden. Anschließend trennten sich unsere Wege und ich ging allein zur Damenumkleide. Nur sehr wenige Kabinen waren besetzt. Viel los war hier wohl nicht...

Nach dem Umziehen und dem anschließenden Duschen trat ich in die Schwimmhalle. Ich war schon immer gern hier gewesen. Ein Innen- sowie ein Außenbecken, ein abgetrenntes Kinderbecken, eine lange Rutsche und sogar Whirlpools gab es hier. Was konnte man schon mehr verlangen?

Suchend schaute ich mich um. Nirgends war auch nur einer der Jungs. Also sah ich mich mal genauer um. Fast niemand war da. Ein paar Mädchencliquen so ungefähr im Alter von fünfzehn Jahren, zwei oder drei Rentnerpärchen, einige pubertäre „Gänqstaz“ die es auf die fünfzehnjährigen Mädels abgesehen hatten und ein paar junge Familien mit kleinen Kindern, die ältesten von ihnen vielleicht im Grundschulalter.

Plötzlich wurde ich von hinten gepackt und ins Wasser geschleudert. Ich war noch nicht mal wieder aufgetaucht, als mir fünf gewisse junge Kerle hinterhersprangen. Prustend tauchten sie kurz nach mir wieder auf und klatschten sich gegenseitig ab. Anstatt rumzuzicken, wie Alina es jetzt wohl gemacht hätte, stimmte ich in ihr Lachen mit ein. Generell verstand ich Spaß, auch auf meine Kosten, nur wenn es um meinen geliebten Schlaf ging, war das vorbei.

„Okay, Jungs... äh und sorry ich kenn deinen Namen immer noch nicht, ich glaub das reicht. Wie wär's denn mit 'nem Reiterkampf?“

„Auf jeden Fall! Ich bin übrigens Christin“, stimmte ich zu und sah erwartungsvoll, jedenfalls hoffte ich dass es so aussah, zu Christoph und Matt. Die beiden waren sofort dabei. Bei Sven war allerdings etwas Überzeugungskunst gefragt, am Ende machten sie aber doch mit.

„Die Verlierer spendieren 'nen Kasten Bier“, schlug Flo vor. Der Vorschlag fand sofort Zustimmung. Typisch Männer eben! Die Einteilung wurde durch Schere, Stein, Papier entschieden. Am Ende saß ich auf Christophs Schultern, Sven auf Ollis und Florian auf denen von Matt. Den ersten „Kampf“ durften Christoph und ich gegen Matt und Florian austragen. Sofort versuchten Florian und ich uns gegenseitig von den Schultern des jeweiligen „Partners“ zu drücken.

Ich merkte schnell, dass ich auf diese Art und Weise keine Chance gegen ihn haben würde. Diese Eishockeyspieler waren einfach viel zu gut in Form, als dass ich auch nur den Hauch einer Chance gehabt hätte. Ich wollte auch keinen auf Schlampe machen und meinen Gegnern meine Brüste unter die Nase reiben, damit die abgelenkt werden würden. Mal abgesehen davon, dass das eh nichts bringen würde, wollte ich mich auch nicht auf dieses Niveau herunterlassen. Also blieben nur noch meine Beweglichkeit und die Beinmuskulatur als letzte Chance.

So fest ich konnte, klammerte ich mich mit den Beinen an Christophs Schultern fest und lehnte mich plötzlich so weit nach hinten, dass ich quasi kopfüber an seinem Rücken hing. Florian, der viel Kraft aufgebrachte hatte, um mich von Christophs Schultern zu werfen bzw. uns dazu zu bringen, umzukippen, verlor das Gleichgewicht und fiel, wild mit den Armen rudernd, ins Wasser. Ich ließ mich dann ebenfalls ins Wasser fallen, da meine Bauchmuskulatur dann auch nicht so gut trainiert war, als dass ich mich hätte wieder normal aufsetzen können.

Christoph gab mir einen High-Five und dann stand auch schon die nächste Runde an: Olli und Sven gegen Matt und Florian.

Ich schwamm neben Christoph zum Beckenrand und ließ mich dort auch neben ihm nieder.

„Hattest du eigentlich nochmal was mit den Leuten vom Fachabitur zu tun?“, fragte er und grinste über den „Kampf“ von Matt und Florian, die drauf und dran waren, gegen meinen Bruder und dessen besten Freund zu verlieren.

„Kaum, bis gestern nicht mal mit Matt. Du?“

„Eigentlich schon. Na ja, mit Matt ging's ja nicht anders, aber gerade Noah, Basti und Alex seh ich noch ziemlich oft“, antwortete er noch immer grinsend, aber dann verfinsterte sich seine Miene. „Na ja... und Sarah, Zoe und Nele.“ Den letzten Teil spuckte er förmlich aus. Damals im Abschlussjahr war ich quasi immer nur mit Matt, Christoph und ein paar von ihren Teamkollegen abgehangen. Uns verband damals vor allem das Eishockey, aber es gab da ein paar Tage mit ihnen, die ich am liebsten niemals vergessen würde. Beispielsweise das ACDC-Konzert in Berlin, wohin wir damals zu sechst in einem uralten VW-Bus gefahren waren, der eigentlich schon so kaputt gewesen war, dass es ein Wunder war, dass wir an einem Stück bis in die Hauptstadt fahren konnten.

Jedenfalls war Sarah genau das gewesen, was man eine Barbie nennen konnte und Nele und Zoe waren immer ihre Schoßhündchen gewesen, die ihr auf Schritt und Tritt folgten.

Sarah war um die 1,80m groß gewesen und hatte die perfekten Modelmaße gehabt. Immer hatte sie High Heels getragen (sogar bei -30° und einem halben Meter Schnee) und im Winter waren Pelzmäntel und -mützen dazugekommen, damit sie ja nicht auf ihre schulterfreien, durchsichtigen, beinahe bauchfreien Tops verzichten musste. Außerdem kleisterte sich dermaßen viel Make-Up ins Gesicht, das ich mich fragte, warum es nie in zentimeterdicken Brocken von ihrem Gesicht gefallen war. Während wir anderen für unsere Noten ohne Ende lernen mussten, rieb sie unseren Lehrern einfach ihre Doppel-D-Körbchen unter die Nasen und schon sicherte sie sich ihre Einsen im Zeugnis.

Jedenfalls waren ihre Schoßhündchen immer vollkommen in pink und/oder weiß gehüllt und folgten ihr überall hin. Zum Kotzen so was, oder?

Noah war damals Christophs bester Freund und deshalb auch immer mit von der Partie. Inzwischen spielte er aber in Klostersee. Alex und Basti waren Zwillinge und spielten ebenfalls Eishockey. Leider waren sie vor ein paar Jahren nach Dresden gezogen und wollten ihre Spielfertigkeiten dort einsetzen. Kein Wunder, immerhin waren die beiden verdammt gut und bildeten zusammen eine fast undurchdringliche Verteidigung. Ich fand es immer noch schade, die Jungs aus den Augen verloren zu haben, doch an ihrer Stelle hätte ich diese Chance auch genutzt. Ist doch eigentlich logisch, dass man gerade als Sportler die günstigsten und nützlichsten Gelegenheiten nutzt, oder?

„Die Tussen?! Warum das denn?“, harkte ich entgeistert nach.

„Na ja, die sind wohl irgendwie auf den Geschmack von Eishockey gekommen. Obwohl... eigentlich begaffen sie uns eher. Vor allem Ole hat's erwischt“, antwortete er und warf einen Blick auf Oliver, der Sven gerade einen High-Five gab. Tja, das hieß wohl, dass nun quasi die Finalrunde im Reiterkampf anstand.

Christoph ließ mich auf seine Schultern klettern. Dann standen wir auch schon Olli und Sven gegenüber. Sven packte mich direkt an den Schultern. Ich versuchte, ihn irgendwie zur Seite runter zu werfen, doch irgendwie wollte das nicht so richtig klappen (na wie denn auch? Der Typ war größer, schwerer und hundertmal stärker als ich!). Dafür gab es aber eine andere Schwachstelle: mein Bruderherz. Der hatte nämlich Probleme mit dem Gleichgewicht, vor allem im Wasser. Deshalb versuchte ich, Sven immer wieder von einer Seite auf die andere zu zerren. Olli hatte sichtlich Problemedamit, stehen zu bleiben, doch er schaffte es.

Als kurz meine Gedanken abschweiften, weil ich mir gerade klarmachte, dass ich theoretisch verlieren konnte, da ich den Kasten Bier eh nicht bezahlen musste, weil Flo und Matt zuerst rausgeflogen waren, nutzte Sven die Gelegenheit und zerrte mich von Christophs Schultern.Jedenfalls pushte das Svens Ego nur noch und er saß am Ende als der große Sieger auf den Schultern meines Bruders.

„Reg dich ab, Mann. Du nervst mit deiner Arroganz!“ Wow, dieser Typ sprach aus, was ich dachte. Geheiligt sei... Flo?! Mit dem würde ich mich bestimmt verstehen.

„Ach halt doch die Schnauze!“, motzte Sven sichtlich angepisst. Das war also seine Schwachstelle, sein verdammter Stolz! Mein Gott, wie konnte man dermaßen empfindlich sein?

Moment mal, war da nicht was? Mist, wenn Sven hier schon sauer wurde, wie würde dann seine Rache für meine Weckaktion am Morgen aussehen?! Ich schluckte.

„Is gut jetzt. Lass uns doch rutschen gehen“, schlug Matt vor. Er liebte Wasserrutschen im Gegensatz zu mir am meisten an Schwimmbädern. Wir stimmten zu und gingen mehr oder weniger glücklich hinter ihm her (Sven war echt ziemlich beleidigt).

Als wir endlich die endlos erscheinenden Treppenstufen erklommen hatten, schwangen sich Olli, Christoph und Sven kurz hintereinander unter einer Metallstange hindurch in eine stockdunkle Röhre, die in scharfen Kurven nach unten führte. Matt schluckte, rutschte dann aber doch begeistert schreiend hinterher. Nun war ich an der Reihe. Zitternd umklammerte ich die Metallstange. Scheiße, da unten würde ich doch nie im Leben heil ankommen! Allerdings wollte ich jetzt auch nicht die ganzen Stufen nach unten gehen, um dann als Weichei tituliert zu werden... Irgendwie musste ich also da runter.

Eine warme Hand legte plötzlich sich auf meine Schulter und ließ mich vor Schreck erschaudern.

„Kann's sein, dass du Angst hast?“, fragte Flo grinsend. Kleine Zwischenfrage: Warum mussten diese Deppen eigentlich andauernd grinsen?! Jedenfalls nickte ich schwach und starrte weiterhin in diese finstere Röhre, die mich (in meiner Vorstellung) aufzufressen drohte.

„Dann rutschen wir zusammen. Ich will hier nicht bis morgen stehen!“, bestimmte er und meinte dann, ich solle mich hinsetzen. Ich tat, was er sagte und spürte dann, wie er sich hinter mich setzte. Es gab einen Ruck und wir befanden uns in der Schwärze der Röhre. Ich zitterte immer mehr. Irgendwann legte Flo dann die Arme um meinen Bauch, im Versuch, mich irgendwie zu beruhigen. Es gelang ihm sogar.

Als wir unten ankamen war ich mehr als glücklich, meine Angst besiegt zu haben. Außerdem warteten die anderen schon auf uns.

„Mann, wo wart ihr denn so lange?“, harkte Sven genervt nach. Olli hingegen grinste mich nur wissend an. Er war so ziemlich der einzige, der von meiner Angst vor Wasserrutschen wusste. Na ja, Flo jetzt wohl auch... Wobei Olli auch mal wieder irgendwas Perverses gedacht haben könnte. So ganz schlau war ich noch nie aus ihm geworden und dabei war er mein eigener Bruder.

„Boah, lasst uns was essen gehen. Ich hab echt Kohldampf!“, schlug Flo vor und deutete auf das winzige Restaurant, das zu Schwimmbad gehörte. Dort wurde fast ausschließlich fettiges, ungesundes Zeug verkauft. Jedenfalls waren die anderen sofort dabei und ich musste mich wohl geschlagen geben.

Matt, der anscheinend so hungrig war, dass er einen Elefanten hätte verschlingen können, rannte neben Christoph und Flo vor und dachte nicht im Geringsten daran, auf uns zu warten. Also schlenderte ich zwischen meinem Bruder und Sven hinterher.

„Warum nutzt du eigentlich andauernd diese armen naiven Fangirlies aus?“, fragte ich an Sven gerichtet.

„Gegenfrage: Warum sollte ich es nicht tun? Die betteln doch darum, ge-“ Er stockte und räusperte sich. „Na ja, du weißt schon... zu werden“ Konnte es denn sein...? Ich schaute hoch zu meinem Bruder, der gute zehn Zentimeter größer war als ich. Ich grinste nur, als ich sah, wie streng und warnend er Sven über meinen Kopf hinweg anstarrte. Wie süß... jetzt spielte er sich doch wirklich als beschützerischer älterer Bruder auf. Ich rammte ihm meinen Ellbogen leicht in die Rippen. Immerhin war ich inzwischen mit meinen 19 Jahren kein kleines Kind mehr und wusste sehr wohl, dass Sven diese Mädchen nachts wohl kaum zum Essen ausführen würde. Eigentlich war es doch klar, dass die nur Sex mit ihm haben wollten, oder?

„Ist ja auch egal... Los jetzt! Ich hab Hunger“, befahl mein Bruderherz. Wir gehorchten und gingen hinter ihm her zu den anderen.


Nachdem wir das Schwimmbad verlassen hatten, ließ ich mich von Christoph wieder nach Hause fahren. Irgendwie hatte ich total vergessen, warum wir uns aus den Augen verloren hatten - geschweige denn, wann überhaupt. Immerhin hatten wir uns früher so gut verstanden und auch jetzt war es wieder so ähnlich wie damals. Klar, man stand sich nicht mehr so nahe, aber ich hatte das Gefühl, ihm vertrauen zu können. Quasi so, als hätte sich seit dem Fachabitur rein gar nichts verändert. So, als ob alles erst zwei Tage her wäre. Mit Matt war es genau dasselbe.

Erst heute hatte ich gemerkt, wie sehr ich sie eigentlich vermisst hatte, meine beiden Lieblingsidioten.
Na ja, das mit dem Schwimmbad heute, war eine super nette Geste von Sven gewesen. Klar, es hatte mich gefreut, aber ich fragte mich trotzdem, was das alles sollte. Ich meine, er schlief bei mir im Bett, versprach mir, eine Karte für das Finalspiel der Playoffs für mich hinterlegen zu lassen und dann nahm er mich mit ins Hallenbad. Gut, die Couch war wirklich alles andere als gemütlich. Außerdem wusste er, dass ich ein Eishockeyfreak war, unbedingt auf das Finalspiel gehen wollte und dass es kaum noch Karten dafür gab. Und das mit dem Schwimmbad... na ja, wir kannten uns jetzt schon seit ungefähr acht Jahren und hatten uns mit der Zeit auch besser verstanden. Am Anfang hatte ich ihn förmlich gehasst und er hatte mich auch nicht leiden können. Erst vor vielleicht vier Jahren konnten wir uns dann besser leiden. Woran das lag, weiß ich leider nicht mehr. Jedenfalls freute ich mich darüber, dass er mich gefragt hatte, ob ich mitkommen will.

Dann wäre da noch Flo... irgendwie war dieser Typ echt cool. So nett und gelassen und man vertraute ihm sofort. Und er sah auch alles andere als schlecht aus. Ich meine, seine verwuschelten schwarzen Haare sahen so aus, als hätte er sie seit dem Aufstehen einfach so gelassen, wie sie waren, doch eigentlich war es klar, dass er ewig gebraucht hatte, um sie so hin zu bekommen. Dann wären da aber auch noch seine Augen: eine Mischung aus blau, grün und grau. Das sah einfach nur geil aus und irgendwie musste man ganz automatisch hinsehen.

„Kann ich dich mal was fragen?“, kam es auf einmal vom Beifahrersitz. Verwirrt sah ich Christoph an.

„Äh... sicher. Was gibt’s?“

„Wie würdest du es finden, wenn dein Freund Babysitter wäre?“, fragte er und sah dabei stur auf die Straße. Bei der Gelegenheit sah ich ihn mir mal genauer an. Sein Gesicht war ziemlich markant und der Kiefer trat deutlich hervor, allerdings war der momentan von einem Drei-Tage-Bart bedeckt. Genau wie früher in der Schule hatte er immer noch seine Sommersprossen, mit denen er damals oft aufgezogen wurde. Seine leichten, beinahe nur angedeuteten, Lachfalten fielen kaum auf, aber irgendwie hatte ich das immer total toll gefunden. Dann fiel mein Blick auf seine dunkelbraunen Haare. Seit wann hatte er eigentlich blonde Strähnchen? Das sah irgendwie... ungewohnt aus. Nicht schlecht, aber ungewohnt.

„Ich fänd's gut. Dann wüsste ich wenigstens, dass er mit meinem Neffen zurechtkommt. Warum fragst du?“

„Ach... äh... nur so“, antwortete er stockend. Plötzlich ging mir ein Licht auf.
„Du hast jetzt 'ne Freundin? Wie heißt sie? Wo wohnt sie?“ Ich konnte gar nicht mehr aufhören, ihm Fragen

zu stellen. Christoph war seit ich ihn kannte immer Single gewesen. Im Gegensatz zu Noah, Matt, Alex und Basti, die ihre Freundinnen öfter gewechselt hatten als ihre Socken und das meine ich jetzt wörtlich.

„Kannst du mal die Schnauze halten?“, meckerte er und seufzte leidend. „Erinnerst du dich noch an

Helena? Sie war ein Jahr unter-“

„Helena Bruhns?“, unterbrach ich ihn. „Das war doch die kleine Brünette mit dem dicken Hintern, oder?“ Christoph nickte.

„Also Schamgefühl hast du echt nicht...“ Ich schüttelte schnell den Kopf: „Nein!“

„Mann! Schon mal was von rhetorischen Fragen gehört?! Ist ja auch egal. Auf jeden Fall geht das jetzt schon ungefähr einen Monat“, erzählte er weiter.

„Seit wann bist du Babysitter?“, fragte ich zur Sicherheit. Wenn meine Schwester ihren Sohn mal wieder auf mich abschieben wollte, wusste ich wenigstens, wen ich zum Helfen zu mir zitieren konnte.

„Seit dem Fachabitur. Ich hab die Kohle gebraucht und irgendwie hat's irgendwann auch Spaß gemacht.“ Plausibel. Ich grinste und schaute nochmal zu ihm rüber. Er sah mich misstrauisch an.

„Christin Hofmann! Was hast du vor?“, fragte er in einem gespielt tadelnden Tonfall, womit er mich auch sofort zum Lachen brachte. Sagen wir mal, Christoph war alles andere als ein passabler, geschweige denn ein guter, Schauspieler.

„Lass dich überraschen!“, antwortete ich und sah wieder aus dem Fenster. Wir waren schon fast da, nur noch zwei Blöcke lagen vor uns.

„Frauen!“, spottete er und konzentrierte sich wieder auf die Straße.

Wenige Minuten später setzte er mich ab. Ich drehte mich gerade zum Gehen, als Christoph ausstieg und mir hinterherlief.

„Chrissy, wart mal kurz!“, meinte er. Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um. Die Zigarette, die er sich eben gedreht hatte, schnippte er einfach auf den Boden und trat sie aus.
„Was ist denn jetzt noch?“, harkte ich nach. Immerhin musste ich morgen früh raus und es war schon kurz nach...sechs!

„Sei nicht gleich so eingeschnappt, Kleines!“ Am liebsten hätte ich ihn in dem Moment erwürgt. Er wusste ganz genau, dass ich es nicht ausstehen konnte, so genannt zu werden. „Sven meinte, ich soll dir seine Nummer geben. Wegen der Karte für Freitag. Gib mal dein Handy her.“ Jetzt erteilteer mir sogar schon Befehle. So ein Idiot! Allerdings gab ich ihm dann doch mein Handy und ließ ihn die Nummer einspeichern.
Aber irgendwie brauchte er verdammt lange dafür. Neugierig wollte ich nachsehen, was er da genau tat, aber da drückte er mir mein schwarzes Handy auch schon in die Hand. Sein ach so tolles iPhone (ja, der hatte auch so eins) hatte er die ganze Zeit daneben gehalten und rein gar nichts eingetippt. Man diese Technik verwirrte mich immer mehr. Christoph hatte irgendwas von Synchronisation gefaselt, aber kapiert hatte ich es trotzdem nicht. Irgendwann musste ich mir diesen Kram echt mal von meinem Bruder erklären lassen. Dieser Technikfreak konnte mir das bestimmt irgendwie beibringen. So langsam kam ich mir nämlich ziemlich blöd vor, weil jeder diesen Kram kapierte, nur ich nicht.

„Ich hab dir eben die Nummern von Sven, Noah, Matt, Alex und Basti eingespeichert. Ich dachte, die könntest du vielleicht gebrauchen.“

„Hä? Warum?“, fragte ich nach. Warum sollte ich die Handynummern von seinen Kumpels brauchen können? Gut, Matt jetzt mal ausgenommen, denn mit dem war ich ja auch noch irgendwie befreundet.

„Na ja, Basti und Alex kommen nächstes Wochenende her. Dann kannste dich ja mal bei denen melden. Die freuen sich bestimmt.“

„Wie du meinst. Bis Freitag dann!“, verabschiedete mich und ließ mir widerwillig von Christoph durch die Haare strubbeln. Warum machten die das eigentlich so oft?!

„Ciao, man sieht sich!“, verabschiedete er sich dann ebenfalls und stieg wieder in seinen pechschwarzen Skoda.

In der Wohnung saß Alina im Wohnzimmer und lernte für ihr Studium. Ich setzte mich zu ihr. Im Hintergrund hatte sie mal wieder die „Toten Hosen“ laufen.

„Na, alles klar?“, fragte ich, da sie ziemlich verzweifelt aussah. Das lag nicht mal unbedingt an ihrer Mimik, sondern eigentlich erkannte man das bei ihr nur an ihrer Kleidung. Klingt zwar ziemlich blöd, aber es war wirklich so. Sonst legte sie immer sehr viel Wert auf ihre Klamotten, aber heute trug sie Jogginghosen und ein T-Shirt, in das sie locker dreimal gepasst hätte.

„Es geht so. Stress eben. Kannst du mich bitte allein lassen?“ Die Arme sah völlig ausgelaugt aus. Innerhalb der nächsten halben Stunde würde sie wohl auf der Couch einschlafen.

Ich entschied mich, sie in Ruhe zu lassen und verzog mich in mein Zimmer, wo ich mein Notebook (es gehörte früher meinem Bruder, aber der hat sich ein neueres bzw.einbesseres zugelegt) aufklappte und mein E-Mail-Postfach nach neuen Nachrichten durchforstete. Nichts. Ich schaltete den Computer wieder aus und schmiss mich auf mein Bett. Der Tag war noch lange nicht vorbei und ich hatte absolut nichts mehr zu tun.

Kurz nachdem ich irgendwann gegen sieben Uhr eingeschlafen war, klingelte mein Handy. Verschlafen tastete (oder eher schlug) ich nach dem störenden Objekt. Warum hatte ich eigentlich ausgerechnet diesen verdammt lauten und nervigen Klingelton nehmen müssen?
>>Ruf an. Hab kein Guthaben mehr.
Sven<<

„Arschloch!“, war alles, was ich noch denken konnte. Ich hoffte für ihn, dass es wichtig war, ansonsten würde er das Finalspiel am Freitag wohl nicht mehr erleben. Genervt suchte ich nach seiner Nummer und rief ihn an.

„Neumann?“, fragte er enthusiastisch. Wie konnte er nur immer dermaßen fit sein. Ich war total fertig. Von was auch immer...

„Was willst du?“, knurrte ich in den Hörer.

„Ich hab dich auch gern, Christin. Ich hab wegen der Karte im Büro nachgefragt. Sie meinten, sie würden mal schauen, was sich machen lässt“, erzählte er.

„Und deshalb weckst du mich mitten in der Nacht?!“, meckerte ich ihn an.

„Was nimmst du denn? Es ist gerade mal halb acht!“ Er lachte. „Hat's dir heute wenigstens Spaß gemacht?“

„Ja, Flo ist echt nett und es war cool, Christoph und Matt mal wieder zu treffen“, leierte ich runter, als käme es vom Band.

„Wäre Flo eigentlich dein Typ?“

„Was soll denn das schon wieder heißen? Mann Sven, zieh doch nicht immer voreilige Schlüsse!“

„Ich frag doch nur mal! Sag schon.“

„Nein, blond ist mir lieber“, antwortete ich entnervt auf seine Frage. Allerdings hätte ich mir im nächsten Moment am liebsten selbst in den Hintern gebissen. Sven war nämlich der einzige Typ in meinem Bekanntenkreis, der meiner Altersgruppe entsprach und blonde Haare hatte. Ich betete, dass er das jetzt nicht falsch interpretieren würde.

„Vielen Dank für die Blumen, Chrissy.“ Fail! „Ist ja auch egal. Bis Freitag dann!“

„Warte!“, platzte es mir heraus.

„Ja?“, fragte er und ließ mich ziemlich blöd dastehen, da ich keine Ahnung hatte, was ich sagen könnte. Krampfhaft überlegte ich. Binnen weniger Sekunden musste mir unbedingt was einfallen, sonst würde ich wie der letzte Volltrottel dastehen.

„Ich wollte dich fragen, ob du Lust hättest, morgen mit Alina und mir aufs Stadtfest zu gehen.“ Oh Mann!

Was Blöderes hätte mir echt nicht einfallen können.

„An sich gerne. Ich muss eh vom Verein aus hin. Wie wär's, wenn wir später noch was trinken gehen?“, schlug er vor. Ich lächelte, was natürlich überhaupt keinen Sinn machte, da er das durchs Telefon ja sowieso nicht sehen konnte.

„Geht klar. Bis morgen dann“, antwortete ich mehr oder weniger begeistert.

„Okay, ich melde mich bei dir, wenn wir da fertig sind. Bis morgen!“, verabschiedete er sich und legte auf.
Bildete ich mir das nur ein, oder war ich gerade drauf und dran, mich mit Sven anzufreunden? Egal, jetzt musste ich nur irgendwie Alina davon überzeugen, mitzukommen.

Es kratzte an meiner Zimmertür. Ich rappelte mich von meinem Bett auf und öffnete. Ein dunkelbrauner Labradoodle sprang mich an, riss mich mit zu Boden und leckte mir quer übers Gesicht.

„Sam!“, freute ich mich und streichelte meinem zotteligen Lieblingsmonster über den Kopf. Sam hatte ich vor einem Jahr aus dem Tierheim geholt. Als Welpe war er dort abgesetzt worden und inzwischen war ein stattlicher zweijähriger Rüde aus ihm geworden. Ich hatte sogar den Vermieter überzeugen können, ihn hier halten zu dürfen. Meine große Schwester Franka hatte ihn für zwei Wochen bei sich gehabt. Jedenfalls freute ich mich riesig, ihn wiederzusehen. Franka lehnte lässig an der Flurwand und grinste mich belustigt an. Ich stand auf und begrüßte sie.

„Es ist am besten, wenn du nochmal mit ihm rausgehst. Sam freut sich bestimmt!“, schlug sie vor und ich nickte.

Ohne ein weiteres Wort marschierte ich zurück in mein Zimmer und zog meine Sportsachen an. Es war schon viel zu lange (zwei Monate) her gewesen, dass ich mal ordentlich Laufen gewesen war. Das musste ich langsam mal nachholen und jetzt war die perfekte Gelegenheit dafür.

In schwarzen knielangen Shorts, einem grauen Tanktop und ebenso grauen Laufschuhen verließ ich das Haus und fuhr zum Park. Sam saß auf dem Beifahrersitz und steckte seinen wuscheligen Kopf aus dem geöffneten Fenster.

Der Parkplatz vor dem Kurpark war verdammt groß, wenn nicht sogar riesig. Um diese Zeit war er sogar beinahe leer. Ich leinte Sam an und kramte im Handschuhfach nach meinem MP3-Player. Damit ließ es sich einfach tausendmal besser laufen. Gesucht, gefunden. Ich stieg aus, wartete bis Sam vom Sitz gesprungen war und schloss den Wagen ab. Der Musikplayer wurde eingeschaltet und an der Hose befestigt. Schon konnte es losgehen. Gemütlich joggte ich neben Sam zur Brücke, über die man vom Parkplatz aus in den Park kam. Von da aus beschleunigte ich aber auch nicht groß, sondern joggte so weiter wie bisher. Sam schien das nicht viel auszumachen, denn er war sichtlich begeistert, in seiner gewohnten Umgebung zu sein. Frankfurt war eben alles andere als hundefreundlich. Ich wusste noch genau, wie es mich geschmerzt hatte, Sam meiner Schwester zu übergeben und in die Großstadt mitnehmen zu lassen. Aber jetzt war er ja wieder da.

Den Blick richtete sich auf den Boden während ich im Takt zu ACDCs Wheels vor mich hin lief. Plötzlich begann Sam an der Leine nach vorne zu zerren. Ich richtete den Blick auf und sah eine Meute von muskelbepackten Männern gut 200 Meter vor uns her laufen. Ich hegte einen starken Verdacht, diese Typen besser zu kennen, als mir lieb war. Ich beschleunigte und versuchte, die gemütlich joggenden Männer einzuholen. Ich zog mir die Kopfhörer aus den Ohren und schaltete den Player aus. Sam bellte begeistert. So viele nette Jungs, die nichts lieber täten, als mit ihm zu spielen! Klar, dass er sich da freute.

Als ich näher kam, merkte ich aber, dass der Begriff Meute eindeutig übertrieben war. Dort liefen nämlich nur fünf oder sechs junge Männer. So wie ich den Rest des Teams kannte, kickten die lieber hinter der Eishalle auf dem Parkplatz.

Einer von ihnen drehte sich nur mir, beziehungsweise besser gesagt zu meinem kläffenden Hund, um und lächelte. Ich holte erneut ein Stück auf und lief schließlich neben Olli.

„Na, alles klar, Schwesterchen?“ Ich nickte. Eine Runde um den großen Teich war ungefähr eineinhalb Kilometer lang und diese Runde hatte ich schon fast geschafft. Nochmal würde ich das heute aber nicht mehr durchziehen.

„Wie kommt's dass ihr jetzt noch Training habt?“, fragte ich japsend nach. Olli schüttelte den Kopf.

„Haben wir offiziell nicht. Es ist gerade eher so eine Art freiwilliges Training“, erklärte er und deutete auf die Spitze der Läufer. Dort befanden sich der Fitnesstrainer des Teams und ein Fotograf.

„Ach so... Du sorgst für gute PR?“

„Das auch. Aber in erster Linie geht’s mir wirklich ums Training“, antwortete er grinsend. Mein Bruder war echt unglaublich! Als ich mich umsah, entdeckte ich nur ein paar der Poser, die alles für gute PR (natürlich nur gute PR für sich selbst) gaben.

„Und was machst du hier?“, fragte er.

„Ich versuche, mit Sam zu Joggen, aber mit euch vor uns klappt das nicht so gut, wie ich dachte“, antwortete ich mit einen gefrusteten Blick auf Sam, der wie ein Irrer vor Olli herumhüfte.

„Lass ihn doch von der Leine“, schlug er vor. Eigentlich keine schlechte Idee. Sam hörte aufs Wort und entfernte sich auch nie außer Sichtweite von mir. Ich pfiff und sogleich kam er zu mir gerannt. Kurz kniete ich mich hin und löste die Leine von seinem Halsband. Dann lief ich weiter. Sam, der nun vollends seine Freiheit hatte, raste sofort an die Spitze der Staffel und trabte für seine Verhältnisse gemütlich neben dem Fitnesscoach her á la „Schaut mich an, ich bin schneller als ihr Flachpfeifen!“. Der Fotograf war begeistert und knipste drauflos.

„Und was hast du sonst noch vor heute?“, fragte mein Bruder.

„Nichts. Viel Spaß noch bei der nächsten Runde, ich bin fertig!“ Die Brücke zum Parkplatz kam in Sichtweite.

Ich pfiff, und Sam kam sofort angerannt und sprang mich an. Ich ging auf die Knie, streichelte ihm ein paar Mal über den Kopf und lobte ihn. Olli drückte mich zum Abschied kurz und lief dann aber weiter. Sam wurde wieder angeleint und trottete neben mir her. Am Fluss ließ ich ihn noch was trinken, und wollte dann aber nur noch nach Hause fahren.

Zuhause angekommen, stellte ich mich sofort unter die Dusche. Nach der Joggingrunde musste ich bestimmt stinken wie ein klatschnasses Kamel.

Mit einem Handtuch um die Schultern, Boxershort und Tanktop räumte ich das Bad für Alina und setzte mich ins Wohnzimmer zum Fernsehen. Es kam zwar eh nur Schrott, aber sonst hatte ich ja auch nichts Besseres zu tun.Sam hatte sich inzwischen auf dem Fransenteppich in meinem Zimmer zusammengerollt.

Ungeduldig zappte ich durch die Kanäle. Fußball – Nein danke! Telenovela – braucht kein Schwein und ein Mensch erst recht nicht! Shoppingkanal, Talkshow und Reality-Soaps – so ein Zeug braucht doch niemand! Gab es denn nur noch Trash-TV?!

Doch dann entdeckte ich Two and a half Men (mit Ashton Kutscher) – endlich! Ich raste in die Küche und stattete mich mit Chips und Sprite aus. Nach dem Lauf vorhin hatte ich mir das jetzt verdient. Gerade, als ich es mir auf der Couch gemütlich machen wollte, klingelte irgendein penetrantes Arschloch an der Tür. Murrend rappelte ich mich auf und drückte auf den Türöffner. Darauf folgte der hallende Lärm von Getrampel und sinnlosen Gesprächen im Hausflur. Ich öffnete die Wohnungstür, um nachzusehen, wer meine Ruhe störte.

Zu allem Überfluss stand die versammelte (Deppen-)Mannschaft vor meiner Tür. Ohne einen Anflug von Anstand traten Christoph, Flo, Sven und Matt ein, quetschten sich auf die Couch und fraßen mir meine Chips weg! Der perfekte Abend – fünf vor Überheblichkeit nur so triefende Eishockeyspieler und ich mittendrin. Alina, komm und rette mich!

Letzten Endes gab ich auf und holte den Kasten Bier aus dem Keller, den ich eigentlich für einen besonderen Anlass aufheben wollte. In dem Moment fiel mir auf, dass ich neben Alina keine einzige weibliche Freundin hatte. Abgesehen von Matt und Christoph hatte ich aber auch sonst nicht wirklich Freunde. Diese Chips fressenden und Bier saufenden Typen auf meiner Couch konnte man ja wohl nicht als richtige Freunde bezeichnen, oder? Und überhaupt, dieser Sven regte mich dermaßen auf! Musste der eigentlich überall mit von der Partie sein?!

Jedenfalls schleppte ich den Bierkasten nach oben und stellte ihn neben dem Couchtisch ab. Blöd nur, dass jetzt kein Platz mehr für meine Wenigkeit war. Die Idiotenmannschaft bemerkte das und grinste mich nur blöde, beinahe schon hirnlos, an.

Ich weiß nicht, wie ich darauf kam, aber schlussendlich setzte ich mich auf die Rückenlehne der Couch. Die Beine schlang ich um Matts Hals. Ansonsten wäre ich nämlich direkt hintenüber von der Couch gekippt. Die Jungs hatten sich in der Zwischenzeit mit Bier ausgestattet und diskutierten über den Tod von Charlie Harper.
„Schmeiß mal jemand ein Bier her“, meinte ich und konzentrierte mich dann auf Ashton Kutcher, der nackt über die Bildfläche stolzierte und der Haushälterin im ersten Moment die Sprache verschlug.

Gleich darauf wurde mir von irgendwem eine Flasche in die Hand gedrückt. Verschlossen, versteht sich. Einen Flaschenöffner hatten wir aber nicht in der Wohnung, also konnte ich auch niemanden losschicken, um einen zu besorgen.

„Christoph, Feuerzeug!“, befahl ich. Christoph gehorchte. Ich öffnete die Bierflasche und drückte Christoph das Feuerzeug dann wieder in die Hand. Ihn konnte man immer um so was anhauen, da er Gelegenheitsraucher war und immer ein Päckchen Zigaretten und ein Feuerzeug bei sich trug.

Minuten später kam Alina aus dem Bad und verschwand aber auch gleich in ihr Zimmer. Daraufhin verzog Flo sich ins Bad.

Als er sich zurück auf die Couch fallen ließ, brach die unter unserem Gewicht (ich schätze es mal auf um die 450 Kilo) zusammen. Kein Wunder, immerhin war dieses Ding nun auch schon gute zehn Jahre alt. Alina und ich hatten sie kurz nach unserem Einzug auf einem Flohmarkt gekauft und mit Ollis Hilfe hergebracht.

Allesamt brachen wir in schallendes Gelächter aus. Die arme Alina musste daher vorerst auf ihren wohlverdienten Schlaf verzichten. Oder auch nicht, denn sie trampelte ins Wohnzimmer und warf unseren Besuch buchstäblich vor die Tür.

Anschließend setzten wir uns in die Küche, da sie wohl etwas mit mir zu besprechen hatte.

„Hör zu, Christin. Ich hab ja nichts dagegen, dass du dich mit diesen… Kerlen triffst, aber wenn sie jetzt auch noch die Wohnung demolieren, sehe ich schwarz“, erklärte sie wie immer verständnisvoll und doch bestimmt.

„Tut mir leid…“, antwortete ich zerknirscht. Alina gab sich damit zufrieden, denn ein anderes Thema schien sie wesentlich mehr zu interessieren. Sie stützte ihr Kinn auf den Händen ab und sah mich erwartungsvoll an.

„Kannst du mir ein Date mit einem von ihnen besorgen?“ Entsetzt starrte ich sie an.

„Ally, du hast sie eben alle rausgeschmissen und dann willst du immer noch ein Date mit einem von ihnen?!“

„Ja“, lautete ihre simple Antwort. Ich seufzte.

„Mit wem?“, harkte ich nach.

„Mit Matthew. Wäre das möglich?“, fragte sie hoffnungsvoll.

„Ich… werd’s versuchen.“ Alina lächelte breit.

„Echt? Danke, du bist die Beste!“, rief sie freudig. Echt komisch, wie sich die Menschen aufführten, wenn sie verliebt waren. Das würde ich wohl nie kapieren. Die Frage war aber auch, ob ich das überhaupt wollte. Mal ganz ehrlich: Liebe musste einfach blind machen.

Alina und Matt passten einfach nicht zusammen. Der Eishockeycrack und die Leseratte. Der BWL-Student und die angehende Biologin. Der Sportler und die Kreative.

Mal ehrlich, das konnte einfach nichts werden…

Hört sich wahrscheinlich so an, als ob ich eifersüchtig wäre, aber ich bin schlicht und ergreifend realistisch. Das konnte ich Alina aber natürlich nicht sagen. Sie war einer der seltenen Fälle, in denen ich meine Klappe im Zaum halten konnte und wollte.

„Alina… Ich hab einen Anschlag auf dich“, warnte ich sie vor. Misstrauisch sah sie mich an.

„Würdest du morgen mit mir aufs Stadtfest gehen?“, flehte ich sie schon fast an. Fehlte nur noch, dass ich auf den Knien vor ihren Füßen herumrutschte!

„Ich kann nicht. Morgen ist die Abschlussprüfung“, antwortete sie entschuldigend.

„Kein Ding… Ich geh dann mal schlafen. Bis morgen“, meinte ich als ich aufstand.

„Schlaf gut“, antwortete sie du nickte noch immer breit grinsend.

„Danke, du auch.“ Dann verließ ich die Küche. Ich wollte einfach nur noch in mein Bett. Zwar war ich alles andere als müde, aber irgendwie konnte ich diese geballte Ladung Glück gerade einfach nicht ertragen. Es war einfach zu erdrückend und geradezu zwingend. Zwar war für sie noch nichts entschieden, und doch war sie schon bei der Chance darauf der glücklichste Mensch der Welt. Verrückt, dieses Mädchen…

Queens

er nächste Morgen war anstrengender als gewöhnlich. Ich hatte verschlafen, bekam dafür auf der Arbeit einen gehörigen Anschiss und durfte dann auch gleich noch zwei Überstunden machen. Ich hatte auf der Fahrt zum Stadtfest einen ziemlichen Hals auf meinen Chef, obwohl er eigentlich verdammt nett war.
Gerade als ich ungefähr gegen drei Uhr aus dem Bus stieg (mein Auto wollte am Morgen nicht anspringen), bekam ich eine SMS.
>>Haben gleich unser Interview.
Bist du schon da?
Olli<<
Ach so! Sven meinte also dieses komische Interview, als er sagte, dass er vom Verein aus noch was zu tun hätte. Ich versuchte mich zu erinnern, worum es in dem Interview gehen sollte. Mein Bruder hatte vor Ewigkeiten nämlich schon mal etwas darüber erzählt.
>>Ja. Wer wird denn interviewt?<<, schrieb ich zurück. Es dauerte zwar etwas, da ich mit dieser verdammten Touchscreentastatur nicht zurechtkam, aber nach fünf Minuten hatte ich es endlich hinbekommen.
>>Sven, Daniel und ich<<, kam wenig später auch schon die Antwort. Inzwischen stand ich schon auf dem Festplatz und drängelte mich durch die Meute bis hin zur Bühne, auf der der Moderator schon Platz genommen hatte. Ich stand ziemlich weit vorne. Vor mir waren nur noch ein paar alteingesessene Fans und (ausgerechnet!) Sarah, Nele und Zoe… Zu meinem Leidwesen sahen die drei mich ebenfalls. Breit lächelnd kam Sarah auf mich zu und umarmte mich wie eine gute Freundin.
„Christin!“, trällerte sie. „Wie schön, dich hier zu sehen. Wie geht’s dir?“
„Gut, und euch?“ Ich zwang mich, sie ebenfalls anzulächeln, was aber eher in einer verzerrten Fratze endete.
„Ach na ja. Es ist schwerer geworden nach dem Abitur“, flötete sie und betonte dabei bewusst das Wort „Abitur“, weil sie genau wusste, dass sie somit einen höheren Bildungsabschluss hatte als ich. Na ja, nur leider fragte niemand, warum sie den bekommen hatte.
„Wir haben gehört, Oliver, dieser Stürmer da, ist heute hier…“, ertönte die nasale Stimme von Nele. Daher wehte also der Wind…
„Ach nee“, lautete meine simple Antwort. Innerlich fügte ich noch ein "Du hirnlose Schlampe!" hinzu. Als sie etwas sagen wollte, beachtete ich sie aber nicht weiter, sondern widmete meine Aufmerksamkeit dem Moderator, der seine Gäste ankündigte.

„Nach dem glorreichen Sieg im Halbfinale der Playoffs haben diese Jungs ihr Saisonziel erreicht. Nun stecken sie sich aber ein noch höheres: den Aufstieg in die zweite Bundesliga!“ Er machte eine schwungvolle Geste zur, von meinem Blickwinkel aus gesehenen, linken Seite der Bühne. „Begrüßen Sie nun mit mir: den Kapitän Sven Neumann, Verteidiger Daniel Schwarz und Stürmer Oliver Hofmann!“ Nacheinander betraten die drei Jungs die Bühne und ließen sich auf den drei nebeneinander aufgestellten Barhockern nieder. Der Moderator hievte sich auf einen etwas abseits aufgestellten Hocker und begann mit dem Interview. Es war das gewöhnliche Gelaber. Die Standartfragen eben. Am Ende gab es aber auch noch einige Frage aus den Zuschauern. Von zwei oder drei Fotografen wurde nebenbei geknipst, was das Zeug hielt.

Alles in Allem, war das alles aber nicht wirklich der Rede wert. Es wurde nichts gesagt, was man nicht auch hätte wissen können, wenn man mal in die Zeitung geschaut hätte.
Als die Jungs anschließend von der Bühne verzogen gab es trotzdem einen beinahe schon tosenden Applaus. Sarah und ihre Gefolgschaft belagerten sofort meinen Bruder, Daniel Schwarz verzog sich zu seiner Frau und Sven genoss die Aufmerksamkeit der Fans. Schon verrückt diese Sportler… Das werde ich wohl nie kapieren.
Olli gab den drei Mädels jeweils ein Autogramm, ließ sie dann aber mit irgendeiner Ausrede stehen und verschwand zur Biertheke. Anders hätte ich es von ihm aber auch nicht erwartet. Ich folgte ihm du stellte mich eben ihn.
„Na Kleine, alles klar?“, begrüßte er mich. Ich wuschelte ihm lachend durch die Haare, woraufhin er mir gespielt wütend einen Klaps auf den Hinterkopf gab.
„Schon mal was von Anstand und Respekt gehört?“, mäkelte er und trank einen großen Schluck von seinem Weizenbier.
„Nur flüchtig. Wie läuft’s mit deiner Flamme?“ Seine Freundin kannte er noch nicht übermäßig lange. Trotzdem war es von seiner Seite aus Liebe auf den ersten Blick gewesen und er hatte alles daran gesetzt, um sie zu bekommen. Inzwischen waren sie schon ganze drei Monate zusammen.
Anstatt mir eine anständige Antwort zu geben, grunzte er verachtend.
„So schlimm?“, harkte ich nach. Meine Frage wurde mit einem knappen Nicken und einem großen Schluck Weizenbier quittiert.
„Sagen wir mal, für die nächsten Jahre hab ich genug von Frauen“, antwortete er daraufhin. Er tat mir ziemlich leid, wie er da stand, geknickt und verletzt.
„Okay, bis in drei Jahren dann!“, grinste ich und wendete mich zum Gehen.
„Chrissy, was soll der Scheiß?“, fragte er, ohne sich auch nur einen Zentimeter zu bewegen oder seinen starren Blick vom Stehtisch abzuwenden.
„Du sagtest, du hättest genug von Frauen. Bin ich denn keine?“ Der Versuch ging eben wohl voll daneben und ich versuchte zu retten, was noch zu retten war. Ich stellte mich wieder zu ihm an den Tisch. So, dass ich ihm in die Augen sehen konnte. Mein Bruder war nicht der Typ, der viel redete. Das meiste musste man bei ihm anhand des Gesichtsausdrucks interpretieren.
„Wie läuft‘s mit deinen Männergeschichten?“, fragte er um von sich abzulenken. Ich seufzte.
„Blöde Frage. Gar nichts läuft“, lautete meine Antwort. Olli prostete mir zu.
„Auf den Club der ewigen Volltrottel!“ Ich lachte und schlug ihm mehr oder weniger sanft auf die Schulter.
„Übertreib mal nicht! Du kannst auch ohne sie glücklich sein“, versuchte ich ihn zu trösten. Er lächelte. Oder er grinste. Keine Ahnung, irgendwas dazwischen!
Sven stellte sich zu uns. Gott, der hatte echt ein Talent dafür, immer zu den unpassendsten Zeiten aufzutauchen.
„Sie hat recht, Ole“, stimmte er mir zu. „Lass dich davon nicht runterziehen!“ Okay, irgendwie war er doch hilfreich.

Plötzlich klingelte mein Handy. Ich entfernte mich ein Stück von den beiden und ging ran.
„Hofmann?“, meldete ich mich.
„Hey Chrissy. Hast du heute Abend was vor?“, fragte Alina sofort drauf los.
„Jein. Warum fragst du?“
„Heute Abend ist Happy Hour im  Queens. Bitte komm mit, ich will nicht allein hin!“
„Meinetwegen. Wann soll ich da sein?“
„In einer halben Stunde. Schaffst du das?“ Es klang nicht nach einer Frage, eher nach einem Befehl.
„Ich versuch’s. Bis später!“ Ich legte auf du ging zurück zum Stehtisch, wo sich inzwischen noch zwei andere bekannte Gesichter versammelt hatten: Christoph und Matt. Die beiden hoben lässig die Hand. Ich schaute in die Runde.

„Jungs, wer von euch ist mit dem Auto da?“, fragte ich.
„Ich, warum?“ Sven war etwas verwirrt.
„Kannst du mich zum  Queens fahren?“
„Wann denn?“, fragte er und sah auf seine Armbanduhr.
„Jetzt!“, antwortete ich. Er seufzte.
„Was krieg ich denn dafür?“, provozierte er.
„Was willst du denn?“, fragte ich entnervt nach. Im Nachhinein hätte ich auch etwas sagen können wie: Keinen Tritt in die Eier. Aber so hart wollte ich dann doch nicht vorgehen.
„Mit ins Queens und ne Schlafgelegenheit“, forderte er. Na ja, damit konnte ich leben…
„Wenn du dich nicht wieder an mir festklammerst, geht’s klar“, antwortete ich grinsend. Wir verabschiedeten uns von den anderen und ich folgte ihm zu seinem Auto.

Sven war sogar so nett und fuhr mich vorher zu mir nach Hause, damit ich mich umziehen konnte. Er hingegen war total passend angezogen. Mit einem dunkelblauen T-Shirt von Hollister (natürlich!) mit weißer Schrift und irgendeinem braunen Vieh auf der Brust, ausgewaschenen dunkelblauen Jeans und schwarzen Turnschuhen konnte er nichts falsch machen. Weder bei dem Interview auf dem Stadtfest, noch im Club.
Ich saß gut fünf Minuten nachdem er mich abgesetzt hatte, wieder auf dem Beifahrersitz. Allerdings war ich ziemlich aufgedonnert. Alina hatte mir netterweise ein schwarzes Minikleid mit breiten Trägern und eine ihrer knallroten Lederjacken auf mein Bett gelegt. Dazu trug ich schwarze Stiefeletten, die ich aus ihrem Schuhschrank geklaut hatte. Mit Sneakers würde ich mir im  Queens  nur blöde vorkommen und reingelassen würde ich auch nicht.
Anerkennend nickte er mir zu.
„Schaust gut aus“, meinte er mit einem deutlichen Seitenblick auf meine Beine. Ich boxte ihm leicht gegen den Oberarm.
„Perversling!“, schimpfte ich lachend. Gespielt empört hob er die Arme vom Lenkrad (während er mit den Knien das Auto steuerte) und rief: „Was erlaubst du dir!“
Wir beide brachen in schallendes Gelächter aus. Humor hatte er, das musste man ihm schon lassen. Allerdings hasste ich seinen übertriebenden Stolz. Seine Rache für meine Aktion am letzten Morgen würde garantiert noch folgen.
Er konzentrierte sich wieder auf die Straße, während ich an meinem Kleid herumzupfte. Es war verdammt ungewohnt, mal nicht in Jeans und Sneakers herumzulaufen.

Sven ließ mich vor dem Queens aussteigen und parkte sein Auto, übrigens ein weißer Skoda, im Hinterhof. Es war gerade mal neun Uhr und es war anscheinend noch nicht allzu viel los.
Alina wartete schon vor dem Eingang auf mich. Sie war verdammt aufgedonnert. Wahrscheinlich würde sie heute Nacht nicht allein bleiben. Sven gesellte sich zu uns.
„Hallo Sven!“ Alina setzte ein breites Lächeln auf und streckte ihm die Hand entgegen. Er ergriff sie und lächelte sanft zurück.
„Lasst uns reingehen!“, befahl Sven und griff nach meiner Hand, um mich mit in den Club zu ziehen. Alina war schon voller Vorfreude vorausgesprintet. Wahrscheinlich stand sie schon beim DJ und bettelte um ihre Lieblingslieder.
Mich hingegen zog es als erstes zur Bar. Mit tanzen hatte ich nicht viel am Hut. Der Barkeeper sah unverschämt gut aus. Mit seinen lockigen hellbraunen Haaren und den funkelnden grünen Augen war er wahrscheinlich der Traumtyp sämtlicher Mädchen hier im Club.
„Na, was darf’s sein?“, fragte er lächelnd, wobei seine strahlend weißen Zähne hervorblitzten. „Sex on the Beach? Mojito?“
„Bloß nicht! Gib mir ein kühles Blondes und ich bin zufrieden“, antwortete ich grinsend und ließ mich auf einem der Barhocker nieder. Um mich herum saßen und standen viele Mädels und einige Gruppierungen aus jungen Kerlen, die die Mädchen begafften.

Der schöne Kerl hinter der Bar stellte mir mein Bier auf den Tresen, grinste nochmal und wendete sich dann einer Gruppe aus Mädchen zu, die allerhöchstens 16 oder 17 Jahre alt gewesen sein konnten. Jemand legte seine Hände an meine Taille. Erschrocken drehte ich den Kopf und bemerkte, dass es nur Sven war. Dieser lächelte und setzte sich neben mich. Er bestellte sich ebenfalls ein Bier.
„Hey Kleines, warum so nachdenklich?“, rief er mir zu, da es doch ziemlich laut war. Die Musik hämmerte aus den Boxen, sodass man kaum noch sein eigenes Wort verstehen konnte.
„Nenn mich nicht so!“, beschwerte ich mich. „Ich will nicht auf einer Stufe mit deinen Fangirlies stehen!“ Jedes Mädchen, mit dem er etwas hatte, nannte er entweder „Kleines“ oder „Mäuschen“. Das fand ich erniedrigend, da ich nicht vorhatte, mich jemals auf ihn einzulassen.
„Ganz ruhig, Brauner!“, lachte er. Ich lachte ausnahmsweise mal nicht mit, sondern genehmigte mir noch einen großen Schluck von meinem Bier. Sven hatte seines schneller ausgetrunken, als ich gucken konnte und war dann auch schon wieder verschwunden. Ich legte meine Hände um mein Glas und stützte mich auf dem Tresen ab.
Was hatte ich eigentlich erwartet? Bei Sven war es von vornerein klar gewesen, dass er in dieser Nacht irgendein Mädel abschleppen wollte, und bei Alina hätte ich mir eigentlich auch denken können, dass sie die gesamte Zeit über auf der Tanzfläche verbringen würde.
„Hey“, sagte der hübsche Barkeeper und lehnte sich über den Tresen hinweg zu mir rüber. „Verrätst du mir deinen Namen?“ Ich lächelte.
„Christin!“, rief ich ihm zu, da es mir noch lauter vorkam, als vorhin.
„Ich bin Eddie“, meinte er noch immer lächelnd. Gott, dieser Typ war echt scharf. „Meine Schicht ist gleich vorbei. Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
Überwältigt von seinem Vorschlag konnte ich nur schwach nicken. Tatsächlich wurde er keine fünf Minuten später von einem seiner Kollegen abgelöst, ging um den Tresen herum und setzte sich auf den Barhocker, auf dem Sven zuvor gesessen war. Ich drehte mich zu ihm um, sodass wir und direkt gegenübersaßen.
„Was hörst’n du so?“, fragte er mit einem frechen Grinsen im Gesicht. Kam es nur mir so vor, oder lächelte beziehungsweise grinste dieser Typ viel zu oft für einen durchschnittlichen jungen Mann.
„AC/DC, die ärzte , Black Sabbath und so was”, antwortete ich.
„Hätt ich nicht gedacht“, meinte Eddie. „Ist aber auch nicht so mein Fall.“
„Was denn dann? Justin Bieber?“ Ja, diesen Kanadier kannte sogar ich. Der war gerade groß rausgekommen, als ich meinen Abschluss gemacht hatte. Sarah und ihre Schoßhündchen hatten ausschließlich von dem gesprochen. Dank ihnen wusste ich sogar, dass der zweite Vorname dieses Freaks Drew war. Wenn es etwas gab, was mich noch weniger interessierte, dann wäre das, wenn irgendwo in China eine Mücke erschlagen wird.
„Übertreib mal nicht gleich! Ich meinte eher Rammstein und Nightwish“, antwortete er lachend. Ich mochte ihn und das lag nicht nur an seinem Aussehen. Besser gesagt lag es überhaupt nicht daran. Es war eher so, als ob man sich schon ewig kennen würde.

Den ganzen Abend über saß ich mit Eddie an der Bar und unterhielt mich mit ihm. Wir hatten nicht viel gemeinsam, verstanden uns aber dennoch gut. Das Einzige, was mich aufregte, war die Tatsache, dass er ein Fan der Iserlohn Roosters war, unseren Erzfeinden. Deswegen diskutierten wir auch bestimmt zwei Stunden lang darüber, ob die DEL der letzte Dreck war, oder nicht. Ich vertrat logischerweise die Meinung, dass die DEL sinnlos war. Immerhin konnte man dort weder auf- noch absteigen. Das hatte doch nichts mehr mit Sport zu tun. Letztendlich war es doch so, dass man sich nur hochKAUFEN konnte. Das mochte vielleicht was für Kassel sein, aber nicht für einen wahren Traditionsverein, der schon seit beispielsweise 1946 mehr oder minder erfolgreich Eishockey spielt! Für uns zählte im Moment aber sowieso nur der Aufstieg von der Oberliga in die 2. Bundesliga, wo wir wieder auf Rivalen wie den SC Riessersee treffen würden.

Jedenfalls kam Sven irgendwann gegen Mitternacht an die Bar und meinte, wir müssten langsam los. Ich verabschiedete mich von Eddie und half Sven bei der Suche nach Alina. Wir konnten sie partout nicht finden. Sie war irgendwo in der feierwütigen Meute untergegangen.
Irgendwann gaben wir es auf und verließen den Club. Ich schaute auf mein Handy und entdeckte eine neue SMS.
>>Hab einen Typen mitgenommen. Wir sehen uns morgen! <<, schrieb Alina. Das war mal wieder echt typisch für dieses Mädchen. Erst flehte sie mich quasi an, ihr ein Date mit Matt zu besorgen und am Ende stieg sie doch wieder mit irgendeinem fremden Typen in die Kiste!

Ich schlenderte neben Sven zu seinem Skoda. Wir stiegen ein und er fuhr los.
„Was ist los?“, fragte ich. „Warum hast du heute Abend keine neue Tussi abgeschleppt?“
„Ich hab im Moment keinen Nerv für Weiber“, antwortete Sven.
„Na vielen Dank auch!“, meinte ich gespielt eingeschnappt und verschränkte ebenso gespielt trotzig die Arme vor meiner Brust.
„Jetzt tu doch nicht so!“, rief er lachend und drückte auf den Startkopf des integrierten CD-Players. Nur leise hörte man das Farin Urlaub Racing Team aus den Boxen schallen. Ich lehnte mich zurück und hörte zu, wie Farin davon sang, dass sich seine Einrichtungsgegenstände gegen ihn auflehnten und ihn ermorden wollten.
„Warum hast du den Typen von der Bar nicht mitgenommen?“, stellte er die Gegenfrage.
„Nicht mein Fall!“, lautete meine Antwort. Eine extreme Lüge. Eddie war so ziemlich der schärfste Kerl, das ich je gesehen hatte. Ich war schlicht und ergreifend zu blöd gewesen, um ihn nach seiner Nummer zu fragen. Jetzt war’s aber sowieso zu spät.
„Lügnerin“, kommentierte Sven meine Antwort auf seine Frage. Inzwischen kannte er mich wohl einfach zu gut. Er lachte, kramte einen Zettel aus seiner Hosentasche und reichte ihn mir.
In großen Lettern war „Eddie“ darauf geschrieben und darunter befand sich eine Handynummer.
„Sven?“
„Christin?“, fragte er grinsend zurück.
„Du bist der Beste!“ Er klopfte sich stolz auf die Brust. „Ich weiß!“

Als wir meine Wohnung betraten hörten wir schon im Flur, dass Alina nicht allein war. Deshalb zog ich Sven auch gleich mit in mein Zimmer. Dort wurde er sofort von Sam angesprungen und begrüßt. Sven kniete sich zu ihm auf den Boden und strich durch sein zotteliges Fell. Sam warf sich auf den Rücken und ließ sich von Sven den Bauch kraulen. Sam liebte das zwar seit jeher, aber er ließ sich am Bauch nur von Leuten berühren, die er sehr gut leiden konnte. Nicht mal Alina hatte das gedurft und die kannte er schon von klein auf.
Ich machte mich währenddessen an meinem Schrank zu schaffen.
„Umdrehen!“, befahl ich und Sven gehorchte zu meiner Verwunderung auch. Ich schlüpfte aus dem - für meinen Geschmack viel zu engen Kleid - und den High Heels, die mich im Übrigen fast umbrachten, und schlüpfte in meine hellblaue Lieblingsröhrenjeans. Dazu zog ich mir ein schwarzes Tanktop und meine hellbraune Lederjacke über.
„Kannst wieder gucken“, meinte ich, nachdem ich auch meine geliebten braunen Sneakers angezogen hatte.
„Willst du nochmal weg?“, fragte er mit einem skeptischen Blick auch meinen Oberkörper. Verwirrt schaute ich an mir herunter und bemerkte, dass der Ausschnitt des Tops wesentlich größer war, als ich gedacht hatte. Peinlich berührt zog ich den Reißverschluss der Lederjacke höher nach oben.
„Ich muss mit Sam raus. Kommst du mit?“ Sven stimmte zu und begleitete mich nach draußen. Da sich die Wohnung am Stadtrand befand, mussten wir nicht weit gehen, bis wir am Feld angekommen waren. Dort ließ ich Sam von der Leine und schlenderte neben Sven durch die Stille der Nacht.

Inzwischen war es bestimmt schon halb eins und so gut wie niemand war noch unterwegs. Vielleicht noch in der Einkaufsstraße in der Innenstadt oder im Kurpark, aber nicht hier. Das Einzige, was man hören konnte, war das gelegentliche Muhen von Kühen in der Ferne.
„Woher hast du Sam eigentlich?“, unterbrach Sven irgendwann die Stille.
„Tierheim“, antwortete ich knapp und hielt Ausschau nach Sam. Ich pfiff, was sich allerdings lauter anhörte, als ich gedacht hatte, und schon kam er angerannt. Ich lobte ihn und ließ ihn dann beifuß gehen. Sven grinste. Oder er lächelte. Keine Ahnung, es war schwer zu deuten.
„Schon Pläne für den Sommer?“, fragte ich, den Blick stur geradeaus gerichtet.
„Kann man so sagen. Ich fahre am Montag wieder heim nach Salzburg“, antwortete er. Daran hatte ich gar nicht gedacht. Sven fuhr jedes Jahr über den Sommer zurück nach Österreich.
„Das heißt, du bleibst nächste Saison hier?“, hakte ich freudig nach und war kurz davor, ihm um den Hals zu fallen. Ohne ihn würde uns in der zweiten Bundesliga ein wichtiger Part des Teams fehlen, falls wir den Aufstieg denn überhaupt schaffen würden. Sven grinste belustigt.
„Ja, ich bleibe wahrscheinlich.“
„Toll!“, rief ich begeistert. „Wann bist du denn wieder da?“
„Wahrscheinlich so um den 30. August, aber dann ist auch gleich das Trainingslager in Selb“, antwortete er. „Gehen wir zurück? Ich bin verdammt müde.“ Ich nickte. Sam trabte auf dem Nachhauseweg locker neben Sven her. So langsam bekam ich echt das Gefühl, dass er Sven vergötterte. Na toll! Mein Hund, das Fangirl.

Vom Feld aus hatte man einen tollen Blick auf die Stadt. Alina wollte ursprünglich nach Frankfurt ziehen. Nach Sachsenhausen, um genau zu sein. Aber das Leben in der Großstadt wäre die reinste Hölle für mich. Sie engte einen ein, und ich brauchte meine Freiheit. Wobei man Freiheit jetzt unterschiedlich definieren könnte.
Jedenfalls leuchteten die verbliebenen Lichter der Kurstadt in der Dunkelheit. Je weiter man aber von ihr entfernt war, desto dunkler wurde es. Von hier aus sah man jeden einzelnen Stern.

Sven stieß mir irgendwann in die Rippen. Fragend sah ich ihn an und er deutete in den sternenbedeckten Himmel.
„Siehst du das Sternenbild?“, fragte er. Ich folge mit den Augen seinem ausgestreckten Arm, doch da oben war rein gar nichts zu sehen.
„Hä?“, machte ich sichtlich verwirrt. Sven grummelte, packte mich an den Schultern und schob mich dorthin, wo er vorher gestanden war. Dann deutete er nochmal gen Himmel und erst dann erkannte ich den Großen Wagen. Allerdings fragte ich mich nun, was so besonders an diesem Sternbild war.
„Das hat mir mal eine gute Freundin von Daheim gezeigt. Es war das erste Sternbild, das ich je gesehen habe“, sagte er leise. Es war fast so, als hätte er gehört, was ich gedacht hatte.
Ich starrte in den Himmel. Mir wurde klar, dass auch ich bisher noch nie eines gesehen hatte. Erst Sams Gebell riss mich aus meinen Gedanken. Sven ging es anscheinend genauso, denn er zuckte heftig zusammen und nahm dann die Hände von meinen Schultern.

„Wettrennen?“, fragte ich, als wir in die Nähe der Wohnung kamen. Sven nickte und wir rannten gleichzeitig los. Sam bellte begeistert und jagte uns hinterher. Natürlich hatte Sam uns schnell überholt und wartete am Ende schwanzwedelnd vor der Haustür auf uns. Sven und ich waren lange gleichauf, doch auf der Zielgerade, oder besser gesagt der Auffahrt, hatte er mich doch noch überholt. So ein Mist! Er schien im Gegensatz zu mir auch kaum außer Puste zu sein. Ich schleppte mich die Treppe hoch, während Sam und Sven bereits oben standen und ungeduldig auf mich warteten.

Wenig später schmiss ich mich neben Sven auf mein Bett. Er weigerte sich nämlich noch immer, auf der Couch zu schlafen. Heute hatte ich ihm aber eine eigene Decke besorgt (die Couchdecke). Ich krabbelte hoch zum Kopfende. Sam rollte sich an meinen Füßen zusammen und ließ nur einige Sekunden später ein höchstzufriedenes Brummeln von sich verlauten.
Ich lag noch wach, als von Sven bereits ein tiefes gleichmäßiges Atmen zu hören war. Seufzend drehte ich mich zur Wand und begutachtete das Muster der hellgrün gestrichenen Raufasertapete. Ab dem nächsten Tag, im Übrigen ein Mittwoch, war meine Ausbildung beendet und meine Festanstellung in einer hiesigen Praxis würde erst am 1. September beginnen. Das hieß für mich also vier Monate ohne redenswertes Einkommen und ohne Beschäftigung. Verdammt!

Playoff

„Sven, du bist der Beste!“, rief ich und fiel dem besten Freund meines Bruders um den Hals. Es war gut eineinhalb Stunden vor Spielbeginn und er hatte mir gerade eröffnet, dass es keine Karten mehr gab. Deshalb hatte er vor, mich durch den Personal- bzw. den Spielereingang mit rein zu nehmen. Das letzte Mal hatte mich mein Vater vor ein oder zwei Jahren auf diesem Weg ins Stadion geschleust.
Dort hätte ich dann die Wahl: Fankurve oder beste Sicht auf das Spielgeschehen, also direkt an dem Tor, durch das die Spieler das Eis betraten.
„Kein Ding. Immerhin durfte ich bei euch pennen“, lautete seine Antwort. Er klopfte mir leicht auf den Rücken, woraufhin ich ihn gleich wieder losließ.
„Sven! Chrissy!“, plärrte irgendjemand, der noch ziemlich weit weg sein musste. Ich drehte mich um und sah Matt, der locker auf uns zu joggte. Er begrüßte Sven mit einem lässigen Handschlag. Mir nickte er kurz zu und lächelte.
„Bist spät dran“, bemerkte Sven und deutete mit dem Kopf auf den Eingang des Stadions. Matt zuckte entschuldigend mit den Schultern.
„Ich sammel dich später wieder hier auf, ja?“, fragte Sven. Ich nickte und schon verzogen sich die beiden. Ich sah ihnen hinterher, bis sie im Gebäude verschwanden. Seit wann hatte Sven eigentlich solche trainierten Oberarme? Er war zwar generell immer gut in Form, aber irgendwie kam es mir so vor, als wäre er in letzter Zeit besser trainiert als sonst. Gott! Warum achtete ich eigentlich auf so einen verdammten Schwachsinn?!

Bis die wiederkommen würden, konnte es noch ewig dauern. Ich entschloss mich, meinen Vater anzurufen. Ich hatte schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr mit ihm gesprochen. Es dauerte etwas, bis er endlich an sein Handy ging.
„Ja?“, fragte er leicht genervt.
„Na alter Mann, wie geht’s dir?“, fragte ich lachend. Es freute mich einfach, die Stimme meines Vaters zu hören.
„Grizzly!“, rief er lachend. „Gut. Was treibst ‘n du so?“
„Steh gerad vorm Stadion du warte auf Sven“, antwortete ich und lehnte mich gegen die Wand neben dem Eingang zur Geschäftsstelle. Ich meinte, meinen Vater lachen zu hören. Bisher waren noch nicht viele Leute da, nur zwei oder drei andere Trikotträger (ich muss zugeben, dass ich auch einer war, ein ziemlich stolzer sogar!) standen vorm Eingang.
„Auf den Penner?!“, hakte Paps nach. Er hatte die Angewohnheit, selbst jeden noch so kleinen Fehler von jemandem auf die Goldwaage zu legen. Einmal ging ihm das nicht schnell genug, dann passt ihm jenes nicht ins Bild und schon wird die betreffende Person als „Penner“ abgestempelt. Es gab nur sehr wenige, die für ihn keine Penner waren. Einer davon war Christoph. Ihn hatte er schon immer gut leiden können. Vielleicht, weil er ebenso wie mein Vater regelmäßig angeln ging. Mein Vater mochte so gut wie jeden, der eines seiner Hobbys teilte.
„Genau. Er nimmt mich mit ins Stadion. Das Spiel an sich ist ja ausverkauft“, erklärte ich ihm. Mein Vater dachte kurz nach.
„Lässt du dich morgen mal daheim blicken? Ich hab was für dich.“
„Bitte sag mir nicht, dass du schon wieder was bei EBay bestellt hast!“, flehte ich. Schon seit ich klein war, bestellte mein Vater permanent irgendwelchen Kram, den im Prinzip kein Schwein gebrauchen konnte, bei diesem bekannten Onlineauktionshaus.
„Wirst du dann schon sehen. Bis wann schaffst du’s denn?“
„So gegen eins vielleicht.“
„Okay, Grizzly. Man sieht sich!“ Damit legte er auf. Ich hasste es, „Grizzly“ genannt zu werden. Mal ganz ehrlich, ich war (und bin) verdammt nochmal KEIN Fan von Wolfsburg. Obwohl… solange mich niemand „Rooster“ nennt, ist alles gut. Iserlohn Roosters… Das wäre ja noch schöner! Ich glaube, ich würde durchdrehen, wenn man mir einen Spitznamen verpassen würde, der mehr oder weniger direkt mit unseren Erzfeinden zu tun hatte. Möglicherweise war das auch etwas übertrieben, aber das war genau so, als ob man die Augsburger Panther mit dem EHC Netphen vergleichen würde, um diesen Konflikt mal zu verdeutlichen.

Ich steckte mein Handy weg und hielt Ausschau nach Sven. Niemand zu sehen. Na ganz toll! Ich sah auf die Uhr über dem Eingang. Noch mehr als eine Stunde bis Spielbeginn.
In diesem Moment kam Christoph aus dem Stadion. In Jogginghose und einem T-Shirt, in das ich wohl viermal gepasst hätte, schloss er Kopfhörer an seinen iPod an. Mich sah er natürlich nicht. Er lief los.
Als er schon einige Meter entfernt war, entschied ich mich dazu, mit ihm zu laufen. Es dauerte etwas, bis ich ihn eingeholt hatte, da er nun wirklich alles andere als langsam lief. Außerdem ließ es sich in Röhrenjeans und ausgelatschten Chucks auch nicht besonders gut rennen.
Er bemerkte mich auch dann noch nicht, als ich direkt neben ihm her joggte. Ich schlug ihm auf die Schulter, um ihn aus seiner Konzentration zu reißen. Er zog sich die Kopfhörer aus den Ohren, grinste mich an und verlangsamte seinen Lauf etwas, aber nicht übermäßig viel. Das würden harte eineinhalb Kilometer werden.
„Na, alles klar?“, fragte ich und sah zu ihm auf. Er war inzwischen ein ganzes Stück größer als ich mit meinen 1,74m. Als ich ihn in der neunten Klasse kennengelernt hatte, hatte ich ihn sogar noch um einige Zentimeter überragt.

„Bisschen aufgeregt, aber sonst passt‘s“, antwortete er. „Schon Pläne für den Sommer?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Nee, ich werd wahrscheinlich jeden Tag im Freibad vor mich hin gammeln“, meinte ich. „Hast du was vor?“
„Jap. Ich flieg mit Matt, Basti und Alex nach Kanada.“ Ruckartig blieb ich stehen. Es dauerte etwas bis ich mich wieder gefangen hatte, aber dann holte ich ihn erneut ein.
„Wie lange seid ihr denn weg?“, fragte ich in der Hoffnung, den Sommer nicht komplett allein verbringe zu müssen, nach. Wenn Christoph und Matt wegfahren würden, wer blieb mir dann noch? Olli und Flo. Na ganz toll! Flo kannte ich nicht mal richtig und wie armselig war es denn bitte, den ganzen Sommer über wie eine Klette an seinem großen Bruder zu hängen?! Gut, vielleicht war das jetzt auch nicht SO schlimm. Aber ich konnte mir definitiv Besseres vorstellen!
„Bis Mitte August“, antwortete er. Na toll! Mein Sommer war gelaufen!
„Du hast doch Noah und Flo. Die lassen dich bestimmt nicht hängen!“, versuchte er mich zu motivieren. Stimmt ja, Noah hatte ich total vergessen, aber ob der Bock hatte, sich mit mir abzugeben… Noah kam jeden Sommer zurück hierher in seine Heimatstadt. Klostersee war ihm auf Dauer anscheinend zu eintönig, oder er vermisste seine Freunde und Familie. Letzten Sommer hatte ich ihn allerdings nicht gesehen. Vielleicht würde es ja in diesem Jahr was werden.
„Ich hab ‘ne Idee!“, meinte ich plötzlich enthusiastisch. „Was hältst du von ‘nem Campingausflug so als Abschlussfeier der Saison?“
„Und du willst mit?“, fragte er abwertend. Als er meinen gekränkten Blick sah, lachte er aber los. „Klar! Keine schlechte Idee. Ich frag die Jungs nach dem Spiel mal.“
„Echt? Christoph, ich liebe dich!“, rief ich lachend. Als mir einige Sekunden später klar wurde, was ich da eben gesagt hatte, wurde ich knallrot.
„V-versteh das bitte nicht f-falsch, ja?“, meinte ich deshalb kleinlaut und brachte ihn damit zum Lachen.
„Schon klar, Chrissy. Wartest du nach dem Spiel hier auf mich?“ Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir schon wieder vorm Stadion standen. Hätte er nichts gesagt, wäre ich wohl einfach weitergelaufen. Stumm nickte ich und Christoph verschwand durch den Personaleingang im Stadion.
Ich stellte mich wieder neben den Haupteingang, um auf Sven zu warten. Mein Herz raste wie sonst was und jeder Atemzug tat weh. Ich war völlig am Ende, aber im Gegensatz zu mir hätte Christoph noch locker zwei Kilometer durchgehalten. Scheiß Kondition!

Wenig später stand Sven dann auch schon vor mir. Mein Herzschlag hatte sich etwas beruhigt, aber meine Lunge rasselte noch immer so, als hätte ich gerade einen Marathon bewältigt. Langsam aber sicher konnte ich aber immerhin wieder relativ normal atmen.
„Na, haste dich entschieden, Kleines?“, fragte er neckisch. Schon war ich wieder auf 180.
„Ich hab dir schon tausendmal gesagt, dass du mich nicht so nennen sollst, wie deine verdammten Schlampen!“, knurrte ich ihn an und wäre ihm bei der Gelegenheit am liebsten gleich an die Kehle gesprungen. Ich konnte es nicht leiden, auf eine Stufe mit diesen Weibern gestellt zu werden, die sich freiwillig, quasi als Teammatratzen, von allen Teammitgliedern durchvögeln lassen würden. Ein klein wenig Würde hatte ich mir im Gegensatz zu denen wenigstens noch behalten! Mal ehrlich, wie tief konnte man sinken, um mit jedem zu schlafen, nur weil er aktuell im Kader der Mannschaft war? Das waren in meinen Augen schlicht und ergreifend richtige Schlampen. Ein anderer Ausdruck würde mir zu denen auch echt nicht einfallen.
Aber glücklicherweise waren ja nicht alle weiblichen Fans so.

„Wie soll ich dich denn sonst nennen? Süße? Schatz? Mäuschen?“, fragte er lachend. Er stand direkt vor mir und ich musste meinen Hals ziemlich strecken, um ihm in die Augen sehen zu können.
„Nee, aber mit königliche Hoheit oder Gebieterin würde ich mich durchaus zufrieden geben“, witzelte ich und verfiel dann ebenfalls in ein schallendes Lachen.
„Also? Hast du dich entschieden?“, fragte er nochmal und sah auf seine Armbanduhr. Ich konnte ebenfalls einen Blick darauf erhaschen. Noch eine Stunde bis Spielbeginn.
„Ja. Ich bleibe hier vorne. Die Fankurve ist eh schon brechend voll“, antwortete ich mit einem Blick auf die Meute der Fans, die sich noch vor den Eingängen tummelte.
„Na dann“, meinte er und zog mich mit durch den Haupteingang, das kleine Tor neben dem Drehkreuz und durch die Tür, die für die Leute mit VIP-Karten bestimmt ist. Er als Spieler durfte natürlich trotzdem durch. Ebenso wie Angestellte und Offizielle. Na ja, und heute ausnahmsweise auch ich.
Er ließ mich los und unterhielt sich kurz mit einem der Ordner. Dieser durfte nicht viel älter sein als Sven, allerhöchstens 28. Der Typ grinste und warf einen kurzen Blick auf mich. Sven lachte. Als er weitergehen wollte, sagte der Ordner noch etwas. Sven lehnte sich zurück, damit er diesem etwas zuflüstern konnte. Er legte seinen Zeigefinger auf die Lippen und machte „Psst!“. Der Ordner lachte und klopfte ihm auf die Schulter
Dann kam Sven grinsend auf mich zu. Misstrauisch zog ich eine Augenbraue hoch. Sein Grinsen verblasste etwas. Ich seufzte.
„Am besten frag ich erst gar nicht“, murmelte ich und lächelte Sven an.
„Hä?“, machte er. Ich schüttelte den Kopf, was ein „Ist schon gut“ signalisieren sollte. Er verstand.
„Auf jeden Fall kannst du hier bleiben. Ich hab ihm Bescheid gesagt, dass du zu mir gehörst“, erklärte er. Ich gehörte also zu ihm? Na dann… Ich grinste und trat näher an ihn heran. Sanft legte ich ihm eine Hand an die Brust und schaute gespielt verlegen zu ihm hoch.
„Meinst du nicht, dass ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden habe, mein Liebling?“, fragte ich grinsend. Er reagierte anders, als ich gedacht hatte, denn er war weder irritiert, noch verwundert über meine Aktion. Stattdessen legte er seine Arme um meine Hüfte und drückte mich so fest an sich, dass ich beinahe zerquetscht wurde. Ächzend versuchte ich mich aus diesem Stahlgriff zu befreien. Sven lachte sich währenddessen einen Ast ab.

Er ließ mich los und verschwand in die Kabine. Ich schnappte nach Luft, da er mir diese eben fast abgequetscht hatte. Ich schaute auf die Uhr, die über dem Eingang zum stadioneigenen Bistro (oder Restaurant, keine Ahnung was das darstellen sollte) angebracht war. In einer Viertelstunde war Warmlaufen beider Mannschaften und in einer halben Stunde war Spielbeginn.

Ich ging auf den Ordner zu, mit dem Sven eben geredet hatte. Er grinste mich an, als ob er irgendetwas wüsste bzw. im Schilde führte. Verrückter Typ…
„Wissen Sie zufällig welcher Eismeister heute Dienst hat?“, fragte ich ihn. Er nickte.
„Soweit ich weiß hat der Hofmann heute Dienst“, antwortete er.
„Danke“, meinte ich und wandte mich zum Gehen, doch ich wurde an der Schulter festgehalten. „Du kannst mich ruhig Frank nennen. Freunde von Sven sind auch meine Freunde.“
„Und Schwestern von Oliver beziehungsweise Töchter von Harald nicht?“, witzelte ich. Harald war der Vorname meines Vaters. Ich hasste diesen Namen… Dieser Frank schaute mich verwirrt an,ehe sich sein Gesichtsausdruck erhellte.
„Ach dann bist du Christin?“ Er lachte. „Dein Bruder spricht oft von dir.“
„Oh je“, stöhnte ich. „Was hat er denn erzählt?“ Frank lachte.
„Genug.“ Er schien kurz zu überlegen. „ Sag mal, wolltest du nicht zu deinem Vater?“
„Äh… ja! Hast du ‘ne Ahnung, wo der steckt?“ Suchend schaute ich mich um, aber mein Paps war nirgendwo zu sehen.
„Müsste in seinem Büro sein.“ Frank deutete auf eine Tür, die in ein kleines bruchbudenartiges Gebäude führte. Dieses winzige Gebäude befand sich ganz am anderen Ende des ewig lang erscheinenden Ganges und wurde sogar durch ein Metalltor von dem Teil des Ganges abgetrennt, in dem ich mich gerade befand. Wenn man zu den Sitzplätzen oder der Fankurve wollte, musste man direkt am Büro meines Vaters vorbeilaufen. Dort wurde von Spielern des Nachwuchsvereins auch immer die Stadionzeitung an die Fans gegeben.
„Komm mal mit“, meinte Frank an mich gerichtet und wendete sich dann aber einem seiner Kollegen zu. „Jürgen, übernimm mal bitte!“ Dann marschierte er mit großen Schritten auf das Metalltor zu. Ich versuchte stetig, mit ihm mitzuhalten. Am Tor stand ebenfalls ein Ordner. Ein kleinerer, korpulenter Mann mit Halbglatze.
„Ben, das ist Christin, die Schwester vom Ole. Sie kann hier durch, wann immer sie will“, erklärte Frank. Das ging gerade alles schneller, als ich gucken konnte. Ich kam nicht mal dazu, meine sonst so große Klappe aufzureißen.
„Geht klar“, meinte der zweite Ordner und öffnete das Tor. Ich trat hindurch und ging den nun schmaler werdenden Gang weiter bis zum Büro meines Vaters. Dort standen zwei oder drei Spieler des Nachwuchsvereins und blockierten mit ihrem aufgebauten Tisch den halben Weg, sodass die Fans sich, um zu ihren Plätzen kommen zu können, ein Exemplar der Stadionzeitung andrehen lassen mussten.
Ich klopfte zwei, drei Mal gegen die Fensterscheibe, durch die mein Vater einen super Blick auf das Geschehen vor dem Büro hatte. Ich betrachtete diese Jungs genauer. Sie waren nicht viel jünger als ich, vielleicht sogar gleichalt. Somit waren sie wahrscheinlich Juniorenspieler. Drinnen hörte man schwere Schritte. Mein Vater hatte sich wohl aufgerafft. Ich trat einen Schritt zurück, stolperte und kippte nach hinten. Ich erwartete schon einen harten Aufschlag, doch ich wurde aufgefangen. Mein Retter stellte mich wieder auf die Füße. Ich drehte mich um und sah direkt ins Gesicht von…
„Eddie!“, rief ich und fiel ihm gleich um den Hals. Die Tür öffnete sich und mein Vater trat heraus.
„Chris-!“ Er stockte. Ich ließ Eddie los und drehte mich zu meinem Vater. Ein breites Grinsen, das dem eines Breitmaulfroschs glich, zierte sein sowieso schon viel zu rundes, übrigens immer knallrotes, Gesicht.
„Paps… ähm… Eddie… das…“, stotterte ich. Innerlich hätte ich mir am liebsten eine Backpfeife verpasst. „Scheiße Mann!“
„Ich bin Eddie“, stellte er sich vor. „Ich bin der Verlobte Ihrer Tochter. Nächste Woche ist die Hochzeit. Wenn Sie möchten, können Sie gerne kommen!“ Mein Vater war in diesem Moment nicht der Einzige, der Eddie geschockt anstarrte. Mein Retter verfiel in schallendes Gelächter, als er den Gesichtsausdruck meines Vaters bemerkte. Als dem klar wurde, dass Eddie null Sinn für (angebrachten) Humor hatte, bat er uns ins Büro.


„Also im Klartext: Meine Tochter ist zu blöd zum Laufen und du hast sie aufgefangen. Soweit richtig?“, widerholte mein Vater. Wir nickten.
„Kennengelernt habt ihr euch wo?“, fragte mein Vater.
„Im Puff!“, antwortete ich todernst.
„Verarsche deinen Vater nicht!“, meinte Eddie in strengem Tonfall und verpasste mir einen Klaps auf den Hinterkopf.
„Im Queens. Ich bin Barkeeper“, klärte er meinen Vater auf. Dieser nickte. Sein Hirn schien zu arbeiten wie schon seit Jahren nicht mehr. Man sah beinahe seinen Kopf rauchen.
„Okay, okay. Und was genau läuft da?“, fragte mein Dad weiter nach. Ratlos sah ich Eddie an, der aber auch nur kaum bemerkbar mit den Schultern zuckte.
„Nichts“, antwortete er meinem Vater, ehe ich mir etwas Besseres ausdenken konnte. Irgendwie stimmte es ja auch, allerdings wollte ich unbedingt, dass da was lief. Mein Dad atmete erleichtert aus.
„Na dann ist’s gut. Ihr solltet dann los. Das Spiel fängt gleich an!“, meinte er enthusiastisch. Leicht panisch schaute ich auf die Uhr. Noch eine Viertelstunde bis Spielbeginn!

Gemeinsam mit meinem Vater traten wir aus dem Büro. Mein Vater ging schon vor, während ich noch kurz mit Eddie vor dem Büro stehen blieb. Er erzählte mir noch etwas über seinen Vater, der anscheinend sogar noch schlimmer war als meiner. Dann drückte er mich zum Abschied.
„Man sieht sich“, flüsterte er mir noch ins Ohr, bevor er dann in Richtung Fankurve verschwand. Ich hingegen ging gemütlich zu dem Metalltor, wo ich dank Frank auch ohne Zögern durchgelassen wurde. Gerade betraten unsere Gegner das Eis und wurden sofort von den heimischen Fans ausgebuht und ausgepfiffen. Dahinter traten nun unsere Spieler ans Eis. Sie waren in der Reihenfolge ihrer Rückennummern aufgestellt.

Jedes Mal, wenn sie das Eis betraten, schrie die Menge ihren Namen. Als sie plötzlich „Hofmann!“ riefen, fühlte ich mich gleich angesprochen. Oh wonder why!
Ich stützte mich mit den Unterarmen an der Bande ab. Glücklicherweise stand ich direkt neben dem Tor (oder der Tür, keine Ahnung wie man das nennt) in der Bande, durch das die Spieler aufs Eis stürmten. Plötzlich gab mir jemand einen Klaps auf den Hintern. Reflexartig schaute ich mich um, doch niemand stand in meiner Reichweite. Ich wartete auf den Ruf der Fans, denn dann konnte es ja nur der sein, der gerade das Eis betreten hatte.
„Neumann!“, brüllte die Menge. Okay, der war definitiv tot! Nach dem Spiel… So lange brauchten wir ihn nämlich noch! Immerhin war er Teamkapitän und ein wichtiger Part der Mannschaft.

Die meisten verließen nun das Eis, zwölf blieben darauf. Sven stellte sich zum Bully auf. In der Verteidigung spielten Christoph und Daniel (der vom Stadtfest). Im Sturm spielte die erste Reihe bestehend aus Sven, Olli und einem etwas älteren, aber großartigen Spieler namens Steffen Meyer. Im Tor stand Michael.
Die Sirene ertönte und Sven gewann den Bully. Sofort begann der Ansturm auf das gegnerische Tor.


Das Spiel an sich war wohl das Spannendste, das ich in dieser Saison gesehen hatte. Von der ersten Sekunde an war die Spannung in der Halle zu spüren. In den ersten beiden Dritteln gab es kein einziges Tor und die Gewaltbereitschaft stieg auf beiden Seiten, sodass es einige Zwei-Minuten-Strafen gab. Im letzten Drittel standen alle, wirklich alle Fans auf und feuerten ihr Team an. Das hatte ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Ja, die Stimmung in diesem Stadion war immer etwas mau. Die meisten dieser Fans - von denen mehr als die Hälfte eh nur Gelegenheitsfans waren, die nur dann ins Stadion gingen, wenn man gerade in einer Siegesphase war – waren viel zu erfolgsverwöhnt, unterstützten ihr Team selten akustisch, legten jeden noch so winzigen Fehler eines Spielers auf die Goldwaage, unterstellten bei jeder Niederlage dass das Team absichtlich verlor und regten sich dann auch noch auf, wenn die Spieler nach dem Spiel nicht nochmal herauskamen. Schlimm so was…

Jedenfalls wurde auch im letzten Drittel vorerst kein Tor mehr geschossen. Erst in der letzten Sekunde, beinahe mit der Sirene, schoss Christoph das entscheidende Tor.
Der Goalie unserer Gegner hatte einfach gedacht, dass sich das Spiel sowieso erst in der Verlängerung entscheiden würde und deshalb auch nicht mehr richtig auf Christoph geachtet. Ein fataler Fehler!
Die Halle brach in Jubelgeschrei aus und unser Team stürmte aufs Eis, um den Torschützen zu feiern.


Nachdem das gesamte Team nochmal aus der Kabine gekommen war, um sich von den Fans feiern zu lassen, verschwanden sie auch genauso schnell wieder. Ich lehnte mich an die Bande und wartete, bis die Kerle fertig waren. Während ich wartete unterhielt ich mich noch mit Frank und erfuhr, dass er selbst mal Eishockey gespielt hatte, aber wegen einem Kreuzbandriss und etlichen Gehirnerschütterung mit 25 Jahren aufhören musste. Inzwischen war er 27 und machte eine Ausbildung zum Klimatechniker.
Insgesamt hatten wir uns vielleicht eine halbe Stunde unterhalten. Dann machte auch er Feierabend und ich wartete weiterhin auf die Jungs. Schon einige Spieler waren an mir vorbeigegangen und hatten mich, wenn überhaupt, mit einem kurzen Kopfnicken gegrüßt.

Dann endlich kam Sven aus der Kabine und schleppte mich mit zurück in die Höhle des „Löwen“ (Tse, wär ja noch schöner!). Am liebsten wäre ich aber rückwärts wieder rausgestolpert, denn es stank dermaßen heftig, dass ich kaum noch Luft bekam.
„Boah! Seid ihr dermaßen unfähig, dass ihr nicht mal ein Fenster aufmachen könnt?!“, plärrte ich, sobald ich wieder einigermaßen atmen konnte. Die Jungs lachten und meinten, dass ich mich schon daran gewöhnen würde.
Es waren nicht mehr viele da, aber ich kannte sie alle ("leider") nur zu gut: Christoph, Matt, Flo, Olli und Sven. Sie saßen nebeneinander auf den Bänken und tranken Bier.

„Also, hast du die Jungs schon gefragt?“, meinte ich an Sven gerichtet. Er nickte.
„Ja, aber niemand hat Zeit“, lautete seine Antwort zwischen zwei Schlucken Bier. Das konnte man ja nicht mitansehen. Ich bediente mich ebenfalls am Bierkasten und ließ mich neben Christoph auf die Bank fallen. Sie hatten recht gehabt. Man gewöhnte sich wirklich an diesen widerlichen Schweißgeruch hier drin.

Zwei Stunden später verließ ich wankend das Stadion. Nicht alleine, versteht sich. Matt wankte genauso schlimm wie ich und wir stützten uns gegenseitig. Ich hatte schon vor zwei Flaschen Bier entschieden, dass ich nicht mehr Auto fahren konnte und deshalb bei Matt schlafen würde, dessen Wohnung nur zwei Straßen von Stadion entfernt war. Gemeinsam schlurften wir durch die Straßen, bis wir schließlich vor seinem Wohnhaus ankamen.
Es dauerte ewig, bis er seinen Schlüssel gefunden hatte und bestimmt doppelt so lange, bis er diesen endlich im Schloss platziert hatte. Dieselbe Prozedur gab es auch nochmal an seiner Wohnungstür.

Nebeneinander fielen wir in sein Bett. Ich drehte mich auf die Seite du wollte nur noch schlafen, doch Matt machte mir einen Strich durch die Rechnung.
Er schlang seine Arme von hinten um mich du zog mich dicht an sich heran. Er flüsterte mir irgendetwas ins Ohr, doch ich verstand es nicht. Ich gluckste und drehte mich auf den Rücken. Er sah mir tief in die Augen und stützte sich dann mit den Unterarmen auf der Matratze neben meinem Kopf ab. Sein Gesicht kam immer näher. Schneller als ich gucken konnte, lagen seine Lippen schon auf meinen und ein sanfter Kuss entwickelte sich. Er löste den Kuss und bettete seinen Kopf neben meinem.
Sein heißer Atem strich meinen Nacken. Das war meine Schwachstelle. Sobald mit jemand in den Nacken hauchte, war es um meinen Verstand geschehen.

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Am nächsten Morgen hämmerte mein Kopf wie blöde. Das einfallende Licht brannte in meinen Augen. Ich drehte mich auf die Seite und versuchte, wieder einzuschlafen. Die Decke zog ich bis über beide Ohren. Doch da erlitt ich den Schock meines Lebens: neben mir bewegte sich etwas und murrte vor sich hin.
Etwas ängstlich drehte ich mich zu dem Etwas um. „Es“ schaute mich blinzelte mich noch halbwegs verschlafen an.

Warum war ich bei Matt zu Hause?
Warum schlief ich in seinem Bett?
Warum hatte er kein T-Shirt an?
Warum zur Hölle hatte ich nur Unterwäsche an?

„Matt!“, zischte ich, um keine unnötigen lauten Geräusche zu verursachen, die meine Kopfschmerzen nur noch verstärken würden.
Hä?“, machte er und blinzelte mich an. Ich geb’s zu, er war, objektiv gesehen, wirklich mehr als scharf. In meinem Kopf fügte sich gerade ein Bild zusammen, das nicht wirklich jugendfrei war.
„Was war gestern hier los?“, fragte ich leise. Matt ging es anscheinend besser als mir, denn er richtete sich auf, kramte in der Kommode neben seinem Bett und warf mir dann eine grün-weiße Schachtel rüber. Aspirin.

Gott, wenn ich jetzt was brauchte, dann war es Aspirin. Hauptsache, diese verdammten Kopfschmerzen würden verschwinden! Ich öffnete die Schachtel du löste eine der Tabletten. Ohne auch nur einen Schluck Wasser würgte ich sie herunter (übrigens eine ganz miese Idee) und gab Matt die Schachtel zurück.

„Du warst zu besoffen zum Fahren, also bist du mit hierhergekommen“, meinte er und verstaute die Schachtel wieder. Ich und besoffen? Seit wann gab’s das denn?
Seine Stimme war ziemlich kratzig. Tief. Rauchig. Wenn das neben mir nicht mein Kumpel gewesen wäre, dann hätte ich mich wohl sofort auf ihn gestürzt. STOPP! Das war jetzt definitiv zu viel!
Aber Freundschaft änderte ja (glücklicherweise) vieles.
„Und wie kommt das hier?“, fragte ich und zupfte an einem Träger meines BHs. Er sah mich an. Na ja, er begutachtete doch eher meine Brust. Als ich das bemerkte, schnippte vor seinem Gesicht herum. Er schüttelte energisch den Kopf.
„Ich glaub, du hast dich vollgekotzt. Oder ich dich. Keine Ahnung“, lautete seine Antwort. Erleichtert atmete ich aus.
„Sonst nichts?“, wollte ich mich bestätigt wissen.
„Sonst nichts“, bestärkte er mich in meiner Annahme. Die Erleichterung war groß. Für mich wäre es schrecklich zu wissen, dass ich es mit einem meiner besten Freunde getan hatte. Höchst wahrscheinlich hätte ich ihm nie wieder in die Augen sehen können. Vielleicht wäre es sogar ein Problem gewesen, wieder ganz normal mit ihm zu reden.
Auch von seiner Seite aus machte sich Erleichterung bemerkbar. Wer weiß, vielleicht ging es ihm ja genau wie mir…

„Also? Irgendwelche Pläne für heute?“, fragte er am Frühstückstisch. Da mein eigenes T-Shirt total versaut war, hatte ich mir eines von ihm „geliehen“. Hey, es war ein Nickelback-Bandshirt, okay?! Aber wenn er mich daran erinnern würde, bekam er es selbstverständlich umgehen zurück.
„Noch nicht. Hast du was vor?“, stellte ich die Gegenfrage und sah mich in der Küche um. Sie war klein. Spärlich eingerichtet, nur das Nötigste war darin. Kühlschrank, Herd, Spülmaschine, zwei Schränke, ein Tisch und vier Stühle. Durch das kleine Dachfenster kam auch nur wenig Licht in den sowieso schon kleinen Raum.
„Ich dachte, ich statte Ole mal einen Besuch ab.“ Olli war noch immer ziemlich niedergeschlagen wegen der Trennung von seiner Freundin. Sie waren zwar nicht lange zusammen gewesen, aber wie immer hatte mein Bruder geglaubt, sie wäre seine große Liebe. Kein Wunder, dass er total fertig war.
In diesem Moment klingelte mein Handy.
„Stört’s dich, wenn ich kurz ran gehe?“, fragte ich. Matt schüttelte den Kopf.

„Hofmann?“, meldete ich mich. Ein leises Rauschen ertönte am anderen Ende der Leitung.
„Servus Chrissy. Haste Bock auf Camping?“, fragte der beste Freund meines großen Bruders am anderen Ende der Leitung.
„Immer doch! Wann soll’s denn losgehen?“, antwortete ich begeistert. Matt musterte mich verwundert.
„So gegen zwei. Wir holen dich dann ab“, meinte er.
„Wer sind denn „wir“?“, fragte ich nach. Allerdings konnte ich es mir schon denken. Mein Bruder war auf alle Fälle dabei, das war schon mal klar.
„Ole, Christoph, seine Neue und ich“, beantwortete er brav meine Frage.
„Du meinst Helena?“
„Ja. Bruhns heißt die weiter, oder?“
„Genau. Ich bin auf alle Fälle dabei.“ Ich hielt kurz inne. „Wo wir schon dabei sind, wie spät ist es überhaupt?“
„Müsste halb zwölf sein. Warum fragst du?“
„Ach nur so. Bis später dann!“ Ohne auf irgendeine Höflichkeitsphrase zur Verabschiedung seinerseits zu warten legte ich auf und wandte mich an Matt. Dieser sah mich etwas verwirrt an.
„Hast du was dagegen, wenn ich heimgehe?“, fragte ich. Matt schüttelte den Kopf.
„Quatsch!“ Er stand auf und brachte mich zur Tür. Er blieb sogar im Türrahmen stehen, bis ich meine Schuhe angezogen hatte. Als ich aufstand, breitete er die Arme aus und zog mich an sich. Überrumpelt tätschelte ich ihm den Rücken.

„Komm schon, Chrissy. Wir sehen uns jetzt vier Monate nicht mehr!“, meinte er. Es fiel mir wieder ein und obwohl ich dieses ewige Kuscheln hasste, umarmte ich ihn. Na ja, wohl eher seine Brust, denn Matt war ein ganzes Stück größer als ich.


Als ich endlich zu Hause ankam, wurde ich auch gleich von Ally empfangen.
„Dein Sven hat angerufen!“, informierte sie mich. Ich hetzte weiter in mein Zimmer und durchsuchte mein übliches Chaos nach einem Rucksack.
„Was heißt hier bitte „mein“ Sven?!“, rief ich ihr empört zu. Alina saß noch in der Küche und so wie ich sie kannte, genoss sie gerade ihren Morgenkaffee.

Ich riss die Schubladen meiner Kommode auf und warf ein T-Shirt, eine Jeans sowie frische Unterwäsche auf mein Bett, nur um das dann in dem Rucksack zu verstauen.

„Komm schon! So oft wie du was mit dem unternimmst, muss da was laufen“, stellte sie ihre Vermutung auf. Hatte sie jetzt eigentlich völlig den Verstand verloren?! Ich und Sven, das war ja wohl absurd!
Und überhaupt, bevor ich was mit diesem Weiberhelden anfing, musste Augsburg erst mal aus der DEL fliegen! Da wir aber alle wissen, dass das so schnell nicht passieren wird, wird zwischen mir und dem besten Freund meines Bruders wohl auch so schnell auch nichts laufen!

„Bist du total bescheuert?!“, plärrte ich zurück und befestigte meinen Leatherman, ein Geschenk von Olli, am Gürtel meiner Jeans. In meinen Rucksack wanderten noch eine Flasche Wasser sowie ein Feuerzeug. Meinen Schlafsack befestigte ich mit einem schmalen Gurt am Rucksack.

„Was wollte Sven denn?“, rief ich Alina zu.
„Er meinte, sie fahren an irgendeinen See. Du sollst wohl ‘ne Angel mitnehmen“, rief sie zurück. Ich nahm meine alte Angel und begutachtete sie.
Ich hatte sie mit 15 von meinem Vater zum Geburtstag bekommen. Bis vor einem Jahr war sie oft in Gebrauch gewesen, doch seitdem hatte ich sie nicht mehr benutzt.
Aus der untersten Schublade meiner Kommode zog ich eine Art Angeltasche. Ich verstaute meine Angel darin und sah nach, was sich in den beiden Seitentaschen befand. Eine war gähnend leer und in der anderen war ein kleiner Koffer mit Angelhaken, Ködern, Schwimmern und einer Rolle mit 100 Metern Angelschnur.

„Ally, haben wir noch Dosenmais?“, rief ich meiner Mitbewohnerin zu. Generell angelte ich lieber mit Maden, aber zurzeit hatte ich keine da und diese Plastikköder waren ehrlich gesagt auch nicht so meins. Wozu auch, wenn ich normalerweise eh nicht angeln ging?

Mein Vater hatte früher immer zwei, drei Dosen mit Maden und/oder Würmern im Kühlschrank deponiert. Anfangs war das echt widerlich, aber mit der Zeit war mir das irgendwann nicht mal mehr aufgefallen und gestört hatte es mich auch nicht wirklich.
Immerhin waren die Viecher ja sicher in ihren Dosen.

„Guckst du!“, plärrte sie zurück. Ich knurrte und trampelte quer durch die Wohnung und in die Küche. Der schmale Vorratsschrank wurde aufgerissen und nach einer Konserve mit Mais durchsucht. Es dauerte nicht lange, bis ich sie gefunden hatte.
Alina saß hingegen seelenruhig am Küchentisch, trank ihren Morgenkaffee und blätterte in der Tageszeitung.
Ich fischte noch einen Dosenöffner und eine Zange aus der Schublade, in die alles geschmissen wurde, was sonst nur im Weg herumlag. Von Garn über einen Hammer bis zu verloren geglaubten Hemd- und Hosenknöpfen fand sich darin alles Mögliche.

Anschließend verschwand ich wieder in meinem Zimmer und stopfte den Mais, den Dosenöffner und die Zange in der bis dahin noch leeren Seitentasche.
Gerade als ich damit fertig war, den Rucksack zu schließen, klingelte mein Handy. Während ich den Anruf annahm, warf ich einen beiläufigen Blick auf die Uhr über meinem Bett. Viertel nach zwölf. In spätestes einer halben Stunde müsste ich losfahren, um pünktlich um eins bei meinem Vater zu sein.

„Hofmann?“, meldete ich mich.
„Hallo Christin. Hier ist Eddie“, meinte der junge Mann am anderen Ende der Leitung. Mein Herz schien einen Sprung zu machen.
„Woher hast du meine Nummer?“, fragte ich nach. Es klang nicht misstrauisch oder so. Im Gegenteil, ich freute mich sehr, von ihm zu hören.
„Dein Kumpel hat sie mir gegeben. Bist du sauer deswegen?“
„Blödsinn! Ich freu mich, dass du anrufst. Was gibt’s denn?“
„Ich wollte dich fragen, ob du Lust hast, morgen Abend mit mir ins Kino zu gehen.“ Es wirkte so, als koste es ihn Überwindung, das zu sagen. Er kam mir in dem Moment gar nicht vor, wie der charmante, lustige Typ aus dem Queens.
„Logisch. Wann treffen wir uns?“
„Der Film geht um neun los. Also wie wär’s mit acht?“
„Auf jeden Fall! Bis morgen dann!“
„Okay. Ciao“, verabschiedete er sich und ich legte auf. Ich kümmerte mich allerdings nicht weiter um den Anruf von Eddie, sondern tippte eine SMS an Sven.

>>Muss nochmal zu meinem Dad.
Könnt ihr mich in Espa abholen?
Chrissy<<

Um es kurz zu erklären, Espa war mein Heimatdorf. Ein winziges Kaff in Mittelhessen halt. Allerdings war es auch nicht weit von meiner neuen Heimat entfernt.
Ich steckte mein Handy in eine vordere Tasche meiner Jeans, zog mir meine Jacke über, hängte mir Rucksack und Angeltasche über die Schultern und verließ die Wohnung. Mein „Gepäck“ verstaute ich auf dem Rücksitz meines BMWs und fuhr auf der Ausfahrt. Der Weg zu meinem Dad, in mein Heimatdorf, war nicht allzu weit, aber die Strecke dorthin war ziemlich umständlich.


Als ich dort angekommen war, parkte ich auf der Straßenseite gegenüber der Haustür meines Elternhauses. Es versetzte mir einen gewaltigen Schlag, dass meine Mutter zuhause war.  Am liebsten hätte ich sofort auf dem Absatz kehrt gemacht und wäre wieder nach Hause gefahren. Aber leider musste ich mich irgendwann mal überwinden. Außerdem ging es hier um meinen Vater und nicht um dieses… Weib!

Gerade als ich klingeln wollte, läutete mein Handy. Sven hatte mir zurückgeschrieben.
>>Alles klar.
Viel Glück mit der Schreckschraube.
Du packst das schon
Sven<<

Ich lächelte und steckte das Handy wieder in meine Hosentasche. Dann klingelte ich und der Türöffner surrte. Ich stemmte mich gegen die schwere Haustür aus massivem Holz und ging die Treppe nach oben, machte mir aber nicht die Mühe, Schuhe oder Jacke auszuziehen. Zögerlich betratich  die Wohnung.

Mein Vater saß vor seinem Laptop im Esszimmer. Freudig begrüßte ich ihn und drückte ihn an mich.
„Hallo Paps“, meinte ich lächelnd. Mein Blick schweifte zu der aufgedunsenen Frau, die ihm eine Kippe rauchend gegenüber saß. „Mutter“, knurrte ich und würdigte sie dann keines Blickes mehr. Im Augenwinkel sah ich allerdings noch wie sie in falscher Freundlichkeit die obere Reihe ihrer dritten Zähne bleckte.
Mein Vater stand auf und meinte, ich solle mit nach draußen kommen. Vom Balkon aus führte eine Treppe runter in den Garten. Verwirrt folgte ich ihm über eben diese Treppe nach unten.

„Was gibt’s denn so Besonderes?“, fragte ich ihn, als ich ihn eingeholt hatte. Seine Schritte waren um einiges größer als mein und ich musste mich echt beeilen, um mithalten zu können.
Überhaupt kam ich mir ziemlich blöd vor, als ich da mit leuchtenden Augen meinem Vater hinterher rannte wie eine Vierjährige kurz vor der Bescherung an Weihnachten.
„Schau doch selbst!“, meinte er und deutete auf den klapprigen alten Schuppen, der inzwischen seit 30 Jahren dort stehen musste. Als ich sah, was mein Vater meinte fiel mit glatt die Kinnlade runter. Wie gebannt starrte ich auf das weiß-blaue Etwas, von dem ich schon so lange geträumt hatte.

„Das ist doch nicht dein Ernst!“ Misstrauisch sah ich meinen Vater an, der lachend den Kopf schüttelte.
„Doch, mein voller Ernst. Bernd hatte sie noch rumstehen und kann aber nicht mehr fahren. Er meinte, bevor sie in der Garage verrottet, kannst du sie ruhig haben“, erklärte er. Soweit ich wusste war Bernd ein Kollege von ihm, der inzwischen aber schon um die 60 oder 70 Jahre alt sein musste und nur immer mal wieder als „Aushilfe“ im Stadion arbeitete.
Kaum zu glauben, dass er allen Ernstes eine KTM LC4 620 in der Garage herumstehen hatte!

Vor Glück fiel ich meinem Vater um den Hals. Dieser tätschelte mir leicht den Rücken. Man merkte, dass er mit Töchtern deutlich überfordert war. Obwohl… mir wurde mehr als oft gesagt, dass ich eigentlich auch sehr gut ein Kerl hätte sein können.
„Kann ich es die nächsten Tage abholen?“
„Sicher, Kleines.“ Beiläufig sah ich auf meine Armbanduhr. Schon kurz vor zwei. Gleich würden mich Sven und die anderen hier abholen.


Ich stand bereits mit Rucksack und Angeltasche behängt am Straßenrand, als der rote Pickup von Christophs Vater in die Straße einbog. Christoph saß natürlich hinterm Steuer. Neben ihm seine Helena. Das Dach hatte er abmontiert und so lag die Ladefläche quasi unter freiem Himmel. Dort hatten Olli und Sven es sich schon bequem gemacht.

Ich begrüßte Christoph kurz mit einem Klopfen auf die Schulter, nickte Helena lächelnd zu und ließ mich dann von Sven auf den Pickup ziehen.
Die Ladefläche war mit einer schwarzen Matte ausgelegt worden. Ein voller Kasten Wasser stand neben drei olivgrünen Beuteln, in denen sich wahrscheinlich Zelte befanden.
Verdammt! Klar, dass ich mal wieder das Wichtigste vergessen hatte! Mais hatte ich mit, aber an ein Zelt konnte ich natürlich nicht denken!

„Bruderherz…“, fing ich an. Er stöhnte auf.
„Gott! Was willst du?“ Na toll, wenn er jetzt schon so genervt von mir war, konnte ich gleich vergessen, ihn danach zu fragen, bei ihm im Zelt schlafen zu dürfen.

„Schon gut!“, platzte ich hervor und hob beschwichtigend die Hände. Scheiße! Ich ließ mich neben Sven fallen. Dieser unterhielt sich angeregt mit meinem Bruder. Das Thema war - selbstverständlich - der lang ersehnte Aufstieg in die zweite Bundesliga.

Irgendwann hatten sie sich wieder eingekriegt und mein technikverrückter Bruder konzentrierte sich auf seinen ach so tollen iPod. Nein, so ein bescheuertes Ding hatte ich auch nicht.
Ich stieß Sven in die Rippen.

„Au! Sag mal bist du noch ganz-“, empörte er sich, doch ich unterbrach ihn.
„Kann ich bei dir im Zelt schlafen?“, fragte ich und versuchte, irgendwie süß zu wirken. Skeptisch sah er mich an. Fail!
„Warum?“, stellte er ebenso skeptisch die Gegenfrage und zog dabei das „u“ unerträglich lang.
„Hab meins vergessen“, nuschelte ich und blickte auf die Straße. Sven lachte.
„Vollpfosten!“, urteilte er. „Aber ich hab kein Problem damit.“ Ich schlug ihm leicht auf die Schulter.
„Danke, Sven. Du hast was gut bei mir!“ Er grinste.
„Gut zu wissen!“ Ich fragte nicht weiter nach und ließ meinen Blick über unsere Umgebung schweifen.

Der restliche Weg zum See war schnell hinter uns gebracht und auch die Zelte waren schneller aufgebaut, als ich gucken konnte.
Sven spielte sich als Lagerchef auf. Kunststück!
Olli hing seinem Frust nach, Christoph und Helena waren „beschäftigt“ und ich ließ mir sowieso nichts sagen. Jedenfalls jetzt nicht. Sven war nun also sein eigener Chef.

Letzten Endes teilten wir uns die Aufgaben ein. Christoph und Helena sollten die Angeln aufbauen, Olli sollte eine geeignete Feuerstelle herrichten und ich suchte mit Sven nach Feuerholz. Ende April war es hier schwer, Holz zu finden, das wenigstens einigermaßen trocken war.
Deshalb machte ich mit Sven eine Art Wettkampf daraus. Wer konnte innerhalb von zehn Minuten mehr Holz sammeln?
Wir beide wollten alles daran setzen, dieses kindische Dingens zu gewinnen. Genau das mochte ich an Sven. Egal, wie bescheuert eine Herausforderung war, er nahm sie an und setzte alles daran, zu gewinnen. Nur blöd, dass ich genauso drauf war.

Am Ende lief es darauf hinaus, dass wir uns gegenseitig mit Stöcken bewarfen und versuchten, irgendwie das Feuerholz zu balancieren.

Einige Stunden später war es bereits dunkel. Helena und Christoph hatten sich schon vor einer guten Stunde in ihr Zelt verzogen und Olli war eben auch schlafen gegangen. Es war lustig, mal wieder so ganz wie in allen Zeiten neben Sven am Lagerfeuer zu sitzen und einen Witz nach dem anderen zu reißen.
„Wer bekommt jetzt eigentlich einen neuen Vertag?“, fragte ich Sven. Als Mannschaftsmitglied hätte er da wohl mehr Informationen drüber.
„Ich kann auf jeden Fall bleiben, Christoph auch. Bei Matt und Ole ist’s unklar. Bei mir wird’s wahrscheinlich auch nur für die zweite Reihe reichen. Sehen wir dann.“
„Was?! Olli war doch verdammt gut diese Saison! Und was ist mit Matt? Der war doch auch gut“, meckerte ich drauf los.
„Ole ist gut. Er hat einfach nur jede Menge Angebote und hat keine Ahnung, wie er sich entscheiden soll. Karriere oder Familie und Freunde, das ist die Wahl, vor der er steht“, erklärte er ruhig. „Matt ist auch gut, aber halt nur in der dritten Liga. Für die zweite taugt er noch nicht viel.“ Ich seufzte.
„Geht sonst noch wer?“
„Natürlich! Aber niemand, den du persönlich gut kennst. Wir bekommen aber höchstwahrscheinlich Zuwachs aus Dresden!“, kündigte er grinsend an. Ganz als ob er gewusst hatte, dass ich ihm um den Hals fallen würde.
„Ist nicht dein Ernst!“, nuschelte ich in seine Halsbeuge.
„Ich hab doch gar nicht gesagt, wer kommt!“, lachte er und legte seine Hände auf meine Schultern, um mich von sich zu entfernen. „Aber du kannst es dir wohl denken.“
„Na ja, es werden dann doch wohl Basti und Alex sein, oder?“, lächelte ich.
„Stimmt. Eigentlich krass, wie viele junge Spieler wir dann im Kader haben. Allein vier, die erst 20 sind…“, murmelte Sven nachdenklich.
„Warum wollen die zurück?“, fragte ich nach. Die beiden waren erfolgreich bei Dresden unter Vertrag. Warum sollten die denn bitte zu einem Aufsteigerverein wechseln?

Und überhaupt, es war total unlogisch, schon jetzt zu wissen, wer blieb und wer ging. Wir waren immerhin erst kurz Oberligameister und der Aufstieg stad auch noch nicht lange fest. Warum zur Hölle, war so schnell klar, wer ging, wer kam und wer blieb?! Gut, es fehlten zwar noch einige, so circa neun oder zehn Leute, aber na ja… trotzdem fand ich es leicht übertrieben.

„Warum denn bitte nicht? Sie sind hier daheim, also liegt es nahe, dass sie auch hier spielen wollen, oder?“ Ich nickte. Wir schwiegen uns gegenseitig an. Ätzend!

„Sag mal, was heißt es eigentlich, wenn ein Typ mit einem ins Kino will?“, fragte ich Sven. Ich war mit meinen Gedanken abgedriftet und auf meine Verabredung mit Eddie am nächsten Tag gekommen.
„Kommt ganz drauf an. Wer hat dich denn eingeladen?“, fragte Sven nach.
„Eddie“, antwortete ich. Sven knurrte.
„Dann ist’s klar. Merkst du eigentlich nicht, dass der Typ dich nur ins Bett kriegen will?!“, meinte Sven wütend.
„So ein Schwachsinn!“, fuhr ich ihn an. Eddie war nicht so einer, der einen fallen ließ, sobald er einen ins Bett bekommen hatte. Auch, wenn ich ihn noch nicht lange kante, war ich mir in dieser Sache absolut sicher.
„Glaub was du willst. Wirst schon sehen, dass ich recht hab“, antwortete er ruhig. So ein arrogantes Arschloch! Ich grunzte abfällig.
„Wie merkst du das denn?“, fragte ich nach. So irgendwie muss er seine These ja begründen können. Aber wenn der mir jetzt mit „Männer sind halt so“ kam, dann würde ich dem dermaßen eine runterhauen, dass der eine Woche lang seinen Mund nicht mehr aufbekommen würde.
„Meinst du nicht, dass du mir nach acht Jahren mal langsam vertrauen kannst?“, wechselte er kurz halbwegs das Thema. „Jedenfalls merkt man das doch schon daran, wie der dir auf den Arsch glotzt.“
„Und? Das hast du am Dienstag auch gemacht. Das heißt aber noch lange nicht, dass du mich vögeln willst, stimmt’s?“, unterbrach ich ihn. Er nickte widerwillig, da ich seine These soeben widerlegt hatte.
„Stimmt schon… Aber vielleicht auch daran, dass er dich ausgerechnet ins Kino eingeladen hat. Was für einen Film will er denn sehen?“ Ich überlegte.
„Weiß nicht. Hat er nicht gesagt. Ist das jetzt was Schlechtes?“ Sven schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn.
„Dann geht’s ihm eh nicht um den Film. Viel Spaß beim Ficken im Kinosaal!“

„Ach sei doch still!“, meckerte ich und gab ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, den er sofort erwiderte. Wir lachten.

Goodbye Guys

Der nächste Morgen begann für mich ziemlich spät. Aufgewacht bin ich erst so gegen zwölf Uhr. Die anderen waren anscheinend schon länger wach, wie ich bemerkte, als ich aus dem Zelt gekrabbelt war. Olli und Sven bauten die Zelte ab und Christoph lud mit Helena unser restliches Zeug auf den Pickup. Der Kasten Bier, den wir mitgenommen hatten, war inzwischen fast leer.
Nach einer Katzenwäsche am Seeufer half ich dann auch beim Abbau und beim Verladen.

Als wir losfuhren durfte es ungefähr zwei Uhr gewesen sein. Ausnahmsweise durfte Olli den Pickup fahren, während Christoph mit Sven und mir auf der Ladefläche saß und ein Bierchen mit uns trank. Na ja, eher mir Sven. Nach dem Aufwachen bei Matt, war mir die Lust auf Alkohol vorerst vergangen.
Helena war es zu gefährlich, auf der Ladefläche mitzufahren, weshalb sie neben Olli auf dem Beifahrersitz saß.


„Wann fahrt ihr denn eigentlich genau los?“, fragte ich die beiden Jungs.
„Ich fahr am Montag los“, antwortete Sven relativ gleichgültig.
„Und wir sind am Dienstag weg“, meinte Christoph und sah durch die Heckscheibe zu seiner Freundin, die sich relativ gut mit Olli zu unterhalten schien.
„Jungs, ich brauch eure Hilfe“, sagte ich im Gedanken an mein abendliches Date mit Eddie. So doof es auch klingen mochte, ich hatte verdammt nochmal keine Ahnung, was ich zu tun hatte. Christoph und Sven schauten sich vielsagend an und grinsten breit.
„Meinetwegen. Was willst’n wissen?“, fragte Christoph. In seiner Stimme schwang sogar etwas durchaus Neugieriges mit.
„Alles. Was zieh ich an, was mach ich und was auf gar keinen Fall… Leute, ich hab keinen blassen Schimmer von so was!“, zeterte ich. Christoph nickte und Sven seufzte verzweifelt. Letzterer tank einen großen Schluck aus der Bierflasche, die er sich soeben geöffnet hatte.



Eine gute halbe Stunde später saßen die beiden Kerle lässig auf meinem Bett und lehnten sich gegen die Wand. Sam hatte es sich zwischen ihnen gemütlich gemacht und döste vor sich hin. Ich hingegen stand vor meinem Kleiderschrank und versuchte etwas anderes zu finden, als Bandshirts und Kapuzenpullis. Bei jedem Teil, das ich ihnen zur Begutachtung vor sie Nase hielt, schüttelten sie (teils sogar ziemlich belustigt) die Köpfe. Irgendwann wurde es ihnen zu blöd und sie warfen mich aus MEINEM Zimmer.
Mit einer Tasse Kaffee saß ich dann also in der Küche und wartete eine gefühlte Ewigkeit darauf, dass ich wieder in mein Zimmer durfte.
Das dauerte wieder eine Viertelstunde und ich wurde reinzitiert. Ich staunte nicht schlecht bei dem, was sie mir zusammengesucht hatten. Die wollten mich allen Ernstes in eine knallenge Röhrenjeans und eine halb durchsichtige weiße Bluse stecken. Dazu noch ein Paar Stiefeletten mit Absatz, die ich seit der zehnten Klasse bei einer verlorenen Wette nicht mehr angehabt hatte.

„Sonst geht’s euch gut, ja?“, hakte ich sicherheitshalber nochmal nach. Man konnte ja nie wissen.
„Ja. Los jetzt. Zieh’s an!“, drängte Christoph ungeduldig während er Sven aus dem Zimmer schob und die Zimmertür hinter sich schloss. Widerwillig quetschte ich meinen viel zu fetten Hintern in die Jeans. Zur Sicherheit zog ich ein weißes Top unter die Bluse. Wer wusste schon, wie durchsichtig sie wirklich war. Dann zog ich mir diese Schuhe an, die ich eigentlich noch nie richtig hatte leiden können. Meine Füße taten jetzt schon weh.
„Könnt rein kommen!“, rief ich den Kerlen zu und prompt öffnete sich die Tür. Unter ihren strengen Blicken drehte ich mich im Kreis und wartete auf eine Antwort. „Na?“
„Passt“, meinte Christoph knapp und nickte leicht. Sven war jedenfalls auch einverstanden. Ich allerdings nicht so richtig.

„Also Jungs, wenn ihr mir jetzt noch erzählt, was ich auf keinen Fall machen darf, bin ich vollends zufrieden“, meinte ich mit einem leicht sarkastischen Unterton. Die beiden sahen sich an und nickten grinsend.
„Egal, was du machst, fall nicht über ihn her und rede –um Gottes Willen- nicht nur über Eishockey, Hunde und Motorräder!“, instruierte Christoph mich. In diesem Moment fragte ich mich ernsthaft, warum ich mir Datingtipps von ausgerechnet den zwei Typen geben ließ, die davon nicht die leiseste Ahnung hatten.
Der eine, weil er jetzt mit 19 seine zweite richtige Freundin hatte und noch nie zuvor ein Date, beileibe nichts Schlimmes, aber helfen konnte der mir schon mal nicht.
Und der andere, weil er der Weiberheld schlechthin war, die Weiber ihm in Scharen nachliefen und er es somit niemals nötig gehabt hatte, auf ein Date zu gehen. Ganz toll!

Das ging vielleicht zwei Stunden so weiter. Mein Kopf war dermaßen voll mit Informationen, dass ich nun bestimmt 20 Romane darüber verfassen konnte. Inzwischen war es kurz vor fünf und ich hatte noch drei Stunden Zeit, bis ich am Kino sein sollte.
„Jungs, kommt ihr noch mit ins Penalty?“, fragte ich deshalb. Die beiden waren sofort dabei.


Es dauerte nur knapp zehn Minuten und wir waren da. Meinen BMW konnte ich sogar gleich neben dem Penalty abstellen. An diesem Abend war verdammt wenig los.
Als wir die Kneipe betraten, saßen nur zwei, drei ältere Kerle in einer Ecke sitzen und ein Typ ungefähr in unserem Alter saß an der Theke. Natürlich war auch Christophs Vater da.
Christoph ging geradewegs auf den jungen Mann an der Bar zu und begrüßte ihn mit einem Handschlag. Dieser lachte und sagte irgendwas, das Christoph ebenfalls zum Lachen brachte. Sven ging daraufhin ebenfalls zur Theke und begrüßte den Typen mit einem lässigen Handschlag. Dann deutete der beste Freund meines Bruders mit dem Kopf auf mich. Ich stand übrigens noch immer im Türrahmen.
Der Kerl von der Theke stand auf und kam lächelnd auf mich zu. Warum grinste der denn bitte so komisch? Dabei kannte ich den nicht mal! Er schien langsam zu merken, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wer zum Teufel er war.
„Wie jetzt?“, fragte er lachend. „Mann Chrissy! Wir kennen uns jetzt seit der zehnten Klasse und du erkennst mich nicht mal mehr?!“ Es dauerte einige Augenblicke, bis ich registrierte, wer das war.
„N-Noah?“, fragte ich ungläubig. Er nickte langsam.
„Komm her, du Idiot!“, meinte ich und umarmte ihn. Er war der einzige Hockeyspieler, den ich kannte, der ungefähr meine Größe hatte. Die anderen waren alle ungefähr einen Kopf größer als ich, wenn nicht sogar noch mehr.

Später saßen wir zu viert an der Theke, tranken Bier (gut, ich trank Sprite, immerhin wollte ich nüchtern zum Date gehen… und der andere Grund dürfte nun bekannt sein) und unterhielten uns.
„Seit wann hast du eigentlich ein Piercing?“, fragte ich ihn. Durch seine Unterlippe war ein Ring gestochen. Stand ihm verdammt gut.
„Seit Anfang der Saison. Ein Tattoo hab ich übrigens auch“, meinte er daraufhin.
„Echt? Zeig mal her!“, forderte ich. Er stand auf, und war drauf und dran sich sein Shirt auszuziehen.
„Ey, musst du jetzt unbedingt strippen?“, stöhnte Christoph gespielt genervt auf und lachte.
„Ja muss ich“, antwortete Noah, zog sich sein T-Shirt über den Kopf und drehte uns den Rücken zu. Zwischen seinen Schulterblättern stand in großen schwarzen Lettern „VICTORY“. Er zog sein Shirt wieder an und ich musste zugeben, dass er in dem letzten Jahr, in dem er weg war, wohl ziemlich viel trainiert hatte.
„Christin, musst du eigentlich andauernd irgendwelche Kerle begaffen? Gerade jetzt, wo du dich doch gleich mit deinem Freund triffst!“, meinte Sven theatralisch.
„Ach nee, wie süß. Unsere Kleine hat ’nen Freund!“, witzelte Noah und grinste mich breit an. Ich schüttelte vehement den Kopf.
„Tja, dein Training hat sich wohl gelohnt. Selbst mich starrt sie nicht so an“, bemerkte Christoph anerkennend. Dass er ein arroganter Macho sein konnte überspielte er dabei natürlich ganz lässig (haha).
„Ihr seid manchmal solche Arschlöcher!“, unterbrach ich das Gelächter der drei Kerle, doch das verstärkte dieses nur noch. Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust. Noah zog mich zu sich und wuschelte mir kräftig durch die Haare, bevor er mich wieder losließ.
„Bekomm ich ein Erinnerungsfoto?“, fragte Noah. Murrend willigte ich ein. Immerhin würde ich ihn ja jetzt schon wieder eine halbe Ewigkeit nicht mehr sehen.
Er gab Christoph sein ach so tolles Blackberry und legte mir breit grinsend den Arm um die Schultern. In dem Moment, als Christoph auf den Auslöser drückte, gab Noah mir einen Kuss auf die Wange, was natürlich nur wieder Gelächter auslöste. Auch meinerseits. Solange mich keiner angrabschte, war das zu verkraften.
Anschließend wurde trotzdem noch ein normales Foto gemacht.

Sven riss ununterbrochen irgendwelche (eigentlich total hirnlosen) Witze und Noah erzählte uns von Klostersee. Schien schön zu sein da oben.
So gegen acht entschied ich mich dann, zu meinem Treffen mit Eddie zu fahren. Dafür, dass ich eigentlich selten vor etwas Angst hatte (Wasserrutschen mal ausgenommen), bekam ich jetzt doch schon ziemlich weiche Knie.


Vor dem Kino wartete Eddie bereits auf mich. Schon als wir das Kino betraten, nahm er meine Hand. Die Karten hatte er per Internet vor unserem Treffen reserviert. Ich war verdammt neugierig darauf, in welchen Film ich nun mit ihm gehen musste. Beim Blick auf die Karte traf mich der Schlag. Titanic! Und dann auch noch 3D! Lieber würde ich verrecken, als in so eine kitschige Schnulze zu gehen. Hätte es denn nicht auch irgendein Horrorfilm getan? „The Frankenstein Experiment“ zum Beispiel?

Letzten Endes fügte ich mich dann aber doch meinem Schicksal und saß schließlich neben Eddie in einem völlig überfüllten Kinosaal in der ersten Reihe. Um etwas sehen zu können musste ich meinen Kopf so verrenken, dass ich glaubte, mir einen Genickbruch zuzuziehen. Der Film war jedenfalls stinklangweilig, also setzte ich die 3D-Brille, die wir am Eingang bekommen hatten, ab und stopfte mein Popcorn in mich hinein. Das war zwar auch langweilig, aber trotzdem noch um Längen spannender als dieser Schrott auf der Leinwand.
Mitten im Film kam Eddie dann auf die idiotische Idee, diesen ausgelutschten „Trick“ mit dem Gähnen anwenden zu müssen. Jedenfalls gähnte er, streckte sich und legte dann den Arm um mich. Allein vom Anblick dieses Films hätte ich kotzen können, aber musste er denn wirklich das klischeebehaftetste Date aller Zeiten organisieren? Hätte es nicht auch Paintball getan?
Das schlimmste war aber, dass Eddie seinen Arm nicht nur um meine Schultern legte, sondern mich dabei so weit zu sich rüber zog, dass ich quasi auf seinem Schoß lag und außerdem fast keine Luft mehr bekam. So konnte ich mir das Popcornessen natürlich auch gleich abschminken. Nach Luft japsen war jetzt erst mal wichtiger! Mir den Film anzusehen, war auch keine Option, also ließ ich meine Gedanken irgendwie abschweifen. Oder besser gesagt, ich versuchte es.

Der Typ mit dem ich hier saß, hatte rein gar nichts mit dem zu tun, den ich aus dem Queens kannte. So hätte ich mir das Ganze nie vorgestellt. Wenn Sven oder Christoph jetzt hier wären, würde ich mir sogar diesen verdammten Film ansehen. Aus der letzten Reihe. Und währenddessen würde ich mit ihnen dermaßen über den Film herziehen, dass wir wahrscheinlich mit einem breiten Grinsen unsererseits aus dem Kino geschmissen werden würden.
Es war wirklich so. Ich wäre tausendmal lieber mit Sven oder Christoph oder Matt oder Noah hier gewesen, als mit Eddie. Hatte das eigentlich irgendwas zu bedeuten?

Nach drei schier endlos erscheinenden Stunden war der Film endlich vorbei. Es war logischerweise stockdunkel, als wir das Kino verließen. Es war ja immerhin schon nach Mitternacht. Eddie lächelte mich an und ich sah noch, wie ein paar einzelne Tränen aus seinen Augenwinkeln rannen. Das meinte der jetzt doch nicht ernst, oder?!

„Lass uns das wiederholen“, nuschelte er, als er mich zum Abschied umarmte.
„Ganz sicher“, erwiderte ich in sarkastischem Hohn. Eddie schien das allerdings erst zu nehmen und lächelte mir noch einmal zu, bevor er in der Nacht verschwand. Ich musste schwer damit kämpfen, mein Lachen zu unterdrücken, doch es gelang mir. Ich wollte Eddie nicht noch mehr beleidigen (auch wenn der es gar nicht mitbekommen hatte). Der arme Kerl.

Stattdessen zückte ich mein Handy und schrieb eine SMS an Sven.
>>Wo steckst du? <<
Ich machte mich auf den Weg zu meinem Auto. Es stand nicht weit vom Kino entfernt vielleicht 200 bis 300 Meter. Gerade, als ich die Fahrertür hinter mir schloss, bekam ich eine Antwort auf meine SMS.

>>Bin daheim.
Wie lief das Date? <<
Ich startete den Motor und schnallte mich an. Das Gedudel des Radios erfüllte meinen Wagen. Genervt stellte ich es aus. Madonna… das konnte ich jetzt echt nicht gebrauchen. Dann doch lieber Gene Simmons oder besser gesagt KISS.
>>Bin gleich bei dir<<

Ich parkte aus und fuhr vom Parkplatz. Meine Gedanken waren noch immer bei diesem, meiner Meinung nach ziemlich versauten, Abend. Nun ja, ein Iserlohn-Fan wäre eh nicht für mich gewesen! Zu viele Differenzen. Frank Carnevale, der damalige Trainer von Bad Nauheim, wüsste bestimmt, was ich meinte. Dessen Prügelei mit dem damaligen Iserlohn-Coach (Greg Poss, glaube ich) war bis heute nicht vergessen. Das Spiel damals gegen Iserlohn wurde übrigens gewonnen. Wenige Minuten nach dem Spiel war allerdings Marc Teevens verstorben (Ruhe er in Frieden).
Nun ja, aber die Nauheimer waren ja auch Rivalen… Die wir verdammt nochmal geschlagen hatten!

Wenig später stellte ich vor dem Haus, in dem Sven wohnte, meinen Wagen ab und marschierte geradewegs zur Haustür. Ich klingelte und rannte die Treppe hoch, als mir geöffnet wurde. Sven lehnte schon breit grinsend im Türrahmen. Er bat mich rein und meinte, ich solle im Wohnzimmer warten.
Ich grinste. Sven war eben nur mit einer Jogginghose bekleidet gewesen und ansonsten noch klatschnass. Ich nahm an, dass er noch geduscht hatte
Drei, vier Minuten später kam er ebenfalls in das überaus geräumige Wohnzimmer. Es hatte sogar eine ganze Fensterfront mit einem Balkon davor, der sich über die gesamte Hauswand zog. Die Wände waren weiß, aber man sah sowieso nicht viel von ihnen. Die Dachschräge ließ den Raum verdammt gemütlich wirken, genauso wie die Pflanzen, die Sven hier herumstehen hatte. Auch die Couch war riesengroß. Beinahe hätte ich mich gefragt, wie er sich das hatte leisten können, aber dann erinnerte ich mich daran, dass er nun schon zum dritten oder vierten Mal in Folge zum besten Stürmer und Torjäger der gesamten Liga gewählt worden war. Daher bekam er sicherlich genug Lohn. Und die Wohnung war zwar vom Verein gesucht worden, aber die Miete musste er mit Sicherheit selbst zahlen. Dafür bekam er das Auto von einem Sponsoren gestiftet, sowie die Versicherungen vom Verein bezahlt.
Ja, so ein Leben als Profisportler war schon was Schönes…
Jedenfalls konnte ich mich sogar quer über die Couch ausbreiten, ohne dass auch nur ansatzweise das Risiko bestünde, runterzufallen.

„Also, wie war’s?“, fragte er und rubbelte sich mit dem Handtuch, das um seine Schultern lag durch die Haare. Gott, sah der gerade scharf aus (Nein, ich stand NICHT auf ihn!). Höhnisch lachte ich auf.
„Drei Stunde Titanic gepaart mit Würgegriff und einem flennenden Typen“, antwortete ich. In diesem Moment klingelte mein Handy schon wieder. Es war eine SMS von Eddie.
>>Mein Schatz, ich liebe dich über alles. Ich möchte mit dir alle Wege gehen, egal wie schwer sie auch sein mögen. Du bist die wundervollste Frau, die ich je in meinem Leben getroffen habe.
Eddie<<
„Und es geht noch schlimmer!“, fügte ich hinzu. Ich warf ihm das schwarze Mobiltelefon rüber. „Fang!“
Er las sich den halben Roman durch, den Eddie da verfasst hatte und krümmte sich anschließend vor Lachen. Mir ging es nicht anders. Wobei mir Eddie in dem Moment schon ziemlich leidtat.

Ich erzählte ihm dann alles, was im Kino großartig passiert war.
„Tja, ich würde sagen FAIL, meine Kleine“, resümierte er.
„Ich hab dich schon tausendmal gesagt, du sollst mich nicht so nennen“, sagte ich ruhig und versuchte, mich nicht schon wieder darüber aufzuregen. Ich glaube, so langsam  begann ich, mich damit abzufinden, auf eine Stufe mit seinen Weibern gestellt zu werden. Ich würde ja eh nichts dran ändern können.
„Mir egal.“ Er gähnte. „Du, ich muss morgen früh raus. Pennste hier oder fährste heim?“
„Ich bleib hier. Hab keinen Bock mehr auf Fahren“, antwortete ich und ließ mich von seinem Gähnen anstecken.
„Meinetwegen. Viel Spaß auf der Couch.“ Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verschwand in seinem Schlafzimmer. Ich beschloss später, dass die Couch unbequem war (was sie natürlich nicht war) und schlich mich zu Sven ins Bett. Auch, wenn ich es kaum für möglich gehalten hätte, war das noch hundertmal gemütlicher als seine Couch. Er überließ mir sogar relativ freiwillig ein Stück von seiner Decke. Das nenne ich Gastfreundschaft!
Dann drehte er sich auf die Seite und legte von hinten einen Arm um mich.
„Du bist die Erste, die hier ohne eine gewisse Gegenleistung schlafen darf. Sieh’s als Kompliment“, sagte er leise. Er drehte sich wieder um und wir schliefen Rücken an Rücken ein.



Am nächsten Morgen wurde ich um fünf Uhr früh von Sven geweckt, der sich aus dem Bett rollte.
„Na, auch schon wach?“, fragte er lächelnd. Nicht mit Hohn, so wie sonst, sondern irgendwie anders. Ich kann es nicht beschreiben. Ehrlich. Das könnte es vielleicht ganz gut treffen. Hm… Nee, doch nicht.
„Mhm“, machte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Sven stand mitten im Raum und zog sich sein T-Shirt, das er zum Schlafen angehabt hatte, über den Kopf. Er stand mit dem Rücken zu mir und wühlte in der obersten Schublade der dunkelbraunen Kommode. Ein bisschen heiß fand ich ihn ja schon, aber das könnte ich nie im Leben zugeben. Schon gar nicht, wenn er dann wieder sein schiefes Grinsen grinsen würde, das ich einerseits so hasste aber gleichzeitig auch so toll fand…
Ich schlug mir alles aus dem Kopf, was nicht mit Eishockey zu tun hatte. Der Aufstieg. Die Derbysiege. Der Rekord der meisten Siege in Folge. Das alles sollte mir tausendmal mehr bedeuten, als solche primitiven Gedankengänge. Tat es auch. Erleichtert stand ich auf und wankte mehr oder weniger schlaftrunken zur Tür. Dachte ich.
Eigentlich lief ich auf den verdammten Spiegel zu, in dem sich die Tür spiegelte. Leider prallte ich voll dagegen. Meine Nase blutete wie Sau und tat verdammt weh. Vor Schmerzen ließ ich mich auf Svens Bett sinken und blutete sein T-Shirt voll, das ich mir am vorherigen Abend von ihm ausgeliehen hatte, damit ich etwas hatte, worin ich schlafen konnte.
Ich gab mein Bestes, um nicht auf der Stelle loszuheulen. Nicht vor Sven. Der würde sich doch eh nur jahrelang über mich lustig machen. Jedoch hielt er inne und betrachtete mich ehe er auf mich zukam und mich mit in die Küche schleppte. Er gab mir einen Eisbeutel und meinte, ich solle mich setzen. Er reichte mir noch ein paar Taschentücher, damit ich nicht noch mehr vollblutete.


Sven verschwand nochmal kurz in seinem Schlafzimmer, um seine Reisetasche zu holen. Er würde ja gleich abfahren. Dann setzte er sich neben mich.
„Nimm mal den Beutel da weg“, wies er mich an. Sein Tonfall war irgendwie… fast sanft. So hatte er noch nie mit mir gesprochen. Ich lege den Beutel beiseite und schaute ihn an. Er hob seine Hand und drückte an meinem Nasenrücken herum. Es tat abartig weh, aber er hörte nicht auf. Schließlich ließ er dann aber doch von mir ab.
„Ist nicht gebrochen. Hast Glück gehabt, Grizzly!“, lachte er und wuschelte mir durch die Haare.
„Lass den Scheiß!“ beschwerte ich mich. Dann nuschelte ich aber noch ganz leise ein „Danke“.
„Kein Problem“ antwortete Sven lächelnd und stellte mir einen Kaffee vor die Nase. Gierig trank ich einige Schlucke von der dampfenden braunen Brühe. Sven setzte sich gegenüber von mir hin und goss sich ebenfalls etwas davon in eine Tasse, die wohl eher einer Suppenschale glich.
„Wann fährst du los?“, fragte ich mit einer extrem nasalen Stimme. Ich hörte mich schon genauso an wie Sarah und ihre Schoßhündchen.
„Ich wollte eigentlich gleich los“, erklärte er. „Soll ich dich irgendwo absetzen?“ ich überlegte kurz und trank noch einen großen Schluck meines Kaffees.
„Ja, könntest du mich zum Stadion bringen? Ich will allen noch einen schönen Sommer wünschen. Ich hab so das Gefühl, dass ein paar der Jungs da sein werden“, bat ich ihn. In den letzten Jahren war es quasi zu einem Ritual geworden, dass sich ein Großteil des Teams dort einfand, um alles noch mal revuepassieren zu lassen. Dieses Mal waren vielleicht sogar alle da.
„Okay. Wollen wir dann?“, fragte er, nachdem er seine riesige Kaffeetasse mit einem einzigen Zug geleert hatte. Ich nickte und trank meine Tasse ebenfalls aus.


„Kannst du mir mal helfen?“, fragte er. Voll bepackt mit einer Reisetasche, einem Koffer und einem Rucksack stand er vor seiner Wohnungstür und wollte abschließen. Ich nickte schnell und nahm ihm die Reisetasche ab.
„Wo wirst du eigentlich in der Zeit wohnen?“, fragte ich ihn, während ich hinter ihm die Trappen hinunterstieg.
„Im Haus meiner Eltern. Die reisen während des Sommers quer durch Amerika.  Wahrscheinlich kommen sie Ende August wieder“, antwortete er ausführlich. Er schloss seinen Skoda auf und drückte seinen Koffer in den Kofferraum. Den Rucksack sollte ich mit nach vorne nehmen, während Sven noch die Reisetasche auf den Koffer legte.


Es dauerte nur knapp eine Viertelstunde, bis Sven neben dem Stadion parkte. Er parkte immer auf dem Personalparkplatz. Der für Spieler war ihm lustigerweise immer zu voll gewesen. Diese Gewohnheit hatte er nun schon seit vier Jahren.
Das Tor des Spielereingangs war unverschlossen. Wir konnten einfach so reingehen. Ein paar wenige Leute wuselten vor uns herum und stürmten mehr oder weniger hektisch durch die relativ schmalen Gänge des Stadions. Es war so leer hier, dass man jeden einzelnen Schritt quer durch die Halle hören konnte.

Aus Gewohnheit wollte ich geradeaus weiter zur Bande laufen. Sven packte mich mehr oder weniger sanft am Arm und zog mich zu sich. Mit etwas zu viel Schwung, den ich prallte gleich darauf gegen ihn. Ich stellte mich wieder selbstständig hin und Sven klopfte dreimal gegen die Tür der Spielerkabine.
Ein lautes, mehrstimmiges „Jo!“ gab ihm das Zeichen zum Eintreten. Er riss die Tür auf und trat ein. Ich stolperte etwas ungeschickt hinterher. Na ja, die Tür war zugefallen und hatte mir dabei fast den Rücken zertrümmert. Ich sah mich um und sah viele bekannte Gesichter. Meinen Schwager, Christoph und Flo zum Beispiel. Sven begrüßte die ungefähr zehn anwesenden Spieler allesamt mit einem lässigen Handschlag und ließ sich neben einen Typen fallen, der ungefähr zwei Meter groß sein musste.
Ich erinnerte mich dabei grinsend an einen Typen von der Security, die hier zusätzlich zu den Ordnern manchmal eingesetzt wurde. Da war auch mal einer dabei gewesen, der meinen Vater um einen gefühlten halben Meter überragt hatte und der war schon fast 1,90m groß. Ich wusste seine Körpergröße natürlich nicht genau, aber der Typ war echt ein Riese gewesen. War schon cool, denn alle hatten Schiss vor ihm, dabei war das der wohl netteste Typ, den ich seit langem im Stadion gesehen hatte.

Ich gesellte mich zu Flo, der mir heute zur Abwechslung mal nicht die Hand zerquetschte. Als ich mich genauer in der Kabine umsah, fiel mir auf, dass es inzwischen ganz schön leer war. Das Gerümpel, das hier sonst herumlag, war verschwunden. Die meisten Spieler hatten ihren Kram wohl schon mitgenommen.
„Hey Neus, willste uns deine Freundin nich vorstellen?“, rief Sven einer der Typen zu.  Sven grunzte.
„Also wirklich, Achim! Das ist die Kleine vom Ole!“, tadelte Sven den im Vergleich zu den anderen Spielern schon etwas älteren Kerl.
„Was heißt denn hier „die Kleine vom Ole“, du Penner?! Im Gegensatz zu den Weibern, die du für gewöhnlich abschleppst, kann ich wenigstens noch selbstständig denken!“, mischte ich mich ein. Dass die anderen amüsiert glucksten nahm ich mal als Zustimmung.
„Na ja, wo ‘se recht hat, Neussi…“, meinte dieser Achim und setzte sich knapp einen halben Meter neben mich.
„Na und? Blöd fickt gut“, antwortete Sven amüsiert grinsend. Ein paar der Jungs stimmten ihm zu.
„Nee, jetzt aber mal ohne Scheiß. Wer bist’n du?“, fragte Achim. Michael lächelte mir aufmunternd zu.
„Willstes ganz genau wissen?“, fragte ich an Achim gerichtet. Er nickte schulterzuckend. Ich seufzte und holte tief Luft.
„Ich bin Christin Hofmann, 19 Jahre alt, Physiotherapeutin. Außerdem die kleine Schwester von Olli, die Tochter von Harald und meine große Schwester ist die Freundin von Michael. Übrigens bin ich seit sechs Jahren jedes Wochenende im Stadion und stehe vor und nach fast jedem Spiel hier hinter der Bande“, rasselte ich herunter. „Noch Fragen?“ Achim schüttelte den Kopf. Da fiel mir erst so richtig auf, was für eine große Rolle dieses Stadion, dieser Sport und das Team eigentlich für mich oder besser gesagt in meinem Leben spielten.
„Wie kommt’s, dass ich dich noch nie gesehen hab?“, fragte Achim trotzdem noch weiter nach. Ich zuckte mit den Schultern.
„Hab dich wohl bisher noch nicht interessiert“, antwortete ich breit grinsend. So was konnte man bei diesen Typen hier ruhig als Kompliment auffassen. Denn so war man in ihren Augen wenigstens kein Lustobjekt, sondern ein normaler Mensch. Oder halt ein sexuell uninteressantes, unwichtiges weibliches Wesen. Gut, ich verallgemeinere hier total, aber bei diesem Chaotenhaufen war das nun mal wirklich so.
Klar, bei jedem gab es Ausnahmen, in denen sie mit einigen von diesen „sexuell uninteressanten, unwichtigen weiblichen Wesen“ sogar sehr gut befreundet waren.

Nach und nach fiel mir auf, dass man sich mit dieser Truppe ziemlich gut unterhalten konnte und so diskutierten wir bestimmt gut eine Stunde über Taktiken mit denen man die „Weiber“ am besten rumbekam. Sven hatte wie selbstverständlich die dämlichsten davon parat gehabt.
Dann warf er einen Blick auf die Uhr.
„Leute, ich mach mich dann mal los. Heimat, ich komme!“, meinte er lächelnd und stand auf. Er verabschiedete sich reihum bei seinen Teamkollegen bis er schließlich bei mir ankam. „Bleibst du hier, oder soll ich dich heimfahren?“
„Ich komm schon zurecht. Viel Spaß dann noch, ‘ne!“, wünschte ich ehe er sich endgültig von uns allen verabschiedete. Jetzt war er wohl für vier Monate weg. Ich blieb auf der Bank neben Flo sitzen. Die Jungs tranken ein, zwei Fläschchen Bier. Ich blieb nüchtern. Es war verdammt praktisch mit so vielen Kerlen auf einem Haufen reden zu können. Die meisten ihrer Namen kannte ich nicht mal. Jedenfalls ihre Vornamen nicht. Die Nachnamen kannte ich bestimmt von den Trikots, doch ich konnte sie nicht wirklich zuordnen. Wenn man mir jetzt aber sagen würde „der und der spielt im Sturm, dritte Reihe, Center“ hatte ich den Namen sofort parat (dort spielte übrigens Matt, absolut uninteressant schon klar).

Jedenfalls leerte sich die Kabine nach und nach. Ich verließ sie so ziemlich als letztes. Ich war einfach zu wehmütig beim Gedanken an die bevorstehende Sommerpause. Flo verließ die Kabine zeitgleich mit mir. Wir wünschten uns noch einen schönen Sommer und gingen dann getrennte Wege.
Ich ging zum Büro meines Vaters, das er sich mit drei seiner Kollegen teilte. Je nachdem, wer gerade Dienst hatte.
Ich klopfte gegen sie Scheibe. Schwere Schritte waren zu hören.
„Was gibt’s denn?“, fragte die tiefe freundliche Stimmte meines Gegenübers als er die Tür öffnete.
„Entschuldige die Störung, Philipp. Ich wollte eigentlich nur einen schönen Sommer wünschen“, erklärte ich. Es war eigentlich egal gewesen, wer die Tür geöffnet hätte. Solange man sich hier anständig und nicht zu aufmüpfig oder undiszipliniert verhielt, hatte man mit niemandem ein ernsthaftes Problem.
Das Stadion war der schönste Ort, den ich mir vorstellen konnte. Das hier war einfach meine Welt und so ging es vielen, die hier arbeiteten. Und so etwas verband die Leute einfach.

Philipp lächelte. Er war um einiges jünger als mein Vater. Um die 30 würde ich spontan schätzen. Soweit ich wusste, war er gelernter Tischler, doch die Firma bei der er angestellt gewesen war, war Bankrott gegangen. Vor zwei, drei Jahren hatte er dann hier angefangen, höchstens. Er hatte sich gut gemacht. Sogar mein Vater hatte höchsten Respekt vor ihm und das sollte schon etwas heißen.
„Hast du viel vor?“, fragte Philipp auf den Sommer bezogen. Ich schüttelte den Kopf.
„Nee, die Kohle fehlt. Was ist mit dir? Ich hab gehört, du heiratest demnächst?“
„Na ja, definiere „demnächst“… Anfang September ist’s wohl so weit.“
„Du hörst dich aber nicht so begeistert an“, stellte ich fest.
„Ist halt stressig. Du weißt ja, wie die Weiber sind…“ Ich nickte grinsend. Seine Freundin konnte manchmal schon eine echte Furie sein, doch im Großen du Ganzen war sie eigentlich ganz in Ordnung. Philipp stand nur leider absolut unter ihrer Fuchtel. Rote Rosen hier, DVD-Abend da. Pure Romantik halt. Kotz!

Ich unterhielt mich noch eine ganze Weile mit ihm. Anschließend auch noch mit einigen anderen Leuten, die ich hier im Laufe der Jahre kennengelernt hatte. Die liebenswürdige Frau vom Schlittschuhverleih, der hitzköpfige Alleingesellschafter, ein ziemlich netter aber strohdoofer Typ von der Reinigungstruppe, den fleißigen Sohn vom Pressesprecher der hier relativ oft aushalf, den Ordner den ich letztens erst kennengelernt hatte…
Da gab es noch eine ganze Reihe an Leuten. Sie alle kamen mir oft vor, wie eine riesige Familie. Das konnte aber auch daran liegen, dass ich das unbedingt so sehen wollte, da ich hier einen großen Teil meiner Jugend verbracht hatte und mir all diese Leute inzwischen sehr ans Herz gewachsen waren. Hier hatte ich immerhin die Möglichkeit gehabt, wirklich ich zu sein. Das würde ich ihnen allen niemals vergessen.


Nun aber genug von all dem sentimentalen Mist!
Jedenfalls lief ich einige Zeit und etliche Wünsche für einen schönen Sommer später durch den Kurpark. Es hatte sich in während den Jahren kaum etwas verändert. In der Nähe des Golfplatzes ließ ich mich auf einer Parkbank nieder. Es war vorbei. Für vier Monate jedenfalls. Trotzdem eine in meinen Augen unendlich lange Zeit.

Plötzlich kam eine SMS von Alina.
>>Egal, wo du gerade bist, komm sofort ins Penalty.
Haben verdammt große Schwierigkeiten!!!<<

Alina war für gewöhnlich nicht so der Typ für solche Ausrufe. Geschweige denn, überhaupt der Typ zum großartig SMS-Schreiben. Wenn sie das dann doch mal tat, hatte sie entweder gerade einen Typen abgeschleppt und sagte mir deswegen Bescheid, oder wir saßen echt mächtig in der Scheiße. So wie es aussah war es dann wohl logischerweise der zweite Fall. Sofort sprang ich auf und rannte los. Das Penalty war ja auch nicht sonderlich weit entfernt, wenn man von dem beschissenen Berg mal absah, den ich hochlaufen musste.
Na ja, Berg vielleicht nicht, aber es war schon verdammt steil. Welcher bekloppte Vollidiot war eigentlich auf die Idee gekommen, diese Stadt an einem Berg zu bauen?! Laut fluchend versuchte ich durch die Straße zu rennen, ohne auszurutschen oder umzuknicken. Hin und wieder strauchelte ich jedoch heftig. Scheiß Stöckelschuhe!

Es dauerte etwas, bis ich im Penalty ankam. Inzwischen hatte es auch noch geschüttet wie sau. Man konnte sich ja vorstellen, wie toll das war, auf Absätzen und in einer halb durchsichtigen Bluse durch Regen zu rennen. Wenigstens war es hier drin wärmer als draußen. Haha.
Alina saß schon an der Theke. Sie flirtete nicht mal mit Christoph. Wow, es musste echt was Schlimmes passiert sein. Als ich ein Bellen hörte, bemerkte ich auch, dass Alina Sam mitgenommen hatte. Sie sah völlig gefrustet und total fertig aus.
Als sie mich sah, nickte sie mir nur kurz zu. Ich ließ mich auf den Barhocker fallen.
„Christoph, hast du ‘ne Jacke oder ’ne Decke oder so was für mich? Mir ist arschkalt“, bat ich ihn. Er nickte und lief ins Hintergebäude. Sein Vater, dem die Kneipe ja gehörte, wohnte dort noch immer. Inzwischen schon seit Eröffnung. Christoph wohnte auf dem Dachboden überm Penalty. Der war wesentlich größer als man meinen könnte. Nicht so „groß“ wie meine und Alinas Wohnung, aber dennoch nicht zu verachten.

„Lies‘ dir das durch“, bat Alina mit zittriger Stimme. Sie hatte ihre große Klappe verloren. Ein richtig mieses Zeichen. Ich zupfte das schneeweiße Papier aus dem leicht vergilbten Umschlag. Es sah ganz nach einem Schreiben unseres Vermieters aus. Mein Gespür täuschte mich leider nicht. Ich ahnte etwas Schlimmes. Ich wollte nicht wissen, was dort geschrieben stand. Deshalb überflog ich den Brief nur schnell.
Ich hörte gar nicht, wie Christoph wieder in den Raum kam und mir eine dünne Decke um die Schultern hängte. Ich zog sie vor meiner Brust mit einer Hand zusammen. In der anderen hielt ich den Brief.

„Das können die doch nicht machen!“, empörte ich mich. Alina nickte nur.
„Doch, sie können. Wir haben auf den Tag genau vier Monate“, erklärte sie. Das stand wohl auf der zweiten Seite des Schreibens. Ich hatte nur die erste gelesen.
Unser Vermieter war immer ein sehr freundlicher älterer Herr gewesen. Am letzten Wochenende war er gestorben. Wir hatten das nicht mitbekommen, da er schon seit längerer Zeit nicht mehr in dieser Stadt wohnte. Nun hatten seine beiden Enkelinnen das Haus geerbt. Die beiden brauchten das Haus wohl für private Zwecke, weshalb wir logischerweise ausziehen mussten. Dies war also unser letzter Sommer in unserer Wohnung. In unserer WG.
Als ich die Namen der neuen Eigentümerinnen las, wurde mir augenblicklich schlecht. Sarah! Natürlich… diese miese Schlange. Es war also gelaufen. Wir mussten die Wohnung räumen, daran war wohl nichts mehr zu rütteln. Die Frage war jetzt natürlich, wo wir hin sollten.

„Ihr seht so schockiert aus. Was ist denn los?“, fragte Christoph besorgt. Wortlos streckte ich ihm das Schreiben entgegen. Er nahm es mir aus der Hand und nickte verständnisvoll, was uns jetzt in dieser Situation aber auch einen Scheißdreck nutzte. Hektisch ging ich im Kopf alle Möglichkeiten durch.
Leider blieb da nicht sonderlich viel. Wir mussten uns schleunigst etwas einfallen lassen. Gerade jetzt, wo mein Einkommen für die nächsten Monate flachfiel, konnten wir gleich vergessen, uns eine neue Wohnung zu besorgen.

Alina war blass. Für sie bedeutete das jetzt allem Anschein nach einen Umzug nach Schweden. Zu ihren Eltern. Ich wusste von ihren Erzählungen, dass sie keine weiteren Möglichkeiten hatte. Es war also endgültig gelaufen für sie. Der Traum von völliger Unabhängigkeit und der großen Freiheit. Ihre Eltern waren extrem konservativ. Das genaue Gegenteil von Alina also. Ihr Studium hatte sie nun beendet und die Wohnung verloren. Ihre Eltern würden also keinen Grund sehen, warum sie noch länger in Deutschland bleiben sollte.
Ich begann mich zu fragen, wo ich nach diesen vier Monaten unterkommen könnte. Ich verdrängte diesen Gedanken so schnell wie nur irgend möglich aus meinem Kopf. Erst mal wollte ich diesen Sommer hinter mich bringen. Im August hätte ich ja wohl noch genug Zeit, mir darüber Gedanken zu machen! Ein Fehler.

Call me back!

ch war in diesem Monat nun schon alle, wirklich ALLE Möglichkeiten durchgegangen. Nichts funktionierte. Es war der 17. August. Alina war schon seit Mittwoch wieder in Schweden. Ich hatte inzwischen alles gepackt. Nur noch das allernötigste stand herum.
Im Kopf ging ich meine Wohnmöglichkeiten ein letztes Mal durch.

Bei Christoph konnte ich nicht wohnen.
Seine Wohnung war zu klein und Helena hatte anscheinend außerdem vor, demnächst zu ihm ziehen. Die Beiden waren halt das Traumpaar schlechthin.

Bei Matt konnte ich nicht wohnen.
]Seine Wohnung war viel zu klein. Er hatte selbst schon fast zu wenig Platz darin.

Bei Flo konnte ich nicht wohnen.
Er lebte noch bei seinen Eltern, hatte also lediglich ein Zimmer für sich allein.

Bei Franka konnte ich nicht wohnen.
Ich konnte sie auf Dauer nicht ertragen und bekam meistens nach ungefähr fünf bis sechs Stunden einen halben Nervenzusammenbruch, weil sie immer so laut plärrte und mich zutextete.

Bei Olli konnte ich nicht wohnen.
Dasselbe wie bei Matt. Seine Wohnung würde für uns beide einfach nicht ausreichen.

Bei Basti und Alex konnte ich nicht wohnen.
Die beiden hatten beschlossen, zusammen in eine Wohnung zu ziehen, um Kosten zu sparen. Nun herrschte dafür aber Platzmangel.

Bei Noah konnte ich nicht wohnen.
Der lebte noch immer in Klostersee. Keine Chance auf eine Wohngelegenheit also.


Meine letzte Möglichkeit war nun also Sven. Oder meine Eltern. Da ich höchstwahrscheinlich sterben müsste, wenn man mich zusammen mit meiner Mutter in ein Haus stecken würde, musste ich wohl auf Sven zurückgreifen.
Fest entschlossen griff ich nach dem Festnetztelefon und tippte seine Nummer ein. Na ja, die von seinen Eltern. Ich hatte sie mir am Vortag von Olli geben lassen, als ich meine Entscheidung gefällt hatte.
Es piepte einige Male, doch es nahm niemand ab. Es klackte und der Anrufbeantworter meldete sich.
„Servus, hier ist Sven Neumann. Momentan bin ich nicht daheim und die Eltern sind im Urlaub. Hinterlass ’ne Nachricht!“, forderte Svens Stimme vom Band. Ich wartete ungeduldig den verdammten Signalton ab, ehe ich zu sprechen begann.
„Hey Sven, Chrissy hier. Ich steck ziemlich in der Klemme. Bitte ruf mich zurück!“

Gefrustet legte ich den Hörer zurück auf die Station. Der Sommer war fast vorbei und ich hatte nichts zu tun. Mein Zeug war auch schon gepackt und die Wohnung blitzte. Was tat man denn nicht alles, aus Langeweile.
Der Sommer an sich war prinzipiell ganz in Ordnung gewesen. Wie prophezeit hatte ich die meiste Zeit über im Freibad vor mich hin gegammelt oder war mit Sam unterwegs gewesen. Hin und wieder war ich mit Frank, dem Ordner, und meinem Vater Angeln gewesen. Einmal sogar mit auf einer Treibjagd. Nur als Treiber, versteht sich.
Da ich eine miserable Köchin und Ally andauernd auf Achse gewesen war, hatte ich mich den Sommer über fast ausschließlich von Nektarinen, Erdbeeren, Kirschen und Orangensaft ernährt. Teilweise auch von irgendeinem Grillzeugs, das ich mir mal im Discounter besorgt hatte. Für viel mehr hätte die Kohle ohnehin nicht gereicht.
Innerlich regte ich mich noch immer unheimlich über alles auf. Ich meine, wie hatte das alles so schnell passieren können. Innerhalb von vier Monaten hatte mein Leben quasi eine Kehrtwendung gemacht. Alles war anders. Wohnung weg, beste Freundin weg, Kohle weg. Finito!
Bevor ich endgültig in Selbstmitleid versank, riss mich das Klingeln des Telefons aus meinen Gedanken.

„Hofmann“, meldete ich mich.
„Hey Christin. Bin eben heimgekommen und hab den Anrufbeantworter abgehört. Was ist denn los? Fingernagel abgebrochen?“, witzelte er du brachte mich damit unweigerlich zum Lachen.
„Nee, wir wurden aus der Wohnung geschmissen. Ich muss irgendwo unterkommen“, leierte ich runter. Das hatte ich in der letzten Zeit viel zu oft gesagt.
„Und was ist mit-?“
„Vergiss es, ich hab alle gefragt, die ich kenne. Du wärst quasi die letzte Rettung“, fuhr ich ihm dazwischen.
„Das ist jetzt natürlich scheiße. Ich hab alle Wohnungsschlüssel mit in Salzburg. Bis wann musst du raus?“
„Am besten schon gestern“, meinte ich grinsend. Je früher Sarah mich loswurde, desto besser. Das hatte sie mir inzwischen oft genug klargemacht. Dennoch schmiss sie sich mehr denn je an Olli ran. Lustigerweise hatte sie anscheinend null Ahnung, dass er mein Bruder war.
„Fuck. Kannst du irgendwie herkommen?“
„Sicherlich. Geht das auch wirklich?“
„Na klar. Wozu sind Freunde denn da? Okay, ich bin vorraussichtilich den Rest des Tages daheim und morgen wahrscheinlich auch. Du kannst also kommen wann du willst.“
„Danke Sven, du bist der Beste! Bis denne“, verabschiedete ich mich und legte auf, nachdem er ebenfalls seine förmliche Verabschiedungsklausel von sich gegeben hatte. Ich atmete tief durch und stellte das Telefon zurück auf die Station.

Ich pfiff durch die Zähne und schon kam Sam auf mich zugerast. Ich wuschelte ihm durch sein zotteliges Fell.
„Na, mein Kleiner… Meinst du, du hältst es für eine Woche bei Franka aus?“, fragte ich lachend. Sam bellte. Ich lächelte. Einen kurzen Anruf später war auch das geregelt.
Ich überlegte, was ich in Österreich brauchen würde. Das Zeug war relativ schnell in meinem Rucksack verstaut.
Ich sah mich anschließend in der Wohnung um und mir viel auf, wie wenige Besitztümer ich eigentlich hatte. Zwei Kartons mit Klamotten (davon am meisten Sneakers und Jeans), eine Kiste mit Eishockeyzeugs, ein Karton mit Büchern, Fotoalben und Unterlagen und ein Karton mit Elektronikkram.
Die gesamte Einrichtung hatte Alina gehört. Ich besaß an Mobiliar lediglich ein Regal und ein Bett. Das war mir nie wirklich aufgefallen. Na ja, so hatte ich wenigstens nicht so viel zu schleppen.
Ich suchte alles zusammen, was Sam in der Zeit brauchen würde. Hundefutter, die Leine, den Futternapf etc.
„Das wird schon“, redete ich möglichst beruhigend auf ihn ein. Allerdings versuchte ich wohl eher, mich selbst zu Ruhe zu bringen, als ihn. Sam setzte sich vor mich und schaute mich erwartungsvoll aus seinen riesigen braunen Knopfaugen an. Ich strich ihm über den Kopf.
Ich hatte gerade trotz allem verdammt gute Laune. Immerhin war ich meine Sorgen wegen der Wohnung erst mal los. Na ja, nicht ganz, aber ich konnte wenigstens wo unterkommen, bis ich etwas Neues gefunden hatte. Nein, das sollte nicht genauso laufen wie bei Alan in „Two and a half Men“, denn ich hatte nicht vor, jahrelang bei Sven zu wohnen.

Wenig später standen Michael und Franka zusammen mit ihrem sechsjährigen Sohn (bzw. meinem Neffen) Marco bereits vor dem Haus. Meine Schwester lag selig lächelnd in den Armen ihres Freundes, der ebenso strahlte wie ein Honigkuchenpferd. Keine Ahnung warum, vielleicht hatten die Hormone was damit zu tun. Schwanzwedelnd begrüßte Sam Michael. Er liebte Michael irgendwie. Andersrum genauso. Es war meistens ziemlich lustig mitanzusehen, wenn die zwei miteinander rangelten. Mein (irgendwann-vielleicht-mal-)Schwager hockte sich sogar zu ihm auf den Boden und begrüßte das zottelige Monster von einem Hund.
„Danke, dass ihr euch um Sam kümmert“, murmelte ich in die Halsbeuge meiner Schwester, als sie mich umarmte und mir dabei beinahe die Luft abdrückte.
„Kein Problem, Schwesterherz. Es tut mir so leid, dass du ausziehen musst“, sagte sie leise. Ich winkte ab. Sie war so unglaublich melodramatisch. In den letzten vier Monaten hatte ich mich endlich damit abgefunden. Es war halt nicht zu ändern.
Michael drückte mich kurz an sich und ließ mich im Gegensatz zu meiner Schwester aber auch gleich wieder los. Ich setzte meinen Rucksack auf, zerrte den Hundefutterbeutel aus der Haustür und drückte ihn dem ebenfalls Eishockeyverrückten in die Arme. Dann zog ich die Haustür hinter mir zu.

„Wann bist du denn ungefähr in Salzburg?“, fragte Franka. Inzwischen war es kurz vor zwölf Uhr am Mittag, von daher war es relativ leicht einzuschätzen.
„Wahrscheinlich so gegen sechs oder halb sieben, wenn ich über Nürnberg fahre. Ansonsten vielleicht ‘ne halbe Stunde später. Werde ich dann sehen, kommt halt auf den Verkehr an.“
„Na dann aber los!“ Meine Schwester schubste mich förmlich zur Garage, in der mein Motorrad stand. So irgendwie hatte die ja schon einen gewaltigen Knall. Trotzdem war ich ihr sehr dankbar dafür, dass sie sich während meiner Abwesenheit um meinen wertvollsten „Besitz“ kümmerte.



Tatsächlich schaffte ich es innerhalb von nur sechs Stunden nach Salzburg. An diesem Tag hatte ich nicht unbedingt Lust, mir die Stadt anzusehen, weshalb ich direkt zum Haus von Svens Eltern fuhr. Als ich dann direkt davor stand, war ich ziemlich beeindruckt.
Das Haus sah ziemlich alt aus. Es war in verschiedenen Brauntönen verklinkert und auf dem braunen Dach waren einige Stellen mit Moos bewachsen. Vor dem Haus an sich befand sich eine große Veranda, die ebenfalls von einem Dach überspannt wurde. Darauf stand eine etwas verwitterte Holzbank. Zu der Treppe dieser Veranda führte ein Weg, der aus einfachem Rindenmulch gestreut war.
Hinten im Garten standen zwei mächtige Trauerweiden und soweit ich das von hier vorne erkennen konnte, gab es dort ebenfalls einen kleinen Teich. Um den Garten herum war ein hölzerner Jägerzaun. Dieser war stellenweise von Efeu bewachsen.

Ich riss mich von dem wundervollen Anblick des Hauses los und marschierte zur Veranda.
Ich klingelte. Der Summer ertönte und ich stemmte mich gegen die schwere Haustür. Der Flur war laminiert und die Wände in schlichtem Weiß gehalten. Eine wuchtige dunkelbraune Kommode nahm ziemlich viel Platz ein. In einer flachen Schale lagen geschätzte 50 Schlüssel. Daneben befand sich die Garderobe. Die war dermaßen vollgestopft, dass ich glaubte, sie kracht jeden Moment von der Wand.
Sven polterte die Treppe zu meiner Linken hinunter. Er schloss mich sogar in die Arme. Meinetwegen sollte er das tun. Das letzte Mal, dass wir uns gesehen hatten war halt schon fast vier Monate her. Im Gegensatz zu sonst, drückte ich ihn ebenfalls an mich. Ich würde es nie zugeben, aber ich hatte ihn schon nach drei Tagen sehr vermisst. Christoph und Matt natürlich auch, aber die waren ja nicht da, also konnte ich die auch nicht drücken.
Als er mich losließ, lächelte er. Er sah total anders aus, als beim letzten Mal, als ich ihn gesehen hatte. Seine blonden Haare waren inzwischen wesentlich länger. Irgendwie erinnerte er mich an einen meiner Lieblingsschauspieler, Alex Pettyfer. Ich musste zugeben, dass er verboten gut aussah. Selbst seine angedeuteten Geheimratsecken fielen absolut nicht mehr auf.

„Also erzähl mal. Was genau hast du jetzt vor?“, fragte Sven als ich ihm gegenüber am Küchentisch saß und mir einen Kaffee von ihm hatte andrehen lassen.
„Weiß nicht. Erst mal schauen, dass ich irgendwo unterkomme, dann werde ich mir wohl schnellstmöglich ‘ne Wohnung suchen müssen“, überlegte ich. Vorerst war wichtig, dass ich mein Zeug aus der Wohnung bekam, damit Sarah mir kein Feuer unterm Hintern machte. Dafür musste ich wohl Olli anhauen, damit der die fertig gepackten Kartons aus meiner ehemaligen Wohnung holte und sie irgendwo unterbrachte.
„Also, willst du hier in Salzburg irgendwas Besonderes sehen?“, fragte er nach einer kurzen Pause. „Diese Gelegenheit solltest du jedenfalls nutzen. Die kommt so schnell nicht wieder.“ Mir fiel auf, dass sein österreichischer Akzent sehr hervorstach. Das lag wahrscheinlich daran, dass ich den schon so lange nicht mehr gehört hatte. Oder er hatte sich einfach nur verstärkt, weil Sven jetzt wieder in seiner Heimat wohnte (jedenfalls für die letzten vier Monate).
„Nein, eigentlich nicht“, antwortete ich etwas verlegen. Ich hatte mir kaum Gedanken über die Stadt gemacht, bevor beziehungsweise während ich hierher gefahren war.
„Okay. Hör zu, ich gehe morgen Mittag trainieren und für heute Abend habe ich mich kurzfristig mit ein paar Freunden in einer Kneipe verabredet. Wenn du Lust hast, kannst du mitkommen“, bot er an. Er war eindeutig zu nett zu mir. Somit hatte sich meine These ja bestätigt. Er war ein guter Freund, wenn man über seine nervige Eitelkeit hinwegsah.
„Zum Training oder in die Kneipe?“, fragte ich sicherheitshalber nach.
„Meinetwegen kannst du zu beidem mitkommen“, meinte er schulterzuckend. „Ist kein Torwarttraining in dem Sinne, keine Sorge. Ich schätze, eine Runde Laufen und später dann etwas Eislaufen sollte reichen.“
„E-Eislaufen?“, wiederholte ich stockend. Dann würde ich mich komplett blamieren.
„Ja, seit Montag ist hier wieder Eis. Wieso bist du so geschockt?“, fragte er grinsend nach. Ich glaube, er ahnte schon etwas.
„Ich bin doch nicht schockiert!“, empörte ich mich. „Ich kann’s nur nicht.“
„Wie jetzt? Der größte Eishockeyfan aller Zeiten kann nicht mal Eislaufen?!“, witzelte er laut lachend. So ein verdammtes Arschloch!
„Mach dich nicht über mich lustig! Ich darf mir das von Christoph, Matt, Basti, Alex und Noah schon seit der zehnten Klasse anhören und von Olli sowieso. Jetzt fang du nicht auch noch an!“ Sven wurde nachdenklich.
„Was hältst du davon, wenn du es denen so richtig zeigen kannst?“, fragte er grinsend. Ich wurde sofort hellhörig. Wollte er mir helfen? Ich nickte zögernd. So ganz sicher konnte man sich bei dem ja eh nie sein.
„Okay, hör zu: Wir gehen ab morgen jeden Tag zu jedem verdammten öffentlichen Lauf und ich bringe es dir bei. Ich schwöre dir, sobald wir wieder daheim sind, kannst du es“, erklärte er enthusiastisch. Ich war sofort Feuer und Flamme für seinen Vorschlag. Ich wollte es ihnen zeigen. Sie machten sich nun schon seit fast fünf Jahren über mich lustig. Darauf hatte ich echt keinen Bock mehr!
„Wann ist öffentlicher Lauf?“, fragte ich nochmal nach, denn ich hatte nicht unbedingt Lust um vier Uhr früh das erste Mal am Tag auf den Kufen zu stehen.
„Um halb zehn, dann um halb drei und das letzte Mal um halb neun. Das dauert dann immer so zwei Stunden“, erklärte er ziemlich präzise.
„Wie kommt’s, dass du das auswendig weißt?“, fragte ich nach. Sven lachte.
„Komm schon, ich bin hier aufgewachsen und habe jahrelang hier gespielt. Die Öffnungs- und Trainingszeiten haben sich nie geändert und werden es wohl auch so schnell nicht.“
„Okay. Also? Was treiben wir jetzt?“
„Treiben?“, fragte er tadelnd. „Christin Hofmann, dass ich so etwas obszönes ausgerechnet aus Ihrem Mund hören muss!“ Ich lachte. Das erste Mal seit einem Monat übrigens. Es tat verdammt gut, wieder in Gesellschaft von Freunden zu sein. Flo war relativ spontan nach Berlin gefahren, um seine Familie zu besuchen und mit Olli war im Moment auch nicht viel anzufangen. Der brütete noch immer darüber, ob er bleiben oder gehen sollte. Er hatte noch zwei Tage Zeit, um sich endgültig zu entscheiden. Während des Sommers hatte er glaube ich auch etwas mit Sarah angebandelt. Ganz toll! Ausgerechnet mit dieser Schnepfe!
„Lass mich doch! Also? Wann willst du morgen früh los?“
„Am besten um neun“, antwortete er knapp. Ich nickte.
„Also? Wo kann ich schlafen?“, fragte ich nach einer kurzen Pause. Es war zwar noch nicht spät, trotzdem war ich müde. Und mein Rücken tat auch verdammt weh nach der langen Fahrt.

„Komm, ich zeig’s dir“, meinte er und stand auf. Ich folgte ihm ins Treppenhaus und nahm bei der Gelegenheit meine Reisetasche mit, die ich vorhin dort liegengelassen hatte. Anschließend lotste er mich die Treppe hoch und betrat dann das erste Zimmer auf der linken Seite. Es war relativ geräumig, aber karg eingerichtet. Dort standen nur ein sehr breites Bett, ein Ungetüm von einem Schrank und ein Schreibtisch mit dazugehörigem Stuhl. In der Mitte des Raumes lag ein kreisrunder flauschiger Teppich, der ebenso weiß war wie die Wände. Dafür war das Zimmer dank dem riesigen Dachfenster lichtdurchflutet.

Ich seufzte und legte meinen Rucksack auf das Bett. Dann schmiss ich mich selbst direkt daneben. Ich musste feststellen, dass dieses Bett fast genauso weich war, wie das in Svens Wohnung. Dieser blieb grinsend im Türrahmen stehen. Ich hob den Kopf. Warum zur Hölle grinste dieser Typ eigentlich andauernd?!
„Wer schläft hier sonst?“, fragte ich nach einiger Zeit. Er löste sich aus seiner Starre, die einer Salzsäule geglichen hatte.
„Eigentlich niemand“, antwortete er relativ monoton. „Früher war das mein Zimmer, aber wie du siehst, wurde es zum Gästezimmer umfunktioniert.“ Ich setzte mich auf.
„Du, ich kann auch auf der Couch schlafen. Ich will dir nicht noch mehr Umstände machen“, versuchte ich mich herauszureden, doch er lachte und schüttelte den Kopf.
„Blödsinn, ich freu mich sogar, dass du da bist. Wurde langsam langweilig hier, ohne jemanden, den man ärgern kann!“ Ich grinste und warf ein Kissen nach ihm. Sein Lachen wurde von dem Kissen unterbrochen, das in sein Gesicht geschleudert wurde. Es fiel zu Boden.
„Na warte!“, murmelte er. Er hob es auf und stürzte sich mit einem Kampfschrei auf mich. Ich drehte mich mit dem Rücken zu ihm, um mir noch ein Kissen zu besorgen. Immerhin wollte ich mich auch gegen ihn zur Wehr setzen können! Doch da schlug er mir das verdammte Kissen schon auf den Kopf. Blitzschnell griff ich nach dem Kissen und rollte mich seitwärts vom Bett. Er schlug das Kissen auf die Matratze und drehte sich nach mir um. Ich hatte mich inzwischen wieder hingestellt und war drauf und dran ihm das Kissen gegen den Kopf zu donnern. Er wich aus und ich traf nur seinen Arm. So ging das bestimmt eine halbe Stunde weiter. Dann lag ich schwer atmend auf dem Bett und er lehnte triumphierend grinsend an der Wand. Arschloch!

„Wann willst du los?“, fragte ich irgendwann, nachdem meine Atmung sich beruhigt hatte und richtete mich auf. Sven sah auf den digitalen Wecker auf dem Schreibtisch. Es war inzwischen kurz nach sieben.
„In einer halben Stunde. Verabredet sind wir um acht“, antwortete er. „Kannst also noch in Ruhe auspacken.“ Er grinste dämlich und verzog sich dann. So ein Idiot! Ein gutaussehender Idiot, aber immer noch ein Idiot. Ich zog den Reißverschluss meiner Tasche auf und nahm als erstes meinen Laptop heraus und legte ihn auf den Schreibtisch. Glücklicherweise war der bei der Kissenschlacht vorhin nicht zu Bruch gegangen. Der Rest war auch relativ schnell ausgepackt. Genau fünf Minuten vor Svens gesetzter Deadline von einer halben Stunde kam ich zu ihm ins Wohnzimmer. Er lag mit seinem ach so tollen Apple-Laptop auf der weißen Microfasercouch.
„Wollen wir dann los?“, fragte er, klappte den silbernen Laptop zu und stellte ihn auf den gläsernen Couchtisch. Er erwartete keine Antwort auf seine Frage.


Eine halbe Stunde später stiegen wir aus seinem weißen Skoda Fabia Sport und er ging voraus in Richtung Kneipe. Ich blieb knapp hinter ihm. Immerhin hatte ich keinen blassen Schimmer, wo wir hier waren, geschweige denn, wo wir hinmussten.
Die Kneipe selbst befand sich in einem alt aussehenden Fachwerkhaus. Sven zog die schwere Massivholztür auf und ließ mich vor ihm reingehen. Wir befanden uns in einem kleinen dunkeln Raum. Rechts von mir stand eine Kühltruhe und links musste die Küche sein. Etwas weiter vorne auf der linken Seite führte eine Treppe nach oben in den ersten Stock. Geradeaus befand sich eine Tür mit Milchglasscheibe. Sven klopfte mir auf die Schulter und ging wie vorhin wieder voraus. Der Raum hinter der Tür war zwar ziemlich klein, aber hell und freundlich. Die Wand, an der sich ein Kachelofen befand, war orange gestrichen, die anderen Wände waren weiß. Die Theke zu meiner linken war unbesetzt, doch an dem riesigen Tisch direkt vor uns saßen drei Leute. Ungefähr in unserem Alter.
Sven ging breit lächelnd auf sie zu. Das einzige Mädchen in der Runde umarmte er herzlich, die beiden Jungs begrüßte er mit einem Handschlag. Einer der beiden fragte ihn irgendetwas, Sven lachte.
„Das ist Christin“, stellte er mich vor und setzte sich neben den Jungen, der eben die Frage gestellt hatte. Ich setzte mich neben Sven und somit dem zweiten Kerl gegenüber. Neben diesem saß das Mädchen. Sie lächelte freundlich.
„Ich heiße Juliet“, stellte sie sich vor. Ihr amerikanischer Akzent war mehr als deutlich herauszuhören.
„Und ich heiße Aaron“, meinte der Typ neben ihr. Auch er hatte einen ausgeprägten amerikanischen Akzent. „Sie ist übrigens meine Schwester!“ Das erklärte dann wohl auch, warum sie sich so ähnlich sahen. Beide hatten dieselbe blonde Haarfarbe und dieselben blauen Augen.
„Ich bin Adam“, stellte sich dann auch noch der letzte im Bunde lächelnd vor. Der hatte zwar auch einen Akzent, aber „nur“ den österreichischen und den fand ich richtig toll.
„Wie kommt’s, dass du uns eine deiner Freundinnen vorstellst? Sonst versteckst du die doch immer vor uns“, fragte Aaron. Verwirrt schaute ich zwischen ihm und Sven hin und her. Ich und Svens Freundin?! Hatte der noch alle Tassen im Schrank?!
„Ich bin nicht seine Freundin“, antwortete ich trocken. Aaron sah mich an und zog eine Augenbraue hoch. Ja, die Christin kann sehr wohl auch sprechen!
„Woher kennt ihr euch denn?“, fragte Juliet weiter. Ich konnte nicht genau sagen warum, aber ich mochte dieses Mädel auf Anhieb. Auch wenn ich neben ihr wie Jigsaw aussah, fand ich sie cool.
„Ihr kennt doch Ole, oder?“, fragte Sven. Einstimmiges Nicken folgte. Er wollte gerade weiterreden, doch ich unterbrach ihn.
„Ich bin seine kleine Schwester. Genau genommen bin ich auch nur hier, weil ich aus meiner Wohnung geschmissen wurde und sonst nirgends unterkommen kann“, ratterte ich zum tausendsten Mal diesen Sommer herunter. So langsam konnte ich es echt nicht mehr hören.
„Oh Scheiße“, meinte Adam. „Und jetzt wohnst du bei unserem Sven? Na dann viel Spaß!“ Er grinste breit und warf Sven einen ziemlich komischen Blick zu. Fast würde ich ihn als verschwörerisch oder wissend oder vielleicht auch etwas warnend bezeichnen. Aaron grinste breit. Nur ich hatte mal wieder keinen Plan von gar nichts.

„Adam? Sven? Kommt ihr auf ‘ne Kippe mit raus?“, fragte Aaron nach einer Weile angeregten Gesprächs und stand demonstrativ auf. Die beiden anderen Kerle nickten und folgten ihm nach draußen. Man hörte hier drinnen sogar noch ihr angeheitertes Gelächter.
Juliet beugte sich ein Stück weit über den Tisch.
„Komm schon, du kannst mir nichts vormachen. Du stehst auf Sven, oder?“, fragte sie lächelnd. Zögernd – was normalerweise so gar nicht meine Art war – nickte ich.
Ja, es stimmte verdammt! Das war mir schon zu Beginn des Sommers klar geworden. Sven war nun mal der perfekte Typ für mich. Sportbegeistert, humorvoll, schlagfertig, dickköpfig und ehrgeizig. Ganz ehrlich, genau so stellte ich mir meinen Traummann vor. Nun ja, Sven entsprach diesen Anforderungen vollkommen. Ich fragte mich in dem Moment nur, wie ausgerechnet Juliet darauf kommen konnte, dass ich was von dem besten Freund meines Bruders wollte. So eine Scheiße!

„Ha!“, rief sie. „Ich hab’s gewusst!“ Sie pausierte kurz und sprach dann mit gesenkter Stimme weiter. „Was hast du jetzt vor?“
„Was soll ich schon vorhaben?“ Ich lachte spöttisch auf. „Ich bin nicht sein Typ. Ich kann selbstständig denken, habe Ziele und lasse mir nichts befehlen und von ihm schon gar nicht. Also quasi das genaue Gegenteil von seinen anderen Eroberungen“, stellte ich fest. Das sollte auch gar nicht selbstverliebt klingen, aber so war es nun mal. Man erinnere sich an dieser Stelle an seine Eroberung im Penalty damals, als wir den Sieg gefeiert hatten. Das war nun mal leider genau der Typus Frau, den er bevorzugte!
„Okay, ich werde dir helfen. Verlass dich auf mich!“, meinte sie zwinkernd. Dankbar lächelte ich sie an. Moment mal! Seit wann war ich denn bitte so weibisch-verweichlicht?! Das war doch nicht mehr ich, verdammte Scheiße nochmal!
„Was gedenkst du zu tun?“, fragte ich. In letzter Zeit hatte ich es mir komischerweise angewöhnt, meine Sätze möglichst intelligent klingend zu formulieren. Damals mit 14 hatte ich mir das auch schon mal angewöhnt, allerdings hatte ich damals nur mit meinem Vater so gesprochen. Möglicherweise hatte ich ihn etwas beeindrucken wollen. Keine Ahnung, was damals mit mir los gewesen war. Ist ja im Prinzip auch egal, jedenfalls hatte es ewig gedauert, bis ich wieder normal beziehungsweise umgangssprachlich mit ihm redete. Das musste auch ungefähr die Zeit gewesen sein, in der ich ihn ausschließlich mit „Vater“, „alter Mann“ oder „alter Herr“ angesprochen hatte. Schon blöde, hm?

„Na ja, ich denke, du solltest gerade das ausspielen. Vielleicht sucht er sich auch nur solche Weiber, weil er bei denen keine Probleme hat, sie in die Kiste zu kriegen. Für eine Beziehung wollen die Männer meiner Erfahrung nach ganz andere Dinge“, erklärte sie. „Was genau ich vorhabe, weiß ich selbst noch nicht genau. Gib mir am besten deine Nummer, ich melde mich sofort, wenn mir was einfällt, in Ordnung?“ Ich nickte und reichte ihr mein Handy.
Sie speicherte ihre Nummer in meinem und meine Nummer in ihrem Handy. Kurz darauf kamen die Jungs wieder. Wir unterhielten uns noch gut eine Stunde, bis Sven irgendwann beschloss, dass es das Beste wäre, nach Hause zu fahren. Wir müssten am nächsten Morgen ja früh raus!


Zuhause angekommen waren weder er noch ich müde. Gemeinsam schmissen wir uns auf die Couch im Wohnzimmer der Neumanns. Sven sah sich irgendeinen Film an (ich hatte nicht darauf geachtet) und ich saß mit meinem Laptop auf dem Schoß daneben und surfte im Internet.
Irgendwann kam ich auch auf die Homepage des Vereins. Ich stieß einen spitzen Schrei aus, als ich die neueren Newsmeldungen las. Erschrocken fuhr Sven zu mir herum
„Was ist denn mit dir los?“, zeterte er. Ich grinste ihn breit an.
„Bist du eigentlich enttäuscht, dass du nicht mehr der Teamkapitän bist?“, fragte ich in einem stichelnden Tonfall. Sven schüttelte den Kopf.
„Blödsinn. Ole hat sich halt optimal auf den Posten vorbereitet und ihn sich absolut verdient. Er hat immerhin genug Erfahrung und gerade die jüngeren Spieler vertrauen ihm. Außerdem bin ich noch immer Assistenzkapitän. Von daher…“ Er zuckte die Schultern und widmete sich wieder seinem Film. Es gab gerade eine riesige Explosion und ein schwarzer Audi A4 wurde quer durch die Luft geschleudert.
Im Fanforum stand auch nichts Spannendes. Nur Spekulationen über die neue Saison und Vorfreude auf die Saison. Hatte ich alles schon tausendmal gelesen… Doch dann las ich einen Beitrag eines Mädchen (war eindeutig). Ich grinste breit. Sven sah mich misstrauisch an.
„Was grinst du denn so?“, fragte er.
„Als noch nicht öffentlich war, dass du bleibst…“, setzte ich an und reichte ihm den Laptop rüber. Er begann zu lesen.  <<Meiiner Meiinung nach, sollte man Sven undbediingt behalten. Er iist noch Jung und hängt siich iimmer voll reiin. Er spiielt sehr körperbetont (was iich megaa gut finde <3) Deshalb würde iich miich megaa freuen, wenn er beii uns bleiibt. Und ja, er iist echt süüüß <3>>, stand dort. Okay, es mag gemein klingen, aber für mich stand fest, dass dieses Mädel den IQ einer Walnuss hatte.

Auch Sven musste grinsen. Allerdings konnte man ihm ansehen, dass er es etwas peinlich fand. Warum auch immer. Ich würde es an seiner Stelle eher cool finden, wenn mir jemand so öffentlich quasi eine „Liebeserklärung“ macht (wenn auch anonym)… Okay, nein, eigentlich nicht!
Ich beschloss jedenfalls, ihn noch lange damit aufzuziehen. Ich liebte es, Leute mit alten Geschichten aufzuziehen. Leider, sahen das meine Kumpels genauso, weshalb ich nun langsam echt mal damit anfangen sollte, Eislaufen zu lernen. Ich wollte immerhin nicht ewig vor ihnen auf die Schnauze fallen, sobald ich auf den Kufen stand!

Einige Zeit später zappte Sven auf RTL2. Es lief ein Horrorfilm.
„Welcher Teil ist das?“, fragte ich ihn. Er überlegte kurz.
„Chucky die Mörderpuppe auf jeden Fall… wahrscheinlich der zweite Teil“, meinte er relativ monoton. Ich nickte knapp.
Ein kleiner Junge, Andy glaube ich, stand im Keller vor einer Wäscheleine und zog ein Laken beiseite. Dramatische, (pseudo-)furchterregende Musik spielte leise im Hintergrund. Der kleine Junge streckte vorsichtig eine Hand nach dem Wäschekorb dahinter aus. Die Musik wurde lauter.
„Never seen, never seen…“, flüsterte ich vor mich hin. Solche Szenen kannte doch jeder. Es war klar, was nun passieren würde. Es geschah, wie es geschehen musste und das potthässliche puppenähnliche Etwas namens Chucky sprang hervor und riss den Kleinen zu Boden.
Sven sah mich an.
„Hast du keine Angst?“, fragte er. Seine Stimme war irgendwie… sanft. Es war komisch ihn so reden zu hören. So richtig... creepy igendwie!
„Nein.“ Ich schüttelte den Kopf. „Es ist so vorhersehbar.“ Er streckte einen Arm nach mir aus und lächelte.
„Komm trotzdem her“, meinte er genauso sanft wie eben. „Nicht dass es endet wie in Scream!“ Er lachte.
„Welchen Horrorfilm magst du am liebsten?“, fragte er mit grausig verstellter Stimme und seine Lache nach diesem Satz hätte einem dieser Bösewichte in den Hollywoodfilmen alle Ehre gemacht (Muhahaha). Ich lachte und rückte näher zu ihm. Er legte seinen Arm um meine Schultern und zog mich an sich. Es war angenehm. Jedenfalls nicht so wie bei Eddie. Bei Sven war es total anders. Ich fühlte mich wohl bei ihm.
Der Film an sich war zwar gut, aber noch immer vorhersehbar. Alles in Allem fand ich den Anfang von Chucky 3, wenn sich diese Puppe aus Plastik und Blut zusammenfügt, wesentlich gruseliger als den Rest von Teil 2.

Inzwischen war es bestimmt ein Uhr früh. Nicht allzu spät, eigentlich. Allerdings mussten wir morgen früh aufstehen, auch wenn ich darauf nicht unbedingt Lust hatte… Sven schaltete den Fernseher aus und ich stand auf, verließ das Wohnzimmer, ging ins Bad. Ich war während dieser unendlich vielen, unendlich nervigen Werbepausen immer wieder aufgestanden und hatte mich im Bad „ausgebreitet“.
Das Wort „ausbreiten“ war an dieser Stelle eindeutig zu dick aufgetragen. Ich hatte nicht genug Zeug, um mich wirklich irgendwo auszubreiten (Zahnbürste und –pasta, Haarbürste, Duschgel und Zahnseide, fertig!). Jedenfalls führte ich meine abendliche Routine durch (innerhalb von fünf bis sieben Minuten) und schlurfte danach zurück in „mein“ Zimmer, um mich umzuziehen. Als ich aus dem Bad gekommen war, hatte Sven bereits davor gewartet. Schon scheiße, sich ein Bad teilen zu müssen, ‘ne?

Ich war schon eingedöst, als sich die Zimmertür öffnete und schwere Schritte sich dem Bett näherten. Die Decke wurde zurückgezogen und ein Kerl mit einem Kreuz so breit wie ein Schrank (Vorsicht, Übertreibung!) legte sich zu mir. Ich knurrte mürrisch. Sven lachte.
„Was denn? Ich hab nur gesagt, dass du hier schlafen kannst. Von alleine schlafen hab ich nie was gesagt, oder?“ Obwohl ich in dieser Dunkelheit nichts sehen konnte, wusste ich, dass Sven sein Gesicht wieder zu einem schiefen Grinsen verzog. Ich liebte diese Angewohnheit von ihm irgendwie. Genauso wie die Grübchen, die sich bildeten, wenn er lächelte. Aber das könnte ich nie im Leben aussprechen und hatte das auch nicht vor!

Wie gesagt… erst, wenn Augsburg aus der DEL fliegt!

Sven schnarchte neben mir bereits, während ich noch wach lag und mir Gedanken machte.
Ich war unglaublich aufgeregt wegen dem nächsten Morgen. Gut, ich hatte auch etwas Angst. Aber ich würde das schaffen! Egal, wie lange es dauern würde!

Start the Fight!

Am nächsten Morgen weckte Sven mich pünktlich um halb acht in der Frühe. Er schien im Gegensatz zu mir allerdings schon fit zu sein. Murrend rollte ich mich aus dem Bett.
„Aufstehen!“, meinte Sven voller Enthusiasmus. „Chucky ist auch schon wach. Wir joggen Punkt neun Uhr los zum Stadion!“ Wer zur Hölle war denn jetzt auf einmal Chucky?
Sven lachte und pfiff durch die Zähne. Das mir nur zu vertraute Schaben von Krallen auf Parkettboden war zu vernehmen.
Mit einem Mal raste ein graues Etwas durch die Tür und sprang schneller zu mir aufs Bett, als ich gucken konnte. Ein Mittelschnauzer hatte sich auf meinem Schoß niedergelassen und blinzelte mich unter seinen ewig langen Brauen heraus erwartungsvoll an. Ich strich ihm übers Rückenfell. Sofort warf sich der kleine Kerl auf die Seite und ließ sich am Bauch kraulen.

„Wie alt ist er denn?“, fragte ich Sven. Spontan würde ich den Schnauzer auf vier, vielleicht auch fünf Jahre schätzen.
„Sechs, warum?“ Ein Jahr älter als mein Sam also. Ich schüttelte schnell den Kopf.
„Nur so“, meinte ich und bugsierte Chucky von meinem Schoß, um aufzustehen. Sven pfiff erneut  und schon raste Chucky wie von der Tarantel gestochen aus dem Zimmer. Sven zwinkerte mir zu, bevor er die Tür schloss.
Sofort ließ ich mich zurück aufs Bett fallen. Ich hatte echt keinen Bock, jetzt schon joggen zu gehen. Scheiß Trainingsprogramm! Wobei ich mir aber zu 100% sicher war, dass Sven seinen Trainingsplan mir zuliebe deutlich entspannt hatte. Na ja, wie auch immer.

So gegen acht wurde mir nach wohligem Dösen dann so langsam bewusst, dass ich vielleicht doch mal aufstehen sollte. In diesem Moment platzte Sven ins Zimmer. Chucky schoss sofort auf mich zu und missbrauchte meinen Bauch als Trampolin. So kam es mir jedenfalls vor. Sven drückte ihn sanft von mir herunter, packt mich an beiden Armen und zog mich ruckartig nach oben, sodass ich taumelte und an ihm Halt suchte.
„Du kannst es dir aussuchen“, sagte er leise. „Entweder, du machst dich jetzt selbst fertig, oder ich übernehme das für dich.“ Ich grummelte verschlafen. Der konnte mich mal! Außerdem würde er sich das eh nicht trauen!
„Na gut, wie du willst“, murmelte er und schob seine Hände unter mein T-Shirt, um es mir über den Kopf zu ziehen. Scheiße! Quietschend machte ich einen Satz zurück, knallte dabei prompt gegen den Bettpfosten und stieß volle Kanne mit den Zehen dagegen. Fluchend und auf einem Bein hüpfend schob ich Sven aus dem Zimmer.

Eine halbe Stunde später (ich hatte mir extrem viel Zeit gelassen) setzte ich mich zu Sven an den Küchentisch. Jedoch saß ich auf der Eckbank und er hatte sich auf einem Stuhl breitgemacht. Neben mir hatte sich Chucky zusammengerollt und döste vor sich hin. Kaffee und Müsli standen bereit. Vor ihm stand sein silberner Apple-Laptop. Noch gut eine halbe Stunde, bis wir los mussten.
Ich griff nach meinem Kaffee und nach der aktuellen Tageszeitung. Auch wenn es eigentlich lachhaft ist, überflog ich die Artikel nur (wobei ich beim Sportteil genauer hinschaute) und suchte das, was mich im Moment eigentlich mehr interessierte: die Horoskope. Gut, um ehrlich zu sein hielt ich diese Dinger für den reinsten Schwachsinn, der auf alle Menschen der Welt übertragbar war und trotzdem fand ich es doch ziemlich lustig, diesen Kram zu lesen.

Ich suchte nach dem Horoskop meines eigenen Sternzeichens, Schütze:
Wenn Sie handeln und sich durchsetzen, tun Sie dies aus der Tiefe Ihrer Gefühle heraus. Im Positiven bedeutet dies eine starke Tat- und Überzeugungskraft, im Negativen Launenhaftigkeit. Heute hat Ihr emotionales Engagement eine besonders kämpferische Komponente. Doch bleiben Sie dabei menschlich und einfühlsam, ohne zu viel nachzugeben.

„Wann hast du Geburtstag?“, fragte ich Sven. Er schaute kurz vom Bildschirm auf. Seine Mimik war irgendwie ausdruckslos. Ein extrem ungewöhnliches Bild bei ihm. Sonst grinste er doch eigentlich immer.
„Morgen“, antwortete er knapp und widmete sich wieder seinem Laptop. Morgen?! Meinte der das jetzt wirklich ernst?! Scheiße! Nachher musste ich Juliet mal anrufen und fragen, ob irgendwas deswegen organisiert worden war. Wenn nicht, wollte ich mir irgendwas einfallen lassen. Konnte ja wohl nicht so schwer sein!
„Aha“, antwortete ich ebenso knapp und monoton wie Sven. Mein Blick wanderte wie von selbst zum Löwe-Horoskop.

Dies ist ein Tag der Tat, der Entscheidungen und, falls Sie nicht selbst in die Hände spucken und loslegen, des Ärgers. Wenn Sie Ihre Kräfte direkt und effizient einsetzen, bleibt die Wirkung nicht aus. Tendenziell gebrauchen Sie Ihre Ellenbogen eher zu viel als zu wenig.

Wie gesagt, der reinste Schwachsinn, diese Horoskope. Gibt’s was Hirnloseres?!
„Was machst du?“, fragte ich Sven zwischen zwei Schlucken Kaffee. Er drehte den Laptop in meine Richtung.
„Facebook“, antwortete er knapp und setzte sich neben mich. Sollte ich ihm jetzt zuschauen, wie er mit diesem Schrott hantierte, oder was?! Momentan waren die Fotos von Noah geöffnet. Leicht geschockt sah ich, dass dort auch ein paar Bilder von mir dabei waren:

Eines, auf dem Matt gerade dabei war, mich in einen Pool zu befördern und ich mich an seinem Hals festklammerte. (Das war auf der Feier von Svens 20. Geburtstag vor fast vier Jahren. Damals war ich 15 oder 16)

Dann eines auf dem ich inmitten von Olli, Michael, Sven, Basti, Alex, Noah, Matt und Christoph zu sehen war, wobei ich zwischen Alex und Basti stand und diese mir jeweils einen Arm um die Schultern gelegt hatten. (Das war die Abschiedsfeier von Alex, Basti und Noah, die innerhalb des Teams veranstaltet wurde) Ich erinnerte mich noch gut daran, dass mir jemand an den Arsch gegrabscht hatte. Ich wusste allerdings bis heute noch nicht wer.

Dann noch eines von vor ein paar Monaten, als wir Noah im Penalty getroffen hatten.


Sven sah sich Noahs Fotos weiterhin durch. Ich tat uninteressiert und trank meinen Kaffee. Allerdings schielte ich doch andauernd wieder rüber auf den Bildschirm.
Bei einem Foto hielt er inne und schrieb einen Kommentar dazu. Es zeigte Noah, spielt übrigens sowohl Defensive als auch Offensive,  wie er vor dem Tor einen Puck abfing. Weiter rechts und im Hintergrund war Sven zu sehen.
Sogleich wurde ein weiterer Kommentar gepostet. Am Ende schaute das dann so aus:

Sven Neumann: Was ‘n geiler Stürmer im Hintergrund!
Noah Schmidt: Träum weiter, Neus!!
Sven Neumann: Ah geh weida, du Klosterseer Bayer, nä! ;)
Noah Schmidt: Ohne ’nä‘, du Pfosten!
Sven Neumann: Hä? Sag bloß, du hast dich entschieden, Deutsch zu lernen?
Noah Schmidt: Pff!
Sven Neumann: ;)
Noah Schmidt: Wenigstens verleugne ich meine Herkunft nicht.
Sven Neumann: Tue ich auch nicht.
Noah Schmidt: Na deinen Dialekt hast schon fast verlernt.
Sven Neumann: Kommt halt, wenn man über Jahre immer nur mal kurz daheim is.
Noah Schmidt: :D
Sven Neumann: Nix ‘:D‘!
Noah Schmidt: Wer bist du?!


Dann klappte Sven entschlossen seinen Laptop zu und deutete auf die Uhr. Er grinste breit.
„Auf geht’s!“, sagte er und stand auf. Wenn ich gerade auf etwas überhaupt keine Lust hatte, dann war das Joggen! Dennoch stand ich auf, folgte ihm in den Flur und zog genau wie er meine Laufschuhe an. Sven pfiff durch die Zähne und schon kam Chucky aus der Küche gerast. Hyperaktives Viech! Der letztjährige Mannschaftskapitän klaubte die Hundeleine von der Treppe und leinte Chucky an.
Sobald die Tür geöffnet wurde, zog der Schnauzer wie irre nach draußen. Sven stolperte ein, zwei Meter hinter ihm her, bekam dann allerdings wieder die Kontrolle. Er sah mich an.
„Also, wir werden jetzt zum Stadion joggen. Das sind vielleicht zwei Kilometer, vielleicht auch etwas mehr. Sollte also locker zu schaffen sein“, erklärte er als wir nebeneinander die Straße hinunterjoggten. Chucky trabte ohne große Diva-Allüren neben uns her und musterte merklich interessiert die vorbeiziehende Umgebung.


Generell war das Joggen recht spaßig. Etwas karg vielleicht, aber dennoch irgendwie entspannend und vor allem gemütlich. Wirklich anstrengend war es nun wirklich nicht. Das konnte aber auch daran liegen, dass Chucky an fast jeder Straßenecke stehen geblieben war.
Jedenfalls standen wir nun vorm Stadion. Sven hatte Chucky komischerweise am Kassenhäuschen abgeben können, was mich total irritierte. Ich folgte Sven zum Schlittschuhverleih. Er wechselte ein paar Worte mit der älteren Frau, die hinter dem „Tresen“ stand und schon öffnete sie eine Tür in eben diesem. Sven nahm mich am Handgelenk und zog mich mit sich in den hinteren Bereich. Auf meine Nachfrage antwortete er:
„Mein Vater ist ein wichtiger Sponsor und außerdem bin ich hier von früher noch sehr bekannt.“ Na wenn er das meinte…
„Warum machst du das alles?“, fragte ich, als wir nebeneinander auf einer Holzbank saßen und die Schlittschuhe schnürten.
„Was meinst du?“, harkte er nach und zog einen Schnürsenkel durch eine der Ösen und zurrte eben diesen fest.
„Na ja… Dass ich bei dir wohnen kann, dass du mir Eislaufen beibringst und so weiter…“, antwortete ich. Es war komisch, dass ausgerechnet er es war, der so viel für mich tat und nicht beispielsweise Christoph, der ja eigentlich neben Matt mein bester Freund war.
„Macht man so unter Freunden“, sagte er und lehnte sich zurück. Ich zurrte nochmal die Schlittschuhe fest. Sven stand auf und marschierte trotz der wackeligen Kufen wieder nach vorne. Ich kraxelte ihm irgendwie hinterher. Wir verließen den Schlittschuhverleih und gingen über eine dicke Gummimatte zur Eisfläche. Sven war sofort auf dem Eis und drehte mit einem unheimlichen Tempo seine Runden. Ich hingegen hangelte mich an der Bande entlang.
Jedoch fühlte ich mich nach der ersten Runde etwas sicherer und ließ nur noch eine Hand an der Bande entlanggleiten. Sven war in der Zwischenzeit schon fünfmal an mir vorbeigefahren.
Ich hingegen strauchelte immer wieder, fiel jedoch nicht hin. So ging es ungefähr zehn Runden lang.
Nach und nach wurde ich allerdings immer sicherer. Inzwischen bekam ich es auch hin, mich selbst einige Meter von der Bande entfernt auf den Kufen zu halten.
Komischerweise war ich bisher nicht ein einziges Mal hingefallen. Sven, der immer wieder an mir vorbeiraste, grinste allerdings immer nur belustigt, was mich jedes Mal aufs Neue verunsicherte und mich straucheln ließ.
So ein Arschloch!

Wieder einige Runden später schaffte ich es noch immer nicht, selbstständig zu fahren, ohne zu straucheln. Hingefallen war ich, wie durch ein Wunder, allerdings noch immer nicht. Schließlich entwickelte ich nach und nach eine Technik, die mir komischerweise sehr gut half.
Ich stellte mir vor, das Eis zu meinen Füßen wäre nicht da, sondern ich würde auf Wolken laufen. Kitschig. Widerlich kitschig. Ich weiß. Aber es half ungemein. Inzwischen war eine ganze Stunde vergangen und ich wurde sicherer auf dem Eis.
Nun ja, vielleicht sollte man eher sagen, ich strauchelte nicht mehr so viel wie zu Beginn. Dennoch verbuchte ich diese Stunde als großen Erfolg in meinem Repertoire. Das Beste an der ganzen Sache war jedoch, dass ich das vollkommen allein geschafft hatte. Ganz ohne fremde Hilfe. Darauf war ich stolz, denn ich ließ mir von ausnahmslos niemandem freiwillig in meine Angelegenheiten reinreden.
Und von Sven schon gar nicht!

Auch die zweite Stunde verging wie im Flug. Gemeinsam verließen Chucky, Sven und ich das Gebäude. Nun hatten wir drei Stunden Zeit, bis der nächste öffentliche Lauf begann. Sven schleppte mich mit Chucky quer durch die Innenstadt Salzburgs. Juhu, noch mehr Sport!


Irgendwann hatte ich ihn davon überzeugen können, dass ich vorerst nicht noch mehr Kultur (und Sport) ertragen konnte und so verschleppte er mich in eine nahegelegene Kneipe. Nur ungefähr gefühlte fünf Kilometer von unserem vorherigen Standort entfernt!
Als wir dann – endlich! – dort angekommen waren, setzten wir uns direkt an die Theke. Ich ließ Sven bestellen und meinte zu ihm, ich müsste kurz aufs Klo. Er tat das mit einem knappen Nicken ab. Mit jetzt schon heftigem Muskelkater in den Beinen (was freute ich mich auf morgen! Da würde es noch zehnmal schlimmer sein!) hievte ich mich vom Barhocker und stakste aus dem Raum.
Ich verschwand zwar auf dem Damenklo, doch ich zückte sofort mein Handy und tippte eine SMS an Juliet.

>>Hab erfahren, dass Sven morgen Geburtstag hat.
Ist was geplant? <<

Es dauerte zwar wie immer etwas, bis ich sie fertig geschrieben und dann auch noch das Kunststück des Adressaten Auswählens und des Verschickens vollbracht hatte, dennoch bekam ich es irgendwie auf die Reihe. Juliets SMS ließ nicht lange auf sich warten. Schon einige Sekunden später vibrierte mein Handy.

>>Nö. Hast du ne Idee? <<

Ich überlegte ernsthaft, was Sven denn Spaß machen könnte. Dummerweise fiel mir auf die Schnelle allerdings nichts ein. Ich ging in Gedanken einige Gespräche mit meinem Bruder durch, bei denen das Wort auf Sven gekommen war. Das waren zwar nur sehr, sehr wenige gewesen, dennoch konnte ich mich daran erinnern, dass Olli mal erwähnt hatte, das Sven auf ruhigere Feiern stand. So schnell wie möglich schrieb ich Juliet zurück. Wenn ich zu lange hier blieb, würde es immerhin verdächtig werden.

>>Wie wär’s mit Gartenparty?
Ist das machbar? <<

Wie eben auch ließ ihre Antwort nicht lange auf sich warten. Diese Frau konnte anscheinend schneller tippen als jeder andere Mensch auf der Welt!

>>Kriegen wir hin!
Ich geb dir gleich die Liste durch.
Versuch, alles zu besorgen.
Adresse der Feier folgt auch! <<, hatte sie geschrieben. Dieses Mädel war echt unglaublich! Allein dieses Organisationstalent machte mich baff. Ein normaler Mensch würde doch nie im Leben eine gesamte Feier innerhalb von Sekunden oder Minuten planen können! Sie allerdings schon, so wie es aussah.
Ich marschierte brav zurück zu Sven an die Theke und schlürfte an dem Wasser, das er bestellt hatte. Vorhin hatte er mir noch erzählt, er müsse sich schon den ganzen Sommer an einen Trainingsplan sowie einen Ernährungsplan halten. Allerdings sprachen die etlichen leeren Chipstüten bei ihm im Vorratsschrank für etwas ganz anderes!
Gerade als ich fünf Minuten gesessen hatte, vibrierte mein Handy schon wieder. Endschuldigend zuckte ich mit den Schultern und zog das schwarze Ding hervor. Juliet hatte tatsächlich eine kurze Liste geschrieben und mir die Adresse geschickt.

Party ist bei Aaron: Parkallee 23!
Bitte besorge:
30 Steaks
1 Sack Grillkohle
Party steigt morgen Abend um 20 Uhr.
Das halbe Team wurde bereits eingeladen.
Adam hat Svens E-Mail-Verteiler geknackt. :D
Bring Sven irgendwie dazu, hier vorbeizuschauen.
Das Zeug bitte vorher bringen ;)
DANKE!


Scheiße, wie sollte ich dieses ganze Zeug denn bitte besorgen?! Ich stand doch immer noch unter Svens Fuchtel! Knurrend verstaute ich mein Handy wieder in meiner Hosentasche.
„Wer war das?“, fragte Sven.
„Niemand“, schoss es aus mir heraus. Sven zuckte nur die Schultern und leerte sein Glas in einem Zug.
„Trink aus“, meinte er. „Wir müssen gleich los.“ So ein scheiß Sklaventreiber!
Eine Viertelstunde später waren wir wieder im Stadion. Derselbe Prozess wie beim letzten Mal auch: Sven gab Sam am Eingang ab, wir zogen die Schlittschuhe a und dann ging’s auch schon ab aufs Eis. Diesmal waren sogar ziemlich viele andere Leute da. Bestimmt um die... 25! Im Vergleich zu vorhin war das immerhin eine Steigerung von ca. 250%! Im Ernst, ich hatte keine Ahnung. Mathe war noch nie meins gewesen.

Dieses Mal war es jedoch anders. Ach zehn Runden, die Sven mir inzwischen voraus war, fuhr er neben mir her und hielt mir seinen Arm hin, damit ich mich an ihm festhalten konnte, um nicht doch hinzufallen. Ich wollte das aber allein schaffen und ich wusste, dass ich das auch konnte! Ich brauchte seine verdammte Hilfe nicht.
Noch immer wackelig auf den Kufen erhöhte ich mein Tempo. Mein Selbstbewusstsein bezüglich des Eislaufens steigerte sich mit jedem Meter. Ich war zwar noch lange nicht „gut“, dennoch hatte ich es selbstständig hinbekommen, nicht permanent auf die Schnauze zu fallen oder gegen die Bande zu krachen. „Stolz“ konnte das vielleicht ganz gut beschreiben.
Inzwischen bekam ich es sogar ganz gut hin, Kurven zu fahren. Kurven verdammt! Auch wenn deren Radius ziemlich groß war… noch!
Nach einer Stunde erklang das Signal und alle mussten die Eisfläche räumen.

„Entschuldigen Sie!“, sprach mich ein älterer Mann an. Vielleicht war er noch nicht so alt, allerdings sah er so aus. Jedenfalls schien der Herr noch recht fit zu sein. Für diese Verhältnisse, meine ich… Je nachdem, wie fit man mit 70 oder Mitte 70 noch sein konnte.
„Ja?“, fragte ich und drehte mich zu ihm um. Vorher hatte ich ihn nur aus dem Augenwinkel gesehen. Mann, ich hatte wohl wirklich Adleraugen… (Adler?! Wär ja noch schöner!)
„Wissen Sie, ob das Eis vorhin gemacht wurde? Ich habe mir neue Schlittschuhe gekauft und nun ist das erste Mal, dass ich Eislaufen gehe mit denen. Das Eis kommt mir aber so verbraucht vor“, erklärte er.

Das faszinierte mich an anderen Leuten sehr. Wie leicht diese mit einem ins Gespräch kamen und in jeder Situation einen passenden Einstieg für ein solches finden konnten.
Mir fiel es deutlich schwerer, anderen einfach mal so einen Teil aus meinem alltäglichen Leben zu erzählen. Jedenfalls konnte ich nicht einfach auf Fremde zugehen und sie dermaßen mit unwichtigem Zeug volllabern.
„Natürlich, ich war heute früh schon hier. Ich bin mir sicher, dass es erneuert wurde“, antwortete ich höflich lächelnd und lehnte mich auf die Bande. Der Mann stellte sich neben mich und lehnte sich ein Stückchen weiter ebenfalls mit den Unterarmen auf die Bande.
„Vielen Dank. Wissen Sie, meine Frau will nicht mehr mit mir Eislaufen seit ihrer Knie-Operation. Außerdem findet sie die Schlittschuhe zum Ausleihen hier sehr unbequem. Stimmt das? Ich kann es nicht beurteilen, denn ich hatte immer meine eigenen dabei“, erzählte er weiterhin. Es war ganz nett, mit irgendjemandem über so ein relativ belangloses Thema zu reden.
„Also ich kenne mich da nicht aus, aber ich finde sie sehr bequem“, antwortete ich.

Der Eismeister manövrierte die Zamboni sehr geübt über die Eisfläche.
Er erinnerte mich sehr an meinen Vater, denn der thronte auch immer auf seiner Eismaschine, als sei er der König der Welt. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Woher kommen Sie denn?“, fragte der Mann nun weiter. „Ihr Dialekt klingt sehr ungewöhnlich.“ Ich hatte einen Dialekt?! Nun gut, hier in Salzburg, in Österreich, fiel der hessische Sprachgebrauch von daheim vielleicht doch etwas mehr auf.
„Ich komme aus Hessen“, antwortete ich knapp. „Wissen Sie, ich bin zum ersten Mal hier in Salzburg.“
„Sind Sie allein hier, oder werden Sie begleitet? Ein junges Mädchen sollte vielleicht nicht allein in die Fremde reisen…“ Den letzten Teil des Satzes murmelte er eher vor sich hin, als dass er ihn wirklich aussprach.
„Ich bin mit… einem Freund hier. Er kommt sogar aus dieser Stadt“, erklärte ich akkurat.
Die Eismaschine wurde vom Eis gelenkt und der werte Herr Eismeister war gerade dabei, sie in die Garage zu manövrieren. An den Seiten war jeweils eine Schranke heruntergelassen.
„Auch wenn es Ihnen unhöflich erscheinen mag, wie heißt er denn? Es ist gut möglich, dass ich ihn kenne“, fragte der Mann freundlich. Ich nickte kurz in Svens Richtung.
„Das da hinten ist er. Kennen Sie ihn?“ Der Mann lachte und rief quer durch die Halle nach Sven.

Dieser lachte und winkte uns zu, bevor er, auf seinen Schlittschuhen erstaunlich gut laufen könnend, auf uns zu stolziert kam. Eine Antwort auf meine Frage bekam ich in dem Sinne nicht direkt.
„Was machst du denn hier?“, fragte Sven tadelnd. „Du sollst doch deine Gelenke schonen, verdammt!“ Der alte Herr nickte kaum merklich.
„Jaja, ich weiß“, grummelte er grinsend. Einige Augenblicke verstrichen, bevor die Augen des bereits ergrauten Mannes aufblitzten. „Ich bin übrigens Fritz Waldmann. Sven ist mein Enkel.“ Nun ja, jetzt wusste ich wenigstens, woher Sven dieses dämliche Gegrinse hatte!

Ich schüttelte ihm die Hand, die er mir soeben gereicht hatte. Der Händedruck von diesem Herrn Waldmann war extrem fest. Allerdings nicht zu vergleichen mit dem von Flo damals. Es hatte ja ewig gedauert, bis ich meine Hand damals hatte wieder richtig spüren und bewegen können (immerhin zehn Minuten!).
„Nun, da du ein Mitglied der Familie bist, kannst du mich ruhig duzen!“, meinte Fritz Waldmann. Der schwenkte mir nichts dir nicht einfach vom „Sie“ auf das „Du“ um. Das verstieß doch eigentlich gegen die Knigge oder? Nun gut, dagegen verstieß ja eh fast alles was ich tat, von daher brauchte ich mich auch nicht über Svens Opa beschweren, oder?!
Sven und ich sahen uns wie aufs Stichwort an.
„Opa…“, setzte Sven an. „Ich glaube, du hast da was falsch verstanden. Chrissy ist die Schwester meines besten Freundes. Da läuft rein gar nichts.“ Die Mimik Waldmanns veränderte sich nicht. Ich hörte allerdings nichts mehr von dem, was die beiden sagten, da ich, sofort nachdem das Signal ertönt war, wieder aufs Eis „sprintete“. Ich wollte das unbedingt noch heute hinbekommen!

Nach zwei Runden, die noch immer nicht besser waren als vorher, entschloss ich mich, mich an die Bande zu stellen und kurz zu verschnaufen.
Ich hatte irgendwann mal wo aufgeschnappt, dass man durch Observieren und anschließendes Nachahmen eine Menge lernen  und sich deutlich verbessern konnte.
Ich beobachtete Sven und versuchte mir einzuprägen, was an seinem Lauf besonders war. Immerhin war er der beste Eisläufer, den ich heute hier gesehen hatte. Na ja, wen wundert’s?
Anschließend versuchte ich, das eben Gesehene in die Tat umzusetzen, was sich als schwerer erwies, als ich gedacht hatte. Allerdings klappte es durchaus schon besser als vorhin (welch Wunder!).
Nach zwei mehr oder weniger erfolgreichen Runden wurde ich übermütig und legte mich prompt der Länge nach auf die Schnauze. Jetzt konnte ich meine Masche mit den Wolken statt Eis wohl vergessen!
Ich rappelte mich ohne größere Schwierigkeiten, außer einem knacksenden Knie und einem wackeligen Stand, wieder auf.
Als wäre nichts gewesen, lief ich weiter und versuchte sogar, noch mehr Tempo rauszuholen. Gut, „Tempo“ konnte man jetzt so und so definieren. Für meine Verhältnisse waren 6 km/h auf Schlittschuhen eben schon verdammt schnell!

Einige Runde später stand ich wieder an der Bande und beobachtete das Geschehen. Meine Kondition ließ jetzt schon nach. Was für ‘ne Scheiße! Plötzlich stad Sven neben mir. Hätte ich nicht an der Bande gelehnt, wäre ich glatt wieder auf die Schnauze geflogen. Vor Schreck, versteht sich!
„Du wirst besser“, stellte Sven ziemlich monoton fest. Prinzipiell war es ja kein Thema, dass er etwas (zu) monoton sprach, aber in dem Moment regte es mich einfach auf! Für meine Verhältnisse hatte ich immerhin Fortschritte in der Größenordnung eines Fluges zum Mond gemacht! Nun ja, irgendwie bekam ich es hin, genauso monoton wie er zu bleiben.
„Hm“, machte ich deshalb nur.
„Okay, hör zu: dein Problem ist, dass du prinzipiell nur versuchst zu laufen“, setzte er an. „Für die paar Mal, die du bisher auf dem Eis standst, bist du gar nicht so schlecht. Wenn du aber wirklich besser werden willst, musst du versuchen, zu gleiten.“ Ich nickte etwas geistesabwesend, obwohl ich ihn sehr gut verstanden hatte.

Er seufzte und packte mich an den Handgelenken. Ohne irgendeine Reaktion meinerseits abzuwarten, zog er mich mit sich in die Mitte des Eises. Entgegen meiner Erwartungen stolperte ich ihm nicht mal unbeholfen hinterher, sondern konnte mithalten. Jedoch griff ich aus Reflex nach seinen Armen, um auf den ersten paar Metern nicht den Halt zu verlieren.
„Siehste“, sagte er, nachdem wir die ersten zwei Runden gedreht hatten. „Geht besser, oder?“ Wie fast immer hatte er sein schiefes Grinsen im Gesicht. Scharf. Mehr konnte ich dazu nicht sagen.
„Schon, aber gut ist es noch ewig nicht“, antwortete ich und beschleunigte. Sven reagierte zu spät, weshalb ich mich nun direkt an seiner Brust wiederfand. Vor Schreck rutschte ich aus, wurde aber von ihm festgehalten. Er zog mich wieder das Stück nach oben, sodass ich wieder richtig stand. Nicht, dass ich mich auch nur in der Nähe seines… ihr wisst schon… befunden hätte. Ich war nur etwa auf Bauchnabelhöhe gelandet.
„Ganz ruhig. Dazu haben wir heute Abend noch genug Zeit“, meinte er lachend. Ich grinste zwar, jedoch war es mir extrem peinlich. Ja… warum eigentlich? Ich meine, ich war doch sonst nicht so! Was sollte denn bitte dieser ganze Scheiß?! Dieses ganze pseudo-kitschige Gelaber und Getue!
„Penner!“, knurrte ich. Fragend sah er mich an, woraufhin ich hastig den Kopf schüttelte. Er zuckte die Schultern und fuhr weiterhin rückwärts weiter

Als wir später das Stadion verließen und Chucky abholten, fühlten sich meine Knie vom Eislaufen ziemlich taub an. Genau dasselbe Gefühl, wie wenn man Motorrad gefahren war und dann abstieg.
„Ich muss nochmal zum Hofer. Kommst mit?“, fragte Sven als wir durch die Straßen Salzburgs joggten.
„Was ‘n das?“, erwiderte ich und konzentrierte mich auf einen korrekten Lauf. Ich hatte mal gehört, dass man selbst beim Joggen einige Dinge beachten sollte. Bisher hatte ich aber noch nie wirklich darauf geachtet.
„Aldi“, antwortete er. „Und was is jetzt?“
„Passt gut, ich muss eh hin“, erwiderte ich etwas zu monoton. Sven zuckte die Schultern und meinte: „Dann komm“.

Es dauerte nicht lang bis wir beim „Hofer“ waren. In letzter Zeit hatte ich viele Worte aufgeschnappt, die extrem fremd klangen. Quargel zum Beispiel. Ich habe immer noch keine Ahnung, was das heißen soll.
„Wartest du bitte mit Chucky hier auf mich? Ich bin in zehn Minuten wieder da“, bat Sven mich. Ich nickte und schon verschwand er in der Ladentür. Chucky hechelte inzwischen wie verrückt, weshalb ich mich mit ihm zu den aufgereihten Einkaufswagen in den Schatten setzte. Sven war echt ein Sklaventreiber! Ich hatte zwar nicht vor, jemals aufzugeben, dennoch würde ich das nicht durchstehen. Jeden Tag dreimal zwei Stunden Eislaufen und dann auch noch ‘ne halbe Stunde bis zu einer ganzen Stunde zum Stadion und wieder zurück joggen… Der hatte sie doch irgendwo nicht mehr alle!
Zu meiner Verwunderung stand er genau zehn Minuten später wieder vor mir. Chucky döste gemütlich und ich rappelte mich auf. Meine Knie taten inzwischen ziemlich weh, nicht vom Sitzen natürlich.

„Auf geht’s!“, meinte er enthusiastisch. „Wir warten auf dich.“ Wie fast immer grinste er breit.
„Nee, lass mal. Ich wollte mir mal die Stadt ansehen“, redete ich mich raus. Immerhin konnte ich es nicht wirklich gut gebrauchen, wenn er irgendwas von der Feier morgen mitbekommen würde.
„Okay. Aber um halb neun stehst du wieder vorm Stadion, sonst durchsuch ich die ganze Stadt nach dir!“, drohte er scherzhaft. Ich grinste, nickte und marschierte dann in den Discounter. Als erstes zückte ich mein Handy. Mal sehen, was Juliet aufgelistet hatte. Scheiße! Wie zur Hölle sollte ich den ganzen Kram denn bitte zu Aaron kriegen?! Ich würde garantiert nicht auf die Idee kommen, einen Sack Grillkohle und stapelweise Steaks quer durch Salzburg schleppen!

Fluchend durchstreifte ich die Gänge des Discounters auf der Suche nach dem bestellten Zeugs. Nebenbei versuchte ich, eine SMS an Juliet zu tippen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte ich es dann endlich geschafft, diese möglichst fehlerfrei abzuschicken.

>>Bin am Hofer. Brauche Abholdienst. Danke! <<

Gut, dann war ich eben ein Krüppel, was diese scheiß Smartphones anging. Aber wenigstens bekam ich es überhaupt hin.
Jedenfalls kam Juliets Antwort schon Sekunden später. Warum nur?

>>OK<<

Pff! Sehr einfallsreich und ausführlich, Fräulein Juliet. Wo bleibt eigentlich Ihr Romeo? Wie, Sie haben ihn verschreckt mit ihrer Wortkargheit? Kann ich mir nicht vorstellen!


Wenig später hatte ich alles zusammen und balancierte nun 15 Packungen Grillsteaks auf dem Arm und einen 15 Kilo schweren Sack Grillkohle (Sonderangebot, so was musste man doch nutzen!) auf der Schulter zur Kasse. Selbstverständlich erntete ich dafür haufenweise schräge Blicke. Kein Wunder!
Wer war schon so blöd und tätigte so einen Einkauf, ohne einen Einkaufswagen mitzunehmen, der einem einiges an Plackerei ersparte? Nein, keine Antwort bitte!
Ich war echt unheimlich froh, als ich das ganze Zeug an der Kasse wenigstens kurzfristig loswurde.

Voll beladen stand ich seit geschlagenen zehn Minuten vor dem Discounter und wartete auf jemanden, der mich abholen kam. Meine Beine taten höllisch weh und ich war mir absolut sicher, dass mir die Arme auch gleich abfallen würden.
Ja, ich jammerte an diesem Tag echt unendlich viel, doch ich hatte ja auch wenigstens einen Grund dazu, wenn man die letzte Zeit mal näher betrachtete, oder?
Bei jedem verdammten Auto, das auf den Parkplatz bog beziehungsweise an mir vorbeifuhr machte mein Herz einen Satz. Jedoch fluchte ich innerlich jedes Mal aufs Neue, als ich sah, dass es weder, Juliet noch Aaron oder Adam waren.
Doch endlich, nach gefühlten zwei Stunden (in Wahrheit schätzungsweise fünf Minuten), bog ein knallroter Mini Cooper um die Ecke. Das Verdeck war runtergeklappt und Juliet grinste mich schon von weitem an. Ihre pechschwarze Sonnenbrille, die locker ihr halbes Gesicht verdeckte (Stubenfliege lässt grüßen!) blitzte in der Sonne auf.
Direkt vor mir brachte sie ihren Mini zum Stehen. Laute Musik dröhnte aus den Boxen. Ich würde auf die Toten Hosen tippen. Einer meiner Lieblingssongs übrigens:
Tage wie diese

„Wirf’s auf den Rücksitz“, wies sie mich an und ich schmiss den ganzen Kram auch sofort dorthin. Hauptsache, ich musste das nicht mehr alles tragen. Anschließend stieg ich ein. Der Mini war von innen um einiges geräumiger, als ich es von so einer Sardellenbüchse erwartet hatte. Juliet trat sofort aufs Gas und raste förmlich vom Parkplatz. Die müsste man echt mal auf eine deutsche Autobahn schicken. Dort würde sie garantiert abgehen wie Schmidts Katze!
Sie drehte die Musik noch lauter auf. Wir grinsten uns an und sagen lauthals mit. Auch wenn wir total schief sagen, war mir das so was von scheißegal. Immerhin war es Sommer und ich war frei, unbeschwert und brauchte mir keine Sorgen mehr zu machen. Juliet schien es ähnlich zu gehen. Ich warf die Arme in die Luft und ließ mir vom Wind die „Frisur“ versauen, für die ich am Morgen unglaubliche zehn Sekunden gebraucht hatte.

Der Sommer war nun beinahe vorbei. Noch genau 13 Tage, dann würde ich meine neue Stelle antreten. In genau 12 Tagen würde ich wieder daheim sein und meinen Sam wiedersehen. Die Zeit, die ich hier noch hatte, musste ich einfach möglichst sinnvoll nutzen. So schnell würde ich eben nicht mehr hierher nach Salzburg kommen.

Schon wenig später hielt Juliet vor einem modernen, großen Haus. Sie stellte den Wagen ab und stieg aus. Hinten aus dem riesigen Garten waren bereits ein paar Stimmen zu hören.
„Jungs! Herkommen und tragen helfen!“, brüllte sie mit ihrem tollen amerikanischen Akzent. Widerwillig schlurften daraufhin Aaron und Adam auf uns zu, die bis dahin hinter dem Haus rumgewerkelt hatten. Ich hievte mir in der Zeit den Sack mit der Kohle auf die Schulter.
„Wo soll das hin?“, fragte ich Aaron. Dieser deutete in Richtung Garten.
„Hinterm Haus ist ‘ne Terrasse. Brings mal da hin“, antwortete er und belud sich mit Steaks. Neben Juliet und Adam trottete ich hinter in den Garten.
Dort angekommen ließ ich die Kohle ins Gras fallen und stürmte auf den Typen zu, der mich breit angrinste. Euphorisch sprang ich ihn wortwörtlich an.
„Christoph!“, plärrte ich und ließ mich von ihm hochheben. Er drückte mich kurz und stellte mich dann wieder auf den Boden.
„Wie geht’s dir, Kleines?“, fragte er grinsend und begutachtete mich mit kritischem Blick. So ein Penner! Nach Monaten seh ich ihn mal wieder und dann darf ich mich auch noch begaffen lassen!
„Na basst scho“, antwortete ich ihm in pseudo-österreichischem Dialekt, was ihn mal wieder zum Lachen brachte. „Und dir?“
„Na ja, du glaubst gar nicht, wie ätzend Matt auf Dauer wird!“ Genervt stöhnte er auf. Ich grinste schadenfroh.
„Doch, glaube ich. Wie lang bist du schon da?“, harkte ich nach und sammelte die Grillkohle vom Rasen auf und stellte den Sack zu den drei Bierkisten auf der Terrasse.
„Seit einer Stunde in etwa. Noah und die Zwillinge kommen so gegen acht. Die anderen sind morgen da“, antwortete er ausführlicher, als ich es erwartet hatte. „Insgesamt kommen wahrscheinlich 14 Leute vom Team.“ Mein Mund klappte auf.
„Was?! Wo zur Hölle sollen wir die denn alle unterbringen?!“, regte ich mich auf und plapperte unaufhörlich so weiter, bis Christoph schließlich die Nerven verlor und mir eine Ohrfeige verpasste. Sie tat nicht sonderlich weh, aber dennoch verfehlte sie ihre Wirkung nicht.
„Danke“, murmelte ich vor mich hin und erwartete trotzdem noch eine Antwort. Nie im Leben würden in diesem Haus 14 Leute Platz finden!
„Ist schon alles geregelt. Hier schlafen Flo und Steffen auf der Couch. Bei Juliet pennen Michael und Daniel. Bei Adam kommen die neuen Stürmer und der neue Torwart, Scott, Björn und Jasper, unter. Matt und Alex schlafen in Matts Van. Noah und ich schlafen im Pick-Up. Hier im Garten können dann Achim und Basti schlafen. Bei Ole bin ich mir sicher, dass er bei Sven unterkommen kann“, erklärte Christoph mehr als ausführlich.
Ich war zwar vollkommen durcheinander und hatte mir rein gar nichts merken können, aber wenigstens war klar, dass niemand mit der Straße Vorlieb nehmen musste.


„Wo hast du eigentlich Helena gelassen?“ Christoph lachte höhnisch auf.
„In Grünau. Sie meinte, sie würde nicht mit meinem Umfeld klarkommen“, antwortete er. Umfeld? Meinte die das Team? Mich?
„Inwiefern das denn?“, hakte ich verwirrt nach.
„Die Fangirlies, wie sie sie nennt. Sie meinte, sie würde permanent denken, dass ich was mit einer von denen anfange“, erklärte Christoph und lachte erneut höhnisch. „Ich meine, kannst du dir das vorstellen? Alter! Wie wenig sie mir vertraut! ... hat.“
„Also ist es jetzt…“, setzte ich an. Ich wusste nicht, wie ich es ausdrücken konnte, ohne irgendwie bescheuert zu klingen oder gefühlskalt.
„…vorbei? Ja“, meinte er. Zwar klang er vollkommen kühl und teilnahmslos, aber ich kannte ihn inzwischen lange genug um zu wissen, dass er eine riesige Wut auf Helena hatte. Kein Wunder eigentlich, es ginge mir in der Situation nicht anders.


Später joggte ich locker zurück zum Stadion. Dank dem tollen, wundervollen, genialen integrierten Navi auf meinem Handy fand ich auch ohne Probleme dorthin.
Hin und wieder warfen mir die Leute belustigte Blicke zu, weil ich quer durch die Innenstadt joggte, den Blick starr auf mein Handy gerichtet hatte und sehnsüchtig neue Ansagen abwartete. Da ich meine Kopfhörer vergessen hatte, musste es halt per Lautsprecher gehen.
Das geilste an der Sache war aber, dass ich (dank meinem Bruder, der mit mir zusammen zehntausend Stunden Let’s Plays angeschaut hatte und mir anschließend die Ansagen aus etlichen LPs zusammengeschnitten hatte) die Stimme von meinem Lieblings-LPer Gronkh als Ansage hatte.
Ich musste immer grinsen, als die Stimme durch den Lautsprecher meines Handys tönte.

Sven stand bereits mit Chucky vor dem Stadion, als ich dort ankam. Bereits von weitem grinste er mir entgegen, woraufhin ich einen Sprint hinlegte, damit ihm dieses selbstgefällige Grinsen nicht noch irgendwann einfror.
Anschließend gab er Chucky wieder ab und zog mich mit in den Schlittschuhverleih. Same procedure as last time.
Wie zu Beginn der letzten „Trainingseinheit“ hielt ich mich an seien Unterarmen fest. Vorwärtslaufen klappte schon mal relativ gut.


„Gar nicht so übel fürs zweite Mal“, hatte Sven gesagt, als er mich für einige Zeit losgelassen und beim Eislaufen beobachtet hatte. So ein mieses Arschloch! Ich war mehr als gut dafür, dass ich das in demnächst 20 Jahren meines Lebens noch NIE so gut hinbekommen hatte. Arsch, Arsch, Arsch!
Selbstverständlich war ich jetzt nur noch mehr motoviert, ihm zu zeigen, dass ich was draufhatte. Der würde schon sehen! Ich konzentrierte mich ganz und gar darauf, zu gleiten und nicht zu laufen. Funktionierte eigentlich auch gar nicht so schlecht. Immerhin war ich noch immer nicht auf die Schnauze geflogen.
Irgendwann entschied sich Sven dann dafür, dass er mich lang genug observiert hatte und unterbreitete mir erneut meine Fehler. Wie vorhin auch schon, sollte ich mich wieder an seinen Unterarmen festhalten.

Alles in allem lief es richtig gut. Viel besser war ich (natürlich) nicht geworden, aber das würde schon noch werden. Wir holten Chucky ab und joggten mal wieder locker nebeneinander her.
„Was hast du vorhin so gemacht?“, fragte Sven irgendwann vielleicht so nach fünf Minuten. Ich schluckte kräftig. Jetzt musste ich mir echt irgendwas einfallen lassen.
„Ach…äh… mal hier und da. Hab ich einfach mal umgeschaut“, antwortete ich und tat, als wäre ich außer Puste, um etwas Zeit zum Überlegen zu schinden. Er nickte. „Was hast du gemacht?“
„Nichts Besonderes. Ich war im Fitnessstudio. Sommertraining halt“, lautete seine Antwort. Na wenn’s sonst nichts war.
„Wann fahren wir eigentlich zurück nach Grünau?“, fragte ich. Wahrscheinlich war ich schon viel zu lange nicht mehr weg gewesen, aber irgendwie vermisste ich meine Heimat jetzt schon. So langsam konnte ich auch endlich nachvollziehen, wie es den neuen Kerlen im Team gehen musste.
„Ich dachte an Sonntag. Ich denk, innerhalb von acht Tagen kriegen wir das mit dem Eislaufen ganz gut hin. Am 29. fährt das Team jedenfalls ins Trainingscamp an die tschechische Grenze. Bis dahin hätt ich gern meinen Kram wieder in Grünau“, antwortete er. Nächsten Sonntag war der 26. August. Von da an wären‘s dann zwei volle Tage, bis er schon wieder wegfahren würde. Na denn.
„Okay. Wie lange bleibt ihr denn weg?“, fragte ich. Mir fiel nämlich gerade auf, dass so gut wie alle meine Freunde Mitglied in diesem scheiß Team waren. Fuck! Hatte ich denn wirklich kein selbstständiges Sozialleben mehr?! Das war ja grauenvoll. Irgendwie…
„Ich denke so am 5. sind wir wieder da. Meinst du, du kommst eine Woche ohne uns klar?“, antwortete er breit grinsend, woraufhin ich ihm gegen den Oberarm boxte. So ein Penner!
„Ey!“, beschwerte er sich lautstark und verpasste mir aus Rache eine Kopfnuss. Chucky bellte freudig. Ohh… lasst uns alle mitten auf der Straße, mitten in Salzburg mit dem Hundchen spielen und uns nebenbei verkloppen. Ja nee, is klar.

Ne gute halbe Stunde später ließ ich mich erschöpft auf die Couch fallen. Sven öffnete währenddessen die Hintertür und ließ Chucky in den Garten. Der war ja eingezäunt, von daher konnte prinzipiell auch nichts passieren. Ich hörte nur freudiges Bellen von Chucky und dann einen Platscher. Ich rappelte mich auf, um nachzusehen, was dieses hyperaktive Viech jetzt schon wieder trieb.
Sven stand am Ufer des Gartenteichs, der tiefer und größer zu sein schien, als ich bisher angenommen hatte. Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, denn Chucky paddelte mit einem Ast, der ungefähr genauso groß war wie der Hund selbst, im Maul quer durch den Teich, wobei das Wasser jedoch derartig hoch in alle Richtungen davonspritzte, dass Sven nun genauso wie sein Hund klatschnass wurde.
Lachend schlenderte ich auf Hund und Herrchen zu. Chucky war inzwischen aus dem Wasser geklettert, hatte sich geschüttelt und war sofort wieder hineingesprungen auf der Suche nach einem weiteren bösen Ast, der den schönen Teich verunstaltete.
Das letzte, was ich sah war Svens Grinsen, ehe ich umklammert und mit ins Wasser gezogen wurde. Okay, dieser Teich war eindeutig tiefer als gedacht. Prustend tauchten wir fast zeitgleich wieder auf. Ich wollte schon zurück zum Ufer waten, als ich zurückgezogen wurde und Sven mich hochhob. Kreischend wurde ich zurück ins Wasser fallen lassen. Kurz vor dem Aufschlag schaffte ich es jedoch, meinen Arm um Svens Hals zu legen und ihn so mit unter Wasser zu ziehen.
Anschließend veranstalteten wir ein Wettwaten zum Ufer, welches ich (oh Wunder!) sogar gewann. So irgendwie war Sven ja schon ein Vollidiot. Aber immerhin ein lustiger Vollidiot.

Ich hatte mich ans Ufer des Teiches gehockt und sah Chucky beim Paddeln zu. Sven hatte sich ins Haus verzogen. Ich glaube, er war gerade dabei, was zu kochen. Mir graute schon vor der einen Woche, in der ich keinen hatte, der für mich kochte. Ich war doch total aufgeschmissen!
Mal ehrlich, wer es hinbekommt, die Küche wegen heißen Wassers unbetretbar zu machen, wenn er versucht, Nudeln zu kochen, sollte echt nicht mal in die Nähe eines Herdes gelassen werden. Tja, Küchenverbot für Christin!
„Chrissy! Beweg deinen Hintern ins Haus!“, brüllte Sven. Vor Schreck wär ich fast wieder ins Wasser gekippt. So ein Arschloch! Murrend rappelte ich mich auf und schlurfte zu Sven in die Küche. Es roch unglaublich gut.
„Was gibt’s denn?“, fragte ich, da die beiden Töpfe auf dem Herd abgedeckt waren.
„Hühnersuppe mit Reis. Nichts Besonderes, aber immerhin etwas“, antwortete er und nahm den größeren der beiden Töpfe vom Herd.
Während dem Essen fiel mir auf, dass Sven ein extrem mittelmäßiger Koch war. Na ja, alles war besser, als selbst zu kochen.
Nach dem Essen blieb allerdings dieser scheiß Abwasch an mir hängen. Sven hatte mich mit dem Kommentar „Wenn ich schon fürs Kochen und dein Training zuständig bin, kannst du auch das Geschirr spülen“ dazu verdonnert. Für gewöhnlich hätte ich ihm jetzt irgendwas von Sexismus an den Kopf geworfen, aber irgendwie hatte er ja Recht. Es war immerhin keine Selbstverständlichkeit, dass er das alles für mich machte. Das Playoff-Finalspiel hing da wohl auch noch irgendwie mit drin.

Jedenfalls verzog er sich ins Schlafzimmer und zog sich ne Badehose an, nur um dann zu Sam in den Teich zu hüpfen. Neidisch schaute ich den beiden vom Küchenfenster aus zu. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Sven einen Teich im Garten hatte, deshalb hatte ich meine Badesachen daheim in einem der Umzugskartons gelassen. Apropos, ich musste endlich mal wen bitten, die Kartons aus der Wohnung zu schaffen.
Per Internet erkundigte ich mich nach einer dieser Vorwahlen, mit denen man relativ kostengünstig ins Ausland telefonieren konnte. Anschließend rief ich Olli an.
„Mann Svenne, was willst du?“, knurrte mein Bruder am anderen Ende der Leitung. Ich grinste.
„Sei gefälligst nett zu meinem Retter in Not, treuloses Bruderherz!“, maulte ich ihn scherzhaft an. „Und seit wann nennst du den Neussi eigentlich Svenne?“ Mein Bruder lachte.
„Seit ihm das höllisch aufn Wecker geht. Und seit wann nennst du ihn denn bitte Neussi?“, fragte er lachend.
„Seit ich finde, dass sich das besser anhört als Neus oder Seven“, antwortete ich grinsend. „Bruderherz, ich hab nen Anschlag auf dich.“
„Der da wäre?“, hakte er misstrauisch nach.
„Könntest du meine Kartons irgendwie noch heute aus der Wohnung schaffen? Sarah dreht wahrscheinlich eh schon am Rad!“, bat ich ihn, wobei mir dabei wieder einfiel, dass er was mit der Tusse am Laufen hatte. Wahrscheinlich zwar eh nichts Ernstes, aber immerhin.
„Kann ich machen, den Ersatzschlüssel hab ich ja. Ist’s recht, wenn ich den Kram bei mir aufm Speicher unterbringe?“
„Kannste machen. Wann bist du morgen eigentlich da?“, lenkte ich das Thema auf Neussis Geburtstag.
„So gegen drei wahrscheinlich“, antwortete er.
„Gut, aber lass dich bloß nicht auch nur in der Nähe vom Stadion oder von Svens Haus blicken“, mahnte ich, was meinen Bruder aber nur mal wieder zum Lachen brachte.
„Glaubst du echt, ich wär so blöd?“
„Ganz ehrlich?“, fing ich an. „Ja!“ Olli schnaubte.
„Du kleines Biest!“, knurrte er gespielt wütend, lachte und legte dann auf. Ich grinste.


Ich legte das Telefon zurück auf die Station und öffnete das Küchenfenster.
„Sven!“, brüllte ich quer durch den Garten. „Haste zufällig ne Badehose für mich über?“ Selbst von hier konnte ich sein typisches schiefes Grinsen erkennen.
„Oberste Schublade links!“, plärrte er zurück und hielt Chucky etwas auf Abstand.
„Danke!“, schrie ich und schloss das Fenster. Anschließend rannte ich nach oben in mein/sein/unser Zimmer und durchwühlte die Schublade. Okay, Geschmack hatte der schon mal keinen! Nur so ‘n schwarzes kurzes Zeugs. Gut, ich hatte ihn richtig eingeschätzt: natürlich alles nur von Adidas mit diesen bescheuerten drei Streifen an der Seite. Neussi war eindeutig dem Markenwahn verfallen!

Ich zog mich um und rannte anschließend nach draußen, um dort ne Arschbombe in den Teich zu machen. Bis ungefähr in die Mitte des Teiches führte nämlich eine Art Brücke.
Ein Oberteil hatte ich übrigens schon an, es musste aber halt ein BH herhalten. Sven lachte und packte mich an der Taille, zog mich zu sich und hielt mich fest. Er beugte sich runter, schob einen Arm unter meine Kniekehlen, hob mich hoch und marschierte ein Stück weiter ans Ufer.
„So…“, meinte Neussi. „Wir tanzen jetzt den Ob-sie-will-oder-nicht-Tanz!“ Anschließend tanzte er grinsend im inzwischen nur noch knietiefen Wasser umher. Nebenbei summte er irgendeine Walzermelodie. Grinsend schaute ich ihn an.
„Was genau soll das jetzt werden?“, fragte ich leicht verwirrt. Neussi hatte ja schon immer viel Körperkontakt gesucht (dabei war’s echt egal, ob bei mir oder bei einem seiner Teamkollegen), aber seit wann konnte der bitteschön tanzen? Okay, ich vergaß: Walzer musste er ja tanzen können. Immerhin war er ein Ösi (Klischee lässt grüßen)!
Irgendwann ließ er mich aber wieder runter, woraufhin ich halbwegs panisch (aus Angst, schon wieder ins Wasser geworfen zu werden) ans Ufer stürmte. Sven jagte mir hinterher, während ich quer durch den Garten hetzte. Chucky sprang wie eine wildgewordene Katze auf Red Bull um uns herum und bellte lautstark. Die armen Nachbarn!
Nach einiger Zeit hatte Sven mich dann doch erwischt und mich über seine Schulter geworfen. Krass, Neussi war echt stark geworden. Und ja, der Spitzname „Neussi“ hatte mir so gut gefallen, dass ich beschlossen hatte, ihn von nun an für Sven zu verwenden. Und nein, „Neussi“ hatte weder was mit Neuss noch dem Neusser EC zu tun.
Jedenfalls schleppte er mich über diese „Brücke“ bis hin zur Mitte des Teiches und setzte mich dort ab. Neussi schlang einen Arm um meinen Bauch und sprang mit mir zusammen ins Wasser. Chucky hüpfte gleich hinterher.
Prustend tauchte ich wieder auf und kraulte in Richtung Brücke. Immerhin hatte ich gerade eine irre Lust auf nen Köpper.

Gut zwei, drei Stunden später watete ich total außer Atem ans Ufer. Bis eben hatte ich mir eine heftige Wasserschlacht mit Sven geliefert. Ich ließ mich ins Gras fallen und schaute zu Sven, der wie eine Art Superheld ans Ufer lief. Um ehrlich zu sein hatte ich es nicht lassen können, ihn zu „betrachten“. An sich nicht schlecht. Sixpack hatte er zwar keins, muskulös war er trotzdem. Im Endeffekt war Neussi halt schon ne Nummer für sich.
Grinsend ließ er sich ungefähr nen halben Meter von mir entfernt nieder. Chucky nutzte meinen Bauch währenddessen mal wieder als Trampolin.
„Du, ich glaub zweimal Eislaufen pro Tag reicht für dich. Machst immerhin schon Fortschritte. Lassen wir’s heut Abend mal ausfallen und gehen zu Aaron? Morgen Abend wollt ich dir die Stadt mal zeigen“, meinte er. So ein Vollidiot! Jetzt hieß es, schnell was ausdenken, sonst würde am Ende noch der Plan mit der Feier schiefgehen bzw. auffliegen.
„Ach nö“, maulte ich. „Ich bin total kaputt, lass uns einfach daheim bleiben. Und die Stadt hab ich heut schon gesehen. Wie wär’s denn, wenn wir Aaron einfach morgen Abend besuchen?“ Ha! Geschickt geregelt!
„Joa, meinetwegen. Können wir machen“, antwortete er, stand auf und marschierte ins Haus.
Damit war der Tag eigentlich gelaufen. Jedenfalls passierte nichts Großartiges mehr.

New Kids

Als ich am Morgen aufwachte, lag Sven bereits grinsend neben mir.
„Morgen“, brummte ich, während er mir beinahe strahlend einen „wunderschönen guten Morgen“ wünschte. Wie zur Hölle konnte jemand so früh am Morgen so gut gelaunt sein? Das war doch irgendwo echt abnormal!
Murrend rappelte ich mich auf und schleppte mich in Bad. Mir egal ob Neussi heute die Geburtstags-Vorrechte besaß, Hauptsache Duschen und wach werden!

Kurze Zeit später saß ich eben Sven am Küchentisch und trank meinen morgendlichen Kaffee, während er wie ein Bekloppter seine Facebook-Startseite aktualisierte. Immer wenn ein neuer Pinnwand-Eintrag aufblinkte, freute er sich, als ob es sein erster Schluck Wasser seit 40 Tagen gewesen wäre. Das passierte aber "nur" ungefähr zweihundertmal. Ich hätte echt kotzen können!
„Hast du eigentlich ein Geschenk für mich?“, fragte er irgendwann. Ich setzte kurz meinen Kaffee ab, antwortete mit einem knappen „Nö.“ und trank dann weiter. Sven grinste.
„Dann lass uns losgehen. Die warten nicht auf uns“, meinte er und pfiff, woraufhin Chucky mal wieder wie ein Irrer auf uns zugerast kam.


Ne gute halbe Stunde später standen wir dann auch schon auf dem Eis. Neussi musste natürlich erst mal zur Schau stellen, dass er was drauf hatte. Da relativ wenige Leute da waren, zeigte er anscheinend sein volles Können. Es war zwar krass, was er alles draufhatte, aber hey… Ich hatte selten so einen arroganten Typen gesehen!
Es war irre, wie er sich in die Kurve legen konnte. Und das, ohne gehörig auf die Schnauze zu fliegen. Ich hingegen versuchte mal wieder, allein klarzukommen. Das funktionierte inzwischen auch immer besser. Dennoch hielt Sven mir die ganze Zeit über vor, dass ich gefälligst versuchen sollte zu gleiten, anstatt zu laufen. Vollidiot! Ich würde das schon hinbekommen. Meinetwegen auch autodidaktisch. Ich brauchte seinen bescheuerten Rat nicht und seine Hilfe erst recht nicht! Ich war keines dieser Mädchen, das absichtlich auf schwächlich und blöd machte, um den Beschützerinstinkt der Männer zu wecken. Sarah war ja wohl das beste Beispiel dafür. Und ausgerechnet diese Schlampe, diese Dorfmatratze, machte sich jetzt an meinen Bruder ran! Oh, ich könnte sie… ich könnte sie… Ich will gar nicht dran denken!
Wieder war ich in den folgenden zwei Stunden nicht einmal auf die Schnauze geflogen. Extrem stolz auf mich und meine „Leistung“ marschierte ich später mit Sven und Chucky aus dem Stadion


„Hast du was vor?“, fragte ich Sven, als wir an der Salzach entlanggingen.
„Ja, ich wollte Chucky jetzt heimbringen du dann ins Fitessstudio gehen“, antwortete er. „Ich hab mein Training durch die Aufregung in den letzten ein, zwei Tagen vernachlässigt. Leider muss es nachgeholt werden. Willst du mitkommen oder hast du selbst was vor?“
„Hm… Ich denke, ich gehe noch etwas durch die Stadt. Ich find’s echt schön hier“, schwindelte ich. Aber ich brauchte ja auch wirklich einen Vorwand, um zu Aaron zu gehen und bei den Vorbereitungen zu helfen.
„In Ordnung, aber um Punkt halb drei stehst du wieder vorm Stadion. Versuch am besten gar nicht erst, dich zu drücken!“, meinte er grinsend. Ich schnaubte.
„Gott, verdammt! Du klingst schon wie ein Vater. Jetzt spiel dich mal nicht so auf“, erwiderte ich maulend. Mal im Ernst, ich verstand einfach nicht, was dieser Mist sollte. Immerhin war er für mich keine Autorität.
„Okay, okay. Reg dich ab. Bis später dann!“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Neussi und joggte in Richtung Heimat davon. Ich hingegen machte mich auf den Weg zu Aaron. Und zwar so schnell wie möglich.


Als ich in die Straße einbog, hörte ich bereits laute Musik. Sie kam eindeutig aus Aarons Garten. Als ich näher kam, konnte ich auch ein paar Stimmen wahrnehmen, die lauthals mitgrölten. Zwei davon konnte ich zuordnen. Die eine gehörte eindeutig Christoph, die andere war ganz klar die von Noah. Grinsend joggte ich in den Garten. Wider meine Erwartung hatten sich hier schon so einige Kerle eingefunden.
„Chrissy! Komm mal her, Kleines!“, brüllte mir Noah quer durch den Garten zu. Die wenigen Meter, die mich von ihm getrennt hatten, waren schnell bewältigt. Ich ließ mich von ihm drücken und grinste ihn dann an.
Plötzlich verpasste mir irgendein Penner nen Klaps auf den Hintern. Quasi als Kurzschlussreaktion, und ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, drehte ich mich um und verpasste der betreffenden Person eine Ohrfeige. Anschließend umarmte ich ihn.
„Sag mal, Chrissy… Du hast se auch nicht mehr alle, oder?“, fragte Basti mich grinsend.
„Du bist so ein Arschloch, ey!“, fluchte ich lachend und stürzte mich dann auf seinen Zwillingsbruder, Alex, der es grinsend über sich ergehen ließ.
Mit den Winkler-Zwillingen war es eigentlich ganz lustig. Äußerlich waren die zwei relativ schwer zu unterscheiden. Man musste sie schon etwas besser kennen, um sie auseinanderhalten zu können. Charakterlich waren die zwei aber wie Tag und Nacht. Alex war ein eher ruhiger Typ, der viel Zuhause abhing, zockte und sich auch ganz gern mal allein beschäftigte. Basti hingegen war ständig auf Achse. Man traf ihn eigentlich nie Zuhause an, es sei denn es fand mal wieder eine von seinen legendären Housepartys statt, von denen er meist einmal im Monat eine gab. Inzwischen vielleicht auch nur noch alle zwei Monate. Würde ich ja noch früh genug erfahren.

„Seit wann seid ihr denn da?“, fragte ich Noah und die Winkler-Brüder später, als wir nach halbwegs getaner Arbeit auf der Terrasse saßen. Michael, Daniel, Steffen und Achim waren inzwischen auch angekommen. Die vier waren ungefähr so was wie beste Freunde und eigentlich kaum zu trennen, wenn sie mal aufeinander trafen. Das war eigentlich ganz lustig. Manchmal allerdings auch extrem nervig, wenn ich meiner Schwester Glauben schenken durfte.
„Puh…“, machte Basti. „Ich glaub seit neun, oder Jungs?“ Die anderen beiden nickten.
„Wann kommen die anderen? Abgesehen von Olli, mein ich“, hakte ich nach.
„Wahrscheinlich so gegen vier. Jedenfalls sagten sie das“, antwortete Noah. „Ich glaube aber, dass sie erst so gegen sechs oder sieben da sind, weil sie sich vor der Arbeit drücken wollen.“ Die Jungs und ich mussten lachen. Auch, wenn die alle Sportler waren; stinkend faul waren sie trotzdem oft genug.
„Okay, es ist vielleicht ne doofe Frage… Aber wer fehlt denn jetzt eigentlich noch?“, fragte Alex wenig später in die Runde. Basti zuckte die Schultern.
„Soweit ich weiß nur noch Ole, Matt und Flo“, antwortete Noah nachdenklich.
„Nicht ganz!“, mischte sich Juliet ein. „Aaron hat auch drei Neue aus dem Team eingeladen. Björn Kastner, Jasper Chamberlain und Scott Bennett heißen die wohl.“ Ohne es irgendwie verhindern zu können klappte mir der Mund auf.
„Moment mal… Der Jasper Chamberlain?! Verarschst du mich auch nicht?!“, fragte ich Juliet mit großen Augen. Alex und Basti grinsten nur blöd. Juliet war allerdings sichtlich verwirrt.
„Nein… natürlich nicht… Könnte mich vielleicht mal wer aufklären?“, bat sie vorsichtig. Ich hingegen bekam mein euphorisches Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht.
„Jasper Chamberlain hat in Kanada in der American Hockey League gespielt und bis letztes Jahr außerdem in der DEL in München“, erbarmte sich Alex seufzend und ratterte die Daten herunter. „Christin bewundert ihn schon, seit sie ihn das erste Mal hat spielen sehen.“
„Ach so ist das!“, meinte Juliet breit grinsend. Irgendwas brütete dieses Mädchen doch wieder aus!

„Also Jungs, ich schau dann mit Sven heute Abend gegen acht hier vorbei. Wenn’s früher wird, melde ich mich“, verabschiedete ich mich von allen, ehe ich mich auf den Weg zurück zum Stadion machte. Es war beschlossen: Ich hasste Jogging wie die Pest! Allerdings ging es nicht anders, wenn ich rechtzeitig zum Stadion kommen wollte. Geld für ein Taxi, oder den Bus hatte ich nämlich auch nicht dabei.


Nach dem zweiten Eislaufen an diesem Tag ging ich mit Sven nach Hause, um endlich zu Duschen. Ich hatte schon den ganzen Tag über das Gefühl gehabt, zu stinken wie sonst was. Als ich nach einer Dreiviertelstunde endlich fertig war (es dauerte immer Ewigkeiten, meine Haare irgendwie trocken zu bekommen), schmiss ich mich auf die Couch und surfte im Netz. Sven hatte in der Zwischenzeit das Bad in Beschlag genommen.

Ich durchforstete das Fanforum und die Homepage des EHC Bad Grünau nach irgendwelchen Infos zu Abgängen und neuen Verpflichtungen. Eine Meldung traf mich besonders: <<Matthew Johnson verlässt die Hunters in Richtung Herford>> Versteht mich nicht falsch, ich hatte nichts gegen Herford… Nein, eigentlich fand ich den Verein sogar sehr sympathisch, aber Matt?! Mein Mattie verließ nach Jahren den Verein und blieb in der Oberliga! Ich meine, hätte er nicht nach Frankfurt oder Bad Nauheim gehen können? Die waren zwar immer noch Erzrivalen, aber wenigstens noch in der Nähe! So musste Matt wegziehen… So eine Scheiße, ey!
Ansonsten war das Forum eher uninteressant. Was allerdings auffällig war, waren die beschissenen Forentrolle, die dort ihr Unwesen trieben und Panik verbreiteten. Ein Spieler verließ den Verein und schon startete die Panikmache. Einmal schafften sie es sogar, das Ganze dermaßen auf die Spitze zu treiben, sodass einige schon an den Untergang des Vereins glaubten. Meine Fresse!
Mein nächster Webseitenbesuch galt Facebook. Ich war bei diesem Mist zwar inzwischen angemeldet (Sommerlangeweile), allerdings kümmerte ich mich nicht wirklich darum. Ich war inzwischen bestimmt zwanzigmal „angestupst“ worden und hatte gut 50 Freundschaftsanfragen, größtenteils von Leuten, die ich nicht mal wirklich gut kannte. Eine davon war von dieser Marina, mit der Neussi Mitte April was gehabt hatte.
Ich bearbeitete die lästigen Freundschaftsanfragen und löschte die gefühlten 20.000 Anfragen zu irgendwelchen Facebook-Spielen, die mich einen Scheißdreck interessierten. Inzwischen hatte ich um die 100 „Freunde“. Diese setzten sich aus folgenden zusammen:
- neun richtige Freunde (die anderen hatten kein Mist-Facebook)
- 30 ehemalige Klassen- und Kurskameraden
- vier nahe Verwandte (Olli, Franka, Michael (den zählte ich inzwischen auch dazu) und Dad)
- acht weiter entfernte Verwandte, mit denen ich eigentlich nichts mehr zu tun hatte
- elf aktuelle und ehemalige Teammitglieder der Hunters, mit denen ich mich relativ gut bis sehr gut verstanden hatte
- 15 Mitarbeiter aus dem Stadion, die ich mit der Zeit zu schätzen gelernt hatte
- 17 sonstige Bekannte, wie z.B. Nachbarn, Leute aus der Fankurve, Leute aus dem Fitnessstudio etc.
- sechs Kollegen, bei denen ich meine Ausbildung und Praktika gemacht hatte bzw. mit denen ich zusammen gearbeitet hatte

Ich fragte mich in dem Moment echt, wie es beispielsweise Christoph schaffen sollte, die 1880 Leute aus seiner Freundesliste wirklich zu kennen. Das war doch unmöglich, verdammt! Ich meine, ich verlor ja schon bei meinen Kontakten fast den Überblick, wie zur Hölle bekam der das dann bitte hin?!
Außerdem: definierte man sich auf Facebook wirklich durch die Anzahl der „Freunde“, die man dort hatte? Das war doch ehrlich gesagt, vollkommen hirnrissig. Wer bitteschön war schon so blöd und nahm jede Anfrage an, ohne denjenigen auch nur ansatzweise zu kennen, nur um ein, zwei Kontakte mehr zu haben?! Bescheuerte Welt…

So um kurz nach sieben kam dann auch Sven aus dem Bad und ließ sich zu mir auf die überirdisch große Couch fallen. Ich klappte den Laptop zu und stellte ihn auf der ach so tollen Glastisch. Aufgrund des Platzes breitete Neussi sich gut ein, zwei Meter weit von mir entfernt auf der Couch aus. Geistesabwesend starrte ich an die Decke und dachte über die letzte Zeit nach. Unglaublich, was alles in so verhältnismäßig kurzer Zeit passiert war.
„Wollen wir dann los?“, fragte er irgendwann. Bei einem Blick auf die Uhr bemerkte ich, dass es schon nach halb acht war. Also quasi perfekt in der Zeit. Ich nickte und rappelte mich auf. Sven tat es mir gleich. Chucky sprang sofort wie ein wildgewordenes Känguru auf Drogen um uns herum und bellte lautstark.

Never ever, my Dear!

Auf der Fahrt zu Aaron schrieb ich Juliet schnell eine SMS, in der stand, dass wir gleich da waren. So betrachtet war der heutige Tag bisher extrem langweilig gewesen. Ich meine, beim Eislaufen hatte es keine nennenswerten Fortschritte gegeben und auch sonst hatte ich die meiste Zeit mit rumhängen verbracht. Da sollte nochmal wer sagen, dass mein Leben spannend war!

Sven konnte direkt vorm Haus parken. Die anderen hatten ihre Autos allem Anschein nach ein, zwei Straßen weiter geparkt. Taktisch ein schlauer Schachzug. Musik war auch nicht zu hören. Alles in allem also rein gar nichts, was an eine Feier erinnerte. Was mich allerdings wunderte war, dass Juliet drei der neuen Spieler eingeladen hatte. Immerhin hatten die rein gar nichts mit Sven zu tun!
Als Sven klingelte, kostete es mich viel Anstrengung, mein Grinsen zu unterdrücken. Aaron öffnete die Tür, als wäre nichts Besonderes. Im Haus war es vollkommen still. Nur aus der Küche war leise das Radio zu hören. Aaron zwinkerte mir zu, während Neussi voraus zur Terrasse marschierte. Sein Blick war ostentativ gelangweilt. Als Sven die Terrassentür öffnete, schaltete Olli die Musik auf voller Lautstärke an und alle kamen aus ihren „Verstecken“ hervor.

Sven klapperte alle der Reihe nach ab und ließ sich feiern, während sich so langsam die Grüppchen bildeten:
die Leistungsträger der kommenden Saison (Scott Bennett, Jasper Chamberlain, Björn Kastner, Olli, Flo)
die Alteingesessenen (Daniel, Michael, Achim, Steffen)
die Ösi-Truppe (Juliet, Aaron, Adam)
die Fachabi-Clique (Christoph, Noah, Basti, Alex, Matt und ich)

Sven hingegen pendelte andauernd zwischen den einzelnen kleinen Gruppierungen hin und her. Von vornerein wurde entschieden, wer den Fahrdienst übernehmen musste: Olli, Juliet und Adam. Alle anderen nutzten das aus und tranken ihre drei, vier Bier. Sogar ich ließ es mir ausnahmsweise mal nicht nehmen. Olli hatte inzwischen dafür gesorgt, dass die Tische der Biergarnituren zusammengerückt wurden, und sich so alle besser kennenlernen und Sven feiern konnten. Außerdem kümmerte er sich zusammen mit Juliet um den Grill.
Noch bevor das erste Steak auf den Grill gelegt wurde, war die Stimmung unschlagbar gut. Zusammen mit Christoph und Matt stand ich nun vor den anderen und tanzte zu Buffalo Soldier. Alle anderen lachten sich zwar einen Ast ab, aber solange alle Spaß hatten, warum sollte ich mich dann nicht blamieren? War ja nix dabei. Immerhin waren wir hier in lockeren Kreisen unterwegs.

Nach einer halben Stunde waren alle so guter Laune, dass wir eine Art Chor bildeten und irgendwelche Lieder grölten. Juliet waren wir anscheinend etwas peinlich, Adam war’s relativ egal und Olli war ja eh schon an unsere Doofheit gewöhnt.
Eine weitere halbe Stunde später kamen die ersten Steaks vom Grill. Sofort stürzten sich alle auf die frische Beute. In dem Moment kamen wohl die Höhlenmenschen in uns durch.


Es dauerte nicht lange und alle waren vollkommen satt. Das Essen hatte allerdings nur gerade so gereicht. Die Tischgespräche nahmen wieder ihren Lauf. Inzwischen waren wirklich alle, bis auf die gekürten Fahrer, angeheitert. Die drei Neuzugänge, die da waren, hatten sich einwandfrei in die Gruppe eingefunden. Mit Scotts Deutsch haperte es zwar noch etwas, allerdings funktionierte das Unterhalten mit Händen und Füßen doch recht gut. Jedenfalls besser, als ich erwartet hatte.
Bei einem Spiel, das wir einige Minuten zuvor gespielt hatten, hatte Juliet ihren geliebten pinken Seidenschal an Christoph verloren, der sich diesen nun um den Kopf gebunden hatte. Quasi wie eines dieser Bandanas. Alex, der Hobbyfotograf unter uns, rannte umher und lichtete alles ab, was ihm vor die Linse kam.
Morgen würden wir uns garantiert alle halbnackt auf Facebook wiederfinden.

Das nächste Lied auf der Mix-CD, die Aaron zusammengestellt hatte, war eines von Christophs Lieblingsliedern. Irgendeins dieser Hip-Hop-Dinger auf jeden Fall, höchstwahrscheinlich von so einem DJ… Ich hatte da absolut keine Ahnung von.
Jedenfalls hatte Christoph kurzerhand beschlossen sein Shirt auszuziehen und zusammen mit Flo einen auf Gangster-Rapper zu machen. Da die Tische inzwischen abgeräumt waren, wählten sie die als ihre „Bühne“. Irgendwann reichte Christoph mir seine Hand und zog mich nach oben auf den Tisch.
Angeheitert wie ich war, ließ ich mich von ihm und Flo antanzen und verfiel bei Flos Tanzkünsten fast in einen Lachanfall. Flo wurde es daraufhin zu doof und er stieg vom Tisch. Deswegen stand ich mit Christoph allein dort oben. Die CD sprang auf das nächste Lied. Ausgerechnet Black Sabbath! Da es dann auch noch mein aktuelles Lieblingslied war, sang ich lauthals mit und tanzte nebenbei mit Christoph, der sein Shirt im Übrigen noch immer nicht wieder angezogen hatte und noch immer seine Hip-Hop-Nummer aufführte, obwohl es absolut nicht ins Genre passte.
In allen anderen Situationen wäre mir das peinlich gewesen, aber gerade in diesem Moment war es mir so was von scheißegal.
Ich wusste zwar, dass es irgendwie falsch war, aber ich musste echt zugeben, dass Christoph scharf war. Und ich meine richtig scharf. So eine verdammte Scheiße! Mussten meine Kumpels denn unbedingt aussehen wie Filmstars und nebenbei auch noch den geilsten Charakter aller Zeiten haben?! Das war doch echt nicht mehr normal! Okay okay, ich übertreibe, ich geb's ja zu...

Auch wenn sein Gesichtsausdruck noch immer auf Gangster-Rapper geeicht war, fand ich Christoph durchaus recht… anziehend. Nur „leider“ schien es Christoph in dem Moment auch nicht anders zu gehen. Schneller als ich gucken konnte, hatte er mich gepackt, an sich gedrückt und geküsst. Und ich meine so richtig geküsst! Christoph! Mein bester Freund!
Zu allem Übel war es auch noch richtig… gut. Er schmeckte zwar nach Bier, aber dennoch war er meines Erachtens der beste Küsser, der je gelebt hatte.

Später waren wir endlich wieder vom Tisch heruntergeklettert und hatten uns ganz brav wieder zu den anderen gesetzt. In dem Moment versuchte ich, einen klaren Gedanken zu fassen und darüber nachzudenken, was ich soeben angestellt hatte.
Nun war ich mir nämlich vollends unsicher über meine Gefühle Sven gegenüber. Und denen gegenüber Christoph erst recht. War das alles nur oberflächliche Anziehung, oder war ich wirklich in einen der beiden verschossen? So eine Scheiße, ey! Das gab’s doch alles nicht…!
Ich beschloss, einfach nicht mehr darüber nachzudenken, und alles einfach geschehen zu lassen. So wie es passieren würde, würde es schon richtig sein. Ich wollte mich einfach nicht mehr länger mit diesem Thema beschäftigen. Alina hätte mir jetzt wohl geraten, die beiden gegeneinander abzuwägen. Allerdings ging das einfach nicht. Erstens waren die beiden grundverschieden und zweitens waren sie keine Waren, die man aufwägen konnte; sie waren lebendige Wesen. Da war nun mal nichts zu machen.
Leider hatte ich nun aber auch keine Ahnung, was ich nun machen sollte/könnte.

Außerdem war ich soeben zu der Erkenntnis gelangt, dass ich, so scheiße es auch war und so wenig ich so etwas auch leiden konnte, total oberflächlich war. Wenn ich das nicht gewesen wäre, wäre doch wohl alles so viel einfacher gewesen. Dann hätte ich mich wenigstens vollkommen auf die inneren Werte konzentrieren können und hätte mich nicht teilweise vom Äußeren blenden lassen können.
Frustriert wie ich nun war beschloss ich, für den restlichen Abend Abstand von Neussi und Christoph zu halten. Daher marschierte ich zu den drei Neuzugängen, Flo und meinem Bruder.

„Hey Jungs, was dagegen, wenn ich mich zu euch setze?“, fragte ich. Einstimmig schüttelten sie die Köpfe. Grinsend setzte ich mich auf den letzten freien Platz neben Jasper Chamberlain. DEM Jasper Chamberlain! Mein Herz schlug mir bis zum Hals.
„Hey, sorry, wie heißt du nochmal? Ich denke, ich sollte die Schwester vom Chief besser kennen“, fragte Jasper grinsend. Ich grinste ebenfalls.
„Chief? Muss ich mir merken!“ Ich lachte. „Ich bin Christin.“ Sein Gesichtsausdruck hellte sich auf. Er lachte.
„Stimmt… Da war doch was“, sagte er grinsend. „Also Jungs… Wo waren wir?“
„Beim Zocken“, antwortete Björn Kastner etwas genervt. Anscheinend hielt sich das Thema jetzt schon über einige Zeit. Beim Wort „Zocken“ blitzten die Augen meines Bruders förmlich auf und auch Scott Bennett schien halbwegs begeistert.
„Spielst du auch?“, fragte Scott mich. Ich schüttelte den Kopf.
„Früher mal Resident Evil, Heavy Rain, Uncharted und so was. Inzwischen bevorzuge ich aber Let’s Plays statt selbst zu zocken. Aus Zeitgründen“, antwortete ich. Ja, leider war es wahr. Christin Hofmann war eine hoffnungslose Zockerin. Mein Bruder hatte mich angesteckt, als ich so um die 14 Jahre alt war. Ein Glück, dass es sich inzwischen wenigstens etwas gelegt hatte. Sobald ich aber ein Let’s Play, beispielsweise von Gronkh oder Zombey, einschaltete, konnte ich allerdings nicht mehr aufhören und war wie in einer Art Trancezustand. Geschweige denn, was passierte, wenn ich mich selber vor die Kiste hockte. Und genau aus diesem Grund tat ich sowas nicht mehr!

„Ah…“, machte Scott. „Kennst du Prey? Ist ein Shooter hat allerdings eine relativ gute Story, soweit ich weiß.“
„Ja, kenn ich, hab bisher aber nur den ersten Teil gesehen. Ich hab was gehört, von wegen der Release des zweiten Teils ist auf 2013 angesetzt?“
„Genau, es gab mal Gerüchte, dass sie die Entwicklung gestoppt haben, stimmt aber anscheinend nicht“, antwortete er.
„Ach kommt schon, jetzt hört mal auf mit Prey. Minecraft ist doch eh um Längen besser!“, mischte sich mein Bruderherz ein.
„Stimmt schon, Minecraft ist der Hammer, aber Prey hast du wohl noch nie gezockt, oder Chief?“, meinte Scott grinsend. Die zwei hatten sich echt gesucht und gefunden. So wie ich meinen Bruder kannte, würde daraus noch ne gute Freundschaft entstehen. Es hing halt von Scott ab. Soo übel, wie ich vorher angenommen hatte, war sein Deutsch dann übrigens doch nicht.

Eine knappe Viertelstunde voller Diskussionen über Minecraft später, trug Juliet einen Stapel Geschenke nach draußen und setzte sie vor Sven ab, der sich inzwischen zu unserer Zocker-Runde gesellt hatte. Grinsend marschierte sie dann zurück auf ihren Platz bei ihrem Bruder und Adam.
Sven hingegen strahlte fast. Anscheinend stand er extrem gern im Mittelpunkt. Auch jetzt, wo alle Augen auf ihn gerichtet waren, schien er sich extrem wohl zu fühlen. Er griff nach dem ersten Paket. Ohne zu zögern riss er das Papier herunter und grinste breit, als er den Inhalt des Pakets sah: Ein neuer Helm. Zwar war es eine moderne Torwartmaske, allerdings mit dem geilsten Airbrush, das ich jemals gesehen hatte.
„Hast du ne Ahnung, von wem das ist?“, flüsterte ich Olli zu. Er deutete ein Nicken an und lehnte sich zu mir rüber.
„Ja, Michael, Daniel, Steffen, Achim und ich haben zusammengelegt“, antwortete er in derselben Lautstärke wie ich zuvor.

Sven riss in der Zwischenzeit einen Umschlag auf. Sein Mund klappte auf und er marschierte nacheinander zu Flo, Matt und Noah, um ihnen jeweils eine gehörige Kopfnuss zu verpassen.
„Alter… ihr tickt echt nicht mehr richtig!“, meinte er breit grinsend. Fragend sah ich Flo an.
„Ein Gutschein für nen Hockeyladen. Nichts Besonderes“, antwortete er schulterzuckend.
Sven war zwischenzeitlich  zurück zu seinem Geschenkestapel gewandert und riss das nächste Päckchen auf. Darin befand sich ein neuer Campingkocher. Ich konnte mich vage erinnern, dass Sven mal angedeutet hatte, dass er wieder öfter Campen gehen wolle.
Höflich bedankte er sich bei Basti und Alex.
Sven riss inzwischen mal wieder das nächste Paket auf. Ungläubig starrte er auf den Inhalt und ob es andächtig aus der Schachtel.
„Jungs… ihr… ich… äh… Alter!“, stammelte er vor sich hin. Es schien, als würde er gleich umkippen. Scott, Jasper und Björn grinsten sich nur vielsagend an. Sven betrachtete das Trikot von Wayne Gretzky in seiner vollen Größe. Es schien fast, als würde er dieses Teil anbeten. Aus reinem Interesse hatte ich vor einiger Zeit mal gegoogelt, wie viel ein Trikot von Wayne Gretzky kostete. Ein signiertes Jersey vom Team Canada kostete um die 600$ wenn man Glück hatte, der Listenpreis war, glaube ich, noch um Einiges höher. So langsam kapierte ich, warum Sven so überwältigt war.
„Ihr seid echt unglaublich!“, platzte es ihm heraus. Inzwischen strahlte er dermaßen, dass ich glaubte, er würde jeden Moment abheben und selig gen Himmel schweben.

Das letzte Geschenk befand sich in einem Umschlag. Diesen riss Sven nun auch wieder auf. Auch hier blieb ihm anscheinend der Atem weg.
„Christoph… Ist das dein Ernst?“, fragte er ungläubig. Christoph, dessen Shirt im Übrigen immer noch hier irgendwo im Garten rumliegen musste, nickte stumm. Er sah mit Juliets Schal um den Kopf echt bescheuert aus, viel mir gerade auf. Aber sein Waschbrettbauch machte das schon wieder wett… Scheiße! Was zur Hölle dachte ich denn da! Das war ja grausam!
Der Inhalt des Umschlags waren drei Karten für das anstehende Ärzte-Konzert in Wien. Soweit ich wusste, sollte es schon übermorgen stattfinden. Tja, wie immer war ich halt verdammt gut informiert.

Inzwischen war es bestimmt schon zwölf. Das Gerede über Prey und Minecraft war mir irgendwann zu blöd geworden und ich hatte beschlossen, mich wieder zur Fachabi-Clique zu setzen.
Noah war zwar nicht weggetreten, aber irgendwie döste er mit dem Kopf auf dem Tisch. Matt hingegen war inzwischen ziemlich voll. Alex und Basti unterhielten sich mit Juliet, welche vor allem Basti sehr gut zu gefallen schien. Christoph, der sein Shirt im Übrigen noch immer nicht wieder anhatte, saß zwischen mir und dem dösenden Noah eingequetscht auf der Bank.

„Bist du halbwegs nüchtern?“, fragte ich ihn nach einer Weile. Er nickte. Misstrauisch begutachtete ich ihn.
„Genial… Hast du kurz Zeit zu reden?“, fragte ich. Ich wollte entgegen meiner Entscheidung von vorhin endlich klären, was das war bzw. was das sollte. Wieder nickte er und stand auf.
Nebeneinander schlenderten wir zum Pavillon. Die Stimmung zwischen uns war vollkommen eisig, oder vielleicht konnte man sie auch als distanziert beschreiben.
„Was ist denn los?“, fragte er. „Ist es wegen vorhin?“ Ich nickte stumm, er seufzte
„Okay, hör zu“, setzte er an. „Ich bin am besten ganz ehrlich zu dir, auch wenn’s schwerfällt. Du bist einer meiner besten Kumpels, und das soll auch so bleiben. Dass du nicht mein Fall wärst, kann ich zwar nicht sagen ohne dich anzulügen, aber Freundschaft ist mir tauendmal wichtiger als so was. Bros before Hoes, weißte?“
Ich konnte mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
„Fronten geklärt?“, hakte er nochmal nach. Ich nickte.
„Yo Bro!“, antwortete ich ernst und fiel ihm dann aber erleichtert um den Hals. Ein paar Sekunden lang war er etwas perplex, dann umarmte er mich allerdings ebenfalls.

„Ach ja… Christoph?“, setzte ich an, als wir zurück zu den anderen marschierten.
„Hm?“, machte er und sah mich fragend, vielleicht auch erwartungsvoll an.
„Zieh dein T-Shirt wieder an, sonst garantiere ich für nichts!“, meinte ich lachend. Gut, um ehrlich zu sein schwangen darin sowohl etwas Spott, als auch etwas Wahrheit mit. Christoph stimmte in mein Gelächter mit ein.
„So… Wenn Christoph durfte, darf ich doch sicherlich auch, oder?“, fragte Sven, der gerade zu uns gestoßen war, grinsend. Nüchtern war der anscheinend nicht mehr.
„Du bist so ein Penner!“, antwortete ich lachend. Sven zog eine Schnute und setzte seinen Hundeblick auf, was mich allerdings nur noch mehr zum Lachen brachte.
„Komm schon!“, forderte er mich grinsend auf.
„Never ever, my dear!“


Später saß ich wieder bei meinem großen Idol. Mein Bruder und Flo spielten derzeit Karten mit Michael und dessen „Gang“.
„Woher kennst du die Jungs eigentlich?“, fragte Björn irgendwann.
„Na ja, Michael ist zum Beispiel der Freund meiner Schwester. Durch Oliver kenne ich auch einige, Sven zum Beispiel. Und mit einigen hab ich damals, also genauer gesagt vor gut drei Jahren, meinen Abschluss gemacht. Außerdem arbeitet unser Dad im Stadion“, antwortete ich. „Es wäre vielleicht etwas kompliziert, das jetzt noch genauer zu erklären.“
„Ach so… Wir haben uns nämlich schon gewundert, warum du quasi zu ihnen gehörst. Ist irgendwie schon komisch, um ehrlich zu sein“, meinte Scott. „Jasper dachte am Anfang, du gehörst mit zum Team.“ Ich lachte.
„Schön wär’s! Ich kann nicht mal Eislaufen. Hockey spielen wird da wohl etwas schwierig“, meinte ich grinsend. Nein, ich hatte wirklich keine Probleme damit, meine Schwächen vor „Fremden“ zuzugeben.
„Echt? Wenn du willst, bring ich dir’s bei, wenn wir wieder in Deutschland sind“, bot Jasper an. Ganz ehrlich? Ich war absolut sprachlos in diesem Augenblick! Ich meine, stellt euch mal vor, euer großes Idol bietet euch an, euch etwas beizubringen, was ihr schon seit Ewigkeiten können wolltet! Unter anderen Umständen wär ich wahrscheinlich von der Bank gekippt, aber das käme wahrscheinlich gerade nicht so gut an.
„Christin? Bist du noch da?“, fragte Björn, der zu meiner Linken saß, und wedelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum. Energisch schüttelte ich den Kopf.
„Hä…? Ja… Ich lebe noch…“, antwortete ich perplex. Scott, Björn und Jasper grinsten sich nur vielsagend an.
„Sag mal, warum zur Hölle benimmst du dich so komisch?“, fragte Jasper. Scott hielt sich aus der Unterhaltung ziemlich heraus. Wahrscheinlich wegen der sprachlichen Ebene. Keine Ahnung…
„Ganz ehrlich?“ Er nickte. „Du bist einer meiner großen Helden. Ich hätt nie erwartet, dich jemals persönlich sehen, geschweige denn mit dir reden zu können.“ Sofort nachdem ich das gesagt hatte, schien mein Kopf vor Scham zu glühen. Ich und mein verdammtes Mundwerk!
Jaspers Gesicht nahm einen leichten Rotton an, allerdings grinste er mich trotzdem noch an.
„Echt jetzt? Tja, da haste wohl Glück gehabt. Also was ist jetzt? Soll ich’s dir beibringen?“ Ich nickte zögernd.
„Theoretisch gerne, aber Sven ist eigentlich auch ein ganz guter Trainer. Mal sehen… Wenn ich noch Probleme habe, wenn wir wieder da sind, würd ich mich freuen, wenn du mir helfen könntest“, antwortete ich. Da! Schon wieder diese geschwollene Sprache! Gott verdammt, das musste echt mal wieder aufhören!
„Okay!“, meinte er lachend.


Einige Zeit später, schätzungsweise eine Stunde, hatte Aaron ein Lagerfeuer entzündet und alle saßen im Kries darum herum und grillten Marshmallows und Brotteig. Ich hatte mich diesmal zu Christoph und Noah gesetzt. Schneller als ich schauen konnte, wurde das allgemeine Gesprächsthema auf die Vorlieben der Jungs bei Frauen gelenkt, wobei ich auf diese Informationen echt gut hatte verzichten können. Es interessierte mich einfach nen Scheißdreck, ob mein Bruder durch High Heels angeturnt wurde oder nicht!
„So Mädels, wir haben ausgepackt! Jetzt seid ihr dran!“, forderte Noah irgendwann lachend und sah mich erwartungsvoll an. Was zur Hölle sollte ich (bzw. auch Juliet) denen denn jetzt bitteschön erzählen?! Genau diesen Gedanken ließ ich auch verlauten.
„Was ist dir denn wichtig an ‘nem Typen?“, fragte Matt. Ich zuckte mit den Schultern.
„Weiß nich genau… Mir ist das Äußere eigentlich relativ egal, wenn der Charakter stimmt. Ich bin da nich so penibel wie ihr: perfekte Haarfarbe hier, perfekte Augenfarbe da, Brüste bitte so und so groß, Hintern bitte auch so und so!“ Juliet nickte zustimmend.
„Meinetwegen…“, murrte Noah alles andere als zufriedengestellt mit meiner Antwort.
„Lasst uns ein Spiel spielen!“, schlug Scott vor. Die Anderen waren ziemlich neugierig, mochte am Alkohol liegen. „Also: Jeder von uns sagt, wen aus der Runde er oder sie am ehesten nehmen würde. Einverstanden?“ Wir nickten unisono. Doofes Spiel, wenn man es mal so betrachtete. Immerhin gab es für die Jungs ziemlich wenig Auswahl, und für uns zwei Mädels dafür umso mehr. Uns hirnbefreit war es obendrein!

Die Runde startete bei unserem Geburtstagskind.
Am Ende stand es 10 zu 4 Stimmen für Juliet. Ich hatte ehrlicherweise zugeben müssen, dass ich Sven verdammt toll fand und Juliet hatte gemeint, dass sie Basti "scharf" findet. Basti war anschließend total happy und hat still vor sich hin gestrahlt.
Tja, da konnte man wohl nichts machen. Als gute Verliererin gratulierte ich Juliet breit grinsend zu ihrem Titelgewinn der „Miss Svens Geburtstagsfeier“. Sie lachte nur amüsiert.

„Was gibt’s als Preis für die Gewinnerin?“, fragte sie lachend und schaute sich in der Runde um.
„Nen Kuss von einem Mann deiner Wahl?“, schlug Basti zwinkernd vor. Juliet war sofort dabei. Prompt stolzierte sie auf Basti zu, quetschte sich zwischen ihn und Scott und drückte ihm einen Kuss auf. Der Rest unserer Runde grinste breit.

„Und für die Vize-Gewinnerin?“, fragte ich gespielt schmollend und schaute ebenso gespielt leidend auf den Boden.
„Ne Umarmung von deinem Idol?“, kam es von Jasper, was mich sofort grinsen ließ. Erwartungsvoll schaute ich ihn für zwei, drei Sekunden an, ehe er die Arme ausbreitete und zwinkernd sagte: „Nun komm schon her!“
Das ließ ich mir selbstverständlich nicht zweimal sagen. Sofort stand ich auf, hechtete zu ihm rüber und ehe ich mich versah wurde ich auf seinen Schoß gezogen und umarmt. Neben ihm war kein Platz mehr gewesen. Er war nämlich total zwischen Scott du Björn eingekeilt.
Lachend schlag ich meine Arme um Jaspers Hals. War schon unglaublich, wenn man es mal so betrachtete. Noch vor einer Woche hätte ich geglaubt man würde mich verarschen, wenn man mir erzählt hätte, dass ich jemals die Gelegenheit haben würde, auch nur mit Jasper zu reden.
Mein Blick glitt über die breit grinsenden Gesichter der anderen. Nur einer war nicht so amüsiert. Sven.

Schlagartig fühlte ich mich niedergeschlagen. Ich fragte mich, was mit ihm los war. Andererseits fragte ich mich, warum ich mich überhaupt so um ihn sorgte. Das hatte ich doch sonst nie getan. Klar, keiner der Jungs war mir je egal gewesen, aber ich hatte noch nie erlebt, dass ich mir auch nur über einen einzigen von ihnen jemals so viele Gedanken gemacht hatte.
Wenn ich nicht gerade abgelenkt war, kreisten meine Gedanken um Sven. Eigentlich hätte man doch meinen können, dass ich in Gedanken voll und ganz bei Alina war. Immerhin war sie in Schweden und Sven saß gerade mal fünf Meter von mir entfernt.

Jasper ließ mich irgendwann los und ich setzte mich brav zurück auf meinen Platz zwischen Christoph und Noah.
Olli ließ noch eine Runde Bier rumgehen und damit war der Abend auch fast schon beendet. Und nein, ich war nach meinen zwei Bier dieses Abends nicht besoffen.


Später saß ich auf der Rückbank von Svens Auto. Olli fuhr und Sven war schon halb weggedämmert. Bei mir fehlte allerdings auch nicht mehr viel.
Mein Bruder hatte, Gott sei Dank, den ganzen Abend lang kein Wort über Sarah verloren, aber dafür stundenlange Diskussionen über Battlefield und Call of Duty geführt.
Christoph war nicht mehr so angeschlagen wegen Helena.
Matt war total frustriert, weil er umziehen musste.
Noah freute sich schon wieder auf daheim und natürlich auf seinen Geburtstag in ein paar Tagen.
Scott hatte mir erzählt, dass er während des Sommers eine hübsche Germanistik-Studentin kennengelernt hatte.
Björn hatte anscheinend auch ein nettes Mädel aus Bad Grünau kennengelernt.
Michael hatte den ganzen Abend über selig grinsend dagesessen. Ich fragte mich echt, warum.
Basti und Alex hatten keine Gelegenheit ausgelassen um einen ihrer berüchtigten Witze zu reißen. Ich freute mich echt schon auf ihre legendären Partys dieses Jahr.
Jasper brannte schon auf die neue Saison und wäre wohl am liebsten gleich aufs Eis gesprungen.
Flo hatte sich ziemlich im Hintergrund gehalten und war immer wieder von einer Gruppierung zur nächsten gewandert.
Na ja, alles in allem war es meiner Meinung nach ein ziemlich netter Abend.


Bei Sven angekommen mussten Olli und ich ihn etwas stützen, da er ziemlich wirr im Kopf war. Lag wohl an der Müdigkeit. Jedenfalls meinte er, ich solle Oliver auf die Couch verfrachten, denn ich wüsste ja eh wo alles wäre und hat sich dann Schlafen gelegt.
Es dauerte einige Zeit bis mein Zockerbruder und ich alles zusammengesucht hatten, was er womöglich brauchen könnte. Wie zum Beispiel eine Decke, sowie ein Kissen. Aber dennoch hatten wir auch dieses Problem irgendwann gemeistert, sodass auch ich endlich schlafen gehen konnte.
Sven war bereits eingedöst, als ich zu ihm ins Bett krabbelte. Er grummelte leise vor sich hin, als ich ihm ein Stück Decke wegzerrte. Mit einem Schlag schien ich jedoch wieder total wach zu sein. Das war des Öfteren so. Komisch und nervig, aber erträglich.
Sven hingegen schien recht happy zu sein, grinste, drehte sich auf die Seite und umarmte mich von hinten. Schmatzend gähnte er und flüsterte mir dann kommentarlos folgenden Satz ins Ohr:
Ich liebe dich, Chrissy.

Geschockt drehte ich meinen Kopf zu ihm nach hinten. Mit einer Mischung aus „Scheiße! Meint der Freak das jetzt ernst?!“ und „Was hat der denn bitte eingeworfen?“ schickte ich Stoßgebete zu Gott, an den ich im Übrigen nur glaubte, wenn ich in wirklich komplizierten Situationen steckte und Hilfe ganz gut gebrauchen könnte. Wobei ich mir allerdings nicht sicher war, ob ich nun wollte, dass Sven das ernst meint oder ob ich wollte, dass er das zu einer Figur aus irgendeinem Traum sagt.
Jedenfalls schaute er mich mit absolut wachem Blick an und grinste. Nein, er grinste nicht. Er lächelte!
Folglich war ich absolut überrumpelt! Ich meine, was? Wie? Hä? Warum?
Mann, ich wusste es doch selbst nicht! Ich war einfach geschockt, okay?

„Sven?“, setzte ich vorsichtig an und drehte mich zu ihm um.
„Hm?“, machte er. Das war der erste Moment, in dem ich ihn jemals so… schüchtern, verletzlich und unsicher erlebt hatte. Und es war auch der Einzige.
Ich kuschelte mich überglücklich an ihn und umarmte seine Brust. Er war sichtlich überrumpelt und brauchte einige Augenblicke, um das zu verarbeiten, doch dann schloss er mich fest in seine Arme.
„Ich dich auch!“, nuschelte ich in den Stoff seines T-Shirts.

Ehe ich mich versah, fand sich allerdings seine Hand auf meinem Hintern wieder. War ja klar. Ich glaube, dieses Verhalten wird er nie im Leben ablegen können. Und sollte es doch jemals so weit kommen: Lauft um euer Leben! Der Weltuntergang droht!
„Nimm deine Hand von meinem Arsch!“, knurrte ich ihn an. Er grinste und tätschelte mir den Rücken.



Können wir die letzte Szene bitte streichen?

Here we are now...

Der Morgen verlief eigentlich relativ entspannt. Sven hatte mich wie sonst auch so gegen acht aus dem Bett geschmissen und Kaffee gekocht, während ich das Bad in Beschlag nahm. Olli war hingegen ne ganze Ecke früher aufgestanden als ich und hatte sich dazu entschieden, mit Chucky im Gartenteich baden zu gehen.
Nachdem ich geduscht hatte, setzte ich mich mit einer Schale Müsli mit Milch ans Teichufer und schaute meinem Bruder beim rumalbern mit Svens Hund zu.
Irgendwann saß Sven auf einmal neben mir. Na ja, jedenfalls hatte ich nicht bemerkt, dass er da war. Mit einem entsetzten Aufschrei schmiss ich mich auf die von Sven abgewandte Seite. Ich starrte ihn an, während er in Lachen ausbrach. So ein Idiot!
„Schleich dich nicht so an, du Depp!“, motzte ich ihn an und richtete mich wieder auf. Sven legte seinen Arm um meine Schultern.
„Du bist ja so lieb heute“, stellte er grinsend fest. Zwar wehrte sich alles in mir dagegen, aber dennoch lehnte ich mich an ihn und bettete meinen Kopf an seiner Schulter. Neussi drückte mir einen Kuss auf den Scheitel.
Mein Bruder watete breit grinsend aus dem Wasser.
„Na? Habt ihr mir was zu sagen?“, stachelte er. Ich grinste.
„Was vermutest du denn?“, fragte ich ihn, während er sich neben Sven ins Gras fallen ließ.
„Hm…“, setzte er an. „Ich vermute mal, Aliens haben meine kleine Schwester entführt, haben sie durch ein zahmes kleines Mädchen in ihrem Körper ersetzt und meinen besten Freund einer Gehirnwäsche unterzogen.“
Lachend schlug Sven Olli gegen die Schulter und ließ sich nach hinten kippen. Seitlich schaute ich auf die beiden verrückten Kerle hinunter. Chucky kläffte noch immer begeistert, während er im Wasser herumtollte.

„Wie lang bleibst du uns hier noch erhalten, Bruderherz?“, fragte ich ihn irgendwann und unterbrach somit die Unterhaltung der Jungs. War sowieso unwichtig! Olli musste nicht wissen, dass seine kleine Schwester laut Sven (dem Weiberdoc, wie er von manchen in Grünau genannt wurde) einen „ganz netten Arsch“ hatte.
„So gut wie gar nicht. Ich fahre nachher um neun mit Michael und seinen Kumpels wieder nach Hause. Jasper, Scott und Björn reisen heute auch wieder ab. Ihr seid also wieder vollkommen unter euch“, antworte mein Bruder und zwinkerte Sven zu.
„Und was habt ihr heute so vor?“, fügte er nach einer Weile hinzu. Ich zuckte nur unwissend die Schultern. Die Planung lag ja eh beim werten Neussi.
„Jedenfalls nicht das, was du denkst!“, antwortete Sven lachend. „Ich hab meinem Opa versprochen, ihn heute zu besuchen. Außerdem wollte ich Chrissy heute Vormittag noch etwas… äh… die Stadt zeigen.“
„Jaja, is klar, Svenne. Die Stadt zeigen! Mal ehrlich, du würdest es nie aushalten, in einer Beziehung zu stecken, ohne sie gleich am ersten Tag flachzulegen!“, meinte Olli anklagend.
„Whow! Moment mal, Bruderherz!“, unterbrach ich ihn. „Erstens redest du hier nicht von irgendeiner billigen Tussi, sondern von deiner Schwester. Also sei gefälligst nicht so respektlos! Zweitens lass ich mich nicht so schnell von so ‘nem Weiberhelden flachlegen!“ Entschuldigend sah ich zu Sven, der wissend die Schultern zuckte. Na ja, er war ja immerhin auch der schlimmste Weiberheld in Bad Grünau.
„Vielen Dank für die Blumen. Außerdem, Alter…“, setzte Sven an und warf mir einen unsicheren Blick zu. „Wer hat jemals was von einer Beziehung gesagt?“ Herausfordernd verschränkte ich die Arme vor der Brust und nickte Sven bestätigend zu. Olli lachte.
„Kommt schon, spielt euch mal nicht so auf. Es ist ja nicht so, dass ich gesagt habe, dass ihr vollkommene Arschlöcher seid und unfähig, so etwas wie Liebe zu empfinden!“, versuchte Olli zu beschwichtigen. Netter Versuch, Bruderherz.
„Darum geht’s doch gar nicht, Ole. Es geht darum, dass sich deine Schwester in meinen Fängen befindet. Hast du denn keine Angst um sie?“, meinte Neussi grinsend, packte mich an der Schulter und zog mich zu sich runter ins Gras. Ich drehte mich auf die Seite und schmiegte demonstrativ meinen Kopf an seine Brust, während er mich festhielt.
Ja… Die junge Liebe war schon was Schönes. Gut, meinetwegen auch viel zu kitschig und schleimig. Aber wer wusste schon, wie lang so eine Phase bestehen blieb? Das musste man nutzen!

„Warum sollte ich, Svenne? Ich weiß, dass meine Schwester sich gut zu Wehren weiß und auch, dass sie bei dir gut aufgehoben ist – jedenfalls besser als bei Ben damals. Und wenn du ihr auch nur in kleinster Weise wehtun solltest, dann siehste keinen Morgen mehr!“, drohte Bruderherz spaßeshalber. Gut, er war Centerstürmer, aber mit Gewalt hatte er es noch nie wirklich gehabt. Dafür gab es immer einen, der auf dem linken Flügel die Drecksarbeit übernehmen musste.
„Na das beruhigt mich echt ungemein, Leute!“, stellte Sven gespielt verängstigt fest.
„Nee, aber mal ernsthaft. Das mit dem „Die-Stadt-zeigen“ kauf ich euch nicht ab. Was habt ihr wirklich vor?“, stachelte Oliver weiter. Sven verdrehte schon beinahe genervt die Augen.
„Wir gehen ins Stadion“, antwortete ich schlicht, bevor Sven meinem Bruder noch an die Gurgel ging, wenn dieser weiterhin so damit nervte. Ja, Sven hatte schon so etwas wie „Temperament“…
Olli hingegen brach einfach in Gelächter aus. Na dem würd ich’s zeigen! Der soll sich gefälligst auf was gefasst machen, dieser Arsch!
Oh… ich merke gerade… meine Wut kommt zurück. Yay!

„Was ist daran so lustig?!“, knurrte ich ihn an. Es sollte gefährlich klingen, aber ich glaub, das war mir misslungen. Olli riss sich für einen Moment zusammen.
„Schwesterchen, du weißt, ich hab dich lieb“, fing er an. „Aber wenn es etwas gibt, das du nicht kannst, dann ist das Eislaufen!“ Und kaum hatte er diesen Satz zu Ende gebracht, dröhnte sein Gelächter auch schon wieder in meinen Gehörgängen.
„Na ja, so übel ist deine Schwester gar nicht“, meinte Sven beschwichtigend. Olli schaute ihn todernst an.
„Ey Alter“, setzte er an. „Du weißt schon, wie pervers das klingt, oder?“ Neussi nickte heftig.
„Na was glaubst du denn, warum ich so was sage?“ Daraufhin brachen diese beiden Vollpfosten mal wieder in Gelächter aus. Mal ernsthaft: das muss man sich doch echt nicht antun, oder?
Demonstrativ kletterte ich über Sven und stützte mich mit beiden Armen neben seinem Kopf ab. Einer Kopfnuss folgte ein Kuss und schon war ich aufgesprungen, um ins Haus zurück zu joggen.

Ich ließ mich auf die Couch fallen und drehte per Fernbedienung die Stereoanlage auf. Bon Jovi? Nicht übel…
Aber ausgerechnet mitten in einem meiner Lieblingssongs von Jon Bon Jovi klingelte mein Handy. Genervt drückte ich die Tastensperre weg, und tippte auf das armselig kleine Feld mit der Aufschrift (oder Inschrift?) „Neue SMS zeigen“. Was ich dort allerdings las, brachte mich zum Schaudern. Eddie!
Meinte der das jetzt ernst?! Das Date war der letzte Scheiß gewesen, ich hatte mich monatelang nicht gemeldet und jetzt kam er an?! Vollidiotismus nennt sich so was!

>>Hallo Süße!
Hab dich lang nicht mehr gesehen.
Hast du Lust, was zu unternehmen? <333  :* <<

Ein Kotzkrampf schien mich zu überkommen. Ich meine, Herzchen und Kuss-Smileys? Geht’s noch?!
In diesem Moment kam allerdings meine sensible Seite durch. So gemein wollte ich dann auch nicht sein.
>>Nee.
Bin nicht im Lande und hab auch so ne Menge zu tun. <<

Das musste reichen! Mehr Guthaben würde ich an diesen Heckenpenner definitiv nicht verschwenden! Okay, das war vielleicht etwas unfair…

>>Schade :((( Wie wär’s mit morgen?? :* <<

Das sind solche Momente, in denen man sich fragt, ob der Gegenüber wirklich VÖLLIG verblödet ist. Und P.S: Was zur Hölle soll DAS den bitte für ein Smiley sein? Herr Otto Friedbert Hermanns mit dreifachem Doppelkinn?!

>>Ne<<, schrieb ich simpel zurück. Doch schon wenige Sekunden darauf folgte eine weitere SMS von Eddie.

>>Übermorgen? :((((<<

Herr Otto Friedbert Hermanns mit vierfachem Doppelkinn! Okay ich gab es auf. Da mussten härtere Geschütze her.

>>Hör zu:
Ich will nichts von dir. Null. Nada. Zero.
Adios Muchacho!
SCHNALL ES ENDLICH! <<

Das musste nun aber wirklich präzise genug sein. Bitte, oh Herr! Darauf folgte dann im Nachhinein auch keine Antwort mehr. Zum Glück!


Etwa eine halbe Stunde Später stolzierte Oliver mit Anhängsel ins Wohnzimmer und verabschiedete sich von mir. Verwundert schaute ich ihn an.
„Du gehst schon?“, fragte ich ‚leicht‘ dümmlich. Bruderherz nickte schlicht.
„Ja, ich muss los. Quäl Svenne nicht so. Okay, Kleines?“, meinte er und drückte mich fest an sich. Seit wann war er eigentlich so sentimental?
Ich nickte nur stumm und brachte ihn mit Sven bis zur Tür. Als wäre perfektes Timing das A und O, hielten in dem Moment auch schon Michael und Co. vorm Haus. Olli schlenderte auf den Wagen zu und winkte uns nochmal, ehe er einstieg.
„Ey Sven! Wehe du bringst Chrissy nicht heil zurück. Dann macht Franka uns die Hölle heiß!“, rief Michael ihm durch das geöffnete Wagenfenster hindurch zu. Sven grinste und legte mir brav nickend einen Arm um die Schultern.
Der weiße Transporter fuhr davon und Sven schloss die Haustür.
„Hast du eigentlich mal auf die Uhr geschaut?“, fragte ich ihn irgendwann beiläufig. Sofort schüttelte er den Kopf und sah auf seine Armbanduhr.
„Scheiße!“, fluchte er und ließ sofort von mir ab.
„Motorrad?“, fragte ich.
„Motorrad!“, bestätigte er und warf mir meinen Helm zu. Was denn? Auf internationalem Gebiet wollt ich halt kein Risiko eingehen! Na ja, und die sonstige Motorradbekleidung, also Hose, Jacke und in meinem Fall Militärstiefel (hatte mein Vater mir nahegelegt) fehlten bei mir eh so gut wie nie. Ich war ja nicht lebensmüde.

Ich schmiss den Helm nochmal auf die Treppe und raste förmlich nach oben. Beinahe hatte ich Angst, dass meine geliebte Motorradjacke zum Staubfänger umfunktioniert worden war! Meine heißgeliebten ausgelatschten Chucks hatte ich auch schnell angelegt und dann konnte es auch schon losgehen!
Kaum saßen wir auf meiner KTM, legte Sven seine Arme um meine Taille.
Ich schmiss derweil den Motor an und ließ ihn beim Warmlaufen einige Male aufheulen. Ich liebte dieses Geräusch einfach über alles.
Am liebsten wär ich jetzt auf ner deutschen Autobahn gefahren. Ich meine, unbegrenzte Geschwindigkeit. Freiheit. Das Paradies auf Erden! Na ja, aber die Straßen von Salzburg mussten‘s halt auch tun.


„Wow, das war der Hammer, Kleines!“, meinte Sven, als er sich vom Motorrad schwang und ich den Motor ausstellte.
„Erstens: Wenn du mich schon wie eine deiner Nutten nennen musst, dann bitte nich Mäuschen oder Kleines. Zweitens: Lass nichts alles was du sagst  so verdammt pervers klingen“, meinte ich seelenruhig. Ich hatte ihm das in letzter Zeit einfach schon viel zu oft sagen müssen. Irgendwann wurde das selbst mir zu doof!
„Jetzt hör doch endlich mal auf mit dieser Scheiße! Ich nenn dich nicht Kleines, weil du einfach irgendeine bist. Verdammt Chrissy! Ich mag dich“, meinte Sven mit fester Stimme. Ich lächelte schlicht. Ich hatte mit diesem kitschigen Kram nichts am Hut. Na ja, jedenfalls kam ich mit so viel Kitsch auf einmal einfach nicht klar.
„Komm her, du alter Depp!“, meinte ich und… ja gut, ich konnte halt nicht anders. Ich hab ihn abgeknutscht. War ja immerhin mein gutes Recht… oder?

Na ja, jedenfalls schleppte er mich dann in die Eishalle, dann weiter in den Schlittschuhverleih und dann ging’s auch schon ab aufs Eis. Sven drehte wie gewohnt seine Kreise während ich versuchte, mich auf den Füßen zu halten. Heute war die Halle ziemlich leer. Mochte wohl daran liegen, dass Montag war und somit die Arbeitswoche wieder begann.
Inzwischen klappte es schon ziemlich gut. Jedenfalls für meine Verhältnisse…


Anschließend dirigierte er mich aus Salzburg heraus zu einem kleinen Dorf. Herr Waldmann lebte echt nicht übel, das musste ich zugeben. Vor einem mit Holz verkleideten Haus ganz am Rand des Dorfes hielten wir. Wirklich nicht übel die Gegend hier.

Sven hielt mit großen Schritten auf die schwere, hölzerne Tür zu. Er klingelte und schon waren im Haus schwere Schritte zu vernehmen.
Freudig lächelnd zog Herr Waldmann uns die Tür auf und bat und hinein. Er war zu Fuß wahrscheinlich nicht mehr der beste, allerdings warf das nun wieder die Frage auf, warum er auf Schlittschuhen noch so gut unterwegs war.
Ich ließ mich nicht beirren und folgte dem alten Mann ans Ende eines langen Flures.

Sven betat nach ihm ein geräumiges Zimmer, aus dessen zwei riesigen Fenstern man einen wunderbaren Blick hinauf aufs Feld hatte.
Die unzähligen Hirsch- und Rehschädeln an den Wänden ließen mich nicht mal mit der Wimper zucken. Der Leuchter an der Decke mittig im Raum war ganz aus Hirschgeweihen. Mussten mal prächtige Tiere gewesen sein.
Fritz Waldmann ließ sich auf einen per Fernbedienung verstellbaren Sessel sinken, während ich neben Sven auf dem Sofa platznahm.
In der Mitte des Raumes stand ein schwerer Tisch aus Stein. Er war mit Schiefer verkleidet. Vielleicht war er auch massiv aus Schiefer. War schwer zu beurteilen. Der Holzfußboden wurde größtenteils von einem alten, höchstwahrscheinlich sogar handgewebten, dicken Teppich verdeckt.
An einer Wand stand ein langer, dunkler Schrank. Bei diesen detailreichen Verzierungen konnte der nur aus Handarbeit sein. Zugegebenermaßen ein Meisterstück. Ich fragte mich ernsthaft, wie lange man wohl an so einem Möbelstück saß.
Was mich allerdings ziemlich verwunderte, war der riesige Flachbildschirm gegenüber dem Sessel. Der passte nämlich so gar nicht ins Bild.

Die Schädel und Geweihe an den Wänden erschreckten mich nicht, weil mein Opa, genauso wie Waldmann anscheinend, Jäger gewesen war und die gesamte Wohnung immer mit Trophäen, Geweihen, Medaillen und Fellen zugehangen gewesen.
Ich war mit der Jagd aufgewachsen und für mich war es deshalb auch immer normal gewesen.

„Habt ihr mir was zu erzählen?“, brummelte Waldmann mit einem kritischen Blick auf Sven, der seine Hand auf meinem Knie platziert hatte. Sobald er den Blick seines Großvaters bemerkte, zog er sie allerdings blitzschnell zurück.
„Schwachsinn!“, empörte er sich. Leicht genervt lehnte ich mich zurück und beobachtete interessiert dieses Schauspiel vor meiner Nase.



Na ja, und um ganz ehrlich zu sein passierte in den nächsten Tagen in Österreich kaum noch was. An diesem da auch nicht. Sven diskutierte ewig mit seinem Opa, während ich relativ doof daneben saß.

Am nächsten Tag war das Ärzte-Konzert (im Übrigen noch tausendmal geiler als das von AC/DC damals. Erschießt mich, aber so war’s!). Sven war letztendlich mit mir und Christoph hingegangen. Alex hatte uns bis zum Bahnhof gebracht und wir waren dann mit dem Zug bis nach Wien gefahren.

FLASHBACK:

„Danke fürs Bringen, Alex“, meinte ich zu unserem bereitwilligen Chauffeur.
„Kein Thema!“, wank er lachend ab. Ich hol euch dann morgen früh um acht wieder hier ab, in Ordnung?“
„Geht klar! Aber ich glaub, wir sollten langsam einsteigen. Noch zwei Minuten bis wir abfahren“, kam es von Christoph. Sven nickte abwesend. Er war schon seit einer halben Stunde mit seinen Gedanken voll und ganz beim Konzert.
„Hast recht… Ich schreib dir, wenn wir da sind“, sagte ich, den zweiten Teil an Alex gerichtet. Er verpasste jedem von uns einen lässigen Handschlag, bevor wir einstiegen und unsere Plätze suchten.

Gute drei Stunden später waren wir quer durch Wien gelatscht, hatten die Konzerthalle (dank Handy-Navi) gefunden, hatten uns was zu trinken besorgt und standen schlussendlich mitten in der Meute im Innenraum direkt vor der Bühne.

Allein die Vorband war schon der Hammer! Die hatten nämlich einen extrem intensiven Bassanteil in ihren Songs und es fühlte sich fast so an, als würde mein Herzschlag darin übergehen. Ich finde, Musik ist dann richtig gut, wenn man sie spüren kann und nicht nur hört! Sator waren jedenfalls hammermäßig.
Eine halbe Stunde später standen dann auch schon die Ärzte auf der Bühne. Die Meute (mich, Sven und Christoph eingeschlossen) tickte völlig aus und JEDER grölte lauthals mit. Ohrenstöpsel waren allerdings Fehlanzeige, zumindest bei mir.

„Aber ist das noch Punkrock? Wie dein Herz schlägt, wenn du sie küsst? Wenn euer Lieblingslied in den Charts ist? Ist das noch Punkrock? – ICH GLAUBE NICHT!“ Mit „Ist das noch Punkrock“ (dürfte relativ offensichtlich sein)von ihrer neuen Platte eröffneten sie das Konzert.

Die Ärzte spielten drei Lieder durchgehend und ließen sich dann erst mal so richtig feiern. Irgendein Trottel ein paar Meter neben uns hatte eine aufgeblasene Gummipuppe mitgeschleppt und wedelte die jetzt wie irre herum und schlug damit den umstehenden Leuten permanent gegen den Kopf bzw. ins Gesicht. Inzwischen hatten wir uns übrigens in die erste Reihe vorgekämpft.
„Übrigens haben wir die Heizung heute extra hochdrehen lassen, damit vielleicht mal ein paar junge Damen auf eine ‚dumme‘ Idee kommen!“, meinte ein Arzt, ich glaube Farin, breit grinsend. Genau in dem Moment streifte sich ein Mädchen neben mir ihr T-Shirt über den Kopf, weil die Hitze in der Konzerthalle echt zu krass war. Sie hatte zwar noch ein Top drunter, aber im Prinzip war sie ja wirklich auf diese ‚dumme‘ Idee gekommen.
„Tja, das nennt sich dann wohl Timing!“, rief Bela B. lachend. Lachen und Pfiffe aus dem Publikum folgten und schon setzten die Ärzte zu einem neuen Song an.
„Ah! Schau mich an. Ich bin der Mann, der alles kann. Hör mir zu, ich bin tausendmal besser. Tausendmal besser als du!
[…]Unbeschreiblich, kaum zu glauben, nicht zu fassen. In Deiner Phantasie scheinst Du der Größte zu sein. Immer höher, immer weiter, immer lauter, immer besser, immer wenn ich gerade gehen will, fällt Dir noch einer ein.“

Dieser Song war einer meiner wenigen Lieblinge von den kreativen Ausgeburten der Ärzte. Deshalb grölte ich auch so laut wie möglich mit. Christoph ebenso. Na ja und Sven… der schien sich etwas angesprochen zu fühlen und tat demonstrativ beleidigt. Jedenfalls für eine Minute, dann hüpfte auch er mit.
Ein paar Songs später wurde einer mit den Worten „Und nun ein Song für die Liebenden unter euch!“ angekündigt.
„Doch plötzlich stehst du auf und du willst gehn. Bitte geh noch nicht. Ich weiß es ist schon spät. Ich will dir noch was sagen, ich weiß nur nicht wie es geht.
[…] Bleib noch ein bisschen hier, bitte geh noch nicht, was ich versuche dir zu sagen ist "ICH LIEBE DICH!"“

Wieder konnte ich es nicht lassen mitzugrölen. Christoph, Sven und ich waren inzwischen allerdings weiter nach hinten gegangen. Um einen jungen Kerl ungefähr in meinem Alter drängten sich die Leute auseinander und ließen eine Art großes „Loch“ für ihn. Der Typ begann daraufhin wie ein Irrer im Kreis zu springen und nach und nach kamen immer mehr dazu. Ich ließ es mir natürlich auch nicht nehmen.
Es ließ sich nicht vermeiden, dass man immer wieder gegen jemanden sprang oder wen anrempelte. Aber so machte es doch erst so richtig Bock!
Mir fiel erst später auf, dass ich das einzige Mädchen unter den wild herumhüpfenden Jungs war. Na ja, umso besser.
Gegen Ende des Songs lösten wir uns auf und standen wieder ganz normal unter den Fans.

Farin demonstrierte eine Kung-Fu-Position (glaube ich) namens Kranich, die das Publikum während der Strophen und der Solos nachahmen sollte. Während der Strophen wurden wir dazu aufgerufen ausgezogene T-Shirts und ähnliches in der Luft herumzuschleudern.
Dann setzten die Ärzte zu ihrem nächsten Song an.
„Ich ging spazieren im Wald, ich musste einfach hinaus. Da sah ich ein Stück Holz, das sah heilig aus. Also steckte ich es ein, nahm es mit nach Haus und da schnitzte ich mir einen Gott daraus.
[…] Dann hab ich meinen Gott ins Regal gestellt, da hat er einen schönen Ausblick über die Welt. Und solang er nichts verspricht, was er später nicht hält, muss ich sagen, dass mir Gott ziemlich gut gefällt. Wenn auch andere behaupten, das wäre nicht normal, ich habe einen Gott bei mir im Regal!“

Alle waren sofort begeistert dabei. Von oben musste das schon SEHR geil ausgesehen haben

FLASHBACK ENDE

Ja… Das Konzert war schon relativ extrem geil!


Am nächsten Tag waren wir mit Flo, Christoph, Matt, Basti, Alex und Noah im Freibad. Auch nichts Großartiges. Nur viele kreischende Kiddies samt nervigen Muttis.

Am Tag darauf feierten wir Noahs Geburtstag mit einer ähnlich riesigen Grillfete wie an Svens großem Tag. Nach der Feier waren Flo und Matt zurück nach Bad Grünau gefahren.

Der nächste Tag war für eine Motorradtour mit Noah reserviert (Sven ging lieber ins Fitnessstudio und die anderen hatten keinen Bock). Am Abend war ich noch mit Noah, Basti, Alex und Christoph in eine Disco gegangen. Sven war zu erledigt gewesen und war daheim geblieben.

Am nächsten Tag schmiss Adam noch eine Art Abschiedsfeier für uns.

Am darauffolgenden Tag traten wir allesamt die Heimreise an. Komischerweise blieb Chucky in Österreich bei Juliet bis Svens Eltern wieder da waren. Das musste man wohl nicht verstehen…
Basti, Alex und Christoph fuhren mit der Bahn heim, Sven mit seinem vollbepackten Skoda und Noah und ich mit unseren Motorrädern. Was hatte ich dieses Gefühl von Freiheit vermisst.
Mein Traum war es ja, irgendwann mal die Route66 zu fahren. Musste bestimmt der reinste Wahnsinn sein.


Es dauerte genau wie letztes Mal knapp sechs Stunden bis wir wieder daheim waren. Noah und ich kamen zeitgleich an, Sven ne gute Viertelstunde später. Er hatte an einer Tanke Rast gemacht, weil er noch was essen wollte.
Als er sich dann endlich eingefunden hatte, halfen Noah und ich ihm, sein Gepäck nach oben in seine Wohnung zu bringen. Anschließend musste ich mich von Noah zu meiner alten Wohnung kutschieren lassen um mein Auto abzuholen.


Kaum hatte er mich abgesetzt, verabschiedete er sich auch schon wieder. Er hatte Christoph wohl versprochen, ihn nochmal zu besuchen. War wohl wenig los in der Bar an diesem schönen Sonntagmittag.
Vor der Haustür parkte ein Möbellaster. Sarah verschwand gerade mit einem nicht gerade schwer aussehenden Karton im Haus. Überhaupt war mir trotz der kurzen Zeitspanne in der ich sie eben gesehen hatte aufgefallen, dass sie sich nicht mehr so schlampig kleidete wie noch wenige Wochen zuvor. Zwar sah sie noch immer aufreizender aus als die breite Masse, aber weit und breit keine High Heels, kein Miniröckchen und von bauchfrei war auch keine Spur.
Vielleicht übte Olli ja einen guten Einfluss auf sie aus. Wer wusste das schon…?

Apropos Olli. Dem lief ich geradewegs in die Arme. Wortwörtlich. Er schlenderte gerade aus der Tür und war sichtlich auf dem Weg zum Möbellaster.
Ich umarmte ihn kurz (wo zur Hölle hatte ich mir das bitte angewöhnt?! War ja fast schon peinlich!) und fragte ihn, wie es ihm in den letzten Tagen so ergangen war.
„Gut!“, antwortete er. „Na ja, mehr oder minder. Umzugshilfe ist nicht gerade mein neues Lieblingshobby. Deine Sachen stehen übrigens bei mir in der Garage. Du weißt, wo der Zweitschlüssel ist?“ Ich nickte.
„Danke Olli, du bist echt n Held!“, antwortete ich erleichtert. Auf meinen Bruder war eben Verlass! „Sag mal, weiß Sarah eigentlich, dass ich deine Schwester bin?“ Ich stellte diese Frage nur zur Sicherheit. Wenn sie das nicht wusste, könnte es möglicherweise zu Missverständnissen kommen.
Gut, wir waren zwar jahrelang in einer Klasse bzw. auch zusammen in einigen Kursen gewesen, aber weder hatte sie sich je mit meiner Familie befasst, noch ich mich mit ihrer. Na ja, und Hofmanns gab es viele. Von daher musste zwischen mir und Olli rein hypothetisch keine Verbindung bestehen. Zumindest keine familiäre.
„Nee, ich glaub sie hat keine Ahnung“, antwortete er etwas nachdenklich. Vermutlich dieselben Gedankengänge wie meine. Oder auch nicht. „Was hast du jetzt eigentlich wegen der Geschichte mit Sven vor?“ Na toll! Ich schluckte.
„Ich weiß nicht. Mal sehen, ist ja noch Zeit!“ Ich hatte echt keine Ahnung. Gut, ich hatte ihn geküsst. Mehrmals. Viele Male. Aber mehr war da (noch) nicht. Und irgendwie war er ja auch wirklich ne männliche Schlampe. Ich wollte gar nicht wissen, wie viele er schon… na ja… gevögelt hatte.
„Na wenn du meinst“, sagte Bruderherz lachend und legte eine Hand auf meine Schulter ehe er kurzzeitig ernst wurde. „Das packst du schon, Kleines!“
Er zwinkerte mir zu.

Ausgerechnet in diesem Moment stürmte Sarah auf uns zu und schmiss sich meinem Bruder an den Hals. Wortwörtlich!
„Schatz!“, jammerte sie langgezogen. „Was willst du den von der da? Ich brauch wirklich deine Hilfe, die Kartons sind viel zu schwer!“ Sie schaute ihn mit Dackelblick an und schob die Unterlippe vor. Genervt verdrehte ich die Augen.
„Mensch Sarah! Die da hat auch nen Namen. Der Abiturientin mit ach so viel Potential hätte ich wirklich zugetraut sich einen einzigen Namen zu merken!“, meinte ich breit grinsend und zwinkerte Olli möglichst unauffällig zu.
„Na ja, weißt du, Namen von unwichtigen Personen merke ich mir nun mal nicht“, antwortete sie schnippisch.
„Eine Ausrede für dein fehlendes Gedächtnis? Ich find‘s sehr süß, dass du versuchst dich damit herauszureden. Allerdings tut es mir auch leid für deinen Freund,-“  (…dass er sich mit so einer hirnamputierten Tusse rumschlagen muss) Und wie gehabt unterbrach sie mich. Das hatte sie früher schon immer gebracht. Echt ätzend.
„Dir braucht gar nichts leidtun! Verzieh dich einfach und lass uns in Ruhe!“ Ich hätte schwören können, dass sie in Gedanken noch so etwas wie „Schlampe!“ oder „Bitch!“ eingefügt hatte.
„Tut mir leid, aber ich werde wohl auch ein Recht dazu haben-“ (…mich mit meinem eigenen Bruder zu unterhalten!) Und schon wieder unterbrach sie mich! Boah, dieses Mädchen regte mich echt auf.
„Mag sein, aber das grenzt inzwischen schon an Stalking. Du klebst ja förmlich an Oliver!“, warf sie mir allen Ernstes vor. Was hätte ich während des Sommers denn bitte machen sollen? Ich meine, bevor ich in meiner Bude versauere, geh ich doch lieber mit meinem Bruder ins Freibad!
„Ach Mädchen… Tust du nur so blöd oder bist du’s wirklich?“, stellte ich eine rhetorische Frage ehe ich mich umdrehte, per Fernbedienung meinen BMW auf und stieg ein. Die Musik drehte ich voll auf, ehe ich den Motor startete und in Richtung Ollis Wohnung fuhr.
Ich tippte Svens Nummer in mein Handy, ließ es wählen und befestigte es dann am Armaturenbrett. Freisprechanlagen waren schon was Tolles.

„Neumann?“, meldete er sich nur wenige Augenblicke später.
„Servus Neussi. Mach dich mal auf den Weg zu Ollis Bude. Bräuchte deine Hilfe“, wies ich ihn knapp an. Wie immer war ich extrem gesprächig. Um ehrlich zu sein hasste ich Telefonate. Ich war definitiv jemand, der den Leuten direkt ins Gesicht sah, wenn ich mit ihnen redete.
„Geht klar. Bin in zwanzig Minuten da“, antwortete er und am anderen Ende der Leitung ertönte ein Klacken. Sven hatte aufgelegt. Umso besser!
Wobei… Mir fiel gerade auf, dass wir noch nicht geregelt hatten, wie wir meinen Kram in seiner Wohnung unterbringen sollten, geschweige denn, wo Sam und ich überhaupt schlafen sollten.

Moment mal. Sam? Sam!
Ohne zu zögern tippte ich Michaels Handynummer ein. War billiger als Festnetz. Und ja, ich hatte ein Talent dafür mir Telefonnummern sowie PIN-Nummern zu merken. Keine Ahnung, woher das kam. Ne besondere Technik hatte ich nämlich auch nicht.
„Jo?“, meldete Michael sich.
„Moin, Christin hier. Könnte ich Sam bei euch abholen?“
„Jetzt?“
„Nicht direkt jetzt, aber bald. Auf jeden Fall heute noch. Je nachdem, wie schnell wir fertig werden“, erklärte ich kurz. Michael lachte auf.
„Präzise wie eh und je. Wir sind aber erst heut Abend gegen zehn daheim. Früher wird’s nix.“
„Kein Thema. Danke!“, rief ich überschwänglich.
„Schon gut“, meinte er lachend. Schon klackte es und der Anruf war beendet.
Na wenigstens war das jetzt auch geklärt.

Mehr oder weniger.

Chrissy's Idol

Meine Sachen waren schnell verladen. Aus Svens Skoda konnte man wesentlich mehr Stauraum herausholen als ich gedacht hatte. Dasselbe galt auf für meinen BMW. Wobei man dazusagen musste, dass ich wirklich nicht viel Kram hatte.
Wieder in meinem neuen Zuhause (wie das schon klang!) angekommen war alles auch relativ schnell nach oben getragen. Sven war ziemlich müde, ich hingegen voller Tatendrang.

Deswegen rief ich spontan im Penalty an, während Sven sich zum Pennen auf die Couch legte.
„Bistro Penalty, guten Tag. Wie kann ich Ihnen helfen?“, meldete sich Christophs Vater am Telefon.
„Hallo Herr Reitz, Christin Hofmann hier. Ist Christoph zufällig in der Nähe?“, fragte ich bemüht freundlich. Um ehrlich zu sein hatte ich schlicht und ergreifend keinen blassen Schimmer, ob ich Christophs Dad duzen konnte oder nicht.
„Ah, Chrissy. Wie geht’s dir? Was macht dein Vater?“, fragte Herr Reitz sofort nach. Er war schon ein netter Kerl.
„Ach ja, Christoph ist eben mit ein paar Freunden ins Waldfreibad gefahren. Und du kannst mich ruhig duzen“, fügte er noch schnell hinzu. Damit wäre diese Frage wohl auch geklärt!
„Danke für die Info, Joachim. Mir geht’s gut, bin halt gerade im Umzugsstress. Paps müsste gerade mit Weib im Urlaub sein“, erzählte ich leicht gelangweilt. Kam halt davon, wenn man absolut nichts zu tun hatte.
„Du ziehst um? Warum das denn?“, hakte Christophs Dad nach.
„Hat Christoph noch nichts erzählt? Mein Vermieter ist gestorben und seine Enkelin, Sarah, die das Haus geerbt hat, hat mich rausgeworfen“, erklärte ich wie schon so oft in letzter Zeit. War wohl auch langsam an der Zeit, dass ich mal meine neue Adresse durchgab… Vorzeitige Adresse natürlich!
„Sarah? Die Kleine von deinem Bruder?“ Joachim lachte auf. „Wo kommst du jetzt unter?“
„Bei Sven. Aber nur solange ich noch nichts Neues gefunden habe.“ Jaja, Smalltalk war schon was Tolles.
„Was wird aus deiner Mitbewohnerin?“
„Wohnt wieder in Schweden. Und überhaupt, wie geht’s euch denn so? Was macht das Knie?“, fragte ich drauf los. Na ja, wenn ich schon dabei war, konnte ich mich auch nach seinem Befinden erkundigen.
„Ach, passt schon. Solange es nich schlimmer wird, mach ich garantiert nichts, glaub mir. Bereitet nur unnötigen Stress“, antwortete er. Er war genauso wie mein Vater ein notorischer Krankenhaus-Hasser.
„Wart aber nicht allzu lang. Du weißt wie das ausgehen kann“, meinte ich noch, ehe Joachim genervt seufzte.
„Jaja, weiß ich. Das musste ich mir immerhin schon oft genug anhören“, antwortete er. „Aber ich will dich mal nicht länger aufhalten. Viel Spaß noch!“
„Dankeschön. Gib Bescheid, wenn ich mal im Penalty aushelfen kann“, bat ich. Ich hatte schon im Teenageralter immer wieder gerne dort ausgeholfen. Man lernte dort nämlich immer wieder jede Menge cooler Leute kennen.
„Dann kann ich dich ja gerade anhauen. Am 29. Fahren die Jungs ja ins Trainingslager und Jessica, meine Barfrau, ist momentan im Urlaub. Also bleibt mir nur noch Claire. Allein kann sie den Laden aber nicht schmeißen, und ich krieg das auch nicht mehr hin“, erklärte er.
„Über welchen Zeitraum denn?“, hakte ich nach. Am 3. des nächsten Monats würde ich nämlich (endlich!) meine neue Stelle antreten. Eigentlich ja schon am 1. September, aber erste Montag dieses Monats war nun mal der 3., weshalb es eben auf diesen Tag verlegt wurde. Joachim schien jedenfalls kurz zu überlegen.
„Soweit ich weiß ist Jess nächsten Sonntag wieder da. Könntest du mir also von Freitag bis Sonntag aushelfen?“
„Ja, das geht klar. Ich freu mich, wenn ich helfen kann! Mach’s gut!“
„Danke dir, Christin. Tschüss!“, verabschiedete er sich und schon war ein Klacken zu hören. Aufgelegt.
Warum legte eigentlich jeder vor mir auf?

Ich durchwühlte meine Kartons mach meinem Zweiteiler und zwei Handtüchern. Sonnencreme klaute ich mir aus Svens Badezimmerschrank. Den ganzen Kram warf ich in einen Rucksack, den ich mir ebenfalls von Sven nahm, weil ich zu faul war, in den Kisten nach meinem zu suchen. Würde schon in Ordnung gehen.

Schon war ich startklar und rannte die Treppe hinunter, startete mein Motorrad (ich liebte es noch immer, MEIN Motorrad zu sagen. In meinen Ohren klang das wie Musik!) und fuhr auf dem schnellsten Weg in die Nachbarstadt. Dort gab es so ziemlich das geilste Freibad, das ich kannte (und das in meiner Nähe war): drei Becken (+ein Kinderbecken); zwei Sprungtürme bis zu fünf Metern; drei riesige Liegewiesen, die dank den umherstehenden Bäumen nie zu sonnenbeschienen waren; zwei Beachvolleyballfelder; zwei Rutschen (WAH!), sowie ein kleines Bistro.
Das Waldfreibad war wie immer extrem gut besucht, aber im Inneren fiel das aufgrund dessen Größe eh niemandem auf.
Kaum war ich drin, kam mir der Gedanke, ob es in Ordnung, war, Christoph zu folgen, ohne dass er informiert war. War das nicht eigentlich so was wie Stalking?
Aber im Prinzip war das jetzt auch egal. Ich meine, ich hatte nicht umsonst den phänomenalen Eintrittspreis von zwei ganzen Euro bezahlt, okay?!

Ich verschwand in einer der Umkleidekabinen direkt neben dem Eingang und marschierte dann einen gefühlten halben Kilometer zur mittleren Liegewiese. Sie befand sich direkt neben den Beachvolleyballfeldern und unterhalb von zwei Schwimmbecken.
Die obere Liegewiese begann knappe zehn Meter nach dem Eingang. Dort lagen meist nur diese Muttis mit ihren plärrenden Plagegeistern von Kindern.
Auf der unteren Liegewiese, die quasi nur durch einen Weg und das Bistro von der mittleren getrennt wurde, befanden sich meist die, die eigentlich nicht schwimmen, sondern sonnenbaden wollten. Sollte mir recht sein…
Ziemlich in der Nähe der Beachvolleyballer breitete ich mein Handtuch aus und cremte mich vorsichtshalber gleich ein. Ein bisschen Vorsicht konnte ja nie schaden…
Das Dumme war jetzt allerdings, dass ich nicht gleich ins Wasser hüpfen konnte, was ich nur zu gerne getan hätte. Unter meiner Motorradmontur hatte ich nämlich geschwitzt wie Sau. Bei 34° half dann nämlich auch der Fahrtwind nichts mehr! Okay… unter der Montur merkte man eh nur den Widerstand, die Kühle eher weniger bis gar nicht.
Auf dem Volleyballfeld ungefähr 15 Meter neben mir tat sich dafür eine ganze Menge.
Nein, mir ging es nicht um die jungen Kerle mit strahlenden Augen, dem umwerfenden Lächeln und den Sixpacks (nein, kein Bier weit und breit!). Es war Volleyball!
Gut, ich war nicht die beste Volleyballerin weit und breit, aber wenigstens bekam ich den Ball übers Netz und das war doch definitiv schon mal etwas!
Ehe ich mich versah schoss auch schon ein verfehlter Ball auf mich zu. Einfach zurückbaggern, Christin. Das haben wir damals in der Schule doch schon stundenlang geübt. Und… SUCCESS!

Der Typ, der dem Ball ein Stück weit hinterhergerannt war grinste mich an. Sah ich vielleicht irgendwie doof aus? Verdattert schaute ich am mir runter:
Blaue Badeshorts, die ungefähr bis zur Mitte der Oberschenkel reichten sowie ein schwarzes Bikinioberteil (ohne Schnürung im Nacken und am Rücken, sondern aufgebaut wie ne Art Sport-BH. Diese Bänder gehen einem beim Schwimmen eh nur auf die Eier …stöcke!)
„Hab ich was im Gesicht, oder warum grinst du so?“, rief ich dem Typen ebenfalls grinsend zu. Immer schön auf freundliche Körpersprache achten, um nicht dreist zu wirken!
„Nö, gar nicht. Aber haste nicht Bock mitzuspielen? Der Tom kann ohnehin nicht mehr lang“, plärrte er zurück und deutete lässig auf einen seiner Mitspieler.
„Aber immer doch!“ Ich war sofort begeistert dabei. Den Spaß würde ich mir keinesfalls nehmen lassen, selbst wenn’s zur Blamage führen würde.
„Super!“, freute er sich und reichte mir die Hand. Hatte gar nicht bemerkt, dass der Typ in Reichweite gekommen war. Musste wohl ein Ninja oder so sein. Irgendwie war der ja schon ein ziemlich dreister Depp, wenn man es mal so betrachtete.
Ich meine, einfach mal ein fremdes Mädchen zum Mitspielen auffordern und den (augenscheinlichen) Kumpel aus dem Team werfen…
„Ich bin Nick“, stellte er sich vor. Ich lächelte.
„Christin“, stellte ich mich nun ebenfalls vor. „Was ist, legen wir los?“ Ja, ich konnte es echt kaum noch erwarten. Blöde überschüssige Energie.

Schon wenige Augenblicke später stand ich mit drei Jungs auf dem Feld und gab alles. Das war so eine meiner Macken. Sobald ich motiviert war, herrschte bei mir Tunnelblick. In diesem Modus gab ich alles für einen Sieg. Das hatte mich vor einigen Jahren auch schon mal nen Beinbruch gekostet. Aber solang es kein Halsbruch gewesen war, war’s ja gut. Und außerdem war mir das, ganz ehrlich, den Sieg wert gewesen. Ich wusste nicht genau warum, aber ich liebte das Gefühl eines Sieges; eines Triumphes.
Es kam jedenfalls immer öfter vor, dass ich Nick, der quasi in meinem Team spielte, nen High-Five verpasste. Soll heißen, wir lagen inzwischen vorn. Das aber auch nur dank Nicks Volleyballtalent. Allein wäre ich restlos verloren gewesen. Tja, so was nannte sich dann wohl Teamwork.
Während einer Pause hatten wir uns am Spielfeldrand ins Gras gehockt und hielten Smalltalk. Nichts Besonderes also. Die vier Jungs (diesen Tom jetzt miteinbezogen) waren schätzungsweise übrigens im Alter von 18 bis 21 Jahren.

Irgendwann hörte ich hinter mir eine altbekannte Stimme.
„Na sieh mal an! Wenn das nicht die Chrissy ist“, meinte der Kerl amüsiert. Ich grinste, während ich aufstand, um Christoph zu begrüßen. Als ich sah, wer neben ihm stand traf mich allerdings (mal wieder) der Schlag. Warum zur Hölle war er mit Jasper unterwegs? Ich meine, nichts für ungut, und ich fand‘s ziemlich geil, mein Idol mal wieder zu treffen, aber… hä?!
Ich glaube, das mit der Nervosität wenn ich neben Jasper stand würde ich nie ganz abstellen können, aber wen wunderte das schon? Dieser Kerl war halt ein hammermäßiger Spieler und mein langjähriger Held.
Tom schaute mich mit einem Blick aus Verwunderung, Belustigung und Ungläubigkeit an.
„Du kennst Christoph Reitz?!“, fragte er ungläubig, als er sah, wie Christoph lässig einen Arm um meine Schultern legte und zu den noch immer am Spielfeldrand sitzenden Jungs hinunterschaute. Christoph grinste triumphal. Die anderen Jungs seufzten schon genervt auf. Dieser Tom schien ein großer Fan zu sein. Na ganz toll! Das bestätigte Christoph nur mal wieder in seiner (zum Glück in letzter Zeit sehr überschaubar auftretenden) Arroganz.
„Kennen wäre wohl untertrieben“, antwortete er für mich. „Wir kennen uns schon ewig!“ Ewig?! Was ging denn jetzt ab? Seit wann waren bitte ein paar Jahre schon eine Ewigkeit?
Genervt verdrehte ich die Augen. Na das konnte ja heiter werden!
Unauffällig wand ich mich auf Christophs Arm und flüchtete an Jaspers Seite (und mit meinem auf die Schnelle zusammengegrapschten Zeug) ein Stückchen weiter in Richtung Schwimmbecken. Dort hatten sich die beiden Jungs wohl ihre Plätze reserviert. Ich legte meinen Kram dazu und sprang dann sofort ins Wasser. Ne Abkühlung konnte ich jetzt nur zu gut gebrauchen!

Jasper landete nur Augenblicke neben mir im Wasser. Gut, ich geb’s ja zu: Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich meine, das war DER… Okay, ich denke, es langt dann so langsam mal. Wahrscheinlich wird euch inzwischen bekannt sein, wer das war. Nachdem ich es so verdammt oft wiederholt habe…
Jasper tauchte auf, strich sich die Haare, die ihm im Gesicht klebten, nach hinten und grinste mich breit an.
„Na, alles klar?“, fragte er mit einem leicht neckischen Unterton. Ich nickte wie paralysiert.
„Du hast schon irgendwie einen Knall, oder?“, fragte er wieder neckisch und wieder folgte ein geistesabwesendes Nicken meinerseits. Jasper schloss die Augen, atmete tief ein und stieß die eben eingeatmete Luft lautstark wieder aus. Langsam näherte sich seine Hand meinem Kopf.
Und verpasste mir einen Schlag auf den hinteren Teil von eben diesem.
Mit einem unterdrückten Aufschrei stürzte ich mich auf ihn und versuchte ihn quasi zur Strafe unter Wasser zu drücken. Ein absoluter Fail! Stattdessen hing ich am Ende wie ein nasser Sack an seinem Hals, während er sich einen Ast ablachte.
„Na? Wieder normal?“, fragte er. Ich zog meine Hände aus seinem Nacken zurück und ließ mich ins Wasser gleiten.
„Ja, alles super“, antwortete ich endlich wieder normal. Sichtlich erleichtert klopfte Jasper mir auf die Schulter. OH MEIN GOTT, ER HAT MICH BERÜHRT! Okay, nein, Schluss mit dem Scheiß. Man kann’s auch übertreiben.


„Und, hast du’s dir überlegt?“, fragte er irgendwann, während wir nebeneinander Bahnen schwammen, wobei er sich noch ziemlich zurückzuhalten schien.
„Hä? Was meinst’n?“, antwortete ich leicht dümmlich.
„Na das mit dem Eislaufen. Soll ich’s dir beibringen, oder hat Sven das schon geschafft?“, erklärte er nachträglich.
„Ach so, das! Na ja, Sven hat keine schlechte Arbeit geleistet. Immerhin komm ich inzwischen vorwärts, aber das war’s dann auch schon. Großartige Kurven fahren geht noch nicht“, erzählte ich ihm und hängte noch einen gefrusteten Seufzer dran.
„Na wenn das so ist, fangen wir am besten gleich morgen an, hm?“, meinte er leise lachend.
„Wirklich? Das wär echt super nett von dir!“, rief ich vor Begeisterung. Gut, das war vielleicht etwas übertrieben, aber hey! Ich hatte jetzt quasi zwei Personal-Iceskating-Trainer. War doch was Tolles, oder?
„Aber…“, fing ich an. „Gibt’s denn überhaupt schon Eis?“ Für gewöhnlich war es nämlich so, dass in Bad Grünau im Vergleich zu anderen Standorten erst sehr spät, meist erst Mitte September öffentlicher Lauf stattfand. Eis gab’s zwar auch schon früher, aber halt nicht für andere als die ansässigen Vereine. Warum auch immer…
„Ja, seit Freitag. Und mit mir kommst du bestimmt auch so rein“, antwortete er und zwinkerte mir zu, als hätte er meine Gedanken gelesen.
„Danke Jasper“, meinte ich. „Du hast echt was gut bei mir.“


Stunden später kletterten wir aus dem Schwimmbecken. Während Jasper und Christoph, der sich vorhin wieder zu uns gesellt hatte, zurück zu unserem Platz marschierten, wollte ich mich endlich mal meiner Angst stellen.
Ehe ich mich versah hatte ich auch schon die Stufen zur Wasserrutsche erklommen. Ich stand ganz allein dort oben. Angst machte sich in mir breit. Klar, ich wusste, dass das schwachsinnig war, aber… Es machte mir halt Angst, okay?!
Mit zitternden Beinen kniete ich mich ans obere Ende der Rutsche. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Also, jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich meine, wenn ich jetzt das tun würde, was ich wollte, würde ich zum Gespött des Freibads werden. Ich wollte jetzt mehr als alles andere aufspringen und wieder zurück auf den festen Boden. Aber wie würde das denn bitte aussehen?
Ich kniete noch immer dort und spürte das Wasser an meinen Knien entlangfließen, als ich meine Augen wieder öffnete. Meine Hände, mit denen ich mich an der Metallstange über mir festhielt, schienen sich zu verkrampfen.
Ich schaute mich um und sah Flo auf der anderen Seite des Beckens stehen. Er winkte mir lächelnd zu. Okay, jetzt ging es wirklich nicht mehr anders. Ein letztes Mal atmete ich tief durch.
Christin Hofmann, du schwingst jetzt verdammt nochmal deinen scheiß geilen Arsch diese scheiß Wasserrutsche runter!
Und dann wagte ich mich tatsächlich. Auf den Knien rutschte ich dieses Monsterteil von einer Wasserrutsche hinunter. Schneller als ich gedacht hätte, war ich unten im Becken angekommen. Ich stieß mich am Boden ab, um möglichst schnell wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen. Kaum war ich wieder aufgetaucht, kraulte ich auf Flo zu, der sich inzwischen an den Beckenrand gehockt hatte.
Ich stützte mich am Beckenrand auf und ließ mich dann von Flo nach oben ziehen. Wie für Flo typisch zerquetschte er mir dabei fast die Hand. Vollspacko!
„Na Chrissy, wie kommt’s, dass du dich jetzt auf einmal auch traust, allein zu rutschen?“, fragte er mich auf dem Weg zu meinem Platz bei Christoph und Jasper. Flo war ebenfalls den halben Tag hier gewesen und hatte eigentlich gerade gehen wollen. Na ja, das war halt der Nachteil an solchen Schwimmbädern. Man fand keine Sau, die man kannte!
„Keine Ahnung. Hat mich halt so überkommen“, antwortete ich wahrheitsgemäß.



Ungefähr eine halbe Stunde später war ich wieder daheim. Alles was ich wollte, war duschen und dann neben Sven einschlafen. Okay, normalerweise war ich wirklich nicht so der Typ für so einen kitschigen Scheiß, aber bei Sven… Da war ich anders. Mädchenhafter.
Ich beschloss, sofort duschen zu gehen.
Anschließend war ich sofort wieder auf dem Sprung in Richtung Frankfurt. Länger hielt ich es ohnehin nicht mehr ohne Sammy aus!
Ungefähr auf halber Strecke nach Frankfurt klingelte mein Handy. Ich schaltete den CD-Player aus, aktivierte die Freisprechanlage und meldete mich mit „Servus!“ am Telefon.
Seit Österreich liebte ich dieses Wort über alles. Und allgemein den Dialekt der Ösis (nein, das ist wirklich nicht bös gemeint) fand ich richtig, richtig geil. Während der letzten Tage in Salzburg hatte ich immer wieder versucht, ihn mir wenigstens ein kleines bisschen anzueignen.

„Hallo, hier ist Sarah, die Freundin von deinem Bruder Oliver. Er hat vorgeschlagen, dass wir uns vielleicht mal treffen könnten, da wir doch in nächster Zeit wahrscheinlich sehr viel miteinander zu tun haben werden“, plapperte dieses Mädchen gleich drauflos.
„Ähm… Sag mal, weißt du überhaupt wer ich bin?“, hakte ich nach. Selbstverständlich konnte ich mir ein fieses Grinsen nicht verkneifen.
„Natürlich. Du bist die kleine Schwester meines Freundes“, empörte sie sich (wirklich nur ganz) leicht. „Oder?“ Dieses Anhängsel ließ verlauten, dass sie doch ziemlich verunsichert war. Ich grinste noch breiter.
„Ja schon, aber ich meinte eher, ob dir Oliver meinen Namen mitgeteilt hat, damit du wenigstens weißt, mit wem du hier genau redest“, erklärte ich freundlich, wobei ich eigentlich lieber hätte kotzen wollen. So viel Nettigkeit tat mir definitiv nicht gut! Sarah zögerte jedenfalls einige Augenblicke.
„Nein. Nein, um ehrlich zu sein hat er das nicht. Aber das ändert ja nichts daran, dass ich mich nicht gern mal mit dir treffen möchte“, meinte sie beschwichtigend.
„Okay, gerne. Wann wäre es dir denn recht?“, fragte ich und verspürte den Drang, mich selbst zu Ohrfeigen. Himmel, das war Sarah! Das Mädchen, das mich schon seit Beginn der Oberstufe fertigmachte!
„Wie wäre es denn mit gleich morgen? Kennst du das Jagdhaus in Bad Grünau? Es liegt ganz in der Nähe des Kurparks. Wie wäre es denn, wenn wir uns dort morgen so gegen zwei Uhr treffen?“, plapperte dieses Mädchen schon wieder schier unaufhörlich. So langsam bekam ich echt Aggressionen. Gut, das war vielleicht ungerechtfertigt, aber ich wollte echt nicht wissen, wie sie mit mir reden würde, wenn sie wüsste wer ich war!
„Hört sich gut an. Ich muss Schluss machen, tut mir leid. Ich habe jetzt noch einen wichtigen Termin. Bis morgen dann, Sarah“, verabschiedete ich mich zuckersüß (kotz!) ehe ich auflegte. Ich verspürte den dumpfen Drang, meinen Kopf gegen das Lenkrad zu schlagen.
Warum, Gott, warum muss mein Bruderherz ausgerechnet mit dieser hohlen Tussi zusammen sein?!


Nur wenige Minuten später hatte ich vor Michaels und Frankas Wohnhaus einen Parkplatz gefunden und marschierte nun geradewegs zu ihrer Wohnung. Die Tür öffnete sich schon, als ich noch meterweit entfernt war. Mein Neffe stürmte mir mit geöffneten Armen entgegen. Reflexartig kniete ich mich auf den Boden und ließ mich von ihm halb erdrücken.
„Tante Chrissy!“, plärrte er und umarmte mich. Genau wie früher, als er noch um Einiges leichter gewesen war, ließ ich ihn auf meine Schultern klettern, stand auf und marschierte dann weiter zu meiner großen Schwester, die schon lächelnd im Türrahmen stand. Ich umarmte sie, ermahnte Marco, er solle den Kopf einziehen und trat dann in die Wohnung.
Michael kniete neben Sam im Flur und hielt ihn am Halsband fest. Der ganze Hund wackelte schon wie verrückt.
„Geht doch schon mal ins Wohnzimmer“, meinte Franka. „Ich komme gleich nach.“ Wie aufs Stichwort trabte ich noch immer mit dem jubilierenden Marco auf den Schultern ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch fallen, sodass er herunterklettern konnte.
Michael schlenderte nun ebenfalls hinterher. Allerdings bekam ich nicht allzu viel davon mit, denn Sam war schon neben mich gesprungen und leckte mir übers Gesicht. Kaum zu glauben, wie sehr ich dieses zottelige Viech namens Hund vermisst hatte!
Nachdem Sam, sich wieder beruhigt hatte und nun einigermaßen ruhig neben mir lag und sich den Bauch kraulen ließ, unterhielt ich mich mit Micheal. Marco saß auf dem Teppich und spielte mit Playmobil.
„Habt ihr, du und Sven, nicht Lust übermorgen mal vorbeizuschauen?“, fragte er irgendwann mitten in der Unterhaltung. Franka war im Übrigen noch immer nicht wieder bei uns.
„Ich auf jeden Fall, was Sven angeht, werde ich nochmal mit ihm reden. Aber du hast nicht das ganze Team eingeladen, oder?“, fragte ich grinsend. Verlegen kratzte der Freund meiner Schwester sich am Hinterkopf.
„Ach was, nur ein paar“, antwortete er grinsend.
„Sprich!“, forderte ich ihn auf und nickte ihm zu. Er seufzte.
„Daniel, Achim, Steffen, Oliver und Tim“, meinte er, woraufhin ich ihn leicht verwundert anstarrte.
„Na ja, und Sven halt“, fügte er hinzu.
„Moment mal“, machte ich. „Tim? Tim Bruckner?“ Tim war… na ja, Tim hatte ich schon seit Jahren nicht gesehen. Vielleicht erinnert ihr euch noch an diese Story von Alinas großem Schwarm von vor etlichen Jahren. Nein, Tim war nicht Alinas großer Held gewesen.
Sondern meiner! Na ja, und nun war er zurück! Zurück bei den Bad Grünau Hunters! Endlich!

Soweit ich wusste, musste der jetzt um die 27 Jahre alt sein. Wie auch immer, auf jeden Fall war er ganze acht Jahre älter als ich.
Michael grinste mich breit an und trank einen Schluck aus dem Wasserglas, das vor ihm auf Frankas „heiligem“ Glastisch stand.
„Ja, Sniper-Tim“, bestätigte er. Sniper…  Das hatte ich schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr gehört. So hatte man ihn früher immer genannt bzw. man tat es wahrscheinlich immer noch. Er hatte nämlich die Treffsicherheit eines Scharfschützen gehabt. Jedenfalls ungefähr. Auf jeden Fall war er ein hammermäßiger Spieler gewesen.
Konnte auch gut sein, dass mir mein nur ansatzweise(!) in Tim verschossener, blauäugiger, 13-jähriger Verstand einen Streich gespielt hatte. Sollte ja schon mal vorgekommen sein…

Jedenfalls kam dann schlussendlich auch Franka zu uns. Wie von ihr nicht anders gewohnt setzte sie sich dicht zu Michael und lehnte sich an ihn. Ja, die beiden waren schon ein süßes Paar. Und das aus meinem Mund! Das sollte schon was heißen!
„Ich glaube, ich sollte dann mal gehen“, meinte ich irgendwann. „Morgen steht ne Menge an.“ Franka stand auf und umarmte mich, während Marco auf mich zugestürzt kam und mein Bein umklammerte.
„Mach’s gut, mein Schatz“, nuschelte Franka in meine Halsbeuge. Warum? Ganz einfach. Wie schon zuhauf erwähnt hasste mich meine Mutter. Franka stellte also schon immer so was wie eine Ersatzmutter für mich dar.

Warum mich meine Mutter hasste, sollte ich vielleicht auch langsam mal klarstellen:
Zu allererst war ich kein Wunschkind. Dazu kam dann auch noch, dass ich im Verlauf meiner Kindheit weder zur Einserschülerin so wie Franka, noch zum Spitzensportler so wie Olli wurde. Ich hatte also nichts vorzuweisen, mit dem meine Mutter hätte vor ihren schnatternden Freundinnen angeben können. Zudem wurde ich rebellisch, sobald ich in die Pubertät kam. Vorher hatte ich immer alles brav hingenommen. Beschimpfungen und so weiter…
Dann hab ich aber angefangen mich zu wehren. Zwar nur verbal und nicht physisch, aber das war eigentlich egal. Die vorhergehenden drei Dinge waren für meine Mutter der Startschuss zum Hass mir gegenüber. Hab ich bis heute nicht verstanden, aber was soll’s.


Zuhause angekommen stand Sven schon im Haustürrahmen des Wohnhauses. Er grinste mich schief an, als ich aus meinem Auto stieg. Sammy rannte lautstark bellend auf ihn zu und setzte sich dann ganz brav guckend vor ihn hin Sven ging vor Sam in die Hocke und streichelte ihm über den Kopf, was Sam dazu veranlasste ihm quer übers Gesicht zu lecken.
Ich schloss im Gehen meinen Wagen per Funk zu und wurde daraufhin von Sven umarmt. Stocksteif stand ich da und ließ ihn machen. Ich hatte mich noch immer nicht so recht daran gewöhnt, dass er plötzlich so mit mir umging. Das passte einfach nicht zu ihm. Er war schon immer eher der Typ gewesen, der ununterbrochen saudoofe Witze riss, irgendwelche Spitznamen verteilte und nie ernst sein konnte.
Ich meine, im Prinzip hatte sich zwischen uns ja nichts geändert. Wir wohnten doch auch nur wegen dieser Scheiße mit meinem Rauswurf zusammen. Und eine im Suff genuschelte Liebeserklärung hatte einen Scheißdreck zu heißen und überhaupt, was sollten ein, zwei Knutschereien denn schon zu heißen haben? Immerhin waren wir weder zusammen, noch gab es zwischen uns eine sonstige liebestechnische Verbindung, oder?
Oder?

Mir war allerdings aufgefallen, dass die gesamte Zeit ohne Svens Gesellschaft stinklangweilig gewesen war. Gut, der Teil im Schwimmbad vielleicht nicht, aber ansonsten…
„Du, Sven?“, fragte ich irgendwann, als wir am Küchentisch saßen und jeweils mit unserem Laptop hantierten. Er hatte vor, den Gutschein, den er von Flo, Matt und Noah zum Geburtstag bekommen hatte, einzulösen.
Ich hingegen stöberte im Fanforum. Soweit ich wusste fehlte uns noch ein Kontingentspieler. Jedenfalls wollte die Geschäftsführung noch einen dritten neben Jasper und Scott an Bord holen. Aber… was ich hier so las, trieb mir teilweise wirklich die Tränen in die Augen. Lachtränen, selbstverständlich.
Ich meine, Alexander Selivanov? Das wär ja ein Hammer, aber leider absolut unwahrscheinlich!
„Ja?“, grunzte Sven und schaute mich für einen Sekundenbruchteil über den Rand seines Bildschirms hinweg an.
„Michael lässt fragen, ob du Lust hättest, übermorgen bei ihm und Franka vorbeizukommen“, sagte ich ohne jegliche Spur von Emotion in meiner Stimme. Na was denn? Wenn der mich aufmerksamkeitstechnisch schon so hängen ließ, sollte es ihm auch nicht anders gehen.
„Kenn ich machen. Ist da irgendwas Besonderes?“, fragte er ohne sich von der geöffneten Website loszureißen. Darauf folgte ein leichter Schlag auf seinen Hinterkopf von meiner Seite.
„Au!“, plärrte er. „Wofür war das denn?!“ Ich grinste ihn nur blöde an.
„Geburtstag“, antwortete ich schlicht und widmete mich wieder dem Forum.


Später lag ich neben Sven in eins seiner T-Shirts gehüllt (ich war zu faul zum Auspacken meiner Sachen gewesen, zudem wusste ich auch nicht recht, wohin damit, da Svens Kleiderschrank bereits aus allen Nähten platzte) im Bett und schaute fern. Sammy hatte sich zu unseren Füßen zusammengerollt und mein Mitbewohnter hatte einen Arm um mich gelegt, da wir mal wieder einen Horrorfilm schauten.
Irgendwann wurde der mir allerdings zu blöd und vorhersehbar, sodass ich mich an Svens Brust kuschelte und wegpennte.
Kitschiger hätte es wohl nicht laufen können, oder?

What have I done to deserve this?

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lag ich noch immer genauso da wie gestern Abend als ich eingeschlafen war. Sven war wohl schon etwas länger wach und grinste mich an.
„Na, auch schon wach?“, stichelte er und setzte sich auf. Sofort saß auch Sam aufrecht auf dem Bett und starrte ihn mit großen Augen an. Ich grummelte irgendwas vor mich hin, setzte mich ebenfalls auch und streckte mich erst mal gähnend.
Kaum war Sven aufgestanden, raste Sam wie von der Tarantel gestochen aus dem Raum. Als Sven dann aber nicht hinterherkam, sondern irgendwas aus seinem Kleiderschrank holte (bzw. davorstand und sich den Kopf darüber zerbrach, was wozu passen könnte), trabte Sam locker zurück, setzte sich neben ihn und schaute vorwurfsvoll zu Sven nach oben. Dieser lachte nur und verließ dann mit einem Stapel Klamotten auf dem Arm und Sammy im Schlepptau den Raum.
Sollte das jetzt immer so laufen?
Ich krabbelte nun ebenfalls aus dem Bett und warf einen Seitenblick auf Svens Radiowecker. Schon 12 Uhr mittags?!

Unmotiviert schlurfte ich ins Bad. Okay, eigentlich rannte ich geradewegs gegen die Tür, weil Sven im Bad war. Ein frustrierter Aufschrei meinerseits folgte und ich schlenderte in die Küche, um Sam was zu Fressen zu geben. Na ja, und Wasser natürlich!
Wenigstens hatte Sven gestern Abend noch Kaffee aufgesetzt, sonst würde ich diesem „Morgen“ wohl gar nicht erst aus den Latschen kommen!
Als Sven aus dem Bad kam, hatte ich meinen Kaffee bereits ausgetrunken und stellte gerade die Tasse in die Spülmaschine. Hatte dieser Kerl jetzt wirklich ‘ne halbe Stunde im Bad verbracht?! Was hatte der bitte so lange da drin getrieben? Mit Aliens kommuniziert oder so was in der Richtung? Ich meine, geduscht hatte er schon mal nicht. So wie ich ihn kannte würde er jetzt allerdings eh zum Training fahren, von daher war es wohl auch relativ unnötig, oder?
„Was hast du heute vor?“, fragte er, während er sich Kaffee einschenkte. Ich stemmte mich währenddessen auf die Arbeitsplatte und verschränkte dann die Füße.
„Ich muss mich mit Sarah treffen“, antwortete ich und wechselte dann in einen ironischen Tonfall. „Vielen Dank auch, Olli!“
„Ah“, machte er. „Wegen zukünftiger Schwägerin und so ‘nem Scheiß?“ Ich nickte nur.
„Was treibst du heute so?“, stellte ich die Gegenfrage.
„Trainieren“, antwortete er. „Und heute Abend geht’s mit den Jungs zum Fußballgucken. Willst du mit?“ Ich schüttelte den Kopf.
„Nee, lass mal. Ich wünsch dir viel Spaß“, antwortete ich und zwinkerte ihm zu. Fußball war nicht so meins. Also, ich schaute schon mal mit oder ging mit ins Stadion, aber ich war nun absolut kein Fan oder so was in der Richtung. Mit einem Hauch von Verwirrtheit schaute er mich an.
„Wie jetzt? Kein Wo gehst du hin? Wer kommt mit? Wann bist du wieder da? Sind andere Frauen dabei?!-Gequatsche?“, hakte er etwas ungläubig nach. „Christin, du erstaunst mich immer wieder.“ Ich grinste ihn dämlich an.
„Seh ich aus wie dein Stalker, oder was?“, meinte ich lachend. Sven grinste nur und widmete sich dann seinem Kaffee.

Ich stand auf und schlenderte ins Bad. Duschen war angesagt und mal wieder rasieren konnte auch nicht schaden. Leider war ich nämlich keine dieser Mary Sues, deren Haut einwandfrei rein und eben war. Zum Glück! Ich meine, wer bitteschön wollte schon perfekt sein?
Wie auch immer…
Anschließend machte ich mich auf dem Weg zum Jagdhaus. Mit Sam selbstverständlich. Ich konnte ihn ja schlecht daheim lassen, wenn sowohl Sven als auch ich stundenlang weg waren. Jetzt musste ich nur noch schauen, wie ich das heute Abend regeln würde, wenn ich mit Jasper trainierte. Immerhin war Neussi ja auch unterwegs.
Jedenfalls joggte ich mit Sam in Richtung Jagdhaus, wobei ich quer durch die Stadt musste. Am Bahnhof vorbei, dann durch den Kurpark, ein Stückchen über die Einkaufsstraße und dann ins „Restaurantviertel“ von Bad Grünau. Restaurantviertel nannte ich das kleine Gebiet rund um den Marktplatz, da man dort neben Wohnhäusern wirklich nur Restaurants, Kneipen und Bars vorfinden konnte. Momentan befand ich mich noch im Kurpark. Und mal wieder stellte ich fest, dass es sich in Jeans nicht gut joggen ließ. Also ging ich normal weiter. Alles andere hätte keinen Taug.
Über meine Kopfhörer erklang meine die ärzte-Playlist. Im Moment hörte ich Miststück. Leise sang ich vor mich hin.
„Du hinterhältiges Miststück, du widerwärtig gehässiges Miststück.“ Hey, das passte ja perfekt zu Sarah! Okay okay, jeder hatte eine zweite Chance verdient, schon gut. Aber nur für Olli!
Ich ließ mir viel Zeit, als ich durch die Einkaufsstraße lief und besonders auf der Zielgeraden zum Marktplatz wollte ich am liebsten umdrehen und abhauen. Sonst nichts. Aber was muss, das muss, heißt es ja so schön. Mehr oder weniger.

Schon von weitem sah ich Sarah. Jedenfalls dachte ich das. Als ich näher kam, bemerkte ich nämlich, dass sie das gar nicht war, sondern eine andere übermäßig aufgetakelte Tusse. Sarah saß zwei Tische weiter. In stinknormalen Jeans, Polohemd und flachen, für Sarah absolut untypischen, Schuhen fast nicht wiedererkannt.
Vielleicht lag ihr ja wirklich was an Oliver?
Kaum geriet ich in ihr Blickfeld, musterte sie mich abfällig. Als ich dann aber auch noch auf sie zuging, schien sie sich zu verkrampfen. Wenn auch nur innerlich.
„Was willst du, Christin? Ich habe gerade keine Zeit“, meinte sie kurzangebunden und schaute suchend auf dem Marktplatz umher. Ich grinste sie an.
„Das hab ich mir schon gedacht. Was dagegen, wenn ich mich kurz zu dir setze?“, fragte ich sie. Wissend, dass sie mich gleich wieder auflaufen lassen würde.
„Mach nur, aber ich bin hier mit jemandem verabredet. Sobald derjenige da ist, musst du aber verschwinden, klar?“, maulte sie mich an. Ich war extrem erstaunt über ihr Verhalten. Dennoch setzte ich mich ohne zu Zögern zu ihr an den Tisch.
„Sarah, jetzt mal ganz im Ernst, ist alles okay mit dir? Du bist so… nett zu mir“, fragte ich sie verwirrt. Ich hatte jetzt eigentlich eher damit gerechnet, dass sie mich anschnauzen würde oder sich über meine Dreistigkeit auch nur mit ihr zu reden aufregen würde, aber… das war ja nichts dergleichen.
„Ja, alles in Ordnung!“, schnauzte sie mich dann an. Okay, also die alte Sarah war wohl doch noch nicht ganz weg.
„Dann halt anders: Auf wen wartest du denn?“, fragte ich. Ich wollte jetzt unbedingt die Gelegenheit ausnutzen und ihr so richtig schön eine verpassen! Also… verbal, ihr versteht schon.
„Auf die Schwester von Oliver! Er meinte, ich solle doch mal schauen, ob ich mich mit ihr verstünde. Ich hoffe sie ist etwas… nun ja, weiblicher als… du“, meinte sie, was für ihre Verhältnisse sogar noch recht freundlich war.
„Ich glaube, da muss ich dich enttäuschen“, antwortete ich schlicht und lehnte mich zurück. Völlig durch den Wind schaute sie mich an. Oh Mann, wie ich es doch liebte, dieses Mädel zu verwirren!
„Christin Hofmann. Die kleine Schwester von Olli. Soweit ich weiß sogar schon seit über neunzehneinhalb Jahren“, antwortete ich breit grinsend. Allein der Anblick wie ihre Mimik sich von Verwirrtheit über Überraschung zu absoluter Verlegenheit wandelte war einfach nur göttlich!
„Du verarschst mich doch!“, flüsterte sie mehr als dass sie es sagte. „Das kann doch verdammt nochmal nicht wahr sein!“
„Glaub mir, mir gefällt das auch nicht. Und noch weniger gefällt mir, dass wir wohl oder übel miteinander auskommen müssen. Ich mein, nach allem was passiert ist wird das nicht leicht“, sagte ich. Gut, es mag sich vielleicht dumm anhören, aber so leicht verzeihen konnte ich ihr definitiv nicht. Ich meine, den Kram in der Schule… vielleicht. Aber den Rauswurf? Niemals!
„Was meinst du?“, fragte Sarah nach. Meinte die das jetzt wirklich ernst?!

„Mal überlegen…“, fing ich an. „Die Klassenfahrt in der neunten Klasse, als du meintest mich in der Nacht auf den Flur sperren zu müssen?! Dass du mit meinem Freund geschlafen hast?! Dass du mich und Alina aus der Wohnung geschmissen hast, wobei du ganz genau wusstest, dass sie dann zurück nach Schweden muss?! Mensch Sarah, bist du wirklich so bescheuert, oder tust du nur so?!“, schrie ich sie schon fast an. Dabei bemühte ich mich wirklich, vollkommen ruhig zu bleiben. Gelingen wollte mir das ja nicht so ganz. Zu allem Übel war ich auch noch kurz vorm Heulen. Alles nur das nicht! Heulen war ein verdammtes Zeichen von Schwäche, und ich war nicht schwach!
Nachdenklich schaute Sarah mich an. Von Reue war ihr zwar keine Spur anzusehen, aber schließlich seufzte sie. Fast als ob sie aufgeben müsste.
„Christin, hör mir zu. Ich habe so was nie getan um dir ernsthaft wehzutun oder dich persönlich anzugreifen“, begann sie ihre Erklärung. Ja klar, als ob!
„Gut, das in der neunten Klasse war schlichte Blödheit. Und das tut mir auch wirklich leid. Aber das ist nun schon so lange her. Du solltest darüber hinwegkommen. Außerdem hast du mir am Tag vorher einen Fisch in den Ausschnitt gesteckt, also sind wir dadurch nur quitt!“ In Ordnung, das konnte ich wirklich noch akzeptieren. Außerdem… war die Aktion mit dem Fisch echt lustig gewesen. ABER diese Aktion hatte wiederum auch wieder einen Grund gehabt!
„Und die Sache mit deinem Freund… Komm schon, wirklich jeder wusste, dass du ihn nich wirklich geliebt hast. Das konnte man euch ansehen. Sei doch mal ganz ehrlich zu dir selbst. Du hattest am Ende sowieso schon vor, mit ihm Schlusszumachen, oder? Du brauchtest doch nur noch einen triftigen Grund dazu, stimmt’s?“ Alter! Woher zu Hölle wusste sie das alles? Das konnte doch nicht wahr sein! Und überhaupt sollte diese Kuh hier mal nicht die Tatsachen verdrehen!
„Und die Sache mit eurer WG… Damit hatte ich wirklich nichts zu tun. Dieses verdammte Haus ist mir scheißegal. Meine Schwestern wollen selbst dort wohnen, damit sie selbst keine Miete mehr zahlen müssen. Ich als Miteigentümerin musste halt nur meine Unterschrift über die Kündigung setzen. Und das mit Alina, das wusste ich wirklich nicht! Wenn, dann hätte ich da doch nicht zugestimmt. Ich bin doch kein Unmensch!“, erklärte sie. Okay, sie mag schon Recht haben. Wenn man das mal von ihrem Standpunkt aus betrachtete, waren diese ganzen Aktionen wirklich nur reine Missverständnisse. Oder so was Ähnliches…
Auf diesen Schock musste ich erst mal was trinken. Anders ging’s nicht.

„Und? Was ist jetzt?“, fragte sie nach einer Weile, in der wir uns still gegenüber gesessen waren. Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Nach einigem Zögern ergriff ich sie dann doch.
„In Ordnung. Neuanfang?“, meinte ich kurzangebunden. Sarah nickte stumm. Ich grinste.
„Ich halte dich übrigens immer noch für ne arrogante Kuh, nur damit du’s weißt“, erklärte ich und zwinkerte ihr zu.
„Und du bist in meinen Augen noch immer ein freakiges Mannsweib“, konterte sie und lachte. „Sag mal, wer ist eigentlich das Fellknäuel unter dem Tisch?“ Sam hatte sich schon vor einiger Zeit unter den Tisch gelegt, damit er wenigstens ein bisschen im Schatten lag. Der Arme… Dem musste ja echt ziemlich warm sein. Jedenfalls hatte ich vorhin schon eine Schüssel mit Wasser für ihn bestellt. Ansonsten wär das wohl Tierquälerei oder so was in der Richtung.
„Das ist Sam“, antwortete ich grinsend. „Sag bloß, der fällt dir erst jetzt auf?“
„Ach was. Ich bin halt nur vorher nicht dazu gekommen, dich zu fragen. Ich hab inzwischen übrigens auch einen Hund. Nur so zur Info“, meinte sie lächelnd. Soweit ich das inzwischen beurteilen konnte, war das sogar ein ehrliches Lächeln. Aber täuschen konnte man sich ja bekanntlich immer.
„Was denn für einen? Nen Chihuahua oder nen Yorkshire?“, stichelte ich grinsend. Komischerweise lachte auch Sarah.
„Knapp daneben. Eigentlich ist es ein Cairn Terrier“, antwortete sie und zwinkerte mir zu. „Also trotzdem ein Staubwedel.“


Ungefähr zwei Stunden später war das Treffen dann (endlich) beendet und wir gingen halbwegs in Frieden auseinander. Na das hatte sich doch schon mal gelohnt!
Ich war ziemlich stolz auf mich, um ehrlich zu sein. Dafür, dass ich noch vor nicht allzu langer Zeit am liebsten davongerannt wäre, war das doch erstaunlich gut gelaufen!
Ich saß gerade im Park und telefonierte mit Jasper. Inzwischen musste es bestimmt so ungefähr fünf Uhr abends sein.
„Also, wie schaut’s denn aus heute Abend?“, fragte ich betreffend der Uhrzeit.
„In einer halben Stunde am Stadion“, antwortete mein großes Idol. „Schaffst du das?“
„Ja, auf jeden Fall. Wir sehen uns dann am Eingang!“ Damit legte ich (endlich auch mal als erstes!) auf und verstaute mein Handy in der Arschtasche meiner Lieblingsjeans.
Das Stadion befand sich auf der komplett anderen Seite der Kurparks. Warum musste ich Vollpfosten auch bitte erst mal quer durch den Park in Richtung Stadtmitte hatschen, nur um dann doch gleich wieder umdrehen zu dürfen?!
Wenigstens hatte ich jetzt noch eine halbe Ewigkeit lang Zeit. Bis zum Stadion war es vielleicht ein knapper Kilometer von hier aus. Das hatte man in zehn Minuten locker geschafft.
Deshalb vertrieb ich mir die Zeit, indem ich kreuz und quer durch den Park marschierte und mir jede verdammte, noch so kleine Infotafel durchlas. Hättet ihr gedacht, dass man die Enten hier auf dem Teich nicht füttern darf?!

Letztendlich kam ich dann aber doch pünktlich am Stadion an. Jasper lehnte lässig an der Wand neben der Eingangstür und gab einem Mädchen gerade ein Autogramm. Ernsthaft?! Ich meine, Jasper hatte noch kein einziges Spiel für uns absolviert, war somit eigentlich völlig unbekannt und so weiter…
Das Mädel textete ihn zu, fragte ihn irgendwas und wie das halt so war. Irgendwann wurde es mir zu blöd und ich ging zielstrebig auf Jasper zu. Als er mich erkannte lächelte er und nickte mir zu. Das Mädchen drehte sich um und siehe da: ein Schulterzucken und schon wurde weiter auf Jasper eingeredet.
„Schatz! Endlich bist du da, wo warst du denn so lange?“, rief er mir zu und nahm mich in den Arm. Völlig überrumpelt stand ich nun da, starrte ihn leicht fassungslos an und ließ mich von dem Laserstrahlenblick des Mädchens durchlöchern. Na ja, fast. Aber wenn Blicke töten könnten… ach, ihr kennt den Spruch ja!
„Spiel einfach mit!“, wisperte Jasper mir ins Ohr. Ich verstand sofort. Na ja, wie denn auch bitte nicht?
„Tut mir leid, Jas. Ich hab mich mit Sammy im Park verlaufen. Können wir dann los?“, fragte ich mit absoluter Unschuldsmine und warf dem Mädel vor uns einen flüchtigen Blick zu.
„Also Mina, es war wirklich nett, mit dir zu reden, aber ich muss jetzt wirklich los“, meinte er und zog mich förmlich ins Stadion.
Kaum war die Tür hinter uns zugefallen, seufzte er erleichtert auf.
„Danke, du warst jetzt echt meine Rettung! Mina kennt mich schon seit meiner Zeit in München. Ist wohl gerade mit ihrer Familie hier im Urlaub. Na klar, wer’s glaubt!“ Jasper schien recht aufgebracht zu sein, dafür dass er normalerweise ein echt ruhiger Typ war.  Na ja, außer auf dem Eis halt…
„Kein Thema… Also, ich muss erst mal schauen, wo ich Sam lassen kann. Mit aufs Eis kann er ja schlecht. Kannst ja noch ein paar Autogramme verteilen, bis ich wieder da bin“, meinte ich und verschwand in Richtung Büro meines Vaters, wobei der im Moment mal wieder krankgeschrieben war.
Burn-Out, Depressionen… Ich wusste nicht genau, was ihm fehlte.
Im Moment war er sowieso übel drauf, selbst während des Sommers schon. Vor allem seine Stimmungsschwankungen machten mich kirre. Mal sagte er „Hau ab, Kind!“ und im nächsten Moment war er wieder der liebevolle Vater, der er eigentlich nie bis selten gewesen war. Eher so der Waldschrat und Kumpeltyp, wenn man das so sagen konnte.

Die Tür wurde von Philipp geöffnet, der auch wirklich so freundlich war und Sam mit reinnahm. Dieser Kerl war echt viel zu nett…

Als ich dann endlich mit Jasper auf dem Eis stand, war ich wirklich extrem happy. Ich meine, Jasper Chamberlain (!) trainierte mit mir. Das war in meinen Augen echt der reinste Wahnsinn.
Jedenfalls ging er schon von Anfang an ganz anders an die Sache ran als Sven. Er ließ mich zwar auch erst mal zwei, drei Runden allein laufen, blieb allerdings die ganze Zeit in meiner Nähe und beobachtete mich. Teilweise echt unangenehm, kann ich euch sagen…
„Gar nicht so schlecht“, meinte er anschließend. „Du solltest einfach nur mehr üben, dein Gleichgewicht zu halten. Bist echt unbeholfen.“ Er griff nach meinen Händen und fuhr rückwärts vor mir her. Wir waren ziemlich weit von der Bande entfernt, fast genau in der Mitte des Eises. Jedenfalls meiner er, ich solle versuchen, die Kufen möglichst nahe nebeneinander oder voreinander zu halten und versuchen, so wenigstens etwas das Gleichgewicht zu halten, während er mich mit über das Eis zog.
Am Ende konnte ich gar nicht mehr zählen, wie oft Jasper mich hatte auffangen müssen. Das war halt schon scheiße schwer. Jedenfalls aus meiner Sicht. Irgendwann gab er es dann auf und ließ mich nochmal ein paar Runden allein umherfahren und beachtete mich dabei scheinbar gar nicht weiter. Na ja, wie denn auch? Schließlich waren hier gefühlte 100 Leute auf dem Eis (in Wahrheit wahrscheinlich eh nur zehn bis zwanzig).
Irgendwann kam er dann allerdings wieder zu mir, nahm mich mal wieder an den Händen und schob mich nach hinten. Als er dann merkte, dass das so nicht funktionierte, legte er sich meine Arme um den Hals und hielt mich dann an der Taille fest. Dann ging es halt wieder von neuem los, dass er mich rückwärts schob. Er sagte, es sei genau wie Vorwärtsfahren, nur halt genau andersrum. Schon komisch dieser Kerl, oder?
Jedenfalls versuchte ich wirklich alles, damit das einigermaßen funktionierte und mein Ehrgeiz war allein durch die Tatsache, dass ich vor Jasper gut dastehen wollte, bereits geweckt worden. Und der war dann halt nicht mehr zu bremsen. Wie das halt so ist, probierte ich das so lange, bis es irgendwann klappte.
Okay, ich geb’s ja zu. N Scheißdreck hat es geklappt! Meine Füße haben sich nämlich unzählbar oft ineinander verheddert. Ohne Jasper hätte ich mir bei diesem Mist garantiert das Genick gebrochen!

Als ich nach zwei Stunden das Eis wieder verließ (verlassen musste!), wurde mir erst richtig bewusst, was da eben abgegangen war. Ich hatte mich quasi zwei volle Stunden lang, an meinem großen Idol festgeklammert! Ich meine, das war schon ziemlich… peinlich? War das das richtige Wort dafür? Ich weiß es nicht…
Jedenfalls wurden meine Knie schlagartig weich wie Butter und ich hatte das Gefühl, jeden Moment nen Regenbogen speien zu müssen. Schon ein verdammt ätzendes Gefühl.
Jedenfalls holte ich Sam wieder ab, nachdem ich die Schlittschuhe wieder ordnungsgemäß hatte verstauen lassen. Jasper war so nett und lud mich sogar noch auf n Bier zu sich nach Hause ein. Da sowieso keiner daheim war, war ich sofort dabei.
Jasper legte seinen Arm um meine Schulter, als wir zum Parkplatz marschierten. Sam trabte brav wie immer vor uns her.

„Bist du jetzt eigentlich mit Sven zusammen?“, fragte er, als wir schon auf dem Weg zu seiner Wohnung waren. Also besser gesagt fuhren wir noch in seinem Auto durch die Stadt. Keine Ahnung, wo Jasper nun wohnte… Jedenfalls zögerte ich, bevor ich ihm antwortete. Ich meine, warum wollte der so was überhaupt wissen?!
„Nee“, antwortete ich knapp. Immerhin musste Jasper ja nicht alles wissen! Also bitte, er mag zwar mein großes Vorbild sein, aber trotzdem waren wir halt nicht mal Freunde oder so was in der Richtung, da musste ich ihm so was Privates ja wohl nicht erzählen, oder? Mal ganz davon abgesehen, dass ich selbst keinen blassen Schimmer davon hatte, was da zwischen mir und Sven lief. Beziehungsweise ob da überhaupt was lief.
Jasper tat das jedenfalls mit einem knappen Nicken ab, ehe er vor einem Haus in der Nähe des Bahnhofs hielt. Er stellte den Motor ab und stieg aus. Ich musste warten, bis Sam von meinem Schoß heruntergesprungen war, ehe ich aus dieser Sardellenbüchse steigen konnte.
Das Haus war an sich recht klein. Ordentlich verputzt, zwei Stockwerke, kleiner Vorgarten, nichts Besonderes. Am Balkon des oberen Stockwerks flatterte eine kanadische Flagge vor sich hin. Jaspers Wohnung. Eindeutig.

Jedenfalls führte Jasper mich nach oben und schickte mich vor ins Wohnzimmer, während er runter in den Keller marschierte, um zwei Bier zu holen (okay, ein normales Bier für ihn und ein Colabier für mich). Sam sprang neben mich auf die Couch, schmiss sich dann sofort auf die Seite und döste vor sich hin. Ein komisches Viech war er ja schon, mein Sam…
Als Jasper dann wieder ins Wohnzimmer kam, stellte er das Bier vor mir auf den Tisch und setzte sich mir gegenüber auf einen Sessel.
Seine Wohnung, oder besser gesagt das, was ich davon schon gesehen hatte, war recht gemütlich. Zwar hätte ich das wohl nie im Leben so eingerichtet, aber na ja, war ja seine Sache.
Okay, ich geb’s ja zu. Eigentlich saß ich die ganze Zeit über stocksteif und angespannt auf der Couch, während Jasper im Gegensatz zu mir lässig auf seinem Sessel hing. Ich kam mir extrem dumm vor, so wie ich da herumsaß, aber irgendwie war irgendwas in mir blockiert. Ich packte es einfach nicht, mich zu entspannen. Weiß der Teufel warum…
Nach meinem zweiten Colabier (Mischverhältnis 50:50 übrigens) wurde ich lockerer. Warum genau weiß ich nicht. Nach und nach stellte ich fest, dass man sich mit Jasper super unterhalten konnte. Er erzählte mir von seiner Zeit in München und von seinem Zuhause in Kanada.

So in etwa gegen elf Uhr beschloss ich dann zu gehen. So nett es auch gewesen war, ich war hundemüde und wollte einfach nur noch nach Hause (das klang im Übrigen immer noch komisch für mich) und schlafen.
Sam raste die Treppe hinunter und wartete ungeduldig vor der Haustür. Ich trottete mit Jasper hinterher. Er war so nett und brachte mich noch zur Tür. Er umarmte mich und winkte mir dann hinterher, als ich Sam anleinte und die Straße hinunterging.
Jasper hatte vorhin noch zu mir gemeint, dass er seinen neuen Spitznamen schon recht cool fände. Ich hatte ihn nur verständnislos angestarrt, bis er mir eröffnete, dass ich ihn seinetwegen ruhig weiterhin „Jas“ nennen könnte.


Als ich mit Sam in Svens Wohnung ankam, war es schon kurz vor Mitternacht. Die gesamte Wohnung war stockdunkel und totenstill. Als erstes füllte ich Sams Futter und sein Wasser auf und trabte danach ins Bad zum Zähneputzen. Anschließend ließ ich mich einfach ins Bett fallen. Ich umklammerte Svens Kissen und inhalierte seinen Geruch.
In diesem Moment wurde mir so richtig bewusst, dass ich mir im Moment nichts mehr wünschte, als bei Sven zu sein. Ich wollte mit ihm zusammen sein. Mehr nicht.
Ich konnte trotz meiner ungeheuren Müdigkeit nicht schlafen. Ich wusste nicht warum, aber es funktionierte einfach nicht. Irgendwann wurde es mir dann zu blöd und ich hievte mich aus dem Bett.
Ich taumelte in die Küche und klappte meinen Laptop auf. Irgendwie musste ich mich beschäftigen. Ohne nach irgendetwas bestimmten zu suchen, klapperte ich meine am häufigsten besuchten Seiten ab, in der Hoffnung auf irgendetwas Interessantes zu stoßen. Fehlanzeige.
Ich las Berichte über Tattoos in Partnerschaften, informierte mich über den Tod von Jopi Heesters vor ein paar Monaten, las hirnlose Horoskope… Ich könnte nun ewig so weitermachen. Alles, was sinnlos war, tat ich mir an, nur um die Zeit totzuschlagen.

Irgendwann, so gegen zwei Uhr fiel die Wohnungstür ins Schloss und schwere Schritte hallten durch den Flur. Sven stand lässig im Türrahmen und grinste mich mit seinem schiefen Grinsen an. Mein Herz hämmerte in meinem Brustkorb. Ich lächelte ihn an.
„Hast du auf mich gewartet?“, fragte er, ließ sein Grinsen aber nicht von seinem Gesicht verschwinden. Wenn er mich so ansah, konnte ich ihn stundenlang anstarren, ohne auch nur ansatzweise Langeweile zu verspüren.
Ich schätze, es war offensichtlich: Ich war bis über beide Ohren verschossen in Sven Neumann!
„Nein, ich kann nur nicht schlafen“, antwortete ich so nüchtern wie möglich. Er goss sich Wasser in ein Glas und setzte sich dann zu mir auf die Bank.
Ich hatte meine Beine angezogen und lehnte an der Wand. Schnell klappte ich meinen Laptop zu, immerhin war dieser Mist absolut unwichtig.
„Und, wie ist‘s mit Sarah gelaufen?“, fragte Sven und trank dann ein paar Schlucke von seinem Wasser.
„Ganz gut, schätze ich. Sie meinte, das alles waren nur Missverständnisse und so weiter. Ich hoffe, dass sie nicht einfach nur eine gute Schauspielerin ist“, antwortete ich nachdenklich. Sven nickte nur.
„Haste sonst noch was gemacht?“, fragte er beiläufig. Ich nickte knapp.
„Ich war mit Jasper Eislaufen und danach noch mit bei ihm“, meinte ich lächelnd. Jasper war schon ziemlich cool. Sven konnte man ansehen, dass er nicht begeistert darüber war. Na und wenn schon!
„Wie war’s denn bei dir?“, wechselte ich hastig das Thema. War Sven etwa eifersüchtig auf Jasper? Wenn, dann war das total unberechtigt. Ich meine, Jasper war schon cool und so und halt auch mein Idol, aber Sven… Sven war einfach nur, wie soll ich das ausdrücken, der reinste Wahnsinn. Er brachte mich mit seinem üblichen schiefen Grinsen schlicht und ergreifend um den Verstand.
„Der Hammer!“, antwortete Sven mit einem Leuchten in den Augen. „Du hättest das Tor von Gomez sehen sollen!“ Sven redete sich noch regelrecht in Rage, ich verstand aber ehrlich gesagt kein Wort davon. Also es war jetzt nicht so, dass ich mir permanent die Abseitsregel erklären lassen musste, aber Fußball war eindeutig nicht mein Fachgebiet!
„Freut mich für dich“, meinte ich lächelnd. Sven rutschte näher zu mir und legte seinen Arm um mich. Er beugte sich zu mir runter und drückte mir einen Kuss auf.
So konnte es meinetwegen für immer bleiben. Sobald Sven da war, fühlte ich mich wohl. Sobald er mich in den Arm nahm, fühlte ich mich sicher. Es war so, als würde die Welt stillstehen.
Ich schloss die Augen und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. Schlagartig war ich hundemüde.

Ich spürte noch, wie Sven aufstand und mich hochhob, dann war ich weggetreten.

I'm lost without you!

Ich wachte am nächsten Morgen so auf, wie ich es mir gewünscht hatte. Mein Kopf lag auf Svens Brust und er hatte einen Arm um mich gelegt. Ich selbst hatte einen Arm um seinen Bauch geschlungen und kuschelte mich lächelnd an ihn. Sam hatte sich zu unseren Füßen unter der Bettdecke zusammengerollt und schlief wie ein Murmeltier.
Sven schlief ebenfalls noch tief und fest. Da der Rollladen unten war, merkte ich nicht, ob es Tag oder Nacht war. Ich drehte meinen Kopf zum Radiowecker um. Sieben Uhr früh. Das war doch sonst so gar nicht meine Zeit zum Aufstehen.
Ich beschloss, noch etwas liegen zu bleiben. Nur bis Sven ebenfalls wach war. Langsam aber sicher döste ich wieder ein.
Als ich das nächste Mal wach wurde, war auch Sven schon wach. Unsere Position hatte sich aber seit meinem letzten wachen Moment nicht verändert.
Ich schaute zu Sven nach oben; er lächelte mich an.
„Guten Morgen, Chrissy“, raunte er und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel. Ich kuschelte mich fester an ihn.
„Sven, wie spät ist es?“, fragte ich, da der Raum noch immer dunkel war. Sven knurrte und drehte seinen Kopf zum Radiowecker.
„Kurz nach zwölf“, antwortete er. Ich verzog mein Gesicht zu einer Grimasse und fluchte leise vor mich hin.
„Was ist denn los?“, fragte Sven. Er war allem Anschein nach noch völlig verpennt und nicht unbedingt fähig, sich richtig zu artikulieren. Jedenfalls hatte das Vorhergehende ungefähr wie „waschischnlos“ geklungen. Ich seufzte frustriert auf und drehte mich auf den Rücken. Kaum zu glauben, wie interessant das Muster der Holzdecke sein konnte, wenn man keine Lust hatte, aufzustehen!
„Wir müssen spätestens um zwei in Frankfurt sein“, antwortete ich ihm. „Du weißt schon, wegen Michaels Geburtstag.“ Sven grunzte. Ich meine, so irgendwie tat er mir ja schon leid. Wobei ich mir auf der anderen Seite allerdings auch fragte, warum Michael ihn eingeladen hatte, denn so richtig Dicke waren die beiden nämlich noch nie gewesen.
Ich fragte mich, ob er wohl dachte, dass ich mit Sven zusammen war. Ich meine, so unlogisch wäre diese Schlussfolgerung gar nicht, aber ich und Sven… Ich weiß nicht. Mir war zwar schon seit längerem klar, dass ich in Sven verliebt war, aber dennoch… Sven war nun mal ein Weiberheld, und das würde er auch nicht abstellen können. Zumindest in dieser Hinsicht war ich mir absolut sicher. Dazu kam dann auch noch, dass er eine lokale Berühmtheit war. Das waren Christoph und Basti beispielsweise zwar auch, aber Sven war halt der „Star“ des Teams und dementsprechend rannten ihm halt auch die Fangirlies hinterher.
Genau deswegen war ich mir relativ sicher, dass Sven kein Material für eine feste Beziehung war. So scheiße das auch war, aber ich musste mich verdammt nochmal endlich damit abfinden!

Gefrustet raffte ich mich auf, füllte Sammys Futterschüssel sowie seine Wasserschale und machte mich fertig. Sven stand ungefähr eine Viertelstunde später auf und machte dasselbe. Nur mit dem feinen Unterschied, dass Sven fast eine halbe Stunde vor dem Spiegel stand, seine Haare machte und sein Outfit begutachtete.
Als er dann endlich damit fertig war, hatten wir noch ungefähr eine Stunde Zeit, um ein Geschenk zu besorgen und dann möglichst schnell nach Sachsenhausen zu kommen. Na ja, und Sam musste auch dringend raus. Ich drückte meinem neuen Mitbewohner Sams Leine in die Hand und rannte dann die Treppe hinunter.
„Mach hinne und geh mit Sam raus! Ich hol dich in 15 Minuten hier ab!“, brüllte ich ihm noch durchs Treppenhaus zu, ehe ich aus der Haustür stürmte und mich auf mein Motorrad schwang. Das ging zwar auch nicht wesentlich schneller, als mit dem Auto zu fahren, aber… Okay, ich geb’s ja zu: es sah einfach nur megacool aus! Im Kopf rechnete ich mir aus, wie viel Zeit uns jetzt noch für was blieb. Innerhalb von einer Viertelstunde musste ich Michaels Geburtstagsgeschenk besorgen und dann hatten wir 45 Minuten Zeit, um nach Frankfurt zu kommen. Dürfte eigentlich gut hinkommen, dachte ich.
In einem kleinen Laden am Marktplatz kaufte ich ein Lichtschwert in blau mit Soundeffekten sowie ein T-Shirt von den Simpsons. Anschließend düste ich wieder zurück nach Hause. Bisher lag ich noch verdammt gut in der Zeit. Bis jetzt hatte ich ziemlich genau zehn Minuten gebraucht. Total stolz auf mich fuhr ich zuhause vor. Sven stand allein und mit einem Rucksack in der Hand vor dem Haus, als ich dort ankam. Meinen Ersatzhelm, den er von nun an wohl benutzen würde, hielt er in der Hand. Ich stellte den Motor ab und schob mein Visier nach oben.
„Wo ist Sam?“, fragte ich ihn und wurde daraufhin breit angegrinst.
„Ich hab ihn bei Christoph abgesetzt. Dachte, es wär so besser für ihn“, antwortete er. Kann schon sein, dass er Recht hatte. Frankfurt war nicht unbedingt eine Stadt, die besonders… na ja, wie soll ich sagen… hundefreundlich war. Natürlich, für kleine Staubwedel vielleicht, aber Sammy… Der passte da einfach nicht so gut ins Bild.
Das war auch der Grund, warum ich es meist vermied, ihn zu Franka und Michael zu geben. Sam schien sich bei ihnen zwar schon wohlzufühlen, aber ich hasste diese Stadt einfach. Sie war so riesig und laut. Und außerdem war sie die Heimat der Löwen Frankfurt und von denen war ich ja, wie ihr wisst, kein sonderlich großer Fan. Ist zwar ein bescheidenes Argument eine Stadt nicht zu mögen, aber meine Güte, es war halt so!
„Gut. Schwing deinen Hintern hier rauf“, wie ich Sven an, was er sich nicht zweimal sagen ließ. Sven kletterte auf das Motorrad und schlang seine Arme um mich. Mein Herz schien kurz stehen zu bleiben. Ich schüttelte energisch den Kopf um diese perversen Gedanken um Sven loszuwerden und klappte mein Visier wieder hinunter. Dann reichte ich ihm sowohl das T-Shirt als auch das Lichtschwert für Michael, damit er es in seinen Rucksack stecken konnte. Ich startete erneut den Motor und fuhr los.
Raus aus Bad Grünau und auf in die Mainmetropole (oder von Einheimischen auch liebevoll Mainhattan genannt)!


Ich hatte Glück und konnte einen Parkplatz nur geschätzte 300 Meter entfernt von Michael und Frankas Wohnung finden. Stumm lief ich neben Sven her. Es war keine angenehme Stille. Jedenfalls für mich nicht. Ich suchte quasi zwanghaft nach etwas, das ich sagen konnte, ohne dumm zu klingen. Plötzlich stieß Sven mich mit dem Ellbogen und streckte mir seine Hand entgegen. Mit großen Augen starrte ich ihn an, mein Mund klappte wie von selbst leicht auf. Ich musste aussehen wie ein Kugelfisch…
Ich gab mir schließlich einen Ruck und legte meine Hand in seine. Ungefähr eine Sekunde später zog er mich ruckartig zu sich, sodass ich gegen ihn knallte. Beinahe wäre ich geradewegs gegen eine Straßenlaterne gerannt.
„Verdreh ich dir echt so den Kopf, dass du nicht mehr geradeaus schauen kannst?“, fragte Sven und hatte mal wieder sein typisches schiefes Grinsen im Gesicht.
„Du Vollpfosten!“, schimpfte ich lachend und stellte mich wieder aufrecht hin. Seine Hand ließ ich jedoch nicht los. Lag wohl daran, dass er ebenso wenig Anstalten machte, meine loszulassen.

Die Haustür stand offen, also betraten wir einfach das Gebäude und gingen nach oben in Richtung Michaels Wohnung. Sven klopfte dreimal und schon wenige Augenblicke später riss Steffen die Wohnungstür auf. Sein Blick fiel auf unsere Hände und schon grinste er uns breit an. Er begrüßte Sven mit einem Handschlag und mich mit einem Tätscheln auf die Schulter.
„Michael und Ole sitzen im Wohnzimmer, Franka hantiert in der Küche und die anderen müssten auch gleich kommen“, klärte er uns auf. Wir betraten die Wohnung und gingen ins Wohnzimmer. Inzwischen hatte ich Svens Hand aber losgelassen. Irgendwie war es mir unangenehm, händchenhaltend vor Michael zu stehen. Keine Ahnung warum, aber irgendwie kam es mir komisch vor. Also eigentlich nicht speziell nur vor Michael. Auch vor Olli und Franka und…  eigentlich vor jedem.
Kaum dass wir das Wohnzimmer betreten hatten, sprang Michael auf um uns zu begrüßen. Mal wieder bekam Sven einen Handschlag verpasst. Mir hingegen klopfte Michael nur auf die Schulter. Im Gegensatz dazu umarmte Olli mich herzlich und Sven klopfte er auf den Rücken. Er flüsterte ihm etwas zu, während ich mich schon auf die Couch fallen ließ. Olli lachte, flüsterte irgendwas zurück und klopfte Sven grinsend auf die Schulter. Kaum dass sich die beiden ebenfalls auf die riesige Couch gesetzt hatten, klingelte es schon wieder an der Tür.
Diesmal öffnete Michael persönlich und es betraten wenig später fünf Typen, die ich noch nie gesehen hatte und die uns alle mit einem simplen Händedruck begrüßten und sich dann ebenfalls auf der Couch drapierten. Na ja, wohl eher quetschten. Ich beschloss, ein paar Stühle aus der Küche zu holen, damit wir alle wenigstens noch halbwegs dasitzen konnten, ohne erdrückt zu werden.

Dort traf ich dann auf Franka, die über ein Prospekt gebeugt am Küchentisch saß. Als sie mich sah, streckte sie beide Arme nach mir aus und sah mich mit Dackelblick an. Ich umarmte sie, wie es sich halt gehörte.
„Wo habt ihr denn Marco gelassen?“, fragte ich in stiller Verwunderung darüber, dass ich bisher noch nicht von meinem schreienden Neffen angesprungen wurde.
„Der ist bei einer Freundin von mir. Ich wollte wenigstens heute mal meine Ruhe haben, verstehst du?“, antwortete sie grinsend. Oh ja, ich konnte sie nur zu gut verstehe! Marco war wirklich sehr... anstrengend.
„Du, ich muss dir mal ein paar Stühle klauen, ja? Die haben sich jetzt zu neunt auf die Couch gequetscht!“
„Klar, kein Thema. Auf der Terrasse stehen auch noch drei, wenn die hier nicht reichen“, antwortete sie lächelnd und stand auf. „Soll ich dir beim Tragen helfen?“
„Nein, passt schon, aber kannst du die von draußen reinholen?“, bat ich sie und stapelte dann drei Küchenstühle aufeinander.
Irgendwie zerrte ich diese verdammten Mistdinger dann ins Wohnzimmer zu den Männern und watschelte dann nochmal zurück um die anderen drei aus der Küche zu holen. Na ja, wie soll ich sagen? Bei meinem Glück stolperte ich im Wohnzimmer über den Teppich, als ich gerade die Stühle abstellen wollte und legte mich voll auf die Schnauze. Zu allem Unglück wurde ich unter den drei Massivholzstühlen begraben. Die Jungs auf der Couch lachten sich einen Ast ab und ich versuchte laut fluchend und strampelnd diesen verdammten Drecksdingern zu entkommen.
Doch irgendwie wollten diese Scheißdingern nicht so recht. Die Vollidioten dachten übrigens noch immer nicht im Geringsten daran, mir zu helfen und auch Franka, die gerad drei Plastikstühle anschleppte lachte sich einen ab.
Doch dann erschien mein „Held in strahlender Rüstung“. Begleitet von Michael betrat nun nämlich „Sniper-Tim“ den Raum.
Er grinste mich nur kopfschüttelnd an und half mir bei meiner eigenen Befreiungsaktion. Während die anderen immer noch mit Lachen beschäftigt waren, reichte er mir seine Hand und zog mich wieder auf die Beine.
Tim beäugte mich von oben bis unten, bis sich sein Gesichtsausdruck irgendwann erhellte.
„Christin Hofmann, stimmt’s? Die Kleine vom Harald? Alter, bist du groß geworden!“, stellte er lächelnd fest. Ich nickte ebenso lächelnd.
Die anderen verteilten sich nun auf die Stühle und schon nach nur fünf Minuten waren alle da und ich saß zwischen Sven und Tim auf der Couch. Michael hatte es sich in seinem Lieblingssessel gemütlich gemacht und Franka saß bei ihm auf der Sessellehne.


Stunden später, nach der Bescherung (Michael hatte sich übrigens mit Steffen duelliert, der ihm ebenfalls ein Lichtschwert geschenkt hatte), saßen wir alle um den Tisch herum und diskutierten über die bescheuertsten Themen. Plötzlich räusperte sich Michael und alle Blicke waren auf ihn gerichtet.
„Zuerst einmal danke, dass ihr alle gekommen seid. Wie dem auch sei, möchte ich etwas ankündigen, das mir nicht besonders leicht gefallen ist“, erklärte er und lächelte dabei Franka zu, die ihm bekräftigend zulächelte. „Es wird nun schon seit Längerem geplant und wir haben uns entschlossen nur euch zwölf einzuladen. Jedenfalls… Franka und ich werden heiraten!“
Man konnte deutlich sehen, dass jeder in der Runde „leicht“ geschockt war. Michael war definitiv noch NIE ein Typ gewesen, der sich auf eine Ehe einlassen würde. Davon hatte er nämlich noch nie etwas gehalten. Er hatte mal gesagt: „Der größte Beweis unserer Liebe ist Marco. Dazu brauchen wir kein Stück Papier um das zu beweisen!“
Jedenfalls starrte jeder die beiden mit einem fetten Grinsen im Gesicht an.
„Wann?“, rutschte es Daniel raus, dessen Blick noch immer recht ungläubig wirkte.
„In zwanzig Tagen. Am siebzehnten September“, erklärte Franka. „Wir sind zuerst beim Standesamt und feiern dann im Stadionbistro.“ Man merkte deutlich, dass Franka der letzte Teil absolut zuwider war. Ich lachte in mich hinein. Das war garantiert Michaels Idee gewesen!


Wir stießen noch einmal darauf an, mussten dann allerdings wieder zurück nach Hause fahren. Na ja, ich zumindest… Aber auch nur wegen dem Training mit Jasper.
Sven und ich verabschiedeten uns gerade von allen, als Tim mich nochmal beiseite nahm. Mit ihm hatte ich vorhin eine hitzige Diskussion über die neue Saison geführt. Ich musste zugeben, dass ich das echt verdammt cool gefunden hatte. Wenn ich so an früher zurückdachte, hatte er sich gar nicht soo sehr verändert. Es waren zwar sechs oder sogar schon sieben Jahre vergangen, aber er sah noch immer genauso aus wie damals, nur seine Lachfalten hatten sich vertieft und sein Haaransatz war etwas zurückgegangen. Und charakterlich… keine Ahnung, damals hatte ich „Sniper“ nicht gekannt. Zumindest nicht persönlich.
Jedenfalls gab er mir seine Handynummer und meinte: „Wenn du mal ne Eintrittskarte brauchst oder dich so mal mit mir treffen magst, ruf mich an“. Verwundert hatte ich ihn angeschaut.
„Dir ist bewusst, dass da was mit Sven läuft, oder?“, hakte ich nach. Tim lachte und schlug mir freundschaftlich auf die Schulter.
„So war das nicht gemeint!“, antwortete er lächelnd. „Ich mag dich Christin. Du bist echt in Ordnung!“ Er nahm seine Hand von meiner Schulter und verabschiedete sich dann von mir.
Gemeinsam mit Sven verließ ich die Wohnung, das Haus und ging dann mit ihm zurück zu meinem Motorrad. Sven war so nett und trug sowohl den Rucksack als auch die Helme. Als ich das Motorrad gestartete hatte, reiche er mir meinen.
Wenig später befanden wir uns schon auf der Autobahn zurück in die Heimat. Ich kann euch nicht sagen, wie froh ich war, endlich aus der Großstadt raus zu sein!

Ich hielt am Park und klappte mein Visier hoch.
„Soll ich dich nach Hause bringen, oder willst du mit ins Stadion?“, fragte ich ihn.
„Äh… ich wollte mich heute sowieso noch mit Sophie treffen“, meinte er leicht verlegen. „Kannst du mich am Jagdhaus rauslassen?“ Ich nickte stumm, klappte mein Visier runter und fuhr los. Ich hatte noch fünf Minuten, bis ich am Stadion sein musste, um Jasper zu treffen. Wir hatten das Training heute um zwei Stunden verlegt, weil sich der Trainingsplan aufgrund technischer Probleme verschoben hatte und deswegen auch der Öffentliche Lauf um zwei Stunden verlegt werden musste.
Als wir am Jagdhaus ankamen, stieg Sven ab und klemmte sich den Helm unter einen Arm. Kaum hatte er ihn abgenommen, lief auch schon eine, zugegeben wunderschöne, Brünette auf ihn zu, umarmte ihn herzlich, drückte ihm einen Kuss auf. Ich hingegen saß mit geschlossenem Visier auf meinem Motorrad und kam mir sichtlich verarscht vor. Ich hatte es gewusst! Die ganze Zeit! Er war ein unverbesserlicher Weiberheld, genauso wie ich ihn kennengelernt hatte!
Ich gab Vollgas und raste förmlich vom Marktplatz, der ja eigentlich eine verkehrsberuhigte Zone war.
Im Rückspiegel sah ich noch, wie Sven sich nach mir umdrehte und mir schulterzuckend hinterherschaute. Dann jedoch drehte er sich breit lächelnd zu dieser Sophie und legte einen Arm um sie.
Kaum war ich außer Sichtweite, merkte ich, dass meine Sicht zu verschwimmen begann. Ich spürte, wie mir einzelne Tränen die Wangen hinunter liefen. Dabei hatte ich mir selbst doch hoch und heilig versprochen, nie wieder wegen irgendeines dahergelaufenen Kerls zu heulen! Nie wieder!

Am Stadion wartete Jasper bereits auf mich. Ich war ziemlich spät dran und war deshalb die Treppe vom Parkplatz hinuntergerannt. Glücklicherweise war ich diesmal nicht auf die Schnauze geflogen…
Er begrüßte mich genauso freundlich wie immer, doch dann begutachtete er mein Gesicht genauer. Als er den Mund öffnete, um etwas zu sagen, drehte ich mich um und zog ihn hinter mir her zum Schlittschuhverleih. Er hatte natürlich wie immer seine ach so tollen Profischlittschuhe dabei, während ich mir die alten, stadioneigenen Treter überstreifte.
Gemeinsam staksten wir zum Eis. Er hielt mich am Arm fest, da ich noch immer ziemlich unsicher lief.
Aber kaum waren wir auf dem Eis, war ich vollkommen in meinem Element. Die pure Wut, die ich im Moment verspürte, schien mir zu helfen. Jedenfalls fegte ich im Vergleich zu sonst förmlich übers Eis. Ich wollte meine gesamte Wut rauslassen und wenn es sein musste, brach ich mir dabei eben auch den Hals.
Mir kam es vor, als geriete ich in einen Adrenalinrausch. Nur noch schemenhaft nahm ich die Menschen in meiner Umgebung wahr. Ungeschickt umkurvte ich andere Eisläufer und legte mich unzählbar oft auf die Schnauze, bekam das aber kaum mehr mit. Ein dumpfer Aufprall vielleicht, mehr nicht.
Ich war gefangen in meiner unbändigen Wut auf mich selbst. Ich hasste mich in diesem Moment einfach nur noch dafür, dass ich mich anscheinend doch in ihm getäuscht hatte.
Na ja, jedenfalls führte ich das so fort, bis Jasper sich vor mich drapierte, mich absichtlich gegen ihn fahren ließ und mich dann vom Eis zerrte. Er drückte mich auf einen der roten Plastiksitze hinter der Spielerbank. Schweigend setzte er sich neben mich.
Ich konnte es einfach nicht mehr zurückhalten und stützte mich mit den Ellbogen auf meinen Knien ab, um diese peinliche Heulerei wenigstens ansatzweise vor den anderen Anwesenden zu verbergen.
„Was ist los?“, fragte Jasper versucht monoton. Ich wischte mir mit dem Ärmel über die Augen.
„Nichts, Jas“, antwortete ich mit verheulter Stimme und starrte stur vor mir auf den Boden. Jasper stöhnte völlig entnervt auf.
„Christin, du erzählst mir jetzt verdammt nochmal was los ist, oder du arbeitest sofort mit mir zusammen und hörst mit dieser beschissenen Heulerei auf!“ Das waren klare Worte. Aber er machte es damit absolut richtig. Mit der Weichei-Masche hätte er mich nie zum Reden gebracht, das muss ich nun ehrlich gestehen.
„Sven ist los! Ich dachte, er würde mich wirklich lieben, aber ich hab ihn eben beim Jagdhaus abgesetzt und da hat er vor meinen Augen so eine verdammte Schlampe geküsst!“, jammerte ich Jasper vor. Dieser klopfte mir auf den Rücken und schwieg.
Er gab sich einige Augenblicke einen Ruck und legte seinen Arm um mich. Es mag hirnlos klingen, aber irgendwie beruhigte mich das wirklich.
„Lass uns loslegen!“, rief ich wenige Sekunden später enthusiastisch und sprang auf. Den verwunderten Jasper zerrte ich hinter mir her zurück aufs Eis.

Nach dem „Training“ nahm ich Jasper noch mit zu Sven und mir nach Hause. Zu meinem Glück war er noch nicht wieder da. Gerade als ich meine Schuhe ausgezogen und Jasper etwas zu trinken gebracht hatte, rief irgend so ein Vollidiot an.
Ich sprintete zum Telefon im Flur und ging ran.
„Servus, Chrissy hier“, meldete ich mich.
„Hey. Ich bin’s“, meldete sich Christoph am anderen Ende der Leitung. Seine Stimme würde ich unter tausenden wiedererkennen, weshalb ich auch nicht weiter nachfragen musste.
„Ich bin mit Sam auf dem Weg zu euch. Bin so in acht Minuten da, ist das okay?“, fragte er, ohne wirklich eine Antwort zu erwarten.
„Jaja, alles klar“, meinte ich noch immer perplex wegen seines spontanen Anrufs.
„Super! Bis gleich dann!“, rief er in sein Handy und legte dann auf.
„Ciao“, murmelte ich noch vor mich hin während ich das Mobilteil zurück auf die Station stellte.

„War es was Wichtiges?“, fragte Jasper, als ich mich im Wohnzimmer neben ihn auf die Couch schmiss.
„Nee, nur Christoph“, erklärte ich. „Der kommt gleich mit Sam hierher.“ Jasper tat das mit einem Nicken ab und nippte an seiner Sprite.
Irgendwie fand ich es gar nicht mehr so komisch wie am Anfang, so einfach neben Jas auf der Couch zu sitzen. Wir hatten den Fernseher angeschmissen und schauten irgendwelche dummen Cartoons auf Comedy Central. Family Guy oder so hieß dieser Schrott, glaub ich. Es war auf jeden Fall ganz lustig. Jasper hielt mir nebenbei einen Vortrag darüber, wie unglaublich lustig sich dieser Kram in der Originalsprache anhören würde.
Irgendwann, so nach fünf Minuten, klingelte es dann an der Tür. Tatsächlich stand Christoph mit Sam davor. Freudig sprang ich ihn an und wurde auch prompt von ihm hochgehoben und gedrückt. Sam rannte stattdessen zu Jasper, der im Türrahmen zum Wohnzimmer lehnte und sofort in die Hocke ging, als Sam sich brav vor ihm hinsetzte.
„Wo ist denn Sven?“, fragte Christoph verwundert, als er sich weiter umschaute. Noch immer wütend schnaubte ich.
„Frag bloß nicht!“, warnte Jasper ihn lachend. Christoph grinste mich an und ließ sich von mir weiter ins Wohnzimmer schicken. Er fläzte sich neben Jas auf die Couch und lachte sich dann wenige Augenblicke später halb tot. Nachdem ich den Kamin angezündet hatte, setzte ich mich zu den Jungs und schaute mit ihnen fern.

Nach ungefähr zwei Stunden, so gegen halb zwölf wurde die Haustür geöffnet. Sowohl eine männliche als auch eine weibliche Stimme hallten durchs Treppenhaus. Unsere Wohnungstür wurde aufgeschlossen, einige schwere und ein paar Trippelschritte waren zu hören, ehe sie wieder ins Schloss fiel. Während sich Jasper und Christoph weiterhin den Arsch ablachten, saß ich stumm auf der Couch.
Sven betrat den Raum und hinter ihm kam auch diese brünette Tussi zum Vorschein.
„Servus!“, rief ich den beiden vom Sofa aus zu. Jasper nickte ihnen zu, während Christoph aufstand um Sven einen lässigen Handschlag zu verpassen und dieser Tussi die Hand zu schütteln.
Sven nickte Jasper ebenfalls zu und ließ sich dann neben mich fallen. Er legte seinen Arm um mich und drückte mir ein Küsschen auf die Wange, während ich einfach nur steif dasaß und auf den Fernsehbildschirm starrte, wo gerade irgendein Typ mit seinen Handpuppen herumhantierte und eine neue Puppe namens ‚Achmed‘ vorstellte.
Verwundert stand Sven wieder auf und umarmte diese bescheuerte Tusse zu allem Übel auch noch. Jasper und Christoph mussten wohl bemerkt haben, dass es hier gleich dicke Luft geben würde und sprangen deshalb beide fast zeitgleich auf und beeilten sich auffällig beim Anziehen von Schuhen und Jacken.
Sven brachte Sophie zur Wohnungstür und drückte ihr nun schon wieder einen Kuss auf. Frustriert, wütend und gekränkt zugleich fühlte ich mich in diesem Moment. Ich stand nun ebenfalls auf, um Jasper und Christoph zu verabschieden. Christoph umarmte mich und flüsterte mir noch schnell „Das packt ihr schon. Mach’s gut“ ins Ohr. Jasper legte mir seine Hand auf die Schulter und schaute mich aufmunternd lächelnd an.
„Ciao Chrissy“, meinte er noch zu mir, eher die Tür hinter ihm zufiel.

Ich ignorierte Sven und marschierte stur ins Badezimmer und bereitete mich für die Nacht vor. Kämmen, Zähne putzen, waschen, umziehen. Damit war die Sache erledigt. Ich füllte noch einmal Sams Wasserschale auf und legte mich dann ins Bett. Ich hatte gerade einfach keine Lust darauf, Sven zu sehen. Man hörte, wie er im Wohnzimmer umherlief und sämtliche Lichter sowie den Fernseher ausschaltete. Anschließend fiel die Badezimmertür zu. Mehr bekam ich nicht mit, denn ich war bereits weggedämmert.

Eine halbe Stunde später spürte ich, wie die Decke angehoben wurde und die Matratze sich neben mir senkte. Ein starker Arm legte sich um meine Taille und zog mich an einen warmen Körper.
„Was ist los mit dir, Chrissy? Du warst schon heute Mittag so komisch und nun tickst du total aus…“, stellte Sven mit seinem unwahrscheinlich charmanten und anziehenden österreichischem Dialekt fest. Ich konnte nicht umhin, zu seufzen. Das erinnerte mich an die schöne Zeit in Salzburg.
„Du machst dir Gedanken, wegen Sophie, oder?“, fragte er leise. Ich grunzte. Sophie. So hieß also diese Schlampe, die mir Sven wegnehmen wollte! Sven lachte leise.
„Keine Sorge“, meinte er. „Ich hatte sie dir eigentlich schon daheim in Österreich vorstellen wollen.“ Ah ja… Komm schon, dachte er wirklich allen Ernstes, dass das die Sache besser machte?! Im Gegenteil! Genau genommen machte sie das nur noch umso schlimmer.
„Weißt du, sie hatte sich schon darauf gefreut, dich kennenzulernen, weil ich ihr ab und an von dir erzählt hab und sie daher neugierig war.“ Was bitte sollte das denn jetzt werden?!  Ne verdammte Dreierbeziehung?!
„Na ja, wie dem auch sei. Mach dich wegen meiner Schwester doch nicht verrückt!“ Nicht verrückt machen? Nicht verrückt machen?! Dieser Vollidiot glaubte doch nicht wirklich, dass ich ihm diese Sache abkaufte! Das konnte er mal schön einer Parkuhr erzählen!
Ohne nachzudenken drehte ich mich zu ihm um und schaute ihn verständnislos an.
„Ach ja?“, fing ich an. „Und was soll dann diese ewige Knutscherei?“
„Ganz ehrlich gesagt weiß ich es selber nicht. Als wir noch Kinder waren, hat das irgendwann angefangen und wir haben es halt so beibehalten.“
Ich kaufte ihm die Geschichte noch immer nicht so recht ab, aber um Stress zu vermeiden drehte ich mich einfach wieder um und schloss die Augen. Ich wollte einfach nur noch Schlafen um diesen Bockmist zu verdrängen.

It's complicated

Zu sagen, dass der kommende Morgen sonderlich aufregend gewesen wäre, wäre deutlich übertrieben. Eigentlich passierte rein gar nichts. Sven und ich saßen uns schweigend am Küchentisch gegenüber. Alles, was an diesem Morgen einer Konversation zwischen uns beiden nahe gekommen war, war als Sven mich fragte, ob ich ihn zum Bus zum Stadion bringen könnte. Das hatte ich dann mit einem schlichten Nicken abgetan. Heute würde nämlich das gesamte Team ins Trainingslager an die tschechische Grenze fahren. Na ja, und das hieß, dass ich für eine ganze Woche auf mich allein gestellt war. Ich meine, wen hatte ich denn bitte schon? Jetzt, da Alina wieder in Schweden war und alle meine Freunde in dieses beschissene Trainingslager fuhren, blieb da keine Sau mehr! Na ja… abgesehen von Franka, Marco und Sam.

Mittags um drei hatte Sven alles zusammengepackt, was er brauchte. Nun schleppten wir, noch immer kein Wort sagend, zwei Koffer durchs Treppenhaus und verluden diese anschließend in meinem BMW. Einer der Koffer beinhaltete seine gesamte Ausrüstung, im anderen hatte der restlichen Kram verstaut. Klamotten und so ‘n Zeug eben.„Christin, das kann so nicht weitergehen!“, meinte Sven, als wir gerade losgefahren waren. „Was soll ich denn noch machen, damit du dich wieder halbwegs normal aufführst?! Bettelnd auf Knien vor die umherrutschen?!“
„Zum Beispiel“, antwortete ich monoton und konzentrierte mich auf die Straße.
„Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein!“, empörte er sich lautstark.
„Korrekt“, erwiderte ich genauso monoton wie zuvor.
„Chrissy! Nun komm mal wieder runter! Ich hab dir doch gesagt, wie’s ist“, verteidigte er seinen Standpunkt.
„Meinetwegen. Die Sache ist nur, dass ich dir den Scheiß nicht abkaufe“, erklärte ich geduldig. „Ich hab deine Maschen oft genug miterlebt.“ Bedrück blickte er zu Boden.
„Mag schon sein, aber diesmal ist es etwas anderes“, antwortete er. „Habe ich je etwas zu dir gesagt, was nicht wahr ist?“
„Nein“, gab ich kleinlaut zu. Na ja, und es stimmte auch. Svens Masche bestand aus unbändigem Charme. Er konnte, warum auch immer, zwischen Österreichisch und Deutsch hin und her schalten. Jedenfalls redete er, wann immer er ein Mädel anmachte, Österreichisch und umgarnte sie auch in diesem Dialekt (oder Akzent?). Na ja, aber ich musste zugeben, dass er zu Beginn immer sofort klargestellt hatte, was er wollte: Sex, mehr nicht.
„Na siehst du!“, rief er halblaut. „Ich denke, du kannst dir vorstellen, wie schwer es mir gefallen ist, dir zu sagen, dass… Na ja, du weißt Bescheid.“ Ich nickte.
„Okay, du hast gewonnen. Es tut mir Leid“, presste ich heraus. Es fiel mir nichts schwerer, als mir einen Fehler einzugestehen. So war das nun mal… Ich war aber definitiv nicht stolz darauf!
Sven lachte.

Als wir beim Stadion ankamen, waren mindestens 100 Leute anwesend. Na ja, die 23 Spieler und deren Frauen oder Freundinnen, etliche Offizielle sowie sonstiger Staff wie Ordner und die Typen vom Fanradio, ein Fotograf und ein paar Fans.
Ich half Sven beim Transport seiner Koffer bzw. beförderte sie mit ihm zum Bus, wo sie vom Busfahrer im Businneren verstaut wurden.
In der Meute hielt ich nach meinen Kumpels Ausschau. Irgendwann sah ich Christoph, der zusammen mit Alex, Basti, Tim, Björn und Scott in einer Gruppe zusammenstand. Bei ihnen waren zudem auch drei Mädels. Eins von ihnen bat die Jungs gerade um ein Autogramm auf ihrem Trikot.
Ich schnappte Sven an der Hand und zog ihn mit zu den Jungs.
„Chrissy!“, riefen sie als sie mich sahen. Ich grinste und umarmte sie der Reihe nach. Letzten Endes blieb ich neben Christoph stehen und lehnte mich an ihn, während er einen Arm um mich legte.
Erst jetzt sah ich, dass zwei der drei Mädchen, die ich eben schon von weitem gesehen hatte, Hand in Hand mit Björn und Scott dastanden. Ach so war das also! Pärchen-Alarm! Ich grinste die vier an. Noch bevor ich irgendwas sagen konnte, ergriff Sven das Wort.
„Servus, ich bin Sven“, stellte er sich vor und reichte den beiden Mädchen die Hand. Die beiden schienen recht planlos zu sein. Na ja, wahrscheinlich etwas überfordert mit der ganzen Situation.
„Und das ist Christin“, fügte er hinzu. Verlegen warf ich ihm einen Blick zu und grinste ihn von der Seite an. Die beiden Mädchen reichten mir nun ebenfalls die Hand und stellten sich vor.
„Ich bin Marie“, meinte das Mädel an Scotts Hand lächelnd. „Freut mich, dich kennenzulernen. Scott hat schon von dir erzählt.“ Völlig verwirrt schaute ich sie an. Marie lachte herzlich.
„Er war ganz begeistert, dass es in seinem neuen Umfeld endlich mal ein Mädel gibt, das genauso spielsüchtig ist wie er und seine Freunde.“ Ich lachte nun ebenfalls und grinste sie dann wortlos an, während Scott leicht verlegen zur Seite schaute. Sympathisch war mir diese kleine, zierliche Brünette auf alle Fälle.
„Na ja, und ich heiße Claire“, stellte sich nun auch die großgewachsene Blondine neben Björn. Hübsch war sie echt. Dunkelblond auch, nicht so platinblond gefärbt wie all diese Tussen, die hier umherstöckelten. Sie grinste mich frech an.
„Ist der dein Freund?“, fragte sie breit grinsend und deutete auf Sven der leicht eifersüchtig auf Christoph stierte. Oh Mann, irgendwie war diese Eifersüchtelei von Sven ja schon recht süß, solange er es nicht übertrieb.
Ich schüttelte demonstrativ den Kopf.
„Nein!“, antwortete ich. Sven fühlte sich daraufhin irgendwie angesprochen.
„Noch nicht!“, zwinkerte er Claire zu und lachte, was ihm einen kräftigen Seitenhieb von Oliver einbrachte, der sich in diesem Moment zu ihm gesellte.
Jetzt fiel meine Aufmerksamkeit auch auf das dritte fremde Mädchen im Hunters-Trikot. Sie streckte Oliver lächelnd einen Edding hin und bat ihn höflich, ihr ein Autogramm auf ihr Trikot zu geben. Gleiches dann auch bei Sven.
„Sag mal, wie heißt du denn eigentlich?“, fragte Sven dann, während er schrieb.
„Lea“, meinte sie. Als Sven fertig war, nahm sie ihm den Stift aus der Hand und grinste frech in die Runde.
„Wo kommstn du her?“, meldete Basti sich nun lächelnd zu Wort und legte einen Arm um ihre Schultern. Sie grinste ihn von schräg unten an.
„Na von hier. Ich war n Jahr unter dir, du Held!“, antwortete sie.
„Ach, dann warst du bei der Schneider?“
„Nope, beim Werner!“
„Bei dem Arschloch? Boah, wie konntest du den bitte ertragen?“
„Ach komm schon, so schlimm war der doch gar nicht!“

Na ja, und so ging das ne halbe Ewigkeit weiter. Zwischen Basti und Lea entwickelte sich eine hitzige Diskussion über Gott und die Welt. Sven hingegen unterhielt sich mit Christoph und Alex über die Play-Offs, Scott diskutierte mit Oliver über die Vorzüge und Schwächen von Assassins Creed und Resident Evil. Claire turtelte mit Björn herum und unterhielt sich nebenbei mit Marie. Na ja, und ich stand bei Tim und unterhielt mich über alte Zeiten bei den Hunters.

Einige Zeit später wurde ausgerufen, dass nun endgültig Zeit für die Abfahrt war. Irgendwo in der Meute tauchte Sarah auf und klammerte sich an Oliver. Sie sah im Gegensatz zu früher völlig normal aus. Mal wieder Jeans, T-Shirt und Chucks, damit war ihr großes Styling auch schon beendet. Ich muss sagen, das verwunderte mich wirklich.
Ich ging neben Sven zum Bus, umarmte zum Abschied alle der Jungs (also zumindest die, mit denen ich mehr zu tun hatte als mit nem x-beliebigen Laubblatt) nochmal fest. Sven hielt ich dabei besonders lang in den Armen und küsste ihn. Wenn ich nun ganz ehrlich sein sollte, vermisste ich ihn jetzt schon unheimlich. Als ich ihn losgelassen hatte, kam der Marketingleiter des Vereins auf uns zu. Verdattert schaute ich ihn an.
„Herr Neumann, wir wollten anfragen, ob Sie auf eine kleinere Marketingaktion von Seiten des Vereins  eingehen würden?“ Sven zog misstrauisch eine Augenbraue hoch.
„Um was genau geht es?“, fragte er vorsichtshalber.
„Nun, es ist eigentlich eine kleine Aktion, um näher an den Fans zu sein. Sie müssten sich eigentlich nur während der Eröffnungsfeier –nach der Vorstellung des Teams und der Beantwortung der Fragen natürlich- ins Bistro stellen und ein wenig hinter der Theke aushelfen“, antwortete der Buissness-Fuzzi. „Na ja, und Bier ausschenken, aber das dürfte ja kein Problem sein.“Während Sven zu überlegen schien, brach ich in (leicht spöttisches) Gelächter aus.
„Ihnen ist nur das Personal abgesprungen, oder?“, fragte ich grinsend. Widerwillig nickte der Anzugfritze.
„Das stimmt durchaus, aber so könnten wir daraus sogar noch eine Art Marketingaktion machen.“
„Ich bin dabei!“, meinte Sven und hielt diesem Freak die Hand hin. Eine Art mündlicher Vertrag also…
„Sehr gut!“, sagte er und schlug ein.

In diesem Moment kam der Fotograf hinzu und wendete sich an den Marketingleiter.
„Ich habe da ein Problem bezüglich der Saisoneröffnungsfeier“, begann er zu erklären. „ Mein Kollege, Herr Schneider, ist spontan ins Krankenhaus eingeliefert worden. Es ist wohl etwas sehr Ernstes. Jedenfalls kann ich nicht alle Situationen allein auf Bildern festhalten. Sie müssen noch jemanden dafür beauftragen!“
„Wie soll ich denn auf die Schnelle noch wen finden?!“, meckerte er. „Sind Sie total deppert?!“
„Regen Sie sich nicht auf!“, mischte ich mich ein. „Wenn Sie überhaupt niemanden mehr finden, kann ich auch einspringen!“ Eigentlich sagte ich das nur, um diesen Hitzkopf wenigstens halbwegs zu beruhigen. Seine Reaktion hatte ich so allerdings nicht erwartet.
„Können Sie mit einer Spiegelreflex umgehen?“, fragte er. Ich nickte. Ich hatte mir das von meiner Schwester schon vor Jahren erklären lassen. Zwar erinnerte ich mich nicht mehr an alles, aber das Grundprinzip war mit absolut klar.
„Gut, Sie sind engagiert!“, rief er. „Eine Kamera wird Ihnen gestellt, wenn Sie keine eigene besitzen.“
In diesem Moment war ich aufgrund der absoluten Unfähigkeit dieses Marketingfreaks vollkommen baff. Genauso der Fotograf und auch Sven, der dann aber gehen musste, da der Busfahrer nicht noch länger warten konnte/wollte.

Der Bus war gerade verschwunden, als Marie mich ansprach. Claire stand grinsend neben ihr.
„Hast du Lust, noch was mit uns zu unternehmen?“, fragte sie freundlich lächelnd. Da ich sonst nichts weiter vorhatte, stimmte ich sofort zu. Gemeinsam beschlossen wir, auf eine Cola ins Penalty zu gehen. Lea schloss sich uns auch noch an, da sie sich dort sowieso noch mit ein paar Freunden hatte treffen wollen.
Als wir dann zu viert durch den Kurpark gingen, kamen uns so dermaßen viele komplett unterschiedliche Leute entgegen, dass mir erst jetzt wieder klar wurde, wie gern ich hier wohnte. So komisch diese Leute auch sein mochten, waren sie doch wenigstens alle einzigartig und erzählten quasi ihre eigene Geschichte ich meine, da war zum Beispiel eine sehr schlanke Seniorin, die in Lederröckchen und High Heels über den Kiesweg stöckelte. Es kamen uns sowieso etliche lustige Leute entgegen: ein Japaner mit drei Yorkshire Terriern, eine Meute von Touristen mit um den Hals gehängten Kameras und Hüfttäschchen, ohne Ende aufgetakelte Teenies mit Stöckelschuhen und kiloweise Schminke im Gesicht, noch mehr aufgetakelte Teenies, die definitiv viel zu oft im Solarium gewesen waren, eine Oma, die den Weg mit ihrem Gehstock vom herumliegenden Laub befreite, Kiddies, die gemeinsam im Fluss spielten, kreischende Muttis, die es nicht lassen konnten, sich lautstark über ihre Plagen von Kindern auszulassen und ohne Ende zu lästern. Jedenfalls hatten zumindest Letztere einen Lautstärkepegel von mindesten 90 bis 100 Dezibel.

Beim Penalty angekommen, hielten wir verzweifelt Ausschau nach einem freien Tisch. Sogar die Theke war voll besetzt. Lea hingegen winkte fröhlich ein paar Typen zu.
Als sie unsere gefrusteten Gesichter sah, lud sie uns ein, uns zu ihr und ihren Freunden zu setzen. Wir bestellten an der Theke noch schnell etwas zu trinken und setzten uns dann dazu.
„Seit der Sache mit Sven am Bus bin ich echt neugierig, Christin“, meinte Claire nach einigen Augenblicken und nippte an ihrer Cola. Auch Marie schaute mich erwartungsvoll an.
„Hä?“, machte ich dümmlich. „Was zur Hölle meinst du?“ Claire grinste und Marie begann zu lachen.
„Komm schon, selbst ein Blinder merkt, dass du was von ihm willst!“, stellte Marie fest. Ich zuckte mit den Schultern
„Meinetwegen… und weiter?“, antwortete ich. Ich meine, es stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, dass ich Sven sehr mochte, aber dennoch gab es Grenzen. Und meine Grenze war nun mal, mich nicht mit einem unverbesserlichen Weibermagneten einzulassen und mich im Endeffekt eh nur wieder verarschen zu lassen. Mag sein, dass ich grundsätzlich schon sehr naiv war, aber in dieser Beziehung war ich misstrauischer als ein Kaninchen vor ner Schlange.
„Wie lang geht das schon?“, fragte Claire weiterhin nach. Das war schon ne gute Frage. Da war ich mir nämlich selbst nicht sicher. Ich hatte Sven ja nämlich schon zu Beginn dieses Sommers vermisst ohne Ende, aber wann bitte hatte ich mich denn in ihn verliebt? War das schon während des Sommers gewesen oder erst in Österreich?
„Lange genug“, antwortete ich deshalb schlicht. Ich meine, wenn ich es selbst nicht wusste, wie sollte ich dann bitte eine anständige Antwort darauf geben.
„Na bitte!“, rief Lea, die wohl die ganze Zeit über zugehört haben musste. „Sobald er wieder da ist, musst du was unternehmen!“ Leicht angenervt verdrehte ich die Augen. Was wussten die denn schon bitte? Sie kannten weder Sven, noch irgendeine Nummer, die er jemals mit irgendeinem Mädel abgezogen hatte.
„Lasst uns über etwas anderes reden!“, bat ich, weil ich diesen Kram einfach nicht mehr hören konnte. Nach einigem Widerstand redeten wir dann aber tatsächlich über alles Mögliche. Ich musste zugeben, dass ich die drei absolut sympathisch fand und gerade mit Lea konnte ich perfekt über Eishockey diskutieren. Sie war ebenso wenig wie ich eines dieser Püppchen, die nur dort waren um die ach so scharfen Jungs zu begaffen und hin und wieder mal ein winziges Klatschen verlauten zu lassen, wen ein Tor fiel. Dazu musste man sagen, dass manche sogar so blöd gewesen waren, die mit einem Hunters-Trikot in den gegnerischen Fanblock zu stellen und immer dann zu schreien und zu jubeln, wenn das die anderen Fans der Hunters taten. Man sollte hierbei anmerken, dass sie sich dadurch im gegnerischen Fanlager definitiv keine Freunde gemacht hatten.

Jedenfalls unterhielten wir uns bis ich plötzlich eine schrille Stimme hinter mir wahrnahm.
„Leonie!“, plärrte der Typ, der gerade erst hereingekommen war, quer durch die Kneipe. Im Stillen betete ich, dass es nicht der war, für den ich ihn hielt und dass er um Himmels Willen nicht mich meinte. Ich kippte meinen Kopf vorneüber und betete still zu jedem Gott, an den möglicherweise, unter Umständen irgendwann mal geglaubt worden war. Das war mir in diesem Augenblick scheißegal.
Natürlich wäre es jetzt von Vorteil, wenn ich erkläre, warum ich Angst hatte, wenn jemand nach einer Leonie rief, oder? Die Frage ist recht leicht zu beantworten: mein zweiter Name war Leonie und mein Exfreund, Ben, hatte mich immer so genannt, weil er sich angeblich immer von allen anderen hatte abheben wollen, da mich sonst wirklich jeder Christin nannte. Er fand diesen Namen einfach schöner.
Na ja, so weit, so gut. Da ich Ben damals aber in flagranti mit Sarah im Bett (oder in dem Fall besser gesagt auf dem Küchentisch) erwischt hatte, hatte ich es über Jahre hinweg vermieden, ihn jemals wiederzusehen. Wenn es nun so weit sein würde, würde ich wohl zusammenbrechen. Seit damals hatte ich mir im Übrigen geschworen, nie wieder „schwach“ zu sein und wegen irgendeinem dahergelaufenen Vollpfosten zu heulen oder mich deswegen verrückt zu machen. Hatte ja super funktioniert, echt.
Ich hatte Glück und der Typ marschierte geradewegs an mir vorbei. Erleichtert atmete ich auf und lehnte mich zurück.

Als ich ein paar Stunden später mit Lea das Penalty verließ, konnte ich mit Fug und Recht behaupten, drei neue Freunde gefunden zu haben. Klar, solch eine Bekanntschaft konnte man wohl kaum als Freundschaft bezeichnen. So etwas brauchte Zeit, Geduld und Vertrauen. Das schaffte man nicht innerhalb von ein paar Stunden. Aber ich war mich doch recht sicher, dass das etwas werden konnte.

Ich ging langsam durch den Park, zurück zu meinem Auto. Lea verabschiedete sich auf halber Strecke und ich überlegte, was ich an diesem angebrochenen Abend noch anfangen konnte. Ich war kaum in mein Auto eingestiegen, als ich einen Anruf von Franka annahm.
„Christin, du musst mir helfen, bitte!“, quatschte sie gleich drauflos. Mensch, was waren das für Zeiten… Nicht mal für ein kleines „Hallo“ wollten sich die Leute noch Zeit nehmen.
„Um was geht’s, Schwesterherz?“, fragte ich, wobei ich eigentlich schon wusste, worauf das hinauslief. Sie würde mich nach Frankfurt beordern, um auf Marco aufzupassen, während sie mal wieder feiern ging.
„Ich hab kurzfristig einen Termin beim Schneider. Steffen hat da was für mich organisiert. Ich muss aber in spätestens einer Stunde los und bin dann wahrscheinlich bis drei Uhr früh nicht wieder da.“ Was war das denn bitte für ein Schneider? Arbeit mit „Happy End“ oder so vielleicht?
„Du bekommst auch fünfzig Euro dafür! Meinetwegen kannst du auch Sam mitnehmen, ich bereite dir hier alles vor“, versuchte sie mich unnützerweise zu überreden. Unnütz war das deswegen, weil ich sowieso sofort dabei gewesen war. Ich meine, ich konnte Frankfurt zwar nicht ausstehen, aber lieber verbrachte ich meinen Abend mit Sam und meinem Neffen, als allein in meiner Bude zu hocken. Und da ich das Geld im Moment sowieso super gebrauchen konnte, hatte ich zudem auch noch einen weiteren Vorteil. Warum also nicht?
„Kein Problem“, meinte ich deshalb. „Ich fahr gleich los. Bis später.“
„Danke, Christin! Du hast was gut bei mir!“, antwortete sie noch, dann legte sie auf.

Ich fuhr also heim, holte Sam ab und dann ging’s auch schon auf direktem Weg nach Frankfurt. Da ich noch etwas Zeit hatte, beschloss ich, nochmal kurz mit Sam spazieren zu gehen. Das arme Viech hatte ja immerhin den ganzen Tag allein zuhause verbracht. Er war während unserer Abwesenheit zwar im Garten gewesen (unsere Hausnachbarn standen total auf Hunde und hatten Sam recht schnell ins Herz geschlossen, weshalb er von ihnen aus jederzeit frei im Garten herumrennen durfte) und von unseren Nachbarn zeitweise auch beaufsichtigt worden, aber dennoch tat er mir leid.
Als ich dann in Frankas Wohnung, oder besser gesagt in ihr Wohnzimmer kam, wurde ich beinahe von einer Hitzemauer erschlagen.  Sie hatte den Kamin angezündet und auch die Heizung lief auf Hochtouren. Marco saß auf dem Sofa und spielte Mario Kart auf Michaels Wii. Franka hetzte im Gegensatz dazu quer durch die gesamte Wohnung und rief mir dabei irgendwelches Zeug zu von wegen ich wüsste ja wo alles wäre und dass noch Kuchen in der Küche stünde. Dann rannte sie endgültig aus der Wohnung.
Etwas perplex drehte ich die Heizung runter, öffnete die Balkontür und riss sämtliche Fenster in diesem Raum auf Franka hatte wohl nen Schaden! Dann setzte ich mich zu Marco und sah ihm beim Spielen zu. Ich hatte kaum bemerkt, wie die Zeit vergangen war, da ich mich seit Ewigkeiten mit Sam auf dem Boden herumwälzte und mit ihm spielte. Irgendwann sah ich dann, dass Marco am Einschlafen war. Ich weckte ihn vorsichtig wieder auf.
Er brabbelte irgendetwas vor sich hin, als ich ihn durch die Wohnung in sein Zimmer trug, da er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Als wir am Fenster vorbeigingen, schrie er auf und zeigte auf das Nachbarhaus.
„Da wohnt Onkel Sven!“, rief er. Und tatsächlich sah das Haus etwas so aus wie das, in dem Sven wohnte.
„Nein, Marco. Sven wohnt mit mir in Bad Grünau. Da, wo dein Papa arbeitet, weißt du“, erklärte ich ihm. Er schaute mich völlig verwirrt an.
„Naaaa!“, meinte er dann. „Der wohnt im Zoo!“ ich lachte auf. Sven als Gorilla auf nem Baum… Lustige Vorstellung!
„Wenn der im Zoo wohnt, was ist er denn dann für ein Tier?“, fragte ich aus Neugier. Wollte mal schauen, als was er Sven sah.
„Nilpferd!“, antwortete Marco stolz. Ich brach nun endgültig in Gelächter aus. Sven und n Nilpferd! Absurd, aber absolut genial!
Ich trug Marco noch zu seinem Bett, legte ihn hinein, deckte ihn zu und kniete mich dann noch neben seinem Bett auf den Boden.
„Christin?“, fragte er leise und schaute zu mir auf.
„Ja?“, antwortete ich ebenso leise.
„Mama und Papa haben gesagt, dass du und Onkel Sven so etwas wie eine Hassliebe habt“, flüsterte er. „Stimmt das? Was ist das?“ Ich lachte leise.
„Nein, das stimmt nicht. Sven und ich, wir haben uns ganz lieb“, erklärte ich vereinfacht. „Aber wer hat dir denn erzählt, dass er dein Onkel ist?“ Ich war wirklich neugierig deswegen. Ich meine, Sven und ich wohnten erst seit ein paar Tagen zusammen, und in der Zeit war Marco noch nicht bei uns gewesen. Von selbst hatte er also nicht darauf kommen können.
„Papa“, antwortete er und gähnte anschließend. „Stimmt das denn nicht?“ Na toll, jetzt musste ich echt überlegen. Irgendwie musste ich es hinbekommen, ihm die Sache möglichst einfach zu erklären und das, ohne Michael als Lügner dastehen zu lassen.
„Weißt du, das ist ziemlich kompliziert“, fing ich an. „Ich wohne  zwar bei Sven, aber auch nur, weil ich bei mir daheim ausziehen musste, verstehst du?“ Marco nickte.
„Warum hat Papa dann zu Mama gesagt, ihr würdet wahrscheinlich-“ Er brach ab und überlegte angestrengt.
„Irgendwas mit Vögeln“, murmelte er, woraufhin mir fast die Luft wegblieb. Unsicher grinste ich vor mich hin.
„Da hat dein Papa aber was falsch verstanden. Sven und ich sind im Moment nur Freunde“, erklärte ich, was ja irgendwie, im Prinzip, auch stimmte. Irgendwie…
Marco gab sich jedenfalls mit dieser Antwort zufrieden, was aber eigentlich auch nur daran lag, dass er todmüde war.

Ich legte mich im Wohnzimmer auf die Couch und schlief schon bald darauf ein. Sam hatte sich vor dem Kamin hingelegt und schlief schon seit ein paar Minuten wie ein Stein.

A different point of view

Ich war gerade in den Bus gestiegen und hatte mich auf meinen Platz ziemlich weit vorne gesetzt. Ich hatte mir an der Raststelle eben Kissen und ne Decke auf meinem Koffer geholt, wie die meisten anderen auch. Die Fahrt würde eben ewig dauern und außerdem waren die Sitze im Bus dann doch recht unbequem.
Wir fuhren schon seit ungefähr einer Stunde über die Autobahn. Bis zum Trainingslager würde es noch eine halbe Ewigkeit dauern, so wie ich das einschätzte. Ich dachte über die ganze Geschichte mit Christin nach. Einerseits verstand ich zwar, warum sie mir nicht glaubte, allerdings wusste sie genauso gut wie ich, dass ich niemals jemanden anlügen würde. Man konnte es nicht unbedingt „Stolz“ nennen, aber ich war recht zufrieden damit, dass jedes Mädchen, mit dem ich bisher eine Affäre gehabt hatte, gewusst hatte, worauf es sich einlässt. Und auch sonst, in Bezug auf Freundschaft hatte ich noch nie gelogen. Wirklich nicht.
Nun ja, wenigstens hoffte ich, dass Christin mich nach all den Jahren richtig einschätzte. Ich meine, wir kannten uns ja immerhin nicht erst seit gestern!
Ich beschloss, Oliver um Rat zu fragen. Er kannte seine Schwester nun mal besser als ich. Ich raffte mich auf und marschierte bis nach hinten zu ihm durch. Er grinste mich an, als er sah, dass ich auf ihn zukam.
„Na Svenne, was geht?“, fragte er noch immer grinsend.
„Alles was nich steht, Mann“, antwortete ich ebenfalls grinsend und setzte mich zu ihm. Er hatte seinen Laptop auf dem Schoß und hatte bis eben irgend so ein komisches Indie-Game gezockt, wie er es nannte. Ich hatte von so etwas keine Ahnung. Jedenfalls klappte er entschlossen den Laptop zu.
„Ich brauch deinen Rat“, meinte ich und starrte stur geradeaus auf die Sitzreihe vor uns. Ole seufzte und ließ seinen Kopf gegen die Scheibe knallen.
„Pass auf, dass die keinen Sprung kriegt, Dickschädel“, witzelte ich.
„Aber du!“, rief Oliver halblaut und grinste. Er machte eine kurze Pause und sah mich dann wieder an. „Geht’s um Christin?“
Ich nickte stumm.
„Du weißt, dass ich dich dafür killen könnte, oder?“, fragte er mit unterdrückter Wut. Ich nickte.
„Verstößt doch irgendwie gegen so ne Art ungeschriebenen Kodex, oder?“, sagte ich ohne eine Antwort darauf zu erwarten.
„Ganz genau“, antwortete Ole. „Auch wenn es mich extremst aufregt, muss ich wohl nachgeben. Ich hab nämlich keinen Bock, nen Kumpel mit nem eingeschlagenen Schädel und ne heulende Schwester zu haben.“ Ich wusste zwar, dass es unangebracht war, aber dennoch musste ich grinsen. War das inzwischen so eine Art Reflex geworden? Ein wütender Blick von Ole reichte allerdings, um mich wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen.
„Jedenfalls weiß ich genauso gut wie du, dass ihr beide unverbesserliche Dickschädel seid. Also macht, was ihr wollt“, erklärte er und plötzlich konnte ich das Lächeln (genau, diesmal kein Grinsen!) nicht mehr aus dem Gesicht bekommen. „Das heißt, du hast nichts dagegen?“, hakte ich nach.
„Im Gegenteil!“, antwortete er. „Ich weiß nur, dass es so keinen Zweck hat. Aber du solltest dir die Sache trotzdem nochmal überlegen, du weißt was auf dem Spiel steht.“ Aufmunternd klopfte er mir auf den Rücken.
„Du packst das schon, Alter“, meinte Ole.
„Danke“, sagte ich noch, bevor ich aufstand und nach vorne zu meinem Platz schlenderte.

Na toll, jetzt wusste ich, dass Oliver strikt dagegen war und geholfen hatte er mir auch nicht. Wirklich super, Sven. Haste ganz toll gemacht!
Ich war in dem Moment schlicht und ergreifend frustriert wegen Chrissy. Ich meine, ich war extrem froh darüber, dass Oliver zu mir hielt, obwohl mir jemand anders vielleicht sogar den Schädel eingeschlagen hätte.
Nur wusste ich partout nicht, ob er das nun für mich oder seine Schwester tat. Gab es nicht diesen doofen Spruch? „Blut ist dicker als Wasser“?

Jedenfalls machte ich mir die gesamte Fahrt über Gedanken um diese ganze Sache.
Ich meine, was war, wenn Chrissy mich nicht wollte? Sie hatte mir zwar gesagt, dass sie in mich verliebt war (das wusste ich trotz dessen, dass ich total besoffen gewesen war), aber wenn sie mir nun wirklich nicht traute? Oder wenn sie Angst davor hatte? Ich meine, einige Fangirlies hassten ja sowieso schon jedes andere weibliche Wesen, das sich mir bzw. wohl eher uns allen näherte.
Und was sollte erst passieren, wenn es dann doch nicht funktionierte? Ich war mir zwar schon absolut sicher, dass wir wieder Freunde werden würden, aber wer würde schon gern seinem Kumpel gegenübertreten, wenn eine gescheiterte Beziehung mit dieser Person hinter einem lag?
Oder was, wenn wir dann doch keine Freunde mehr würden (weiß der Teufel warum)? Dann würde mindestens einer von uns den Partner und so einen coolen Kumpel wie Oliver verlieren! Na ja, zumindest theoretisch.

Solche und noch viele andere Szenarien spukten derweil in meinem Kopf herum. Ich konnte diesen Scheißdreck einfach nicht mehr abstellen. Genau als ich das dachte, fiel mir ein Szenario ein, das meine gesamte Karriere vollständig ruinieren könnte.
Was war, wenn mir dieser Scheiß bei beispielsweise einem Derby nicht mehr aus dem Kopf gehen würde? Wenn ich wegen mangelnder Konzentration einen Check nicht unversehrt überstehen würde? Wenn ich mir dabei eine so schwere Verletzung zuziehen würde, dass ich meine gesamte Karriere, für die ich nun schon seit über einem Jahrzehnt unermüdlich geackert hatte, ohne merklich großen Erfolg, in die Tonne treten konnte?

Verzweifelt lehnte ich meinen Kopf gegen das Fenster.
Ich musste endlich einen Schluss fassen. Sonst würde ich diese Gedanken nie wieder loswerden! Innerhalb von einer Woche musste ich diese Entscheidung nun treffen.
Ich wog sämtliche Argumente, die mir durch den Kopf spukten gegeneinander auf. Wobei eines dann alle anderen übertraf: „Christin“. Das war im Übrigen aber auch so ziemlich das einzige Argument das mir für die positive Seite einer Beziehung mit ihr einfiel. Dem gegenüber standen Karriere, Freizeit, eingeschränkte Freiheit…
Und wenn mir jemand vor zwei Jahren erzählt hätte, dass mir das alles mal weniger bedeuten würde, als irgendeine Frau aus Milliarden… Ich hätte demjenigen einen Vogel gezeigt! Nie hätte ich das geglaubt, aber bitte… so war es jetzt nun mal!

Als ich an der tschechischen Grenze, nach stundenlanger Busfahrt dann endlich aus dem Bus stieg, wusste ich: Ich muss es ihr sagen! Ich muss es versuchen, egal, wie schwer es sein würde.

Ich will sie, und nur sie!

Is it the end?

Der Rest der letzten Woche ist eigentlich ziemlich entspannt gelaufen. Am Freitag hab ich wie mit Christophs Vater abgesprochen im Penalty ausgeholfen. Dabei bin dann ein paar alten Bekannten über den Weg gelaufen. Es waren ein paar nette Gespräche dabei, an sich aber wirklich nichts Interessantes. Samstag hab ich dort meinen neuen Chef getroffen (bzw. den, der die Praxis leitet, in der ich dann angefangen hab). Es hat sich dann halt so ergeben, dass ich mich mit ihm über Sport unterhalten habe und sich herausgestellt hat, dass er der neue Physiotherapeut der Hunters war. Er hat mir anschließend angeboten, mich gerade bei Derbys und anderen sehr emotionsgeladenen Spielen als Unterstützung mitzunehmen.
Am Montag hab ich dann, wie schon im April vereinbart, meine neue Stelle als Physiotherapeutin angetreten. Ich muss sagen, dass ich mit diesem Beruf definitiv die richtige Entscheidung getroffen habe. Wenn ich bedenke, wie oft ich während der Ausbildung daran gezweifelt habe, war ich nun umso glücklicher.

Am Mittwoch fuhr ich dann nach der Arbeit direkt ans Stadion um Sven zu begrüßen. Ich kam sogar ungefähr zeitgleich mit dem Mannschaftsbus dort an. Wie auch schon letzten Mittwoch entstand vor dem Bus eine riesige Meute, nur dass sie heute noch um einiges größer war, da heute auch die Saisoneröffnungsfeier vor dem Stadion stattfinden sollte.
Es dauerte etwas, bis ich Sven gefunden hatte, aber dann sah ich ihn von drei Fangirlies umstellt am Bus neben Scott und Marie.
„Sven!“, rief ich lautstark und kämpfte mich dann mit Ellbogenchecks durch die Menge. Okay okay, die „Checks“ waren nur angedeutet, ich geb’s ja zu.
Jedenfalls rannte ich in den letzten Metern auf ihn zu und warf mich ihm dann wortwörtlich an den Hals. Glücklicherweise hatte er rechtzeitig reagiert und mich genau in dem Moment hochgehoben, als ich ihn angesprungen hatte. Er setzte mich wieder ab, umarmte mich herzlich und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. Selig lächelnd lehnte ich mich gegen seine Brust und registrierte erst dann die wütenden Blicke von zwei der Mädchen, die ihn eben umringt hatten. Die dritte im Bunde war Lea, die mich dann auch umarmte und Sven und mich dann breit angrinste.
„Hallo Chrissy“, meinte Sven lachend. „Ich hab dich auch vermisst.“ Er verpasste mir eine Kopfnuss und kümmerte sich dann wieder um die drei Mädels. Ich nahm es ihm nicht übel. Das war halt sein Ding.
Ich streifte nun wieder durch die Menschenmenge (von vielleicht 200 bis 250 Leuten) und hielt Ausschau nach Christoph, Flo und den Zwillingen. Flo, so fiel mir gerade auf, hatte ich im Übrigen schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gesehen.
Schließlich traf ich dann auf diesen ätzenden Marketingfritzen, der mir völlig entnervt eine Kamera in die Hand drückte und mich zum Hintereingang schickte, um den professionellen Fotografen zu treffen.
So ein Arschloch! Nun, da die Eingänge ins Stadion noch verschlossen waren, durfte ich ums komplette Stadion herum laufen, um zu diesem beschissen gewählten Treffpunkt zu gelangen.

„Hallo Frau Hofmann!“, wurde ich entgegen meiner Erwartungen doch recht freundlich von dem Fotografen begrüßt.
„Guten Tag, Herr… ähm… Schlicht!“, erwiderte ich und streckte ihm meine Hand entgegen. Mein Namensgedächtnis war doch wirklich unter aller Sau! Herr Schlicht lachte jedoch einfach nur und gab mir die Hand.
„Wissen Sie, wie Sie die Kamera bedienen müssen?“, fragte er sicherheitshalber noch einmal nach.
„Ja, keine Sorge“, antwortete ich. „Wie haben Sie sich das denn heute vorgestellt? Soll ich nur einen bestimmten Teil abfotografieren?“
„Das wäre natürlich von Vorteil. Wenn Sie möchten, können Sie gerne die Teamvorstellung übernehmen. Beziehungsweise könnten Sie auch einfach die Teammitglieder in der Kabine oder bei den Fans fotografieren, das würde schon reichen. Ich werde mich derzeit einfach um die frisch renovierten Räumlichkeiten kümmern“, antwortete er. Also ich muss sagen, Herr Schlicht war schon ziemlich freundlich.
Anschließend drückte er mir noch einen Zettel in die Hand. Darauf stand irgendwas von wegen Fotograf/in im Auftrag vom Fotostudio Herr A. Schlicht. Mit diesem Teil sollte ich dann wohl in alle Räumlichkeiten kommen. Ich verstaute den Zettel in meiner Jeans.
Wir vereinbarten noch einen Treffpunkt und –zeit für nachher und gingen dann getrennte Wege.

Mich zog es sofort zur Bühne vorm Stadion. Der Geschäftsführer hielt gerade eine Rede zum Saisonauftakt, den Saisonzielen, sprach diverse Danksagungen aus und bat dann die Fans, Fragen an die Spieler der kommenden Saison zu formulieren und sie in eine Box vorne bei der Bühne zu werfen. Dann verließ er die Bühne. Selbstverständlich hatte ich gleich fleißig drauflosgeknipst. Als er von der Bühne gegangen war, suchte ich mich eine halbwegs ruhige Ecke (die ich im Übrigen hinter der Bühne bei Christoph fand, der neugierig mit mir die Fotos durchschaute. Es waren zwar einige dabei, die wahrscheinlich halbwegs brauchbar waren, aber der Großteil war Schrott. Und genau das sagte er mir auch. Vollidiot!).

Ungefähr eine Viertelstunde später waren alle Teammitglieder zusammengetrommelt worden und stellten sich der Reihe nach hinter der Bühne auf. Sortiert nach ihren Positionen und dann nach ihren Trikotnummer. Der Geschäftsführer stellte sich wieder auf die Bühne und sagte der Reihe nach die Spieler an und stellte vor allem die Neuzugänge kurz vor. Ich muss sagen, er machte seine Sache ziemlich gut. Wieder fotografierte ich so viel, dass ich die gesamte Veranstaltung quasi nur durch die Linse mitverfolgte. Das war sehr wahrscheinlich die falsche Herangehensweise, aber immer noch besser als gar nichts.
Nach der eigentlichen Vorstellung wurden dann die Publikumsfragen gestellt. Unter anderem wurde Tim gefragt, warum er sich ausgerechnet für diesen Verein entschieden hat und Christoph, in welcher Rolle er sich im Team sähe. Im Prinzip also eigentlich relativ langweilige Fragen. Das Aufregendste, was gefragt wurde, war die Frage an Michael, wie viele Tore er denn diese Saison schießen wolle. Das wurde dann umgeändert auf wie viele Tore er diese Saison halten wolle.

Ich wartete hinter der Bühne, um so vielleicht noch ein paar Schnappschüsse ergattern zu können. Dabei wurde ich dann von Tim angesprochen.
„Hey Christin, hast du morgen schon was vor?“, fragte er und lächelte mich freundlich an. Ich schüttelte den Kopf.
„Nein, eigentlich nicht. Ich muss halt arbeiten, aber das war’s dann auch eigentlich schon“, erklärte ich ihm. Sein Gesicht hellte sich auf und er begann zu grinsen.
„Hast du dann vielleicht Lust, mit mir aufs Stadtfest zu gehen? Also… solange dein Freund dann nicht austickt, mein ich. Soll ja solche paranoiden Psychos geben“, meinte er zwinkernd. Ich lachte.
„Ach was, klar hab ich Lust! Wann willst du denn da hin?“, meinte ich und ignorierte seine Anspielung auf Sven und unsere „Beziehung“ einfach stur.
„Ich dachte so gegen sechs. Wär das okay?“
„Wenn du mich von der Arbeit abholen kannst, dann auf jeden Fall!“, erklärte ich begeistert. „Ich hab halt um sechs Schluss, weil ich erst später anfange.“
„Klar, gar kein Thema. Wenn du magst, fahr ich dich dann auch wieder heim“, bot er netterweise an.
„Nett von dir! Also hier die Adresse…“ Ich diktierte ihm die Adresse der Praxis, während er sie in sein iPhone (warum hatte eigentlich jeder so ein Scheißding?!) eintippte.
Wir verabschiedeten uns voneinander und gingen dann getrennte Wege.

Nun ja, anschließend begleitete ich nacheinander ein paar Spieler (nach deren Erlaubnis natürlich) über die Feier, schoss hier und da ein paar Fotos, traf einen Radiomoderator und unterhielt mich kurz mit ihm und nervte Flo eine Weile, weil ich ihn ja, wie vorhin schon erwähnt, länger nicht mehr gesehen hatte.

Anschließend beschloss ich, Sven im Bistro zu besuchen.
Er stand lässig an der Verkaufstheke und schob einem älteren Kerl ein Weizenbier über die Theke. Ich kletterte hinter den Tresen und beobachtete Sven so lange, bis er kurz Zeit für mich hatte. Er grinste mich an und legte einen Arm um mich.
„Na Kleines, alles klar?“, fragte er.
„Jo“, antwortete ich und begutachtete ihn von der Seite. „Die Schürze steht dir. Schon am Überlegen, das hier mal beruflich zu machen?“ Er hatte sich ein schwarzes, schürzenartiges Ding locker um die Hüfte gebunden. In einer Seitentasche hatte er ein Portemonnaie. Wahrscheinlich für Wechsel- und Trinkgeld oder so was in der Richtung.
„Definitiv!“, antwortete er und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Nach der Arbeit schon was vor?“
„Hä? Nein. Warum?“, stammelte ich vor mich hin und schaute zu ihm auf. Die Neonröhre an der Decke ließ seine ohnehin schon tollen meerblauen Augen förmlich strahlen. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass ich hin und weg von diesem Anblick war, sodass ich nicht mitbekam, was er sagte.
„… Also dann um acht wieder hier?“, fragte Sven. Verwirrt nickte ich. Wovon zur Hölle redete er da?
„Hey… ähm… kann ich n Foto von dir machen?“, fragte ich und deutete auf die extrem professionell aussehende Kamera um meinen Hals. Sven grinste und nickte.
„Klar, mach nur.“ Ich kletterte wieder vor die Theke, während Sven sich auf einen etwa hüfthohen Durchgang zum Tresen lehnte. In diesem Moment hätte ich mich gerade selbst ohrfeigen können! Ich Vollidiotin war natürlich über die Theke gesprungen. Super, Christin, echt! Blamier dich nur vor allen Anwesenden!
Ich fokussierte Sven und stellte alles passend ein, dann warf Sven sich in Pose. Ich drückte den Auslöser und schaute mir dann das Foto an.
Das sah echt unwahrscheinlich gut aus. Er hatte sich lässig mit beiden Händen auf dem Tresen abgestützt und sich leicht nach vorn gebeugt. Sein Tattoo am inneren Oberarm kam dabei auch gut zur Geltung. Alles in Allem konnte man schon sagen, dass ich mich am liebsten auf ihn gestürzt hätte.
Jedoch konnte ich mich beherrschen und machte mich auf den Weg in die Kabine, um zu schauen, ob ich dort vielleicht ein paar der Jungs antraf. Tatsächlich hatte ich Glück und konnte sogar noch ein paar, meist recht ansehnliche, Fotos schießen.

Um halb sieben traf ich mich mit dem Fotografen wieder am Hintereingang. Er schloss meine Leihkamera an seinen Laptop an und schaute mit mir gemeinsam sämtliche Bilder durch. Von geschätzten 100 Bildern waren vielleicht drei bis fünf sowohl relevant als auch gut gewesen. Man nehme dies nun mal sechs und dann erhält man meine Leistung des heutigen Tages.  Bis wir damit fertig waren, war über eine Stunde vergangen. Ich schloss gerade einen auf Lebenszeit bindenden Vertrag mit mir selbst ab, niemals Fotografin oder sonst irgendwas in der Richtung zu werden. Never! NIEMALS!
Ich beeilte mich, um noch rechtzeitig zu Sven ins Bistro zu gelangen. Diese Hetzerei hätte ich mir allerdings schenken können, da er eh noch beschäftigt war.

Er bestand darauf, selbst zu fahren, weshalb ich irgendwann nachgab. Ausschlaggebend dafür war allerdings, dass ich sowieso keine Ahnung hatte, was dieser Kerl jetzt schon wieder vorhatte.
Während der Fahrt fiel mir folgendes auf: je mehr ich in den vergangenen Monaten mit Sven zu tun gehabt hatte, desto kuschelbedürftiger war ich geworden. Während ich im April wohl eher noch schreiend davongerannt wäre, als eine beinahe Fremde (in diesem Fallbeispiel Lea) zu umarmen, war das für mich nun das Normalste der Welt. Sollte mir das zu denken geben?

Sven hielt zehn Minuten später vorm Jagdhaus, stieg aus und hielt mir sogar die Tür auf. Misstrauisch schaute ich zu ihm hoch, als ich ausgestiegen war.
„Wer bist du, und was hast du mit Sven gemacht?“, fragte ich dieses… Etwas, das Sven zwar ähnlich sah, aber seit wann verhielt er sich bitte so gentlemanlike (was mich im Übrigen eigentlich mehr nervte, als dass ich es auf irgendeine Art und Weise charmant oder so fand und überhaupt passte es absolut nicht zu ihm!)?
Sven lachte kurz und fuhr sich dann mit einer Hand durch die Haare.
„Wir sind auch gar nicht paranoid, hm?“, fragte er spöttisch grinsend. Na das kam doch schon eher hin. Ich lachte und sprang spaßeshalber leicht gegen ihn, auch wenn ihn das nicht mal einen Zentimeter weit zur Seite drängte. Scheiß Sportler, echt!
Er ging voraus ins Jagdhaus und suchte einen Tisch in einer hinteren Ecke, am Fenster. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, was er da vorhatte. Es kam mir komisch vor. Sollte es das?
„Gibt’s hierfür eigentlich nen besonderen Grund?“, fragte ich ihn deshalb, als wir am Tisch platzgenommen hatten. Wir saßen uns gegenüber und irgendwie fühlte ich mich deswegen etwas unwohl. Ich machte mich irgendwie klein, zog die Arme dicht an meinen Körper. Ja, auch Großmaul-Christin konnte man verunsichern: man setze sie mit einem attraktiven Typen in ein Restaurant und lasse sie im Ungewissen. Und schon machte ich mich verrückt.
„Hab ich dir doch vorhin erzählt“, meinte Sven verwundert über meine Unwissenheit und fing dann ganz plötzlich an, breit zu grinsen. „Oder hab ich dich etwa mit meinem traumhaften Aussehen abgelenkt?“ Ich räusperte mich empört.
„Blödsinn! Sag mal, von was träumst du denn?!“, meckerte ich drauf los, um irgendwie von mir abzulenken.
„Jedenfalls nicht von dir“, stichelte er lachend.
„Penner!“, meinte ich. „Du weißt ganz genau, wie das gemeint war!“
„Gib Ruh!“, forderte er. Gespielt beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust und schaute mich im Restaurant um.

Einige Tische weiter saß so eine richtige „Mutti“, wie ich sie gern nannte. Sie hantierte mit ihrem extrem laut plärrenden und um sich schlagenden Kind herum und schien dennoch absolut glücklich zu sein. Ich fragte mich echt, wie die das nur ertragen konnte.
Irgendwie kam ich dabei auch auf den Gedanken, wie es wohl sein würde, wenn ich und Sven durch eine Art göttliche Fügung dann doch mal zusammenkämen und ein Kind haben würden. Ich war mir zwar recht sicher, dass ich keine Kinder haben wollte. Das lag aber ganz einfach daran, dass ich die Geduld dazu einfach nicht hatte. Nach einer Viertelstunde mit einem unausgeschlafenen, plärrenden Kind war ich mit den Nerven absolut am Ende. Fehlte nur noch, dass ich mich in einer Ecke zusammenkauerte und langsam vor und zurück wippte!
Aber auch überhaupt machte ich mir Gedanken darüber, wie wohl der Beziehungsalltag mit Sven aussehen würde. Würden wir dann vielleicht genauso werden, wie diese ganzen Pseudo-Traumpärchen, die nur Augen für sich selbst hatten und die ganze Welt um sich herum mit einem Schlag vergaßen?
Na ja, und die Frage musste sich ja irgendwie auch stellen: würden wir heiraten?
Ich meine, ich muss ganz ehrlich zugeben, dass ich von der Ehe im Prinzip eher wenig bis gar nichts hielt. Also ich meine, gegenseitige Liebe konnte man sich ja auch anders beweisen, als durch ein Stück Papier und diverse Steuervergünstigungen, oder?
Also für mich stand jedenfalls fest, dass ich nicht heiraten wollte. Ich meine, wenn mein Partner (ich hoffte ja immer noch auf einen umwerfenden Eishockeystürmer namens Sven Neumann) das unbedingt wollte, würde ich das schon auch durchziehen, aber von meiner Seite aus musste das nun wirklich nicht sein.

Da im Jagdhaus heute absolut nichts los war, kam sogar der Wirt selbst zu uns an den Tisch und nahm unsere Bestellung („Das Übliche!“) auf und verschwand dann wieder in der Küche.
„Komm schon, bist du jetzt wirklich eingeschnappt?“, fragte Sven lächelnd (nicht grinsend!). Ich schüttelte lachend den Kopf.
„Natürlich nicht!“, antwortete ich. „Ich hab nur gerad nachgedacht…“
„Über was?“, wollte er wissen. Unsicher sah ich ihn an. Konnte ich das wirklich mit ihm besprechen? Jetzt schon? Ich meine, wir waren ja nicht mal zusammen! Ich atmete tief durch. Na und wenn schon!
„Über Beziehungen, Heiraten und so einen Mist“, antwortete ich leise. Insgeheim hoffte ich, dass er das nicht gehört hatte.
„Und? Was denkst du darüber?“, fragte er und ich meinte, Hoffnung in seinen Augen ausmachen zu können. Was, wenn ich ihn dadurch komplett abschrecken würde?
„Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich Heiraten und so was für den reinsten Schwachsinn halte“, antwortete ich kleinlaut. Unsicher schaute ich zu Sven. Ich konnte sehen, wie er mich mit leicht geöffnetem Mund anstarrte. Schlagartig wurde mir noch unwohler, als sowieso schon.
„Gut“, meinte er. „Dann haben wir ja wieder was gemeinsam.“
„Wie jetzt?“
„Na, mir geht’s genauso“, sagte er. „Was glaubst du denn, warum meine "Beziehungen" bisher gescheitert sind?“ Ich zuckte mit den Schultern und sah ihn verständnislos an.
„Na ja, schau: sie fingen irgendwann an, ewig weit vorauszuplanen. Sie wollten sich so schnell wie möglich festlegen, sesshaft werden, heiraten und Kinder bekommen. Die meisten haben mir das sogar schon recht schnell gesagt. Das hatte ich dann immer im Hinterkopf und hab mich quasi schon für ein Leben lang festgelegt –nein, festgekettet! – gesehen. Das mag sich jetzt krass anhören, aber so ist es nun mal.“ Verlegen fuhr er sich durch die Haare und wartete meine Reaktion ab.
Entgeistert schaute ich ihn an. Mal abgesehen davon, dass er selten so viel geredet hatte– Sven war der letzte gewesen, von dem ich das vermutet hatte. Er war mir schon immer wie der typische Familienmensch vorgekommen. Also das krasse Gegenteil von mir.
Aber dennoch freute ich mich irgendwie darüber. So hatte ich immerhin schon mal eine Sorge weniger.

Unser Essen kam dann jedenfalls recht bald, wir unterhielten uns eine halbe Ewigkeit über diversen Blödsinn und lachten ohne Ende. Letzten Endes lief es darauf hinaus, dass wir uns die Rechnung teilten, nach Hause fuhren und dann noch eine Runde mit Sam spazieren gingen. Viel mehr passierte an diesem Abend allerdings auch nicht mehr.

You're kidding me, right?!

Als ich aus der Praxis kam, wartete Tim tatsächlich schon davor auf mich. Wow, auf den Kerl war echt Verlass! Na ja, gut… Konnte auch daran liegen, dass ich eine Viertelstunde länger hatte bleiben müssen, weil alles doch etwas länger gedauert hatte, als ich kalkuliert hatte.
„Na, alles klar?“, fragte Tim, der sich an seinen Skoda lehnte. Der wurde ihm übrigens genauso wie allen anderen Spielern vom Verein gestellt. Ich nickte.
„Passt schon. Bin ein bisschen gestresst“, antwortete ich zwinkernd. Tim lachte und setzte sich dann ins Auto. Mir fiel auf, dass Sven sogar das gleiche Modell fuhr.

Es dauerte nicht lang, bis wir am Festplatz waren. Höchstens eine Viertelstunde vielleicht. Tim hatte sein Auto praktischerweise auf dem VIP-Parkplatz am Stadion parken können. Allerdings dauerte es von dort aus einige Zeit, bis wir am Festplatz waren, da es doch ein ganz schön langer Fußweg war. Na ja, jedenfalls dafür, dass sowohl das Stadion als auch der Festplatz recht zentral gelegen waren.
„Hast du Lust an den Ständen vorbeizugehen?“, fragte Tim, woraufhin ich vehement den Kopf schüttelte. Das musste nun wirklich nicht unbedingt sein. Meist verkauften die da sowieso nur Strohhüte, Taschen, Süßigkeiten und Wolle. Na ja, und diverse Reiniger…
„Klasse! Dann komm hier lang“, meinte er und deutete auf eine schmale Gasse. Perplex folgte ich ihm und fand mich ungefähr zwei Minuten später mitten auf dem Festplatz mit Bühne und allen erdenklichen Fahrgeschäften wieder. Staunend schaute ich mich um.
Inzwischen war es bestimmt sieben Uhr und folglich auch schon recht dunkel draußen. Die blinkenden bunten Lichter der Buden und Fahrgeschäften sahen dadurch schon verdammt cool aus. Eine Menge Leute tummelten sich auf dem Festplatz, stopften sich mit Liebesäpfeln und Zuckerwatte voll und lachten ohne Ende. Ich gebe zu: Ich liebte solche Veranstaltungen über alles! Da wurde ich wirklich wieder zum Kind, rannte mit leuchtenden Augen umher und wollte alles unbedingt mal ausprobieren.
„Na?“, meinte Tim. „Schön hier?“ Ich nickte wie wild und wurde dann aber auch schon von Tim zum Autoscooter gezogen. Er holte Fahrchips und drückte mir die Hälfte davon in die Hand. Drei Runden… Passt!
Ich sprang sofort in eine dieser elektrisch gesteuerten Sardinenbüchsen und wartete ungeduldig auf die Startsirene, während ich aber schon halb auf diesem winzigen Teil hing und den Chip über dieses komische Teil hielt, dass die grellbunten Sardinenbüchsen aktivierte, wenn man diese Chips hineinsteckte. Meine Frustration wurde dadurch gesteigert, dass die aktuelle Runde noch gefühlte zwanzig Minuten dauerte.
Ich hatte die Hoffnung, schon fast aufgegeben, als plötzlich ein Typ zu mir in die Sardinenbüchse hüpfte und sich neben mich setzte. Dreist legte Christoph seinen Arm um meine Rückenlehne und hängt ein Bein über den Rand dieses Teils. Dann ertönte endlich die Sirene. Sofort drückte ich den Chip in dieses Box-Teil und gab Vollgas (also so 5 km/h).
Gemeinsam mit Tim spielte ich quasi den „Schrecken“ der Kiddies, wobei wir eigentlich eh immer nur gegeneinander prallten. Christoph blieb im Übrigen die ganze Zeit über neben mir sitzen. Nach den von Tim bezahlten drei Runden, gingen wir dann zu dritt weiter über den Festplatz.
„Ey Chrissy, Bock auf n Wettschießen?“, meinte Christoph plötzlich und deutete auf die Schießbude. Ich war sofort dabei, gerade auch weil Christoph mich dabei letztes Jahr so richtig abgezogen hatte. In der Zwischenzeit hatte ich aber mit meinem Vater geübt. Keine Angst, natürlich nur mit Luftgewehr auf Privatgrund und zudem auch in einer recht menschenleeren Gegend. Es ist also auch wirklich keiner zu Schaden gekommen.
Tim klinkte sich ein und lief mit uns dort rüber. Der Typ in der Schießbude war ein ziemlich schmieriger Unsympath, der mich spöttisch anschaute, als ich für 20 Schuss gezahlt hatte und das Softair-Gewehr in die Hand nahm. Tim und Christoph hatten sich ebenfalls jeweils eines genommen. Jeder hatte 20 Schuss. Wer am meisten traf, gewann. Wir schossen nacheinander, sodass der „Wettkampf“ doch recht fair verlief.
Am Ende sah es so aus, dass sowohl Christoph als auch ich 19 Treffer gelandet hatten. Bei Tim waren es 13.
Wir legten die Gewinnchips zusammen und tauschten sie gegen eine sogar recht originalgetreue Nachbildung von Chucky der Mörderpuppe ein. Tim fand die nämlich extrem cool und für mich und Christoph ist sowieso nichts an Gewinnen dabei gewesen. Aber nächstes Mal würde ich ihn definitiv so richtig fertig machen!

Anschließend schlenderten wir wieder über den Platz, bis ich die Jungs dann beinahe andächtig zum Breakdancer zog. Na ja, Breakdancer jetzt nicht, ich glaube „Jumper“ oder so hieß dieses Ding. Jedenfalls saßen wir dann in einer Art riesiger, auf die Seite gelegter Trommel mit Sitzbänken an der Innenwand. Wir saßen mit schätzungsweise dreißig bis fünfzig Leuten (nein, ich hatte es echt nicht so mit Schätzen) in diesem Ding und schon wenige Sekunden später begann das Ding sich wie irre zu drehen und kippte dabei immer wieder ein Stück zur Seite. Die Jungs beschlossen, sich einen Spaß daraus zu machen, mich vom Sitz zu schubsen und mich dann auf dem Metallboden dieser Trommel herumrutschen zu lassen. Für ihn dann doch recht unerwartet zog ich bei diesem Versuch aber auch gleich noch Christoph mit vom Sitz und schlitterte mit ihm gemeinsam auf dem Boden herum, während Tim sich einen Ast ablachte.
Nach der Fahrt beschlossen wir, erst mal etwas trinken zu gehen, also veranstalteten wir eine Art Wettrennen ins Bierzelt, wo gerade eine lokal sehr bekannte Coverband auftrat. Die Jungs waren sofort an der Biertheke wiederzufinden, während ich beschloss, es heute mal bei non-alkoholischen Getränken zu belassen. Folglich bestellte ich mir eine Sprite und stellte mich dann wieder zu den beiden biertrinkenden Typen.

Nach der Fahrt, wollte Tim unbedingt Riesenrad fahren und zog uns unnachgiebig mit dorthin. Er meinte, er wolle die Stadt endlich mal bei Nacht und von oben sehen. Jedenfalls saßen wir dann zu dritt in einer dieser Gondeln. Als wir gerade losfuhren, begann ich bereits zu zittern. Doch kurz bevor wir am höchsten Punkt angekommen waren und die Jungs sich derweil der Aussicht erfreuten, ertrug ich es einfach nicht mehr. Die Höhe war schrecklich und dann war es auch noch stockdunkel (von diesen bunten Blinklichtern mal abgesehen). Na ja, und die Jungs brachten dieses Scheißding von Gondel nun auch noch zum Drehen und Schaukeln!
Deswegen rutschte ich wie aus Reflex zu Tim und klammerte mich beinahe panisch an seinem Arm fest. Das half vielleicht nicht sonderlich viel, aber wenigstens etwas. Tim war sichtlich überfordert, bis Christoph ihm erklärte, dass ich Höhenangst hatte. Tim lachte auf und brachte mich dann irgendwie dazu, mich aufrecht hinzusetzen. Er legte seinen Arm um meine Schultern und zog mich dicht an sich heran. Ich hatte meine Augen weit aufgerissen, mein Herz hämmerte unglaublich schnell in meiner Brust. Ich war wirklich kurz davor, zu kollabieren. Na ja, und dass mich mein großer, strahlender Kindheitsheld da gerade im Arm hielt, machte es nicht sonderlich viel besser.
Er drückte meinen Kopf in seine Halsbeuge und strich mir über den Kopf. Ich atmete seinen Geruch ein und irgendwie roch er ähnlich wie Sven, aber halt nur so ähnlich. Jedenfalls beruhigte ich mich dadurch etwas und stand so dann auch die restlichen drei Runden durch, wobei ich in Bodennähe wieder recht ruhig war und bei der letzten sogar den Ausblick bewunderte.
„Woher wusstest du, wie du mich beruhigen kannst?“, fragte ich Tim ebenfalls während dieser letzten Runde.
„Ich bin gelernter Erzieher und hab ne Freundin mit schrecklicher Angst vor Spinnen, Dunkelheit und Brücken“, erklärte er lachend. „Und da wunderst du dich noch?“ Nun musste ich ebenfalls lachen.
Die Jungs rissen ununterbrochen Witze. Ich vermute mal, um mich abzulenken. Als wir wieder in Bodennähe gelangten, bedankte ich mich nochmal bei Tim.
Auch als wir ausstiegen, hatte Tim noch immer seinen Arm um mich gelegt und drückte mich an sich (ich zitterte noch immer wie blöde) und dank der Witze, die die beiden erzählten, hatte ich beinahe einen Lachkrampf. Den Jungs ging es da nicht viel anders. Tim lehnte seinen Kopf gegen meinen, schloss die Augen und hielt sich den Bauch.

Ich sah auf und schaute direkt in das Gesicht von Sven, der mich ausdruckslos anschaute. Er schnaubte verächtlich und ging weiter. Ich löste mich hektisch von Tim.
„Könnt ihr bitte mal ohne mich weitergehen? Ich finde euch dann schon wieder“, bat ich und schaute unruhig Sven hinterher. Ich wusste doch ganz genau, wie eifersüchtig er war, selbst wenn er dazu nicht den geringsten Grund hatte. Er verschwand schon beinahe wieder unter den Leuten. Ich musste ihm so schnell wie möglich hinterher! Christoph brüllte mir noch irgendwas von wegen „Bierzelt“ hinterher, doch mehr bekam ich nicht mehr mit.
Ich packte Sven an der Schulter, sobald ich ihn erreicht hatte.
„Was?“, fragte er kühl. Nicht mal ein Stückchen Wut oder so etwas in der Richtung schwangen darin mit.
„Komm bitte mit, ich will dir was erklären“, bat ich ihn und deutete in Richtung Riesenrad. Es kostete mich etwas Geduld und Überredungskunst, aber ich bekam ihn dazu, sich mit mir in einer dieser Drecksgondeln zu setzen. Ich begann wieder zu zittern.
„Was willst du mir erklären?“, fragte er genauso kühl wie eben auch. Eben… Auf festem Boden…!
„Du bist eifersüchtig wegen Tim eben, oder?“, hakte ich nach. Sven zeigte keine Reaktion. Ich konnte nicht anders, als näher an ihn heran zu rutschen. Je höher wir kamen, desto schlimmer zitterte ich. Aufgrund der Aufregung wegen Sven war es sogar noch schlimmer als eben!
„Rück mir nicht so auf die Pelle“, forderte Sven monoton und schaute sich die Stadt und deren Umgebung an, als wäre sie das Interessanteste der Welt.
„Jetzt schau mich an!“, meinte ich doch schon recht energisch. Und tatsächlich sah er mich an. Ausdruckslos. Wie eben auch. Ich hielt ihm meine Hand vors Gesicht. Man sah deutlich, dass ich zitterte wie blöde.
„Ich hab Höhenangst. Richtig schlimme Höhenangst. Das ist auch der Grund dafür, warum ich Fliegen, Seilbahnen und sogar Wasserrutschen so vermeide“, erklärte ich ihm mit zitternder Stimme. „Frag meinetwegen Olli, Flo oder Christoph. Die durften das schon miterleben.“ Sven schnaubte.
„Ich bin eben fast durchgedreht und hab mich dann an Tim geklammert. Glaub mir, es gibt nichts, weswegen du eifersüchtig sein müsstest. Wenn überhaupt hätte ich da bei deinen Fangirlies viel mehr Grund dazu!“
„Hast du nicht. Du weißt genau, dass ich nichts von denen will“, antwortete er leicht aufgebracht. Ich schrie auf und wedelte ihm mit meinem Zeigefinger vor der Nase herum.
„Genau auf das will ich hinaus!“, meinte ich. „Was sollte ich denn bitte von Tim oder sonst wem wollen?“ Er zuckte mit den Schultern und sah mich einfach nur an, ohne auch nur ein Wort zu sagen.
„Du kannst mir ruhig glauben, wenn ich dir etwas sage. Ich bin da nicht anders als du! Glaubst du ernsthaft, ich hätte dir gegenüber diese drei Worte gesagt, wenn ich sie nicht auch so meinen würde?!“
„Welche drei Worte?“, fragte er grinsend. Nun ja, Das war immerhin schon mal ein sehr gutes Zeichen, wenn er sein Grinsen wiedergefunden hatte. „ ‚Sven, du Arschloch‘ vielleicht?“ Lachend stieß ich ihm mit dem Ellbogen in die Seite.
Allerdings überkam mich plötzlich die Angst, als wir am höchsten Punkt stehen blieben. Dennoch blieb ich so ruhig wie möglich sitzen.
„Christin…“, fing er an und machte eine kleine Pause. Es schien, als müsste er sich wirklich überwinden. „Es tut mir leid. Ich habe überreagiert, das weiß ich.“
„Hast du!“, meinte ich empört.
„Halt die Schnauze!“ Sven lachte. „Jedenfalls hab ich mir schon auf der Fahrt ins Trainingslager gefragt, wie ich dir das jetzt beibringen soll, aber-“
„Du bist schwul?!“, rief ich theatralisch dazwischen. „Ich hab’s geahnt!“ Sven schlug mir leicht auf den Hinterkopf, womit er mich unweigerlich zum Lachen brachte und nun auch selbst grinsen musste. Hatte ich doch recht gut hinbekommen, oder?
„Jetz hör a mal auf!“, rief er schnell, was mich mal wieder zum Lächeln brachte. Ich liebte es komischerweise einfach, wenn er das sagte. Keine Ahnung, warum. Wirklich nicht.
„Ich hab mir jedenfalls überlegt, wie ich dir das jetzt sagen soll, aber ich hab keine zufriedenstellende Antwort darauf gefunden“, erklärte er während ich betete, dass er bald aufhörte, so ewig um den heißen Brei herum zu reden.
„Auf jeden Fall wollt ich dich fragen, ob du… na ja… mit mir zusammen sein willst?“ Fassungslos schaute ich ihn an. Es war, als wäre die Zeit komplett stehengeblieben. Wie in Zeitlupe nickte ich stumm. Er beugte sich zu mir vor, umarmte mich und küsste mich.
Und ja, das war wirklich der schönste Moment meines bisherigen Lebens. Nicht mal mein erstes Eishockeyspiel konnte das toppen (kam jedoch trotzdem nahe heran).

Das Riesenrad setzte sich wieder in Bewegung. Sven und ich stiegen aus und marschierten gemeinsam in Richtung Bierzelt. Tim und Christoph standen an einem der vielen Stehtische und sagen lautstark das aktuell angestimmte Lied der Coverband mit. Sven und ich stellten uns zu ihnen. Sven grinste so breit wie nie und hatte seinen Arm um meine Schultern gelegt. Mein Kopf lehnte an seiner Brust.
Tim und Christoph grinsten sich wortlos an.

Ich war nun endlich mit Sven zusammen. Und Augsburg… die spielen immer noch DEL!

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 01.02.2014

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Vielen Dank an jeden, der mir das hier ermöglicht hat. Am meisten jedoch den Menschen, die mir gezeigt haben, was es heißt zu leben und glücklich zu sein.

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