Falcon Hall, im Oktober.....
„Ich habe dir vertraut, Adian!“
„Ja das hast du, mo chridhe Und ich gebe zu, ich habe es schändlich ausgenutzt.“
„Oh ja ! Du hast mich belogen! Mir nicht vertraut! Warum? Warum nur?“
„Weil ich dich mehr liebe als jede andere Frau in meinem Leben.“
Anna wandte ihren Blick von dem Mann vor sich ab und sprach leise auf den Falken auf ihrer Faust ein. Behutsam strich sie über das Federkleid des Vogels und stülpte die lederne Haube über den Falkenkopf.
„Und du glaubst jetzt wirklich, du könntest jetzt nach Wochen hier wieder auftauchen, mir sagen, dass du mich liebst, und hoffen, dass ich vergesse, was vorgefallen ist? Verdammt Adian, ich bin kein pubertierender Teenager!
Adian verbarg seine geballten Hände in den Taschen seiner Regenjacke. Er wusste Anna hatte recht. Recht mit allen, was sie ihm hätte vorwerfen können. Er unterdrückte den Fluch, der ihm auf den Lippen brannte. Es wäre ihm lieber gewesen sie würde ihn anschreien oder angreifen. Alles, nur nicht diese eisige Ruhe, die sie ausstrahlte. Die war ihm so fremd. Beinahe so fremd wie die Frau vor ihm. Sie hatte sich seit ihrer letzten Begegnung verändert. Hatte abgenommen. Das Feuer in ihren Augen, das er so liebte und in den letzten Wochen schmerzhaft vermisst hatte war erloschen. Und es trieb ihn an den Rand der Verzweiflung, dass sie seinen Blick mied. Wo war nur die Anna er die liebte. Begehrte? Die Frau, die keine Scheu hatte ihm zu schonungslos ihre Meinung zu sagen? Die sich zärtlich in seine Arme geschmiegt hatte?
Was habe ich nur angerichtet?
„Anna ich bitte dich,“ versuchte er es erneut, als er sah, dass sie sich suchend nach ihrem Hund umblickte. „Ich weiß, das ich einen Riesenfehler gemacht habe, aber...“
Annas Kopf fuhr herum. Adian senkte den Kopf. Der Anblick ihrer tränengefüllten Augen brach ihm das Herz.
„Das hast du wahrhaftig, Adian McKenzie. Du hast meine Liebe mit Füßen getreten. Aber weißt du, was das Schlimmste für mich ist?“
Adian schüttelte seinen Kopf. Versuchte ihrem Blick standzuhalten.
„Ich liebe dich noch immer.“
Adians Herz macht einen Satz. Ein Lächeln, von er geglaubt hatte das er es für immer verloren hatte breitete sich in seinem Gesicht aus. Hoffnungsvoll machte er einen Schritt auf Anna zu. Einhaltgebietend fuhr ihre rechte Hand in die Höhe.
„Aber es hat sich einiges geändert, während du weg warst.“
"Was? Was hat sich geändert, Anna?“ Adian stieß einen gälischen Fluch aus, der Anna die Röte ins Gesicht trieb. „Ist es Dougal? Hast du dich letztendlich für ihn entschieden?“
Anna hob ihre freie Hand und augenblicklich trat aus dem Schatten der alten Eiche ein schwarzer Hirtenhund hervor.
„Chance, wir gehen!“
Falcon Hall sieben Monate zuvor ……
„Hier steckst du! Ich habe dich schon überall gesucht!“
Fluchend schoss Adian von seinem Schreibtischstuhl hoch. Lautlos segelten die Seiten seines neuen Kapitels, das er gerade Korrektur gelesen hatte zu Boden.
„Himmel Flora! Hast du mich erschreckt. Ich habe dich gar nicht kommen hören.“
Mit zwei großen Schritten eilte er auf seine Tante zu und reichte ihr seinen Arm.
„Komm, setze dich. Du weißt doch das der Doktor dir geraten hat deinen Fuß noch eine Weile zu schonen.“
„Ich könnte mich ja schonen, wenn mein eigenwilliger Neffe da wäre, wo er gebraucht würde.“
Gemächlich führte Adian seine Tante zu dem ledernen Sofa neben dem Kaminofen. Eilig fegte er mit seiner freien Hand einen Stapel alte Zeitungen, den Pullover und seinen ledernden Falknerhandschuh herunter und drückte Flora sanft in das Leder. Suchend sah er sich um, zog einen Stapel Bücher neben dem Tisch hervor und bettete Floras bandagierten Fuß darauf. Dann ließ er sich lässig in den Sessel gegenüber fallen.
„Du hättest nur anrufen müssen. Ich wäre sofort gekommen.“
Flora blickte sich in dem kleinen Wohnzimmer des Cottages um und schüttelte missbilligend den Kopf.
„Ich frage mich, ob du in diesem Chaos überhaupt dein Telefon finden würdest.“
„Ich weiß genau wo ...“
Floras Hand fuhr in die Höhe.
„Ich bin nicht hier um mich mit dir über deine, ähm ... häuslichen Fähigkeiten zu unterhalten,“ unterbrach Flora ihren Neffen. „Ich wollte dich lediglich daran erinnern, dass die Maschine aus Frankfurt um vier Uhr landet.“
„Welche Maschine landet wo?“, fragte Adian irritiert.
„Die Maschine aus Frankfurt landet um vier Uhr in Inverness. Du hattest mir fest versprochen, Anna vom Flughafen abzuholen.“
„Heute?“ Hastig warf Adian einen Blick auf seine Armbanduhr. Verdammt ihm blieb nur noch eine Stunde für den Weg. Dabei er hatte weiß Gott etwas Sinnvolleres zutun.
„Ehrlich Tantchen, ich verstehe dieses ganze Theater nicht. Es gibt genug gute Veterinäre in Schottland, die besser für eine Landpraxis geeignet wären als diese Stadtlady.“
„Anna ist nicht nur die beste Tierärztin, die ich kenne, sondern auch die Qualifizierteste.“
Adian schnaubte verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Sie wird auch nicht anders sein als andere Frauen. Warte erst einmal ab, bis sie merkt, dass sie hier keine Horde Assistenten hat, die sie herumkommandieren kann.“
„Ich finde wirklich das du für derart verschrobene Ansichten noch zu jung bist.“
„Erlaube mal, ich bin fünfunddreißig Jahre alt. Da kannst du mir schon etwas Menschenkenntnis zutrauen.“
„Was aber immer noch nichts an der Tatsache ändert, das Anna die Praxis übernehmen wird. Sie kennt das Land und die Menschen hier gut. Außerdem war es immer Rogers und mein Wunsch, dass sie wieder hierher zurückkommt.
Flora warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und umklammerte den Griff ihres Gehstockes. „Fährst du jetzt, oder muss ich mich bemühen?“, fügte sie mit Nachdruck hinzu.
„Wir werden ja sehen, wie lange sie es hier durchhält,“ brummte Adian kaum hörbar und erhob sich. Das hatte ihm auch gerade noch gefehlt. Eine hochtrabende Karrierefrau, die sich hier in Falcon Hall breitmachte. Wahrscheinlich würde sie ihm auch noch vorschreiben, wie er mit den Falken umzugehen hatte.
Er zog die Schubladen seines Schreibtisches nacheinander heraus und durchsuchte sie leise vor sich hinmurrend. Räumte den Stapel von Notizen und Briefen der Privatdetektei, die er angagiert hatte, beiseite.
„Falls du deine Wagenschlüssel suchst, die liegen auf der Kommode im Flur,“ sagte Flora und konnte sich ein Schmunzeln über ihren zerstreuten Neffen nicht sich versagen. Adian schob fluchend die Schublade zu und stürmte aus dem Zimmer. Mühsam erhob sich Flora vom Sofa und folgte Adian in den Flur.
Adian schob gerade seinen zweiten Arm in den Ärmel der Jacke, als er seine Tante kommen sah.
„Wohin soll ich diese Anna eigentlich bringen? Du hast nie erwähnt, wo sie wohnen wird.“
Flora sah ihn an und deutete mit ihrem Gehstock zur Treppe, die in die obere Etage führte.
„Oh nein Flora! Das schlage dir aus dem Kopf! Und zwar ganz schnell! Mein Lektor sitzt mir schon wie eine Furie im Nacken, weil er auf die nächsten Kapitel wartet. Ich brauche meine Ruhe...“
„Es wird wohl deinem literarischen Talent nicht schaden, wenn Anna hier wohnt,“ unterbrach Flora den Redeschwall ihres Neffen. „Außerdem hat ein bisschen Gesellschaft noch jedem gut getan.“
„Dann lasse sie bei dir im Haupthaus wohnen.“
„Wenn du nur die Güte hättest, mir hin und wieder zuzuhören,“ stöhnte Flora, „ dann wüsstet du, dass in ein paar Tagen die Renovierungsarbeiten beginnen werden. Und abgesehen davon braucht sie nur über den Hof zu gehen und ist in der Praxis.“
Ihre Lippen zuckten verräterisch, als die Tür krachend hinter Adian ins Schloss fiel.
Eine Stunde später trat Adian auf die Bremse und hupte ungeduldig.
„Verdammt, das hier ist keine Seniorenparty! Wirf deine Alte aus dem Wagen und halte nicht den Verkehr auf.“
Der eindeutige Fingerzeig, mit dem ihm der Fahrer des Mercedes bedachte, entlockte ihm nur ein breites Grinsen. Geschickt lenkte er seinen Range Rover an dem Wagen vorbei und gab Gas.
Eigentlich war es ihm völlig egal, ob er diese Anna von Barring pünktlich abholte oder nicht, aber er hatte es nur mal Flora versprochen. Und er war ein Mann, der seine Versprechen hielt. Vergeblich versuchte er, einen der begehrten Parkplätze vor dem Flughafen zu erhaschen.
„Verdammt, ich habe weitaus Besseres zu tun, als für diese Frau den Chauffeur zu spielen,“ knurrte Adian.
Er nahm sich fest vor Thompson &Thompson anzurufen, sobald er wieder zu Hause war. Und wenn er diesen überbezahlten Privatdetektiv wegen der Zeitverschiebung aus dem Bett jagen musste. Wie lange konnte es denn dauern an die Beweise zu kommen, die er so dringend benötigte? Und dann würde er sich wieder seiner Arbeit widmen. Es wurde endlich Zeit das Tom Wolf, der FBI-Agent, seiner hoch dotierten Bestseller in Erscheinung trat. Und wehe diese „von Barring“, würde auch nur einen Mucks von sich geben, der ihn beim Schreiben stören würde.
Gedankenversunken lenkte Adian den Wagen wieder und wieder durch die umhereilenden Menschen und wartenden Autos vor dem Flughafengebäude. Erleichtert atmete er auf, als er eine freiwerdende Parklücke entdeckte, und drückte das Gaspedal durch.
Nur einen Wimpernschlag später riss er das Lenkrad herum und trat hart auf die Bremse.
„Oh mein Gott,“ flüsterte er und riss die Arme vors Gesicht. Schweißtropfen liefen über sein Gesicht und sein Herz schlug hart, beinahe schmerzhaft in seiner Brust.
Adian atmete tief durch und öffnete die Augen.
„Heilige Scheiße!“, flüsterte er und wusste das seine Welt kopfstand, als er in ein Paar goldbrauner Augen blickte.
Fassungslos musterte Anna den Kühler des nachtschwarzen Range Rovers. Sie spürte noch die Wärme des abgestellten Motors und schloss die Augen. Mit zitternden Fingern strich sie den Tweedblaser, den sie zu ihrem kurzem Rock trug glatt.
„Nichts passiert..., es geht mir gut..., es ist nichts passiert....,“flüsterte sie wieder und wieder und versuchte nicht daran zu denken, was hätte geschehen können, wenn sie nicht geistesgewärtig auf den Gehsteig zurückgesprungen wäre.
„Verdammtes Frauenzimmer! Sind Sie lebensmüde?“
Anna spürte eine Hand auf ihrer Schulter, und noch bevor sie reagieren konnte, wurde sie rüde herumgeschleudert.
Sie blinzelte und ihr Blick traf auf etwas Großes, - Massives. Schwarzer Stoff spannte sich um einen Brustkorb, der nur aus Muskeln zu bestehen schien.
Himmel,ich bin mit einem Riesen kollidiert! Verärgert, weil sie den Kopf in den Nacken legen musste, setzte sie zum Sprechen an. Doch ihr Protest erstarb auf den Lippen.
Gefesselt von dem Anblick moosgrüner Augen, die von dichten dunklen Wimpern umgeben waren, starrte sie auf den Hünen vor sich. Die gälischen Flüche, die er wütend ausstieß, als sich ihre Blicke trafen, erreichten nicht ihr Ohr. Gebannt lauschte sie dem Klang seiner Stimme. Eine Mischung aus Sahnetrüffel und altem Whisky. Ihre Augen weiteten sich, als er mit einer abgehackten Geste sein schulterlanges, rabenschwarzes Haar zurückstrich und dabei eine Narbe über der linken Augenbraue offenbarte. Eine Narbe, die nur die Anmut dieses markanten Gesichtes unterstrich. Gedankenversunken fuhr sie sich mit der Zungenspitze über ihre leicht geöffneten Lippen. Sie spürte den Ruck der durch den Körper des Fremden ging mehr als das sie in sah.
Erschrocken trat sie zurück und prallte gegen den Wagen. Himmel! Was ist nur in mich gefahren?
„Es tut mir leid,“ stammelte Anna. „Ich war ...“
„Mir ist, egal was sie waren oder sind.“ Adians Blick wanderte über den Anhänger des schwarzen Rollkoffers.
Annas augenblickliche Verblüffung über diesen Hünen wandelte sich in dem Augenblick, als sie seinen Blick bemerkte, der abschätzend von ihrem Gepäck bis hin zu ihrem maßgeschneiderten Kostüm glitt.“
„Hey, was soll das?“, rief Anna empört. „Finger weg von meinem Gepäck!“
„Mal langsam Lady. Ich habe nicht um diesen Job nicht gebeten. Also schwingen Sie ihre kurzen Beinchen in meinen Wagen. Dann können wir hier verschwinden.“
Anna stemmte die Hände in die Hüften.
„Sie müssen dümmer sein, als sie aussehen, wenn sie annehmen, dass ich einfach zu einem Unbekannten in den Wagen steige.“
Mit einem dumpfen Bums landete der Rollkoffer auf dem Gehsteig.
„Meinetwegen,“ brummte Adian und stieg in den Rover. Lässig lehnte er sich aus dem Seitenfenster.
„Mir ist, egal wie sie nach Falcon Hall kommen. Ich werde Florentine ausrichten, dass sie nicht mitfahren wollten.“
„Was?“ Anna verstand die Welt nicht mehr. Flora hatte doch versprochen, sie abzuholen.
„Sie kommen von Falcon Hall?“
„Meinen Sie ich bin freiwillig hier um etwas wie sie mitzunehmen? Aber egal, Sie hatten ihre Chance.“ Adian startete den Wagen.
Mit einem Satz sprang Anna vor den noch stehenden Rover.
„Augenblick! Warum kommt Flora nicht?“ , schrie sie gegen das mittlerweile ohrenbetäubende Hupkonzert der Autos, die nicht an Adians Wagen vorbeikamen, an.
„Sie hatte vor einigen Tagen einen kleinen Unfall,“ erklärte Adian und wandte sich dann dem laut fluchenden Fahrer hinter sich zu. „Halt die Klappe! Was kann ich denn dafür das sich dieser Zwerg nicht entscheiden kann, ob er einsteigen will oder nicht!“
Anna war hin und her gerissen, zwischen der Möglichkeit dieser Ausgeburt eines Rüpels gehörig die Meinung zu sagen, oder ihren Koffer zu nehmen und sich nach einem Leihwagen umzusehen. Aber der Gedanke an die unnötigen Kosten brachte sie schnell zur Besinnung.
„Ok, Sie haben gewonnen!“ Hastig griff Anna nach ihrem Koffer. Aber nur dieses Mal, Sie Grobian. Sie öffnete die Beifahrertür reichte Adian den Koffer und kletterte so damenhaft, wie es ihre High Heels es zuließen in den Rover.
Anna hatte keinen Blick für die raue Schönheit der Highlands, durch die seit einer halben Stunde rasten. Immerhin hatte sie sich soweit beruhigt, dass keine Gefahr mehr bestand, dass sich ihre Hände um Adians Kehle legen würden. Sie strich sich eine Haarsträhne, die sich aus ihrem Chignon gelöst hatte aus dem Gesicht und betrachtete den Mann, der seinen Blick stur auf die Fahrbahn gerichtet hielt.
Zugegeben, sein Anblick hatte sie etwas aus der Bahn geworfen. Was nur daran liegen konnte, dass sie seit zwei Jahren mit keinem Mann mehr zusammen gewesen war. Angewidert schüttelte Anna den Kopf. Nein es war nur der Schreck, weil ich beinahe in seinen Wagen gerannt wäre, versicherte sie sich selbst.
„Wer sind sie eigentlich?“, fragte Anna um jeglichen weiteren Gedanken an diesen Mann und seinen prachtvollen Körper aus ihren Gedanken zu verbannen.
„Adian.“
„Adian - und weiter?“
„Adian McKenzie.
„Wie geht es Flora?“
„Gut.“
„Sie ist doch hoffentlich nicht sehr schwer verletzt?“
Erfreut stellte Anna fest, dass sich Adians Hände fester um das Lenkrad legten und er seine Lippen fest aufeinander presste.
„Nur eine Verstauchung.“
„Nur ist relativ. Was hat sie denn gemacht?“
„Umgeknickt, auf der großen Wiese.“
Anna trommelte mit ihren Fingern auf den Schenkeln. Himmel, ein Esel kann nicht sturer sein. Sie holte tief Luft und ergab sich schmunzelnd dem Bedürfnis seine Arroganz zu kitzeln.
„Sind alle McKenzies so gesprächig? Oder bilden sie die Ausnahme?“
Adian riss das Lenkrad herum, lenkte den Wagen auf den Seitenstreifen und trat auf die Bremse.
Das Einrasten des Sicherheitsgurtes raubte Anna den Atem. Das rhythmische Brummen des Motors erlosch. Mit schmerzverzerrtem Gesicht massierte sie ihre Hände, mit denen sie sich dummerweise an der Konsole abgestützt hatte.
Adians Kopf fuhr herum und seine Augen blitzten gefährlich auf, während er sich zu ihr hinunter beugte. Anna atmete tief ein. Sog den Duft von feinem englischen Leder und Mann ein.
„Höre gut zu Lady. Ich wiederhole mich nur sehr ungern. Ich bin nur meiner Tante zuliebe der Chauffeur.“ Sein Gesicht kam bedrohlich näher. „Also lasse mich gefälligst in Ruhe fahren und genieße die Aussicht.“
Annas Hand schnellte an seiner Brust vorbei und mit einem Ruck riss sie den Zündschlüssel an sich.
„Merken Sie sich eines Sie ..., Sie schottischer Bergtroll!“ Anna hielt Adians Angst einflößenden Blick stand und ignorierte das knurrende Geräusch, das er von sich gab. Krampfhaft ballte sich ihre Hand um den Schlüsselbund.
„ICH habe nicht um einen Chauffeur gebeten,“ stieß Anna hervor. „Fakt ist, dass ich ...“
„Fakt ist nur Zwerg ...,“ fiel Adian ihr ins Wort „dass Sie hier in MEINEM Wagen sitzen.“ Er legte seine Hand in ihren Nacken. „Und Fakt ist außerdem, dass SIE, wenn Sie nicht die restlichen acht Kilometer zu Fuß gehen, möchten ganz schnell den Schlüssel rausrücken werden.“ Der raue Klang seiner Stimme jagte Anna einen Schauer über den Rücken.
„Nein!“
„Nein?“
Anna sah die schiere Wut in seinen Augen lodern.
Du machst mir keine Angst! Du nicht!
„Nein! Nicht bevor sie sich wie ein zivilisierter Mensch verhalten.“
Adian warf den Kopf in den Nacken und der Rover bebte unter seinem dröhnenden Lachen.
„Vergessen Sie es!“ Sein abfälliger Ton schürte ihre Empörung erneut.
„Na gut – wie Sie meinen!“ Blitzschnell öffnete Anna die Beifahrertür und die Hand mit dem sie den Zündschlüssel abgezogen hatte, schoss nach draußen. Lächelnd wandte sie sich zu Adian um.
„Würde vorschlagen, Sie machen sich auf die Suche nach dem Schlüssel oder wir laufen beide.“
Mit einem Grinsen löste Anna ihren Gurt. „Also hopp.“
Überrumpelt von diesem unerwarteten Manöver, öffnete Adian die Wagentür und sprang derbe fluchend heraus.
„Wenn Sie sich auch nur einen Schritt vom Wagen entfernen, erwürge ich Sie!“
Noch immer fluchend rannte er über die Steinbrücke den Abhang hinunter.
Lächelnd holte Anna den Schlüsselbund aus ihrer Jackentasche und rutschte auf den Fahrersitz.
„Bye Bye McKenzie!”
Fluchend riss Anna das Lenkrad herum. Verdammt, nur wegen einem Paar grüner Augen, einer betörenden Stimme und einem Luxus von Muskeln hätte sie um ein Haar die Einfahrt verpasst. Im Schritttempo steuerte sie den Wagen an den unzähligen kugelförmigen Buchsbäumen vorbei, die die kiesbedeckte Auffahrt zur Falcon Hall säumten.
Instinktiv wanderte ihr Blick über die dichten Baumkronen der vier alten Eichen, die das Herrenhaus mit seinem parkähnlichen Garten von Rogers Praxis, dem Gästecottage und dem Falkenhaus trennten. Eine Bewegung am Himmel erregte ihre Aufmerksamkeit. Der Anblick des kreisenden Bussards erinnerte an die Zeit, in der sie Roger auf der „Großen Wiese“ unweit des Falkenhauses in die Falknerei eingeführt hatte.
Anna drosselte die Geschwindigkeit, lenkte laut hupend Adians Wagen vor das Portal des efeuumrankten Hauses. Freudestrahlend sprang sie aus dem Wagen, als sich die massive Eichentür öffnete.
„Flora!“
„ANNA! Mile fáilte!“
Anna stürzte sich in die ausgebreiteten Arme und drückte Flora an sich.
„Wie geht es dir? Ich dachte mich trifft der Schlag, als ich von deinem Unfall hörte.“ Fürsorglich glitt Annas Blick über die lässig in Jeans und Satinbluse gekleidete Frau. Nur die grauen kurzen Haare verrieten, dass Flora nicht mehr so jung war, wie es schien.
„Es geht mir gut,“ versicherte Flora lachend. „Aber kannst du mir mal verraten, wo du meinen Neffen gelassen hast?“
„Erkläre ich dir später,“ raunte Anna, als sie eine Bewegung hinter Floras Rücken wahrnahm.
„Du erinnerst dich doch bestimmt noch an Molly O`Grady,Anna ?“, fragte Flora augenzwinkernd.
„Oh ja . Die Haushälterin, die Pastor Flatley so viele lange Jahre schon umsorgt“, säuselte Anna liebenswürdig. Jetzt weiß innerhalb einer Stunde der ganze Ort, dass ich wieder da bin.
„Frau von Barring! Welch eine Freude Sie wiederzusehen.“
Molly drängte sich, ihre überdimensionale lavendelfarbene Handtasche unter den Arm geklemmt an Flora vorbei und ergriff Annas Hand.
„Ich kann mich noch ganz genau an ihren letzten Besuch erinnern,“ fuhr sie fort und schüttelte überschwänglich Annas Hand. „Wo haben Sie denn ihren reizenden Ehemann versteckt? Ich habe mich bei ihrem letzten Aufenthalt hier so nett mit ihm unterhalten. Er ist ja so ein liebenswerter und aufmerksamer Zuhörer.
Wir waren zu Rogers Beerdigung hier, du alte Klatschtante, dachte Anna und lächelte.
„Und er war ja so reizend zu den Kindern. Wenn ich nur daran denke, wie er den kleinen Jamie McCallum auf seinen Schoß gesetzt hatte und ihn liebevoll tröstete.“
Ja, um mich noch mehr zu demütigen, weil ich keine Kinder bekommen kann.
„Mein Mann hat es vorgezogen sich von mir scheiden zu lassen, Misses O`Grady,“ erklärte Anna.
Molly ließ Annas Hand fallen, als hätte sie sich verbrannt. Anna schmunzelte verhalten, während sie gleichzeitig gegen die Versuchung ankämpfen musste, ihre Finger nicht an ihrem Rock abzuwischen.
„Geschieden?“ Mollys Augenbraue fuhr in die Höhe. „Ich glaube, die Pflicht ruft.“ Molly strich ihr Kleid glatt und wandte sich an Flora.
„Soweit ist ja alles für unser Klubtreffen der Rosenzüchter besprochen. Ich werde dich bei Moira entschuldigen. Sie wird Verständnis dafür haben, dass du dich um deine,“ ihr Blick glitt, abschätzend über Annas Kostüm, „Besucherin kümmern musst.“
Anna warf Flora einen fragenden Blick zu, während sich Molly O`Grady auf ihr Fahrrad setzte und eilig davon fuhr.
„Du musst ihr das nicht übel nehmen. Aber sie sieht sich als die letzte Bastion von Sitte und Anstand in unserer Gemeinde.“
„Sie ist päpstlicher als der Papst,“ erwiderte Anna heftig und schüttelte den Kopf. „Und alle werden innerhalb kürzester Zeit wissen, dass ich eine kinderlose Frau bin, die man sitzen gelassen hat.“
Liebevoll legte Flora ihre Hand auf Annas Schulter.
„Kopf hoch, Mädchen. Lasse dich erst einmal ansehen. Ich freue mich so, dass du da bist!“ Flora nickte bewundernd während Anna sich im Kreis drehte. „Meine Güte dieses Kostüm ist eine Augenweide. Aber seit wann kleidest du dich so förmlich?
„Ach, ich hatte kurz vor meinem Abflug noch ein Gespräch mit meinem Anwalt.“
Floras Blick verfinsterte sich.
„Ich dachte, bei deiner Scheidung vor einem Jahr wurde alles geklärt,“ fragte sie beunruhigt.
„Da kennst du aber Stephan und seine Familie schlecht. Die kämpfen um jeden Cent.“
„Dann ist es ja gut, dass Du endlich hier bist.“
Flora nahm Annas Hand und führte sie ins Haus.
„Aber komm,dein geliebter Kaffee wartet schon.“
„Oh, den brauche ich jetzt auch,“ seufzte Anna erleichtert. Sie legte ihre Handtasche auf die Biedermeierkommode in der Eingangshalle und folgte Flora durch den Flur in den sonnendurchfluteten Wintergarten. Lachend ließ sie sich in einen der Korbsessel fallen. Genüsslich sog sie den Duft der unzähligen Orchideen, des blühenden Jasmins die den Wintergarten verschönerten tief ein. Entspannt lehnte sie sich zurück.
„Oh Flora, ich wusste gar nicht, wie sehr ich Schottland vermisst habe.“
„Es ist ja auch schon eine Weile her, seit du hier warst.“
„Ja, und wenn ich ehrlich bin, habe ich ein wenig Angst davor in Rogers Fußstapfen zutreten.“
„Ich kann mich noch genau erinnern, wie stolz Roger auf dich und deine Arbeit damals war. Vor allem als du ihm dann auch noch deine Doktorarbeit gewidmet hast.“
„Ohne deinen Mann wäre ich niemals eine so gute Veterinärin geworden. Ich vermisse ihn.“
„Ich auch,“ flüsterte Flora mit tränenerstickter Stimme und schenkte Anna eine Tasse heißen Kaffee ein. Flora lehnte sich in ihrem Sessel zurück und legte ihren bandagierten Fuß auf den Hocker.
„Aber jetzt erkläre bitte mal, wo du meinen Neffen gelassen hast? Ich dachte ich traue meinen Augen nicht, als du alleine ausgestiegen bist.“
„Ach meinst du diesen großen und überaus charmanten Kerl, der sich Adian nennt?“ Flora nagte an ihrer Unterlippe und nickte. Anna stellte ihre Tasse ab und griff nach einem von Floras selbst gebackenen Shortbreads.
„Als er mir so auf die Nerven ging, dass ich nahe daran war ihn zu erwürgen habe ich ihn aus seinem Wagen geworfen.“ Anna biss herzhaft in das Gebäck.
„Nein! Wo?“
„Kurz hinter Applecross. An der alten Steinbrücke beim kleinen Bachlauf.“
„ Bei Gott, es sind mindestens noch acht Kilometer bis hierher!“
„Es sah ganz danach aus als bräuchte er etwas Bewegung um sich abzuregen. Er benahm sich ja schlimmer als ein überzüchtetes Rennpferd.“
Flora schlug die Hände vor ihr Gesicht und ihre Schultern zuckten. Anna sprang auf und kniete sich vor ihre mütterliche Freundin.
„Flora, bitte entschuldige! Ich weiß mir sind die Pferde durchgegangen und ich war wieder einmal zu ungestüm, aber ...“
Flora warf den Kopf in den Nacken und begann schallend zu lachen. Tränen kugelten über ihre erhitzten Wangen.
„Du hast ihn wirklich aus seinem Wagen geworfen?“, stieß beinahe atemlos hervor.
„Ja!“
„Und er muss jetzt zurücklaufen?“
„Na ja, bei seiner Laune wird sich jeder normale Mensch hüten, ihn mitzunehmen. Aber keine Sorgen. Er hat Turnschuhe an.“
Anna stimmte in Floras Gelächter ein und wischte sich eine Träne aus dem Auge, als ein Pochen an der Tür zum Garten sie hochfahren ließ. Erschrocken starrten sie auf den hochgewachsenen Jungen, der keuchend nach Luft rang.
„Mach auf. Das ist Ronnie McGregor.“
„Ians Enkel?“ Wage erinnerte Anna sich an den weinenden Jungen an Rogers Grab. Sie beeilte sich die große, gläserne Schiebetür zu öffnen. Keuchend stürzte der rothaarige Junge herein.
„Ist ..., ist sie das?“
„Wie bitte?“ Flora und Anna sahen sich fragend an.
„Die neue Tierärztin?“, stieß Ronnie nach Luft ringend hervor. „Ist sie das?“
„Ja, das ist Anna von Barring. Warum?“
Anna sah die Erleichterung, die sich in seinem Gesicht ausbreitete. Aufgeregt schnappte er nach ihrer Hand.
„Kommen Sie Anna. Schnell! Bei Linda geht es bald los und Großvater ist nicht da.“
Anna schaute Flora fragend an und schüttelte Ronnies Hand ab.
„Ich habe einigen Leuten gesagt, dass wir bald eine neue Tierärztin haben werden,“ erklärte Flora freudestrahlend.
„Aber ich kann doch nicht so ...,“ Anna blickte auf ihre Schuhe, „in den Stall gehen.“
„Papperlapapp,“ rief Flora und deutete auf das kleine Holzhaus unweit des Wintergartens. „Im Schuppen stehen meine Arbeitsstiefel. Für den Weg über die „Große Wiese“ und das kurze Stück durch den Birkenwald reichen die. Beeil dich!“
Anna zuckte mit den Schultern und grinste.
„Die Sprechstunde ist eröffnet.“
So schnell es ihre High Heels zuließen rannte sie über die Terrasse hinter Ronnie her, der schon mit einem Paar geblümter Gummistiefel aus dem Schuppen kam.
„Lady, bitte beeilen sie sich.“
„Immer mit der Ruhe.“ Anna öffnete die hauchdünnen Lederriemen ihrer Schuhe. „Erzähl mir erst einmal, wer Linda ist.“
„Linda ist ein schottisches Hochlandrind. Sie soll der Start für meine eigene Zucht werden. Großvater hat sagt, dass sie erst in drei Wochen kalben wird.“ Ronnie trat von einem Bein auf das andere.
„Na dann los! Wollen wir uns mal deine Linda ansehen.“ Anna schlüpfte in die Stiefel und wollte gerade loslaufen, als Adian um die Ligusterhecke bog und abrupt stehen blieb. Ronnie schnappte beim Anblick seines Angelfreundes erschrocken nach Luft. Adians Haare hingen ihm wirr ins Gesicht und die Schweißtropfen auf seinen Armen glänzten in der Nachmittagssonne. Seine Augen zogen sich gefährlich zusammen und er ballte seine Hände zu Fäusten. Anna straffte ihre Schultern, als sie sein leises Grollen hörte und grinste.
„Lauf los, Ronnie. Ich komme gleich nach.“
Sie zwinkerte dem Jungen verschwörerisch zu und griff in ihre Jackentasche.
„Tapadh leat! Ihr Wägelchen liegt gut in den Kurven.“ Lachend warf sie Adian den Wagenschlüssel zu und folgte Ronnie.
Adian schlug die Hecktür des Rovers zu und versetzte dem Metallkoffer vor seinen Füßen einen Tritt.
Er hätte sich umdrehen und gehen sollen, als Flora ihre Bitte vorbrachte. Erneut trat er zu. Er hatte ja noch nie „Nein“ sagen können. Deshalb durfte er jetzt auch noch den Assistenten für Frau Doktor machen. Vom Chauffeur zum Helferlein. Fluchend schnappte er sich den Koffer mit der Notfallausrüstung aus der Praxis seines Onkels und stemmte ihn auf seine Schulter. Erregt überlegte er auf dem Weg zu Ian McGregors Stallungen, wie die Schurken in seinen Büchern in so einem Fall vorgehen würden. Gift. Ein Lächeln breitete sich in seinem zornigen Gesicht aus. Ein nur äußerst schwer nachweisbares Gift, und die Lady wäre, für alle Zeiten aus dem Weg geräumt. Adian umrundete den Brunnen auf dem Hof. Nein Gift wäre zu harmlos. Nicht nachdem was sie ihm angetan hatte. Die Sache mit dem Autoschlüssel schrie nach Vergeltung. Es juckte ihm förmlich in den Fingern, seine Hände um ihren Hals zu legen. Und er würde es tun. Er brauchte für sein nächstes Kapitel noch eine Leiche. Und dieser Zwerg war das willkommene Mittel gegen seine Schreibblockade. Er würde sie auf dem Papier ganz langsam erdrosseln. Sich an dem entsetzten Blick aus ihren sinnlichen Augen ergötzen.
Zielstrebig stapfte er auf das große Stalltor zu und stieß es schwungvoll auf.
Der Geruch von frischem Blut getränkt in der gestauten Nachmittagshitze schlug ihm entgegen. Angewidert schnappte er nach Luft und versuchte gegen die Übelkeit, die ihn überkam, anzukämpfen.
„Verdammt! Tür zu!“
Adian fluchte leise und folgte Annas Stimme. Was zu viel war, war zu viel! Was bildete sich dieses Weibsbild, das ihn gerade mal bis zur Brust reichte, eigentlich ein? Er würde ihr augenblicklich klar machen, dass er sich nicht von ihr, wie ein Kind maßregeln lassen würde.
„Merk dir eins Zwerg, ich, bin nur hier, weil Flora mich schickt und ich ...“ Adian setzte den Koffer ab und seine Augen weiteten sich ungläubig. Er wusste nicht, was ihn mehr schockierte. Die Tatsache, dass Anna mit hoch gerutschtem Rock im Stroh kniete oder aber, dass ihr Arm im Hinterteil eines schottischen Hochlandrindes steckte. Das übertraf selbst seine schriftstellerischen Vorstellungen.
Anna warf einen Blick über ihre Schulter in sein blasses Gesicht.
„Wenn Sie in die Box kotzen, lernen Sie mich kennen!“ Sie stöhnte leise auf. Adian sah, wie sich der mächtige Körper des Tieres zusammenkrampfte. Ich werde sie in einem Stall erwürgen!
„Ronnie!“, stöhnte Anna mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Rede mit Linda. Versuche sie zu beruhigen. Ich werde versuchen mit der nächsten Wehe das Kalb zu drehen.“ Der Junge nickte eifrig und begann leise auf das Tier einzureden.
„Flora meint, du würdest Rogers Arztkoffer brauchen,“ flüsterte Adian und versuchte nicht auf den bebenden Körper des Tieres zu sehen.
„Zu spät. Aber wenn Sie helfen wollen, könnten sie ...“ Anna biss sich auf die Lippe und schloss die Augen. Adian sah die Schweißperlen auf ihrer Stirn.
„Halten Sie meine Beine fest.“ Anna sah Adian an und versuchte zu lachen, als sie seinen verständnislosen Ausdruck bemerkte. „Ich rutsche sonst weg,“ erklärte sie.
Ronnie keuchte erschrocken auf. Adian stand stocksteif vor Anna und strich sich mit der freien Hand das Haar aus dem Gesicht.
„Verdammt, Sie schottischer Bergtroll, wissen Sie nicht, wie man zupackt?“
Adians ließ sich auf die Knie fallen und seine Hände umschlossen Annas zarte Beine. Soviel zum Thema Theorie und Praxis.
Krampfhaft versuchte er, die samtweiche Haut unter seinen Händen zu ignorieren. Verstohlen wanderte sein Blick über den Körper zu ihrem Gesicht. Er sah, wie sich ihre Augen zusammenzogen und sie sich auf die Arbeit konzentrierte. Das ohrenbetäubende Brüllen des Tieres jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er hoffte inständig, der schmächtige Ronnie würde genug Kraft haben, um diese Hörner in Zaum zu halten. Der Schriftsteller in ihm sah schon ihre zerschundenen Körper in der Box liegen, wenn sich dieses Tier wieder seiner Kraft bewusst wurde und alles unter sich zermahlen würde, was ihm im Weg stand.
„Adian,“ hauchte Anna zärtlich, „Adian, Sie können mich jetzt loslassen!“
Adian fuhr zusammen und starrte Anna an. Ihre Augen funkelten amüsiert. Fassungslos bemerkte er, dass er ihr Bein streichelte. Hastig zog er seine Hand weg und sprang auf.
„War es das?“, stieß er hervor.
Anna schüttelte den Kopf und keuchte leise auf. Vorsichtig glitt ihr Arm mit der nächsten Wehe aus dem Geburtskanal.
Ohne Annas Antwort abzuwarten, bahnte sich Adian seinen Weg aus der Box und lehnte sich an das eiserne Gatter. Lieber würde er stundenlang über seinem Roman schwitzen als so etwas noch einmal mitzumachen. Erleichtert beobachtete er, wie sich das Ungeborene seinen Weg in die Welt bahnte und welche Anstrengung es Anna kostete, dieses Kalb aus dem Mutterleib zu holen.
„Hey Ronnie - sieh mal!“ Erleichtert lachte Anna auf. „Ist das nicht ein Prachtbursche?“
Vorsichtig begann Anna, das zappelnde Kälbchen mit dem trockenen Stroh abzureiben.
„Danke Anna! Wenn du nicht da gewesen wärst ...“
„Ronald McGregor! Was macht diese Krautfresserin in meinem Stall!“
Ronnie fuhr erschrocken beim Klang des Baritons zusammen. Sein Blick fuhr wild zwischen Anna und seinem Großvater hin und her.
Ein Lächeln breitete sich in Adians Gesicht aus. Endlich ein Mann nach seinem Geschmack! Anna mochte ja gerade eine Katastrophe abgewendet haben, aber sie war in Ian McGregors Reich eingefallen. Und Ian war kein Mann, der sich etwas von einer Frau sagen ließ, noch sie in seinem Stall duldete. Ausgenommen zum Ausmisten.
„Grandpa, das ist die neue Tierärztin. Sie hat Linda beim Kalben geholfen,“ verteidigte sich der Junge mit hochrotem Kopf.
„Schon gut Ronnie. Reib das Kalb weiter ab.“ Anna drückte dem Jungen eine Handvoll Stroh in die Hände und erhob sich. Liebvoll strich sie ihm über das Haar und rückte ihren Rock zurecht. Langsam drehte sie sich herum und musterte den Mann, der seine abgewetzte Arbeitshose und sein verblichenes Flanellhemd mit der Würde eines Generals trug.
„Die Krautfresserin hat gehört ...“ Anna reckte das Kinn empor. „Dass Ian McGregor alt geworden ist. Auch soll er seine Nase für einen guten Malt verloren haben.“ Sie ging, mit zusammengekniffen Augen, einen Schritt auf den grau melierten Mann zu. „Und dass er immer noch,“ sagte, sie und stieß ihm ihren Zeigefinger vor die Brust, „der starrköpfigste Mann in den Highlands ist!“
Ronnie stöhnte laut auf.
Adian schnappte nach Luft. Das war ja nahezu so interessant wie in seinen Büchern. Wie konnte es dieser Zwerg wagen, den McGregor zu kritisieren. Was würde er jetzt für einen Bleistift und Papier geben, um sich alles zu notieren!
„Alter Mann???“, dröhnte Ians Stimme durch den Stall. Aus den umliegenden Boxen erschallte ein aufgeregtes Muhen. Aufgebracht stürzten Schwalben aus ihren Nestern und flogen wild umher.
Mit einem Satz sprang Ian in die Box, riss die kleine Person an sich und warf sie über seine Schulter. Krachend landete seine Hand auf Annas Hinterteil. Ihr entrüsteter Schrei halte durch den Stall und Ian legte seinen Kopf in den Nacken und lachte aus vollem Hals. Adian traute seinen Augen nicht, als der bärbeißige Mann Anna langsam von seiner Schulter gleiten ließ, sie in seine Arme schloss und fest an sich drückte.
„Verdammt Mädchen, wie lange ist es her?“
„Zehn Jahre Ian.“ Anna küsste die wettergegerbte Wange und lehnte seufzend ihren Kopf an seine Brust.
„Viel zu lange mein Mädchen,“ flüsterte Ian und schloss seine Augen. „Viel zu lange!“
Adian war sich nicht sicher, ob er sich täuschte oder tatsächlich Tränen in Ian McGregors Augen schimmern gesehen hatte.
„Aber erkläre mir mal, was hier los ist?“ Ian legte seine Hand auf Annas rechte Schulter und begann sie zärtlich zu massieren.
„Linda hat meine Kaffeestunde mit Flora gestört,“ erklärte Anna erleichtert.
„Ich erschieße sie!“ Augenzwinkernd wandte sich Ian an seinen Enkel.
„Ronald! Stehe hier nicht faul herum! Lauf und hole für Anna von deiner Mutter etwas Sauberes zum Anziehen. Und bringe eine Flasche vom 90iger mit.“
Erleichtert nickte Ronnie und rannte aus dem Stall.
Zärtlich strich Ian Anna eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Gehe mit ihm Mädchen und wasch dich.“
Anna nickte zustimmend, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte einen Kuss auf Ian Wange.
„Es ist schön wieder hier zu sein, mein Freund!“
Nachdenklich blickte Ian Anna nach, bis sie den Stall verlassen hatte. Langsam drehte er sich herum und verriegelte das Gatter der Box. Zufrieden betrachtete er das neugeborene Kalb das versuchte auf wackeligen Beinen zu saugen.
„Verdammt gute Arbeit! Wieder einmal.“ Seine Hände schlossen sich fest um die Eisenstäbe.
„Genau wie damals,“ stieß er hervor. „Und,“ ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus,“ bei allen Heiligen, sie ist noch schöner geworden.
Adian, der sich nicht sicher war, ob Ian überhaupt bewusst war, dass er neben ihm stand, räusperte sich.
„Du scheinst sie ja sehr gut zu kennen.“
Ian fuhr herum und sein Blick verfinsterte sich.
„Wenn sie nicht gewesen wäre, McKenzie, würde an dieser Stelle ein Golfhotel stehen und ich würde irgendwelchen amerikanischen Touristen die Taschen schleppen müssen. Und ja, ich will verdammt sein, aber wenn ich damals dreißig Jahre jünger gewesen wäre, hätte ich sie in die nächste Scheune geschleppt und zu meiner Frau gemacht!“
Ian musterte sein Gegenüber abfällig. „Aber was weiß ein Nassauer wie du schon davon.“
Adians spöttische Bemerkung erstarb auf seinen Lippen.
„Nimm den Rat eines alten Mannes an McKenzie. Sie gehört nicht zu den Frauen, mit denen du dich abgibst. Und sie ist Manns genug um es mit einem wie dir aufzunehmen.“
Ian hob seine Hand an seine Mütze und verließ den Stall.
Adian wünschte, er hätte sich gleich nach Ians abfälliger Bemerkung in sein Auto gesetzt und wäre nach Hause gefahren. Dann würde jetzt nicht diese schlafende Frau neben ihm sitzen und er hätte sich schon seit Stunden seinem Manuskript widmen können. Er zwang sich, seinen Blick auf der Straße zu halten. In der mondhellen Nacht sah Anna aus wie ein kleines Mädchen, dass sich von ihrer Mutter etwas zu anziehen geborgt hatte, um sich zu verkleiden. Nur, dass diese Frau alles andere, als ein unschuldiges Kind war. Adian schnaubte leise. Wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, würde er es nicht glauben. Dabei hatte er eine weitreichende Fantasie. Sie konnte trinken wie ein Mann und die zotigen Sprüche, mit denen Ian und sie sich gegenseitig zum Lachen gebracht hatten, hatten dem pubertierenden Ronnie und seiner Mutter die Röte ins Gesicht gejagt. Und verdammt, er wollte nicht weiter darüber nachdenken, was ihre samtweiche Haut unter seinen Fingerspitzen ausgelöst hatte. Er wusste nur, dass er diese Anna loswerden musste, bevor sie hier alles auf den Kopf stellte. Besonders sein Leben! Und je eher damit begann, umso schneller würde sie weg sein.
Er lenkte den Wagen die weitläufige Auffahrt hinauf und erkannte, das Falcon Hall im Dunklen lag, bevor er in den Weg zum Cottage abbog. Im Licht der Scheinwerfer tauchte das zweigeschossige Backsteinhaus auf. Er trat auf die Bremse und hörte befriedigt, dass Anna leise aufstöhnte.
„Aussteigen! Wir sind da!“ Er öffnete die Fahrertür, sprang heraus und griff nach Annas Reisekoffer, den er krachend zu Boden fallen lies.
Anna blinzelte verschlafen und öffnete die Wagentür. Vorsichtig kletterte sie in Floras viel zu großen Gummistiefeln aus dem Rover. Ihre Hand fuhr an ihre Schulter und begann sie mit kreisenden Bewegungen zu massieren. Irritiert blickte sie sich um.
„Sie irren sich. Ich wohne im Haupthaus.“
„Vergiss es Zwerg. Frau Doktor wird mit dem Cottage vorlieb nehmen müssen.“
Anna fuhr herum. Mit wenigen Schritten umrundete sie den Rover und baute sich vor Adian auf. Ihre Geduld war am Ende.
„Können Sie mir mal, erklären, was sie an dem Satz: „Ich wohne im Haupthaus“, nicht verstehen?“
Adian musste sich zwingen das Bild wie sich seine Hände um ihren Hals legten und zudrückten aus seinem Kopf zu verbannen.
„Vergiss Zwerg! Falcon Hall ist wegen Renovierung geschlossen.“ Mit Genugtuung sah er wie ihre Augen sich ungläubig weiteten.
„Oh, wie ich sehe, hat Flora dir nichts gesagt. Gewöhn dich daran. Aber wenn ich mich recht erinnere, gibt es in der alten Praxis einen recht passablen Schreibtischstuhl. Meinetwegen kannst du dich dort breitmachen.“
„Breitmachen?“, zischte Anna. Sie warf die Hände in die Luft. „Ich brauche einen Kaffee!“, stieß sie hervor. „Aber ok Adian. Ich werde für heute im Cottage bleiben. Also danke, dass Sie mich hierher gebracht haben. Und gute Nacht.“ Ohne den Mann vor sich eines weiteren Blicks zu würdigen ging sie auf das Cottage zu.
„Ians Zeug muss dir ganz schön die Sinne vernebelt haben,“ rief Adian und hatte sie mit zwei Schritten eingeholt. Starre nicht auf ihren Hals, Adian! Behalte deine Hände bei dir!
„Ich bin nicht betrunken,“ protestierte Anna zähneknirschend.
„Mag sein, obwohl ich schon Männer gesehen habe, die schon nach einem Glas von Ians Fussel sturzbetrunken waren. Und du hattest drei!“
Anna schnappte hörbar nach Luft.
„Wie Sie wiederhole ich mich ungern, Adian. Nochmals Danke, das Sie mich hierher gebracht haben. Aber jetzt würde ich gerne schlafen gehen.“
„Das würde ich auch gerne. Aber erst stellen wir etwas klar. Du hältst dich von meiner Küche fern, wenn dir dein Leben lieb ist. Und am besten schwebst du durch den Flur in die obere Etage solange wir gezwungen sind hier zusammenzuwohnen. Ich brauche meine Ruhe, wenn ich arbeite. Und die Betonung liegt auf den Worten Ruhe und Arbeiten!“
„Wohnen? Wir beide? In diesem Haus?“ Anna lehnte sich gegen die Haustür zum Cottage, verschränkte die Arme vor ihrer Brust und sog die kühle Nachtluft tief ein.
Es erfüllte Adian mit einer unbeschreibbaren Befriedigung, ihr entsetztes Gesicht zu betrachten.
„Habe ich das richtig verstanden? Wir wohnen gemeinsam in diesem Haus?“, hakte Anna nach und ihr Blick wanderte über das Haus mit den unzähligen kleinen Sprossenfenstern.
„Ja, ich in der unteren Etage und du in der Oberen.“
„Nur über meine Leiche!“
Adian stieß die Haustür auf.
„Kein Problem, Zwerg.“
Anna setzte sich im Bett auf und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Genüsslich gähnte sie und reckte sich.
„Rieche ich, da etwa ...“ Sie schnupperte und ein Lächern breitete sich in ihrem Gesicht aus. Kaffee! Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee und gebratenen Speck drang von unten herauf. Sie schaute auf den kleinen Reisewecker auf ihrem Nachtschrank und stellte erstaunt fest, dass es schon neun Uhr war. Die Praxis würde zwar erst in einer Woche eröffnen, aber sie hatte Ian gestern Abend versprochen, sich heute seine Herde und den gestern ersteigerten neuen Zuchtbullen anzusehen. Hastig warf sie ihre Decke zurück und schwang die Beine aus dem Bett. Vor sich hin summend lief sie barfuß in das angrenzende Badezimmer, um zu duschen.
Anna schlüpfte in ihre grau melierte Tweedhose und knöpfte ihre strahlend weiße Bluse zu. Auch wenn es ihr gar nicht behagte, schlang sie ihre Haare zu einem Zopf, den sie sich zu einem festen Knoten hochgesteckte.
„Perfekt,“ murmelte sie und noch, während sie die Treppe hinunter ging, band sie sich ein seidenes Halstuch um.
Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel in der Eingangshalle und folgte dann den aromatischen Duftwolken. Zögerlich betrat sie die Küche und blickte sich erstaunt um. Adian stand mit dem Rücken zu ihr vor einer riesigen tannengrünen Kochinsel. Über seinem Kopf baumelten unzählige kupferne Pfannen an der geschmiedeten Deckenkrone und spiegelten sich in den Scheiben der vanilleweißen Schränke. Die Düfte der unzähligen Kräutertöpfe, die vor den kleinen Sprossenfenstern aufgereiht waren, erfüllten den Raum.
„Guten Morgen!“
„Dé tha a`dol?“, brummte Adian und machte sich nicht die Mühe sich umzudrehen.
Oh – ein Morgenmuffel, wie Ruben! Anna wusste, dass sie jetzt, wie bei ihrem Bruder jedes Wort abwägen musste.
„Mhm, es riecht köstlich. Hätten Sie einen Kaffee für mich übrig?“ Sehnsüchtig schielte sie zu der gläsernen Kanne, die auf der Heizplatte stand. Sie konnte es kaum erwarten, eine Tasse mit ihrem Lieblingsgetränk in den Händen zu halten, um ihre müden Lebensgeister in Schwung zu bringen. Langsam drehte sich Adian herum und sah auf Anna herunter. Seine Augen zogen sich gefährlich zusammen.
„Es ist kein Kaffee mehr da.“
„Aber die Kanne ist doch ...“ Anna blieben die Worte im Hals stecken als Adian die Kanne nahm und den Inhalt in das Spülbecken kippte.
„Hast du vergessen, dass die Küche Tabu ist?“
Anna trat zurück, lehnte sich an den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie legte ihren Kopf auf die Seite und musterte Adian als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Mann, du hast echt ein nettes Gemüt, dachte Anna sarkastisch.
„Wissen Sie Adian, eigentlich, dachte ich, wir beide hätten gestern nur einen schlechten Start gehabt. Und ich wollte mich gerade bei Ihnen für mein Benehmen entschuldigen, aber jetzt sehe ich das Sie etwas anderes bezwecken.“ Sie machte einen Schritt auf ihn zu. „Ich weiß nicht warum und wieso und ehrlich gesagt ist es mir auch egal.“ Sie tippte mit ihrem Finger gegen seine Brust. „Aber lassen Sie sich eines gesagt sein. Ich bin in meinem Leben schon durch manche Hölle gegangen und da schaffen Sie es nicht, mich mit Ihrem kindischen Benehmen aus der Fassung zu bringen.“ Ein Lächeln breitete sich in Annas Gesicht aus. „Da müssen Sie sich schon etwas Besseres einfallen lassen. Ich wünsche Ihnen aber trotz allem noch einen guten Tag!“
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Flora faltete ihre Serviette zusammen und legte sie auf ihren Schoß.
„Sagst du mir jetzt, womit ich es verdiene, dass du mich mit deiner guten Laune beglückst, oder frühstücken wir schweigsam weiter?“
Anna schob ihren Teller von sich.
„Deinen Sarkasmus in allen Ehren, aber dafür bin ich heute wirklich nicht in Stimmung.“
„Raus mit der Sprache! Was ist los?“
„So einiges, aber beantworte mir bitte zuerst eine Frage. Seit wann kennst du mich?“
„Seit deinem ersten Atemzug!“
„Richtig,“ folgerte Anna. „Und habe ich es, da nicht verdient das Du ehrlich zu mir bist.“
„Wie bitte? Was soll das denn heißen?“, fragte Flora empört.
„Warum hast du mir nie etwas von deinem Neffen erzählt?“, fragte Anna und ihre Stimme wurde schärfer und lauter. „Warum hast du mir verschwiegen das er und ich in einem Haus wohnen müssen?“
Flora lehnte sich zurück und spielte mit der Serviette.
„Wenn du geahnt hättest, dass du dir mit Adian das Haus teilen musst, hättest du dann auch die Praxis übernommen?
„Niemals!“
„Und aus diesem Grund habe ich es dir nicht gesagt. Du hättest einen Rückzieher gemacht und dir wieder einmal einen deiner Träume versagt. Hast du dich eigentlich nie gefragt, warum Ruben vor zwei Jahren nach China gegangen ist?“
„Lasse meinen Bruder aus dem Spiel!“
Floras Hände ballten sich um die Serviette. „Er konnte es nicht mehr mit ansehen, wie du gelitten hast. Dass du dir dein Leben von Stephan und seiner Familie hast zerstören lassen und dich in deinem Groll auf alle Männer suhlst.“ Flora atmete tief ein. „Er hatte nur nicht den Mut es dir zusagen.“
Sie beachtete nicht die Tränen in Annas Augen und auch nicht die Hände, die sich neben ihrem Teller zu Fäusten ballten. „Und was meinen Neffen angeht – in einer der schneereichsten Dezembernächte letzten Jahres stand er plötzlich vor meiner Tür und bat mich ihn hier wohnen zu lassen. Ich hatte ihn seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen und du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass er keinen beneidenswerten Eindruck machte. Adian mag stur und ein wenig ungehobelt sein, aber er ist mein Neffe. Und er ist ebenso willkommen in meinem Haus wie du auch.“
„Er ist ein überdimensionaler Macho und nennt mich ständig Zwerg!“ Annas Augen funkelten wütend. „Und weißt du, was er von mir verlangt?“
Flora nahm ihre Serviette vor den Mund und versuchte ihr Lächeln zu verbergen. Das ganze Theater ging ja früher los als erwartet.
„Ich soll mich von der Küche fernhalten,“ empörte sich Anna.
„Nun ja, du kannst nicht kochen, und allzu groß bist du auch nicht.“
Das Geräusch der umgefallenen Tasse erfüllte das Speisezimmer. Anna legte den Kopf auf die Seite und betrachtete Flora eingehend.
„Sag mal, machst du dich über mich lustig?“
Flora schob den Stuhl zurück, erhob sich lächelnd und nahm Annas Hand.
„Komm mal mit.“ Widerwillig stand Anna auf und ließ sich von Flora in das angrenzende Zimmer führen.
Sie blieb im Türrahmen stehen während Flora die schweren Brokatvorhänge vor den Fenstern zur Seite zog.
Die schweren Ledersessel und der massive Eichenschreibtisch, eben noch dunkele Schatten glänzten plötzlich im hellen Sonnenlicht.
„Komme bitte mal zu mir.“ Flora winkte Anna zu sich und deutete auf das Porträt ihres verstorbenen Mannes. Langsam ging Anna auf den Kamin zu und betrachtete das Bild des Mannes mit dem schlohweißen Bart und den azurblauen Augen.
„Erinnerst du dich noch daran, was Roger mit dir gemacht hat, als du und Ian eure Diskrepanzen hattet?
Annas Wangen färbten sich feuerrot und sie ließ sich lachend in den Sessel fallen.
„Oh Gott! Das werde ich niemals vergessen! Er kam in mein Zimmer gerannt, hat das Fenster aufgerissen und alle meine Sachen rausgeworfen. Dann hat er mich angeschrien, dass ich, wenn ich es nicht schaffe mit einem Rindvieh wie dem McGregor fertig zu werden, niemals im Leben bestehen könnte.“
Flora stimmte in Annas Gelächter ein und setzte sich neben sie. Zärtlich nahm sie ihre Hände und sah sie ernst an.
„Und? Was hast du gemacht?“
„Ian und ich haben wortwörtlich bis aufs Blut miteinander gekämpft.“
„Genau. Du hast dich nicht unterkriegen lassen. Du hast dich gewehrt.“
„Und wie. Die Narbe trage ich heute noch mit Stolz.“
„Und er deine! Als du damals zurück nach Deutschland gegangen bist, hat er geweint.“
„Ich auch! Es war so schön ihn gestern wieder zusehen.“
„Anna, ich möchte nicht weinen, weil du wieder gehst. Roger ...“ Floras Blick wanderte zu dem Porträt ihres geliebten Mannes dann wieder zu Anna. „Er hatte es nie verstanden, warum du deine Ehe, dieses Leben solange ertragen hast. Bis zum Schluss hatte er gehofft du würdest deinen Kampfgeist wieder zurückgewinnen und dich wehren.“
„Das habe ich nicht gewusst. Warum hat er mir nie etwas gesagt?“, flüsterte Anna.
„Du warst wie eine Tochter für uns! Und Töchter müssen nun mal ihre eigenen Erfahrungen machen. Als er es dir sagen wollte, war es leider schon zu spät für ihn. Und bei dem was ich jetzt sage, würde er mir bestimmt zustimmen. Niemand kann von dir verlangen, dass du Adian magst, oder ihr Freunde werdet, aber zwei erwachsene Menschen werden es wohl schaffen sich ein Haus zu teilen. Und eine Küche,“ setzte Flora augenzwinkernd hinzu.
Anna nickte stumm und stand auf. Sie legte ihre Hand auf den Kaminsims und betrachte eingehend das Bild. Nur das leise Ticken der Standuhr durchbrach die Stille. Ihr Blick wanderte zu dem Schreibtisch und sie sah Roger dahinter sitzen. Wie er ihr einen Vortrag hielt, weil sie mal wieder einmal nicht gewagt hatte ihre Meinung zusagen. Ihr Blick wanderte zur Bücherwand. Da hatte Roger gestanden und ihr gedroht sie in das nächste Flugzeug nach Deutschland zu setzen. Das Sofa! Ein Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus. Der Abend, als sie auf den Sieg über den McGregor mit einem Glas Whisky angestoßen hatten.
Flora trat hinter Anna und legte ihr eine Hand auf die Schulter.
„Brauche ich Taschentücher um meine Tränen zu trocknen oder kann ich das neue Türschild vor der Praxis anbringen?“
Anna warf einen letzten Blick auf das Porträt.
„Taschentücher!“
Anna fuhr herum, als sie Floras leisen Aufschrei hörte, und schloss sie ihre Arme.
„Taschentücher um das Schild zu polieren!“ Sie küsste Flora auf die Wange und flüsterte augenzwinkernd: „Und jetzt gehe ich rüber. Kaffee kochen!“
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Adian hörte, dass jemand über den Kiesweg gelaufen kam. Er warf einen Blick über seine Schulter durch das Flurfenster und erkannte Anna, die mit großen Schritten auf das Haus zueilte. Hastig befestigte er den „Betreten verboten“ Zettel an der Küchentür. Mit zwei Schritten spurtete er an den Küchentisch, ließ sich auf den Stuhl fallen und schaffte es gerade noch die Zeitung aufzuschlagen, bevor die Haustür ins Schloss fiel. Er lächelte ausgiebig, als er Annas abfälliges Schnauben hörte. Mit Sicherheit hatte sie sein Kunstwerk entdeckt. Sein Lächeln hinter der Lektüre erstarb, als Anna wortlos an ihm vorbei ging. Lautlos segelte die Zeitung zu Boden, während er das Rauschen des Wasserhahnes hörte.
„Was zum Teufel machst du da Zwerg?“
„Kaffee kochen!“ Der zuckersüße Klang ihrer Stimme ließ ihn mit den Zähnen knirschen. Adian sprang auf und mit drei Schritten baute er sich vor ihr auf. Stemmte seine Hände in die Hüften und blickte auf sie hinunter. Sein Kiefer mahlte fest aufeinander.
„Ich sagte doch ...“
„Ja, ja ich weiß,“ antwortete Anna mit ruhiger Stimme und legte ihre Hand auf seine Brust. „Bis meine Espressomaschine mit den anderen Sachen aus Deutschland kommt, werden wir uns dieses antiquierte Ding teilen.“
Adians Augen weiteten sich ungläubig.
„Nur über meine Leiche,“ wiederholte Adian die Worte, die Anna am Abend zuvor benutzt hatte.
„Seien Sie vorsichtig Adian. Als Veterinärin sitze ich an der Quelle“.
Anna drängte Adian einen Schritt zurück und schüttete das Wasser in die Kaffeemaschine.
Und klopfte ihm auf die Finger, als die Filtertüte in seiner Faust verschwand. Sie schenkte ihm ein Lächeln, das eingenartige Auswirkungen auf seine Hormone hatte, nahm eine andere und steckte sie in den Filter.
„Und bevor ihr Gesicht die Farbe eines Feuermelders annimmt, versichere ich Ihnen, dass ich es im Gegensatz zu Ihnen wie einen Unfall aussehen lassen werde.“
Der Angriff kam völlig unerwartet und Anna schrie empört auf als Adian sie packte, auf die Kochinsel setzte und sich zwischen ihre Beine drängte.
„Das ist hier mein Haus!“
„Es gehört Flora!“, entgegnete Anna und hielt seinem durchdringenden Blick stand.
„Also gewöhnen Sie sich lieber an den Gedanken, dass Sie mich am Hals haben und lassen Sie uns versuchen zu einer vernünftigen Lösung für alle Beteiligten zu kommen.“
Es war noch gar nicht lange her da hatte Adian ebenfalls seine Hände um den Hals eines Menschen gelegt und auch dieses Mal konnte er gerade noch mühsam dem Impuls widerstehen zuzudrücken.
Anna spürte Adians heftigen Atem in ihrem Gesicht. Das beklemmende Gefühl in ihrer Brust verstärkte sich, als sie sein versteinertes Gesicht betrachtete.
„Adian, lassen Sie mich bitte los,“ flüsterte Anna. „Bitte Adian.“
Abrupt trat Adian einen Schritt zurück und verschränkte seine Arme hinter dem Rücken.
„Gehen Sie. Es ist besser für Sie.“
Kopfschüttelnd ließ sich Anna von der Kochinsel gleiten. „Wenn du glaubst, du könntest so mit mir umspringen hast du dich getäuscht.“
Mit großen Schritten folgte Anna Adian in das angrenzende Zimmer. Ihre Augen weiteten sich ungläubig bei dem Chaos, das sich ihr bot. Wie schaffte es ein Mensch nur eine beinahe sterile Küche zu haben und im Gegenzug ein Schlachtfeld von einem Wohnzimmer?
Fassungslos starrte Anna auf die Bücher und Aktenstapel. Unzählige Fotografien von Tierkadavern säumten die Wand über dem Schreibtisch. Das Bild einer menschlichen Leiche jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Ebenso wie das Plastikskelett zwischen dessen schneeweißen Rippen ein Küchenmesser steckte. Hatte sie die letzte Nacht unter dem Dach eines Massenmörders verbracht? Ob Flora wusste, wie es hier aussah?
„Raus hier!“
Adians schroffer Ton riss Anna aus ihren Überlegungen.
„Nicht bevor wir zu einem einigermaßen vernünftigen Kompromiss gekommen sind.“
„Sie lassen nicht locker oder? Sie sind erst zufrieden, wenn alles so läuft, wie Sie es wollen. Aber nicht mit mir.“
„Himmel Adian. Ich will doch nicht ihre Seele. Geben Sie uns doch wenigstens eine Chance uns wie zivilisierte Menschen zu benehmen.“
Adians schallendes Lachen konnte die Verbitterung die Anna in seinen Augen sah nicht trüben.“
„Ich habe keine Seele mehr, Zwerg. Die habe ich vor langer Zeit verloren.“
„Es geht nur etwas verloren was nicht gefunden werden will. Glauben Sie mir. Das ist einer der Gründe, warum ich das Angebot Ihrer Tante die Praxis zu übernehmen angenommen habe.“
Vorsichtig ging Anna einen Schritt auf Adian zu.
„Ich will und ich werde mich nicht von Ihnen abhalten lassen ein neues Leben zu beginnen.“
Adian drehte sich ganz langsam herum und sah auf Anna herab.
„Also gut. Ich gestatte Ihnen die Kaffeemaschine zu benutzen.“ Einhaltengebietend fuhr seine Hand in die Höhe. „Und ich werde mit Flora reden, dass sie sich um Ihre Mahlzeiten kümmert. So werden wir uns hoffentlich aus dem Weg gehen.“
Anna öffnete den Mund und schloss ihn sofort wieder. Ein Blick in Adians Gesicht sagte ihr, dass seine mühsam aufrechterhaltene Geduld langsam ein Ende nahm.
„Wie Sie meinen.“ Zähneknirschend warf sie einen letzten Blick auf das Chaos vor ihr und sie nahm sich fest vor, das dass letzte Wort in Sache Küchebenutzung noch nicht gesprochen war.
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Die Krallen des Falken schlugen sich in das Federspiel und Adian senkte lächelnd seinen Arm. Ares wurde von Tag zu Tag schneller und zielsicherer. Vorsichtig, um den Vogel nicht zu beunruhigen, ging er auf das Tier zu und kniete sich nieder. Der Falke hüpfte auf seine behandschuhte Faust und krächzte leise, als er an die Reck gebunden wurde. Adians Blick wanderte über die Wiese hinüber zum Waldrand, zu der Stelle, an der Anna vor einer halben Stunde auf dem Weg zu Ians Hof wortlos und mit hocherhobenen Kopf an ihm vorbei gegangen war. Adian schüttelte seinen Kopf und gestand sich ein, dass er Anna unterschätz hatte. Zugegeben sie war wirklich eine ungewöhnliche Frau. Sie hatte sich ihm mutig entgegen gestellt, und obwohl sie so zierlich wirkte, hatte er doch ihre Kraft gespürt. Aber mehr als andere verwunderten ihn ihre Augen. Diese außerordentlichen dunklen Augen, die ihn sofort in ihren Bann gezogen hatten. Dieses Aufblitzen, gestern in Ians Stall und heute in der Küche, als er tief in ihren Augen versunken war. Adian ballte seine Hände. Er erinnerte sich daran, dass dieser federleichte Körper vor einer Stunde noch in seinen Armen gelegen hatte. Und wie gut es sich angefühlt hatte, ihre weiblichen Rundungen an seiner Brust zu spüren. Zu erleben, dass er nach Sara, diesem Miststück noch zu Gefühlen fähig war. Doch er war gewarnt. Bloß nicht noch einmal den gleichen Fehler machen. Sein Leben war schon kompliziert genug. Da brauchte er auf keinen Fall wieder eine Frau an seiner Seite. Lügen, Intrigen und Verrat hatte er genug am eigenen Leib erfahren.
Das leise Klingeln der Fußglöckchen an Ares Krallen rissen ihn aus seinen Gedanken.
Leise sprechend band er den Falken los und setzte ihn auf seinen Arm. Aufgeregt schlug der Falke mit den Flügeln und nutze die Kraft des Armes seines Herrn um sich in den wolkenlosen Sommerhimmel zu erheben. Sehnsüchtig beobachtete Adian den nach Beute suchenden Falken, der einsam seine Kreise zog. Adian befestigte ein Stück eines vier Tage alten Hühnerküken an dem Federspiel und begann es in sanften Kreisen über seinen Kopf schwingen zu lassen. Höher und höher. Erfreut sah er, dass Ares versuchte das Federspiel zu schlagen. Immer schneller ließ er seinen Arm kreisen.
„Willst du den Falken ausbilden oder ihn erschlagen?“
Adian schwang herum und ließ das Federspiel zu Boden sinken.
„Oh! Hallo Flora.”
Adian wickelte die Lederschnur mit dem befiederten Säckchen auf und befestigte es an seinem Gürtel.
„Wird dir das Laufen nicht zu viel?“
„Nein. Ich habe von der Terrasse aus gesehen, dass du mit Ares arbeitest. Er ist schnell geworden.“
„Ja das regelmäßige Training macht sich bemerkbar. Ich freue mich schon auf die Beizjagd im Herbst. Wird Zeit, dass wieder ein McKenzie dem alten Ian McGregor den Titel „Bester Falkner“ abnimmt.“ Er holte ein rohes Stück Hühnerfleisch aus seiner Tasche und streckte seinen Arm aus. Augenblicklich stieß der Falke vom Himmel und landete auf seiner Faust.
„Ein Prachtkerl!“ Flora bewunderte den fressenden Vogel. „Es ist schön das Du mir die Arbeit mit den Falken abnimmst.“
Adian kannte seine Tante gut genug, um zu wissen, dass sie nicht wegen des Greifvogels gekommen war. Er band den Vogel an die Reck, zog seinen Falknerhandschuh aus und reichte seiner Tante den Arm.
„Komm, setz dich.“ Langsam führte er Flora ein paar Schritte durch das hohe Gras zu einem ungestürzten Baumstamm. Als er sicher war das sie bequem saß setzte er sich auf die Wiese und sah seine Tante an.
„Was hast du auf dem Herzen?“
„Nichts! Darf eine Tante nicht ihren allerliebsten Neffen bei der Arbeit zusehen?“
Als er ihren empörten Blick bemerkte, warf er den Kopf in den Nacken und lachte schallend.
„Du bist eine schlechte Schauspielerin, Tante Flora. Aber ich denke es dreht sich um deinen Gast. Warum hast du mir eigentlich nicht vorher gesagt, dass sie bei mir wohnen soll?“
„Als du vor meiner Tür gestanden hast, habe ich dich gefragt, woher kommst oder warum du so plötzlich aufgetaucht bist?“
„Nein - du hast nie gefragt. Und dafür bin ich dir dankbar.“ Adian wusste, dass er auch nicht eine Frage beantwortet hätte. Damals nicht und auch heute nicht.
„Siehst du. Du hast mich auch nie gefragt,“ erwiderte Flora grinsend.
„Du bist unverbesserlich! Du hast mir vor einigen Wochen nur gesagt, dass diese Anna die Tochter deiner verstorbenen Freundin ist und dass sie hier vor zehn Jahren für einige Zeit gearbeitet hat. Warum erzählst du mir nicht ein bisschen von ihr?“
„Warum fragst du sie nicht selber, wenn du sie das nächste Mal triffst?“
„Na ja,“ Adian begann die Lederschnur um seine Hand zu wickeln. „Diese sogenannte Wohngemeinschaft läuft nicht ganz so, wie du es dir vielleicht wünschen würdest.“
„Ich erspare mir mal die Frage, wer wohl daran Schuld ist, mein lieber Neffe.“
„Du kennst mich doch. Ich brauche meine Ruhe, besonders wenn ich schreibe.“
„Momentan sieht es aber nicht danach aus, dass deine Leser in der nächsten Zeit einen Bestseller erwarten dürften.“ Flora ignorierte den knurrenden Ton, den Adian von sich gab. „Du kannst dich nicht immer hinter deiner Schreibblockade verkriechen. Falls es so etwas überhaupt gibt. Geh doch mal wieder aus. Du brütest nur vor deinem Schreibtisch oder bist im Falkenhaus. Das ist doch kein Leben für einen Mann.“
„Nicht jeder führt so ein geselliges Leben wie du.“
„Lasse dir etwas gesagt mein Lieber. Nach dem Tod deines Onkels hatte, ich das Gefühl ein Teil von mir sei mit ihm gestorben. Ich war nicht mehr ich selbst. Wochenlang habe ich mich in meinem Selbstmitleid richtig wohlgefühlt. Bis ich gemerkt habe, dass ich für meine Mitmenschen eine lästige Gewohnheit geworden bin. Da habe ich beschlossen, ein neues Leben zu beginnen. Roger wird für immer in meinem Herzen sein und das hat mir die Kraft und den Mut gegeben so zu sein und zu leben wie jetzt ...“
Adian erinnerte sich schlagartig an Annas Worte. Ein neues Leben beginnen- wollte er nicht auch genau das? Alles hinter sich lassen und von Neuem beginnen? Dafür brauchte er keine Frau mehr! Vielleicht, überlegte Adian, hatte Flora gar nicht so Unrecht. Er hatte sich Anna gegenüber wirklich nicht musterhaft benommen. Dabei war sie wirklich der letzte Mensch, der an seinen Problemen Schuld war. Wie würde sie wohl auf ein Friedensangebot reagieren? Ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus. Ihre funkelnden Augen und die streng zusammengekniffenen Lippen, wenn sie wütend war, würde er vermissen.
Flora räusperte sich und Adian blinzelte irritiert.
„Entschuldige, was hast du gerade gesagt, Tante Flora?“
„Ich sagte, es ist schön, wieder Kinder im Haus zu haben.“
Adians Kopf fuhr herum.
„Kinder? Wo?“ Suchend blickte er sich um, bis ihm klar wurde, das Flora ihn und Anna gemeint hatte.
„Adian, ich möchte dich um etwas bitten.“
„Wenn es sein muss.“ Flora schüttelte ihren Kopf.
„Es müsste nicht sein, wenn mir nicht sicher wäre, dass du Anna aus dem Haus treiben möchtest.“ Adian zuckte mit den Achseln und grinste frech. Seiner Tante konnte man wirklich nichts vormachen.
„Unterschätze Anna nicht. Auch, wenn es im Moment nicht danach aussieht, aber in ihr steckt mehr als du denkst.“
Adian lehnte sich auf seine Arme zurück und streckte seine Beine aus. Zielsicher schnippte er mit seinen Fingern einen Marienkäfer von seiner Hose.
„Das hat Ian auch gesagt.“
„Glaube ihm. Er hat am eigenen Leib erfahren, was es heißt, sich mit Anna anzulegen.“ Adians Augenbraue hob sich und sein spöttisches Lächeln ließ Flora erneut den Kopf schütteln.
„Ian ging es damals sehr schlecht. Sein betrunkener Sohn meinte, seine Wut über einen Streit mit Ian eines Nachts auf der Weide auszutoben. Der Stier hat ihn unter seinen Hufen regelrecht zermalmt. Ian gab sich monatelang die Schuld für alles und wollte den Hof mit allem was dazugehört verkaufen.“
„Das sieht Ian ähnlich. Aber welche Rolle spielte Anna dabei?“
„Ians Sohn wollte die Zucht auffrischen. Neue Tiere anschaffen. Anna unterstützte ihn. Sie und Ian benahmen sich wie tollwütige Füchse, wenn sie aufeinandertrafen.“ Flora holte tief Luft. „Na jedenfalls, sie fuhr an jenem Morgen alleine auf den Hof um einige Kälber zu impfen und sah Ian mit seiner Schrotflinte in den Stall marschieren. Sie dachte sich erst nichts dabei, bis er begann, wahllos auf die Tiere zu schießen. Anna rannte zu ihm und verbarrikadierte das Tor von innen. Roger und die anderen Männer, die von Ians Schwiegertochter alarmiert worden waren versuchten vergeblich in den Stall zukommen.“
Eine Wolke schob sich vor die Sonne und Floras Blick wanderte zum Himmel.
„Was sich genau in den vielen Stunden in denen die beiden alleine im Stall waren, vorgefallen ist behalten sie beide für sich,“ fuhr Flora leise fort. „Ich weiß nur, dass Anna mit einem blauen Auge, und wie der Arzt später sagte, einem glatten Durchschuss in der rechten Schulter herauskam.“
„Ian hat sie angeschossen?“ ,fragte Adian fassungslos. „Und was war mit ihm?“
„Eine gebrochene Nase und einen ausgerenkten Arm.“ Flora lächelte. „Seit dem Tag sind sie die besten Freunde.“
Adian starrte seine Tante sprachlos an. Wenn er sich vieles vorstellen konnte, nur das nicht. Ein Zwerg wie Anna konnte unmöglich einen Mann wie Ian in die Knie zwingen.
Flora stand auf und strich ihren Rock glatt.
„Ich denke, du hast verstanden, was ich dir sagen wollte.“ Flora sah Adian eindringlich an. „Du kannst sie meinetwegen necken, ihr einen Streich spielen, oder ihr aus dem Weg gehen, wenn du sie nicht magst, aber sollte Anna Falcon Hall deinetwegen verlassen, gehst auch du!“
Tag der Veröffentlichung: 03.09.2011
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Widmung:
Für die wichtigsten Männer in meinem Leben
tha thu bhuam,Papa
tha gràdh mòr agam ort, Michael