Cover

I

Jahr 2112

 

Der Nachthimmel war sternenklar und ein leichter Wind wehte. Ich saß allein im Garten unseres Hauses und hörte den Grillen bei ihren nächtlichen Liedern zu. Die Luft war noch frisch vom kühlen Regen, der den ganzen Tag angehalten hatte. Endlich hatte es wieder geregnet. In den letzten Wochen gab es eine starke Dürre, durch die es in großen Teilen der Gegend Brände gab. Jetzt war die Luft wieder feucht, die Dürrezeit schien ein Ende zu haben. Trotz des Regens war nun keine Wolke mehr am Himmel zu erkennen und die Sterne leuchteten wie Milliarden kleiner Glühwürmchen fröhlich vor sich hin.
Da riss mich Ava, unser Boxerweibchen, aus den Gedanken. Sie kratzte wie verrückt an meinem Bein, knurrte und bellte immer wieder.
„Was denn los, meine Lady?“, fragte ich und tätschelte ihr den Kopf. Sie fühlte sich sicher nur wieder etwas vernachlässigt so ganz alleine. Normalerweise brachte mein Vater ihr um diese Zeit immer das Essen, aber er war heute noch bei der Arbeit. Seit der Kündigung bei Black Cat arbeitete er selbstständig und reparierte alles, was kaputt war.
Ich schaute Ava an, dann stand ich auf und ging in die Küche um ihr ihr Abendessen zu bringen. Billiges Trockenfutter aus dem Supermarkt, das Billigste, das sie hatten. Vater verdiente nicht sonderlich gut. Ich ging leise in die Küche um niemanden zu wecken. Als ich das Licht anschalten wollte, passierte nichts. Ich versuchte es noch einmal. Wieder nichts. Stromausfall. Schon wieder. Der Regen musste irgendwie an den Sicherungskasten gekommen sein. Ich tastete mich vorsichtig zum Regal mit dem Hundefutter und schüttete es in Avas Schüssel. Feierlich ging ich nach draußen, um ihr das festliche Mahl zu servieren.
„Tut mir leid meine Süße, aber was anderes haben wir nicht“, sagte ich, während ich den Napf, neben die Schüssel mit Wasser stellte.
Verwundert sah ich mich um. Weit und breit war keine Spur von Ava geblieben. Ich dachte, sie hatte Hunger und dann machte sie sich einfach aus dem Staub.
„Ava? Willst du jetzt doch kein Essen?“, sagte ich leise zu mir selbst.
Zu meiner Überraschung bekam ich sogar eine Antwort, in Form eines lauten Bellens. Es kam von oben. Jetzt wollte sie bestimmt wieder im Bett von Isabell schlafen und so wie ich meine kleine Schwester kannte würde diese es unserer Hündin auch noch mit Freuden erlauben. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Isabell war auch die, die Mutter davon überzeugen konnte, einen Hund zu kaufen. Aber meine Schwester konnte auch jeden von allem überzeugen, mit ihrem süßen Lächeln.
„Isabell“, rief ich nach oben, während ich die Treppen in den ersten Stock unseres Einfamilienhauses hochstieg.
„Isabell! Lass Ava ja nicht wieder in deinem Bett schlafen!“ Ich bekam keine Antwort. Sie stellte sich bestimmt schlafend.
Die Treppen gab ein beruhigendes Knarren von sich während ich nach oben ging, sie war schon sehr alt. In diesem Haus war sogar unser Großvater schon aufgewachsen und wir waren gerade dabei es zu renovieren, was auch dringend notwendig war. Bei jedem Schritt befürchtete ich, eine der Stufen könnte nachgeben.
Die Tür von Isabells Zimmer stand offen, aber das Licht war aus.
„Isabell?“, fragte ich zögernd. Als Antwort bekam ich nur ein lautes Bellen von Ava. Ich ging langsam hinein. Es war stockdunkel. Langsam machte ich einen Schritt nach dem anderen. Ava winselte und legte sich vor meine Füße.
„Was denn los, mein Mädchen?“ Ava winselte weiter, sie bewegte sich keinen Zentimeter mehr. Sie machte mir Angst, große Angst. Das war alles seltsam hier. Ich war barfuß und plötzlich spürte ich irgendetwas Nasses, Klebriges wie es unter meinen Füßen durchfloss. Erschrocken machte ich einen Satz nach hinten, stolperte, hielt mich an der Wand fest.
Licht! Das Licht war angegangen und ich traute meinen Augen nicht. Ich fiel zu Boden, an meinen Füßen, und nun auch an meinen Händen war Blut. Mutters Blut.

II

 

Jahr 2114

 

Ich öffnete die Augen. Draußen war es schon längst hell geworden und die feuchte Zunge von Ava riss mich aus dem Schlaf. Es war bereits 9 Uhr und ich stellte fest, dass ich verschlafen hatte. Schnell sprang ich hoch und zog mich um. Ich rannte die Treppen hinunter. Eine der Stufen gab plötzlich nach und brach unter mir zusammen. Mist, schon wieder. Vor 2 Jahren begannen wir eigentlich das Haus zu renovieren. Aber der Zwischenfall damals brachte diese Pläne zum Scheitern.

Damals als ich in dem Zimmer meiner kleinen Schwester, Mutter fand. Wie sie da lag, wäre nicht so viel Blut dort gewesen hätte man glatt glauben können sie würde schlafen, so friedlich sah sie aus. Ich stellte mir oft vor wie sie gestorben war, ob sie schmerzen hatte oder nicht, ob ihr Tod damals geplant war. Vielleicht musste sie auch einfach nur sterben weil sie Isabell beschützten wollte, ihre kleine Tochter. Sie wurde in der Nacht von denselben Männern entführt die auch an der Ermordung von Mutter schuld waren. Diese Männer haben sie sicher nur getötet weil sie ihr Kind nicht einfach hergeben wollte, aber welche Mutter würde nicht so handeln, welche würde nicht versuchen die 14 jährige Tochter zu beschützen. Hatte sie deswegen gleich den Tod verdient?

Vater kam damit nie klar. Er war unfähig noch an etwas anderes zu denken und sich keine Vorwürfe mehr zu machen. Aus irgendwelchen Gründen hielt er es von Anfang an für seine Schuld was passierte, weil er nicht da war um es zu verhindern, dass er es nicht kommen sah. Diese Anschuldigungen waren für mich unverständlich, wie hätte er wissen sollen das so etwas passiert, wie hätte er es verhindern sollen. Hätte nicht eher ich da sein müssen für die beiden? Aber ich hörte in dieser Nacht kein Geräusch von oben. Was mir eigentlich komisch vorkommen hätte sollen. Normalerweise hörte man lautes Gelächter von oben. Aber ich achtete nicht darauf und genoss die Stille.

„Aiden?“; rief mein Vater plötzlich. Er kam von draußen, scheinbar hatte er schon wieder gearbeitet, und sah mich an.

„Schon wieder was kaputt?“, fragte er und sah dabei mein Bein an, das fast bis zum Knie in der Treppe steckte. Ich zog es raus und ging, nun etwas behutsamer, in die Küche.

 

Ich kam heute mal wieder viel zu spät zur Arbeit, was meinem Chef nur mäßig freute.

„Wenn du nicht da bist kannst du wenigstens nichts kaputt machen“, sagte er immer und verschwand dann wieder in der Küche.

Das Restaurant in dem ich arbeitete war sehr klein und ähnelte etwas einem Imbiss. Im Raum mit den Gästen hatten gerade einmal fünf vierer Tische, zwei sechser Tische und zwei zweier Tische Platz. Trotz der geringen Menge der Gäste die hier gleichzeitig Essen konnten, beschwerte sich der Chef immer und immer wieder dass er zu viel Stress habe. Selten war der Raum aber völlig gefüllt. Meistens hatten wir hier nur wenige Gäste die sich nur kurz etwas zum Mitnehmen bestellten. Was mich nicht wunderte, der Laden brauchte eine Rund um Erneuerung. In den Ecken waren überall Spinnweben, die Tische waren oft noch ganz klebrig und so etwas wie Dekoration war erst gar nicht vorhanden. Schon oft schlugen ich und der Rest des Personals vor etwas an dem optischen zu ändern aber ohne Erfolg. Unser Chef, Jon Oldman, lehnte jedoch alle unsere Vorschläge vehement ab. Er wollte dass es genau bleibt wie es ist. Michael, Jungkoch und mein bester Freund, meinte einmal das liege alles an seinem Stolz. Mr. Oldman war, laut einiger Gerüchte, der Sohn von Richard Oldman, dem Gründer der Oldman Baumärkte, die ersten im Lande die ausschließlich elektronische, selbstarbeitende Werkzeuge verkauften. Jon Oldman sollte die Firma eigentlich übernehmen, allerdings war er nie der Sohn den sich sein Vater gewünscht hatte. Er war ein Taugenichts, hat nichts wirklich auf die Reihe bekommen und hatte auch kein Interesse daran die Firma zu führen. Irgendwann ist er dann einfach abgehauen und hat hier in Manhattan sein eigenes Lokal aufgemacht, welches mittlerweile auch schon sehr in die Jahre gekommen ist. Das bewies seinem Vater nur einmal mehr das sein Sohn nichts auf die reihe bekam. Richard Oldman starb vor einigen Jahren und kurz vor seinem Tod enterbte er seinen einzigen Sohn.

„AIDEN!!“, hörte ich eine Stimme und gleich darauf sprach mir Erika Testa auf den Rücken. Die kleine Italienerin arbeitete seit einigen Wochen hier. Sie war sehr zierlich und hatte immer gute Laune. Es war unglaublich was für eine Energie von so einem kleinen Menschen ausgehen konnte. Erika hatte langes braunes Haar, es war leicht gelockt und sie hatte immer eine kleine gelockte Strähne im Gesicht hängen. Sie strich diese zwar im Minutentakt wieder weg, jedoch hing diese kurz darauf wieder dort wo sie vorher war.

„Du bist zu spät!“, sagte sie vorwurfsvoll nachdem sie sich von meinem Rücken getrennt hatte. Ich lächelte sie an und nickte kurz. Ich war einfach kein Mann von großen Worten. Außerdem ließ ich eh die Finger von ihr weil Michael auf sie stand. Er versuchte schon seit sie hier war, sie auf einen Kaffee ein zu laden, aber Erika lehnte immer wieder gekonnt ab.

Erika packte mich plötzlich am Arm und zog mich nicht sich.

„W… Was denn los?“, fragte ich unsicher. Sie wirkte etwas angespannt, als wäre irgendetwas nicht in Ordnung. Ihr Ziel war der Kühlraum. Ein etwas seltsames Ziel wie ich fand und auf meine vorige Frage hatte sie auch nicht geantwortet.

Erika stand nun direkt vor mir. Unsicher sah sie zu mir hoch. Es war fast so als hätte sie Angst vor etwas.

„A…Aiden“, fing sie an, „ich muss dir etwas sagen.“

„Und was?“ fragte ich begriffsstutzig.

„Du weist das ich dich mag.“ Jetzt wurde sie rot, sehr rot, sie sah nach unten auf ihre Schuhe.

„Und du weist auch das ich Michael immer einen Korb gegeben habe.“ Ich nickte nur, unsicher ob sie das nun überhaupt gesehen hatte oder nicht.

„U…Und weist du warum?“ Erikas ganzes Gestotter kam mir schon sehr seltsam vor.

„Weist du… also ich…du bist naja…“, sagte sie leise, so leise das ich sie kaum verstand. Dann sagte sie noch etwas, ebenfalls in diesem leisen Ton. Ich hätte es mit Sicherheit auch verstanden wenn nicht genau in diesem Moment Mr. Oldman die Türe aufgemacht und uns beide rausgescheucht hätte.

Erika beschäftigte mich noch den ganzen restlichen Tag. Sie war doch sonst nicht so unsicher. Eigentlich konnte sie doch gar nicht anders als ständig reden und anderen Leuten ihre Meinung sagen, egal ob die anderen es hören wollten oder nicht. Aber heute war es anders, sie stotterte und ich hatte sie noch nie so nervös gesehen. Frauen waren einfach ein Rätsel das ich nie verstehen würde.

 

Nicht mehr lange dann hatte ich endlich Feierabend und ich konnte es kaum erwarten. Es war bereits dunkel geworden und der Himmel war ebenso klar wie in dieser Nacht vor 2 Jahren. Wie schon so oft fragte ich mich wo Isabell war, was sie nun tun würde, ob sie an mich dachte. Im Gegensatz zu vielen anderen glaubte ich nicht das sie Tod sei. Ich war der festen Überzeugung, dass sie noch irgendwo das draußen war, lebendig.

Warum wurde sie entführt? Wir haben nie eine Lösegeldforderung bekommen und sonstigen Kontakt zu den Entführern gehabt. Alles was mit dieser Nacht zu tun hatte war ein Rätsel, es war unlogisch und seltsam. Nichts ergab einen Sinn. Ich war jedoch wild entschlossen irgendwann den Sinn zu erkennen, das Rätsel zu lösen und Isabell lebendig und gesund wieder zu finden und sie nachhause zu bringen.

„Hey!“ ich drehte mich um und Michael stand da, wir hatten Feierabend und er bot mir an mich nach Hause zu begleiten. Michael Harsen war seit vielen Jahren mein bester Freund, wir gingen zusammen auf die High School und nun arbeiteten wir im selben Restaurant. Er als Koch und ich als Kellner. Wir beide wollten mit diesem Job aber nur Geld verdienen um uns dann später einmal unser Studium finanzieren zu können. Michael wollte Architektur Studieren und ich Ingenieur. Wir hatten große Ziele und ich war mir sicher uns würde das auch einmal gelingen.

„Was hast du denn heute mit Erika in dem Kühlraum gemacht“, fragte Michael auf dem Rückweg. „Ach nichts Besonderes“, meinte ich und fügte dann noch hinzu, „sie wollte mir nur irgendetwas sagen.“ Michael sah mich etwas misstrauisch an.

„Du weist das ich dir Vertraue“, sagte er, ich nickte nur.

„Wir sind ja schließlich Brüder oder etwa nicht?“ wieder nickte ich nur zur Bestätigung.

„Gut, gut“, er holte kurz Luft, meinte dann noch, „weil ich mag Erika wirklich sehr gerne, und er wäre eine Schande wenn sie unsere Freundschaft gefährden würde.“

Jetzt wurde mir klar was Michael mir sagen wollte, er dachte zwischen Erika und mir würde etwas laufen. Bei dem Gedanken musste ich leicht lachen und klopfte ihm auf die Schulter.

„Hey Mike, keine Angst, du brauchst dir deswegen keine Gedanken machen. Ich habe kein Interesse an ihr, wir sind schließlich Brüder.“ Michael lächelte mich an.

„Dann ist’s ja gut Aid“, grinste er mich an.

Zuhause angekommen verabschiedeten wir uns kurz und ich ging schnell ins Haus. Aus der klaren Nacht wurde ein Wolken besetzter Himmel und es begann kurz bevor ich da war, auch schon an zu Regnen.

Ich setzte mich in der Küche vors Fenster und sah nach draußen. Dann kam mein Vater rein und setzte sich zu mir. Er war klitsch Nass, scheinbar entkam er dem Regen nicht rechtzeitig so wie ich. Ich spürte seine Hand auf meiner Schulter. Vater war immer für mich da gewesen, seit ich denken konnte. Ich war froh dass ich wenigstens noch ihn hatte.

„Was ist denn los mein Junge?“ fragte er und sah mich besorgt an. Ich brachte ein Müdes Lächeln zu standen und erzählte ihm dann von dem heutigen Tag, das Erika sich seltsam benahm und das Michael Angst hatte da könne was laufen.

„Naja sie scheint dich zumindest zu mögen“, entgegnete mir mein Vater als ich gerade dabei war es abzustreiten das auch nur irgendwie mehr zwischen Erika und mir war. Ich sah nach draußen und dachte nach. Könne Vater Recht haben? Das würde bedeuten das Erika mich mag, was wiederum heißen würde das die Freundschaft mit Michael wirklich gefährdet war. Auch wenn er nicht so wirkte, bei Frauen konnte er sehr eigen werden. Wenn er ein Mädchen mochte durfte sie auch nur ihn mögen, anderen falls war der andere sein Gegner und musste ausgeschaltet werden. Ich hatte es bereits einmal auf der High School mitbekommen. Michael stand auf Rosi Parker, sie hatte kein Interesse an ihm und war heimlich in Brian Miller verliebt. Als Michael das herausfand brach er Brian 2 Rippen und den Unterarm. Es war kein schöner Anblick und Michael wurde deswegen auch Suspendiert. Rosis Herz konnte er damit aber auch nicht erobern. Sie kam mit Brian zusammen und die beiden wechselten aus Angst sogar die Schule. Michael konnte wie gesagt wirklich sehr beängstigend sein.

 

Es war nun schon sehr spät geworden. Ich war müde, morgen musste ich schließlich wieder in die Arbeit. Müde ging ich nach oben. Die kaputte Stufe von heute Morgen war bereits Repariert. Mein Vater machte, dass immer sofort, so schnell er konnte. Dieses Haus war eine ewige Baustelle und er sagte selbst oft, dass er bis zu seinem Tod daran arbeiten müsse. Damit hatte er wohl auch Recht. Aber das war nun einmal das Haus meiner Mutter, in dem sie groß wurde und in dem ihr Vater bereits groß wurde. Genau wie ich darin Lebe und irgendwann sterbe, wie meine Mutter und Großvater vor mir.

Ich legte mich in mein Bett und sah auf meinem Nachtisch das Foto von Isabell an. Sie war damals 14, es wurde 2 Wochen vor ihrem Verschwinden aufgenommen. Auf dem Bild hatte sie einen kurzen, blonden Bob. Das Kleid das sie damals trug war von Mutter, sie hatte es sich mit 17 Jahren einmal selbst genäht. Isabell liebte das klein weil sie darin aussah wie unsere Mutter. Sie sah ihr allgemein sehr ähnlich, bis auf das strohblonde Haar, das hatte sie von Vater geerbt. Als Kind war ich immer neidisch darauf, ich wollte auch so blonde Haare haben. Meine waren dunkelbraun mit einem kleinen rot Stich wie die von unserer Mutter.

Ich vermisste die beiden so sehr. Jeder Tag schien seit dem schwerer, längerer und mühseliger. Davor waren wir alle noch so Glücklich.

Ich erinnerte mich daran als wir beide noch Kinder waren, Isabell war 9 Jahre und ich war 12 Jahre alt. Wir hatten kurz davor Ava zu Ostern bekommen und freuten uns wie verrückt darüber dass sie das Stöckchen holen konnte. Isabell war total stolz auf sich weil sie es ihr angeblich beigebracht hatte. Sturz wie ich war bildete ich mir auch ein dass ich es ihr beigebracht hatte und wir hatten einen schrecklichen Streit. Mutter lächelte nur und meinte dass wir es doch beide geschafft haben. So dumm es auch klingen mag das war alles was sie sagen musste um den Streit zu beenden. Kurz darauf kam dann Vater von der Arbeit, er hatte und beiden Eis mitgebracht. Es war, durch die heiße Sommersonne leider schon fast völlig geschmolzen, zu allem Überfluss klaute Ava auch noch Isabells Eis. Sie fing schrecklich an zu weinen und da ich ein guter Bruder sein wollte gab ich ihr mein Eis.

Damals waren wir noch eine glückliche Familie. Wir waren nie Reich, aber es war genug für uns einander zu haben. Mit diesem Gedanken an die Familie die ich hatte schlief ich dann letzten Endes auch ein.

 

 

III

 

Die letzten Tage waren wie immer, Michael hatte die Sache mit Erika nicht mehr erwähnt. Am Samstag hatte ich frei und somit half ich meinem Vater das Haus zu renovieren. Eine der Stufen war schon wieder eingebrochen und da es in den letzten Tagen so stark geregnet hatte wurde unser Dach einmal mehr undicht.

Die Ziegel waren schon sehr alt und hielten den extremen Wetterbedingungen, die für diese Zeit des Jahres normal waren, nicht mehr stand. Gestern wehte der Wind noch zusätzlich sehr stark und Riss sogar ein Paar der Ziegel mit sich.

Ich fuhr schon sehr früh in den Baumarkt. Wie immer zu Oldman. Seit Mr. Oldman das Unternehmen nicht mehr führte waren die Preise stark gestiegen. Was unter anderem daran lag das Oldman einer der einzigen Baumärkte war. Mit der Erfindung der selbst arbeitenden Werkzeuge wurde die Kette immer beliebter und bald schon konnte die Konkurrenz nicht mehr mithalten und ging Insolvent. Mein Vater kaufte hier nie gerne ein, es war ihm alles zu technisch. Er schwor auf Handarbeit, so wie er es von seinem Vater gelernt hatte. Er war ein taffer Mann, mein Großvater Baker. Ich hatte ihn nie kennen gelernt, er starb als mein Vater noch ein Teenager war. Ich hätte ihn gerne einmal getroffen. Mein Vater erzählte mir oft von ihm. Er war ebenfalls bei der Black Cat gewesen, noch bevor sie so viel Macht erlangt und bevor sie sich in die Politik eingemischt hatten.

Ich war ganz froh dass ich bei Oldman alles gefunden hatte. Das war nicht immer der Fall. Oft hatten sie die Teile einfach nicht da die wir für das Haus brauchten. Dieses Mal hatten wir Glück und konnten gleich mit den Reparaturen beginnen. Zuerst einmal das Dach, morgen war schon wieder Regen angesagt und das Haus sollte möglichst trocken bleiben. Letzte Nacht hat es in mein Zimmer geregnet, ich schlief unter dem Dach. Im Sommer herrschten dort gerne Temperaturen von um die 35°C und im Winter waren es dann plötzlich unter -10°C. Vater bat mir schon oft an in das Zimmer von Isabell zu ziehen, aber das wollte ich nicht. Ich war mir sicher dass es nur noch eine Frage der Zeit sei bis sie wieder auftauchen würde. Sie war nun schon 2 Jahre 5 Monate und 12 Tage weg. Mein Vater verlor von Tag zu Tag mehr die Hoffnung sie jemals wieder zu sehen. Ich hingegen konnte nicht aufhören zu hoffen, ich wollte nicht so kaputt sein wie mein Vater. Er war ein gebrochener Mann und ich war alles was er noch hatte. Oft fühlte ich mich schrecklich, weil ich nichts für ihn tun konnte.

Ich stieg wieder vom Dach. Das müsste erst einmal halten und das musste es wirklich den wir hatten nicht mehr viel Geld diesen Monat zur Verfügung. Gern hätte ich mehr gearbeitet, aber die Stellen waren knapp und meist auch sehr schlecht bezahlt. Seit Jahren befand sich das Land in einer Wirtschaftskriese. Jeder wartete nur darauf bis der nächste Krieg aus brach. Laut den meisten Leuten war es nur noch eine Frage der Zeit. Dieser dritte Krieg würde der letzte werden und wir würden schuld sein, meinte mein Vater immer. Er gehörte auch zu den zahlreichen Verschwörungstheoretikern die mittweile an jeder Ecke zu finden waren. Die Unzufriedenheit der Menschen war deutlich zu spüren. Da half es auch nichts, dass uns die Regierung vormachte es sei alles in bester Ordnung. Das war aber die Strategie der Black Cat. Sie selbst waren zwar keine eigene Partei aber nahezu jeder Politiker hatte Verbindungen zu ihr und stand unter dem Kommando der fraglichen Organisation. Zu verdanken hatten wir das dem Chef der Black Cat, einem Mann namens William Anderson. Er war eigentlich ein Geschäftsmann, der mittlerweile jedoch viel mehr zu sagen hatte als jeder andere. Früher galt der amerikanische Präsident als mächtigster Mann der Welt. Jetzt war dies, der Anführer der Black Cat. Dieser Mann konnte alles kontrollieren und war in der Lage das Land jederzeit zu retten oder zu zerstören. Je nachdem wie seine Interessen waren, von denen niemand etwas wusste. Er war nicht zu durchschauen, genauso wie sein Unternehmen. Es war als wäre alles was mit der Black Cat zu tun hat unter einem schwarzen undurchsichtigen Schleicher versteckt, der hin und wieder einen kleinen Blick ins Innere zuließ aber nie so viel das man erahnen konnte was sie vorhatten.

Plötzlich wurde ich von hinten Angesprungen. Es war Erika, hinter ihr her getrottet kam Michael.

„Was macht ihr denn hier?“, fragte ich beide verwundert. Es kam nicht oft vor das ich so spontanen Besuch bekam.

„Freust du dich nicht uns zu sehen?“, scherzte Erika und lachte.

„Wir wollte fragen ob du mitkommst was Essen“, meinte Michael mit etwas mürrischem Blick. Wahrscheinlich hatte er Erika zum Essen eingeladen und sie hatte nicht verstanden dass es ein Date sein soll. Noch bevor ich Antworten konnte zerrte die kleine Italienerin mich mit. Es war eine gute Gelegenheit mit Ava Gassi zu gehen, also nahm ich meine Hündin kurzerhand mit.

Wir gingen in ein nahegelegenes Restaurant. Ich nahm meine Geldbörse heraus und sah nach wie viel ich noch hatte. Es würde gerade einmal für eine Vorspeise reichen und ich sah etwas bedrückt zu Ava. Wie immer hatten wir extra auf ein Lokal geachtet in dem Hunde nicht verboten waren, ich konnte meine kleine schließlich nicht einfach draußen stehen lassen.

„Hast du wieder kein Geld?“, meinte Erika, sie beugte sich zu mir über die Tischkante, die leicht in ihren dünnen Bauch drückte, und sah in meine Geldbörse in der kaum etwas war. Ich wurde etwas rot und nickte, es war mir unglaublich peinlich nie Geld übrig zu haben um mal Essen zu gehen oder um mit den anderen zu Shoppen. Erika lächelte mich an und setzte sich wieder normal an den Tisch, sie holte ihr Geld heraus mein meinte nur, „dann zahl ich euch beiden was, kann euch ja nicht verhungern lassen.“ Es war mir unangenehm, vor allem weil es nicht das erste Mal war das sie das für mich Tat, aber ich konnte Ava schlecht hungern lassen und aus Erfahrung war ich mir bewusst das es kaum Sinn hatte Erika irgendetwas auszureden. Sie verdiente zwar nicht mehr als ich aber ihr Vater war Erfinder bei Oldman und verdiente mehr als genug Geld um die ganze Familie zu versorgen. Angefangen zu arbeiten hatte sie nur um etwas zu tun zu haben, als kleiner Nebenverdienst so zu sagen.

Michael sah nicht sonderlich erfreut darüber aus das mir Erika das Essen bezahlte, aber er sagte nichts dazu. Er wusste schließlich wie ich zu ihr stand und wir hatten vor wenigen Tagen auch schon drüber gesprochen. Auch wenn Erika eine Schönheit war, hatte ich nicht auch nur das geringste Interesse an ihr. Sie war einfach eine gute Freundin.

Das Essen wurde serviert, wir hatten uns alle je eine große Pizza bestellt. Erika hatte Fungi, Michael und ich bestellten beide eine Schinken Pizza. Das musste ich allein schon machen weil Ava keine andere aß. Erika ging gerne zum Italiener auch wenn sie immer etwas zu merken hatte weil keiner es so machen konnte wie in ihrer Heimat. Schon oft hatte sie versprochen uns einmal mit nach Italien zu nehmen, um uns zu zeigen wie eine richtige Pizza schmecken musste. Dazu kam es bisher leider noch nicht, auch wenn ich mich darauf freute und hoffte, dass es irgendwann wirklich passierte. Laut Erika war es dort wunderschön, im Norden gab es Berge und im Süden den Strand. Bei dem Gedanken daran musste ich immer Lächeln. Es war schön etwas Ablenkung zu haben.

Ava bellte mich an, also Aufforderung ihr endlich ein Stück der Pizza oder wenigstens etwas Schinken zu geben. Ich musste lachen, sie sah so unbeholfen auch wenn sie versuchte zu betteln. Sie hatte zwar große Kulleraugen aber eben auch, das für Boxer typische, dumme Gesicht. Der Sabber lief ihr noch mehr aus dem Maul als sonst und ich erbarmte mich und lies sie etwas von dem Schicken aus meiner Hand essen. Michael sah mich etwas angewidert an.

„Aiden! Du Schwein, du willst mit der Hand doch wohl nicht mehr essen“, platzte ihm heraus als ich ein Stück der Pizza in die Hand nahm um weiter zu essen. Ich musste lachen, sein Gesichtsausdruck war zu komisch. Er saß mir gegenüber und sah mich entsetzt an. Ich sagte besser nichts darauf und aß einfach weiter. Michael schüttelte verständnislos den Kopf und meinte nur noch, „du musst die Hundesabber mitessen und nicht ich.“ Er sah mich an wie ein Vater, dessen Kind gerade einen Haufen Sand in den Mund nahm, und das er eh nicht davon abhalten konnte. Erika musste so lachen das es ihr schwer fiel das Essen im Mund zu behalten. Wir drei Lachten alle, größtenteils über das dumme Gesicht der anderen. Die einzige die nicht verstand was los war, war Ava, sie sah verdutzt zu uns hoch. Dann schüttelte sie scheinbar verständnislos den Kopf und legte sich unter den Tisch auf den Boden um ein bisschen zu schlafen.

Die entspannte Stimmung beruhigte mich etwas. Anfangs hatte ich noch etwas bedenken mit zu kommen, wegen Michael, ich wollte die Zweisamkeit der beiden nicht unnötig stören. Jetzt schien es aber genau die richtige Entscheidung gewesen zu sein.

Als wir gingen war es bereits 20:00 Uhr und stockdunkel draußen. Die Straßenlaternen waren die einzige Orientierung und zeigten einem den Weg. Die Straßen waren völlig leer, niemand war zusehen. Nur wir drei schienen noch unterwegs zu sein. Die wenigsten Menschen trauten sich so spät noch aus ihren Häusern. Sie hatten Angst vor Dieben. Das waren in der Regel Obdachlose, die keine andere Wahl hatten als zu stehlen. Erika sah sich ängstlich um. Sie wollte von Anfang an schon früher gehen, Michael und ich hatten sie jedoch überredet noch länger da zu bleiben und hatten ihr versprochen sie noch nach Hause zu begleiten.

Vom Augenwinkel aus sah ich wie Michael immer wieder versuchte ihre Hand zu nehmen, sie jedoch nicht darauf einging. Er konnte einem wirklich Leid tun, es musste schmerzhaft sein jemanden zu lieben und nichts als Abweisung zu bekommen. Erika beachtete ihn wirklich kaum, sie sah die ganze Zeit zu mir, so als würde sie irgendetwas sagen wollen, sie sich aber nicht traute wegen Michael.

„So da wären wir“, sagte Erika als wir vor ihrem Haus standen. Es sah kein bisschen besser aus als das in dem ich wohnte. Eher sogar noch schäbiger. Die Fensterläden hingen etwas schief und auf dem Dach fehlten einige Ziegel. Sie konnte einem glatt Leid tun, ihre Familie war schon immer arm gewesen und wurde über die Jahre hinweg immer ärmer. Das einzige was ihnen noch geblieben ist war das Haus und das war das wichtigste. So endeten sie nicht als Obdachlose auf der Straße. Auch wenn ihr Heim schäbig und alt war, es war immer noch besser als nichts zu haben.

Michael und ich verabschiedeten uns von ihr und gingen dann getrennte Wege nach Hause. Die Sache von letztens beschäftigte mich immer noch. Ich hatte Angst, dass es der Freundschaft von uns dreien schaden würde. Zwar war ich mir sicher keine Gefühle für Erika zu haben, jedoch war ich mit sicher das Michael mir das nicht glaubte. Zwar hatte er sich beim Essen nichts anmerken lassen, aber auf dem nach Hause weg sah er mich immer wieder böse an, so als hätte ich irgendwas Schlimmes getan. Wahrscheinlich wäre es doch besser gewesen hätte ich die beiden alleine gelassen. Auch wenn es Michaels Chancen bei Erika nicht verbessert hätte. Es wäre alles so viel einfacher wenn sie seine Gefühle erwidern könne. Doch das war genauso unmöglich wie, dass ich ihre erwidern könne.

Ich blieb stehen und sah in den Himmel, die Nacht war Sternen klar. Ein romantischer Anblick den ich mit niemandem außer Ava teilen konnte. Oft wünschte ich mir alles wäre Anders. Das ich in einer anderen Zeit leben würde, damals als alles noch viel einfacher war. Sicher wäre Isabell dann immer noch hier. Ava schmiegte sich an mein Bein, winselte und sah traurig zu mir hoch. Es war so als würde sie genau wissen was ich denke, als würde sie dasselbe fühlen. Ich kniete mich zu ihr und nahm sie leicht in den Arm.

„Ach meine Süße, wenn du nur ein Mensch wärst“, flüsterte ich ihr zu und wieder winselte sie. Ich war mir bewusst das die Aussage völlig idiotisch war, ich wollte nicht wirklich das Ava ein Mensch war. Viel mehr wollte ich einen Menschen der mich so verstand wie sie es tat. Ich streichelte ihr noch einmal über den Kopf, stand dann wieder auf und ging weiter. Ava trottete mir hinter her. Es war immer noch völlig still und unsere Schritte klangen lauter als normalerweise.

Plötzlich blieb Ava stehen, verwundert sah ich sie an. Sie Blickte in eine kleine Seitengasse.

„Was hast du denn?“ Keine Regung ihrerseits. Sie sah mich noch nicht einmal an. Ich bückte mich erneut zu ihr und legte meine Hand auf ihren Rücken. Sie zitterte, man konnte es nicht sehen aber man spürte es. Gespannt sah ich in dieselbe Richtung wie sie. Wir bewegten uns nicht, ich traute mich kaum zu atmen. Was hatte sie entdeckt? Da! Ein Schatten war zu sehen, nur kurz aber ich war mir sicher, dass er Menschlich war. Ava bellte plötzlich wie wild los. Kein bellen als würde sie aufmerksam kein wollen, oder „Hallo“ sagen wollen. Ich hatte sie noch nie so gehört, es war ungewohnt aggressiv und provozierend.

„Schhhh, Aus!“ zischte ich sie an. Dann passierte es schon. Plötzlich vielen Schüsse wie aus dem nichts und Ava rannte so schnell sie konnte. Ich ihr hinter her. Was zur Hölle war das? Ohne zu halten und ohne uns auch nur um zusehen rannten wir 3 Blöcke weiter, bis wir im Haus waren. Mein Vater sah uns verdutzt an, hatte jedoch keine Zeit zu Fragen, denn als er den Mund aufmachte waren wir beide bereits in meinem Zimmer. Völlig außer Atem kniete ich auf dem kalten Fußboden, meinen Kopf nach unten. Immer noch verwundert darüber was ich gehört hatte. Schüsse, wie die aus einer alten Pistole. Das war ungewöhnlich, Schusswaffen zwar hatten viele Pistolen zu Hause, jedoch hatte ich noch nie gehört das jemand eine benutzt hatte, abgesehen von der Black Cat. Aber warum sollte die nachts, in einer Seitengasse auf einen Schatten schießen? Es war nicht normal, dass sie überhaupt auf der Straße unterwegs waren. Mein Vater hatte mir erzählt das sie sich nicht um das leben einfacher Menschen kümmern würde und nur selten außerhalb des Hauptgebäudes zu sehen waren. Die Black Cat kümmerte sich meist nur um „richtige“ Probleme, wie Terroranschläge. Dinge die die Organisation in Gefahr bringen würden.

Zaghaft stupste Ava mich mit der Schnauze an. Ich hob den Kopf und sah ihr direkt in die Augen.

„Hast du irgendetwas gesehen?“ Keine Antwort. Die einzige Reaktion war das sie sich in ihr Körbchen legte und mich von dort aus mit traurigen Augen an sah. Ich war mich sicher, dass sie mehr gesehen hatte als ich, sie konnte es mir nur nicht sagen. In diesem Moment wünschte ich mir wirklich das Ava ein Mensch war.

 

 

IV

Nur mit viel Mühe gelang es mir am nächsten Morgen aus dem Bett zu kommen. Die Sonne verbarg sich hinter einer dicken Wolkenschicht, die sie wohl den ganzen Tag nicht durchbrechen könne. Mein Vater war bereits wach und ich half ihm bei der Gartenarbeit. Auch wenn die Sonne nicht zu sehen war, hatte es über 30°C. Bei dieser Gelegenheit erzählte ich ihm sofort die Ereignisse des letzten Abends.

„So ungewöhnlich ist das nun auch wieder nicht“, sagte er nach kurzem. Verwundert sah ich ihn an.

„Weißt du, Leute dürfen zwar keine Waffen benutzen, tun es aber trotzdem. Gerade nachts werden einige solcher Verbrechen begangen, deshalb solltest du auch so spät nicht draußen sein.“ Ich dachte darüber nach was mein Vater sagte. „Solche Verbrechen“, Morde. Ich hatte wahrscheinlich gehört wie ein Mensch ermordet wurde. Bei dem Gedanken daran wurde mir übel. Bilder schossen in meinen Kopf an die ich nicht denken wollte und schon im nächsten Moment war es wieder Real. Meine Mutter, zusammen gekauert in der Ecke. Der widerliche Gestank von Blut und Scheiß in meiner Nase. Avas Gebell, der Wind der durch das offene Fenster zischte. Das Adrenalin, vorhergerufen durch Angst, pure Angst und den quälenden willen weg zu rennen. Weit weg, zu rennen bis ich nicht mehr konnte, bis meine Füße versagten und ich mich nicht mehr bewegen konnte.

 

Ich öffnete meine Augen. Wo war ich hier? Weißes Licht blendete mich und ich drehte mich abrupt von der Lichtquelle weg. Der Raum war hell, alles war in nichts sagendem Weiß. Neben dem Bett in dem ich lag stand ein Stuhl. Die Tür wurde geöffnet und mein Vater trat ein. Mit schnellen Schritten bewegte er sich auf mich zu und setzte sich auf die Bettkante.

„Du bist wieder wach“, sagte er mit freudigem Ton.

„Was… Was ist passiert?“ ich verstand die Welt nicht mehr. Eben waren wir noch im Garten gewesen. Das letzte an das ich mich erinnern konnte war eine Schwärze die sich vor meinen Augen auf tat. Danach war ich hier. Ein Krankenhaus vielleicht, überlegte ich.

„Aiden, du bist in Ohnmacht gefallen.“ Seine Stimme war ruhig und bedrückt. Ja ein Krankenhaus, ganz sicher. Immer noch verwirrt rappelte ich mich auf und saß halb gerade im Bett. Ich fiel also einfach in Ohnmacht.

Die Tür öffnete sich erneut. Michael und Erika. Sie hatten denselben Ausdruck in den Augen wie mein Vater. Erika setzte sich auf den Stuhl. Michael blieb neben dem Bett stehen. Ich war in einem Krankenhaus, nur wegen einer Ohnmacht?

„Was ist wirklich passiert.“ Drängte ich die drei. Ich konnte an ihren Augen sehen. Es steckte mehr dahinter als sie sich trauten mir zu sagen. Abwechselt blickte ich zu meinem Vater, Erika und Michael. Mein Blick war erwartungsvoll. Keiner sagte ein Wort. Sie sahen sich gegenseitig an. Als würden sie telepathisch kommunizieren. Mein Gesicht verhärtete sich immer mehr. Sie verheimlichten mir etwas, alle drei. Es gab eine Wahrheit die ich nicht erfahren sollte. Schließlich gab ich auf. Erschöpft lehnte ich mein zurück in das harte Krankenhaus Bett.

„Aid…“, fing Erika an. Als sie weiter reden wollte gab mein Vater ihr ein Zeichen still zu sein.

„ICH sage es ihm“, betone er mit Nachdruck.

„Mir WAS sagen!“ langsam wurde ich wütend. Zu Beginn wollte niemand mir etwas sagen, jetzt schienen sie sich schon fast darum zu reißen.

„Du bist in Ohnmacht gefallen“, fing er mit ruhiger Stimme an.

„Das hast du bereits gesagt!“ unterbrach ich ihn. Meine Geduld war am Ende. Ich wollte es jetzt wissen, auf der Stelle.

„Lass mich bitte ausreden.“ Mein Vater sah mich scharf an. Dann fuhr er fort: „Du bist in Ohnmacht gefallen. Aber nicht nur das. Du hast geschrien. Sehr laut geschrien.“

„Ich habe was?“

„Du warst plötzlich völlig verwirrt, wie in einem Albtraum gefangen“, warf Michael ein. Verwundet sah ich ihn an. Woher wollte er das so genau wissen. Er war nicht da, oder doch? Nein er war sicher nicht da gewesen. Es waren nur mein Vater und ich im Garten.

„Michael war gerade auf dem Weg zu dir. Als es passierte“, erklärte mein Vater.

Ohnmacht, Schreie, Albtraum. Ich konnte mich an nichts erinnern. Erikas Augen waren wässrig. Verzweifelt versuchte sie ein Schluchzen zu unterdrücken. Michael trat an sie heran und legte seinen Arm um ihre Schulte. Weinte sie wegen mir? Steckte etwa noch mehr dahinter? Dann brach es aus ihr heraus.

„Aiden hat nicht nur einfach geschrien!“ fauchte sie meinen Vater er. Dieser erschrak so sehr das er fast von der Bettkante viel. Dann wandte sie sich zu mir.

„Du hast nicht einfach nur geschrien.“ Diesmal war ihr Ton ruhiger, fürsorglicher. Sie legte die Hände über den Kopf und weinte. Alle waren Still und sahen sie an. Michaels Hand auf ihrer Schulte zitterte und ich sah ihm an, dass er nichts anderes tun wollte als sie fest in den Arm zu nehmen und sie vor dem Schmerz zu beschützen. Ich fühlte mich Schuldig. Ihr ging es nur wegen mir so schlecht. Weil ich in einem unerklärlichen Anfall irgendetwas getan hatte woran ich mich nicht mehr erinnerte. Ich senkte den Kopf.

„W… was habe ich geschrien“, fragte ich mit erstickender Stimme. Was konnte ich nur schreckliches gesagt haben.

„Isabell.“ Die Antwort kam von Michael und raubte mir endgültig den Atem. Dann wusste ich wieder alle. Im Garten, ich hatte an diese Nacht gedacht. Meine Augen wurden leer und es Entzog meinem Gesicht die ganze Farbe. Deswegen hatte ich diesen Anfall? Ungläubig blickte ich meinen Vater an. Er nickte.

„Der Arzt meinte“, fing er langsam an, sah zur noch immer weinenden Erika, dann wieder zu mir und fuhr fort: „du hast diese Nacht nie verarbeitet. Niemand weiß genau was du gesehen hast. Du hast mit niemandem je darüber geredet.“ Bedrückt sah ich ihn an. Er hatte Recht. Ich erzählte keinem davon und um ehrlich zu sein, bis vor meinem Anfall wusste ich selbst nicht mehr genau was damals passierte. Genau wie jetzt, wachte ich in einem Krankenhaus auf, mit kaum noch einer Erinnerung an die Geschehnisse. Aber ich wusste wieder alle.

Erika sah mich an. Ihre Augen waren rot und verquollen. Selbst jetzt sah sie noch so hübsch aus. Ich nahm zaghaft ihre Hand und im selben Moment fiel sie mir in die Arme. Sie presste ihr Gesicht an meine Brust und weinte. Vorsichtig legte ich meinen Kopf auf ihren und tat es ihr gleich. In diesem Augenblick kam alles wieder hoch. Es war der erste Moment in dem ich mir vorstellen konnte Erika wirklich zu lieben. Einfach weil sie jetzt bei mir war, sie war für mich da. Ich konnte ihr völlig vertrauen, genauso wie sie mir vertrauen konnte.

Aber ich tat es nicht wirklich. Ich liebte sie nicht wirklich und ich vertraute ihr nicht wirklich. Ich konnte niemandem wirklich vertrauen. Nicht einem mir selbst. Ich hatte diese Erinnerungen nicht ohne Grund vor allem und jedem versperrt. Sie sollten nie ans Licht kommen und doch taten sie es. Ohne Vorwarnung und ohne einen ersichtlichen Grund platzen sie aus mir heraus. In einem Anfall von Angst und Hysterie quetschten sie sich aus meinem Inneren hervor.

Ich hob leicht den Kopf und fing leise an ihnen alles zu erzählen woran ich mich noch erinnern konnte. Meine Stimme zitterte und bracht am Ende völlig ab. Ich war nicht im Stande einem von ihnen in die Augen zu blicken. Es war zu schlimm zu wissen dass ich meine Mutter und meine Schwester in dieser Nacht nicht beschützen konnte.

Mein Vater bat Michael und Erika nach draußen. Er nahm meine Hand. Seine Augen waren genau wie meine mit Wasser gefühlt.

„Es war nicht deine Schuld“, flüsterte er, bevor er mich das erste Mal seit Jahren wieder in den Arm nahm. Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangenwar bis mein Vater mich wieder los ließ und der Arzt mir die Entlassungspapiere gab. Michael und Erika warteten vor der Tür und bestanden darauf uns noch ein Stück nach Hause zu begleiten. Besser gesagt, Erika bestand darauf. Michael sagte kein Wort zu mir, er sah mich noch nicht einmal an und ich wusste genau warum. Es muss ihm das Herz zerbrochen haben als Erika sich bei mir ausweinte.

Auf dem Weg nach Hause ließ ich mich mit ihm einige Meter zurückfallen.

„Es tut mir leid“, sagte ich klein laut. Es war unsensibel von mir es zuzulassen, obwohl ich genau wusste was er empfand. Michael sagte kein Wort. Ich packte ihn am Arm und wir blieben stehen.

„Sieh mir doch wenigstens in die Augen!“ rief ich mit unterdrückter Stimme. Ich wollte nicht das mein Vater und Erika etwas davon mit bekamen.

„Langsam frage ich mich ob ich dir wirklich noch vertrauen kann“, zischte Michael mit abgewandtem Blick.

„Natürlich kannst du das!“

„Ach ja? Das Gefühl habe ich nicht.“ Er riss sich von meinem Griff los und ging langsam weiter. Ich folgte ihm.

„Wenn du Gefühle für sie hast solltest du es wenigstens zugeben!“

„Die habe ich wirklich nicht.“ Ich sah zu Boden.

„Trotzdem versaust du mir alle Chancen bei ihr.“ Er drehte sich um und sah mich hasserfüllt an. Ich spürte es, er hasste mich in diesem Moment wirklich.

„Das ist doch nicht meine Schuld!“ Langsam wurde auch ich wütend. Er beschuldigte mich einer Sache die ich nie tun würde.

„Und wessen Schuld ist es dann?“

„Erikas!“ Nach diesem Wort herrschte Stille. Begriff er es denn nicht? Erika hatte keinerlei Gefühle für ihn. Genauso wenig wie ich etwas für sie Empfand. Michaels Wut stieg sichtlich mit jeder Sekunde. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Fäusten die mir sicher jeden Moment ins Gesicht schlagen würden. Aber er tat es nicht. Er tat nichts.

„Ich bin fertig mit dir“, fauchte er, mit all der Wut und Verachtung die er in diesem Augenblick empfand. Er wendete sich von mir ab und nahm einen anderen Weg nach Hause. Ich sah ihm nach. Erst ging er langsam, dann im Laufschritt und kurz bevor er hinter der nächsten Ecke verschwand sah ich dass er rannte. Er meinte diese Worte ernst. Michael mein bester Freund wollte mich nie wieder sehen.

Schnellen Schritten holte ich die anderen beiden ein.

„Wo ist Michael?“ fragten mein Vater und Erika fast synchron.

„Wir hatten einen Streit“, antwortete ich so kühl wie ich konnte.

„Muss ein heftiger Streit gewesen sein wenn er gleich abhaut“, meinte mein Vater und fügte dann hinzu: „Ihr werdet das sicher noch klären.“ Er legte seine Hand auf meine Schulter und lächelte mich an. Ich wusste dass wir diesen Streit nie klären würden. Erika, immer noch halb aufgelöst, begleitete uns noch bis nach Hause. Kurz vor der Tür hielt sie mich zurück.

„Ich… Ich muss dir etwas Dringendes sagen“, sagte sie mit erwartungsvoller Stimme. Ihre Augen leuchteten in intensivem grün auf. Zaghaft griff sie nach meiner Hand. Blickte mir direkt in die Augen und beugte sich hoch zu mir. Ihre Lippen kamen den meinen immer näher und jeden Moment würde es zu einem Kuss kommen und ich würde Michael ein für alle Mal nie wieder sehen.

Plötzlich zerbrach etwas in der Küche, Ava bellte lauthals und mein Vater kam herausgestolpert. Ich sah ihn mit weitaufgerissenen Augen sah ich ihn an, riss mich von Erika los und konnte ich gerade noch auffangen bevor er von der kleinen Stufe von der Eingangstür fiel.

„E…ein…ein Geist!“ stammelte er völlig aufgewühlt vor sich hin. Ich sah ihn an.

„Was meinst du Vater?“ Da hörte ich auch schon Erikas schrei hinter mir. Erst sah ich zu ihr und dann nach vorne. Mein Atem stockte und ich ließ meinen Vater los. Meine Augen weiteten sich immer mehr, meine Augen füllten sich erneut mir Tränen und erneut war ich kurz vor der Ohnmacht. Von weit weg hörte ich meine Stimme flüstern: „Isabell!“

 

 

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Tag der Veröffentlichung: 07.04.2015

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