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Beitrag zum 27. GayKiss Wettbewerb

Gregory kurbelt das Fenster von seinem alten Benz runter und schneidet mit seiner Hand Wellenlinien durch den Fahrtwind. Eine elementare Angst begleitet ihn jedes Mal bei solchen Aufträgen: Fährt ihm einer hinten drauf, steckt er in wirklich ernsten Schwierigkeiten. Selbst wenn er sich für den Transport eine Einverständniserklärung unterzeichnen liesse, würde die Sachlage dadurch sogar noch übler für ihn ausfallen. Schuldbewusstsein und Vorsatz waren die Schlüsselworte, die sein alter Herr benutzt hat, als er ihm beim Sonntagsbraten eine dieser was-wäre-wenn-Fragen beantwortete. Er hörte als Anwalt diese www-Hypothesen ständig und konnte es eigentlich nicht leiden, wenn seine Freunde ihm beim Tennis oder Golfen mal eben so eine Rechtsberatung aus der Hüfte zu leiern versuchten. Bei ihm, seinem einzigen Sohn, machte er da gerne eine Ausnahme. Und er holte immer weit aus und untermauerte seine Erklärungen mit spannenden Beispielen, als wollte er einen aller letzten Versuch starten, seinen Sprössling doch noch für seine Fußstapfen zu begeistern. Bis zu seinem Tod hat er die Hoffnung nicht aufgegeben, erinnert Gregory wehmütig. Dann gibt er Vollgas und verlässt die Beschleunigungsspur. Die Musik dreht er so weit auf, dass er nur noch die düstere Stimme des Sängers von Skinny Puppy in seinem Gehör wahrnimmt. Was für ein geiler Tag, sagt sein kantig-smartes Gesicht zum Rückspiegelbild. Zähnefletschend überprüft er die Reinheit seiner Zahnlücken, dann drängt er eine Schlafmütze nach der anderen von der linken Spur. Sein Handy klingelt, er steckt sich einen Kopfhörer ins Ohr und dreht die Musik leiser.

»Finn! Schätzelein! Was gibts?«


»Greg, ich hab ein dickes Problem. Meine Karre ist mal wieder abgesoffen!«


»Ruf den ADAC!«, versucht Gregory ihm als praktische Lösung vorzuschlagen, weil ihm keine Ausrede einfällt, warum er seinem Freund jetzt eigentlich nicht selber helfen kann.


»Greg, ich bin doch in keinem Club. Du weißt das doch, dass ich nur Hubert da ran lasse.«


»Ja, stimmt ja. Aber das hast du jetzt davon. Wo bist du denn?«


»A 46, Höhe Heinsberg.«


»Ich komme. Reg dich nicht auf und zieh die schicke, gelbe Weste an. Du weißt schon, die im Handschuhfach, die mich so anmacht. Roaaaarrrrrr!«


»Greg, sehr witzig. Es ist echt heiß und ich hab voll Durst.«


»Dann zieh alles andere aus und leck bloß nicht an deinem Schweiß, weil das Salz dich noch durstiger machen würde.«


»Harrrrrr ... Du treibst mich nochmal zum ... Wann wirst du denn da sein?« Finn kann wie ein kleiner Junge quengeln und seine Nervosität auch schonmal schnell hysterische Züge annehmen. Gregory schaut auf das nächste Schild und dann auf die Uhr.


»45 Minuten! Locker bleiben.« Er legt auf und tritt wieder das Gas durch. Die nächste Ausfahrt nimmt er mit Schwung und ändert bald darauf seine Richtung auf der Autobahn.

 

Verdammt, denkt er. Jetzt muss er sich gleich bestimmt was einfallen lassen. Wenn es sich ergeben oder sogar unvermeidlich sein würde. Es nagt schon lange an ihm. Finn ist so unendlich lieb und dabei ultra sexy. Schlimme Mischung. Nicht so einfach, da mit der Tür ins Haus zu fallen. Er erinnert sich, wie alles mit ihm anfing. Damals, als er seinen Vater unter die Erde bringen musste. Er hatte sich Bestattungsunternehmer immer als verstaubte, knöchrige Gestalten mit einer Halbglatze vorgestellt, auf der noch vereinzelte Haare wie Faden-Würmer wimmelten. Dass sie trist anmutende Anzüge trügen, die an die Siebziger erinnerten und unerträglichen Mundgeruch hätten. Erst hat er gedacht, Finn wäre ein Praktikant oder so eine Art Sekretär, als er ihn vor mehr als zwei Jahren so freundlich empfing und erstmal nach einer Tasse Kaffee fragte. Gregory hat ihn beobachtet, als er den Raum verließ und fand seinen Gang einfach nur hammer. Eine Mischung aus Farmarbeiter und Transvestit. Muss an dem karierten Hemd und der seidig schimmernden Hose gelegen haben oder daran, dass seine Ledersohlen auf dem Marmor so geklackert haben. Während er in der Erwartung des stinkenden Leichenentsorgers bereits die Luft anhielt, kam aber Finn zurück und nahm hinter dem schweren Schreibtisch Platz. So hatte er sich nun wirklich keinen Bestatter vorgestellt. Genau so, eher den Mann, der nach Jahren der resignierten Abstinenz sein Blut wieder zum kochen brachte. Sie gingen damals entspannt Sarg-Kataloge durch und ließen die Hände abwechselnd über polierte Ausstellungsstücke gleiten. Da sein Vater sich mit dem Ableben noch etwas Zeit ließ und im Krankenhaus zu einer Marionette am Tropf geworden war, nutzte Gregory die Gelegenheit, es sich noch dreimal anders zu überlegen mit der Auswahl des Ruhebetts. Der junge, attraktive Mann brachte ihm eine Engelsgeduld entgegen. Bei dem dritten Gespräch wagte sich Gregory einen großen Schritt nach vorn, indem er tief in die Augen seines Gegenübers schaute und sich dabei plump die Eier zurecht rückte. Woraufhin der leckere Kerl nach Luft schnappte, sich weit nach vorne beugte und einfach erzählte, dass er die Familientradition in fünfter Etappe weiterführte. Er habe schon als Teenager Leichen gewaschen und geschminkt und deswegen eine ganz natürliche Einstellung zum Tod. Er offenbarte aber auch, dass er noch viel lieber Maskenbildner beim Theater geworden wäre.

»Ach, Theater«, hatte Gregory erwidert. »Die Kultur ist vom Aussterben bedroht. Gestorben aber wird ewig. Ich bin Zauberer, auch Illusionist genannt. Mein Alter hätte mich lieber in seiner Rechts-Kanzlei gesehen.« Gregory wollte die persönliche Ebene mit Finn noch lange nicht verlassen. »Im Grunde tun wir beide das Selbe: Wir lassen Dinge verschwinden.«

Finn hatte offenbar länger nicht herzlich gelacht. Als er es in diesem Moment tat, schien es Gregory, als wenn sich dabei mehrere unsichtbare Nähte in seiner Mimik lösten. Finns Augen glänzten wie polierte Murmeln und Gregory legte sich sachte seine Fingerspitzen auf die eigene Brust. Finn leckte sich zur Antwort die Lippen. Eindeutige Gesten. Gregory konnte nicht anders, als sich seinen nackten Körper auf dem Marmorboden vorzustellen, wie er ihn von Schweiß getränkt darüber schob. Er hörte schon ihr ausgehungertes Stöhnen an den holzvertäfelten Wänden widerhallen. So kam eins zum anderen. Seine Träume wurden immer Wirklichkeit. Der einzige Dorn in Amors Gefällt mir-Daumen ist, dass er Finn sowas wie gerade noch immer verheimlicht und große Angst davor hat, alles mit dieser überfälligen Wahrheit zu zerstören. Das wäre es nun wirklich nicht wert.

 

Endlich sieht er aus der Ferne die reflektierende Weste und Finns alten Jaguar, den nur ein einziger Mechaniker abschleppen und reparieren darf. Und der ist vermutlich noch auf dem Weg mit seinem Zweitschlüssel. Sonst würde Finn nicht ihn um Hilfe bitten. Überflüssige Fragen stellt Gregory nie. Und er verabscheut Lügen. Er kann etwas nicht sagen. Doch wenn es zur Sprache kommt, aus dem Dunkel ins Licht ... ihm ist schlagartig ganz mulmig zumute, denn Finn hat eine große Tasche dabei, die er vermutlich gleich in den Kofferraum werfen will. Er fährt auf den Seitenstreifen vor den Jaguar und eilt auf ihn zu. Nach einer herzlichen Umarmung reibt er aktivierend über seinen Rücken. Dann versucht er ganz beiläufig nach der Tasche zu greifen.

»Lass nur, ich mach das schon! Ich bin bloß froh, dass du hier bist.« Finn lächelt. Gregory verzerrt die Mundwinkel.

»Nun gib schon her!«, versucht er es.

»Hey Greg, ich bin ein starker Junge.« Finn geht schnurstracks auf den Kofferraum zu. Sein Freund springt ihn von hinten an und knabbert ungestüm an seinem linken Ohr.

»Deine Weste macht mich so scharf!«

»Lass doch den Quatsch jetzt, ich will echt nur noch hier weg!«

Wieder greift Gregory nach der Tasche. Finn kneift seine Augen schärfend zusammen.

»Hallo, gehts noch?«

»Pack sie auf den Rücksitz!«

»Was ist denn los? Hast du Waffen oder einen Leichnam im Kofferraum?«

»Nein. Drogen. Blödsinn! Überraschung.«

Etwas Besseres fällt ihm nicht ein. Finn strahlt. Sie fahren los und Gregory dreht die Musik auf. Finn dreht sie wieder runter und schimpft liebevoll über seinen Oldtimer. In der nächsten Gesprächspause dreht Gregory die Musik erneut laut. So geht das eine ganze Weile, laut-leise-laut-leise, bis Gregory der Schweiß auf der Stirn steht, er an der nächsten Raststätte rausfährt und die abgelegenste Parklücke ansteuert, die er finden kann. Eine Libelle setzt sich auf die Windschutzscheibe. Von hinten tönt ein dumpfes Poltern. Finn sieht sich um.

»Was war das?«, fragt er.

»Och, guck mal an! Eine Libelle.« Gregory merkt selber, dass er wie ein Irrer klingt. Finn zieht die Augenbrauen hoch. Gregory muss an die Mimik von Ernie und Bert denken. »Komm, gehen wir einen Kaffee trinken oder eine kalte Limo.«

»Warum hast du denn so weit entfernt vom Restaurant geparkt?«, nörgelt Finn.

Gregory sagt nichts mehr, steigt aus und stiefelt los. Finns Schritte sind verhalten. So, als könne er sich gerade zwischen zwei Richtungen nicht so recht entscheiden.

»Komm schon!« Gregory lacht und winkt einholend mit der Hand. Als sie mit ihren Getränken einen Fensterplatz eingenommen haben, faltet Gregory Finger um Finger seine Hände und sucht dabei nach den richtigen Worten. Sein Geliebter erwartet eindeutig eine Erklärung oder eine Art feierliche Offenbarung der angekündigten Überraschung. »Es ist so ...«, beginnt Gregory. »Ich liebe unsere liebevolle Beziehung. Ich liebe es, mit dir zu schmusen und zu gammeln und wenn wir uns kitzeln und eine Kissenschlacht machen. Wenn ich dich massiere und du mir was leckeres kochst. Mir einen bläst ...« Er macht eine Pause. Finn lächelt gerührt. Er hält den Kopf so schief wie ein Labrador, dem man sein Halsband hinhält, ohne jedoch vom Sessel aufzustehen. »Allerdings habe ich auch eine andere Seite in mir. Sagen wir auf professioneller Ebene ...« Er beißt sich auf die Lippen. So kann er das unmöglich rüberbringen. Unausweichlich, einen Haken zu schlagen und zu lügen. Doch es soll keine Lüge in dem Sinne sein. Nein, es wird wohl besser eine Überraschung. Ein Spiel. Eine Illusion. Das kann er doch. Anders geht es nicht. Nur welches Thema? Er verschluckt sich behelfsweise am Kaffee. Zeit gewinnen. Womit kriegt er Finn am besten? Tierschutz! Ja. Das ist es.

»Professionell? Was meinst du?« Finn lächelt jetzt nur noch gequält.


»Die armen Schweine!«, fängt Gregory sich. »Es reicht doch nicht, nur Vegetarier zu sein oder Veganer. Die töten immer weiter und masakrieren die Tiere sogar. Weil sie Sadisten sind und meinen, sie wären schlauer als ein Schwein.«


»Ja, das ist echt gemein.« Finn ist überzeugt und enttäuscht zugleich. Keine Rosen, kein Heiratsantrag. Tierschutz. Naja, denkt er und beschließt einfach zu schweigen.


»Ich gehöre einer geheimen Organisation von Tierschützern an. So. Jetzt ist es raus.«


»Aha, das überrascht mich jetzt wirklich. Ich hätte doch mit eintreten können.«, murmelt Finn ganz nüchtern mit traurigem Unterton. Er ist irritiert und Gregory fühlt sich innerlich schmierig.


»Ich wollte erstmal sehen, ob das alles da mit rechten Dingen vor sich geht.« So tief hat er sich noch nie in eine Lüge verstrickt und er ahnt, er wird es auf die Spitze treiben. Finn unterbricht ihn. 


»Du hast ein Ferkel im Kofferraum! Ein Ferkel! Wie süß! Oh Gott, es ist zu heiß, wir müssen zum Wagen. Ich will es sehen. Sofort!« Offenbar hat er sich gerade seine eigene Happiness-Realität geschaffen und reißt Gregory an der Hand mit sich. Dem fällt nun gar nichts mehr ein. Sie eilen zum Wagen.

«Es ist eher ... ein Schwein ... stottert Gregory noch. Dann schließt er den Kofferraum so langsam auf, als müsste er mit dem Schlüssel 50 Kilo bewegen. Er dreht sich nach allen Seiten um. »Mach vorsichtig auf, ja?«, bittet er Finn und es kommt ihm vor, als würde sich gleich der Sargdeckel zum Dahinscheiden ihrer Liebe öffnen. Er zieht den Schlüssel ruckartig ab und Finn öffnet ungeduldig die Klappe.


»Was zum Henker?«, Finn schlägt die Klappe sofort wieder zu und ringt nach Luft. »Warum hat der Typ einen Sack überm Kopf?«


»Weil es ein Schwein ist.« Gregory hat seine Fassung zurück erlangt und spricht so erhaben, wie er es auf der Bühne tut, wenn er einen Zaubertrick ankündigt. Überzeugen kann er Finn damit aber nicht. Der rauft sich den blonden Schopf, geht einen Schritt nach links, dann wieder nach rechts und so fort.

 
»Bist du ein Auftragsmörder?«


»Aber nein!«, lacht Gregory süffisant und versucht es dann mit Säuseln. »Dieser Mann quält Schweine und gleich wird er genauso gequält. Das ist alles, mein Schnuffelschatz! Nun komm, vertrau mir.« Er fasst Finn durch die Achsel hindurch und presst ihn an seine drahtige Brust. Finn schaut ihm ins Gesicht und die markanten Gesichtszüge, die er an seinem Geliebten bislang irgendwie weichgezeichnet hatte, wirken plötzlich wie tiefe Einkerbungen in ledriger Haut. Sein erster Reflex ist, sich von ihm abzustoßen. Doch Gregorys harter Schwanz unter der Hose versetzt ihn in eine ganz merkwürdige Stimmung. Gleichzusetzen mit dem Schaft einer Pistole, die er an seine Schläfe drückt. Er fühlt sich überwältigt. Fast so, als wäre er nun das Opfer. Und sein Täter lockert die Umarmung nicht. Im Gegenteil. Der spürt die unerwartete Regung in Finn und verstärkt seinen Griff, ohne dass er dafür einen Gedanken anstellen muss. Beide atmen schwer. Ihre Blicke treffen sich mit herausforderndem Ernst. Finn wird standhalten. Das Schwein im Kofferraum strampelt rum und brummt durch seinen Knebel wie eine überdimensionale Hummel unter der Käseglocke.

 
»Los jetzt. Wir müssen ihn ... du wirst schon sehen.«

 

Sie steigen in den Wagen und fahren ab. Die Musik bleibt aus und ihr Gehör fokussiert gebannt den Kofferraum. So etwas hat Finn noch nicht erlebt. Er liebt seinen Zauberer. Er kann die anfänglichen Zweifel, dass es sich eventuell um einen ganz anderen Menschen in ihm handeln könnte, als er seit Jahren annimmt, deshalb nicht aufrecht erhalten. Er weiß auch nicht, ob das alles eine Illusion ist oder einfach eine ganz neue Realität. Auf jeden Fall ist das eine mächtige Überraschung. Peinlich berührt ist Finn von sich selbst. Davon, dass die Vorstellung, er sei der Mann im Kofferraum, ihn so elektrisiert. Davon, dass er gerade alle Kontraste in seinem Bild von Gregory umkehrt, weil ihn dieser Anblick reizt. Es zischt regelrecht in seinen Hoden. Fühlt sich an, als würde die Spermienproduktion auf Hochtouren laufen. Warum? Ist er selbst ein Perverser? So ein Schlagmichbeißmich-Opfer? Und ist Greg ein Sadist? Oder noch schlimmer ... hat er eine SM-Affäre mit diesem Schwein im Kofferraum? Ein kurzer, liebevoller Blick. Kein Zweifel. Oberstes Prinzip: Kein Zweifel. Und so gibt sich Finn passiv dem Zirren, Zurren und Pulsieren hin, das ihm bis in die Schädeldecke steigt.

 

Sie fahren nach einer wortlosen Stunde in ein Industriegebiet. Vor einem Container von geschätzt 120 qm, halten sie. Gregory steigt aus und schließt die Eingangs-Türe auf. Er verschwindet kurz im Inneren und der Flur wird von bläulichem Licht beschienen. Die Dämmerung ist angebrochen. Im Kofferraum sind noch Lebenszeichen hörbar. Dann kommt der Zauberer wieder heraus und sieht sich auf dem Gelände um. Er tritt an die Rückseite des Wagens, öffnet, flüstert bedrohlich klingende Sätze zu dem Mann mit dem Sack über dem Kopf und hievt ihn heraus. Der Entführte kann nur ganz winzige Schritte machen, weil seine Knöchel mit einem dicken Strick verbunden sind. Finn deutet die vorbei huschende Kopfbewegung von Gregory so, dass er nachkommen soll. Er steigt aus, schließt den Kofferraum, verriegelt den Wagen und macht auch den Container von innen zu. Dann steht er da in dem blauen Flur und rührt sich nicht vom Fleck, weil er total orientierungslos ist. Seine Knie sind butterweich und weiter oben in seiner Hose ist es knüppelhart. Wo zum Teufel ist er hier? Er hört aus der tiefsten Ecke des langen Flures eines Kette rasseln. Kurze Anweisungen mit der Stimme seines Lebenspartners aber irgendwie auch von einer ganz anderen Person. Das schmälert keineswegs seine Sehnsucht. Endlich erscheint Gregory in dem blauen Licht.

 
»Greg, ich ...«


»Psst. Komm her. Willst du nur zuschauen oder mitmachen?«


Finn ist überfordert. Dankbar nimmt er den sinnlichen Kuss in sich auf, den Gregory ihm schenkt und möchte sich weiter in diese Passivität verlieren. Er ist beinahe eifersüchtig auf das Schwein mit dem Sack über dem Kopf. Doch da er keine Ahnung hat, was hier wirklich gespielt wird, entscheidet er sich, zum Voyeur zu werden. Gregory führt ihn in einen Raum mit einer Spiegelfront und mehreren Stuhlreihen. Ist das hier die Kulisse eines Agententhrillers? Er denkt alle seine Fragen unausgesprochen, denn er bringt einfach keinen einzigen Ton heraus. Gregory hingegen hat nicht damit gerechnet, dass diese ganze Misere sich auf eine so hocherotische Basis zubewegen würde. Er hatte sich schon als weinender Single gesehen, seine ganze Wut an diesem Opfer auslassend. Doch nun war die Situation kaum kalkulierbar und glitt auf ganz neuen Empfindungen durch die Räume. Von einem Zeitpunkt zum anderen. Der Zauberer musste parallel zwei ganz unterschiedliche Szenarien koordinieren und sich durch ein Uhrwerk bewegen, in dem mehr Zahnräder als sonst ineinander griffen. Dass es hier insgesamt um nichts Böses ging, verlor sich mehr und mehr in den vorauseilenden Konstrukten der Illusion. Er fühlte sich noch erhabener als bei einer seiner magischen Bühnenshows. Ist es Macht? Und ist es nur deshalb Macht, weil Liebe ins Spiel gekommen ist? Weil Finn hier ist? Der Finn, der ihm gerade bedingungsloses Vertrauen entgegen bringt? Wie weit wird er gehen wollen? Er schließt die Tür hinter sich und betritt den Raum, der für Finn noch im Dunkeln liegt. Er hört daraus über Lautsprecher nur ein gequältes Keuchen und das Klingen von Ketten, die teils zu baumeln, teils unter Spannung zu stehen scheinen. Die ganze Zeit waren schon Windgeräusche und das ferne Treiben einer Großstadt zu hören. Das hatte er nur nicht wahrgenommen bis zu diesem Moment, als noch die gemächlich voreinander gesetzten, dennoch sehr festen Schritte von Gregory hinzukommen. Finn strengt sich an, in der Dunkelheit etwas zu erspähen. Dann wird es mit einem Mal gleißend hell, so dass er sich die Hand vor die Augen hält und etwas zurückweicht. Der Raum ist eine 3 D Projektion. Das Schwein mit dem Sack über dem Kopf hängt kopfüber im Wind an einem Kran und unter ihm tut sich ein schwindelerregender Abgrund auf. Dass in dem Raum wirklich Wind weht, sieht Finn an Gregs schwarzem Hemd. Rein optisch steht Gregory an der Kante eines Wolkenkratzers und zieht den Mann an der Kette zu sich herüber. Er schreit ihn an, dass er ein Schweinemörder ist und dass ihm eine entsetzliche Strafe droht. Dann löst er mit einem geschickten Handgriff das Seil, das am Hals den Sack zusammenhält und packt den Kerl am Schopf. Er ist schätzungsweise Mitte 30 und sieht wie ein smarter Geschäftsmann aus. Wie ein intelligenter Mann, denkt Finn. Nicht wie ein Schweinemörder mit Latzhose, Gummistiefeln und Schmerbauch. Dem Mann triefen Sabberfäden aus dem Mund. »Ein Schweinemörder?« Er wirkt kurz sehr geistesgegenwärtig und schaut Gregory an, als hätte der gerade einen falschen Text aufgesagt. »Tu bloß nicht so!«, faucht der ihn an. »Ich werde die Wahrheit aus dir herausholen, die ICH für die Richtige halte!« Mit der flachen Hand holt er aus. Es klatscht gewaltig und der Schweinemann wird von dem Klatscher mit der Kette über den Abgrund geschwungen. Er schreit. Er bettelt. Er wimmert. »Ich sollte dir die Zähne ziehen und die Ohren kürzen. Da! Sieh hin. Da unten ist die Welt, für die du hilflose Tiere mordest. Da unten ist die Welt, die dich selbst zu einem Monster gemacht hat, weil du gerne schicke Autos fährst. Du hast dein Leben auf Kosten anderer Lebewesen genossen. Bis jetzt. Damit ist nun Schluss.« Er zieht ihn wieder zu sich her und spuckt ihm ins Gesicht. Dann zückt er ein Schnappmesser.

 
»Bitte, bitte nicht. Ich werde was anderes machen. Ich gebe das Geschäft auf. Ich spende auch für Tierschutz und so!«


Finn erschrickt. Er hatte für einen Moment gedacht, dass er sich in einem Kino befindet. Wird er jetzt Zeuge einer Gewalttat? Muss er einschreiten? Was verlangt Greg da bloß von ihm?

 
Das Messer zerschneidet den Maßanzug und der wird dem Schwein vom Leib gezogen wie Haut. Bis nur noch Socken und Unterhose daran erinnern, dass dieser Typ ein ganz normaler Mann sein könnte. Finn ist beruhigt, weil seine schlimmste Befürchtung unbegründet war. Sein Puls rast dennoch. Er empfindet seinen Geliebten wie ein Fremdgeh-Abenteuer, auf das er sich als treue Seele niemals einlassen würde und sich selbst so machtlos seiner zunehmenden Begierde ausgesetzt. Und auch wenn diese ganze Szenerie so unwirklich und fast schon banal wirkt, ist auch er nicht wirklich da, wo er ist. Ist er nicht der gleiche Finn, der er heute morgen noch war. Folglich kann er machen, was er will. Und er will sich Gregory zu Füßen schmeißen. Er will ihn auch anbetteln. Er will einen Tauschhandel vorschlagen und an Stelle des Schweinemannes ... Als habe er plötzlich einen Eimer Wasser abbekommen, wischt er sich durch sein Gesicht. Stop! Das alles ist doch verrückt! Ist sein Freund durchgedreht? Dreht er grad durch? Er merkt, wie sich sein logisches Denkvermögen einmischt, möchte aufstehen und der Sache ein Ende machen. Doch lieber zurück in die alte, heile Welt. Kuscheln auf dem Sofa, selbstgemachte Tofuchips knabbern und einen Film gucken. In dem Moment fixiert Gregory ihn durch den Spiegel, als könnte er ihn sehen. Sein Blick ist wie ein Laserstrahl und sein Grinsen so frech und vertraut, dass Finn sich wieder auf seinen Stuhl zurückfallen lässt. Keine Logik, kein Zweifel. Nur Hingabe und Verlangen. Sein Beobachtungszimmer wird zu einer Isolationszelle. Die Eifersucht kommt wieder auf. Jetzt noch stärker. Der Schweinemann bekommt irgendwie mehr als er. Er denkt daran, seine Hose zu öffnen und sich zu befriedigen. Da hört er Gregory wieder. »Du wirst kastriert, so wie die meisten Schweine und damit du dabei noch gut in Erinnerung hast, was dir danach fehlen wird, werde ich dir gleich zeigen, was für schöne Sachen man machen kann, sofern man noch gut bestückt ist« Bei der letzten Bemerkung, zieht er mit einem Finger den Bund der Unterhose vom Körper des Hängenden ab, schaut wie in einen Kochtopf und fügt hinzu: »Naja, das hier wird niemandem fehlen, vermute ich mal.« Er verlässt den virtuellen Raum und öffnet die Tür zum Nebenzimmer. Er reicht Finn von der Schwelle aus seine Hand. »Komm mit rüber. Ich brauche dich.«

 

Finn geht bereitwillig mit. In dem virtuellem Raum wird ihm erst ganz mulmig, weil die Täuschung durch Bilder, Wind und Klang sein Gleichgewicht herausfordert. Etwas verlegen steht er da und weiß nicht, ob der dem Schweinemann vielleicht freundlich Guten Tag sagen sollte. Doch er ist nicht der einzige, der vor Erregung fast die Wände anspringen könnte. Gregory verschlingt ihn mit seinen feuchten Lippen und seine Zunge dringt fast bis zu seinem Rachen vor. Dabei entkleidet er Finn wild und ohne Rücksicht auf Knöpfe und Nähte. Bis der sich ganz nackt an ihn klammert. Gregory lacht. "Hast du Angst, vom Dach zu fallen?" Der Schweinemann beobachtet die beiden mit einem gierigem und verzweifelten Blick. Mit seinen zusammengebundenen Handgelenken kann er sich gerade Mal den Schweiß aus den Augen wischen. Gregory macht sich daran ihm zu zeigen, was ihm entgehen wird. Ohne sich selbst zu entkleiden, sticht nun die Waffe aus seiner Hose hervor, die dem Schwein die größte Verletzung zusetzen soll. Und er dringt abwechselnd in Finns willig geöffneten Mund ein und reibt sich dann weiter richtig schön groß vor all den Augen. Vor all den Ohren gibt er dabei Laute von sich, die Finn fast vorzeitig zum Höhepunkt bringen. Der Hängende scheint auch schier durchzudrehen. Dabei dütfte das wilde Gezappel ihm zusätzliche Schmerzen bereiten. Er klingt böse erregt. In der Haut will Finn nun doch nicht stecken. Er bekommt jetzt viel lieber genau das, wonach er sich schon seit dem Rastplatz sehnt. Animalisch und doch sehr liebevoll, nimmt sich der Zauberer ihn von hinten und vergräbt dabei fast seine ganze Hand in dem Mund, der um Küsse bittet. Dann kommen sie zusammen und ein schrilles Brüllen legt sich über den hektischen Großstadtlärm und den pfeifenden Wind. Das Schwein am Haken zuckt. Seine schwarze Unterhose glänzt an einer Stelle. Es wird regungslos im Raum. Die Zeit steht still, obwohl die Stadt noch so heftig pulsiert. Dann sagt der Schweinemann für Finn etwas sehr überraschendes: »Das war die beste Session, die ich seit langen erlebt habe.« Gregory gibt Finn einen lieben Kuss. »Entschuldige mich kurz.« Er packt seine Waffe wieder ein und knöpft die Hose zu. Dann lässt er den Schweinemann langsam runter, löst die Fesselungen und schaltet eine puristische Optik auf die Monitorwände. Es ertönt nun leichte, elektronische Musik. Er reicht Wasser und einen Bademantel. »Tut mir leid, dass ich das Drehbuch etwas geändert habe, doch die Gangsternummer passte heute nicht.«, erklärt Gregory. Doch der Mann, der nun noch deutlicher wie ein Geschäftsmann nach einem Saunagang aussieht, grinst weiter sehr zufrieden. »Machen Sie mich ruhig öfter perplex. Das brauch ich.« Dann blickt er zu Finn und reicht ihm eine Hand. »Sehr angenehm! Ich bin ... ach ist ja auch egal wer ich bin.« Finn sitzt immer noch nackt am Boden und bekommt nichts mehr auf die Reihe. Ein fast schon dümmlich wirkendes »aha« bringt er gerade noch so zustande. Dann ist er irgendwie froh, dass der Schweinemann in seinem weißen Frottee den Raum verlässt. Er weiß überhaupt nicht, was er jetzt zu Gregory sagen soll. »Komm, ich zeig dir den Ruheraum«, übernimmt er das Sprechen. »Ich bring gleich den Kunden zur Türe und dann erkläre ich dir alles. Einverstanden?« Finn nickt und zieht sich an Gregorys sehnigem Unterarm hoch. Er lässt sich in einen behaglichen Raum führen und legt sich auf die weiche, vorgewärmte Liege. Behutsam drückt Gregory eine Decke um seinen Körper und streicht über die feuchte Stirn. Er verlässt den Raum und schließt die Tür so leise er kann. Das ist ja alles nochmal gut gegangen, denkt er und lehnt sich erschöpft an die Wand neben der Türe. Sein Kunde duscht noch immer. Für Momente hatte er eine höllische Angst, dass alles in Scherben fällt. Irgendwie steht das Glück an seiner Seite. Obwohl er ein Meister der Täuschung ist. Oder gerade deshalb?


Finn schläft ein.

Gregory sucht seinem Kunden einen Jogginganzug raus und legt ihn vor der Dusche auf den Hocker. Dann macht er sich einen Kaffee in der kleinen Küche und bestellt ein Taxi.

Der Föhn summt.


"Nochmal ganz lieben Dank. Ich habe ihr Honorar auf den Waschtisch gelegt. Ich muss gestehen, es war mein Lieblingsanzug. Das hat mich besonders getroffen. Ich spiele schon lange mit dem Gedanken etwas bewußter mit tierischen Produkten umzugehen. Würde mich also nicht wundern, wenn mir dieses Erlebnis sehr nachhaltig in Erinnerung bliebe."

"Freut mich. Möchten Sie den Anzug nicht von meinem Honorar abziehen?"

"Mein lieber Freund, dann bleibt ja nicht mehr viel übrig. Bitte nehmen Sie mich beim Wort. Es war grandios. Auf Wiedersehen."


"Auf Wiedersehen."


Gregory räumt den Raum auf und wischt einmal über den Boden. Sein Herz klopft, wenn er daran denkt, dass Finn im Ruheraum liegt. Er wird Fragen stellen und höchstwahrscheinlich mit den Antworten klarkommen. Nichts steht dann mehr zwischen ihnen. Als er alles in Ordnung gebracht hat, tritt er leise in den Raum, zieht sich aus und kuschelt sich an an seinen schnurrenden Geliebten. Mitten in der Nacht erwachen sie und lieben sich ganz lieb. Finn stellt gar keine Fragen. Auch auf dem Rückweg nicht. Er sagt nur, dass Libellen eine Magie ausstrahlen, die er nie tiefer ergründen wollte, aus Angst, dass sie dann ihre Magie für ihn verlieren würden. 

 

 

Impressum

Tag der Veröffentlichung: 12.09.2015

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