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In einem gutbürgerlichen Mehrfamilienhaus ...

Er saß auf den warmen Fliesen seines kleinen Balkons. Sein Oberkörper war nackt, wenn man bei einem so plakativ tätowierten Torso überhaupt von nackt reden konnte. Allerdings waren es keine schönen Tattoos, und wenn er aufstand, so doch eher gebückt — wie eine Frau, die ihren blanken Busen verstecken wollte. Sobald er wieder etwas Geld hätte, würde er da was unternehmen. Die Markise spendete wohltuenden Schatten und die Vögel zwitscherten laut. Der große Baum mit den dunkelroten, fast schwarzen Blättern rauschte so erhaben, wie er sich das Rauschen des Meeres vorstellte. Doch das Meer hatte er noch nie in echt erlebt. Er hatte große Sehnsucht danach und eigentlich hielt er es nur auf diesem Balkon aus, wenn ein Wind ging, er die Augen schließen und sich das Meer vorstellen konnte. Im Nachbarhaus vergnügte sich eine penetrant heitere Familie im Garten. Diese Idylle war ihm suspekt. Verbissen kaute er auf seiner Oberlippe. Es war später Nachmittag und wenn diese spießige Geräusch-Kulisse gleich noch mit Grillgeruch gewürzt würde, könnte er nur noch reingehen und die Türe verrammeln. Der Geruch machte ihn immer noch gierig nach Fleisch, aber er wollte schon lange keine Tiere mehr essen, brachte das einfach nicht übers Herz. Wenn sie genauso hübsch eingeschweißt im Supermarkt liegen würden, würde er eher Menschen fressen. Die von der Sorte, die er ohnehin hasste und die ihn hassten. Wobei ihm bei dieser Idee gleich wieder der Appetit verging und er sich vor seinen eigenen Gedanken erschreckte. Trotzdem: Menschen, Nachbarn, Exfreunde ... Es schien als hätten alle ein Leben, nur er nicht. Sexleben, Familienleben, Berufsleben, Privatleben. Er versuchte zumindest sein Ableben hinauszuzögern, indem er sich verkroch. Daher konnte er noch so hoch auf einem Balkon sitzen, sein Leben fand in einem Kellerloch statt. Er war verbannt und bei dem Gedanken daran, mal wieder geladen bis in die Haarspitzen. Hoch explosiv. Das war sein Stempel. Statt »Wir ernten was wir säen«, hätte er sich auch »Danger! Hochexplosiv« unter den Hals tätowieren lassen können. Was hatte er gesät, was erntete er dafür? Die Welt war ungerecht und die Sonne machte geil. Da half nur Bier. Noch schlimmer! Unter ihm das schwule Pärchen kam auch Mal wieder aus ihrem Versteck und rückte die Stühle zurecht.


»Hach, wie herrlich heute. Bobbelchen, bringst du mir ne Limo mit raus?«

 
Bobbelchen und Limo. Wenn die beiden wüssten, dass über ihnen ein einsamer Mann saß ... wenn sie wüssten, dass der gerade versuchte sich seine Sommer-Feelings flach zu saufen ... hätten sie wohl etwas Rücksicht genommen. Aber für sie war er ja nur ein asoziales Subjekt. Wahrscheinlich hielten sie ihn sogar für einen Schwulenhasser.

 
»Nenn mich nicht Bobbelchen, Fritz. Ich kann dieses tuckige Getuhe von dir nicht mal im Spaß ertragen. Wie oft soll ich dich noch darum bitten?«

 
Richtig so! Wehr dich, Ulli Seifert, lautete still die Parole der vermeintlichen Krawallbürste über ihnen, der übrigens Samson hieß. Ja, so wie das dicke Flauschteil aus der Sesamstrasse. Und ein bisschen sah er auch so aus, besonders, wenn er denn mal gute Laune hatte. Doch das war mehr als eine Seltenheit. Er war fast zwei Meter groß, recht breit und muskulös. Auf seiner Ex-Glatze kämpften inzwischen orangerote Locken wild um ihren Platz. Er war eine optische Mischung aus Hulligan und Hippie. Seine Muskeln pumpte er in seiner Wohnung auf. Das wusste auch der Typ unter ihm. Wer mal unter jemandem gewohnt hat, der mit anderen Kalibern als 5 Kilo-Hanteln arbeitete, der weiß, wovon hier die Rede ist. Aber ein Studio konnte sich Samson nicht mehr leisten. Erstens war er Hartz 4 und zweitens hatte er Feinde. Jede Menge Feinde. Er fühlte sich wie ein Geächteter, ein Leprakranker oder ein Perverser oder alles zusammen. Und das alles nur, weil der Kompass in seinen Eiern in eine andere Richtung zeigte, als erwartet, gewünscht, eingedrillt. Aber so war das, wenn man im falschen Milieu groß wurde. Er wurde als Junge in einen Sumpf voller Ignoranten gezogen und als geschlechtsreifer Antikörper wieder ausgespuckt. Lange bevor er sich darüber klar werden konnte, dass er das, was seine Vertrauten am liebsten jagten, unausweichlich begehrte.

 

Seine Mutter war Säuferin und verdiente sich ihr Geld als Hure, nachdem der Alte von einer Fernfahrertour nicht zurückgekommen war. Du machst mich nicht mehr an. Sorg gut für den Jungen! So stand es auf einer Postkarte aus Italien. Samson hatte sie in einen Schuhkarton gesteckt, als er 13 war. Zusammen mit seinen Comics von Flash Gordon. Ob es gut oder schlecht war, dass die Mutter nicht auf den Straßen-Strich ging, sondern ihre Freier in der Wohnung empfing? Für die Mutter war es vielleicht besser. Für Samson nicht. Er wurde immer wieder weg geschickt und manchmal kam er zu früh wieder nach Hause. Das war für ihn oft sehr unappetitlich. Die Gang im Plattenbau war sein einziger Halt und sein zartes Gemüt wurde mit den Jahren abgehärtet. Dachten sie. Samson hatte aber einfach nur keine andere Wahl. So wuchs er in seine Schläger-Rolle rein und haute ordentlich drüber in einem Tonus, der zumindest dafür sorgte, dass er nicht aufflog. Denn er hasste das gemeinsame Aufheizen auf Feindbilder, das Mut ansaufen und die Verfolgung von Minderheiten. Weil er genau wusste, dass die hoffnungslose Wut damit nur größer wurde und weil Flash Gorden niemals so gewesen ist. Flash Gordon hätte eher ihn und seine Freunde bekämpft. Vielleicht hätte er sie auch um ein Lagerfeuer versammelt — mit einer Laser-Gitarre — und ihnen erklärt, dass sie allen Grund haben frustriert zu sein, aber dass es ganz andere Wege gab zum Glück. Doch dann hätten seine Freunde Flash Gordon zusammengetreten und blutig im Dreck liegen lassen. Also machte er einfach mit und steckte seinen Kummer — Abend für Abend — in den Schuhkarton unterm Bett. Als seine Mutter an einer Alkoholvergiftung starb war Samson 21 Jahre alt. Er hatte endlich seine Lehre als Schlosser durchgezogen und der Onkel einer seiner Kumpels stellte ihm einen Schichtdienst in Aussicht. Das Trauern um seine Mutter hatte er schon Jahre zuvor begonnen. Den Vater brauchte er nicht ausfindig zu machen, um ihm vom Tod seiner Exfrau zu berichten. Samson schmiss die Wohnung einfach komplett auf den Sperrmüll und suchte sich ein kleines Apartment. Das, in dem er an diesem strahlenden Sonnentag auf dem Balkon kauerte. Zwei Jahre später: Kein Job, keine Freunde, keine Familie, keine Liebe. Und tatsächlich drang zu allem Übel der Geruch von Spiritus in seine Nase. Der böse Vorbote des gegrillten Nackensteak-Dufts.

 

»Och nö, ich hasse den Geruch von Spiritus, Ulli.«

»Was soll ich machen? Soll ich den Nachbarn das Zeug über den Kopf spritzen und anzünden?«

»Ulli! In letzter Zeit bist du so aufbrausend. Was ist eigentlich los?«

»Nichts ist los. Ich mache mir nur Gedanken über den Typen über mir. Ich glaube er ist anders, als wir denken.«

»Was interessiert mich diese Kante? Was interessiert er überhaupt dich? Der gehört zu der Sorte, die du nicht zum falschen Zeitpunkt treffen darfst, weil er dir dann ein Ohr abbeißt, dich bespuckt und Schwuchtel nennt!«

»Warte, ich zeig dir was.«

 
Samson war über ihnen ganz still geworden. Ulli Seifert sprach über ihn. Wahrgenommen zu werden, war ein echtes Ereignis! Er musste reingegangen sein, um was zu holen. Dann kam er wieder raus und raschelte mit Papier.

 
»Sieh mal dieses Foto vom CSD letztes Jahr. Hier unten mittig, der Clown.«

»Stimmt, sieht aus wie dein Nachbar. Die Statur, die Haare. Aber ich sehe keine asozialen Arschloch-Tatoos. Warum trägt er diese Clowns-Maske? Ich habs! Dieses Schwein. Er bespitzelt uns als Opfer!«

 
»Denk doch mal nach, Fritz. Er will sie verdecken. Kein Mensch würde an so einem heißen Tag mit einem Rollkragenpullover rumlaufen. Und guck dir das Plakat an, dass er über den Kopf hält. Malt sich eine Hasskappe so ein Herzchen-Motiv? Außerdem, der geht fast nie raus und bekommt nie Besuch. Diese dunklen Gestalten haben sich vor anderthalb Jahren hier das letzte Mal versammelt, als der Typ noch ne Glatze hatte und mit Muskle-Shirt rumlief. Dann bin ich ihm noch zweimal im Flur mit Krücken und schweren Verletzungen am Kopf begegnet. Seitdem habe ich nur noch seinen Schatten gesehen. Für mich sieht das eher nach Ex-Banden-Mitglied aus, der sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzt.«

 
»Naja ... ist eben etwas kindlich gemalt. Läuft doch alles übers Netz. Vielleicht stinkt er. Ist mir egal. Halt dich einfach von ihm fern.«


»Willst du mir jetzt mein Leben vorschreiben?«


»Und willst du mir den herrlichen Nachmittag verderben?«


»Geht´s dir eigentlich nur ums Poppen und heile Welt?«


»Weißt du was? Mir reicht´s. Ich geh zu Martin. Die grillen im Garten. Du kannst ja weiter Sozialstudien betreiben.«

 
Es rumpelte und raschelte. Dann knallte eine Tür. Und dann war Ruhe. Samson hielt noch immer die Luft an. Konnte man ihn tatsächlich erkennen? Das war nicht gut ... überhaupt gar nicht. Es war doch gerade soviel Ruhe eingekehrt, dass er wieder einkaufen gehen konnte, wenngleich er um 6.55 schon vor Aldi wartete, weil zu der Zeit die Gefahr noch ihren Rausch ausschlief. Er blätterte die Stadtanzeiger aus seinem Papiermüll durch und klickte sich dann durch die lokalen Online-Zeitungen. Nichts. Und selbst wenn: Er könnte den Abdruck kaum ungeschehen machen. Es war normal, dass für den bevorstehenden CSD mit Bildern vom Vorjahr geworben wurde.

 

Der Wurstgeruch machte sich wie Giftgas bemerkbar und Samson verriegelte Fenster und Türen. Sein Müll in der Küche roch aber auch unangenehm. Er zog sich ein T-Shirt über und schlüpfte in die Adiletten. Die hatte er schon lange. Das Geheimnis waren Spaxschrauben an der Lasche. Er ging mit seinem Müll in den Keller. Dass er sich beobachtet fühlte, war wohl nur eine Erinnerung, die wieder wach wurde. Er huschte die Treppe wieder hoch. Vor Ullis Tür blieb er kurz stehen und schaute auf den Klingelknopf. Ulli war ein netter Typ. Ja, auch als Mann. Auch auf seine andere Art Männer zu betrachten. Aber er schämte sich so sehr für seine Tätowierungen, seine Narben, seine Vergangenheit und seine Gegenwart, dass er sich an niemanden herantraute. Dass er damals in seinen eigenen Kreisen die erste Romanze erlebt hatte, grenzte ohnehin an ein Wunder. Nein! Es grenzte an Selbstmord. Er ging weiter hoch, schloss seine Türe auf und hörte im selben Moment, wie unter ihm die Tür aufging. Erst blieb er wie angewurzelt stehen, dann huschte er schneller als sein Schatten in seine Diele und machte so leise wie möglich die Türe zu. Sein Herz klopfte und er guckte durch den Spion. Aber niemand kam. Ulli hatte auch nur kurz überlegt, hoch zu gehen und diesen Samson-Clown offen anzusprechen. Aber er konnte sich nicht überwinden. Vielleicht hatte Fritz ja doch recht und der Typ stank und war gewalttätig. Ein Schläfer! Er setzte sich auf sein Sofa und schaute das Bild im Veranstaltungskalender nochmal an.

 

Samson legte sich eine Etage darüber auf sein Bett und dachte nach. Er hatte im Leben nicht viel gewonnen. Und von dem bisschen was er hatte, verlor er alles, nachdem er sich das erste und letzte Mal in einen Kumpel verliebt hatte und die Kontrolle über diese Macht an Erregung abgab. Nie wieder sollte das passieren, nie wieder. Er war krank, er war ein kaputtes Subjekt. Wäre er anders groß geworden, hätte er das Recht auf Glück, selbst auf sein schwul sein! Aber so? Keine Chance. Ja, Ulli war ein toller Typ und hatte nett über ihn gesprochen. Das langt dann aber auch als Gedankenspirale. Er erinnerte sich knapp zwei Jahre zurück. Vor dieser halben Ewigkeit hatte er gerade den Schichtdienst angefangen und diese Wohnung bezogen. Wenn er Zeit hatte, zog er weiter mit den Jungs rum, obwohl er gar nicht mehr wollte. Doch immerhin hatte der Anführer ihm den Job über seinen Onkel verschafft. Dann gab es diesen Neuzugang. Er war zugezogen und versuchte sich krampfhaft in die Gang zu integrieren, machte auf ultra hart und stand bei Herausforderungen immer ganz vorne in der Menge. Sein Name war Victor und er war wie Samson, 21 Jahre alt. Einen Abend hieß es mal wieder »Schwulenjagd«. Samson hatte aktive Angriffe bei dieser Hetze immer umgehen können. Er sammelte seine Punkte an anderen Randgruppen. Zuzugucken, war für ihn schon schlimm genug gewesen. Die Beschimpfungen mit anzuhören: Eine Qual, die sich einbrannte und seine wahren Sehnsüchte versengte. Bis ihm auffiel, dass dieser Victor hier auch mit Zurückhaltung glänzte. Er mochte also auch keine Schwulenjagd. Und so trafen sich in jener Nacht ihre Blicke und die sagten alles. Von da ab fieberten sie den Treffen nur für ihre brüderliche Umarmung entgegen, um eng beieinander zu stehen und gleichzeitig nach einer Bierdose zu greifen. Sie wagten keinen weiteren Schritt und schon gar keine private Treffen. Zu groß war die Anziehungskraft, zu eisern die Angst, entdeckt zu werden. So hungerten sie einander aus und schmachteten sich mit stahlharten Blicken an. In der Gruppe kam es so gut wie nie zu Missverständnissen. Darum war es mehr als merkwürdig, dass an einem Abend um 20.00 Uhr, nur Samson und Victor vor der alten lehrstehenden Halle aufeinander trafen.

»Verstehst du das?«

»Nein, das sind auch die Treffpunkt-Angaben in meiner Mail.«

 

Wenn nur nicht das allein beieinander Stehen ihre Gehirnzellen außer Gefecht gesetzt hätte. Es dauerte keine zehn Minuten, bis sie sich abknutschten, auf dem verdreckten Boden ihre Gelenke aufschürften und sich gegenseitig ihre knallhart gewordenen Weichteile aus den Hosen gruben. Liebevolle, ausgehungerte Leidenschaft, eine brutale Jagd nach den gegenseitigen Orgasmen, Keuchen und Stöhnen am Grund einer 500 qm Halle. Dass alle um sie rumstanden? Das bemerkten sie erst, als beinahe 50 Taschenlampen auf sie gerichtet wurden. Genau in dem Moment, als sie gemeinsam abspritzten. Sie hatten alle von Anfang an zugeschaut und sich Zeit gelassen. Wahrscheinlich fanden sie es sogar geil. Samson und Victor kauerten sich entblößt zusammen und hielten sich mit glitschigen Händen im Arm, während die Lichtkegel immer näher rückten. Trotz ihrer Bärenkräfte, konnte keiner den anderen schützen, vor dem was dann geschah.

 
Samson sprang atemlos von seinem Bett, präparierte seine Hände und schlug so heftig auf seinen Boxsack ein, dass bei Ulli die Lampe über dem Küchentisch vibrierte. Der trank sich auch schon ein Bier, weil Fritz sein Ding mal wieder durchgezogen hatte. Wahrscheinlich würde er sich bei Martin bereits mit einem anderen knutschen. Fritz war ne Bitch. Aber Ulli war trotzdem traurig und jetzt auch noch genervt von dem Getrampel und Gerumpel über seinem Kopf. Er schlüpfte in seine Jeans, warf sich nur ein Hemd über und nahm jeweils zwei Stufen auf einmal. Dann hämmerte er gegen Samsons Tür. Dem rutschte das Herz in die Hose. Das Bild, der Clown, die ewige Rache!!! Es geht wieder los! Er streifte die Boxhandschuhe ab, schnappte sich seinen Baseballschläger und ging zur Tür. Dann erkannte er durch das Guckloch den schwarzen Nerd-Scheitel von Ulli Seifert. Er stellte den Baseballschläger an die Wand, wischte sich das nasse Gesicht mit den bandagierten Handrücken ab und öffnete zaghaft.

 
»Guten Abend, ich wohne unter dir und ich nehme an, du boxt gerade. Es ist nur etwas unangenehm für mich, weil ich heute einfach einen schlechten Tag habe, verstehst du das? Ich meine, ich bin nicht so ein ewig nörgelnder Nachbar oder so und ich mache ja selber auch die Musik laut und manchmal kreischen da auch meine ...«

 
Er hielt sich schnell den Mund zu.

 
»Sorry, wie gesagt, nicht mein Tag.«

 
»Tut mir leid, ich wollte nicht nerven. Willst du reinkommen? Ich könnte uns einen Bananen-Shake machen. Zuviel Bier.« Rülps

 
Samson hatte einen sehr lieben Gesichtsausdruck, wenn man einmal kurz den Mut hatte durch die Fassade hindurch zu gucken. Ulli steckte die Hände in die Hosentasche, schaute wortlos an seinem geöffneten Hemd herunter und tapste von einem Bein auf das andere, als wenn ihm kalt wäre.

 
»Gut, dann nicht. Ich ... ich wollte dich nicht bedrängen. Ich boxe nur noch ganz leise jetzt o. k.? Oder anders, ich war eh gerade fertig.«


Damit wollte Samson die Türe wieder langsam schließen, als ihm der Baseballschläger umfiel und seine nackten Füße traf.

 
»Autsch, das zieht«, sagte er und grinste Ulli verlegen an.


»Hast du vor jemanden Angst?«, platze es Ulli heraus. Und er schaute wirklich besorgt.

 
Samson fror ein.

 
»O.K. Jetzt will ich auch einen Shake!«

 
Der geschwitzte Hobby-Boxer machte die Türe weiter auf, trat einen Schritt zurück und machte eine einladende Bewegung. Er hatte es gemütlich, fand Ulli. Die verbotenen Poster und Fahnen, die sein Äußeres zu Anteilen noch vermuten ließ waren hier nirgends zu sehen. Stattdessen schimmerte an jeder Wand das Panorama von Sonne, Strand und Meer. Der letzte Mensch, der seine Wohnung betreten hatte war ein Sozialberater gewesen. Samson hatte zwei Wochen im Krankenhaus verbracht und genau wie Victor von einer Anzeige abgesehen. Natürlich kamen da ein paar Leute ins Spiel, die sich schützend und belehrend anbieten wollten. Aber die waren so nützlich wie ein Kropf. Victor ist fortgezogen, sobald er wieder laufen konnte. Samson wollte sich nicht vertreiben lassen und er hatte mehr Angst vor einer fremden Stadt, als davor, umgebracht zu werden oder eine weitere Tortur durch seine Feinde zu erleben, die einst seine Familie und sein ganzer Halt gewesen waren. Der fristlosen Kündigung aus dem Schichtdienst hatte er auch nicht widersprochen. Zahlreiche Versuche in anderen Firmen unterzukommen, waren vergeblich. Es musste eine Art Steckbrief von ihm in Umlauf gebracht worden sein. Doch er fasste den Entschluss: Wenn er eines Tages diese Stadt verlassen würde, dann entweder mausetot oder mit einem Koffer voller Badehosen.


»Die Bananen haben die richtige Reife«, sagte Samson und kam sich mit der gebogenen Frucht in der Hand kurz wie ein kranker Psychopat vor. Er war verlegen, weil ihm sein Untermieter gefiel und weil er nette Sachen über ihn gesagt hatte. Doch das durfte der ja nicht wissen. Aber wie das nunmal ist, wenn ein zurückgezogener Mensch nach langer Zeit das erste Mal wieder lächelt, da gehen Endorphine in die Luft. Aber Ulli dachte sich schon seinen Teil und knöpfte aus Respekt sein Hemd zu.

 
»Gemütlich hier. Ich habe auch Sehnsucht nach der Insel. Ich würde den Shake jetzt wirklich gerne mit dir unter dem Schatten einer Palme trinken, Samson. Samson ist doch richtig oder?«

 
»Ja, Samson. Und du bist Ulli. Hab ich auf dem Briefkasten gelesen.«

 
Samson war ein Name, der sehr gut zu ihm passte. Er war ein wirklich gewaltiger Mann. Seine Bewegungen, wie er da so in der engen Küche hantierte, hatten dennoch was tollpatschig Weiches. Mit solchen Pranken eine Banane zu schälen war gar nicht so leicht. Sie auszudrücken, schien eine Alternative zu sein. Ulli lächelte und fühlte sich wohl in seiner Nähe. Er blickte ins Wohnzimmer rüber und als er im Regal die Clownsmaske sah, fühlte er sich gleich noch ein wenig wohler. Er hatte also Recht gehabt.

 
»Hier probier mal. Ist noch ein Klacks Honig mit drin.«

 
Sie setzten sich an den Tisch im Wohnraum, schlürften und grinsten. Jeder wusste vom anderen etwas, das er nicht wusste. Dachten sie zumindest.

 
»Wie gesagt, ich bin echt kein nerviger Nachbar der wegen jedem Husten anklopft. Nur heute war echt ein doofer Tag. Ich hatte Streit mit meinem Freund.«

 
»Dein Bester?« Obwohl Samson es genau wusste, wollte er es hören.

 
»Ich bin ... ich meine ... wahr ... also ich bin in ihn verliebt. Aber er nicht in mich, darum höre ich damit jetzt auch auf.«

 
»Ach so. Ja, Gegenseitigkeit ist schon wichtig. Sonst schenkt einem so eine Liebe gar keine Kraft, sie raubt sie einem.«

 
»Das hast du gut gesagt.« Ulli war erstaunt. Nicht weil man Muskelprotzen keine Romantik oder Sinn für die Liebe zutraute oder etwa doch? Er war jedenfalls angenehm überrascht. Samson schaute ihn wohlwollend an.

»Wir wohnen jetzt fast zwei Jahre hier und sind uns nur ganz selten begegnet. Ich hätte nie gedacht, dass ein Sechs-Parteien-Haus so anonym sein kann. Ich bin in den Häusern am Hafen groß geworden. Da kannte jeder jeden. Verrückt.«

 
»Nun, du scheinst nicht oft rauszugehen ... und ich hatte Vorurteile!«, platzte es aus Ulli heraus.

»Ich weiß, die hat jeder mir gegenüber und weißt du was? Die habe ich alleine zu verantworten. Das alles ist noch gar nicht so lange her und ich werde gerade mal erwachsen. Das ist die Wahrheit. Aber was soll ich tun? An jede Haustüre klopfen und sagen: Bitte sehen sie in mir nicht meine Jugendsünden, sondern den verträumten Jungen von nebenan? Die Welt ist ein verschissener Ort und die Liebe gibts nicht geschenkt und vielleicht gibt es sie auch nur für ganz wenige, elitäre Leute, die sie sich beim Universum-Versandhaus bestellen können. Ich hab nichtmal ne Kreditkarte für den Club. Ich hab mich über deinen Besuch gefreut, echt. Aber mehr als einen Milchshake hab ich wohl nicht zu bieten.«

 
Samson zitterte. Er sprach wütend aber nicht unkontrolliert. Ulli schüchterte das nicht ein. Er tat, was sein Bauch ihm riet, weil er das immer tat. Und deshalb legte er in dem Moment auch seine Hand auf Samsons vibrierenden Unterarm. Er zuckte nicht weg, machte aber ein Geräusch, als würde er gerade gebrandmarkt. Wie lange ist dieser Mensch nicht liebevoll berührt worden? Ulli konnte nicht loslassen und bewegte den Daumen auf und ab. Samson beobachtete, wie er gestreichelt wurde, als würde er in einen tiefen See blicken. Seine Zunge benetzte seine kräftigen Lippen. Er schluckte. Dann zog er seinen Arm unter Ullis Hand weg, indem er aufstand. Er zeigte auf das Poster mit dem kleinen Fischerboot am Strand.

»Da will ich hin! Da will ich einen Neuanfang. Das ist ein kleines Fischerdorf auf der Insel Mallorca. Kaum Tourismus, hab ich gelesen.« Ulli lächelte und verstand worauf er hinaus wollte. Nicht jetzt, nicht hier, aber gerne. Sehr gerne. Er mochte ihn. Sie mochten sich gegenseitig. Es war trotzdem Zeit zu gehen. Er stand auch auf.

»Samson, hat mich sehr gefreut und wenn du mal was brauchst, Honig oder eine Banane, dann klingel einfach.«

 
»Äh, ja. Sehr gerne.« Eine Banane? Und die Gedanken fuhren Karussell. Samson ging auf Ulli zu, breitete seine Arme aus und schaute erwartungsvoll. Etwas so niedliches Großes hatte Ulli noch nie gesehen und er hüpfte leicht auf die Zehnspitzen, um diese annähernde Geste der Umarmung zu vollenden. Samson klopfte ihm auf den Rücken. Mag es auch noch so zaghaft gemeint gewesen sein, so führte es doch bei Ulli zu einem Hustenreiz.

»Oh, entschuldige, ich wollte nur ... «

Aber Ulli klopfte einfach so feste es ging zurück und lachte herzlich. Alles in Butter. Eine kleine im Raum-Zeit-Kontinuum verschluckte Ewigkeit später, lösten sie sich voneinander und die Türe fiel ins Schloss. Und Samson stand da mitten im Raum. Sein Herz und das Innere seiner Hose pochten ganz sacht. Er konnte unmöglich weiter boxen. Er wollte einen Kuchen backen — in Herzform — und ihn seinem Nachbarn vor die Türe stellen. Aber er hatte gar keine Backform und er hatte auch noch nie Kuchen gebacken. War das jetzt der Moment, wo er onanieren sollte? Vielleicht würde er so ein Gefühl nie wieder erleben? Er zögerte. Er war so gerührt, dass ihm Sex jetzt irgendwie unpassend erschien. Er legte sich versuchsweise auf sein Bett und legte erstmal nur eine Hand auf sein Herz und tastete mit der anderen die Verhärtung ab. Sie war ganz schön massiv. Gerade als er seine Hand unter die Jogginghose schieben wollte, klingelte es. Er sprang auf und die Panik löste alle anderen Emotionen schlagartig ab. Jetzt! Jetzt hatten sie ihn! Der Baseballschläger stand noch da. Er drückte auf. Er war kein Feigling. Doch nichts rührte sich im Flur. Dann klopfte es direkt in sein an die Tür gedrücktes Ohr. Er schaute durch den Spion.

 
»Ulli?«

 
»Ja, Mann. Mir ist was Bescheuertes passiert.«

 


Samson öffnete die Türe und Ulli kam rein, als wäre er schon 1000-mal in diese Wohnung gekommen.

 
»Ich hab eben den Schlüssel in der Eile drin gelassen und Fritz meldet sich nicht. Der hat einen. Wenigstens hab ich mein Handy eingesteckt.«

 
»Oh«, sagte Samson. »Dann warte hier. Er wird sich schon melden und dann bald kommen. Ein Zettel! Ein Zettel an deiner Türe, dass du hier oben bist. Das wäre doch zusätzlich gut.« Er war froh, dass er keine Latte mehr an sich fühlte und helfen konnte.

 
»Gute Idee! Das mache ich. Hast du ein Post-it oder so?« Ulli stellte sich die unbehagliche Frage, was Fritz wohl davon halten würde, dass er bei dem stinkenden, homophoben Hulligan verweilte. Aber er eilte schnell herunter und klebte den Zettel an seine Türe. Bin bei meinem Nachbarn oben!

 
Samson war etwas nervös. Wie könnten sie sich jetzt die Zeit vertreiben?

»Hast du Hunger?«, fragte er. »Ach ich mache Bratkartoffeln. Wollte ich ohnehin. Setz dich, leg dich, mach was du willst. Fühl dich wie bei einem guten, alten Freund.«

 
Ulli war einfach nur beeindruckt von Samson. Es war schon erstaunlich dass manche Menschen ein so einsames Dasein fristeten, obwohl sie super sympathisch und herzlich waren. Oder verstellte er sich nur gut? Was wenn ...? Nein! Er war kein Pessimist. Sein Ex — denn da war er sich schon sicher, dass Fritz nur noch sein Ex war — der war ein Pessimist und das hatte einfach nur abgefärbt. So ganz leicht war das mit dem gemütlich machen für Ulli trotzdem nicht, was offenbar mit dem nervösen Gepolter in der Küche zusammenhing. Er wollte lieber aufstehen und dem Clown zur Hand gehen. Die Küche war allerdings eine dieser schmalen Schläuche, wo man sich — in Anbetracht von Samsons gewaltigem Körper — regelrecht aneinander vorbei drücken musste.

 
»Ich will nur kurz spülen, das schiebe ich immer gerne vor mir her.«


»Lass mich das doch machen. Ich kann aber auch die Kartoffeln schneiden.«


»Ja, dann lieber die Kartoffeln, du sollst nicht in meinem dreckigen Geschirr ... du weißt schon.«

 
Ulli stellte sich vor die Schüssel mit gekochten, handwarmen Kartoffeln und zupfte die Schale ab. Der Clown ohne Maske ließ warmes Wasser ein und quetschte seine Finger in gelbe Gummihandschuhe. Der Kartoffel-Schäler beobachtete das aus dem linken Augenwinkel und schmunzelte gerührt.

 
»Willst du gleich lieber Würfel oder Scheiben?«, fragte Ulli.


»Och, Scheiben ... dünne Scheiben. Dann braten wir die schön kross.«

 
Samson drehte sich zu Ulli und seine Mundwinkel schoben sich fast bis zu den Ohrläppchen. Das war nicht irgendein Lächeln. Es war deutlich zu sehen, dass er gerade überglücklich war. Und er fühlte sich tatsächlich wie ein Soldat, der nach vielen, langen Jahren der Entbehrung, Grausamkeit und Kälte an den warmen Herd zurückgekommen war. Und sein Nachbar verkörperte in dem Moment alles, was er sich an Familie, Nähe und Zusammenhalt zu einem Sud aufkochte, der ihn heilte und verzauberte. Er hätte da auch nur rumstehen und ihn beobachten können. Dieses Gefühl war so viel stärker als jeder Gedanke daran, dass es unpassend sein könnte, peinlich, lächerlich oder dumm. Ihm wurde klar, während er mit der Bürste schwungvolle Kreise über seine eingetrockneten Teller drehte, dass er sich verändert hatte, dass er frei geworden war von dem hart und stark sein müssen. Und auch wenn er vor wenigen Stunden noch den ganzen Häuserblock mit seinen idyllischen Vorgärten in die Luft sprengen hätte können, jetzt kitzelten die Schaumblasen seines Spülwasser seine feuchten Augen. Wie schön das wäre, wenn er einen Partner hätte, der mit ihm in der Küche stand. Nicht immer. Er hätte Lust seinen Freund zu bekochen, während er zockt oder Fernsehen guckt oder duschen geht. Er fühlte in sich die erfüllende Rolle des Kümmerers. Er war kein Macho. Er sah nur verdammte Scheiße nochmal so aus.

 
Als er alles abgeschrubbt hatte, trocknete er auch gleich ab und mußte dann an Ulli vorbei, um das Geschirr in die Schränke zu räumen. Er hielt den ersten Tellerstapel hoch in die Luft und drückte sich von hinten an ihm vorbei. Das war gut. Er kehrte um und drückte sich wieder vorbei. Ulli kicherte:

»Entweder ist die Küche wirklich extrem schmal oder du bist so breit.«


»Oh ja, ich bin recht bullig. Die Küche ist Standard.«


»Macht ja nichts. Passt ja gerade so.«


Nun die Müslischalen. Sollte er sie stapeln? Ulli würde das wohl kaum auffallen, wenn er jede Schale einzeln an ihm vorbei trug. Beim vierten Mal streckte Ulli sein Gesäß nach hinten und simulierte Rückenschmerzen. Damit presste er Samson regelrecht an die Wand. Der erschrak, weil jetzt raus gekommen sein musste, dass er etwas erregt war. Hatte Ulli ihn durchschaut, wollte ihn testen und jetzt fuchsteufelswild werden?

 
Ulli fand diesen Kerl einfach nur entzückend. Ausgehungert nach Körperkontakt, benahm er sich beinahe wie Mister Bean. Und da er in letzter Zeit nur mit Wichsern zusammen gewesen war, sehnte er sich in gleichem Maße wie Samson nach Körper, nach Aufrichtigkeit und verspielter Lust. Er ist nicht sauer, dachte Samson. Warum nicht? Gefiel ihm das? Hatte er Interesse an ihm? Das konnte nicht sein. Nicht an ihm. Und was, wenn doch? Und wenn das Eine zum Anderen käme und dann das Bild ... und der Clown ... und die Bande! Schreckensbilder kamen in ihm auf, wie Ulli seinetwegen gefoltert wurde.

»O.K. ich bin fertig mit spülen, den Rest schaffe ich alleine. Bitte geh, setz dich ins Wohnzimmer. Vielen Dank, ich meine ... ich kann dann doch besser alleine ... kochen. Dauert auch nicht lang!«

 

Ulli bemerkte, dass die Leichtigkeit aus dem Clown abgeflossen war, so wie der letzte Rest Wasser gluggernd vom Abfluss verschlungen wurde. Harsch hatte er das gesagt. Irgendwie explosiv. Das war ein unangenehmer Moment für beide. Ulli setzte sich auf die Couch, als würde er beim Zahnarzt im Wartezimmer Platz genommen haben. Die Brutzelgeräusche beruhigten ihn aber bald und er lehnte sich entspannt zurück. Er wusste, dass es dem Koch nicht gut ging. Jedenfalls nicht gut genug um Unbeschwertheit zu genießen, ohne von gelegentlicher Panik überrollt zu werden. Wenn er sich an die Typen erinnerte, die vor zwei Jahren hier noch ein und aus gingen ... das waren echt üble Burschen. Wenn solche Leute nach zwei Monaten von der Bildfläche verschwinden und man den Nachbarn nur zweimal mit Kopfverband und Hämatomen im Gesicht am Mülleimer trifft ... wer sollte es ihm verübeln? Anderthalbjahre sind keine lange Zeit. Er hatte tiefes Mitgefühl und wollte behutsam sein. Eines nur war ihm bewußt: Der Mann in der Küche verursachte ihm ein angenehmes Kribbeln im Bauch und tiefer. Samson biss sich inzwischen auch nicht mehr auf die Lippen und beschwichtigte seine Angst tief atmend. Er wünschte sich, dass der leckere Geruch der Bratkartoffeln seinem Gast den Mund wässrig machte. Er wünschte sich, er hätte den Mut, diesen feuchten Mund mit seiner Zunge zu erforschen. Er wünschte sich, er würde den ersten Schritt machen und ihn so entzünden, wie Victor ihn entzündet hatte, bevor sie alles um sich herum vergaßen. Er wünschte sich, Ulli säße nackt am Tisch und dass er selber nur eine abstehende Schürze tragen würde und sie ein lustiges Spiel spielten.

 
»Scheiße, verdammt!«, fluchte Ulli. »Mein Akku ist leer und Fritz hat sich immer noch nicht gemeldet.«

 
»Aber du hast ja einen Zettel an der Türe. Jetzt essen wir erstmal. Alles cool.«

 
Samson trug die Pfanne zum Tisch. Nur Bratkartoffeln. Ein wenig dürftig schien ihm seine Gastfreundschaft schon. Aber Beilagen gabs bei ihm aus finanziellen Gründen wenn überhaupt nur Sonntags.


»Toll! Ich hab jetzt richtig Bock auf deine Bratkartoffeln!«

 
Das war gut. Das war locker. Sie verputzten die Pfanne in nullkommanix und grinsten sich an.

 
»Bier?«


»Erst den Abwasch! Den machen wir jetzt aber zusammen.«

 
Es dauerte nicht lange, da führte die gemeinsame Tätigkeit zu einem Gerangel in dem Küchenschlauch und sie hielten einfach inne, blieben einfach stehen. So ganz nah und ganz warm und ganz eng und ganz hart. Frontal. Auch ihre Blicke.

 
»Was passiert hier?«, staunte Samson zaghaft.
»Ich passiere dir«, antwortete Ulli sanft.
»Nein, das geht nicht, das geht einfach nicht.«
»Warum nicht?«
»Ich bin nicht schwul. Ich meine, ich lebe nicht schwul. Und ausserdem hast du einen Freund.«
»Ach ja, und wo ist der, wenn ich ihn brauche?«
»Nicht da?«, fragte Samson und fand die Frage lächerlich und verschwörerisch. Wenn nur sein Puls endlich aufhören würde, weiter in Höhe zu brausen. Dann berührte Ulli mit der flachen Hand sein Herz.
»Wir kennen uns kaum und sind doch schon so lange räumlich nicht weit getrennt. Ich habe ein süßes Gefühl. Warum nicht davon kosten?«
»Du meinst, so wie den Honig im Bananenshake?«
»Ja, so ähnlich. Küss mich endlich du Clown!«
»Du weißt es?«

Doch bevor er länger auf doof machte, griff er lieber mit seinen prankigen Händen Kiefer und Nacken von seinem Mensch gewordenem Milchshake und saugte genussvoll daran. »Du schmeckst gut!«, nuschelte er und ließ es sich gefallen, dass sein Kuss stürmisch erwidert wurde. Leicht wie eine Feder sprang Ulli hoch und schlang seine Beine um Samsons Lenden. »Trag mich aufs Sofa und zieh mich aus.« Samson tat es. Er tat es einfach. Dabei versuchte er, nicht den Kontakt zu Ullis Zunge zu verlieren. Das war an den engen Jeans an den Knöcheln gar nicht so einfach und so folgte jeder der Bewegung des anderen und beide schoben ihre Zungen ganz weit heraus, um ihre Verbindung nicht zu lösen. Samson über ihm: Das war wie unter einem großen Bären Schutz zu finden, der darauf achtete nicht zu schwer zu werden und trotzdem jeden Zentimeter Haut durch sein Shirt und seine Jogginghose zu spüren. Ulli ließ unter dem dünnen Stoff seine Hände den Rücken hoch fahren und presste seinen Bären noch fester an sich. Er wusste, dass Samson sein Shirt nicht ausziehen wollte, dass er Bilder auf seiner Brust und seinem Bauch trug, die ihm Schmerzen bereiteten, wenn man sie ansah. Dafür schob er gelenkig seine Füße hoch an den Hosenbund und mit der Hose wieder runter. Etwas schweres, warmes, pulsierendes berührte seine Lust. Beherrscht hielten sie Abstand, um atemlos zu beobachten, wie zwischen ihren Lenden ein zuckender, mehr und mehr fordernder Tanz entstand. Samson wollte gar nicht mehr, als genau das und am besten für immer. Doch so langsam fingen seine Arme an zu zittern und es war angebracht die Position zu wechseln. Er griff Ulli unter die Schulterblätter, zog ihn zu sich hoch und über ihn drüber. »Ich will so sehr deinen Honig«, sagte der Bär. Und weil das für Bären ja nichts ungewöhnliches war, kletterte Ulli so zu seinem Gesicht hoch, dass er sich den Honig holen konnte. Die Pranken massierten dabei seine Pobacken und brachten sie in Schwingungen. Ulli bäumte sich auf und versuchte nach hinten zu greifen, doch seine Handgelenke wurden erfasst und seine Hände in die roten Locken geführt. Ulli schloss seine Augen und taumelte lusttrunken in einen Traum, wie er auf einem wilden Tier über eine weite, grüne Wiese ritt, bis er ... war das seine Stimme? ... er schrie und auch das zuckende Tier unter ihm schrie. Während er sich in das sanfte Maul ergoss, traf etwas Warmes seinen Rücken und rann hinab. »Du bist gekommen, ohne dass ich dich angefasst habe.«, staunte Ulli, ruschte an Samson hinab, um ihn zu küssen und schmeckte sich selbst. Er blieb weich auf dem großen Körper liegen und vergrub seine Hände noch immer in den wilden Locken. Samson hielt ihn so fest, dass er nicht runterrollen konnte, denn sie waren dabei einzuschlummern.

 
Sie schliefen bis zum Morgengrauen. Dann riss wildes Klingeln sie aus dem Schlaf. Samson sprang auf, in die Jogginghose und warf Ulli eine Decke zu. Dann öffnete er die Türe. Fritz stand da. 


»Was hast du mit ihm gemacht du dreckige Nazisau? Ich ruf die Bullen, ich ruf die Bullen!«

Er eierte vor und zurück, hatte eine Alkohol-Fahne.

»Hör mal gut zu mein schmaler Freund«, flüsterte Samson zischend. »Was hast DU gemacht? Wo warst du und warum antwortest du auf keine SMS? Hier war ein Notfall. Dein Freund schläft bei mir, weil er nicht zuhause reinkam. Und nenn mich nicht Nazi, kapiert?«

»Ulli, Ulli, alles in Ordnung mit dir?«, rief Fritz an dem Türsteher vorbei ins Wohnzimmer.

Ulli wickelte sich die Decke um den nackten Körper und kam ganz langsam zur Tür.

»Fritz, gib mir meinen Schlüssel doch mal bitte.« Fritz gab ihm mit schielenden Augen ein Schlüsselbund.

»Und jetzt geh nach Hause und schlaf deinen Rausch aus. Bei mir geht das nämlich nicht mehr, weil du nur noch mein Ex bist.«

Fritz wollte wohl noch was sagen, doch er schaute zwischen dem Bären ohne Clownsmaske und seinem Ulli hin und her und wusste, das war nix mehr mit Ulli. Und an dem anderen da kam er nicht vorbei. Und so torkelte er davon.


»Geht das immer so einfach bei dir?«, staunte Samson. »Glaub mir Samson, der hat gestern einmal zu viel »Bobbelchen« zu mir gesagt.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Wir machen Pläne, wie wir am besten auf die Insel kommen.«
»Ich sehe meine Insel gerade in eine Decke gewickelt vor mir stehen.«
»Dann leg mich wieder hin und wickel mich aus!«

 
Das ließ sich Samson nicht zweimal sagen.

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

Texte: Hugo Ross
Bildmaterialien: Hugo Ross
Tag der Veröffentlichung: 15.06.2015

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