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Ein Tag in Germanien

- Krimi -

 

„Varus, ich komme dich zu warnen.“

„Warnen Segestes? Wovor?“

„Eine Verschwörung, ein Aufstand gegen dich und die Legionen Roms!“

Varus schmunzelte: „Wer sollte denn so tollkühn sein, gegen uns das Schwert zu erheben?“ Den Becher Wein, den Varus beim Eintreten Segestes auf dem Tisch abgestellt hatte, nahm er wieder in seine Hand.

„Der Mann, der deinen Wein trinkt.“ Segestes zeigte auf Arminius, der etwas abseits saß.

Arminius sah in seinen Becher und wendete sich grinsend an Varus: „Ja, Segestes spricht die Wahrheit, ich werde deine Legionen auf dem Marsch angreifen, sie besiegen und dich mit meinem Schwert umbringen!“

Die angespannte Stille im Zelt wurde nur durch den leichten Wind unterbrochen, der über die Zeltwände strich.

Segestes verzweifeltes Gesicht richtete sich hilfesuchend auf Varus, der nachdenklich von einem zum anderen sah und lauthals auflachte. „Ich danke dir, Segestes, für deine Warnung. Nun sei mein Gast und trink einen Becher Wein mit uns.“ Varus winkte die Dienerin, die mit einem Weinkrug in der Ecke stand, heran.

Segestes redete weiter auf Varus ein: „Ich beschwöre dich Varus, traue Armin…“

Ein lautes Knacken unterbrach Segestes und ein dicker Ast stürzte auf Arminius. Die Dienerin schrie auf und ließ den Weinkrug fallen. Varus und Segestes versuchten die Zeltplane, die der Ast mitgerissen hatte und auf Arminius lag, zur Seite zu schaffen.

Hinzueilend rief die Dienerin: „Thorge ist dir was passiert?“ Als Antwort kam nur ein Stöhnen unter der Plane hervor. Frauke half den beiden Männern, Thorge von der Zeltplane zu befreien. Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt Thorge sich den linken Oberarm. Unter seiner Hand rann Blut hervor. „Schnell meinen Rucksack!“, rief Frauke.

Im selben Moment kam eine Frau aus dem Publikum, das Frauke völlig vergessen hatte, auf sie zu. „Ich bin Ärztin, lassen Sie mich mal machen.“ Schon begann sie, Thorges Arm zu untersuchen. Frauke nutzte die Gelegenheit sich umzusehen; das provisorisch aufgebaute Zelt lag auf dem Boden. Sie hatten Stöcke in die Erde gerammt und dazwischen Planen gespannt, als Andeutung von Zeltwänden. Über den Ast, der auf Thorge gekracht war, hatten sie eine Plane ausgebreitet. Das Publikum, neunundzwanzig Leute waren heute dabei, hatte sich anscheinend schon ein wenig vom Schrecken erholt und stand in Grüppchen herum. Frauke hörte eine Frau sagen: „Hoffentlich nichts Schlimmes.“ Ein Mann mit schwarzen, leicht angegrauten Haaren kam auf Frauke zu und fragte bestürzt: „Mein Gott Frauke, ist dir was passiert? Kann ich helfen?“

„Nein, nein Alwin, danke.“

Alwin war sehr dünn, sehr groß und wie immer zu warm gekleidet. Er war nicht im üblichen Sinne schön, aber dennoch sehr attraktiv. Wie so oft hatte er seine linke Hand in der hinteren Hosentasche. Frauke hatte ihn geschäftlich kennengelernt und mittlerweile waren sie gute Freunde geworden.

In der Zwischenzeit hatte die Ärztin mit Fraukes Erste-Hilfe-Set, das sie bei ihren Event-Wanderungen immer im Rucksack hatte, Thorges Oberarm verbunden. Sein Arm lag in einer Schlinge aus Stoff, die in seinem Nacken zusammengebunden war. „Nichts wirklich Schlimmes“, sagte die Ärztin. „Eine Schürfwunde und ordentliche Prellungen. Sie sollten sich schonen und den Arm möglichst nicht bewegen.“ Mit Blick auf den heruntergefallenen Ast fügte sie noch hinzu: „Das hätte auch böse enden können.“ Frauke verstand sofort was die Ärztin meinte. Wenn Thorge den Ast auf den Kopf bekommen hätte, in dieser Szene spielte er ohne Rüstung und Helm ... Schnell schob sie den Gedanken beiseite.

Frauke wusste nicht, was sie zuerst tun sollte: Sich um Thorge kümmern, das Publikum beruhigen, mit den Schauspielern reden, aufräumen oder abbauen. Sie ging schon auf das Publikum zu, drehte dann jedoch wieder um und ging zu Thorge. Der saß immer noch auf dem Boden und sah leichenblass auf den herabgestürzten Ast.

„Thorge, ich werde die Veranstaltung beenden.“

Überraschenderweise antwortete Thorge: „Nein, es geht schon wieder, kein Problem, nur ein Kratzer.“

Er versuchte aufzustehen, was mit dem Arm in der Schlinge nicht einfach war. Frauke half ihm und genoss die kurze Berührung. Thorge fuhr sich mit der rechten Hand durch seine schulterlangen blonden Haare.

„Nein, wirklich. Es geht schon wieder.“

Frauke stellte sich vor, wie in den zwei Szenen, die noch gespielt würden, Arminius mit einem Arm in der Schlinge auf der Bühne stand. Nun ja, dachte sie, Kampfverletzung – kann man machen.

Zum Publikum sagte sie selbstbewusst: „Ein bedauernswerter Unfall, zum Glück ist nichts Schlimmes passiert. Unserem Arminius-Darsteller geht es schon wieder ganz gut, er hat sich entschieden weiterzuspielen, das heißt wir werden unsere Wanderung fortsetzen.“ Eigentlich war ihr mehr danach aufzugeben. Die freudigen Gesichter der Wandertruppe bestärkten sie allerdings darin, weiterzumachen.

Es wäre auch wirklich schade, gerade jetzt da sie mit ihrer Idee endlich Erfolg zu haben schien. Dieses neue Event Wandern mit Varus, dessen Idee sie selber entwickelt und umgesetzt hatte, kam anscheinend gut an.

Ein ängstlicher Wanderer fragte: „Ist denn für unsere Sicherheit gesorgt?“

Was sollte sie darauf antworten?

Ja, wir haben vorher jeden Baum auf der Wegstrecke untersucht ob nicht vielleicht ein Ast lose ist, dachte sie.

„Machen Sie sich keine Sorgen, es war nur ein Unfall, Ihnen wird nichts passieren“, sagte sie. „Wir wandern in zehn Minuten weiter, freuen Sie sich auf das römische Essen heute Abend.“

Ungefähr zehn Kilometer waren es noch bis zum Ziel. Fünfzehn Kilometer hatte Frauke als Wanderstrecke geplant. Am Anfang nach der Firmengründung von ArtMeo – die Kunst zu Wandern hatte sie fünfundzwanzig Kilometer lange Strecken im Programm gehabt, natürlich immer garniert mit einem Kunstevent. Doch es stellte sich schnell heraus, dass viele Kunstinteressierte ihre Kondition überschätzten. Vor einem Jahr hatte Frauke ihre Firma gegründet und war immer noch stolz darauf, dass sie es geschafft hatte, ihre Idee, die anfangs alle belächelt hatten, in die Tat umzusetzen. Eigentlich war sie Mechatronikerin, damals war sie eine der ersten gewesen, die diesen Beruf erlernt hatte. Ihr größtes Hobby war allerdings immer schon das Wandern. Leider entwickelte sich der Gewinn nicht so wie er sein sollte. Ehrlich gesagt stand sie kurz vor der Pleite. Nach einem Jahr hatte sie schon wieder einen Kredit aufnehmen müssen und die Bank stellte sich im Moment leider quer, weshalb sie auch Alwin eingeladen hatte, mit zu wandern. Alwin war bei der Bank für Kreditvergaben zuständig. Sie hatte ihn kennengelernt, als sie eine Bank zur Finanzierung suchte und ihr Businessplan schon von etlichen Instituten abgelehnt worden war. Alwin war gleich Feuer und Flamme für ihre Idee und hatte das Geld bewilligt. Danach hatte er sie oft zum Essen eingeladen und sie hatten sich angefreundet.

Frauke trug immer noch das Gewand der Dienerin. Sie verschwand hinter einem Baum, zog sich um und wechselte schnell von den Sandalen in die Wanderschuhe. Ihre langen roten Haare band sie zu einem Zopf zusammen und ging zu den Wanderern zurück. Alle hatten ihre Rucksäcke schon wieder aufgesetzt und Frauke gab ihnen ein Zeichen, dass es weitergehen konnte. Die Schauspieler waren noch mit dem Aufräumen beschäftigt. Thorge winkte Frauke zu sich.

Thorge zeigte ganz aufgeregt auf den heruntergefallenen Ast. „Sieh mal hier!“ Er lenkte Fraukes Blick auf ein fast durchsichtiges Band, das am Ast befestigt war. „Und dann das hier! Das sieht nicht aus wie abgeknickt.“

Tatsächlich, Frauke sah sich die Bruchstelle des Astes genauer an, es waren ganz deutlich Sägespuren zu erkennen.

„So sieht kein Ast aus, der abgebrochen ist.“

Beide sahen sich ungläubig an.

„Aber was …, wer … du meinst doch nicht?“ Mehr bekam Frauke nicht heraus. Sie sah, dass ihre Wandergruppe schon viel zu weit entfernt war. „Du, ich muss hinterher.“

Alwin

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 06.03.2016
ISBN: 978-3-7396-4169-0

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