Die Bank im Park
Die Bank, auf der ich schon eine kleine Weile ausruhte, stand in einem kleinen aber schönen Park. Dieser öffentliche und für jedermann zugängliche Park, wohl kaum größer als ein Fußballfeld, lag mitten in unserer Stadt.
Wenige Menschen bewegten sich an diesem schönen Sommerabend auf den Spazierwegen. Nur hin und wieder konnte ich jemanden sehen.
Das lag aber auch vielleicht daran, dass diese Bank vom Weg nicht direkt einsehbar ist. Gut vier Schritte vom Weg, umrahmt von hohen Stauden, die einen angenehmen Duft verströmten, auf dicken eisernen Füßen und klobigen Holzbrettern stand diese Bank.
Gedämpft konnte man die Geräusche der vorbeifahrenden Autos hören.
Es waren wohl nicht sehr viele Fahrzeuge unterwegs, denn sie störten kaum.
Noch drang Sonnenlicht durch die Blätter. Dieses warme weiche Licht der untergehenden Sommerabendsonne. Die Luft war zum einsaugen. Warm, aber nicht so wie es zur Mittagszeit warm ist, eben so, wie es nur an bestimmten, wenigen Abenden im Sommer sein kann.
Die Wärme, die der Tag im Stein und Holz gespeichert hat, gepaart mit der sich langsam abkühlenden Luft. Eine Luft, so seidig, so zum genießen.
Die Stauden, die neben und hinter der Bank standen, waren von unterschiedlicher Färbung. Mit sehr hellen, grünen, schmalen Blättern. Dann wieder mit dunklen, breiten, dicken, fleischigen und mit einem Pelz bedeckenden Blättern.
Einige Zweige hatten sich schon ineinander verschlungen. So als hielten sie sich an den Händen fest, diese Stauden.
Darauf tummelten sich so einige Insekten. Geflügelt, in mehren Größen und Arten.
Ameisen, auf der Suche nach Blattläusen und deren honigartigen, süßen Ausscheidungen. Dazwischen Siebenpunkt Marienkäfer. Die wiederum vertilgten die Blattläuse. Eine Kreuzspinne hat zwischen den Ästen ein gewaltiges Netz gesponnen, in dem auch schon einige Beutetiere, fein eingesponnen, als Vorrat hingen.
Kleine Vögel flogen vorüber. Eine Meise saß ganz nah und ich konnte sie beim Fressen beobachten. Der kleine Schnabel ging emsig auf und zu. Der Kopf zuckte beim Einsammeln von Insekten auf und nieder. Wohl eine ganze Weile konnte ich dem bunten Kerl zusehen, bis er davon flog.
Zwei Eichhörnchen kamen recht nahe an die Bank. Wohl in der Annahme einige Nüsse von mir zu ergattern. Ohne Scheu sahen sie beide zu mir herüber. Es hatte den Anschein, als wenn sie sich unterhielten. Nachdem sie aber nichts von mir bekamen, trollten die beiden sich nach geraumer Zeit von dannen.
Auf dem Boden vor der Bank, es war ein fester aber sandiger Boden, lief ein schwarzer Käfer. So zwei Zentimeter lang, einen Zentimeter breit, fingerdick und tiefschwarz in der Farbe. Er glänzte wie lackiert. Mitten auf seinem Kopf trug er ein Horn. Leicht gekrümmt und spitz zu laufend. Genau wie bei einem Nashorn. Nur eben winzig klein. Einen kurzen Moment blickte ich in den Himmel. Als meine Augen dann nach unten schauten, fanden sie den Käfer nicht mehr wieder. Ich hob noch beide Füße vom Boden, damit ich ihn nicht aus versehen in den Tod beförderte wenn er sich etwa unter meine Sohlen verkrochen hätte. Sicher ist er zwischen den Gräsern, die vor den Stauden wuchsen, verschwunden.
In der Zwischenzeit konnten sich immer weniger Sonnenstrahlen durch die Blätter der Stauden neben der Bank verirren. Die Sonne stand nun tief am Himmel und selbst die Bäume filterten die wenigen Strahlen jetzt heraus.
Ein leichter Windzug ließ die Blätter der Stauden sich bewegen.
Wie unterschiedlich die Geräusche der einzelnen Stauden waren.
Die schmalen Blätter raschelten leise wispernd aneinander.
Gerade so, als unterhielten sie sich. Die dicken, dunklen, fleischigen mit dem Pelz überzogenen Blätter ließen ganz andere Geräusche erahnen. Da war kein wispern, es war eher so, als sprechen sie mit dunkler Stimme sehr leise miteinander.
Danach war wieder Stille. Jetzt aber wirkliche Stille.
Die Motorengeräusche sind inzwischen verstummt, sodass man meinen konnte, dass alle Menschen zuhause sind.
Das Leben hält an einigen Tagen diese einfachen Momente für wenige Menschen bereit. Für Menschen, die diese Momente leben und erleben können.
Nicht jeder kann so etwas genießen. Für sich einfangen und für lange Zeit seines Lebens erinnern.
Der Alltag mit seiner Hektik. Die ständige Reizüberflutung hat uns abgestumpft. Unempfindlich gegen die kleinen aber feinen Wahrnehmungen gemacht.
Nach geraumer Zeit, ich saß sicher länger als eine Stunde allein in der Stille, hörte ich das klingeln eines Telefons. Etwas ärgerlich über diese Störung, richtete ich mich auf und sah ganz in der Nähe eine Frau.
Vielleicht drei oder vier Meter von mir entfernt. Wieso hatte ich sie nicht kommen gehört?
Diese Frau telefonierte mit einen Handy in einer mir fremden Sprache. Ich hatte den Eindruck dass es arabisch war. Zumindest glaubte ich dies.
Erst leise, dann wurde ihre Stimme lauter und ärgerlich. Sie beendete ihr Gespräch und verstaute das Handy in ihre Hosentasche.
Ruhig stand sie da. Bließ die Wangen auf und ließ die Luft pfeifend entweichend. Man sah es der Frau an, sie war verärgert.
Mit einer Hand schob sie ihr langes, braunes mit helleren Strähnchen durchsetztes Haar nach hinten in den Nacken. Eine anmutige Geste.
Ich hatte Zeit sie zu beobachten. Eben weil sie jetzt nachdenklich still stand. Eine schlanke, recht große Frau. Mit einem ebenmäßigen Gesicht. Einer hohen Stirn. Die Augen standen genau richtig zueinander.
Die Nase passend. Nicht zu groß oder zu klein. Die Lippen waren voll und gut geschwungen. Ein schöner Mund. Das Kinn fest. Ein schmaler Hals der auf schönen Schultern ruhte. Die Arme straff. Sie trug ein enges, bauchfreies Top. Darunter erkannte man den mittelgroßen festen Busen. Dieser wurde von keinem BH eingezwängt, sonder bewegte sich frei unter dem Stoff. Ein leichter rosaroter, fast durchsichtiger Stoff. Im Bauchnabel glitzerte ein heller, weißer Stein. Eingefasst von einen glänzenden, silberfarbigen Ring. Nicht die geringste Spur von einem Fettansatz ließ vermuten, dass diese Frau entweder viel Sport trieb oder die Gnade Gottes in sich trug. Die langen Beine standen unter einer wohlgeformten Hüfte. Sie trug eine modische Hose aus diesem anschmiegbahren Material, die nur Frauen mit einer solchen Figur tragen sollten. Man konnte nicht erkennen, ob sie einen Slip darunter trug. Entweder einen aus diesem feinen Stoff wie Seide oder eben keinen.
Ihre Haut war leicht gebräunt. An ihren Füßen hatte sie hochhackige schwarze Schuhe, die vorne ihre lackierten Fußnägel sehen ließen. Um das rechte Fußgelenk schlängelte sich eine goldfarbene Kette mit einem Schmuckstein. Für mein Empfinden eben eine kleine Schönheit diese Frau.
Sie drehte sich und sah mich auf der Bank sitzen.
Ich bemerkte, dass sie gehen wollte, gab sich einen Ruck und kam auf mich zu. Sie setzte sich zu mir auf die Bank. Erst redete sie kein Wort.
Nach einer kurzen Zeit sprach sie mit mir. „Schön ist es hier. Hier auf der Bank“.
In einem akzentfreien deutsch. Neugierig geworden, fragte ich nach ihren Geburtsort. Sie ist im Iran geboren und mit fünf Jahren nach Berlin gekommen. Ihre Eltern haben dort beide studiert. Irgendwann trennten sich die Eltern. Sie blieb bei ihren Vater. Er, der mittlerweile Arzt geworden war, nahm sie dann mit nach hier. Seitdem lebt sie hier.
Ihren Mann lernte sie mit fünfzehn Jahren kennen und blieb mit ihm zusammen. Mit achtzehn heirateten sie. Drei Kinder gingen aus ihrer Liebe hervor. Ihr Mann wurde Copilot, sie fand Arbeit bei der Post. Wurde sogar Beamtin. Nachts sortiert sie Pakete.
Und dann passierte etwas Furchtbares. Ihr Mann kam bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Mit ihm starben 188 andere Menschen.
Nichts, außer seiner Kette mit der Kennnummer konnte sie begraben.
Eine neue Beziehung will sie nicht mehr eingehen. Zu groß war ihre Liebe zu ihren Mann. Nicht einer war bisher gut genug und konnte sich an ihren Mann messen. „Da lebe ich lieber in der Erinnerung und bleibe allein“. Sie hat noch ihre Kinder. Die sind ihr Halt fürs ganze Leben.
Jogging und Reiten füllen ihre Freizeit aus.
Daher sicher ihre gute Figur, dachte ich.
Ich beobachtete während sie sprach ihre Hände. Schlanke Finger, mit schönen eigenen Nägeln. Nicht diese aufgeklebten, kitschigen Dinger, die heute viele Frauen tragen. Nur ein Ring an der rechten Hand. Ein schmaler Goldring. Ohne Schmuckstein. Während sie sprach, ruhten die Finger der linken Hand auf dem Rücken der rechten Hand. Ab und an wechselte sie mit der rechten auf die linke Hand. Manchmal ging ihre rechte Hand zu ihren langen Haaren, die, wenn sie sich, während sie sprach, durch das leichte nach vorne beugen, in ihr Gesicht fielen, um es wieder in den Nacken zu schieben.
Ihre drei Kinder studieren.
Erstaunt fragte ich sie nach ihrem Alter. Dass sie sechsundvierzig sei, wollte ich zuerst nicht glauben. Sie holte aus einer ihren Hosetaschen ihren Ausweis und bewies mir die Richtigkeit ihrer Angaben.
Ich sah in ihre Augen und konnte immer noch nicht das Alter dieser Frau erkennen. Kein noch so kleines Fältchen um ihre Augen oder ihrem Mund. Da hat Gott ein Meisterwerk vollbracht.
Inzwischen dämmerte der Abend. Zunehmend wurde es dunkler.
Jetzt müsste sie gehen. Die Pakete bei der Post müssen jetzt sortiert werden.
Ich sah ihr nach. Ihr Gang erinnerte mich an eine Katze.
Die Luft war noch immer so seidig. Die Wärme des Tages wich einer angenehmen Kühle. Es war noch nicht so richtig dunkel. Der volle Mond, der mittlerweile am Himmel stand, spendete genug Licht, um noch alles gut zusehen. Die Vögel schliefen schon. Man hörte keinen Laut mehr. Tiefe Stille kehrte ein in diesen kleinen Park.
Texte: Foto H-D.H
Tag der Veröffentlichung: 24.03.2009
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