Cover

Frau HOLLES Volk


Band 3.4


Die Wette – Weißes Gold im Süden



Angela Scherer-Kern



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Text und Foto ©Angela Scherer-Kern

Erschienen 2019, überarbeitet 2020

Umschlaggestaltung: ©Angela Scherer-Kern


Weitere Werke der freischaffenden Künstlerin und Buchautorin

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Für meine Familie und die Kinder dieser Erde

Goldwaschfieber im Almbach

„Sie sind alle schon da!“, rief Simi freudig und huschte durch die Tür hinein in den Frühstücksraum. Sie schwebte schnurstracks auf die selbstgemachte Marillenmarmelade zu und ihr Zeigefinger verschwand darin bis zum Ansatz.

„Ach!“, meinten die Kinder und sahen aus dem Fenster. Durch die noch relativ kargen Kastanienbäume erblickten sie die Schemen der gegenüberliegenden Berge. Sie waren leicht verhangen.

„Toll! Richtige Berge! Hammer, sind die hoch! Knorke!“, kommentierte Choi.

Schmatzend fügte Simi nebenbei hinzu:

„Ich habe ihnen von diesem tollen neuen Festmahlsladen hier erzählt und sie zum Frühstücksfestmahlen eingeladen, aber keiner wollte mit.“

„Was?“, kam es von allen, inklusive der Beifußens, wie aus einem Mund. Sie verharrten wie beim Stopp-Spiel, hier nur in absoluter Fassungslosigkeit.

„Sie wollen nicht festmahlen?“, fragte Betti nach.

„Keiner von ihnen?“, fragte Bert nach. Sie mussten sich verhört haben.

„Ja, sie wollten noch nicht einmal mehr reden. Sie waren ganz still. Ich würde sie nur stören, sie seien bei der Arbeit“, erzählte sie mit leicht beleidigter Stimme.

Kyr fragte baff:

„Was? Arbeit? Haben das die Kobolde gesagt oder Fleißig?“

„Die Kobolde. Alle Kobolde haben das gesagt. Fleißig hat noch nicht einmal mitbekommen, dass ich da war“, grinste Simi.

„Arbeiten? Die Kobolde? Bist du sicher, dass die Kobolde das Wort Arbeit gesagt haben?“, fragte Choi noch einmal nach.

„Glaubt ihr, dass ich nicht richtig hören kann oder dass ich euch falsche Sachen erzähle? Ich…“ Beleidigte Fee, oh, oh. Schnell hakte Choi wieder ein:

„Natürlich sagst du uns die Wahrheit, Simi. Aber du weißt genau wie wir, was die Kobolde und Arbeit gemeinsam haben – nämlich gar nichts. Nicht so bei Wichteln und Feen! Deswegen sind wir megaerstaunt und können es kaum glauben. Es sei denn, die Kobolde ziehen einen Nutzen daraus. Hast du sehen können, an was sie gearbeitet haben?“

„Sie haben mit dem Sand im Bach gespielt“, sagte Simi und setzte sich entzückt vor einen Eierpfannkuchen mit Schokosoße, den Betti ihr hingestellt hatte. Das war das sicherste Ablenkungsmanöver vom Beleidigtsein.

„Ach“, sagten alle.

„Mit Sand?“, wiederholte Bert und grübelte.

„Glaubst du mir schon wieder nicht?“ Spitze Schnute.

„Doch, doch, natürlich! Wir überlegen nur, was man mit Sand in einem Bach so Besonderes arbeiten kann?“, erklärte Bert ruhig und grübelte weiter, während er zum Buffet ging.

 

„Wo bleibt Bert denn nur? Er wollte sich doch nur einen Obstsalatnachschlag holen“, meinte Betti zehn Minuten später und reckte ihren Hals, da kam er auch schon freudestrahlend in den Frühstücksraum:

„Wir bekommen gleich eine persönliche Einführung in die Arbeit eines Kugelmüllers vom Wirt Friedl persönlich. Und die Almbachklamm hat auch geöffnet. Doppeltes Glück! Alle 29 Brücken und Stege sind nach dem Winter topp überholt worden und einer Wanderung durch die Klamm steht also nichts im Weg. Klingt das gut?“

Na klar, klang das gut, nur…

„Kugelmüller, was soll das sein?“, fragte Choi.

„Was ist eine Klamm?“, fragte Kyr.

Bert strahlte noch mehr, weil er erklären durfte. Aber nicht gleich, denn er hatte Simi sofort auf dem Arm, die mit Herzchen in den Augen ihren spitzen Zeigefinger bis zum Anschlag in der Sahne versenkte. Die Sahne zog sich in Sekunden über seinen Unterarmärmel.

„Is der Schlagobers auf den Ärml! Host di voitrenzt! Mocht nix. I kumm glei mit oam Butzlumpn“, meinte die freundliche Frau Oberin in einem traditionellen Dirndl und verschwand mit wallendem Rock. Alle starrten ihr nach.

„Was hast sie gesagt? Schlagobers? Voitrenzt? Butzlumpen? Krass!“, fragte Kyr und schüttelte den Kopf.

„Wieder eine komplett neue Sprache. Das klingt ja noch fremder als im Odenwald und in der Eifel“, staunte Jasi.

„Das ist die Vielfalt unserer deutschen Dialekte“, lachte Bert.

„Naja, trotzdem verstehen wir so gut wie nix. Kommt einemvor, wie eine andere Sprache“, erhielt Jasi Unterstützung von ihrem Bruder.

Schon war die dirndlige Bedienung wieder da und putzte eifrig die Sahne von Berts Ärmel. Simi flog schnell zum Tisch, zog empört eine Schnute und stemmte ihr Arme auf ihre ätherischen Hüften:

„Sie hat mich einfach weggeputzt! Wie kann sie das nur machen!?“

„Unser Bairisch könnts net verstehn, odr? Do will i mi bemühn, doss ihr uns versteht und es fir aisch ausdeutschen“, lachte die Frau Oberin erfrischend. Verstanden.

„Entschuldigung. Was heißt wohl Schlagobers, voitrenzt und Butzlumpn?“, fragte Kyr gleich nach. Immerhin konnte er sich diese fremden Namen merken.

Berts Ärmel war sauber, und nass. Lachend erklärte sie:

„Joa, der Schlagobers ist die Sah-ne. Da kriegst glei noch oan Schlag zu oberst. Voirenzen, joa voll-ge-kleck-ckert.“ Das sagte sie ganz langsam, als müsste sie ihre Zunge dabei sortieren. Überhaupt sprach sie fortan langsamer.

„Butzlumpn – ist schon klar. Der Lumpen zum Butzen, zum Putzen. Vielen Dank für diese prompte Reaktion. Alles wieder gesäubert. Tiefenrein, sozusagen“, grinste Bert.

„Joa, bittschön“, lachte sie und ward am Nebentisch mit einem zweiten Butzlumpen zugange.

„Ich wollte doch irgendetwas erklären“, meinte Bert und zwirbelte seinen Schnurrbart. Als hätte er den Wächterwichtel von Bandel vom Hermannsdenkmal gesehen, arbeitete er durch fleißiges Zwirbeln daran, aus seinem Schnurrbart einen Zwirbelbart zu drehen. Das entwickelte sich natürlich zu einer kleinen Marotte, weil er, nach Bettis Gefühl, neuerdings ständig zwirbelte.

„Danach wollen wir aber los. Ich will endlich persönlich wissen, warum die Kobolde und Fleißig einfach nicht zu uns gekommen sind. Ich meine, nicht zu uns, sondern zum Frühstück“, stellte Jasi sicherheitshalber klar, nicht, dass die Herren in einen persönlichen Rederausch versanken.

Platsch, da landete ein ordentlicher Schlag Schlagobers zuoberst.

„Losses dir schmeckn!“, lachte die herzliche Frau Oberin und verschwand wallend dahin. Simi schickte ihr Herzchen hinterher, bei dieser riesigen Portion. Ihr ward fortan verziehen und schon trug Simi auch Dirndl, das natürlich genauso aussah, wie das der Frau Oberin: eine weiße kurzärmelige Bluse unter einem taubenblauen Kleid mit kleinen weißen Pünktchen, dessen Rock lang um die Waden wallte und einer langen kräftig roten Schürze mit schmalen weißen Streifen. Darüber einen Gürtel mit dem großen Kellnerportemonnaie.

„Ihr solltet euch auch solche Kleider kaufen. Die habe ich noch nie vorher gesehen. Sie sind so hübsch! Wenn ihr es im Wald tragt, kann ich mich dort auch einmal mit solch einem Kleid zeigen. Sie werden alle staunen!“, sagte Simi und drehte sich kokett, dass es nur so wallte. Sie trug natürlich das Modell mit besonders viel Stoff.

„Das sind Dirndl, die werden bei uns nicht getragen. Es ist eine typisch bayrische Landestracht. Bei uns gibt es aber auch Trachtenkleider. Bei Volksfesten mit traditioneller Musik werden sie getragen“, erklärte Betti. „Aber ich mag sie, die Dirndl und all die Trachten, die zu jeder Region dazugehören.“

Mit der Freude eines Geistesblitzes, weil er sich wieder an das ursprüngliche Thema erinnerte, switchte Bert sofort um in den Erklärmodus:

„Ihr wollt wissen, was ein Kugelmüller ist? Tja, was ein Kugelmüller ist, werdet ihr gleich persönlich sehen können. Wie gesagt, erhalten wir eine persönliche Einführung in die Arbeit eines Kugelmüllers vom Wirt Friedl persönlich. Die Klamm ist nichts anderes als eine Schlucht. Die Almbachklamm ist also die Schlucht, durch die der Wildbergbach Almbach strömt. Der Almbach fließt direkt hier am Haus vorbei und der Eingang in die Klamm beginnt gleich hier hinter dem Haus. Alles direkt vor Ort. Etwa drei Kilometer zieht sie sich durch den Berg und die werden wir jetzt erwandern. Eine Quelle werden wir hier mit Sicherheit auch finden.“

„Eine persönliche Einführung vom Wirt persönlich, die wir alle jetzt persönlich sehen wollen. Bei so viel Persönlichkeit fühlt man sich schon ganz persönlich, also wollen wir den guten Wirt Friedl nicht länger warten lassen. Zieht euch gutes Schuhwerk an. Es ist zwar trocken, aber man weiß nie. Man kann von hier wegen der hohen Berge rundum nicht viel Himmel sehen. Wir ungeübten Wolkenbeobachter können hier erst recht nicht erkennen, welches Wetter naht. Aber sie haben für heute und morgen jedenfalls noch gutes Wetter angekündigt. Also wollen wir jede trockene Sekunde nutzen“, meinte Betti und stand auf.

 

Wenig später trafen sie sich unten vor dem Gasthaus, beziehungsweise auf der Fußgängerbrücke über den Almbach. Die Kinder standen bereits dort am Geländer um herauszufinden, was es mit der Arbeit von Frau Holles Volk so auf sich hatte.

„Was macht ihr da, Kumpels?“, rief Kyr den Kobolden und Fleißig zu. Außer ihnen waren da noch ein paar andere Kobolde, die alle mitten im Wasser standen und mit sonderbaren Tellern in der Hand herumfuchtelten. Etwas weiter hinten stand wohl eine ganze Familie ebenfalls nach vorn gebeugt im Wasser und schwenkte Teller hin und her. Hee war jetzt auch mitten unter ihnen.

Nur widerwillig waren Hee und Gänseblümchenfee via HolzuHol mit Fleißig, Sivoobal, Flax und Egal hierhergereist, denn sie wollten beide nicht mit festmahlen und erst später abgeholt werden, wenn etwas Aufregendes anstand. Sie wollten das verführerische Essen nicht sehen. Zu viel von dem fremden Essen machte sie träge. Die Kobolde vom Felsenmeer hatten es einmal wieder bestätigt, zudem, dass Fleißig die üppigen Ausschweifungen momentan deutlich zu spüren bekam. Das wollte Hee sich als Windfee nun gar nicht leisten, erst recht nicht in der Fremde. Besonders dort brauchte sie ihre vollen Kräfte und damit die volle Aufmerksamkeit. Die Älteste des Waldes hatte Unwetter auch in dieser Region angekündigt. Derzeit war hier das Wetter noch sehr entspannt.

Hee schien jetzt ebenfalls nach etwas zu suchen. Sie flog flach über dem fröhlichen kristallklaren Wildwasserbach und kreiste um die vielen Steinmanderl und Schwemmholzskulpturen. Diese übertrafen die moderne Kunst weit in ihrer Originalität, quasi Spontankunst. Steinmanderl, so sagte man hier, wären die Steinmännchen, die aus übereinander gestapelten Steinen bestünden. Sie dienten immer noch vielerorts als Wegmarkierung und Orientierungshilfe. Und wie durch Zauberhand bekam, wo eines aufgebaut wurde, dieses schon bald Gesellschaft. Das hatte sich mittlerweile zu einem wahren Wanderersport entwickelt, in den Bergen, aber auch am Strand, naja, überall, wo es schöne Steine gab, die man stapeln konnte. Wenn es zu viel wurde, wurde es zu einem Eingriff in die Behausungen von Insekten und Co. Maß halten war wie immer die Devise.

Allein Gänseblümchenfee lag bei einer Schwester auf dem Boden im Gras an der Uferböschung. Sie kicherten und amüsierten sich köstlich über die anderen in und über dem Bach.

„Wo ist ReimHein?“, fragte Jasi.

„Nicht mit. Muss auf Wurzeln aufpassen. Sturm angekündigt“, antwortete Sivoobal knapp.

„Was treibt ihr da?“, fragte jetzt Choi nach, weil keiner auf Kyrs Frage reagiert hatte.

„Können nicht reden!“, meinte Sivoobal ohne aufzusehen.

„Stört uns nicht“, rief Flax ohne aufzusehen.

„Nicht egal, geht jetzt nicht“, meinte hochkonzentriert Egal. Wie sah er aus? Er hatte Plastikfolie um seine Füße bis zu den Knien hoch gewickelt und fest verschnürt, da er als Pilz nicht lange im Wasser stehen sollte. Diese geniale Idee, natürlich von Fleißig, wollte er Luli unbedingt erzählen. Aber nicht jetzt.

„Wir erklären es euch später!“, rief Fleißig ohne aufzusehen.

Oh, oh. Fleißig verschob sein Erklären! Solch eine Situation gab es noch nie. Höchst bedenklich. Ging es ihm noch so schlecht?

„Sagt jetzt sofohort…“, fing Simi an energisch zu rufen, da beschwichtigte sie Betti sofohort:

„Sie scheinen Gold zu waschen.“

„Sie waschen Gold?“, fragte Jasi nach.

„Gold? Ich will auch Gold! Ich will auch!“ Schon war Simi weg, hin, zu Frau Holles Volk, das hoch konzentriert auf ihre Goldwaschpfannen starrte. Dirndl-Look wurde in eine Bergbachvariante eingetauscht. Flax lächelte kurz, weil er ihr eine Goldwaschpfanne reserviert hatte, nahm aber seinen Blick nicht von seiner vor ihm schwenkenden Pfanne.

„Wie? Man kann in diesem kleinen Bach Gold waschen?“, fragte Jasi erstaunt.

„Echtes Gold oder etwas, das nur so aussieht?“, fragte Choi erstaunt.

„Wieso wäscht man denn Gold? Ist es dreckig? Woher haben sie das Gold? Irgendwie verstehe ich das nicht. Und woher haben sie diese flachen Schüsseln?“, fragte Kyr erstaunt.

Betti und Bert beobachteten neugierig die Goldwaschszene. Bert war etwas unruhig, weil der Wirt bereits persönlich an der Kugelmühle auf sie wartete und hinüberwinkte. In Berts Augen leuchtete allerdings schon etwas von diesem Goldwaschfieber, dabei hatte er selbst noch nicht einmal damit angefangen.

„Lasst uns erst einmal zum Friedl. Seht, er wartet schon! Gleich im Anschluss können wir gern auch ein bisschen nach Gold suchen. Ich erkläre euch dann, was es mit den Goldwaschpfannen auf sich hat. Auf bairisch heißen sie übrigens Goldpfandln“, rief er den Teenies zu, stolperte langsam von der Brücke, ohne den Blick vom goldglitzernden Bergbach und den schwenkenden Goldpfandln zu nehmen.

Betti lachte und schob sie alle von der Brücke:

„Sonst kommen wir nicht in den Genuss der persönlichen Einführung in die Arbeit eines Kugelmüllers. Es dauert nicht lang. Kommt, er hat die Kugelmühle extra für uns in Bewegung gesetzt. Es rauscht schon, hört ihr?“

Ein schnauzbärtiges lachendes Gesicht begrüßte sie. Er hatte natürlich mitbekommen, was die Kinder wahrscheinlich mehr faszinierte als die Kugelmühle:

„Servus olle miteinondr! Joa, ihr könnt‘s aisch glei die Goldpfandln beim Kassenhäuserl ausleihen und um die Wette woaschen, ge. I werd aisch jetzt in Küaze etwos von unseren wunderschönen Marmorkugeln erzählen, die vor acht Tagen noch so ausgeschaut hobn.“ Friedl hielt einen Steinbrocken hoch.

Schon waren die Kinder abgelenkt.

„Was? Aus diesem Steinbrocken wird solch eine schöne runde bunte Kugel? Da gibt es einen Trick“, meinte Kyr. Alle staunten und hatten Fragezeichen im Gesicht.

Bert las das alte Schild über der Kugelmühlenanlage vor:

„Seit 1683 die Untersberger Marmorkugelmühlen – die letzte Kugelmühle Deutschlands. Wow! Das ist ja ganz etwas Besonderes.“ Bert nickte anerkennend. Auch er war nun abgelenkt und im Marmorkugelfieber.

Der Friedl erzählte ihnen von der Kugelmühle, die mit zwei kleinen Mühlen gerade fröhlich vor sich hindrehte und hinplätscherte:

„Gonz genau. Die Kugelmühle Marktschellenberg ist fei scho seit dem Joar 1683 in Betrieb. Ihr habt‘s Glück, die Kugelmühlen wie auch die Oalmbochkloamm hobn dies Joar scho Ostern geöffnet. Es kommt oaber eh immer gonz aufs Wettr oan, ge. Sie ist die letzte Kugelmühlen Deutschlands, die noch in Betrieb is. Noch mir wird mein Sohn deren Betrieb übernehmen, damit dos Handwerk des Kugelmüllers nid ausstirbt und weitergegeben werden konn. Rohmaterial is der Unterschberger Marmor wie dieses Stückerl hier. Er eignet sich sehr hervorrogend für Stoabildhaueroabeiten. Doraus werden abgerundete Würfeln gehauen. Circa ocht oder zehn etwa gleich große Rohlinge werden in die Mühlen gegeben. Ihr Mahlwerk besteht aus dem Unterteil aus hoatem Sandstoa und dem Oberteil aus Buchenholz. Das Wassr für die Mühlen wird vom Almbach oabgezwoagt und fließt hier über die Mühlen, in denen die Marmorrohlinge liegen. Durch das stete Drehen werden sie rund gemohlen. Die größte Kugeln seht‘s ihr dort voan oam Eingang, die sich als Wasserspuil wie durch Zauberhand dreht. Schaut‘s euch drinnen um, wenndst ihrs mögt. Do hoabn mia oane kloane Ausstellung von verschiedenen Stoa und Fossilien aus unserer Gegend. An unserem Souvenierstandl hier voan soan Verstoanerungen, Minerolien und aa die vielen verschiedenen wunderschönen Kugeln aus dem Unterschberger Marmor. Eine schöner als die andere, egal ob groß odr kloan. Jede ein absolutes Unikat. Durch den Verkauf dieser beliebten Souveniere können wir unsere Kugelmühlen am Leben erholten.“

„Hat man also schon seit über 330 Jahren die Marmorkugeln als Souvenier verkauft?“, fragte Jasi staunend nach und schielte zum Souvenierhäuschen.

„Spektakulär!“, kommentierte Kyr. Alle hatten plötzlich das dringende Bedürfnis, auch in den Besitz einer solchen edlen, glatt polierten Kugel mit Unikat-Maserungen zu kommen.

Friedl lachte so, dass man seine Augen nicht mehr sah, und klopfte sich auf die Lederhose, dass es laut platschte:

„A geh! Ihr seid‘s narrisch. Früher hot man die Kugeln als Ballast für die Segelschiffe gebraucht. Bis nach Indien hoaben‘s die Kugeln verkauft. 1921 war‘s dann vorbei mit dem Ballast. Als Kinderspielzeug waren die kleinen Marmel aber immer sehr begehrt.“

Jasi nickte leicht beschämt:

„Ach so. Wie die Glasmurmeln.“

„Erst denken, dann reden“, neckte Choi und erhielt einen Puff.

„Und der Marmor ist tatsächlich hier aus dem Untersberg?“, wollte Bert bestätigt wissen.

„Freili komt‘s aus unserem Berg, dem Unterschberg. Marmor is Calciumcarbonat und stammt aus Korallenobloagerungen des Meeres, das voa fost 200 Millionen Joahrn on dieser Stelle woar. So soan dann die Kalkalpen entstanden und der Unterschberg is oan Toal dovon“, erklärte Friedl gern, doch er sah den Teenies an, dass sie kein Interesse an erdgeschichtlichen Details hatten und ihre Blicke bereits wieder zu den Goldsuchern im Almbach hinüberschweiften.

„Sowieso, wenn‘s ihr noch Frogen hobt, donn konn i eich heit Oabend gern mehr dorüber erzähln. Des basst scho. Freili erzähl i euch donn die Geschichtn von den Goldkohlen vom Unterschberg. Wenn i s vagess, donn frogts mi! Und jetzt wünsch‘s ich eich viel Erfolg beim Goldwoschen im Oalmboch. In jedem Foll seid‘s ihr nachher stoareich. Servus“, bot Friedl an und verabschiedete sich lachend. Neue Gäste warteten. Er lachte immer noch über den Souvenier-Marmorkugeln-Verkauf seit 330 Jahre und seinen steinreich-Witz. Jasi grummelte und sah lieber nicht zu Choi.

„Ha! Vergessen! Niemals! Vielen Dank. Wir werden uns die Kugeln alle anschauen. Ich für meinen Teil habe eure Ausstellung natürlich schon eingehendst bewundert! Wahre Schätze! Ach ja, und – Servus!“, rief Bert ihm eifrig nach. Friedl hob noch einmal grüßend die Hand und nickte ihm lachend zu. Dann begrüßte er herzlich die neuen Gäste. Sie kannten sich offensichtlich schon gut. Stammgäste.

 

Jetzt zum Einlasshäuschen für die Almbachklamm und dann ausgestattet mit Goldpfandln direktamente in den Almbach. Natürlich nicht in den Almbach, sondern auf die vielen hellen Trittsteine, an denen das Wasser, fröhlich aus dem Berg kommend, vorbeiplätscherte, als hätte sie irgendjemand dort extra für die Goldsucher ausgelegt. War natürlich auch so. Diese perfekte Stelle hatten die Wasserfee des Almbaches und ein paar Klammkobolde zusammen ausgesucht. Die Klammkobolde nicht ganz uneigennützig, denn es war einfach zu verlockend, einen Stein noch einmal kurz nasszuspritzen oder wackeln zu lassen, damit der eine oder die andere dann mit lautem Geschrei und nassem Fuß aus dem Bach hechtete. Hier war der Bach so flach, da konnte außer nassen Füßen nichts weiter passieren. Okay, nasse Schuhe und Strümpfe und Hosenbeine. Und einer hatte sich doch tatsächlich den Fuß dabei vertreten. Naja und eine ist tatsächlich komplett ins Wasser gefallen. Das war das absolute Klammkobold-Highlight gewesen. Es war Hochsommer und das Mädel war mit seinen Eltern zu Gast in der Kugelmühle gewesen. Also kurze Wege zum Umziehen. Trotzdem war die Almbachfee sauer auf die Klammkobolde gewesen. Sie sollten auf die unachtsamen Almbachklammgäste achtgeben, und zwar auf der ganzen Strecke. Die Kobolde verhielten sich daraufhin wieder vorbildlich und nach sieben Tagen hatte sie ihnen wieder verziehen. Das Mädel war die nächsten drei Tage gleich im Bikini zum Bach gekommen und hatte ihren größten Spaß, wenn sie sich der Länge nach hineinlegte. Da standen die Kobolde daneben und warfen unschuldigst ihre Hände in die Luft.

Nun gut, egal wie, mit der Almbachfee wollte es sich keiner verderben, denn die Schlucht war einfach zu schön, so abwechslungsreich, dass es einem Kobold nie langweilig werden konnte. Keiner wollte woanders hin am Berg. Am Untersberg oder Wunderberg, wie sie ihn hier nannten. Und niemals auf einen anderen Berg als diesen sowieso.

Heute war die Almbachfee in bester Laune. Es sah sie nur keiner, nicht einmal Simi, die selbst kaum zu sehen war mit ihrem kristallwässrigem vor sich hinplätschernden Kleid. Und die Klammkobolde hielten sich versteckt. Sie beobachteten die Neuen aus dem Norden, von denen sie schon viel gehört hatten. Aber am Untersberg, da traute man all dem Gerede nicht. Zu viel wurde hier schon geredet in der Vergangenheit.

Die Beifußens und die Kinder wuschen und wuschen. Der Ehrgeizigste unter allen war natürlich Bert. Und Choi. Und Kyr. Naja, auch Jasi und Betti konnten nicht leugnen, dass das Goldwaschfieber sie nun vollends gepackt hatte. Das erkannte man deutlich daran, dass alle, eben auch Betti, Raum und Zeit vollkommen verloren hatten. Sie hatten nur Augen für die ewig im kristallklaren Wasser in den Goldpfandln kreisenden Steinchen und Sand aus dem Almbach. Ganz professionell sah es aus, wie alle eine gute Handvoll Bachsand aufnahmen und in ihre Goldpfandln gaben. Sie füllten sie mit Wasser an und bewegten die leicht schräg gehaltenen Pfandln kreisförmig, rum und rum und wieder rum. Bis das Wasser dabei über den Rand der Goldpfandln schwappte, was auch so sein sollte, denn so wurden die leichten Sandteilchen leicht entfernt. Die Gesteine, die übrigblieben, wurden sorgfältigst geprüft, denn die Goldkörnchen waren schwer, sogar etwa siebenmal schwerer als das Kalk- und Dolomitgestein des Untersbergs, und waren daher stets unten am Boden der Pfandl zu finden.

Ihr Ehrgeiz verdoppelte sich erst recht, als sie von der Familie ein paar Meter weiter Freudenschreie vernahmen, weil sie wohl, dem hysterischen Schrei nach zu entnehmen, einen ordentlichen Klumpen Gold gefunden hatten. Auch hier glitzerte es ständig, aber es waren nur kleine Quarzkristalle, kein Gold.

Choi sammelte nichtsdestotrotz hübsche Steinchen heraus und hatte schon einen kleinen Berg am Ufer angesammelt. Untersbergmarmor, sagte er.

Allein Fleißig machte eine Pause, denn er war noch ein bisschen angeschlagen wegen seines Magens. Er setzte sich auf eine vom Almbachwasser ausgespülte Wurzel einer Buche direkt an die Uferböschung. Schon saß ein Cousin neben ihm, den er vor lauter Goldaugen vorher gar nicht wahrgenommen hatte. Der hatte ihn nämlich die ganze Zeit mit einem Lächeln beobachtet, das vor allem das ausdrückte:

„Alter Wichtelbart aus dem Norden. Muss mich doch sehr darüber wundern, dass du als Wichtel und Vertreter von Frau Holles Erdvolk, nicht den direkten Weg zu den Schätzen unseres heiligen Berges nimmst. Stattdessen sehe ich dich besessen das Pfandl schwenken. Das tun nicht einmal unsere Wichtellehrlinge.“ Der überaus vollbärtige, überaus korpulente, überaus knollnasige, überaus zünftig gekleidete Wichtel stand neben ihm auf der dicken Wurzel und hielt seinen überaus blitzeblank geputzten Spaten zum Gruße in die Luft.

Sofort hüpfte Fleißig auf, schnappte seinen Spaten, den er zwischen den Baumwurzeln eingeklemmt hatte und es folgte die traditionelle Wichtelbegrüßung mit dem zweimaligen Aneinanderstoßen der Bäuche und dem Überkreuzen der Spaten. Dabei lachte der Bergwichtel aus den Tiefen seines Bauches.

„Du klingst wie ein Bär. Urig, alter Bergwichtelbart“, begrüßte ihn Fleißig. Sie setzten sich auf eine wie eine Brücke aus der Böschung herausragende Wurzel etwas weiter oben.

„Natürlich wie ein Bär. Er ist unser Schutztier. Früher, tja, da gab es hier noch viele. Jetzt traut sich kein Bär mehr in dieses Land. Und wenn, dann nur im Schutze des Waldes oder der Dämmerung, damit kein Mensch ihn sieht und ihn abknallt“, erklärte der Bergwichtel, dessen Namen wir noch nicht kennen. „Wir teilen gern unsere Höhlen mit den Bären. Im Winter gibt es nichts Gemütlicheres als einen Bären im Winterschlaf bei sich zu haben. Übrigens nennt man mich Meister Petz.“

Nun kennen wir seinen Namen. Hätte man sich auch denken können, denn irgendwie erinnerte alles an ihm an einen Bären inklusive der tapsigen Gangart, nur nicht die Größe. Eben ein Bär in mini. Mit Lederhosen und Vollbart. Übrigens kann man im Allgemeinen sagen, dass alle, das komplette Frau Holle Volk, genauer: das Frau Perchta Volk, hier in den Bergen deutlich tiefer sprach als die eh schon tiefer sprechenden Wichtel anderenorts. Alle klangen bäriger, brummiger.

Es dauerte nicht lange, da verschwanden die beiden in dem hinter den Wurzeln liegenden Eingang zur Höhle, zu einem Höhlensystem, zu einem gigantischen Höhlensystem, zu einem Höhlenlabyrinth, welches direkt in den Untersberg hineinführte.

Eini in die Klamm

„Joa Mei! Do seids ihr ja immer noch do! Wenndst ihr noch die Oalmbachklomm auffi gehen wollt, donn misststs ihr jetzt scho jetzt ummi kommn und in die Schlucht einni gehn. Man braucht schon a weng bis mer ohbn is. Es soll zum Oabnd hin regnen. Da bassts auf, doss ihr nid obi fallt, wenndst ihr obi geht. Die Stoa soan glatt, wenns noss sin. Aba a Brotzeit basst noch“, rief Friedl zu ihnen in den Bach.

„Wir haben doch gerade erst angefangen“, rief Bert, blickte aber nicht auf.

„Ihr seids schon mitten im Zeitloch des Unterschbergs anglangt. Es sain scho dreie Stunden vergangen, glaub mers“, rief der Friedl runter.

„Da Schäääf hot rescht!“, bekräftigte die Frau Oberin Friedls Worte.

„Was? Drei Stunden? Das ist völlig unmöglich!“ Bert wachte langsam auf und prüfte die Zeit auf seinem Handy.

„Es muss stimmen, denn ich habe einen Bärenhunger. Wir haben alle noch gar nicht gefrühstückfestmahlt. Danach suchen wir weiter!“, beschloss Sivoobal und schwang sich die Böschung hinauf. Es war tatsächlich das erste Mal, dass die Kobolde und die Feen so konzentriert über einen längeren Zeitraum an einer einzigen Sache haften blieben. Sie wurden davon vollkommen vereinnahmt. Zudem auch noch ohne Erfolg. Bis jetzt. Flax und Egal kletterten gleich hinterher, zusammen mit Simi, die natürlich selbstverständlich extra nur wenig gefestmahlt hatte, weil ihre Freunde ja nicht dabeigewesen waren, wer’s glaubt. Jetzt war der Hunger umso größer.

„Ich erkunde schon mal diese wunderschöne Schlucht und suche die Fee von diesem goldglitzernden Bach. Sie muss doch irgendwo sein. Komisch, dass sie sich uns noch nicht gezeigt hat und genauso komisch, dass zudem auch noch kein einziger Kobold aufgetaucht ist. Und Fleißig ist verschwunden. Dann die Zeit, die so schnell vergangen ist. Das ist alles ein bisschen sonderbar hier“, meinte Hee und flog eine Spirale hoch, um einen besseren Überblick zu bekommen.

„Fleißig ist mit seinem Cousin Meister Petz in den Berg. Ich sage ihm Bescheid, wo ihr seid, wenn er wieder naussi kommt“, kicherte entspannt Gänseblümchenfee mit einem kleinen bairischen Akzent. Sie liebte diesen Platz, das sahen alle von Weitem, so hell leuchtete sie.

„Donn kommts eini und nehmt‘s a kloane Brotzeit in unsrer Gostwirtschaft. Noch dreie Stunden Goldwäsche hobts bestimmt aa schoo wiedr an Bärnhunger und dann geht’s gestärkt nauffi, nauffi auf den Berg“, rief die Frau Oberin und rauschte voran ins Wirtshaus.

Alle folgten außer besagten Ätherischen.

„Ich kann es immer noch nicht fassen, wie die Zeit vergangen ist. Ich könnte schwören, es waren fünf Minuten!“, sagte Bert immer noch fassungslos, als sie sich in der rustikal eingerichteten Gaststube hingesetzt hatten. Am Nebentisch aßen sie schon deftiges Mittagessen, was ihn noch mehr verwundern ließ.

„Jo, die Zeit vergeht am Berg bei uns so manches Mal anders. Do missts Obacht gebn!“, meinte die Frau Oberin und lachte. Simi war wieder im Trachtenlook, was Flax völlig irritierte.

Sie bestellten ein Querbeet, von Wurst- und Käseplatten über Zwetschgenstreußelkuchen, Germknödel, Windbeutel und Eis mit Schlagobers, klar. Und Jasi wollte einen Pfannkuchen mit Schokoladensoße, das sollte hier so gut schmecken, hatte ihre Mutter ihr noch gesagt. Komischerweise wiederholte Frau Oberin ihre Bestellung zweimal, als hätte sie sie nicht verstanden, was eigentlich eher anders herum sein müsste. Das Bairisch war nämlich nicht wirklich einfach zu verstehen. Beim Friedl hatten sie schon ein paarmal nachfragen wollen, es kam aber immer eine Ablenkung dazwischen.

Das Bestellte kam und alle waren glücklich, besonders Flax, Sivoobal, Egal und Simi. Frau Oberin hatte sogar sicherheitshalber einen Butzlumpen mitgebracht wegen des Schlagobers. Bert sah sie darüber irritiert an, dann begriff er und bedankte sich für die Aufmerksamkeit. Ein Blick zu den Ätherischen und es war klar, dass auch dieser nicht ausreichen würde.

„Entschuldigung, aber ich hatte doch einen Pfannkuchen bestellt“, meinte Jasi. Sie hatte ein Omelett auf dem Teller.

„Es ist wie du gewünscht host. Nur die Soße hot der Koch in einen Extratopf“, antwortete Frau Oberin und ergänzte:

„I hob extra nochgefrogt, weil’s des scho a weng ungewöhnliche Kombination ist.“

„Aber das ist ein Omelett. Rührei in einem Stück. Sieht aus wie ein Pfannkuchen, ist es aber nicht. Und das mit Schokoladensoße? Das passt doch gar nicht zusammen“, protestierte Jasi unglücklich.

„Jo. Des basst nid“, meinte Frau Oberin, dann griff sie sich an die Stirn:

„Jetzt versteh i! Du meinst unsern Palatschinken!“

„Nein, keinen Schinken! Ich wollte einfach nur einen Eierpfannenkuchen mit Mehl und Eiern und Milch mit Schokisoße. Meine Mama hat gesagt, dass das hier so lecker schmeckt. Eigentlich wollte ich sogar noch eine Kugel Vanilleeis dazu und Sahne, Schlagobers“, erklärte Jasi und erntete ein „Iii“ von allen am Tisch bei der Vorstellung von Rührei mit Schokisoße, Eis und Sahne. Ging gar nicht.

„A ge! Palatschinken hoasts bei uns und Eierpfannkuchen bei eich. Des hot nix mit Schinken zu tun. Und unser Pfannkuchen ist bei eich das Omelette. Des basst wirklich ned zsammen. I nehm den Pfannkuchen wieder mit. Der Koch zaubert dir einen Palatschinken wie du ihn lieben wirst!“, schlug die Frau Oberin sehr freundlich und einfühlsam vor und rauschte gen Küche.

Das Omelett hatten sie behalten. Choi und Kyr teilten es sich zu Zwetschgenstreußel und Windbeutel. Auch nicht besser die Kombination.

„Ach, und da schreit ihr laut ‚Iii‘. Eure Kombis sind ja viel schlimmer!“, kommentierte Jasi mit spitzer Schnute. Simi verzichtete ausnahmsweise auf ihre anteilnehmende spitze Schnute, denn so konnte man schlecht die Zeigefinger ableckern.

„Das Essen hier ist feeisch lecker. Es ist fast fasching!“, rief sie entzückt, dass Jasi lachen musste. Erst recht, als ihr Palatschinken kam. Das war ein Fest für alle Jasi-Sinne und natürlich Simi-Sinne.

„Das ist fasching-feeisch!“, jauchzte Simi.

„Oberknorke koboldisch!“, riefen Flax, Egal und Sivoobal, die sich jetzt auf Jasis megaleckeren dünnen Eierpfannkuchen, mit Vanilleeis und Sahne mit dekorativer Schokosoße darüber, stürzten.

Bert wischte verantwortungsbewusst hinter ihnen her. Er hatte ja den Butzlumpen.

„Wir nennen dich ab heute den Butzlumpen-Bert!“, lachte Betti, nachdem er bereits alle Servietten benutzt hatte und sie auf seinem Teller auftürmte. Als die Frau Oberin zum Abräumen nahte, verteilte er sie schnell wieder auf die anderen Teller, damit er sich nicht erklären musste. War schon komisch genug, dass von dem echten Butzlumpen kein sauberer Fleck mehr zu sehen war.

Fleißig war immer noch nicht da.

Friedl stand bei den Kastanien und redete mit Gästen, klar. Er winkte zu ihnen rüber:

„A geht’s jetzt auffi in die Klamm! Gebt’s fei ocht, dass ihr nid obi fallt am Berg. I geh jetzt einni und hol mir mai Jankerl, damit i wiedr aussi gehen kann. Gonz genau. Geht’s do ummi zu di Pfandl, do gibt’s a die Einlasskoartn fir die Klamm. Pfiat eich olle miteinandr!“, rief Friedl und die Kinder verstanden nichts von dem. Gar nichts.

„Ja, danke. Servus! Bis heute Abend, Friedl!“, rief Bert ihm zu. Beste Freunde.

„Und kommts obi wenn‘s noch hell is! Es soll regnen auf d‘ Nocht. Servus und mochts guat!“ Dann verschwand Friedl auffi, obi, ummi, eini, aussi, nauffi, wie auch immer, jedenfalls im Gasthaus.

Die anderen zogen los, während die Kinder sich von Bert und Betti über all diese Obis und Ummis aufklären ließen.

Auffi bedeutet hinauf, nauffi hoch, aussi hinaus, obi hinunter, eini hinein, ummi herüber oder hinüber, ohm oben, fiari vorn, hinta hinten und umanand heißt drumherum.

Das Schwierigste ist wohl obi, das heißt nämlich nicht oben oder nach oben, sondern runter, also von oben runter. Joa mei, des wird schoo!

Choi hatte noch nach Fleißig gesehen und war die kleine Böschung zum Almbach runtergekraxelt. Gänseblümchenfee zeigte die Stelle bei den ausgespülten Wurzeln, wo sie ihn als letztes gesehen hatte. Choi versuchte, irgendetwas hinter dem Wurzelwirrwarr zu erkennen.

„Ich glaube, dort ist eine Höhle oder ein Gang. Dort ist er bestimmt mit seinem Cousin hinein verschwunden, quasi eini“, stellte er fest und rief ein paar Mal laut Fleißigs Namen durch die Wurzeln.

Ein Vater war gerade mit seinem wohl vierjährigen Sohn ans Ufer obi gerutscht und verdrehte die Augen argwöhnisch, als er Choi immer „Fleißig“ in die Wurzel rufen sah. Sonderbarer Junge.

Tss, sonderbarer Mann.

Gänseblümchenfee wollte sowieso hierbleiben, weil sie diesen Ort liebte und meinte zuversichtlich, es käme schon ein Hollerbusch am nächsten passenden Ort für sie zum Nachreisen. So lange wollte sie die Zeit hier genießen. Sie kannte zwar keine Schluchten, mochte sie aber irgendwie nicht, obwohl schon so einige Schwestern sich entlang des Weges an ebenso schönen Plätzen am Almbach angesiedelt hätten. Sie wollte dennoch lieber hier auf Fleißig warten und mit ihm eini in die Klamm nachkommen.

Das besondere an diesem Klammweg war, Klamm war bekanntlich das Gleiche wie Schlucht, dass der Weg die ganze Zeit am Bach entlangführte, am Almbach. 200 Höhenmeter waren zu überwinden, was sie kaum spürten, da die Klamm mit ihrem verspielten Bachlauf von steileren Stücken ablenkte. Alles war neu für die Teenies und sie waren absolut begeistert. Choi sammelte einen Stein nach dem anderen, bis Jasi meinte:

„Bist du narrisch! Wir kommen diesen Weg doch wieder zurück. Da würde ich nicht jetzt schon alle Steine auffi schleppen. Ich lege meine Schätze an bestimmten Orten ab und auf dem Rückweg sammle ich alle ein“, prieß Jasi ihren genialen Plan. Simi nickte eifrig, denn sie zeigte ihr immer die tollen Verstecke.

Kyr freute sich über alles, was da krabbelte und Betti rätselte darüber, was aus den kleinen Pflanzenansätzen wohl entstehen würde. Betti fand sogar Orchideen! Sind natürlich geschützt! Wie schön würde es hier im Sommer aussehen! Bert analysierte jede Brücke nach Statik, Material und Gewagtheit.

Bei der ersten Brücke sang er:

„Über eine Brücke müsst ihr gehen!“

Bei der zweiten:

„Über zwei Brücken müsst ihr gehen.“ Und so ging es alle 29 Brücken und Stege, uff. Erst fanden sie es lustig, dann waren sie genervt und nach einiger Zeit sangen sie schließlich alle mit. Gegen den Ohrwurm konnten sie sich nicht wehren. Sie waren infiziert. So kann es gehen, wenn man eine gewisse Hartnäckigkeit an den Tag legt.

Erst kam ein kleines Waldstück, doch dann ging es direkt eini in die Klamm, wahrhaftig. Steile Felswände taten sich auf von beiden Seiten des schmalen Almbachs. Der Weg führte direkt an ihm entlang, mal etwas höher, mal als ein kaum zwei Fuß breiter Pfad, mal als Steg am Felsen über dem Bach, als Treppe, oder eben als Brücke zur anderen Seite, hin und her, meistens nauffi, selten ein bisschen obi. Auf diese Weise erschloss sich ihnen eine traumhafte Schlucht mit einer großen Vielfalt an Natur und Wasserlauf. Ziemlich zu Anfang kam ein Wasserrinnsal auf der rechten Seite, das eine sehr hohe Felswand hinunterrann. Öfters tropfte es auf ihren Weg, auf ihre Köpfe. Sie labten sich an dem Wasser, indem sie ihre Münder weit öffneten und das frische saubere Bergwasser von moosbewachsenen Felsen hineintropfen ließen. Jasi schimpfte wie ein Rohrspatz und wollte nicht weiter trinken, weil das Wasser nicht in ihren Mund tropfte, sondern ihr komplettes Gesicht nass spritzte. Wer das wohl gewesen war?

Sivoobal war sowieso unendlich glücklich und Flax schwang sich behende hinauf. Egal ließ sich von Kyr tragen, in dessen Rucksack, den er in der Hand trug, damit Egal näher zur Erde war. Simi genoß die Aussicht auf Jasis Schulter und spähte Stein- und Stockverstecke aus und schrie wie am Spieß, wenn ein Wassertropfen nahte. Die Klamm barg viele Schätze. Gut, dass sie mit Beifußens Bully hierwaren.

„Ich hatte mich zwar erst gewundert, aber bei näherem Hinsehen ist es kein Wunder, dass sie hier Eintritt nehmen. Dieser Weg mit diesen vielen Brücken, Stegen und Treppen muss sicher oft gewartet werden. Das Wasser kann bisweilen eine enorme Kraft entwickeln. Da haut es gern mal die Holzbrücken weg. Deswegen wurden diese sicher nach und nach durch metallene ersetzt. Da, seht euch die querliegenden Baumstämme an!“, meinte Bert und deutete auf zwei Baumstämme, die deutlich, also gut zwei Meter, über dem Bachlauf zwischen den Felswänden links und rechts festklemmten.

„Warum hängen sie dort so weit oben? Wie kommen die dorthin? Das ist doch sonderbar“, überlegte Choi.

„Ist doch klar, das waren Riesen!“, meinte Kyr wie selbstverständlich.

„Jetzt sieht es komisch aus und man wundert sich. Aber wenn du sehen könntest, wie es zur Schneeschmelze ist, oder bei starken Regenfällen, dann quillt dieses liebliche Bächlein zu einem reißenden Strom an, der sich durch die zum Teil sehr schmalen Steinrinnen und Steinstufen hinunterpressen muss. Dabei reißt er natürlich das Holz mit sich, das in die Schlucht von den Hängen hinunterfällt. Auch werfen sie die Baumstämme, die aus Sicherheitsgründen abgesägt wurden, in die Schlucht. Mit dem nächsten Hochwasser werden sie dann gen Tal hinunterbefördert“, erklärte Bert und blickte ehrfurchtsvoll die Felswände hinauf.

„Obi meinst du“, meinte Jasi und grinste.

„Aber nur, wenn sie vorher zum Sägen auffi gegangen waren“, meinte Kyr.

„Bei so viel Wasser kehrt man besser eini“, meinte Choi. Okay. Sie hatten das Prinzip von eini, umi, auffi, obi und Co. verstanden.

Bert gab nicht auf:

„Ist es nicht bestaunenswert, wenn man sich vorstellt, wie sich der Bach in die kalkhaltigen Felsen im Laufe der Jahrtausende hineingearbeitet hat? Gumpen heißen übrigens diese schönen runden Becken unterhalb der hübschen Wasserfälle. Haben die Wasserstrudel durch den Aufprall des Wasserfalls über die Jahre wunderschön in den Kalkfelsen gearbeitet und glattgeschliffen.“

„Die sind hübsch. Wie Natur-Badewannen. Wenn es wärmer wäre, dann könnte man sich glatt dort reinlegen“, meinte Jasi.

„Und das Wasser sieht richtig türkis aus! Wie das Meer in den Tropen. Überhaupt wechselt das Wasser ständig seine Farbe und sein Aussehen. Wie wohl da die Wasserfee aussieht? Wenn das Wasser ganz ruhig fließt, dann ist es so klar und man kann kaum erkennen, dass dort überhaupt Wasser fließt“, bemerkte Choi und betrachtete prüfend wieder einen Stein.

„Suchst du bestimmte Steine?“, fragte Betti interessiert.

„Ich guck immer nach Bruchstellen. Wenn die glitzern, dann mehme ich sie mit. Die sehen aus wie Marmor“, meinte Choi und lächelte zufrieden. Auch dieser Stein wurde hinter einem mit Moos bewachsenen Stein deponiert. Plötzlich rollte ihm dieser wieder vor die Füße. Gleichzeitig mit ihm ein Kobold samt Staub. Gleichzeitig mit dem Kobold zwei weitere staubige Kobolde. Gleichzeitig mit den drei staubigen Kobolden erklang direkt neben ihnen über dem Almbach, dass sie sich alle derbe erschraken… die Wasserfee! Die sahen sie allerdings nicht, aber sie war unüberhörbar:

„Habe ich euch nicht schon tausend- und abertausendmal erklärt, dass ihr eure zappeligen Finger von den Steinen lassen sollt, wenn sie bereits gut liegen? Ihr sollt auf die Klammgäste aufpassen und sie nicht gefährden! Muss ich immer hinter euch hersein und euch maßregeln? Für solchen Koboldscherz ist hier in der Klamm und am Berg überhaupt, hört ihr, überhaupt kein Platz! Für solche Närrischkeiten geht runter auf eine Wiese. Dort könnt ihr euch austoben, aber nicht hier! Ständig diese Steine, die sich lösen, nur, weil ihr meint, ihr müsst wieder artistische Kunststücke aufführen, die sowieso keiner sehen kann. Jetzt seid ihr schon dreihundert Jahre alt und älter und ihr habt es immer noch nicht begriffen. Ihr Koboldkindsköpfe, ihr!“

Oh, oh. Eine Standpauke. Betti, Bert und die drei Teenies wagten nicht, sich zu bewegen und standen wie festgefroren.

„Aber nein. Ich schimpfe doch nicht mit euch, sondern mit diesen Nichtsnutzen von Klammkobolden. Dann geht es mal sieben Tage wunderbar und sie helfen und tun, wo sie können und dann, haste nich gesehen, siebenmal das Chaos pro Tag. Der Stein hätte dir auf die Füße rollen können, du hättest dich erschreckt, wärst zurückgewichen, hättest dich vertreten, wärst gestürtzt, wärst Richtung Bach gefallen, den Hang hinunter geschlittert, dein Kopf wäre auf einem Stein aufgeschlagen, das Blut wäre…“

„Nein, nein, nein! Es ist ja alles gut. Der Stein ist doch nur winzig und ich habe ihn vielleicht auch nicht richtig hinter den Moosstein gelegt. Da können die Kobolde vielleicht gar nichts…“, unterbrach Choi schnell, denn das wurde ja immer krasser, wie ein Wasserfall! Da unterbrach auch gleich die erste Koboldine staubender Weise:

„Ganz genau! Wir Kobolde können vielleicht gar nichts dafür. Und ich habe nur den Sitz des Steines geprüft, übrignens schicker Stein, echter Marmor. Hast ein gutes Auge für unseren Marmor!“

Choi lächelte. Er mochte sie sofort, diese Klammkobolde, die bei jeder Bewegung irgendwie staubten, sich quasi in einer kleinen Staubwolke fortbewegten. War irgendwie auch klar, denn der Stein war ja kalkhaltig, mal mehr, mal weniger und bröselte an manchen Stellen und staubte also schnell.

„Das ist mir ganz egal. Es geschah, als du kleines Koboldfrüchtchen genau zu dem Zeitpunkt genau an dieser Stelle warst. Das nenne ich keinen Zufall! Ich lasse mich nicht von euch an meiner hübschen Almbachklammnase herumführen. Was meint ihr, was alles am Berg passieren kann und was alles Schreckliches schon passiert ist?“, fuhr die unsichtbare Wasserfee fort. Sie hatte sich aber schon wieder etwas beruhigt. Etwas.

So sehr sie sie anstarrten, es war absolut nichts von ihr zu erkennen. Nicht einmal Luftverzerrungen waren zu sehen. Der etwa zwei Meter weiter unten fließende Almbach war klar zu sehen. Er plätscherte in zwei kleinen Wasserfällen eigentlich recht ruhig hinunter, obi, und tänzelte um die Felsen und Steine im Bachlauf. Und um ein Steinmanderl, wie das auch immer dorthin geraten war.

Simi erhob sich stolz auf Jasis Schulter, schüttelte ihr Dirndl zurecht und sprach:

„Darf ich uns vorstellen, edle Wasserfee des Almbachs? Ich bin Simi, eine der wenigen Chamäleonfeen dieses Landes, des Europalandes und überhaupt. Und das alles sind meine Freunde.“ Dann flog sie hinunter, stellte sich auf einen über den Bach ragenden Felsen und ward nicht mehr gesehen.

„Oh, welch ein hübsches Kleid du trägst!“, rief die Wasserfee entzückt. Nun, man sah es zwar nicht, aber man konnte das Entzücken an der veränderten Stimmlage entnehmen.

„Danke, edle Wasserfee. Du bist eine wahre Meisterin! Ich habe noch keine Fee mit solch einem langen abwechslungsreichen Kleid gesehen. Ein Traum eines Wasserkleides! Dieser ständige Farbwechsel. Ein absoluter Feentraum!“, schwärmte und plingte Simi und man konnte sich vorstellen, dass sie ihre Hände vor der Brust faltete und ihre Augen entzückt verrollte.

Aber man sah sie ja nicht. Beide nicht.

„Verstehe ich das richtig? Bist du das alles? Ich meine, der ganze Almbach? Nicht mal hier mal da, sondern alles, also überall gleichzeitig? Das ist erhaben!“, staunte Jasi. Plumps, da tropfte es auf ihren Kopf. Die Kobolde lachten. Alle, auch Egal, den Kyr auf einen morschen Baumstumpf mit Baumpilzen gestellt hatte, damit dieser ein bisschen auftanken konnte. Er saß natürlich sofort umgekehrt wie gewohnt auf dem unter dem Pilz. Und auch Sivoobal und Flax, die gerade zu ihren neuen Kumpels heruntersprangen, natürlich mit Salto und Doppelschraube. Staubender Koboldapplaus. Hee verrollte ihre Augen im Vorüberwehen und Simi sowieso. Sah man nicht, konnte man sich denken.

Die Kobolde waren sofort mit Kunststücken beschäftigt. Gut, dass sie derzeit die einzigen Wanderer hier waren, denn die Staubflocken waberten jetzt überall um sie herum. Hier war es zudem recht eng. Nur Betti und Bert standen weiter vorn, wo der Weg wieder etwas breiter wurde.

„Wieso fallen einem ständig diese Tropfen auf den Kopf? Es hat doch gar nicht geregnet. Woher kommt all das Wasser? Ist das alles noch vom Schmelzwasser? Doch ich sehe keinen Schnee mehr hier oben. Aber man kann ja eh nicht nach oben gucken, so steil, wie die Felswände hier sind“, fluchte Jasi und wischte in ihren Haaren herum.

Die Kobolde klatschten ein.

„Das ist nicht lustig! Jemand kann sich darüber erschrecken und unachtsam handeln, sich vertreten, den Hang hinunterrutschen, auf einem spitzen Stein den Schädel aufschlagen, das Hirn…“ Unterbrechung.

„Nein, nein, liebe Wasserfee! Es ist nicht so schlimm. Meine Schwester Jass übertreibt nur ein bisschen. Sie liebt Wasser über alles. Am liebsten würde sie bestimmt auch wie diese kleinen Fischlies im Almbach glücklich in deinem hübschen Wasserkleid herumschwimmen“, meinte Choi, der Diplomat. Jasi wollte protestieren, doch Choi blickte sie beschwörend an und sie verstand:

„Oh ja. Im Grunde liebe ich es. Zu Hause laufe ich auch immer ohne Regenschirm durch den dicksten Regen.“

„Das ist auch ungesund, so als Menschenkind, bei Kälte im Regen. Ach, was rede ich. Was du zu Hause machst, kann mir egal sein, aber nicht hier. Also, ihr nichtsnutzigen Klammkobolde, keine Tropfen, keine Steinerl mehr lösen, egal wie klein sie auch sind.“ Puh, sie war wirklich sehr streng. Jasi zog eine Schnute.

„Sie meint es doch nur gut. Merkt ihr das denn nicht?“, rechtfertige Simi ihre Traumkleidfee.

„Richtig. Du bist die erste, die mich hier versteht. Du bist auch die Einzige, die sich voll in mich hineinversetzen kann. Danke, hübsche Fee. Es steht dir außerordentlich gut, das Almbachkleid. Du bist eine sehr talentierte Chamäleonfee. Ich habe euch vorhin am Ende meines Bachlaufs beobachtet und freue mich sehr über deine Gesellschaft“, sprach die Wasserfee jetzt in einem sehr milden, weichen Tonfall. Nur kurz, denn sie hatte noch nicht alles gesagt. Die Kobolde kamen noch nicht einmal zum Augenverdrehen bei so viel gegenseitigen Feenschmeicheleien.

„Ich will nur, dass ihr alle aufpasst und nicht anderen schadet. Es reicht schon, dass die Pluvos so oft so unachtsam sind und sich grenzenlos am Berg überschätzen. Sie denken, sie können den Gämsen nacheifern. Können sie aber nicht, weil sie keinen Sinn für den Berg, ihr eigenes Gleichgewicht und ihre Geschicklichkeit haben. Besser gesagt: Ungeschicklichkeit. Haste nicht gesehen, rutscht wieder einer ab und am Berg gibt es nichts, was dich hält, wenn du am Hang bist. Höchstens ein Baum, gegen den du schmettern kannst oder ein Fels, auf den du spontan prallst, aber ansonsten wirst du schneller und schneller und reißt Gestein mit, das sich löst, dich überholt und den nächsten unter dir erschlagen kann, ganz abgesehen, von der Lawine, die du mit deiner bescheuerten Unachtsamkeit gelöst hast, die dann andere bis zu einem Haus mitsamt seiner Bewohner, Ziegen, Kühe, Hund und Katz und sogar einen ganzen Ort unter sich begraben kann. Ob unter Gestein oder Schnee. Ist das gleiche Prinzip. Und das alles nur, weil da ein achtloser Superdepp am Hang oben war. Solche Deppen reichen. Und wenn ihr Kobolde zudem noch…“

„Basst scho! Basst scho! Wir sind ja achtsam! Wir passen ja auf! Es ist doch noch nicht wirklich etwas durch uns passiert. Nur Kleinigkeiten“, unterbrach der erste Klammkobold den gigantischen Wasserfall und staubte aufgeregt vor sich hin.

„Von wegen Kleinigkeiten! Die vielen verknacksten und gebrochenen Füße, Schenkel, Beine, zähle ich nicht als Kleinigkeit. Auch eine Gehirnerschütterung nicht. Auch eine Erkältung nicht, Husten, Bronchitis, Lungenentzündung…“ Unterbrechung.

„Wie können Kobolde denn eine Lungenentzündung verursachen?“, wollte Kyr jetzt wissen.

„In den Bach gefallen, nasse Haare wegen der vielen Tropfen und Quellwasser auf den Kopf, eisige Winde, nasse klamme Klamotten, frieren, dadurch Erkältung, und dann, was weiß ich, was kommen kann. Die Wasser erzählen sich viel von den schlimmen Szenarien am Berg. Es geht darum, dass unsereins nicht der Verursacher sein darf. Das ist das Gesetz. Das ist Frau Holles Gesetz. Das ist heilig. Und an das sollten sich auch diese Lausekobolde halten. Früher war das anders, da haben wir Pluvos in den Berg gelockt, haben sie verzaubert und sie der Zeit entlockt, sie willenlos gemacht, sie mit unseren Wichteln verbändelt, haben Kinder getauscht…“

Plötzlich änderte sie das Thema:

„Ihr solltet jetzt aber langsam weitergehen. Es wird bald anfangen zu nieseln. Der Regen kommt etwas später. Das werdet ihr schaffen. Aber nicht, wenn ihr weiter so trödelt. Denn die Dunkelheit kommt schnell am Berg. Auch das unterschätzen die Pluvos in schönster Regelmäßigkeit und das ist immens gefährlich. Keine Taschenlampe mit am Berg, dann sieht es schlecht aus. Wie viele haben sich da leichtesten Falls schon ein Bein gebrochen. Dann müssen sie in der Nacht gesucht werden. Bergrettung muss ausrücken, bei Wind und Wetter. Andere müssen herhalten für die unglaublichen Dummheiten. Andere werden gefährdet. Tja. Und der eine oder die andere sind auch schon auf ewig hier geblieben. Unser Wunderberg, der Untersberg, weiß ein Lied davon zu singen und ebenso der Watzmann hier nebenan. Der ist schon ganz berühmt durch die unzähligen Unfälle an seinen steilen Wänden.“

Kurze Pause.

Jetzt schien sie alles gesagt zu haben, was sich mal wieder angestaut hatte. Jetzt wurde sie ruhiger. Da sie nicht wussten, wie lange diese wohlige Stimmung anhielt, meinte Bert:

„Dann wollen wir achtsam weiterziehen. Wir haben noch einiges vor uns und schließlich suchen wir noch eine Quelle. Vielleicht haben wir die Ehre, dass du, liebe Almbachfee, uns dabei behilflich sein kannst. Du kennst sicher eine sichere Quelle für die Aufgabe des Wett-Teams. All die Quellen über uns in den Hängen sind unerreichbar für uns.“

Das war genial knorke von Bert. Denn sie lachte – herzerfrischend und fröhlich sprudelnd sagte sie:

„An Quellen soll es euch nicht mangeln. Überall am Berg tritt das Wasser heraus und tropft auf eure Köpfe, wenn die Kobolde nicht achtgeben. Ich führe euch zu einer sicheren Quelle. Seht, dort hättet ihr den Blick frei zum Wunderberg. Schon seit Tagen hängen seine Gipfel in tiefen Wolken, manchmal bis hinunter zu uns. Er hat seine Gründe. Er zeigt sich, wem und wann er will. Zunächst geht voran bis zur Theresienklause. Dort leite ich euch dann weiter zu einer meiner Quellen. Und achtet auf den hübschen Wasserfall, wo der Sulzbach in den Almbach mündet. Ein wundervoller Akzent meines Kleides.“

Stimmen aus dem Berg

Sie schien weg zu sein, jedenfalls nahmen alle plötzlich wieder das Rauschen der Wasserfälle wahr, die Vogelstimmen, den Wind, das leichte Nieseln, das aber schon bald wieder aufhörte. Würde es schlimmer werden, würden sie besser umkehren, nach diesen eindringlichen und bildhaften Schilderungen der Wasserfee. An den meisten Stellen konnte man sich hier aber gut festhalten und die Wege waren auch recht sicher.

Als sie der Weg durch einen kurzen dunklen Steintunnel führte, meinte Jasi plötzlich, dass sie Fleißig habe lachen hören. Alle stoppten im Tunnel und lauschten. Tatsächlich, Betti hörte es auch, dann Kyr und Choi. Nur Bert nicht. Sie riefen Fleißig. Keine Antwort. Sie tasteten im Finstern die Tunnelwand ab, doch sie war nur nass und kalt und manchmal komisch glibschig, dass Jasi es unheimlich fand und ihre Hand zurückzog und einsteckte. Obwohl der Tunnel nur kurz war, gab es eine Stelle, wo man weder Ein- noch Ausgang sah. Zwar gewöhnte sich das Auge an die Finsternis, zumal durch das nahe Licht der Ein- und Ausgänge schon zu sehen war, wo es hinging. Aber in der Mitte erkannte man nichts, was an der Wand war und wie sie aussah. Man musste sich sogar ducken. Genau in der Mitte des kurzen Tunnels, da hörten sie wieder Fleißigs Lachen und ein bäriges Lachen noch dazu.

„Das klingt nach Bergwichtel Meister Petz. Wir kennen uns nur in der Klamm aus, auch in vollkommener Dunkelheit kennen wir jeden Stein, klar. Aber was im Berg vor sich geht, darum kümmern wir uns nicht. Es klingt zwar manchmal spannend, als würden sie singen und Feste feiern. Aber wir lassen unsere Wasserfee keinen Augenblick im Stich, nicht einmal für Parties. Wir haben hier Party genug, und das jeden Tag“, meinte ein Klammkobold. Die Kobolde klatschten ein, dass man sogar im Tunnel den Staub erkannte.

„Vielleicht ist er gar nicht so weit weg von uns. Er ist ja mit seinem Cousin in einer Höhle weiter unten verschwunden. Und sein Lachen hallt vielleicht durch die Gänge, die hier vorbeiführen. Krass!“, überlegte Choi.

„Du hast eine blühende Fantasie, Brüderchen. Wir sind schon eine ganze Strecke gegangen und auch viel höher als der kleine Höhleneingang beim Baum unten vor der Kugelmühle. Du glaubst doch selbst nicht, dass er mit seinen kurzen Beinchen hier ganz in der Nähe im Berg sein soll.“ Jasi schüttelte ihren Kopf und verrollte die Augen. Simi ausnahmsweise nicht. Sie zog nur eine spitze, dieses Mal nachdenkliche Schnute. Alle standen dicht gedrängt in der Mitte des Tunnels und lauschten in alle Richtungen. Bert meinte:

„Er hat gar nicht so Unrecht, der Choi. Der Untersberg ist bekanntlich durchzogen von vielen Gängen und Höhlen, die längst noch nicht alle erforscht wurden. Wie wir es hier draußen erkennen können, lässt sich der Kalkstein sehr gut vom Wasser auswaschen. So auch im Innern des Berges. Sagenumwoben ist der Berg daher wie kein anderer. Natürlich kann der Schall seinen Weg durch den Berg durch die vielen Gänge finden. Es kommt ganz darauf an, wie die Gänge aufgebaut sind: klein, eng, gewunden, kantig oder weit, lang, abgeschliffen. Ich denke, alle Varianten sind im Untersberg vorhanden. Mythen erzählen, dass Kobolde und Zwerge im Berg wohnen und riesige Schätze hüten…“ Eine Klammkoboldine unterbrach ihn entrüstet:

„Ha, von wegen Mythen! Natürlich sind da unsere Höhlenkumpels und die Wichtel, die in unserem Wunderberg in glitzernden Räumen wohnen, in die sie niemanden hineinlassen. Und wenn sich ein Mensch hineinwagt, dann lassen sie ihn auch nicht mehr hinaus, besonders wenn er den König…“

„Bist du still!!! Das darf doch keiner wissen, du Plappertasche!“, wetterte der erste Klammkobold und es staubte ordentlich zwischen den beiden. Glücklicherweise lenkte Jasi das Thema um:

„Was? Sie halten die Menschen gefangen und lassen sie sterben?“, fragte sie entsetzt und schielte schon nach dem Ausgang. Nicht, dass irgendein Bergwesen sie in den Berg zog.

„Ich will wieder raus“, meinte sie bei dem Gedanken und ging rasch ein paar Schritte vor. Da aber keiner mitkam, ging sie vorsichtig

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 26.12.2018
ISBN: 978-3-7438-9172-2

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