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Frau HOLLES Volk

 

Band 1

 

Die verborgene Welt

 

Angela Scherer-Kern

 

 

Das komplette Werk von Frau Holles Volk ist urheberrechtlich geschützt.

Alle Rechte vorbehalten, auch die der auszugsweisen Kopie, Vervielfältigung und Verbreitung gleich durch welche Medien, sowie der Übersetzung bedarf der ausdrücklichen, schriftlichen Genehmigung der Urheberin.

Kontakt: atelier@lunartis.de

 

 

Text und Foto ©Angela Scherer-Kern

erschienen 2015, überarbeitet 2020

Umschlaggestaltung: ©Angela Scherer-Kern

 

 

Weitere Werke der freischaffenden Künstlerin und Buchautorin

Angela Scherer-Kern: www.lunartis.de

 

 

Für meine Familie und die Kinder dieser Erde

 

 

 

Winterwandertag

„Wie blöde von Herrn Sommerling und Frau Hafermann so kurz vor Weihnachten noch einen Wandertag einzuschieben. Bei dem eisigen Wetter! Und dann noch in den Wald, wo nichts zu sehen ist. Alles ist tristlangweilig!“, empörte sich ein Mädchen, von dem nur die blauen Augen zu sehen waren und der untere Teil ihres blonden langen Zopfes, der unter einem dicken Wust von Schal, Mütze und Fellkapuze herausragte.

„Ha! Sei nicht so zimperlich, Jasi. Du siehst doch immer so aus, als kämst du geradewegs aus dem Wald. Erde, Moos, Laub. Überall hängt etwas: an der Kapuze, am Stiefelrand und an deinen Handschuhen. Siehst aus wie eine Mischung von Moosweib und Wildschwein“, machte sich ein sommersprossiger Junge mit einem blonden Lockenkopf lustig, natürlich ohne Kopfbedeckung und lediglich mit einer Sweatjacke bekleidet, immerhin gefüttert. Einen Schal trug er, der aber demonstrativ keine Wärmefunktion hatte, denn er hatte ihn einfach locker um den Hals geschlungen, cool vorn offen.

„Lass‘ mich, du nervst!“, motzte Jasi zurück.

„Ja, Kyr, du hast recht. Hört nur wie sie grunzt!“, feixte einer seiner Klassenkumpels und alle Jungs lachten sich schlapp und grunzten sich einen.

„Ihr seid mir zu doof. Ich gehe rüber in die Gruppe von Frau Hafermann“, sagte Jasi leicht beleidigt, drehte sich postwendend um und ging in die andere Richtung, der anderen Gruppe hinterher. Deren letzte Schüler sah sie gerade noch, bevor sie rechts in den Wald abbogen.

Sie fing an zu laufen und hörte noch, wie das laute Grunzen hinter ihr abrupt abbrach und eine tiefe Männerstimme diese Nervis jetzt maßregelte. Sie grinste frohlockend.

Plötzlich hielt sie inne und lauschte. Sie hörte irgendwie Musik. Zarte Töne, kein Gesang. Ihr Klingelton vom Smartphone war es nicht. Von der Gruppe hinter ihr konnte es nicht sein und auch nicht von ihren Mitschülern kurz vor ihr. Die Töne, eine Art liebliches Flöten, kamen eindeutig von schräg links. Waren es Vögel? Sie klangen anders als das gewohnte Vogelgezwitscher, sogar völlig anders. Vielleicht handelte es sich um einen neuartigen Vogel hier im Wald. Vielleicht um einen sehr seltenen Vogel oder gar einen entflogenen tropischen Vogel?

Wie hypnotisiert drehte sie nach links ab vom Weg und folgte den fremden Tönen mitten durch den Wald. Oh, oh.

 

 

Der Empfang am Wurzelgrubentor

„Kommt herein in die gute Stube,

die gemütliche Wurzelgrube!

Kommt herein edle Völker der Erde!

Auf dass unser Fest ein Knüller werde!“, begrüßte ReimHein, ein kleiner braungrüner Wurzelkobold mit einem braunen und einem grünen Auge, fröhlich singend seine Gäste vor dem Wurzelgrubentor. Er bestand quasi nur aus grünen und braunen Wurzeln: Wurzelgürtel, Wurzelhut, Wurzelstiefel, Wurzeltop aus feinen Wurzeln, Wurzelarmbänder, Wurzelkette.

Leicht grimmig erspähte er Sieh-mich-Sieh-mich-nicht, kurz auch Simi-Simini, aus der Familie der Chamäleonfeen, die seit Monaten auf ihren heutigen Auftritt hingearbeitet hatte:

„Sei gegrüßt, ReimHein aus der Familie der Wurzelkobolde! Wie schön, dass wir dieses Jahr bei dir die Wintersonnenwende feiern dürfen! Deine Wurzelgrube ist der perfekteste Ort, um den kürzesten Tag und die längste Nacht zu feiern. Bezaubernd sind all diese Wurzeln und Würzelchen! Immerzu voller Lebenskraft! Hübsch, hübsch hast Du es hier!“

Das Augenzwinkern jeder Fee erklang wie der Klang feiner Glöckchen und so hörten wir Simi-Siminis freudiges Plingen. Schon schwebte die Chamäleonfee anmutig in das Wurzelreich hinein. Durch einen gekonnten Dreher brachte sie ihr kunstvolles Wurzelkleid zur Geltung. Ein anerkennendes „Aah!“ folgte. Da war er, ihr lang ersehnter Augenblick!

Auch wenn sie ReimHein damit die Show stahl freute sich der Wurzelkobold trotzdem über diesen hübschen Wurzelanblick. Sie machte damit den Wurzeln nämlich alle Ehre und das konnte ein Wurzelkobold einfach nur gutheißen.

Simi-Simini verdrehte ihre Augen und hielt ihre Hand an die Stirn:

„Hier drinnen ist es doch abertausend Mal besser als draußen in der tristen Landschaft mitten im Matsch wie letztes Jahr. Man wusste gar nicht, was man anziehen sollte! Es waren ausschließlich die Nebel- und Regenfeen in festlicher Stimmung.“ Sie seufzte theatralisch bei der Erinnerung.

„Naja, wir Kobolde fanden es schon außerordentlich…“ Aber weiter kam ein kleiner Pilzkobold von ganz hinten nicht. Schwups war er von Windfeen umzingelt, die ihn mit erhobenen Augenbrauen Punktum zum Schweigen brachten.

„Ja, ja, ich meinte doch außerordentlich... schmuddelig! Wir Kobolde hatten schließlich nur versucht, aus der matschigen Situation das Beste zu machen…“, versuchte er sich zu rechtfertigen und die Kobolde, die dabei gewesen waren, tauschten vielsagendes Grinsen aus. Sehr zum Ärger der Feen, denn sie erinnerten sich zu gut an die schmuddelige Matschschlacht, die die Kobolde angezettelt hatten. Doch, um die Lage hurtig wieder zu entschärfen, fügte der kleine Pilzkobold rasch hinzu:

„Aber hier ist es viiiel besser, zweifellos, ganz klar, logo, versteht sich! Vor allem weil ihr Feen heute an diesem besonderen Tag alle besonders hübsch anzusehen seid – ihr seid einmal wieder Medizin für unsere Augen! Unübertrefflich zauberhaft!“

Das funktionierte immer. Feen sind mit Schmeicheleien sofort zu besänftigen.

Simi-Simini nickte zufrieden, schwebte langsam in die Höhle und streifte dabei mit mehreren Wurzelenden ihres Wurzelkleides die schon recht lange Reihe der gästeempfangenden Kobolde, Feen und Wichtel, die sich hinter ReimHein aufgereiht hatten. Sie waren natürlich alle ebenfalls Festgäste.

Es war üblich im Feenreich, zu dem übrigens nicht nur die Feen, sondern auch Kobolde und Wichtel gehörten, denen das natürlich überhaupt nicht in den Kram passte, vor allem den Kobolden nicht… Das war aber ein anderes Thema. Es war also üblich im Feenreich, dass sie nach der Begrüßung nicht gleich in die Haupthalle durchstapften, flogen oder schwebten. Sie stellten sich erst einmal hinter dem Gastgeber an, um auch selbst die eintreffenden Gäste zu empfangen. Das war nicht ihre große Nettigkeit, sondern ausschließlich auf ihre große Neugier zu schließen, was man vor allem an den spitzen Ohren und spitzen Nasen der Feen und Kobolde erkennen konnte.

Die Wichtel mit ihren knolligen Nasen sahen seit jeher alles entspannter, meistens jedenfalls.

Eines sollte hierbei noch kurz erklärt worden sein, bevor wir den Empfang weiterverfolgen können:

Feen, Kobolde und Wichtel gehören, wie eben erwähnt, allesamt zum Feenreich, und damit zum ätherischen Naturvolk mit weiblichen wie männlichen Familienmitgliedern. Ätherisch bedeutet quasi transparent, durchscheinend, durchsichtig, ohne festen Körper, wie lichtvoller bunter durchsichtiger Rauch oder Nebel.

Aus einem Lichtblitz, Funken oder Pling, ähnlich dem Augenklimpern bei Feen, entstehen sie und verschwinden ebenso wieder.

Ohne Liebe für die Natur und eine gewisse Offenheit sind sie für Menschen nicht wahrnehmbar. Dazu später mehr.

Es gibt also die für die Menschen sichtbare Natur und die unsichtbare Natur. Die sichtbare Natur ist klar: Eiche, Brombeere, Gänseblümchen, Hund, Katze, Maus, Fliegenpilz, Granitstein.

Parallel zur sichtbaren Natur existieren die unsichtbaren, ätherischen Wesen, wie auch das eben beschriebene Feenreich mit den Kobolden, Wichteln und Feen.

Klingt kompliziert, ist aber ganz einfach:

Zum Beispiel gibt es die Birkenfeen, die halten sich in Birken auf, klar. Birken sind ihre Heimat. Wenn wir uns solch eine Birke ansehen, wirkt sie leicht und jugendlich, lebendig und zugleich sanft, gleich den durch im Wind hin- und her tanzenden, wie lange Haare hinab hängenden Ästen. Diesem Charakter und Wesen der Birke sind die Birkenfeen darum sehr ähnlich. Der entscheidende Unterschied ist, dass die Birkenfeen sich frei bewegen und schweben können, wohin sie wollen. Der Baum steht fest.

Allgemein kann man also sagen, es existiert eine schöne und bunte und lebendige und sehr sympathische unsichtbare Welt parallel zu unserer wunderschönen sichtbaren Welt!

Ganz wie wir Menschen haben alle Ätherischen des Feenreichs so ihre Besonderheits-Allüren. Je jünger sie sind, desto mehr neigen sie zu Extravaganzen, wie zum Beispiel schnell beleidigt oder streitsüchtig sein, andere ärgern, Fuß aufstampfen, Ohren zuhalten und „Mimimi“ sagen. Sie entwickeln sich aber alle mit der Zeit und werden ruhiger und weiser, meistens jedenfalls.

Die Kobolde behalten zwar vorwiegend ihren jugendlichen Charme, können sich dennoch mit dem Alter zu wahren Lehrern entwickeln, die mit weiser List und Humor zu lehren vermögen.

Die Wichtel, denen das Helferleinsyndrom quasi im Äther liegt und sich daher von Haus aus gern um von Menschen bewirtschaftete Erde kümmern, wie Garten und Feld, aber auch viel in Wald und Flur anzutreffen sind, werden zu ihrem angeborenen Fleiß mit den Jahren immer gewissenhafter. Auf sie kann man sich zu tausend Prozent verlassen. Außerdem sind sie ungeheuer patent, haben immer eine Idee parat und wissen stets, was zu tun ist. Einen Wichtel als Freund zu haben ist also sehr erstrebenswert, weil überaus praktisch.

Die Weisesten unter ihnen sind die Ältesten. Das sind Älteste aus den Familien der Feen, Wichtel und Kobolde, die über ein größeres Gebiet wachen, wie zum Beispiel die Waldfee, die diesen Wald hütet.

Die Ältesten verfügen über drei herausragende Kräfte:

Zum einen über die stärksten empathischen Kräfte, das bedeutet, sie haben ein besonders feines Einfühlungsvermögen.

Zum anderen haben sie telepathische Kräfte. Damit ist gemeint, dass sie die Gedankenübertragung beherrschen.

Außerdem besitzen sie die naturgegebenen magischen Kräfte.

All diese stets nur zum Guten für die Natur eingesetzten Kräfte sind bei allen Ältesten der Feen, Wichtel und Kobolde recht ähnlich. Sie arbeiten nur mit unterschiedlichen Mitteln.

Älteste werden sie stets respektvoll von allen angesprochen. Dabei sehen diese nicht etwa alt und schrumpelig aus, nein, sie können ihr Aussehen ändern, wie es ihnen gefällt, ob jung oder alt, jedoch immer mit einer erhabenen Ausstrahlung. Älteste ist eine gebührende Bezeichnung für ihr großes Wissen und ihre Erfahrungen, die sie meist über hunderte von Jahren gesammelt haben.

Die Ältesten sind wahrhaftig sehr weise.

 

Ein Räuspern und ein mahnender Blick von ReimHein verriet eine leichte Ungeduld darüber, dass es durch das ewige Dazwischengequassele nicht flink voranging. Geduld, Ruhe und Gelassenheit beherrschten eben nur die Ältesten, nun gut, und, wie wir eben erklärt hatten, auch so manch ein Wichtel, wenn er wollte.

Simi-Simini ließ sich immer noch alle Zeit der Welt, was sie sichtlich bis in die letzte Wurzelspitze genoss. Als Vertreterin der Chamäleonfeen lag es Simi-Simini natürlich naturgemäß im Feenäther, dass sie sich dem Thema entsprechend kleidete. Da das Fest unterirdisch stattfand, im Wurzelreich der Wurzelkobolde, trug sie heute passend Wurzel von Kopf bis Fuß. Sogar ihre Flügel waren aus feinstem Würzelchengeflecht gewoben. Wahrhaftig eine wunderschöne ätherische Erscheinung!

„Oh, wie hübsch du heute wieder aussiehst, Simi-Simini!“, kam es anerkennend von kurz hinter und über ReimHein. Klar, dass Sivoobal, Sieht-von-oben-alles, als Wipfelkobold quasi von der Decke oben herunterhing. Die ganze lange Reihe hinter ihm nickte zustimmend und lächelte sie versonnen an, jedenfalls das Wurzelvolk, wie die Wurzelkobolde auch genannt werden, inklusive ihrer weiblichen Vertreterinnen.

Die bereits anwesenden Feen wussten noch nicht so recht, mussten aber zugeben, dass es einmal wieder eine herausragende künstlerische Leistung von Simi-Simini war, an der sie wohl Wochen gearbeitet hatte. Simi-Simini konnte natürlich mit einem Augenzwinkern, also einem Pling, ihr Aussehen der Umgebung anpassen, doch ihr Feenstolz spornte sie immer wieder zu diesen kunstvollen Handarbeiten an. Allein für diesen Auftritt wie eben lohnte sich jeder kleine Nadelstich.

Zufrieden nahm sie auf einer Wurzel Platz und erfreute sich ihrer eigenen malerischen Erscheinung.

Sie war mit ihrem handgearbeiteten Kleid perfekt an ihre Umgebung angepasst. Man erkannte sie nur noch an ihren blinzelnden hellblauen Augen.

Sie schenkte jedem anerkennenden Blick ein persönliches Augenzwinkern, was, wie bereits gesagt, ein leises Pling verursachte.

Am Klang konnte man sogar die Stimmung einer Fee erkennen, beziehungsweise eine Fee selbst. Jetzt waren es ausnahmslos liebliche Plings, die wir aus der Wurzelgrube hören konnten.

Eine Chamäleonfeen-Show, die sich wohl beliebig in die Länge hätte ziehen können, wären nicht schon wieder die Proteste der drängelnden und neugierigen Gäste von vor dem Wurzelgrubentor gekommen:

„Mir ist es zwar egal, so egal aber auch wieder nicht, hier zu stehen und nicht zu wissen, was dort drinnen vor sich geht. Also schiebt mal weiter, Freunde!“, meckerte Egal aus der Familie der Pilzkobolde, der die längsten und dünnsten Beine aller zu haben schien. Und den größten Hut. Und ein Gesicht, das man unter dem Hut fast nie sah, was ihm völlig egal war, klar.

„Lasst mich doch mal eben kurz nach vorn fliegen! Ich komme gleich wieder und sage euch Bescheid, was da los ist“, versuchte Hee aus der Familie der Windfeen, sich mit einem charmanten Zwinkern vorzudrängeln, was aber scheiterte. Keiner unter der wartenden Truppe wollte seine Position aufgeben und wie auf ein Wort hielten alle wartenden Kobolde Wurzeln und Äste in die Luft, so dass Hee ihre feinen Ärmchen verschränkte und mit leicht verärgerten Plings einen Schmollmund zog. Das Aufstampfen gelang ihr nicht, weil sie ja in der Luft schwebte, was die Kobolde natürlich noch mehr amüsierte.

Dass jetzt in der Truppe draußen gelacht wurde, ärgerte wiederum die ebenso neugierige Gästereihe drinnen und so schallte es jetzt von ihnen:

„ReimHein, lass sie rein! ReimHein, lass sie rein! ReimHein, lass sie rein!“

Vor allem, weil sie sahen, dass Fleißig, der Wichtel mit dem längsten Wichtelbart der Gegend, an der Reihe war. Er zog seinen berühmten mit feinsten ätherischen Naschereien und edelsten Tröpfchen eigens für das Fest beladenen Bollerwagen hinter sich her. Natürlich alles in mit Präzision geschmiedeten und gehauenen kunstvollen Gefäßen.

 

 

Wintersonnenwendfest in der Wurzelgrubenhöhle

„So kommt nur herein, meine lieben Freunde,

seid schön fröhlich und feiert mit viel Freude!“, sang ReimHein aufmunternd und schon strömten weitere Gäste hinein.

Fleißig wurde besonders gebührend von der empfangenden Gästereihe drinnen begrüßt und merkte dabei nicht, dass er Unterhosen-Flax aus der Familie der Blätterkobolde mit sich zog. Dieser kleine grüne Kobold, zu erkennen an seinen frischgrünen Blättershorts und einem pfiffigen Blätterhut, thronte jetzt ganz oben auf Fleißigs Bollerwagen und winkte wie ein König allen freudig zu. Aber an solch einem Festtag trug ein Wichtel bekanntlich seine hohe, rote Festtagsmütze und einen frischgewaschenen, nach Wiesenblumen duftenden, fluffigen Bart und konnte daher nicht wirklich böse sein, naja, nur kurz jedenfalls, mit einem Augenbrauenzucken.

Ein großartiger Empfang!

Die Schlange der Gäste, die ja wiederum die neuen Gäste persönlich mit empfingen, schlängelte sich bereits in einem großen Bogen durch die ganze Halle und führte schon fast wieder zurück bis zum Anfang.

Als nun endlich nach einer gefühlten halben Ewigkeit, die im Feenreich rasch entstand, auch die grundsätzlich zu spät erscheinenden Blumenfeen hineingeschwebt waren, schloss sich der Gästekreis.

Die Begrüßungsrede von der Ältesten des Waldes höchstpersönlich sollte nun traditionell den Beginn des Festes kundtun.

Hörner erklangen.

Drei Mal.

Dann war vollkommene Stille.

Ausnahmslos alle warteten regungslos.

Da erschien sie in ihrer Mitte, die Waldfee, die Älteste des Waldes.

Groß, schön, mit dunkelgrünen langen Haaren und einem langen Kleid aus immergrünen Blättern und Nadeln und Flügeln so zart, aus unzähligen Spinnenfäden gesponnen.

Ihre Stimme klang klar und bestimmt und überaus liebevoll:

„Seid gegrüßt, ihr edlen Feen, Kobolde und Wichtel aus den verschiedensten Familien unseres großen bunten Naturvolkes!“ Sie zwinkerte mit majestätischen Plings, deren Klang und Anblick alle verklärt lächeln ließ.

„Wir sind alle heute hier vereint, um die Zeit des Jahreszeitenwandels zusammen zu feiern. Wir werden in Kürze den Winter begrüßen und mit ihm das junge Licht.“

Sie wartete einen Augenblick und ließ sie alle die Geborgenheit spüren, die ihr alles umhüllendes Licht ausstrahlte.

„Wir beginnen wie vor jedem Fest mit der Reinigung unserer feinen ätherischen Körper.“

Sie wartete einen Augenblick.

„Ihr alle seid durch das Tor der Wurzelgrube in unser heiliges Erdreich gekommen und könnt jetzt alle Gedanken an das, was euch in diesem Jahr nicht gefallen hat und das euch nicht gutgetan hat, all das könnt ihr jetzt gedanklich an die Erde abgeben.

Die Erde, ihr wisst es ganz genau, besitzt die große Kraft der Reinigung und wandelt alles zu fruchtbarer Erde, auf dass etwas Gutes, Neues daraus wachsen kann.

Im Laufe der Wochen und durch unsere Nähe zu den Menschen mit ihren starken Gefühlen sammeln sich hinderliche Gedanken an, wie Angst und Wut, wie Eifersucht und Neid, die uns manchmal daran hindern, etwas Gutes zu denken oder zu tun oder zu fühlen. Deswegen tut eine Reinigung der Gedanken allen gut, euch selbst und den anderen.

Schließt nun eure Augen.“

Die mächtige Fee, die in der Höhe bis zur Grubendecke reichte, drehte sich einmal langsam im Kreis.

Sie ließ mit ihrem Blick ihr reinigendes silber-violettes Licht durch alle versammelten ätherischen Familien in dieser Halle ziehen.

Kein Pling störte das heilige Ritual. Sie genossen diesen wichtigen Augenblick wie die reinigende Kraft des silber-violetten Lichtes ihre ätherischen Körper durchströmte.

Sie wartete wieder einen Augenblick.

„Durch diese tiefe Reinigung werdet ihr euch wieder leichter fühlen, wie neu geboren. So dürft ihr euch heute an diesem Abend zur Wintersonnenwende die Kraft für ein neues Jahresleben weben. Ihr wisst alle wie!“

Sie nickte.

Natürlich wusste sie es. Alle nickten.

Es war recht dunkel in der Halle, der Zeit entsprechend. Nun dämmten zudem noch die wenigen Glühsteine ihr Licht bis es fast ganz dunkel war.

Kurze Stille.

Die Waldfee sprach weiter:

„Nun denn, liebes Volk, spinnen wir gemeinsam ein Netz aus Lichtfäden für das neue Jahr, welches wir anschließend in unserem Wald verankern.

So frage ich euch wie jedes Jahr:

Welche Kräfte dürfen uns also im kommenden Jahr besonders helfen?“

So rasch sie vollkommen ruhig werden konnten, so geschwind waren sie auch alle wieder voll bei der Sache.

Während sie eifrig ihre Ideen riefen, zog die Waldfee zu jeder genannten Kraft mit ihrem rechten Zeigefinger einen farbigen Lichtfaden in die Luft. Sie brauchte übrigens keinen Lichtstab wie die jüngeren Feen.

 

„Ich wünsche mir einen Lichtfaden für viel Spaß!“, rief prompt eine Butterblumenfee mit einem zarten Pling. Sie erntete natürlich Beifall von den Kobolden und strahlte über ihr rundes gelbes Gesicht.

„Und ich für die Freundschaft!“, meldete sich ein Feldwichtel und gab seinem Freund neben ihm einen ordentlichen Klaps auf die Schultern, freundschaftlich, klar.

„Für mich geht ohne Freiheit absolut gar nichts!“, kam es natürlich von einem Wipfelkobold unter der Decke. Die Windfeen applaudierten ihm, was ihn überraschte, beschämte und dann aber gleich mehrere Zentimeter wachsen ließ.

Es erklang weiter durch die Halle:

„Ich wünsche mir einen Lichtfaden für den Frieden!“

„Ein bisschen mehr Respekt wünsche ich mir! Vor allem von den Menschen.“

„Ganz genau! Die Menschen sollen respektvoller und achtsamer mit unserer Natur umgehen! Das wünsche ich mir.“

„Von den Menschen wünsche ich mir mehr Offenheit uns gegenüber. Dass sie mal ein bisschen mehr hingucken, wie die Natur so tickt. Die Pluvos sind nun mal nicht die einzigen Lebewesen auf unserer Erde“, meinte ein Pilzkobold und ein Waldwichtel meldete sich zu Wort:

„Für mich ist Vertrauen so wichtig. Wir haben es, denn wir kennen den großen Plan der Natur. Aber was ist mit den Menschen? Ich wünsche es mir für die Menschen. Ohne Vertrauen entsteht zu viel Angst und Einsamkeit.“

Ein Blätterkobold rief:

„Hoho, das sind alles starke Wünsche! Mir sind sie aber viel zu ernst. Ohne Lachen geht doch gar nix. Mit Humor lässt es sich gleich viel leichter leben! Stimmt’s Butterblumenfee?“, und warf ihr seinen Hut zu. Sie fing ihn lachend auf und warf ihn zurück. Sie verfehlte ihn aber komplett und der Hut landete auf einer Gänseblümchenfee, die darunter kaum mehr zu sehen war. Ein schlanker langer Pilzkobold war sofort rettend zur Stelle und befreite sie wieder. Feen können selten gut werfen und schon gar nicht treffen.

Die Kobolde fassten allesamt prompt an ihre Hüte, hielten aber sofort wieder inne, denn sie wussten ja, dies ist ein Ritual, keine ausgelassene Party. Die folgte ja gleich im Anschluss. Die Waldfee lächelte ihnen zu und sie freuten sich über ihre Anerkennung. Niemand wollte es sich mit ihr verscherzen. Niemals!

Wie immer bemerkte eine mütterliche Kamillenfee:

„Ich wünsche mir einen Lichtfaden für die Harmonie! Für mich ist es immer wichtig, dass es allen gut geht und sich alle gut verstehen. Ich bin quasi harmoniesüchtig.“

Und wie immer rundete eine zartrosa Rosenfee die Kräfte-Sammlung mit ihrem Wunsch ab:

„Ich wünsche mir die wichtigste Kraft von allen: ganz viel Liebe!“

 

„Das ist eine schöne Auswahl an starken Kräften für das neue Jahr!

Was gibt es noch, was ihr euch für euer Leben besonders wünscht?“, fragte die Waldfee weiter das bunte Naturvolk.

Emsig riefen sie während die Waldfee die gewünschten Gedanken als bunte Lichtfäden in die bestehenden Kräfte-Lichtfäden hineinverwebte:

„Gute Luft!“

„Saubere Erde!“

„Genug Regen!“

„Viel Sonne!“

„Schöne Vogelstimmen!“

„Viele gesunde Insekten!“

„Überhaupt gesundes Waldvolks!“

„Tanz und Musik!“

„Einen fluffigen Waldboden!“

„Viel Spaß!“

„Lustige Abenteuer!“

„Und liebe Menschen!“

 

Die Waldfee nickte zufrieden:

„Das ist eine gute Basis für ein gemeinsames neues Jahr.“

Sie hob das gewebte bunt leuchtende Licht-Netz über die Höhle hinaus und spannte es nun um den ganzen Wald.

„Diese guten Gedanken mögen das ganze Jahr über das Naturvolk beschützen, sie bei ihren Kontakten unterstützen und ihren Weg geleiten, wohin es sie auch ziehen mag.

So ist es gut!“

Das Licht erfüllte für einen Augenblick den ganzen Wald, von den Wurzeln bis zu den höchsten Gipfeln und erlosch.

Dunkel war es wieder, sehr dunkel.

Und still.

Aus der Dunkelheit heraus sprach die Waldfee:

„Die Wintersonnenwende naht,

kürzester Tag und längste Nacht.

Sehnsuchtsvoll erwartet alles Volk

das Licht, das kostbarer als Gold.

Noch erfüllt Dunkelheit die Welt.

Lichtkind im Innern die Welt erhell‘,

hab Vertrauen und bring geschwind

neues Leben zu jedem Erdenkind!“

Bei ‚Lichtkind‘ stieg langsam aus ihrem schwach leuchtenden rechten Zeigefinger eine kleine Flamme empor und blieb schwebend vor ihr stehen.

Im schwachen Licht des Flämmchens sah man sie lächeln.

„Das Licht für ein neues Jahr ist wieder geboren.

Von nun an werden die Tage langsam wieder länger und die Nächte werden kürzer.

In der Ruhe wächst viel Kraft.

So lautet der hochheilige Plan der Natur.

So hat es Frau Holle, unsere große Erdmutter, die Hüterin des hochheiligen Planes der Natur, für uns vorgesehen.

In der Ruhe liegt die Kraft, die wir alle, alle ihre Kinder, für ein neues Jahr voller Leben und Freude brauchen.

Über der Erde ist es noch nicht zu sehen, das kleine Licht, nur hier im Innern. Der Winter hält nun Einzug über das Land.

Hier drinnen unterdessen, hier werden wir uns in aller Ruhe auf den Frühling vorbereiten.

Wir werden die Pläne für das Wachsen im Frühjahr schmieden, das eine oder andere Samenkorn in Position rücken und die Samen reifen lassen.

Liebes Naturvolk, gesegnet seid ihr und gesegnet sei ein neuer heiterer Kreislauf eines gesunden und glücklichen neuen Jahres!“

Gerne hätten sie alle applaudiert, gerufen, gelacht, aber – noch war Stille geboten. Sie kannten die heiligen Abläufe für die festlichen Wechsel der Jahreszeiten schon seit vielen, vielen Jahren.

Die Waldfee ging nun von einem zum anderen.

Vor ihr schwebte das kleine Licht.

Vor einem jeden löste sich aus ihrer Flamme ein kleines Flämmchen und sie reichte dieses weiter. Dieses wiederum teilte sich in zwei kleine Flämmchen.

Das eine Flämmchen berührte sanft eines jeden ätherisches Herz, so dass von einer zum anderen ein neues feines Leuchten hervorging.

Das zweite Flämmchen schwebte vor ihnen, so dass die Halle bald in ein festliches Licht gehüllt lag.

Gemeinsam ließen sie anschließend diese jungen Lichter vor ihnen wie Sterne über sich schweben.

„Bis zum Lichtfest in etwa sechs Wochen hüten wir das junge Licht hier im Reich unter der Erde, weil wir es für die großen Vorbereitungen brauchen.

Erst dann wird das junge Licht wie jedes Jahr mit der jungen Sonnenkraft über der Erde wieder verschmelzen.“

Abschließend blickte die Waldfee in die große bedächtig lauschende bunte Runde und schenkte allen als Zeichen ihrer Zuneigung ein Lächeln voller Liebe und tiefem Vertrauen.

Der rituelle Teil des Festes zur Wintersonnenwende war nun beendet. Die Älteste des Waldes deutete dies ReimHein, dem Hausherrn, mit einem Nicken an. Noch ganz benommen blinzelte dieser aufgeregt abwechselnd mit seinem braunen und seinem grünen Auge. Schließlich richtete er sich wichtig auf und rief übermütig mit krächzender Stimme, da er so lange nichts geredet hatte:

„Jetzt begrüßen wir das junge Licht mit Musik und Tanz und Speis und Trank!“

 

In null Komma nichts verwandelte sich die Wurzelgrubenhalle in ein kleines Tollhaus. Über eine lange Zeit hinweg ruhig zu sein, geduldig zu warten, leise, nicht reden, nicht singen, nicht bewegen, nur zuhören, nicht herumlaufen oder herumschweben – oh, oh, das war für allesamt immer wieder von neuem eine große Probe, die sie mindestens acht Mal im Jahr bestehen mussten, nämlich mindestens zu diesen acht Jahreskreisfesten:

Zur Wintersonnenwende, die heute ist, mit dem kürzesten Tag und der längsten Nacht. Es ist der Winteranfang und die Geburt des jungen Lichts.

Zum Lichtfest, wenn die Sonne endgültig aus dem Winterschlaf erwacht und ihre Kraft auch über der Erde wieder zu spüren ist.

Zur Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche. Tag und Nacht sind gleich lang. Das ist der Frühlingsanfang.

Zum Lebensfest, das Siegesfest der Sonne, der Fruchtbarkeit und des Lebens.

Zur Sommersonnenwende mit dem längsten Tag und der kürzesten Nacht ist der Sommeranfang.

Zum Schnitterfest, der Beginn der Erntezeit, wo die Getreidefelder geschnitten werden und das Korn eingebracht wird.

Zur Herbst-Tag-und-Nachtgleiche, wenn Tag und Nacht wieder gleichlang sind, beginnt der Herbst.

Und schließlich das Fest der Ahnen, dem Übergang vom alten in das neue Jahr, wenn die Kräfte der Natur sich endgültig in die Erde zurückgezogen haben.

Somit beginnt der Kreislauf wieder von vorn, Jahr für Jahr.

 

Welch eine Freude war jetzt in der Wurzelgrube! Es war zwar nicht ganz so laut wie sonst zu einer helleren Jahreszeit. Es fehlten viele, weil sie dieses Fest verschliefen. Dennoch, es war ein Fest mit allem, was dazugehörte.

Instrumente wurden hervorgeholt, Lieder eingestimmt und das ganze bunte Volk tanzte und sang sich frei. Feen-Nektar, Kobold-Brause und Wichtel-Wasser flossen aus kleinen Quellen in allen Farben und Geschmacksrichtungen. Natürlich durften Milch und Honig mit ebenso feinen geschmacklichen Variationen nicht fehlen. Dazu Nuss- und Apfelkreationen satt.

Die Waldfee liebte diese Feste. Sie liebte es, dem lustigen und ausgelassenen Treiben des Naturvolkes zuzusehen. Irgendwann zog sie sich von allen unbemerkt in ihre Eiche mitten im Wald zurück. Keiner wunderte sich darüber, denn so war es immer und so war es gut.

Zu dieser Jahreszeit verließen einige der Gäste das Fest zeitiger, weil sie verständlicher Weise müde waren, quasi wintermüde. Die verbleibenden hatten wie üblich ein immenses Durchhaltevermögen und wenn nicht irgendwann zu früher Stunde es zu folgenden Diskussionen und Ereignissen gekommen wäre, hätten so einige wohl die etwa sechs Wochen bis zum nächsten Jahreskreisfest durchgefeiert.

 

 

Feen-Nektar, Kobold-Brause und Wichtel-Wasser-Laune

Immer, wenn Kobolde zu viel Kobold-Brause getrunken hatten, Feen zu viel Feen-Nektar und Wichtel zu viel Wichtel-Wasser, besonders das blaugrün-leuchtende, dann fingen sie das Diskutieren an:

 

Fleißig ereiferte sich für einen Wichtel ungewöhnlich stark:

„Ich finde es ziemlich schade, dass uns nur so wenig Menschen sehen können. Dabei helfe ich ihnen, wo ich kann! Ich habe von einer Insel im Norden gehört, Island heißt sie, dort gehören unsere ätherischen Verwandten ganz normal zum alltäglichen Leben dazu. Hier leider nicht…“

Wichtel arbeiteten oft in den Gärten und auf den Feldern der Menschen und unterstützten diese dabei selbstlos, eben leider ohne, dass sie es bemerkten.

„Das muss sich ändern!“, trällerte von einer Wurzel ganz oben Sivoobal, Sieht-von-oben-alles, aus der Familie der Wipfelkobolde.

„Ändern, ändern, in allen Ländern!“, ergänzte ReimHein äußerst sinnvoll in Kobold-Brause-Laune. Natürlich singend.

„Wie kommt es denn, dass die Menschen uns nicht sehen können? Wir lebten doch schon lange vor den Menschen, die jetzt hier leben?“, fragte im Vorbeischweben eine Blumenfee, wohl von einer Butterblume. Die meisten der Blumenfeen schliefen über die Winterzeit. Nur zu Festlichkeiten wie dieser kamen einige zum Mitfeiern hervor. Danach legten sie sich gleich wieder in ihre gemütlichen Winterquartiere an die Stellen, an welchen jene Blumen bald wachsen würden.

Sivoobal schnaubte leicht verächtlich:

„Die meisten Erwachsenen wissen tatsächlich nicht, dass es uns gibt. Menschen sind und bleiben die Pluvos, das plumpe Volk. Ich beobachte sie ja immer von oben. Oftmals glaube ich, sie wollen einfach keine Rücksicht auf uns nehmen. Damit sie ungehindert ihre neuen Straßen oder Häuser bauen können, ganz egal, ob da einer von uns wohnt. Sie merken einfach nicht, dass so manch ein Blechschaden oder blaue Fleck auf ihre Ignoranz zurückzuführen ist.“ Er schien die Pluvos nicht sonderlich zu mögen.

„Wir sind eben nicht in Mode“, bemerkte eine kleine gelbe Löwenzahnfee etwas schnippisch und plingte dabei aufgeregt.

„Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sie Angst vor uns haben“, jodelte Unterhosen-Flax und plusterte sich auf.

„Weil du und deinesgleichen sich nicht zurückhalten können!“, schimpfte Fleißig, der die Pluvos trotzdem mochte, auch wenn sie ihn nicht bemerkten.

„Wir treiben Schabernack, aber wirklich schaden tun wir niemandem, das steht in unserem Kobold-Ehrenkodex!“, bemerkte Unterhosen-Flax mit wichtiger Miene und demonstrativem Hochziehen seiner Blättershorts.

„Pfff, Kobold-Ehrenkodex…“, kam es prompt von allen Feen und Unterhosen-Flax zeigte ihnen eine lange Nase, fiel dabei aber fast von einer Wurzel. Alle lachten.

Fleißig war im Erklär-Modus:

„Mir ist vor kurzem aufgefallen, dass uns in der letzten Zeit wieder Pluvos, meistens deren Kinder, wahrnehmen können. Nicht viele, aber immerhin. Die meisten Kinder verlernen es leider wieder sehr schnell, wenn sie größer werden. Es ist so wie mit dem Malen, dem Zeichnen, dem Singen und Erzählen, dem Schauspielern und Musizieren: Sie vergessen es einfach und dann erinnern sie sich nicht oder sie trauen sich nicht mehr, weil sie dann ja älter sind, und vernünftiger.“

„Tss, vernünftiger - ich finde uns ganz schön vernünftig!“, unterbrach Unterhosen-Flax, der kleine grüne Kobold. Dabei riss er seine Augen bedeutungsvoll weit auf und zog seine grünen Blättershorts bis weit unter die Achseln. Alle lachten, besonders die Feen. Er hatte jetzt schon eine ganze Schar um sich versammelt. Das genoss er sichtlich und stachelte ihn umso mehr an, seine Onekobold-Show fortzusetzen. Lässig trank er noch einen Schluck megasprudelnde Kobold-Brause, natürlich die blaugrüne.

„Ha, du und vernünftig!“, trillerte von oben die hellblau glitzernde Hee aus der Familie der Windfeen.

„Ja, das ist ja der größte Witz des Jahres!“, lachte Simi-Simini und die beiden Freundinnen klatschten ein.

„Haha, von wegen! Nur, weil ihr schweben könnt, heißt das noch lange nicht, dass ihr vernünftiger seid!“, pöbelte Sivoobal zurück.

Alle lachten, bis auf Unterhosen-Flax und Sivoobal, die das nicht witzig fanden. Witze auf ihre Kosten mochten sie überhaupt nicht. Sie konnten nur über andere lachen und das sehr gut.

„Ich pflücke dich gleich herunter! Dann zeige ich dir, was vernünftig ist“, rief Sivoobal ihr nach, griff darauf aber ungewohnt nachdenklich an sein Kinn und bemerkte:

„Dabei ist es wirklich absolut unvernünftig, uns nicht sehen zu können, oder uns nicht sehen zu wollen! Ein Spaziergang muss tristlangweilig sein, so ganz ohne uns. Das müsst ihr doch zugeben!“

Ja. Das mussten sie alle zugeben, das musste äußerst tristlangweilig sein.

„So geht das nicht mehr weiter, ich hol jetzt meine Leiter, und wir…“, trällerte ReimHein, fummelte umständlich sein Trinkhorn in die passende Wurzelgürtelschnalle, verschwappte dabei die Hälfte und setzte an zu gehen.

„Ich wihill aber auch nicht immer von jedem dieser Pluvos gesehen werden…“, sagte die sehr feinfühlige Simi-Simini aus der Familie der Chamäleonfeen in einem leicht patzigen Singsang. Sie besaß nicht nur die Gabe des spontanen Tarnens, und nahm rasch das Aussehen ihrer Umgebung an, sondern konnte die Stimmungen von Wesen, die in ihrer Nähe waren, in kürzester Zeit annehmen. Normalerweise flog sie weg, wenn ihr eine Stimmung nicht gefiel, aber bei manchen Menschen verhielt es sich anders. Jene Stimmungen konnten so stark sein, dass sie sich schwer davon aus eigener Kraft befreien konnte und dann schlecht gelaunt oder ängstlich umherflog. Nicht selten musste sie von ihren Freunden oder, wenn das nicht half, von der Ältesten des Waldes gerettet werden. Das geschah oft, weil sie sehr, sehr neugierig war, klar.

 

„Ganz besonders schlimm finde ich, dass viele Kinder uns nicht sehen dürfen…“, sagte Simi-Simini traurig und ließ Kopf und Ohren und sämtliche Wurzeln an sich hängen.

„Es ist mir zwar egal, aber jetzt will ich endlich mal wissen, woran es liegt, dass die Pluvos uns nicht sehen können. Wir sehen sie doch auch“, fragte Egal während er einen getrockneten Pilz aus seinem Rucksack auspackte und sich draufsetzte. Zufrieden sagte er zu sich:

„Der ist deutlich weicher als diese harten Wurzeln.“

Für Fragen war Fleißig zuständig. Er liebte es über alles, etwas zu erklären, und stellte sich aufrecht in Erklär-Position:

„Woran das liegt, das können wir am besten so erklären:

Ihr wisst, dass es im Radio und Fernsehen der Menschen unterschiedliche Programme gibt. Jedes Programm, wie zum Beispiel Das Erste oder ZDF, ist einer Frequenz zugeordnet, über die es empfangen und angesehen werden kann. So ist es im übertragenen Sinne mit uns. Unsere Frequenz ist sehr, sehr fein und nur wenige der Menschen können diese wahrnehmen. Wir sind quasi wie ein Programm, das nur wenige empfangen können. Ohne Liebe geht das sowieso gar nicht. Durch Training können die Pluvos sich auf unsere Frequenz einstellen. Manche können uns sehen oder

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Texte: Angela Scherer-Kern
Bildmaterialien: Angela Scherer-Kern
Cover: Angela Scherer-Kern
Tag der Veröffentlichung: 03.12.2015
ISBN: 978-3-7396-2620-8

Alle Rechte vorbehalten

Widmung:
Für meine Familie und die Kinder dieser Erde

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