Cover

SAMSARA – Das Vermächtnis

Band I

Gedanken erobern die Welt

 

Angela Scherer-Kern

 

 

 

 

 

Umschlaggestaltung: Angela Scherer-Kern

 

Das komplette Werk in drei Bänden ist urheberrechtlich geschützt.

Text und Cover Copyright © 2012 Angela Scherer-Kern

Überarbeitet im September 2013

Alle Rechte vorbehalten, auch die der auszugsweisen Vervielfältigung, gleich durch welche Medien, sowie der Übersetzung.

Aufgrund der umfangreichen Recherchearbeiten für alle drei Bände kann es sein, dass unbeabsichtigt Rechte für Textpassagen übersehen wurden.

Wenden Sie sich bitte mit berechtigten Ansprüchen an:

samsara.das.vermaechtnis@web.de.

 

Vielen Dank.

 

  

 

Für meine Familie und die Menschen dieser Welt

 

 

 

 

[0C CAMBOLIA] Intro durch die Erde und das Paradies

 

 

Wie jeden Morgen zieht sanft der Morgennebel über die Inseln und vermischt sich mit dem fröhlichen Rauch der ersten Herdfeuer. Die Sonnenstrahlen bahnen sich selbstbewusst ihren Weg durch die Undurchsichtigkeit, lösen langsam die Schleier auf und begrüßen mit ihrer Heiterkeit das Leben eines neuen Tages. Der Himmel verspricht einen weiteren schönen lichtvollen Tag einer wahrhaftigen und himmlischen Zeit.

Ich bin Gäa, die Erde, die Moderatorin für den Auftakt Eurer Reise durch die facettenreichen Gedanken vieler Epochen und Kulturen dieser Welt.

Öffnen wir nun das erste Fenster der Zeit im Irgendwann der fernen Vergangenheit und blicken hinunter zu den fünf üppig-grünen Inseln von Cambolia inmitten eines schier endlosen Blaus im Irgendwo.

Etwas, inmitten der größten Insel, lenkt auch schon unsere volle Aufmerksamkeit auf sich. Es ist ein Licht, das unseren Blick magisch anzieht. Überrascht und fasziniert gleichermaßen entdecken wir einen Baum mit kleinen Äpfeln. Einen besonderen Baum mit kleinen goldenen Äpfeln. Es können auch apfelähnliche kleine Früchte sein. Das ist schwer zu erkennen und auch nicht wichtig. Wichtig allein ist der Baum an sich. Sie nennen ihn Lucifer, den Lichtbringenden, dem Morgenstern gleich. Sein Licht, dessen Wesen die Weisheit der Liebe ist. Das Licht, die Erkenntnis ist es, wonach sie streben, die Cambolianer, schon von Kind an. Lernen durch eigenes tiefes Verstehen, Erkennen. Lernen durch die Erinnerung, die Erinnerung an das Licht, das unbewusst in ihnen, in jedem Menschen leuchtet. Die kleinen goldenen Äpfel nähren demzufolge auf besondere Weise.

Nur dieser eine Baum, Lucifer, ist umgeben von einer feinen transzentenden Klarheit, sodass jeder, der sich hier aufhält, um eine Antwort auf eine innere Frage zu erhalten, mit einer Frucht der Erkenntnis das innere Licht zum Strahlen bringt und zufrieden und glücklich weiter seines Weges ziehen kann.

Auch Ihr seid willkommen, um unter diesem Baum zu verweilen, für einen Moment oder gar für die Zeit der ganzen Reise oder danach, wann immer Ihr mögt. Ein idealer Ort, um als Beobachter in die Welt der Gedanken zu reisen und die glückverheisende Bereicherung von Erkenntnissen zu erfahren.

Mehr und mehr entdecken wir hier eine Zeit und einen Ort der Vollkommenheit. Die Cambolianer leben ein Leben in Harmonie und Einklang untereinander und mit ihrer Umgebung. Ein Einklang mit der Natur, welcher sich in ihrer hohen Schaffenskraft und ihrem sehr feinen und ausgepräften Sinn für Schönheit offenbart: So in den Bereichen aller Künste, der Musik, der Malerei, der Bildhauerei, der Dichtkunst, der visuellen Kunst und des Kunsthandwerks, in Forschung und Wissenschaften und in der Festkultur mit Sport und Spiel und Ritualen. Rituale dienen dazu, die Verbundenheit mit Erde und Himmel immer wieder zu stärken. Mit diesem Verhalten ehren sie die beiden parallelen Welten, Himmel und Erde, die unsichtbare und sichtbare Welt, die feinstoffliche und die stoffliche Welt.

Durch ihre Lebensweise zeigen sie ihren Respekt und ihre Wertschätzung gegenüber der Natur der tausend Dinge und ihren großen Plan, der in allem enthalten ist, durch welchen ursprünglich alles entstanden ist. So entstand auch eines Tages all dies hier.

Dieses hier – Cambolia, das Paradies.

Es kann sein, dass es sich um ein Projekt handelt, das Projekt Paradies; fremdbestimmt, gar nicht-terrestrisch, durch wen auch immer gesteuert, begrenzt auf einen bestimmten Bereich auf der Erde, eben auf diese fünf Inseln. Oder, es wurde kreiert von einer schöpferischen Wesensform. Oder es handelt sich einfach nur um einen Entwicklungsstrang der Evolution, welches nichts anderes ist als der Fluss von Gedanken, Informationen, die sich den Umständen entsprechend gemäß der Natur der tausend Dinge anpassen, verändern, wandeln.

Die Natur der tausend Dinge besagt, dass alles zusammengehört. Alles ist miteinander verflochten und verbunden.

Wie auch immer, die Rolle der Menschen ist es, eine auf Glück und Harmonie für alle Wesen begründete Gesellschaftsform zu finden, die sich aus sich heraus weiterentwickeln soll. Geradeso, wie die Erde es seit Tausenden von Jahren bereits ohne sie getan hat. Ein guter Gedanke. Ein interessantes Projekt.

Hier in Cambolia hat sich nunmehr ein sehr edles Menschengeschlecht zu einer goldenen Blüte entfaltet, das sich über einen langen Zeitraum halten wird, bekanntlich nicht ewig.

Lucifers Kraft strahlt nur über diese Inseln, während um sie herum ein anderes Leben stattfindet. Sie haben derzeit immernoch keinerlei Kontakt nach auswärts. Keiner weiß von anderem menschlichen Leben außer dem eigenen, denn auf eine bestimmte Art und Weise sind sie abgeriegelt vom Rest der Welt. Doch sie fühlen keine Grenzen, über mehrere hundert Jahre nicht. Sie könnten, wenn sie wollten, doch nichts zieht sie weg von diesem Ort. Sie sind glücklich, also, warum sollen sie einen anderen Ort ersehnen?

Dies ist für einen langen Zeitraum das angenehmste und schönste Leben auf der Erde, an das ich mich erinnern kann.

 

Die Cambolianer leben als Teil der Natur der tausend Dinge, fügen sich in das Gesamtkonzept des großen Plans, der allem innewohnt, und führen damit auf harmonische Weise ein zufriedenes, glückliches und erfülltes Leben, ohne Gesetze.

Wie sie das erreichen? – Ganz einfach nach folgenden allgemeinen Grundlagen, nach welchen alle ganz selbstverständlich von Geburt an erzogen werden und leben:

Leben bedeutet, es geht um Liebe und um Licht, physikalisch gesehen. Es geht um Gedanken und Gedankenfelder. Es geht um Geist und Körper. Beides ist immerzu in Bewegung, parallel, oder das eine geht in das andere über, oder beeinflusst es als Impuls. Das ist Leben.

Leben bedeutet fortwährende Wandlung. Alles ist ein Prozess der Schöpfung nach der übergeordneten, universellen Ordnung, dem großen Plan der Natur der tausend Dinge – auch der Mensch.

Der Mensch fügt sich ein.

Leben bedeutet lernen. Lernen ist ein langer, langer Prozess, für alle und alles.

Dafür bin ich geschaffen. Gäa, die Erde, Euer Planet.

Ich bin die Große Schule, die Weltschule, für die Menschen.

Die Schule für den Geist im Körperlichen.

Danach leben die Cambolianer.

Von außen betrachtet bin ich nur ein sehr kleiner Teil der Natur der tausend Dinge, und der Mensch ist ein noch kleinerer, aber, zugegeben, doch ein sehr besonderer Teil, ein genau und bis ins kleinste Detail abgestimmtes Konzept, ein perfekter Organismus. Ein Organismus, der auf einem hohen, sehr vielschichtigen und perfekten Organismus lebt, auf mir, Gäa, der Erde. Der Mensch lebt nicht nur auf, sondern in mir, denn er ist ein Teil von mir, von meinem Konzept. Der Mensch besteht selbst wiederum aus kleineren Organismen, diese aus noch kleineren… Auch ich bin ein Organismus in einem sehr viel größeren. Keinen der Organismen kann man für sich allein sehen, keiner der Organismen kann völlig für sich allein leben. Alle sind eingebunden in den großen wundervollen Organismus der Natur der tausend Dinge.

Wenn ich mich selbst ansehe, dann staune ich und bewundere mich jeden Tag wieder von neuem! In aller Bescheidenheit möchte ich bemerken: Alles ist atemberaubend perfekt und schön! Ich freue mich, genau an dieser Stelle des Alls zu schweben, in diesem Universum, in dieser Sterneninsel, dieser Galaxis, dieser wunderschönen Spirale des Lebens.

Ich bin die Erde mit all ihrer Leben spendenden Kraft. Ich bin die, in der alles wächst und vergeht, und wieder wächst, und wieder, und wieder. Ich weiß, dass ich nur lebe, richtig LEBE, weil die Elemente, die Erde an sich, das Metall, das Wasser, die Luft, das Feuer und… die feinste aller Energien – die Liebe – zusammenspielen. Alles wird durch feinste Schwingungen in Bewegung gehalten und erhält durch die Kräfte von Sol und Luna seinen Rhythmus.

Ein wundersames Zusammenspiel des ewig Wandelnden.

Leben bedeutet lieben. Liebe, das ist die höchste himmlische Kraft, der Impuls allen Lebens und Seins überhaupt. Die Liebe, die keine Bedingungen stellt, die nicht kontrollierende, nicht wertende Liebe, nicht bedingende, nicht erwartende, die reine Liebe. Sie lenkt die reine Schöpfungskraft, gibt ihren Kindern freien Lauf, lässt sie sich entwickeln, lässt sie schaffen und  lernen, ist dennoch immer mit ihnen verbunden und fängt und nimmt sie immer wieder auf.

Liebe, das tiefe Verstehen zwischen allen Formen von Energie. Liebe verbindet alle Formen von Energie mit einem unsichtbaren Faden.

So sehen es die Cambolianer.

 

Alles ist Licht. An einem Ende ist ganz, ganz feines Licht. Das sehen sie als die Liebe, vollkommen reines Bewusstsein, vollkommen reiner Geist. Hauchzarteste Energie. Dieses Licht bündelt sich, welches ich die Schöpfungskraft nenne, mehr und mehr, so lange, bis durch diese hohe Kraft aus dem gebündelten Licht Materie entsteht. Materie in feinsten Nuancen. Schlussendlich bin ich gebündeltes Licht, entstanden aus den feinsten Schwingungen der Liebe. Mein Körper ist einer von vielen stofflichen Endpunkten des Lichts, mein Wesen sind die nichtstofflichen Informationen oder Gedanken, die mich ausmachen, die mich beschreiben, mein Gedankenfeld. Gedanken sind feinstes Licht.

Das Licht lässt die Liebe durch Schönheit sprechen. Was sonst außer der Liebe könnte solch eine Schönheit hervorbringen?

Seht euch die Schönheit meines wohlgeformten, fruchtbaren und früchtetragenden Körpers an! Die Offenbarung des großen Plans über die Natur der tausend Dinge erkennt ihr in der Fülle des großen Gartens Erde, in jeder Quelle, den Flüssen, in den Meeren und Bergen, in jedem Blatt, jeder Blüte, jeder Frucht und jedem Grashalm, in jedem Tier, Wolke, Regenbogen. In jedem Stein seht ihr ihre Schönheit.

Seht euch selbst an! Die Menschen sind eine besondere Form der Schöpfung, denn sie verbinden auf geheimnisvolle Weise Himmel und Erde. Das Sichtbare, Körper, und das Unsichtbare, Geist, Welt der Gedanken. Und wenn ihr diese Schönheit erkennt, dann erkennt ihr auch die Liebe! Die Liebe am anderen Ende des Lichts…

Somit ist die Liebe der große Plan der Natur der tausend Dinge. Sie ist unser aller Grundlage. Sie ist die Energie, die den richtigen Weg für alles, das rechte Maß in allem und die die beste aller Lösungen findet. Unentwegt.

Ohne diesen allem innewohnenden Plan, gäbe es ein fortwährendes Durcheinander, Aufeinanderprallen, gegenseitiges Zerstören. Die Liebe bändigt die Energie und zeigt ihr ihre Aufgaben zum Guten hin. Der alles durchdringende Geist der Liebe sorgt mit einer unsichtbar führenden Hand für die Harmonie aller Schwingungen, all ihrer Kinder. Nur so ist der Fortbestand allen Lebens möglich.

So sehen es die Cambolianer.

Ganz nah am Geist nehmen sie die Seele in jedem Wesen wahr. Die Seele, der hochsensible Speicher aller Erfahrungen, Erinnerungen, Gefühle. Auch die Seele ist durch einen unsichtbaren Faden gebunden an den Körper, den sie sich ausgesucht hat. Die Vernunft ist wie ihr großer Bruder oder große Schwester. Die Vernunft gleicht aus, allein dadurch, dass sie vollkommen emotionslos ganz klar alle Situationen beurteilen kann. Der Geist ist die Anbindung an das Feld der Liebe. Er bringt Harmonie in den Menschen, Frieden, Güte, die Fähigkeit zu verzeihen und über den eigenen begrenzten Horizont hinauszusehen.

Kompliziert, aber genial ist das menschliche Wesen.

Ein langer Lebensweg, alles im Leben in Einklang zu bringen. Mensch mit sich, mit Körper, Seele, Erinnerungen, Erfahrungen, Gefühlen, Eindrücken, Liebe, mit dem Gefühl von etwas Hohem, so Nahem und doch schier Unerreichbarem, mit Vernunft, Verstand, mit Wissensdrang und Schaffenskraft, und das alles im Einklang mit anderen Menschen mit ebensolchen Aufgaben und Bestrebungen zu verstehen. Und – alles noch im Einklang mit der Natur, mit ebenso zarten und vollkommenen Wesenheiten. Sie unterstützen die Menschen in ihrem Leben, umsorgen sie und bieten ihnen eine Wohnstatt, von der aus sie lernen können, im rechten Maß mit allem als Teil von allem zu leben. 

In diesem Sinne heiße ich jeden Erdenbürger aus meiner tiefsten Seele willkommen.

 

Cambolia – erinnert Ihr Euch? Erinnerst Du dich an ein Leben im Paradies? Kannst Du die Sehnsucht fühlen? Vielleicht warst Du dabei, damals – Ihr alle – es ist ganz leicht, sich zu erinnern.

Ich führe Euch weiter hinein in diese wunderschöne Zeit.

Seht, dort sind die Quellen an den Bergen, bestes Trinkwasser. Das sind wahrhaftig sehr heitere Orte, die allerdings hier fast überall zu dieser Zeit zu finden sind. An den Quellen ist die Fröhlichkeit jedoch besonders stark, wegen der immerzu frischen Energien, die sich dort befinden. Das Wasser – ein köstlicher Schatz, den ich, Gäa, allem Leben schenke. Erinnert Ihr Euch an die Wasserfälle und die glasklaren Seen, die sich darunter bilden? Die Menschen halten sich gern und oft dort auf, um ein erfrischendes Bad zu nehmen oder zum einfach Genießen und sich Wohlfühlen.

Genauso ist es, hier in Cambolia. Ein Ort mit vielen heiteren Orten. Überall fühlen sie sich wohl. Die Menschen erkennen meine Schönheit und ihre eigene Schönheit. Sie wissen dieses Geschenk, dieses hohe Gut wertzuschätzen, jeden Tag.

Ihr Leben ist trotz, nein, dank ihrer unkomplizierten Natürlichkeit ein entspanntes Leben auf allerhöchstem Niveau!

All das, was die Cambolianer erschaffen, fügt sich in das Gesamtbild und das Gesamtwesen der Natur ein, als wäre es schon immer dort gewesen. So ist es gut.

Da sind die vielen angelegten Gärten, in denen Nahrung angebaut wird. Sie gehen darin spazieren, ein Quell des Genusses und der Erholung. Überall entlang der Beete führen Wasserkanäle, frei nach dem Weg, den das Wasser ihnen gezeigt hat. So kann vor allem das Regenwasser ganzjährig genutzt werden und sogar zwei Ernten pro Jahr sind möglich. Von der Aussaat bis zur Ernte halten sich die meisten draußen auf. Die Gärten sind angelegt wie Parks, großzügig – mit viel Raum, vielen Blumen, Büschen, Bäumen, Baumgruppen, kleinen Wäldern, Seen und endlos vielen Brücken. Sogar ihre Häuser verstecken sich darin, andere wohnen lieber in größeren Siedlungen zusammen. Jeder wie und wo er möchte. Die Entfernung spielt keine Rolle, denn sie bewegen sich auf speziellen Energielinien von einem Punkt zum anderen. Auch sie werden natürlich bei der Neuanlage eines Lehr- und Heiltempels, Hauses, Parks, Gartens, Wegs bedacht, denn auch sie sind von der Natur bereits vorgegeben und höchst sensible Energien, die rasch gestört werden können und ihre Wirksamkeit verlieren.

Alles wächst auf das Üppigste.

Bienen haben ihre wahre Freude, und deren Freude ist die ihre. Denn Tiere sind ihre Begleiter und zum Teil auch ihre Lehrer. Aus allem, was sie tun, erhalten sie Wissen. Alle besonderen Begabungen und Neigungen werden aufgegriffen und weiter geschult. Ihre Wahrnehmung ist besonders fein. Die Kraft ihres Geistes ist stark.

Krankheit kennen sie nicht. Die Unpässlichkeiten, die vorkommen, sind niemals ernsthaft, nicht lebensbedrohlich. Heilprozesse sind daher stets von sanfter Natur und kurzer Dauer.

Die Heilkundigen kennen aus dem Wissen der Vorfahren und dem Wissen ihrer Forscher die unterschiedlichsten Verfahren, um Essenzen aus Pflanzen, Mineralien und Steinen zu ziehen, fein abgestimmt auf die jeweilige Person und das jeweilige Problem oder kleinere Irritation. Oft genügt bereits eine tiefe Verbindung zu einer bestimmten Pflanze oder Stein oder einer Auswahl von Pflanzen und Mineralien, um ein rasches Wohlbefinden zu erwirken.

Vertrauen gehört zu den unausgesprochenen Grundlagen ihres Zusammenlebens. In diesem Sinne wird auch Nahrung für alle angebaut. Jeder kann sich holen, was er braucht. Jeder kann das zu sich nehmen, was für ihn gerade stimmig ist. Die Zubereitung des Essens ist jeden Tag aufs Neue eine besondere Handlung, fast ein Ritual, etwas Festliches. So ist auch das Essen an sich eine ruhige und besinnliche Handlung.

Sie ehren die Natur für das, was sie ihnen gibt. Für die Fülle, in der sie leben. Es ist für mich eine Freude zu geben, denn mit ihren stillen Gedanken an mich und meine Früchte geben sie mir auch etwas– ihre Hochachtung, ihre Liebe. Ein wahrer harmonischer Ausgleich.

Euer Körper ist die Wohnstätte eures Geistes und eurer Seele, und euer Bewusstsein macht euch zu Menschenwesen. Ich bin die Wohnstätte für euch Menschenwesen. Ich bin die nährende Bühne für alles Leben gleichermaßen.

Alles, was ihr zum Leben braucht, bekommt ihr von mir, von meinen Elementen, von meinen Energien, von meinen Ressourcen, von meinen Kindern. Auch ihr seid meine Kinder. Wenn euch irgendetwas fehlt, es ist alles in mir enthalten, um es euch für euer gesundes Leben zu geben.

Ein Mitschwingen gemäß der Natur der tausend Dinge ist ein Leben im Fluss des großen Plans und führt zu Glück.

Ein Leben gegen die Natur der tausend Dinge, deren Wesen die Liebe ist, führt zu Leid.

Schlussfolgernd führen Angst, Ignoranz, Selbstsucht, Gier, Hass, Neid, Eifersucht, Unterdrückung, Machtstreben, Machtmissbrauch, Machtmissbrauch womöglich noch unter dem Deckmantel eines Glaubens, Kontrolle, Gewalt, seelische Grausamkeit, Unterdrückung und Erniedrigung, Missgunst, Ausbeutung, Mangel an Selbstvertrauen, Mangel an Vertrauen – das alles führt zu Leid. Es beschreibt einen Mangel an Liebe.

Ein Mangel an Liebe in jeder Form führt zu Leid.

Ein Leben in Liebe führt zu Glück.

Die Natur der tausend Dinge ist die Liebe. Sie ist Milde und Güte, Verzeihen, Versöhnen, Freude, Frieden, Glück und Harmonie. Sie ist Leben. Es ist ein einfaches Konzept.

Unser aller Lebenselixier ist also die Liebe. Wenn das Lebenselixier fehlt ist das Wesen des großen Plans, wie ich es schon nannte, so lange wie möglich Heilungsimpulse zu senden, um den Fluss der Natur der tausend Dinge wiederherzustellen.

Bei Disharmonien ist es die Natur der Liebe, alle Teilchen wieder zurückzubringen in ihre reinen Schwingungen, auf ihren Weg. Auch wenn es lange dauert.

Wenn Energien sich zu sehr stauen, wenn ich unter hohen Spannungen stehe, wenn die Energienen an vielen Orten zu schlecht für meinen Organismus sind, reagiere ich. Disharmonien werden wieder ausgeglichen, damit die Energien wieder frei fließen können. So ist das Prinzip der Energien auf allen Ebenen. Das ist die Natur der tausend Dinge und ist im großen Plan gespeichert. Und dies ist in jeder Zelle als Gedanke, Information gespeichert und kreiert daraus das gesunde Leben.

Künstlich erschaffene Energien, die nicht mit den natürlichen Energien zusammenwirken und zusammenleben, die sich nicht einfügen in die nun einmal schon immer dagewesene Natur der tausend Dinge können zu den beschriebenen Disharmonien führen. Geschieht dies in geballter Form an vielen Orten, wird mein Körper mitsamt der darauf versammelten Menschheit zu einer wunden Stelle im All.

Für mich ist letztendlich alles kein Problem. Wenn eine Naturkatastrophe kommt, so ist dies keine Katastrophe für mich, als Planetenwesen, aber für das menschliche Leben. Es braucht eben ein bisschen Zeit, dann richten sich die Energien auf meinem Körper schon wieder so ein, dass alle frei fließen können. Wenn die Natur geschändet wird und gar eine Umweltkatastrophe folgt, so ist dies nur für die Menschen eine Katastrophe, und die Pflanzen und Tiere, die sie mit sich ziehen. Langsam, aber sicher – ich selbst erhole mich im Laufe der Zeit immer wieder. Ich habe Zeit!

Meine Hülle heilt immer wieder, die Frage ist, ob mit oder ohne Mensch. Diese Entscheidung liegt im Menschen allein, in jedem einzelnen! Ganz ohne Wertung gesehen: Ich brauche den Menschen nicht, aber der Mensch braucht mich. So war es und so wird es immer sein.

Ihr seid als Besucher ein Zyklus in meinem. Auf diese Weise sind wir miteinander verwoben…

Dies gehört zum großen Plan der Natur der tausend Dinge.

Nichtsdestotrotz, es war und ist mir immer wieder eine Freude, gemeinsam mit den Menschen auf ein glückliches und gesundes Leben hinzuarbeiten! Jederzeit. Und hier in Cambolia fällt das Leben einfach leicht – alle leben frei, frei von Sorgen und Disharmonien, einfach unbeschwert und glücklich, und so bin ich es.

Und nun endlich werde ich euch von einem ganz gewöhnlichen Tag in diesem himmlischen Paradies auf Gäa erzählen:

 

Der Bogenfels, bizarr, ohne scharfe Kanten, seit Jahrtausenden vom Wasser geformt und geschliffen, ist für Salana und ihre Freunde in doppelter Hinsicht der beste Ort am Meer:

In der Form eines Bogens ragt der riesige Fels eine Brücke bildend bis ins Meer hinunter, um dort in eine Säule überzugehen, die in der Tiefe fest mit dem Felsen am Meeresboden verankert ist. Ideal zum Springen und Tauchen, ideal für die ungestümen lebenshungrigen Jugendlichen von Cambolia.

Angefeuert zu einem ersten Sprung werden die acht Jungendlichen von der gleichen Anzahl an Delfinen, die rückwärts stehend, rückwärts tanzend, auf ihren Schwanzflossen wellenreiten und dabei laut tönen.

Die Mädchen und Jungen sind aufgeregt, kichern und diskutieren lange hin und her, wer denn nun beginnen soll oder will.

Es ist Salana, das schlanke, drahtige Mädchen mit mittelblonden, schulterlangem, glatten Haar mit Mittelscheitel, die ein paar Schritte vor zum Felsrand geht, nun nicht mehr zappelnd und gackernd. Während sie sich einen Zopf bindet, konzentriert sie sich auf den Sprung. Dabei wiegt sie kurz ihren Kopf fast unmerklich hin und her.

Ganz ruhig und sehr bei sich lässt sie ihren Blick von einem Delfin zum anderen gleiten und hält bei dem zweiten von links inne. Ein Blick, ein Lächeln, ein Nicken des Delfins, und wie auf ein Zeichen springt Salana ihren ersten Sprung in der Form einer exakt gerade geschriebenen Zahl Eins aus dieser Höhe ins Meer. Zur gleichen Zeit taucht ihr Delfin in einem kleinen Bogen hinab. Nur wenige Sekunden später tauchen die beiden zusammen auf: Salana reitet auf dem Rücken des Delfins und hält sich dabei an seiner Rückenflosse fest. Sie lacht laut und ruft den anderen zu:

„Nun kommt! Der nächste ist an der Reihe! Ihr seht, es geht ganz einfach! Choi – du – du bist der nächste!“

Dabei schnattert sie wie ihr Delfin. Sie redet gern, ob im Wasser oder außerhalb.

Das motiviert sie alle. Jetzt gibt es niemanden mehr, der zögerlich wirkt. Sie schafft es immer wieder, die anderen in ihrer Begeisterung mit sich zu ziehen.

 

Choi, ein Junge von graziler Haltung, mit dunklen, fransig geschnittenen Haaren ist der nächste. Schlank und eher schlaksig sieht er aus, dazu noch von recht blasser Hautfarbe, obwohl er genauso wie die anderen viele Stunden täglich draußen verbringt. Dabei strahlt er eine gewisse Anmut aus, welches selbst aus der Entfernung wahrzunehmen ist. Etwas verlegen winkt er Salana zu, denn sie hat ihn vor allen anderen ausgewählt. Er weiß nicht, was er davon halten soll. Darüber will er jetzt nicht weiter nachdenken. So nimmt er beherzt Anlauf und springt elegant mit Händen und Kopf nach vorn ins Wasser. Das Besondere an seinem Sprung ist, dass nicht das leiseste Platschen zu hören ist, als er ins Wasser eintaucht, absolut geräuschlos öffnet sich das Wasser und schließt sich wieder hinter ihm.

Sein Delfin tut es ihm ebenbürtig – nichts ist zu hören, nicht der kleinste Wasserspritzer zu sehen. Ebenso geräuschlos tauchen beide zusammen strahlend auf und gesellen sich zu Salana, die ihre stille Bewunderung so schnell nicht verheimlichen kann. Choi lächelt etwas verlegen, weil er ihr Lächeln wieder nicht so recht einordnen kann. Schnell, bevor er nun etwas Ungeschicktes macht, was ihm in letzter Zeit bei Salana öfters passiert, ruft er etwas hektisch den anderen zu, die immer noch laut Beifall klatschen und ihm zurufen:

Choi, großartig! Wie hast du das gemacht? Das war Magie!“

Er wedelt jetzt heftig mit den Armen, was eigentlich bedeuten soll, dass das nun genug des Beifalls ist und der oder die nächste springen kann. Allerdings sieht er dabei nicht besonders geschickt aus, da er dabei mit dem Kopf unter Wasser kommt und sich ordentlich verschluckt.

Er hustet laut, Salana kommt zur Hilfe, doch er sagt nur rasch „Danke, geht schon wieder“, und wendet sich ab, damit sie seinen hochroten Kopf nicht bemerkt. Tut sie doch, sie lässt sich aber nichts anmerken, wackelt unmerklich ein wenig in sich lächelnd mit ihren Kopf. Das ist eine ihrer Eigenarten, wenn etwas sie belustigt. So vergisst sie ihre Schmerzen, die sie seit dem Eintauchen hat. Sie hat zu früh die Spannung ihres Körpers aufgehoben und hat sich daher etwas unglücklich aus dem Rücken heraus bewegt. Sie lässt sich nichts anmerken, denn sie will die anderen nicht entmutigen, im Gegenteil, es ist ja so oft ihre Rolle, anderen Mut zu geben, die Vorreiterin und anderen ein Beispiel zu sein.

Es ist solch ein schöner Morgen, diesen kann sie einfach nicht mit einem schmerzverzerrten Gesicht ruinieren. Sie lässt sich vom Wasser tragen, und das hilft, es wird schon wieder werden.

Choi, das war einfach zauberhaft, du hast ein unglaubliches Talent und Einfühlungsvermögen, dass selbst das Wasser auf dich so reagiert!“

Das will Salana doch noch loswerden. Er sieht sie ja gerade nicht an. Für ihn ist das der Gipfel. Er sagt nur „Danke“, und dreht sich die ganze restliche Zeit nicht mehr zu ihr um, jedenfalls immer, wenn er daran denkt, was fast die ganze Zeit ist.

 

Da steht schon Burgon, ein großer Junge von kräftiger, athletischer Statur, mit langen dunklen, zu einem Zopf gebundenen Haaren und einer markanten Nase, die etwas größer und leicht gebogen ist und ihm einen ausdrucksvollen Gesichtsausdruck verleiht.

Und – was soll er auch anderes tun: Er nimmt Anlauf, kraftvoll, so weit es geht und springt. Doch, nicht wie alle denken, zu einem lauten Kugelsprung, das nennen sie so, da man wie eine Kugel aussieht, wenn man Arme und Beine vor dem Körper fest zusammenzieht und hält. So weit es geht, springt er und schwebt dabei mehrere Sekunden durch die Luft, um in einem hohen und vor allem weiten Bogen im Wasser zu landen. Es sieht aus, als würde er ins Fliegen übergehen. Alle können sie für kurze Zeit einen großen Adler neben ihm wahrnehmen. Er schafft einen Sprung von einigen Körperlängen und landet fast neben den beiden wartenden Freunden im Meer. Eine beachtliche Leistung! Als er mit seinem Delfin auftaucht klatschen alle begeistert. „Das war fantastisch, Burgon!“, ruft Choi, der immerhin wieder seine gesunde blasse Gesichtsfarbe hat.

Burgon konnte schon früh für einen kurzen Augenblick die Anziehungskraft der Erde überwinden und macht sich einen Spaß daraus, sein Können hier und da zu demonstrieren, denn er weiß, wie sehr sich die anderen für ihn mitfreuen. Was macht es für einen Sinn, wenn man etwas Besonderes kann und niemand da ist, dem man es zeigen darf? So sind beide glücklich – er und seine Freunde.

 

Natürlich, Aleyna, mit ihren rotblonden welligen, fast wuseligen langen Haaren und ihrer schlanken, fast knabenhaften Figur – sie muss sich wieder zieren und ein kleines persönliches Theaterstück aufführen… Sie tänzelt zum Felsvorsprung und wieder zurück, winkt den anderen zu, tänzelt nach links, tänzelt nach rechts, und ihr Delfin tanzt vorwärts und rückwärts, singt fröhlich vor sich hin und taucht wieder ab. Alle lachen. Um die Spannung noch weiter zu steigern, lässt sie, wie soll es auch anders sein, erst einmal den nächsten an den Felsvorsprung vor.

Sie schiebt einen muskulösen Jungen mit kahlem Schopfe nach vorn, der sich natürlich gerne nicht wehrt und sich in posierenden Stellungen auf dem Felsen zur Schau stell. Dabei muss er zwischendurch über sich selbst lachen. Es macht ihm sichtlich sehr viel Spaß, seine Muskeln spielen zu lassen. Er lässt sich alle Zeit für seine Selbstdarstellung. Wenn die anderen ihm nicht ein einheitliches „Spring, spring, spring!“, zurufen würden, wäre er wahrscheinlich über die Zeit zu einem posenden Denkmal in Fels geworden.

„Ja, ja!“, ruft er und macht eine Verbeugung. „Es geht schon los, ich musste doch nur meine Muskulatur aufwärmen und gibt es denn einen besseren Ort auf Cambolia als diesen hier oben?!“

Die anderen lachen und pfeifen.

Ushlaran, der Akrobat, so ist er. Man merkt ihm so überhaupt nicht an, dass er eher der Einzelgängertyp ist. Es scheint, als bade er förmlich in der Gesellschaft seiner Freunde, stellt sich gern dar, ist immer für Späße zu haben, vor allem wenn es um ihn selbst geht. Auf der einen Seite nimmt er sich sehr, sehr ernst, arbeitet tagelang konzentriert, allein, irgendwo von allem zurückgezogen und hat dann aber auch andererseits diese gesellige, kumpelhafte Seite, die sie alle so an ihm lieben.

Er nimmt Anlauf, macht einen kompletten Körperschrauber vorwärts in der Luft, d.h. er dreht sich unentwegt während er durch die Luft fliegt und taucht geschmeidig und zart ins Wasser ein. „Wunderbar!“, rufen alle, als er auftaucht. Aber wo ist sein Delfin? Natürlich, auch er zeigt allen, was er gerne tut: gleich sieben Mal schnellt er aus dem Wasser hoch in die Luft, macht mehrere Dreher hintereinander in der Luft und taucht ebenso zart ein wie Ushlaran. Ein Fest für die Augen! Dann schwimmt er zu Ushlaran, und beide schlagen Hand und Flosse aneinander zum Zeichen ihrer besonderen Freundschaft und der gelungenen Vorführung.

 

Da steht auch schon Kyr, ein sommersprossiger Junge mit blonden, welligen, zotteligen, schulterlangen Haaren, sehr athletisch, mittelgroß, mit leuchtend blauen Augen. Ein Junge, der zwei Wesen in sich zu vereinen scheint, zum einen ist er sehr humorvoll, für jeden Spaß oder jede Albernheit zu haben und sieht in vielen Dingen eine Komik, die allerdings des Öfteren nur er sieht, und kann zum anderen zu einem bestimmten Punkt sehr konzentriert, ja sehr ernst sein – nämlich dann, wenn er singt. Man kann somit sagen, dass er ein in sich sehr ausgeglichener junger Mann ist.

Dass auch er nicht gleich springen wird, haben sich alle schon gedacht. Die, die im Wasser sind, halten sich bequem an den Rückenflossen ihren Delfine fest, während die restlichen oben auf dem Felsvorsprung sich nun hinhocken. Sie wissen, es wird etwas Besonders kommen, das man besser in einer bequemen Position genießen kann.

So warten sie gespannt.

Kyr holt tief Luft – um – sich singend einzustimmen. Ein wunderschöner Gesang erklingt. Da passiert es:

Das Wasser beruhigt sich augenblicklich; die Wasseroberfläche scheint einer Samtdecke gleich. Der Himmel spiegelt sich darin, mitsamt Kyr, wie er auf dem Felsvorsprung steht. Er singt, und noch während er weiter singt, springt er ab, singt, gleitet durch die Luft, singt und singt und taucht ein. Genau in diesem Augenblick übernimmt sein Delfin den Gesang. Als Kyr wieder auftaucht, beendet dieser den Gesang mit einem großen Finale. Manche haben Gänsehaut, obgleich sie im warmen Wasser sind. Alle sind ergriffen von diesem Auftritt. Er hat sie in kürzester Zeit mit seiner magischen Stimme verzaubert… Wie das Wasser.

„Wow!“, „Wunderbar!“, „Das war unglaublich schön, Kyr!“

Jeder sagt etwas Derartiges. Nur Salana stimmt nicht in den Jubelchor mit ein. Sie kommt ganz langsam auf Kyr zugeschwommen und sagt ihm mit einer Stimme wie von weit weg:

Kyr, ich danke dir – für mich ist es das schönste auf dieser Welt, solch schönen Klängen zu lauschen! Du hast mich mit deiner Stimme nach Hause getragen – eben gerade, in dieser kurzen Zeit – wunderbar! Du kannst heilen mit deiner Stimme, alles um dich herum!“

„Danke, Salana!“, sagt Kyr lächelnd zu Salana und „Danke euch allen!“, ruft er mit einer kleinen Kopf-Verbeugung in der Runde. 

Nun kommen die zum Spielen aufgelegten Wellen zurück, und alle warten gespannt auf die letzten drei Springerinnen: Welche von ihnen kommt als nächste?

 

Hanaskea ist eher zierlich, mit schwarzen, glatten, sehr langen Haaren und sehr weißer Haut, welche durch den Kontrast zu ihrem schwarzen Haar noch weißer wirkt, als sie eh schon ist. Neben ihr steht Gimra mit blonden, etwa schulterlangen unbändig lockigen Haaren. Sie ist vollschlank und eher mittelgroß, neben Hanaskea sieht sie jedoch richtig groß aus. Die beiden Freundinnen scheinen einen gemeinsamen Auftritt zu planen. Rauch steigt auf. Sie haben etwas entzündet. Zwei große Kerzen, woher auch immer sie diese jetzt haben, jede in der Form eines halben Balls mit sieben entzündeten Dochten, die zu einem großen Feuer zusammen hoch empor brennen, stehen nun links und rechts von den beiden. Gimra geht nach vorn und macht einen Handstand direkt am vordersten Punkt des Felsvorsprungs. Spannung liegt über dem Meer. Als sie ruhig steht, stellt Aleyna eine der beiden brennenden Kerzen auf die Fußsohlen von Gimra. Es sieht aus, als habe sie brennende Füße. Schon drückt sie sich kräftig mit ihren Händen ab, und wie ein brennender Pfeil schießt sie gerade hinunter ins Wasser. Während sie abtaucht bleibt die brennende Kerze schwimmend auf der Wasseroberfläche, und Gimras Delfin springt vergnügt darüber. Jetzt taucht Gimra wieder auf, direkt unter der Kerze und hält diese beim Auftauchen auf ihrem Kopf. Eine phantastische Idee. Sie zeigt hoch zu Hanaskea, nickt ihr zu und gibt den Zuschauenden ein kurzes Zeichen, sich mit dem Beifall noch etwas zu gedulden.

Hanaskea nimmt die zweite Kerze in die Hände und hält diese vor ihren Körper. Mit drei kleinen Schritten nimmt sie Anlauf und springt hoch in die Luft. In diesem Moment lässt sie die brennende Kerze los, dreht in einem kleinen Bogen zum Wasser und taucht ein. Die brennende Kerze segelt gen Wasser, und in dem Moment, als sie aufkommen will, taucht Hanaskea direkt darunter auf und fängt die Kerze sanft über ihrem Kopf. Ihr Delfin springt vor Freude über sie, und auch Gimra ist sogleich bei ihr. Ein schönes Bild, die beiden mit den brennenden Kerzen über den Köpfen, im Meer schwimmend.

Sie tauchen ab, lassen die Kerzen wieder schwimmen und rufen auch alle anderen Delfine herbei. Diese tun es Gimras und Hanaskeas Delfinen gleich, und so springen sie einer nach dem anderen in hohen Bögen über die schwimmenden Flammen und treiben sie langsam von dem Sprungareal hinüber zu den wartenden Freunden, die sie mit Begeisterungsrufen empfangen. Zum Abschluss löschen die beiden Delfine die beiden Feuer indem sie beim Eintauchen mit ihren Schwanzflossen Wasser darüber spritzen.

 

Alle schauen nun gespannt auf die letzte Darstellerin. Niemand hat auf sie geachtet, als die Feuer-Wasser-Vorführungen waren. Aleyna steht dort oben etwas weiter zurück, so, als stünde sie dort schon eine Ewigkeit in sichtbarer Ruhe versunken. Sie sieht aus, als wäre sie ein Teil des Felsens, der übergeht in Luft, denn Windböen spielen liebevoll mit den zarten Tüchern, die sie sich umgebunden hat, und ebenso tanzt der Wind mit ihren langen Haaren. Sie sieht aus wie eine Melodie, als würde der Wind in Farben und sanften Bewegungen singen.

Langsam hebt sie ihre Arme, läuft an und springt in einem leichten Sprung von der Felskante ab. Gleich einem Vogel fliegt sie durch die Luft, wehen die bunten leichten Stoffe wie Federn. Direkt neben ihr, als wären sie eins, ihr Delfin. Dieses Bild scheint zu stehen und doch nicht, wie in Zeitlupe, so langsam schweben sie durch die Luft, und Aleyna bewegt dabei langsam die Arme, als seien es Flügel. Ein Bild, einem Schwarm Paradiesvögel gleich, eng beieinander. Ebenso sanft gleitend kommen sie herunter. Aleyna samt ihrem bunten Federkleid und ihr Delfin tauchen in einem einzigen Laut ein. Jetzt endlich als sie auftauchen atmen die anderen wieder ein, denn während der Vorführung haben alle die Luft angehalten, so fasziniert waren sie. Mit dem befreienden Ausatmen jubeln sie Aleyna laut zu.

Nach diesen gelungenen Vorführungen lassen sie sich von ihren Delfinen überaus zufrieden mit sich und der Welt an Land ziehen.

 

Tanobakt und Elieanar, ihre Priesterlehrer warten auf sie. Obgleich sie schon eine Zeit dort auf ihre Schülerinnen und Schüler warten, um ihren Unterricht zu beginnen, lassen sie den Jugendlichen ihre Freude und haben selbst viel Spaß, als sie sie vom Strand aus bei ihren Vorführungen beobachten. Sie erinnern sich gern an die Zeit, als sie dort ihre Morgen verbrachten, übten und einfach Spaß hatten. Diese Stelle ist außerordentlich geeignet, denn es gibt unterschiedliche Höhen zum Hineinspringen, das Wasser ist tief genug und hat zu dieser Jahreszeit eine angenehme Temperatur. So kann jeder in seinem eigenen Tempo üben und langsam höher gehen, wenn er will.

Tanobakt und Elieanor waren beide zu Schülerzeiten auch sehr sportlich, wie die meisten. Beide gehörten zu den Jugendlichen, die sehr gern im Wasser ihre Zeit verbrachten, jedoch eher unter Wasser oder als überaus schnelle Schwimmer, aber nicht unbedingt über dem Wasser. Beide mochten das Springen einfach nicht sehr gern, schon gar nicht aus der für sie schwindelerregenden Höhe. Schwindel kannten sie zwar nicht, doch sie fühlten sich einfach unwohl dort oben, und sie mussten es auch nicht – jeder so, wie er es mochte.

Unglücklicherweise hatte Elieanor lange versucht, dieses Unbehagen vor den anderen zu verstecken und es zu unterdrücken, während Tanobakt von vornherein sagte: ‚Bis hierhin und weiter ohne mich.‘ Sie hatte diesen Zeitpunkt verpasst und quälte sich damals sehr, versuchte, ihre Abneigung zu überwinden, denn sie konnte sich dieses Unbehagen auch nicht erklären. So etwas gab es doch auf Cambolia nicht. Sie wusste zwar, dass sie als Baby einmal vom Tisch gefallen war, doch es war nichts weiter passiert außer dem Schrecken ihrer Eltern. Daher konnte es diese Ursache doch nicht sein. Außerdem liebte sie nichts mehr wie Vögel, Berge, Luft. Sie konnte Stunden verbringen und Vögel beim Fliegen zusehen, Möwen, wie sie im Wind schwebten, vor allem an den Klippen, wo sie mit dem Wind zu spielen schienen.

Doch sie selbst, länger in der Luft als nötig, nein, das ging einfach nicht. Sie mogelte damals, als sie die Sprünge übten. Doch eines Tages musste sie sich ihrer Angst stellen. Es war die Zeit der Vorführungen. Einer nach dem anderen zauberte von dem Bogenfels aus wunderbare Sprünge. Sie hielt sich im Hintergrund. Sie ließ einen nach dem anderen vor und hoffte, dass man sie wieder einmal vergessen würde, dass es dann irgendwann zu spät war und sie mit dem Unterricht weitermachen mussten oder dass es zufälligerweise heute ausnahmsweise früher das Essen zur Mittagsstunde gab oder ein unangekündigter Regenschauer ausgerechnet jetzt niederprasselte.

Sie hatte beim Training keinen einzigen Sprung aus dieser Höhe gewagt, in all dem Tumult bei den Sprungtagen war dies nie aufgefallen. So kam für sie unausweichlich dieser Tag. Alle freuten sich, hatten ihren Spaß, aber sie litt. Sie stand dort oben, nun war sie als letzte übrig. Nichts war geschehen, das sie von dieser Last befreit hätte. Alle feuerten sie an, ihre Lehrer riefen ermutigende Worte, doch sie war wie aus Stein, so schwer war ihr zu Mute.

Der einzige, der sie verstand, war Tanobakt. Er kam schließlich zu ihr hoch und hielt sie bei der Hand. „Versuch es, einmal. Ich sehe dir an, dass es ein wunderbarer Sprung wird. Ich weiß, wie es dir geht, Irritationen im Bauch, weiches Gefühl in den Beinen und dann wieder bleierne Schwere, überall.

Elieanor, wenn es aber einfach nicht geht, dann gehen wir gemeinsam hinunter, das ist auch in Ordnung. Du weißt, dass das auch in Ordnung ist. Das gehört nicht zu unseren großen Prüfungen, das hier soll Spaß machen und nicht Qualen bereiten. Keiner will, dass du dich quälst. Das gehört zu deiner ganz persönlichen Prüfung. Stell dich ihr. Du weißt, dass gerade das wertgeschätzt wird. Von allen und von unseren Lehrern.“

Sanft redete er ihr zu und hielt dabei weiter ihre Hände. Die anderen waren schon an den Strand geschwommen und trockneten sich ab. Sie schaute in seine Augen, die sie voller Wärme ansahen. Langsam wurde Elieanor leichter zu Mute, der Druck wich von ihren Schultern.

„Danke, Tanobakt, das werde ich dir nie vergessen!“, sagte sie, drehte sich um. Entschlossen, ohne sich umzusehen, ohne dem kleinsten zögernden Gedanken eine Chance zu geben, ging sie zum Felsrand, federte kurz und sprang ab. Wie eine Eins sprang sie, schön sah sie aus, ihre dunkle Haut, ihr sportlicher Körper, ihr leuchtend blaues Stirnband um ihre schwarzen langen Kräuselhaare. Tanobakt vergaß völlig sein Unbehagen am Felsvorsprung, rannte vor und schaute ihr nach.

„Wunderbar!“, rief er laut und winkte ihr zu, so freute er sich, dass sie es geschafft hatte. Auch die anderen hatten es gesehen. Jeder begriff, welchen Mut sie überwunden hatte, dies zu tun und klatschte laut Beifall.

Elieanor rief zu Tanobakt: „Einmal und nicht mehr wieder, nicht mehr, so ich denken kann!“

„Ja, wir beide sind eben eher wie Fische und schauen vom Wasser aus den Vögeln beim Fliegen zu!“, rief er zurück, und sie lachten erleichtert.

Seither haben die beiden eine tiefe Beziehung zueinander. Das tiefe Gefühl füreinander hegen sie beide schon lange, doch lassen sie sich beide Zeit. Sie sind von außen ein lustig anzusehendes, aber dennoch sehr hübsches Paar – Elieanor ist dunkelhäutig, muskulös, nicht sehr groß, und vom Temperament humorvoll, lebensfroh, lustig, gern in Bewegung. Tanobakt ist das genaue Gegenteil: Zwar sportlich, doch nicht sehr muskelbetont, groß, mit glatten, langen blonden Haaren, wobei er die vorderen Haare stets nach hinten zusammengebunden trägt, und einer recht großen, markanten Nase. Ihre Nase ist hingegen stupsig, dafür etwas breiter. Tanobakt ist eher ruhig, tut alles mit Bedacht. Er mag keinen Lärm, nicht zu viel Trubel. Wahrscheinlich kommt dies durch einen Streit seiner Eltern, als er noch ein kleiner Junge war. Da dies in Cambolia so gut wie nie vorkommt, dass Menschen sich streiten, und dann auch noch mit lauten Stimmen aufgebracht sich sogar anschreien, war dies damals wie ein Schock für den kleinen Tanobakt. Hilflos musste er die heftige Auseinandersetzung mit ansehen und fürchtete sich in diesem Moment sehr.

Alle drei, seine Eltern und er, waren kurz danach zu Behandlungen im Heiltempel und die Ursache des Streites konnte geklärt werden. Die Beziehung seiner Eltern verläuft seitdem sehr harmonisch. Auch Tanobakt hat über die Zeit seine Furcht vergessen, da er weiß, dass Auseinandersetzungen zu einem Zusammenleben dazugehören können, es immer Lösungen gibt und er sich der Liebe seiner Eltern sicher sein kann. Dennoch, das Unbehagen bei lauten Stimmen ist geblieben, das ist einfach so, und damit lebt er seither. Wenn große Feste sind, steckt er sich einfach kleine Stoffkügelchen ins Ohr, so ist der Lärm gedämpft, und er kann die Feier voll genießen. Seine große Vorliebe ist das Wasser, nur ohne Sprünge. Er liebt es zu tauchen und beobachtet alles, was mit Wasser zu tun hat, bis hin zu den Wasserfällen in den Gebirgen, den Quellen, den Bächen, Flüssen, Seen und dem Regen.

Elieanor liebt er, ihr Aussehen, alles an ihr. Denn er weiß, dass es einen Streit wie jenen damals, mit ihr einfach nicht geben kann, da Elieanor eine humorvolle liebenswerte Art und Weise hat, mit allem und jedem umzugehen.

 

 

Schon früh lernen die Kleinkinder auf Cambolia den Umgang mit Wasser, das Schwimmen, das Tauchen. Obgleich alle hervorragende Schwimmer und Springer sind, gibt es doch kleine Unterschiede in den Ausführungen, wie alle sehen konnten. Das macht die Qualität eines jeden einzelnen aus – jeder für sich ein besonderes Talent. Kein Wunder also, dass es den Priesterlehrern sehr viel Freude bereitet, die Jugendlichen zu unterrichten.

Der Unterricht hat bereits schon zu Sonnenaufgang begonnen. Sie sind alle acht im letzten Jahr ihrer Ausbildung zum Meister.

Mit dreizehn hatte die Ausbildung der Novizen begonnen. Da hatten sie bereits zehn allgemeine Schuljahre hinter sich. Eine Zeit, die sie nicht als Last empfinden, wie das zu späteren Zeiten oft der Fall ist, sondern ganz im Gegenteil: Sie lernen mit sehr viel Spaß und Engagement. Den Wissensdurst der Kinder wissen diejenigen Priester, die sich auf Erziehung und Bildung spezialisiert haben, sehr zu schätzen und fördern diesen mit ebenso viel Spaß und Engagement. Keiner hat das Gefühl schlechter oder besser zu sein.

Die ersten zehn Jahre bekommen alle Kinder auf Cambolia eine allgemeine Ausbildung. Zum Beispiel werden alle schon ganz früh telepathisch unterrichtet, oft mittels Lehrkristallen, welche mit dem entsprechenden Lerninhalt programmiert werden. Voraussetzung ist die absolute Entspannung, die die Kinder ebenso früh lernen, um in dieser Tiefe des Bewusstseins die Informationen empfangen zu können. Die Priesterlehrer sorgen stets dafür, das Energiefeld um die Kinder gleich zu halten, sodass sie in der Ruhe lernen können. Die Schulen sind ausgesprochen angenehme Häuser, geplant nach allen Gesetzen der Harmonie des Lebens, und im Speziellen der Harmonisierung des Menschen mit seiner Umgebung, ähnlich der heutigen Geomantie oder Feng Shui.

Beruhigende Musik, in manchen Räumen angenehme Düfte sowie indirektes Licht, welches entsprechend ihrer Farbwirkung eingesetzt wird, begleiten und unterstützen die Kinder in dieser entspannenden Stimmung. Die Kristalle sind so programmiert, dass genau die richtige Menge und Inhalt der Information auf das Kind heruntergeladen wird. Parallel wird jedes Kind – absolut jedes Kind – nach seinen Talenten gefördert. Entsprechend diesen können sich die Kinder nach den gemeinsamen zehn Unterrichtsjahren für einen gewünschten Beruf spezialisieren und so beginnen fortan die Ausbildungen in den unterschiedlichsten Berufen.

 

Unsere acht Jugendlichen haben sich für den Weg des Priesters entschieden, wobei diese Aufgaben sich weit über rein rituelle Handlungen erstrecken und in den unterschiedlichsten Bereichen ihre Spezifikationen erreichen.

So war die dominante musische Ader bei Kyr schon mit einem Jahr zu erkennen. Daher bekam der humorvolle, sommersprossige, mittelgroße, athletische Junge mit blonden, zotteligen, schulterlangen Haaren und leuchtend blauen Augen von Anfang an zu den allgemeinen Lerninhalten noch zusätzlichen Unterricht in Musik. Natürlich erlernte er spielerisch den Umgang mit den verschiedensten Instrumenten. Als er größer wurde, fing er an, einige Instrumente selbst zu bauen und darin wird er natürlich auch weiterhin unterstützt.

Anfangs baute er diese gemeinsam mit einem Priester mit spezieller Ausbildung in Musik – vom Aussuchen des richtigen Holzes, draußen in der Natur, dessen Lagerung und Bearbeitung bis hin zu den unterschiedlichsten Formen der Klangkörper. Doch schon bald entwickelte er auch dafür ein feines Gespür und vor allem auch Geschick. Momentan probiert er die unterschiedlichsten Materialien für Saiten aus. Er erfindet neuartige Klangkörper, sogar aus Kristall bis hin zu verschieden Arten von Klangräumen. Dazu benutzt er zum Beispiel dünne, nach innen gebogene und verstellbare Wände, um mit dem Schall zu experimentieren. Die Wände sind aus Metall, aus Holz, aus Stoffen, Metall mit Löchern oder mit Prägungen, hohe Wände, zum Kreis geschlossene Wände und, und, und. Der Mensch soll in der Mitte sitzen, um mit den entsprechenden Tönen, mit Stimme, Gesang oder Instrument, beschallt zu werden – zur Tiefenentspannung und zur inneren Heilung.

Als Kyr zehn Jahre alt war, kam seine Neugier zum Himmelswesen hinzu, also wurden ihm im Bereich der Astronomie Grundlagen vermittelt, worauf er später, wenn er den Weg des Priesters gehen will, aufbauen kann. Dementsprechend vertieft er jetzt sein Wissen in beiden Bereichen. Er kann sich hier auf Cambolia auch gar nichts anderes vorstellen.

Kyr, der Ausgeglichene, der Musiker mit der magischen Stimme.

 

Salana, das schlanke, drahtige Mädchen mit mittelblonden, schulterlangem, glatten zu einem Zopf gebundenen Haaren und Mittelscheitel, hat sehr unterschiedliche Interessen. Es scheint sie gar alles gleichermaßen zu faszinieren. Was sich im Alter von etwa fünf Jahren bemerkbar machte, war ihre frohe Art, ihre Mitschülerinnen oder Mitschüler zur Mitarbeit und zum Lernen zu motivieren, obgleich die Priesterlehrer diese Unterstützung nicht unbedingt brauchen, denn den Unterricht gestalten sie immer wieder aufs Neue interessant für alle. Doch Salana ist eine besondere Art von Unterstützung. Durch sie können die anderen tatsächlich das Unterrichtete leichter verstehen.

Da Salana meist sehr schnell mit den gestellten Aufgaben fertig ist, schaut sie sich um und geht gezielt zu denjenigen, bei denen sie spürt, dass sie etwas nicht verstanden haben und hilft. Das nehmen die Lehrer gern an, denn sie hilft tatsächlich nur dort, wo ihre Hilfe genau zum richtigen Zeitpunkt kommt. Keine Spur von Besserwisserei, sie tut es gern, einfach so. Nun, sie redet auch gern, erklärt gern und geduldig, mit viel Einfühlungsvermögen und diplomatischem Geschick, welches sich andere oftmals über mehrere Jahre aneignen müssen. Sie alle schätzen Salanas Art, mögen ihre beruhigende Stimme und fragen oftmals erst sie, bevor sie ihre Lehrer fragen.

Salana hat sich in ihrer Ausbildung zum Meister im Bereich Erziehung und Bildung spezialisiert, gleich ihrer damaligen Priesterlehrer.

Salana, die Motivierende, die Selbstlose, die, die gern redet.

 

Choi, der Junge von schlanker und schlaksiger, aber graziler Haltung, mit dunklen, fransig geschnittenen Haaren und recht blasser Hautfarbe, ist schon von klein auf ein Ästhet. Er liebt die Stimmungen des Wetters, die Sonnenaufgänge und Sonnenuntergänge. Er verbringt Stunden mit dem Beobachten von Naturschauspielen. Er liebt die Pflanzen und mit vier Jahren bereits sprach er mit ihnen, ganz selbstverständlich. Genau das wird in der Schule gelehrt, wie man durch Einfühlsamkeit einen Kontakt zu anderen Wesensformen aufnehmen kann, zu den Tieren, zu den Pflanzen, zu den Elementen, zu den Heilsteinen usw. Er trägt diese Gabe in sich. Er spricht mit den Pflanzen, als würden sie laut mit ihm reden und fasziniert damit seine Mitschüler und die Lehrerschaft. Jeder weiß, aus ihm wird einmal ein großer Heiler, was er mit tiefer Berufung auch tut, denn das ist der Weg, der zu ihm gehört, sehr klar und deutlich.

Ein durchaus charmanter Charakterzug ist seine Schüchternheit Mädchen gegenüber, besonders denen gegenüber, die er sehr gern mag. Er war als kleiner Junge einmal ungeschickt hingefallen, genau in eine Gruppe von drei schwatzenden Mädchen, die sich erst erschraken, dann aber fürchterlich kicherten. Es muss auch wirklich ulkig ausgesehen haben, wie er so vor ihren Füßen in der Mitte gelegen und von unten mit seinen großen dunkelbraunen Rehaugen in die belustigten Augen der Mädchen geschaut hatte. Seitdem jedenfalls schaut er Mädchen nie lange in die Augen und versucht, dies zu vermeiden, wo er kann. Es passieren ihm die unmöglichsten Dinge, wenn ihn ein Mädchen ungeplant anspricht.

Choi, der Ästhet, der Seelenmensch, der Heiler.

 

Von klein an auf der Suche nach Ursache und Wirkung ist das vollschlanke, eher mittelgroße Mädchen mit blonden, etwa schulterlangen unbändig lockigen Haaren – Gimra. Das Fragewort warum begleitet sie ihr ganzes Leben. Selbst, wenn alles erklärt scheint, stellt sie weitere Fragen. Sie sucht unermüdlich nach dem Hintergrund von allem und jedem. Die geborene Wissenschaftlerin – und auch Lehrerin, denn sie sammelt einen unglaublichen Schatz an Wissen. Sie liebt es, ihr Wissen mit anderen zu teilen, es weiterzugeben an den, den es interessiert. Nur selten benutzt sie Kristalle zum Auslagern ihres Wissens. Man könnte denken, dass sie zu Hause sicher eine umfangreiche Bibliothek in Kristallform, eine Kristallothek hat. Das braucht sie nicht, denn sie kann bald schon auf das Große Allgemeinwissen zugreifen und dieses um ihre eigenen Erkenntnisse sogar noch in manchen Bereichen erweitern.

Dies schaffen und dürfen überhaupt nur wenige. Schwierigkeiten hat sie mit den reinen Energien – sie muss alles begreifen können, so lange forscht sie, bis sie es begriffen hat. Trotz dieses suchenden Wesens in sich ist sie sehr bodenständig. Später initiiert sie sogar ein Netzwerk für Wissensaustausch und ist, wie auch Ushlaran, in einer Kerngruppe emotional unbelasteter Berater und Führer. Genau wie er will auch sie sich nicht fest binden, denn für sie steht ihre Arbeit über allem. Mit jeder Zelle ihres Körpers ist ihre Arbeit ihre Berufung.

Gimra, die unermüdliche Wissenschaftlerin, die, die alles begreifen möchte.

 

Bei Aleyna, Salanas Schwester, sieht einfach alles so aus, als würde ihr es mit Leichtigkeit von der Hand gehen, einfach, als würde sie alles mal eben so nebenbei machen. Dabei betont das Mädchen mit den rotblonden langen Harren und der knabenhaften Figur immer, dass sie wirklich alles gibt, auch wenn man ihr das so nicht ansieht. Im Tanz kann sie sich ganz hingeben durch ihre traumweltartige Ausdrucksform. Sie hat früh Kontakte zu anderen Wesenformen, die sie damals noch nicht recht einzuordnen weiß. Die Priesterlehrer erkannten dies zeitig und halfen ihr über die Zeit, bis sie genau verstehen konnte, um welche Kontakte es sich handelte, und dass sie diese später für ihre heilerischen Fähigkeiten wunderbar nutzen kann. Einfühlsam ist sie seit jeher in das kleinste Wesen oder auch in das größte Wesen. Mit ihren, ungewöhnlich für Cambolia, grünen Augen strahlt sie eine tiefe Liebe für alles aus, alles was sie umgibt und was es überhaupt gibt, Mensch, Tier, Pflanze, Wasser, Luft und, und, und. Liebe und Einfühlsamkeit.

Sie verblüfft die Priesterlehrer mit plötzlichen Worten wie „Sie sind nun schon den ganzen Tag bei uns seit den frühen Morgenstunden, sie hatten noch keine Weile Ruhe zum Entspannen und einen Happen zu essen oder trinken. Das können sie gern, wenn sie möchten, wir können auch einen Augenblick allein lernen.“

Oder mitten im Unterricht steht sie plötzlich auf und sagt: „Kann ich jetzt nach Hause gehen? Ich habe auf dem Schulweg eine Katze gefunden, die sich die Pfote verletzt hat. Um sie möchte ich mich gern weiterkümmern.“

Wenn sie draußen im Schulgarten sind, lacht sie oft einfach los, dann weiß jeder, dass irgendeine Pflanze ihr etwas Lustiges erzählt hat. Oft sieht man sie und Choi, wie sie vor einer oder auch mehreren Pflanzen sitzen und sich angeregt mit diesen unterhalten.

Aleyna und ihre Schwester Salana haben beide ein Muttermal in Form eines Sichelmondes am Haaransatz hinten. Salana ist es im Prinzip egal, doch Aleyna freut sich über ihre Verbindung zum Mond und meint, noch lieber hätte sie dieses Zeichen auf dem Arm.

Aleyna, die Tänzerin, die Heilerin, die, die in mehreren Welten zu Hause ist.

 

Burgon, der große, kräftige, athletische Junge mit langen dunklen, zu einem Zopf gebundenen Haaren und einer sehr markanten Nase, ist schon früh ein spirituell sehr starker Junge. Er hat es leicht, wenn es darum geht, zu lernen, mit seinen Energien umzugehen, sie zu bündeln, seinen Geist zu beherrschen. Er schaffte schon mit zwölf Jahren, die Schwerkraft zu überwinden, einfach, indem er seinen starken Willen in diese Fähigkeit umwandelte. Er erkannte auch als erster das Krafttier, den Alder, das ihn begleitet, und es macht den Anschein, dass er dessen Kräfte komplett in sich verinnerlicht. Kein Wunder also, dass er später zum Lehrer in Teleportation, Telekinese, der Levitation und auch der Magie werden wird.

Er hat allerdings als Einziger bereits in diesem Alter eine schwierige Entwicklung hinter sich. Die ersten Jahre in der Tempelschule wurde er von seinem Vater mit unterrichtet, der ebenfalls Priesterlehrer war. Sein Vater wollte nicht, dass Burgon durch seine außergewöhnlichen Fähigkeiten der Geistbeherrschung zu früh in seine Kraft kam. Er meinte, dies solle erst zur rechten Zeit, dem Zeitpunkt der inneren Reife geschehen, welche er noch lange nicht als erreicht sah, und hielt seinen Sohn oftmals zurück und bremste ihn.

Dies führte zu Irritationen in Burgons Verhalten, das sich darin äußerte, dass er, sobald er vor einem Erfolgserlebnis stand, unmittelbar zuvor abbrach, oftmals aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen. Alle wussten, er würde es schaffen, doch ihn überfiel eine unerklärliche, fast demütige Zurückhaltung, als würde eine unsichtbare Kraft zwischen ihm und dem Erfolg stehen. Das führte so weit, dass er selbst an seinen Fähigkeiten schon im Ansatz zweifelte.

Zunächst war dies niemandem aufgefallen, doch es war Aleyna, die seine langsame Veränderung wahrnahm und auch spürte, dass viel mehr in ihm steckte als das, das er nach außen zeigte. Auch Choi, Salana und Gimra ermutigten ihn immer mehr, was ihn jedoch weiter in einen inneren Konflikt stürzte. Auf der einen Seite die, die offensichtlich an seine Fähigkeiten glaubten, auf der anderen Seite sein Vater und Lehrer, der meinte, ihm fehle die nötige Reife. Es sei noch lange nicht an der Zeit. Aleyna vertraute sich Jaskula an, der Priesterlehrerin, zu der sie über das Verständnis für die Pflanzenwelt einen engen Kontakt hatte. Diese wiederum initiierte Gespräche mit Burgons Vater und schließlich mit Burgon, damit dieser wieder langsam seine natürliche angeborene Selbsteinschätzung zurück gewann. Sie entschieden sich alle, dass Burgon dann zum folgenden Jahr von einem anderen Lehrer unterrichtet werden würde, um die schwierige Konstellation Sohn-Schüler-Vater-Lehrer zu entlasten und wieder Leichtigkeit in die Vater-Sohn-Beziehung zu bringen.

Es war damals genau der richtige Zeitpunkt, nur wenig später wäre das innere Gleichgewicht bei Burgon gekippt. Die Folgen bei solchen Talenten wären wahrscheinlich für alle unübersehbar gewesen. Eine derart starke gefühlsmäßige Entwicklung ist seit Anbeginn in Cambolia noch nicht vorgekommen und somit fehlen auch die nötigen Erfahrungen mit deren Umgang. Es gibt nur theoretische Auseinandersetzungen mit Themen wie extreme Gefühle, starker Selbstzweifel und mangelndes Selbstvertrauen, die aus einer anderen Zeit von überlieferten Berichten stammen.

Es ist schön, Burgons Entwicklung nach dieser Klärung weiter zu beobachten. Er versetzt sie alle oft in Staunen. Die Demut behält er bei, was ihm, den die Magie so anzieht, gerade gut tut, denn die Demut ist der nötige Abstand und innere Respekt zu diesem sich stets auf einer Grenze befindlichen Bereich. Bei ihm kann man nun deutlich erkennen, dass seine Probleme mit seinem Vater durchaus einen Sinn gehabt haben. Er hat so die nötige innere Reife gewonnen, die er für seinen Beruf unbedingt als feste Basis benötigt.

Burgon, der Willensstarke, der demütige Magier.

 

Hanaskea, das zierliche Mädchen mit den schwärzesten Haaren und der hellsten Haut auf Cambolia, liebt vor allem das Essen und alles was damit zu tun hat: Die Pflanzen, deren Anbau, das Zubereiten, die Dankeszeremonien. Sie erfindet stets neue Kreationen und verzaubert schon ihre Lehrer mit ihren lukullischen Erfindungen. Sie führte ein, die Kunst mit der Essenzubereitung zu verbinden. Jeder mit Geschirr und Speisen gedeckte Tisch scheint einem Kunstwerk gleich, ganz zu schweigen von dem Essen auf dem Teller.

„Alle Sinne essen mit“, pflegt sie immer zu sagen. Das ist ihre Berufung. Ihr überaus starker Wille unterstützt sie. Sie gibt nie auf und experimentiert so lange, bis ihre Sinne alle applaudieren und sie sicher ist, dass ihre Essenskunstwerke auch bei allen anderen ankommen. Sie hat eine schier endlose Energie, kann Tag und Nacht mit lernen, studieren, experimentieren, denken, skizzieren, planen verbringen – die Zeit vergeht und sie merkt es nicht. Zeit existiert für sie nicht. Sie vergisst über ihren Essenskreationen oft sogar, selbst zu essen. Oder sie ist endlos am Essen, denn sie muss ihre neusten Kreationen natürlich probieren, bevor sie die anderen verköstigt.

Hanaskea, die Unermüdliche, für die sich alles ums Essen dreht.

 

Akrobatische Kunststücke werden von Ushlaran, dem muskulösen Jungen mit kahlem Kopf, bis ins kleinste Detail durchdacht, so akribisch setzt er seine sportlichen und planerischen Geschicke ein. Seine Aufführungen sind stets in darstellerischer Perfektion. So dachten die Lehrer anfangs, dies sei sein Weg, doch sie beobachteten ihn und ließen ihm alle Wege offen, denn irgendetwas brodelte noch in ihm.

Als er 13 wurde und als Novize im ersten Jahr ein Jahr von der Familie getrennt war, erweiterte sich sein planerisches Geschick auf das Überlegen, Konstruieren und auch Herstellen kleiner Hilfsgeräte. Auch das Design ist ihm seither wichtig – es soll nicht nur funktionieren, sondern auch praktisch in der Handhabung und vor allem formschön sein.

Er beobachtet Tiere und Pflanzen und versucht, kleine Prozesse nachzubauen, oftmals ausdrücklich ohne geistige Hilfe. Auch seine Kristalle lässt er inaktiv. Alles soll aus sich heraus funktionieren. Er beobachtet und ist fasziniert.

Er will die Grenzen spüren: Was kann man mit oder ohne welcher Energie erreichen…? Seit seinem zweiten Jahr in seiner Ausbildung zum Meister kristallisierte sich dann noch eine andere Richtung und Vorliebe heraus. Nun hat er seinen Weg gefunden, seine innere leichte Unruhe und Suche hat sich gelegt.

Ushlaran, er vertieft sein Wissen nun in Architektur und Landschaftsplanung. Da kann er seine planerischen Talente, seine Kreativität und sein Wissen voll ausleben. Er ist sehr glücklich damit. Seine Berufung ist sein Leben. Auch wenn er ein sehr kumpelhafter Typ ist, ist er doch eher ein Einzelgänger. Eine Verbindung fürs Leben ist für ihn kein Thema. Daher arbeitet auch er – wie Gimra – später in der Kerngruppe emotional unbelasteter Berater mit. Dass er durch und durch ein Kopfmensch ist, wird durch sein Aussehen unterstützt, denn er ist von klein auf kahlköpfig. Der Blick seiner braunen Augen hat stets etwas von einem etwas mehr Sehen, als tatsächlich da ist. Als könne er die Idee dahinter gleich ablesen.

Ushlaran, der Akrobat, der Planer, der Kopfmensch.

 

Als sie mit 13 Jahren von ihren Familien für ein Jahr getrennt wurden, um im Tempel zu wohnen und zu lernen, waren sie weder besorgt noch erfreut darüber, so früh einen eigenen Weg gehen zu können. Es gehörte einfach zu ihrem Ausbildungsweg und sie freuten sich darauf, weil es so war. Auch wenn es anfangs schon eine Umstellung war, denn sie verbrachten den größten Teil der Zeit mit Basisarbeit wie Meditationen, Visualisierungen, Sprechgesängen, Klangrhythmiken, Tönen, Chakrenarbeit, Energiearbeit und Schweigen. Durch die Art zu lernen, in völlige Ruhe zu kommen, sich zu öffnen und Informationen fließen zu lassen, war dies nicht so schwierig, das kannten sie von klein an.

Ungewohnt war die Länge, die Ausdauer, die Geduld, welches sie nun als Grundlage der Geistesbeherrschung erlernten.

Im zweiten Novizen-Lehrjahr konnten sie lernen, ihr neues Wissen nun in den normalen Ablauf in Familie und Gesellschaft zu integrieren. Dazu kamen der Umgang mit den Heilsteinen und die Verfeinerung der Geistesbeherrschung bis zur Beherrschung des Denkens sowie der Körpertemperaturen. Viel Spaß bereitete das Erlernen der Teleportation, also Dinge hin und her zu verschieben, egal wie schwer diese waren. Sie erlernten hier die Basis zur Materialisation und die Kontaktaufnahme zu Geistwesen. Sie trainierten ihre übersinnlichen Fähigkeiten, dem eigentlichen Schwerpunkt ihrer priesterlichen Ausbildung. Sie erlernten das zielorientierte Arbeiten, das Fokussieren auf eine Idee und das Finden des optimalen Wegs dorthin. Dies alles stets im Einklang mit sich und der Umwelt, den Mitschülern, der Familie, der Gemeinschaft, der Natur.

 

Sie alle hatten sich zur Ausbildung zum Meister entschieden und verbrachten auch hier wieder das erste Jahr ausschließlich im Tempel. Nun kamen die Grundzüge der Überwindung der Schwerkraft hinzu, das Planen und Leiten von Zeremonien und das Heilen sowie die Wirkung der Energien drinnen wie draußen.

Hier fanden Spezialisierungen statt und jetzt, im dritten Lehrjahr der Ausbildung zum Meister, sie sind im Alter von etwa 17 Jahren, können alle bereits ihre ersten Erfahrungen in dem jeweiligen Fachgebiet sammeln. Die Priesterlehrer stehen ihnen zur Seite, lassen ihnen jedoch früh freie Hand und schreiten nur ein, wenn Bedarf ist. Erfahrungen sind die besten Lehrer.

 


Heute Morgen haben sie sich bereits einige Zeit vor dem Sonnenaufgang getroffen. Heute waren Aleyna und Burgon an der Reihe, das Sonnenaufgangsritual durchzuführen. Das waren genau die richtigen – sie lieben die Rituale, die Zeremonien. Alle konnten sicher sein, dass die beiden eine Klitzekleinigkeit im Ablauf ändern würden, obgleich die meisten Abläufe bereits seit vielen Jahren die gleichen sind. Zum Sonnenaufgangsritual stellen sich bislang alle ans Meer, jeder dem Meer zugewandt, Richtung Osten, wo die Sonne bald aufgehen würde. Die Ritualsleiter stehen gewöhnlich mit etwas Abstand dahinter und beginnen mit einer Räucherung und dem anschließenden Sprechgesang zur Begrüßung des neuen Tages.

Heute baten Burgon und Aleyna alle, sich etwas weiter hinten am Strand im Halbkreis Richtung Meer aufzustellen und sich dort in die Ruhe zu begeben. Die beiden standen vor ihren Freunden und den beiden Lehrern und eröffneten das Ritual mit der Räucherung. Angenehm war das Umschmeicheln der Nasen mit dem wohligen Duft des Räucherwerks. Ein schönes gemeinschaftliches Gefühl kam auf. Aleyna begann mit dem Sprechgesang von zunächst unbekannten Silben kurz bevor die Sonnenscheibe zu sehen war. Burgon begleitete sie leise auf der Trommel. Als die ersten Strahlen der Sonne sie berührten, gab Aleyna allen ein Zeichen, nun in den Begrüßungssprechgesang einzustimmen:

Kraft der Sonne, des Feuers,

schenke diesem unseren Tag deine Energie;

auch ihr Kräfte der Erde, der Luft, des Wassers,

damit alles wachsen und gedeihen kann,

so wir auf dieser wunderschönen Erde

unsere Erfahrungen sammeln können und

in Glück und Freude leben und lernen.

Frieden und Harmonie seien unsere steten Begleiter.“

Ein kurzes Nicken war das Zeichen zum Verstummen. Aleyna lies die Begrüßung mit unbekannten Silben ausklingen. Burgons Trommel verstummte ebenfalls. Nach einer Weile der Ruhe drehten die beiden sich um und begrüßten alle mit den Worten:

„Habt einen schönen und erfüllten Tag. Gesegnet sei dieser Tag.“

So begann dieser Tag. So oder ähnlich beginnen für die Priester alle Tage auf Cambolia und für all diejenigen, die es mögen, ob am Meer oder im Inland, im Tempelgarten, am Wald. Auf jeden Fall beginnt jeder Bewohner Cambolias den Tag mit einer ruhigen Zeit der Besinnung und Einstimmung auf den Tag, wenn nicht über die Morgenrituale draußen im Freien in der Gemeinschaft, so im kleineren Kreis in der Familie oder Freunden oder vielleicht auch nur für sich. Dafür gibt es keine Regeln, die einzige Regel ist, den Tag in Ruhe zu beginnen und ihn zu begrüßen, das galt für alle.

 

Das freie Spiel am Meer dient heute Morgen dazu, den engen Kontakt zu den Delfinen noch weiter zu intensivieren und die telepathischen Kräfte zu schulen. So harmonisch, wie an diesem Vormittag, ist es sehr oft. Nur manchmal kommt ein Missverständnis auf, was aber stets gleich und meist sogar mit einem Lachen bereinigt werden kann.

Tiere sind wichtige Begleiter und auch Lehrer im Leben auf Cambolia.

Als Kind hat jedes Kind einen Hund, gleich von Geburt an, der es überall mit begleitet und mit ihm spielt. So lernen die Kinder sehr früh, sich auch auf ein anderes Wesen einzustellen, es zu schätzen und sich zu kümmern. Der Hund zieht sich in dem Moment zurück, wenn seine Aufgabe, seinen Schützling als Gefährte durch die Kindheit zu begleiten, erfüllt ist. Das ist meist so im Alter von 13 bis 15 Jahren, selten länger. Und wenn, ist es egal, denn es geschieht so, wie das Kind es braucht. Da gibt es keine Wertung. Beide entscheiden sich für den Zeitpunkt der Trennung.

Das Wachsen der inneren Reife, die Kindheit langsam abzuschließen, das Loslassen des getreuen Begleiters, der diese Zeit symbolisiert, ist die Voraussetzung für einen neuen Lebensabschnitt. Zu den Priesterschülern gesellt sich hier bald ein neuer Gefährte, ab dem Zeitpunkt, ab dem die Kinder nach der Schulzeit ihre Ausbildungen beginnen und das erste Mal von ihren Familien getrennt werden, um im Tempel zu leben. Dann kommen die ersten Kontakte zu den Delfinen. Man kann sich gut vorstellen, dass die zueinander passenden Charaktere auch schnell zueinander finden. Etwa zwei bis vier Jahre sind unsere Freunde schon zusammen. Die gemeinsame Arbeit wirkt wie ein Spiel. So soll es sein.

 

 

Am Strand haben sich nun alle getrocknet und umgezogen. Bis zum höchsten Sonnenstand folgt nun eine Zeit des Schweigens. Jeder sucht sich einen Ort ohne Sicht auf einen anderen, setzt sich und meditiert. Nur Salana und Tanobakt bleiben am Strand, doch sitzen sie füreinander nicht sichtbar neben großen Steinen. Die anderen verteilen sich, meist an ihre gewohnten Plätze wie unter einen Baum, auf der Klippe, mitten auf einer Wiese, an einem kleinen Wasserzulauf zum Meer, jeder wie er es mag.

Oftmals geht die Zeit der Meditation über einen ganzen Vormittag. Dies ist heute durch die Delfinarbeit etwas kürzer.

Nach einiger Zeit enden die Meditationen mit einem sanften Glockenton. Es folgt eine gemeinsame Bewegungsabfolge zum Energetisieren des ganzen Körpers. Sie nennen es sportliche Meditation. Diese Übung gehen sie insgesamt vier Mal durch, an alle vier Himmelsrichtungen gewandt.

Essenspause. Wasser und Meditation machen hungrig. Eine Mutter und ein Vater haben allen frische Pfannenkuchen mit Honig gebracht. Es gibt frischen Beerensaft. Hanaskea schnurrt fast die ganze Zeit beim Essen, so sehr genießt sie es. Sie liebt Pfannenkuchen über alles und den frischen Beerensaft dazu, das ist der i-Punkt, meint sie. Die anderen mögen das Essen natürlich genauso, nur eben ohne Schnurrgeräusche.

Tanobakt und Elieanor schauen zur Tempelspitze, welche sie auch von der Klippe aus sehen können, um die Zeit festzustellen, und um dann den Nachmittagsunterricht zu besprechen.

Auf der Tempelspitze befinden sich nämlich zwei große Leuchtstäbe, an deren Farbe und Richtung, in die sie zeigen – egal von wo man schaut – jeder erkennen kann, in welcher Tages- oder Nachtzeit man sich gerade befindet. Zum einen zeigen die Leuchtstäbe, an deren Spitze als Verbindung eine Sonne weilt, tagsüber direkt auf den Stand der Sonne. Auch wenn der Himmel bewölkt ist, richtet sich diese Sonne entsprechend dem tatsächlichen Sonnenstand aus.

Zum anderen ändern sich die Farben der Leuchtröhren. Da Sonnenaufgang und Sonnenuntergang nicht jeden Tag zur gleichen Zeit stattfinden, hat man ein Mittel errechnet, nach welchem die Uhr eingestellt ist. Entsprechend der sechs Grundfarben des Farbspektrums sind Tag und Nacht in jeweils sechs gleiche Teile eingeteilt, wobei jeweils ein Teil aus zwei Leuchtstäben besteht, symbolisch stehend für eine gerade und eine ungerade Stunde. Somit haben Tag und Nacht jeweils zwölf Stunden. Entsprechend des Farbspektrums erscheinen die Farben, die die Zeit anzeigen: Von rot über orange, gelb, grün, blau zu lila. Des Nachts erfolgt der gleiche Ablauf.

Ein Tag beginnt mit der Zeitrechnung zu Sonnenaufgang – mit rot. Das erste Viertel im ersten Leuchtstab, denn die Stunden werden hier noch in vier Teile geteilt, leuchtet nun rot. Zur halben Stunde leuchtet der erste Stab bis zur Hälfte rot, dann drei Viertel, dann voll – zur ersten Stunde.

Zur zweiten Stunde leuchtet zusätzlich der zweite Stab gemäß dem ersten Stab auf Viertel, Halb, Dreiviertel und zur vollen zweiten Stunde leuchten beide Leuchtstäbe rot. Zur dritten Stunde verschwindet das Rot und sie beginnt im ersten Viertel des ersten Leuchtstabes mit orange; so geht es weiter. Zur Tagesmitte leuchten beide Stäbe in gelb und zum vollen Abend beide Stäbe in lila. Von vorn beginnt es wieder mit rot, wie gehabt zu den Nachtstunden.

Vor dem Haupttempel steht eine große Sonnenuhr mit einer noch exakteren Zeiteinteilung. Ist es bewölkt, übernehmen auch hier die Farben die Zeitangaben. Auch die Mondphasen kann man darauf ablesen.

Der Tempel – oder auch Haus des Dankes – ist der Mittelpunkt, wenn eine Siedlung geplant wird.

Hinter dem Tempel befindet sich ein riesiger Garten mit einer großen Vielfalt an Pflanzen, vor allem Heilpflanzen, die die Novizen erlernen. Hier erfahren alle Novizen ihre Grundausbildung in Heilpflanzenkunde.

 

So gehen alle nach dem Essen in den Tempelgarten und Elieanor, neben Jaskula eine der beiden Priesterlehrerinnen in allem, was mit Pflanzen zu tun hat, zeigt heute allen Schülern die 20 verschiedenen Salbeisorten, die sie dort angepflanzt haben. Hanaskea, Ushlaran, Choi, Gimra und Aleyna bleiben nach dem kurzen Einblick weiterhin dort, um noch tieferes Wissen zu erhalten.

Sie setzen sich um die Pflanzen und versuchen, Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Kein Problem für Choi und Aleyna, wobei Aleyna doch hin und wieder von Elieanor erinnert wird, sich mehr zu konzentrieren, da sie plötzlich in Kommunikation mit allen Pflanzen um sich herum scheint und mit ihrer spitzen Nase an mehreren Blättern und Blüten hängt und nicht nur am Salbei. Auch Hanaskea hat rasch einen Zugang zum Salbei und gibt auch hier Töne von sich, mal des Entzückens, mal des Erstaunens. Auch sie wird wie Aleyna daran erinnert, die Verbindung doch im Schweigen aufzunehmen und auch beizubehalten.

Bei Ushlaran und Gimra verhält es sich schwieriger. Ushlaran starrt auf die Pflanze. So sehr er auch starrt, es fließen keine Informationen. Gimra wendet sich verzweifelt an Elieanor:

„Diese Pflanze möchte mir nichts sagen, ich werde meinen Kristall fragen müssen.“

„Hab Geduld, schick deinen Willen zur Seite, auch du, Ushlaran, du verbrennst sie sonst noch mit deinem Blick.“ Elieanor lächelt die beiden an.

„Sitzt einfach nur da und wartet, es kommt schon.“

Bei beiden kommt nichts. Ushlaran setzt all seine Kraft ein, ihm stehen Schweißperlen auf der Stirn und er schüttelt nur den Kopf. Die Pflanze scheint seinem Blick auch noch auszuweichen und bewegt sich hin und her. Er starrt fassungslos die anderen an, vor allem Hanaskea, die jetzt zwar keinen Ton mehr von sich gibt, aber man kann alles an ihren Grimassen ablesen. Hanaskea freut sich gleich noch mehr und läuft zu Hochtouren auf, als Tanobakt kommt, um sie und auch Gimra noch mit hinüber zu den Feldern zu den Nutzpflanzen zu nehmen, die vor allem zum Essen angebaut werden, Hanaskeas großem Lieblingsthema.

„Lasst mich auch mitkommen, Nutzpflanzen fand ich schon immer sehr interessant“, fleht Ushlaran förmlich Tanobakt an. Der ist sichtlich irritiert, denn er kann ja nicht wissen, welche Probleme Ushlaran bei der Kontaktaufnahme zum Salbei hat.

Ushlaran, keine Sorge, du wirst dich gleich einem deiner vielen Projekte zuwenden können. Jaskula und Rosuran kommen in etwa einer Viertelstunde, um dich bezüglich der Besichtigung der Orte für deine neue Tempelanlage abzuholen. Das ist dir momentan sicher nützlicher, oder?“, beschwichtigt Elieanor ihn. Er atmet erleichtert aus und lächelt wieder sein charmantes Lächeln.

Tanobakt schaut fragend zu Elieanor. Da diese nicht weiter reagiert sondern ihn nur lieb anlächelt, mit ihren großen, dunkelbraunen Augen, ihrer dunklen Lockenpracht und ihrem leuchtend blauen Stirnband, hüstelt er nur kurz verlegen, um sich von ihrem für ihn wunderschönen Anblick abzulenken. Er weiß nun überhaupt nicht mehr, was sich hier abspielt.

„Nun gut, ich werde es wohl nie erfahren… Dann lasst uns gehen, Gimra und Hanaskea.“

Er zwinkert Elieanor zu, flüstert ein zärtliches „Wir sehen uns“, und geht mit den beiden jungen Frauen nicht weit entfernt zu den schön angelegten Feldern.

Über den Nachmittag hinweg überprüfen sie dort das Wachstum der unterschiedlichen Gemüsesorten. Auch die jungen Triebe für die drei Sorten Wintergemüse, die auch nach Frost frisch geerntet werden können, sind schon fleißig am Wachsen. Fast zu gut, sodass Hanaskea meint, eine frühere Kälteperiode könne sich somit ankündigen. Hier fühlt sich Gimra einfach wohler, das ist alles etwas, was sie anfassen und im wahrsten Sinne des Wortes begreifen kann. Das Begreifen allein ist ihr wichtig. Die Sprache der Pflanzen ist für sie meist eine unverständliche Fremdsprache. Sie schafft sich den Zugang zu den Pflanzen über das Begreifen, über Aussehen, Struktur, die Inhaltsstoffe und ihre Wirksamkeit durch die speziellen Zusammensetzungen. Natürlich hat sie zu Hause bereits ein kleines Labor in ihrem Zimmer eingerichtet, wo sie, wann immer sie Zeit hat, nach Herzenslust experimentiert.

 

Wichtig ist für Gimra überhaupt überall alles, wo es darum geht, Wissen anzuhäufen. Wie sie das schafft, all diese vielen Interessen unter einen Hut bzw. in ihren Kopf zu bekommen, das ist schon an sich eine Besonderheit: Bei Lehrgängen, an denen sie nicht gleichzeitig teilnehmen kann, nimmt sie Kristalle zu Hilfe, die sie dort aufstellt, wo sie gerade nicht sein kann. Diese Kristalle nehmen den Unterricht auf. In der Nacht, während sie schläft, lässt sie alles in ihren Wissenspool herunterladen. Bei diesem unglaublichen Hirntraining und dem restlosen Ausschöpfen aller Lernkapazitäten bleibt es auch bei ihr nicht aus, dass sie zwischendurch ein paar Tage der reinen Meditation braucht, damit ihre Kräfte stabil bleiben.

Praktisch für die beiden zukünftigen Heiler Choi und Aleyna ist dabei, dass Gimra gern die Rolle des Probanten übernimmt. Dies ist für beide Parteien zum Vorteil – die einen können ihre Fähigkeiten trainieren, denn zu dieser Zeit gibt es nicht sehr viele Probleme, die der Heilung bedürfen. Gimra dafür hat schon hin und wieder etwas – mal Magenverstimmungen, Kopfschmerzen, Zuckungen, kalter Schweiß oder ähnliche Auswirkungen der Pflanzen-Labor-Selbsttests. Dann wiederum hat sie ein gebrochenes Bein, mal etwas komplizierter, ein Bruch im Fußgelenk, diverse Prellungen, denn auf ihren Erkundungstouren ist sie des Öfteren zu forsch bzw. zu unachtsam. Dazu kommen Ernährungsgewohnheiten, die der Korrektur bedürfen und überhaupt Erholung in allen Formen. Sie ist jemand, den es von der Art her zu dieser Zeit noch kein zweites Mal gibt. Sie kennt fast keine eigenen Grenzen. Sie lebt oft nahezu ausschließlich in ihrer Gedankenwelt. In ihrer Vision, alles wissen zu wollen, vergisst sie oft, dass sie in dem Körper eines Menschen steckt, der nun einmal eine Grenze aus sich heraus bildet und mit welcher sie nun einmal lebt. Erst wenn sie älter ist, wird sie lernen, dass der eigentliche Sinn in ihrem Leben ist, nicht alles um sie herum wissen zu wollen, sondern auch sich selbst zu sehen, welches bei jedem Menschen schon ein schier endloses Projekt ist. Ganz kann sie es jedoch nicht abschalten, wie ein Magnet sind für sie neue Informationen.

 

Noch eine ihrer Beschäftigungen ist das Projekt SonnenSternenUhr, das heißt der Bau einer neuen Sonnenuhr samt den gängigen Sternenbildern, natürlich zusammen mit Ushlaran. Gimra plant und Ushlaran ist ein begeisterter Umsetzer der neuen Ideen, also sind die beiden ein perfektes Team. Beide leben für ihre Ideen, beide haben außer ihren Ideen nur noch neue Ideen und keinen Platz hat der Gedanke an eine eventuelle Partnerschaft. Sich zu verlieben, wie manche ihrer Freunde, ist undenkbar, auch wenn sie sich sicher sehr gern mögen. Natürlich sind die Freunde ihnen durchaus sehr wichtig, aber sie sind eben beide eher Einzelgänger, was die anderen ihnen auch niemals verübeln. Sie sind so, wie sie sind. So ist es gut. Sie haben sich in ihrem Leben entschieden, mehr für sich, jedoch darin sehr für die Allgemeinheit zu leben. Sie beide gehören dadurch, wie schon erwähnt, auch später zu der Kerngruppe emotional unbelasteter Berater. 

 

Momentan arbeiten sie also gemeinsam an dem Entwurf einer SonnenSternenUhr, stoßen dabei aber auch rasch an ihre derzeitigen mathematischen Kenntnisse. Sie wollen gern ein 3-D-Modell entwickeln, das einen Planetenstand aus der Sicht von Cambolia aufzeigt, jedoch abrufbar von tausend Jahren in der Vergangenheit bis tausend Jahre in die Zukunft: Eine große technische Herausforderung für die beiden. Vor zwei Tagen haben sie ihren Mitnovizen und Lehrern ein Modell vorgeführt, wo sie per Gedankenkraft die großen Sternbilder über allen entstehen ließen.

Dies konnten sie aufgrund der großen Konzentration nur für eine kurze Zeit halten, doch da kam ihnen Burgon zu Hilfe, der innerhalb eines Augenblicks die Sternbilder entsprechend der Erklärungen von Ushlaran und Gimra kreisen lassen konnte. Ohne den leisesten Anflug von Anstrengung. Aleyna war ganz angetan von seiner Lässigkeit trotz der doch unglaublichen Geisteskraft. Da die neue SonnenSternenUhr ein für alle Besucher begehbares Projekt werden soll, planen die beiden Entwickler den Einsatz von Kristallen. Burgon kann ja nicht die ganze Zeit damit verbringen, die Planeten kreisen zu lassen, was ihm vorgestern sichtlich Spaß bereitete. Kurzerhand stellte er das Himmelsbild um und füllte es mit zwölf fröhlichen Delfinen. Dabei schielte er hinüber zu Aleyna, denn dieses Schauspiel diente ausschließlich dazu, ihr zu imponieren. Sie lächelte und schaute belustigt weg, damit es nicht so auffällig war, aber allein das fiel schon auf. Alle beobachteten die beiden bei ihrem Spiel. In diesem Alter ist für viele so etwas spannender als eine neue SonnenSternenUhr. Als Burgon bemerkte, dass die anderen sie beobachteten, lösten sich unter einem allgemeinen „Schaaade“ mit einem Mal alle Delfine in Luft auf.

Das zweite Projekt von Ushlaran ist der Bau eines Tempels samt der Gartenanlage und des Vorplatzes. Gestern Nachmittag war er zu Planungsgesprächen beim Rat von Cambolia eingeladen, um seine Ideen zu skizzieren. Der Rat von Cambolia ist ein siebenköpfiges Team, das sich ausschließlich um das Wohl der Allgemeinheit kümmert. Salana kam mit Ushlaran. Sie ist in letzter Zeit sehr oft bei Gesprächen dabei. Der Rat hat beschlossen, sie mit in alle weiteren Planungen einzubeziehen, denn ihr hohes diplomatisches Geschick ist von großem Vorteil, wenn es um die Belange vieler ging. Zudem kann sie hervorragend eine Idee weitertragen und den Funken der Begeisterung sofort an andere weitergeben, ohne dass sich irgendjemand überredet fühlt. Sie kann begeistern, motivieren und, was das Wichtigste ist, alle haben großes Vertrauen in sie, zu Recht.

Daher hat der Rat Salana gefragt, natürlich nach Gesprächen mit ihren Lehrern, ob sie Spaß hätte, an der Arbeit des Rates in der Zukunft teilzunehmen. Sie ist darüber überglücklich. Fast jeden Tag wird sie bereits in Treffen und Gespräche des Rates von Cambolia integriert.

Die Gemeinde ist recht groß geworden und demgemäß ist der Bau eines weiteren Tempels nötigt. Die Tempel dienen nicht nur zur Meditation und zu Ausbildungszwecken. In der großen Innenhalle finden viele öffentliche Veranstaltungen statt, zum Beispiel Feste. Es gibt viele Feste auf Cambolia und viele Konzerte, denn die Akustik dort ist hervorragend. Der Tempel ist an sich rund, wie auch die große Innenhalle und die vielen unterschiedlichen Nutzungsräume für Ausbildung und Meditation.

Des harmonischen Energieflusses wegen gibt es keine scharfen Ecken und Kanten, alles ist geschwungen oder abgerundet, auch die Inneneinrichtung. Jeder kann jederzeit in den Tempel zur Meditation, zum Gespräch oder zur Behandlung kommen. Es gibt ausreichend Räumlichkeiten, kleine helle Räume, offen oder mit flexiblen Stellwänden abgetrennt. Man kann sich überall im Tempel zur Ruhe begeben, nimmt sich einfach ein Sitzkissen am Eingang und geht zu einem Platz nach Wahl.

Es sind immer Priester dort, die sie ansprechen können, wenn sie ein persönliches Thema haben. Diese stellen zum Beispiel auf Wunsch ein persönliches Meditationsprogramm zusammen. Der Besucher kann wählen, ob er eine Betreuung haben will oder einfach nur einen anfänglichen Rat. Manchmal geben die Priester einen Heilstein mit, den man in die Hände oder auf die Stirn legen kann, um die Meditation zu vertiefen oder bestimmte Themen zu lösen. Oder man kann in Klangräumen verweilen, um seine Energiefelder zu reinigen. Auch kann man einen Duft wählen, als angenehme Begleitung oder auch Unterstützung während der Meditation. Oder sich in einen Raum mit einem oder mehreren passenden Kristallen setzen. Es gibt viele Farbräume, in denen man sich je nach Bedürfnis aufhalten kann. Sogar einen Farbpool gibt es: entsprechend beleuchtetes Wasser, in dem man schwimmen oder einfach nur entspannen kann. Auch ungeheuer wirksam. Nach Ansage können sich die Farben verändern oder sich auf das jeweilige Energiefeld des Badenden einstellen, welches sie ausgleichen.

Alles, was dem Menschen gut bekommt, ist hier möglich, und jeder ist willkommen. Die Priester sind ganz nach Wusch ihre Berater und Begleiter. Kein Wunder also, dass alle auch ihre gemeinsame Zeit dort gern verbringen. Das Wohl eines jeden Einzelnen wird sehr wichtig genommen. Daher ist die innere Zusammengehörigkeit unter den Bewohnern Cambolias sehr hoch. Sie tragen Verantwortung, jeder für sich und für alle anderen, für Pflanzen und Tiere und überhaupt alle Formen von Energie, also alles.

Sie stehen in einer hohen Verbundenheit zueinander und zur Natur, die sie achten und ehren und ihr täglich danken.

Und ich, man kann sich das sehr gut vorstellen, ich, Gäa, bin in dieser Zeit einfach überglücklich.

Hier kann ich meine Energien voll ausleben, es ist ein beidseitiger Kreislauf von Geben und Nehmen. Die Menschen spüren die Verbundenheit mit dem großen Zusammenspiel aller Energien auf der Erde. Sie erkennen mich als ihre Ernährerin und schätzen, pflegen und hüten alles, was mit mir zu tun hat, alle meine Kinder. Das ist ihre gemeinsame große Aufgabe. Jeder ist ein Teil von dieser Aufgabe.

 

Ushlaran plant nun eine längliche Tempelanlage, deren Ecken natürlich auch abgerundet sind. Diese Tempelanlage soll mehr Menschen fassen können als die bisherige. Die grobe Planung hat er schon im Kopf und als Idee dem Rat von Cambolia bereits vorgetragen; allein, es fehlt der Ort. Dazu fragt er heute Choi und Kyr, denn beide haben ein feines Gefühl für Orte. Kyr will allerdings im Tempel bleiben, da er in der Kristall-Gruppe ist und heute eine neue gemeinsame Aufgabe gestellt wird. Choi ist in der Heilpflanzen-Gruppe als Einziger übriggeblieben, alle sind schon in den nächsten Unterricht weitergezogen, was ihn allerdings nicht sonderlich stört.

So vertieft, wie er in seine Arbeit ist, hat er es wahrscheinlich noch nicht einmal gemerkt. Er analysiert gerade die verschiedenen Salbeisorten anhand ihrer Spezifikationen, sodass er durch minimale Unterschiede festsetzen kann, für welchen Bereich sie verwendet werden können. Er hat seine Fähigkeit bereits so weit schulen können, dass er über die feinsten Unterschiede in Geruch und Geschmack die Intensität feststellen und darüber hinaus dann die genaue Dosis in der Anwendung angeben kann.

Choi, hast du Zeit für einen Spezialauftrag?“, spricht Ushlaran ihn an, während er ihm bei einer Riechprobe über die Schultern schaut. Dabei erschrickt sich Choi so sehr, dass er sich verschluckt, durch die Nase pustet, hustet, schnieft, bis ihm die Tränen über die Wangen rollen.

„Oh je, das wollte ich nicht, entschuldige, alter Freund, was kann ich tun? Du bist ja ganz rot, und die Tränen, oh je, Choi!“ Ushlaran ist bei Chois verzweifelt prustenden Anblick ganz aus dem Häuschen. Genau in diesem Moment erscheint Rosuran mit seinem unverwechselbar wippenden Gang, denn man sagt, er trüge Musik in seinem Körper, seinen Knochen, seinem Blut, seinen Zellen.

Rosuran, bitte, hilf uns, ich meine, hilf Choi! Er kriegt keine Luft mehr! Ich weiß nicht, irgendetwas hat ihn verstopft!“, wedelt Ushlaran heftig mit den Händen und zeigt auf Choi, der sich nun nur langsam wieder zu beruhigen scheint und weiter nach Luft ringt.

Rosuran, der dunkelhäutige Priesterlehrer in Architektur, ein durch und durch sportlicher Mann, hält seine beiden Hände auf Chois Rücken, während er ihm etwas Unverständliches zuflüstert. Dabei atmet Choi tief ein und aus und beginnt, wieder ruhiger zu atmen.

„Oh, welch einen Schrecken jagst du mir ein, Choi! Was war das? Tu so etwas nie wieder!“

Ushlaran ist immer noch ganz außer sich vor Aufregung. Auch die zweite Priesterlehrerin, Jaskula, zuständig für das Fach Landschaftsplanung, eine hagere, mittelgroße Frau mit feinem blonden glatten, langen Haaren, ist mittlerweile gekommen. Sie haben sich alle ursprünglich hier verabredet, um sich die ausgesuchten Orte für den Bau der neuen Tempelanlage mit Ushlaran anzusehen. Als sie ankommt, schaut sie kurz irritiert und merkt gleich durch einen Blick in die Runde, was sich hier abspielt. Rasch stellt sie sich zu Ushlaran und legt auch ihm eine Hand auf die Schulter.

„Atme drei Mal tief ein, und wieder aus!“, sagt sie ihm dabei, und langsam wird auch er ruhiger.

In dem Moment spuckt Choi einen kleinen dunkelgrünen durchgekauten Salbeiklumpen aus.

„Hui, das hat mich aber gequält – und in der Nase hatte ich auch ein Stück…“, schaut er verwundert über sich selbst.

„Wie kann das sein?“, Rosuran schüttelt ebenso überrascht den Kopf. Seine tiefschwarzen Minilocken wippen dabei tänzelnd auf und ab.

„Er, Ushlaran, war plötzlich mit seinem Kopf auf meiner Schulter, und seine Stimme klang so merkwürdig fremd, wie aus einer anderen Welt – ich hatte mich so sehr darüber erschrocken, so sehr wie noch nie! Ihr müsst verstehen, ich war verbunden mit dem Pflänzchen und dabei in ihrer Welt, wie das so ist, das kennt ihr ja. Plötzlich war da dieser Kopf und dieser fremde Ton und dieses Wort Spezialeinsatz – also, wer da nicht zusammenzuckt!

Außerdem war ich dabei, den Geschmack zu testen und kaute gerade ein Blatt durch, während ich parallel an einem weiteren Blatt dieser Pflanze roch. Ungünstigerweise habe ich durch den Schreck schnell so tief eingeatmet, dass ich das Stück in die Nase bekommen habe und das Stück aus meinem Mund in meinen Hals verrutschte…“, erzählt Choi seine Geschichte.

„…Ungünstigerweise“, lacht Rosuran. „Das habe ich auch noch nicht erlebt… Äußerst ungünstig. Aber günstig war, dass wir gerade ankamen, nicht wahr, Ushlaran?“

Er schaut lächelnd zu Ushlaran.

„Das war kein Grund, die Fassung zu verlieren! Die kannst du verlieren, nachdem du Hilfe geholt hast, wenn du ihm nicht selbst hättest helfen können.“

Ushlaran senkt etwas beschämt den Kopf. Das ist zu viel für ihn. Dass er die Fassung überhaupt wegen irgendetwas verliert, das ist ihm, dem absoluten Kopfmenschen, noch nie passiert! Er ist sonst immer klar, durchdacht, strukturiert, hat alles im Überblick. Dass die Gefühle derart mit ihm durchgingen, verunsichert ihn jetzt. Jaskula merkt, was in ihm vorgeht und löst nun die Hand von seiner Schulter.

„Ich glaube, Ushlaran, du hast durch dieses Erlebnis heute mehr gelernt als durch irgendeinen theoretischen Unterricht. Du hast gefühlt, dass du deinen Freund verlieren kannst, das hat in dir eine Art innere Panik ausgelöst. Das ging in die Tiefe – bei euch beiden. Ihr solltet nach unserer Begehung noch zur Nach-Behandlung in den Heilbereich des Tempels gehen, um euch wieder auf eure Mitte auszurichten“, sagt sie mitfühlend.

„Oh, ist wieder alles in Ordnung, geht wunderbar!“, meinen Choi und Ushlaran wie aus einem Munde und müssen lachen.

„Trotzdem – ein bisschen Farbausgleich auf euer Energiefeld wird euch gut tun – und nun lasst uns losgehen. Wohin führst du uns Ushlaran? Choi, du kommst doch mit, zu dem, du weißt schon Spezialauftrag…?“, fragt Jaskula.

„Ja, gern, jetzt bin ich wieder voll und ganz auf der Erde, es kann losgehen.“

Ushlaran hat zwei Ideen für ein geeignetes Gelände. Diese wollen sie jetzt begehen und beurteilen. Sie gehen etwas aus der Siedlung heraus und haben einen wunderbaren Blick zu den Bergen. Ein kleines Stück benutzen sie die Energieleitlinien, die Querwege gehen sie zu Fuß weiter.

Beide, Jaskula und Tanobakt, sind natürlich auch ausgebildet im Bereich der Geomantie. Sie haben den Auftrag für den Bau einer neuen Tempelanlage vom Rat von Cambolia erhalten. Oft bezieht dieser in Spezialfragen, wie jetzt zum Beispiel, entsprechende Fachleute mit in seine Planungen ein. Wenn jemand zum Rat gehört, dann heißt das nicht, dass diese Person auch den höchsten Stand hat. Dies sei hier kurz erwähnt, denn es ist eine besondere Form von Gemeinschaft hier in Cambolia.

Alle Personen haben nämlich den gleichen Stand: Ein Priesterlehrer hat den gleichen Stand wie Gärtner, wie Bäcker, wie Tischler, wie Koch, wie Steinarbeiter, Hausbauer, Architekt, Maler, wie Heiler, wie Mutter oder Vater, die sich um Kinder und Haushalt kümmern – egal, alle sind auf der gleichen Ebene, denn alle leben hier auf der gleichen Erde und kümmern sich jeder nach seinen Fähigkeiten darum, dass es allen gut geht. Manche in einem kleineren Gefüge, manche in einem größeren. Da ist es umso wichtiger, dass die kleineren Gefüge stimmig sind und es ihnen wohl ergeht. Sich Rat zu holen gehört selbstverständlich zu jedem Projekt, da gibt es einfach keine Eitelkeiten oder Befindlichkeiten.

Jaskula und Tanobakt haben als Lehrer natürlich gleich Ushlaran den Auftrag des Rates als Projekt angeboten und dieser hat freudestrahlend angenommen. Der Auftrag sieht auch die Nähe zu Wasser vor, was bei allen Tempeln gleich wichtig ist. Wenn kein natürlicher Wasserlauf in der Nähe ist, muss ein künstlicher angelegt werden. Ushlarans Traum ist ein Tempel am Meer, das soll er aber später erst verwirklichen können. Einen Platz hat er hier ausersehen, welcher schon etwas vertieft liegt, sodass man für den Wasserring nicht sehr viel Erd- und Wasserbewegungen vornehmen muss. Momentan sind dort Reisfelder. An den Rändern überall sind Bambus und Schilf. Ein sehr vogelreiches Gebiet. Das wilde Geschnatter und Gepiepe ist weithin zu hören. Würde man an dieser Stelle graben, was er mit seinem Bruder bereits getestet hat, würde rasch das Grundwasser hineinfließen und es wäre fast wie ein natürlicher Wasserring.

Choi schaut sich den Ort an und meint nur:

„Das fühlt sich irgendwie komisch an… Irgendwie geht das gar nicht. Mir fehlt der feste Boden unter dem Tempel, man scheint ja beinahe auf Wasser zu bauen.“

Jaskula gibt ihm Recht und gibt noch den entscheidenden Grund, von dieser Stelle abzusehen:

„Der Tempel würde in einer Senke gebaut, welches vom Energiefluss hier sehr ungünstig ist. Viele Energien würden sich an diesem Ort anstauen, dazu noch unterstützend das aus sich heraus schon stehende Wasser um den Tempel herum.“

„Ja“, meint Rosuran. „Sehr viel Arbeit wäre es, jeden Tag das Gebäude und die ganze Anlage von diesen angestauten Energien zu befreien. Im ersten Moment sieht es hier sehr schön aus, es ist auch energetisch ein ganz interessanter Ort, aber für einen Tempel nicht sehr geeignet.

Du hast noch einen weiteren Ort ausgeschaut, lasst uns dorthin gehen.“

Sie gehen weiter. Unweit von dieser Stelle, am Fuß des Bergs zeigt Ushlaran seine zweite Idee. Alle schauen nachdenklich, kritisch. Bevor jemand einen Einwand äußern kann erzählt er rasch von seinem Plan:

„Ich fange mit dem Wasser an. Am Berg wird das Wasser in einem Wasserfall herunterkommen, kein lauter schneller Wasserfall, nein, in sanfter Treppenform, kaskadenartig gleitet das Wasser langsam und ruhig hinunter in das Becken, welches dann um den Tempel führt. Das Wasser wird von dort wieder nach oben gepumpt. So ist überall ein sanfter Fluss. Nicht weit von hier sind zwei kleine Quellen mit anschließenden kleinen Bächen, hervorragende Orte zur Meditation. In allen vier Himmelsrichtungen sollen Brücken über das Wasser gehen. Als Dach dachte ich eine große Glaskuppel mit einer perfekten Rundumsicht, sodass man von dort einen hervorragenden Blick hat zu den Siedlungen, zum Meer, zum Wasserfall und Berghang – und nach oben zu den Sternen. Den Berghang kann man ausgezeichnet mit dem einen oder anderen Kraut zusätzlich zu den schon vorhandenen wunderbaren Pflanzen und Kräutern bepflanzen. Seht! Dort hinten zieht sich ein Wald den Berg hinauf. Eine der Quellen befindet sich in diesem Wald. Die Bepflanzung würde ich ganz um den Tempel ziehen.“

Er schaut erwartungsvoll zu den anderen. Es dauert eine ganze Weile, bis die Antworten kommen. Alle scheinen in ihren eigenen Vorstellungen zu verharren. Ushlaran wippt leicht unruhig von einem Fuß auf den anderen.

„Das klingt nach einem sehr neuen Projekt, so etwas in dieser Art hatten wir noch nicht. Ich würde es sehr begrüßen, es umzusetzen“, stimmt Jaskula endlich zu. Dabei lächelt sie Ushlaran begeistert an. Ushlaran freut sich, die Anspannung fällt etwas von ihm ab. Er ist Jaskula dankbar.

„Ja, das finde ich auch. Im Detail müssen wir das natürlich noch durchgehen, die Energien am Berg prüfen, und dass eine Bepflanzung ganz um die Tempelanlage führen soll, finde ich noch nicht ganz so stimmig, denn oft gibt es Feierlichkeiten, wozu ein großer Platz vor dem Tempel gebraucht wird“, meint Rosuran.

„Ach, ich hatte noch nicht erwähnt, dass ich den großen Versammlungsplatz im Innern des Tempels geplant habe, mit einem Säulengang rundherum. Der Platz ist nach oben offen, kann aber, ganz nach Wetterlage, mit einem Glasdach verschlossen werden. Der Tempel hat eine exakte Ausrichtung nach Süden. Der große Platz im Innern hat eine Feuerstelle im Süden, ein Wasserspiel im Westen und einen Baum im Norden. Für die Luft im Osten habe ich ein sanftes Gebläse von unten gedacht, zum Visualisieren kann man zum Beispiel Federn als Windspiel nehmen.“

„Oh, das klingt mehr als interessant“, ruft Rosuran entzückt. „Wir freuen uns auf dein Modell! Dennoch, bedenke einen Vorplatz…“ Das ist ein deutliches Ja.

Plötzlich ein Hilferuf von Choi. Alle sind so vertieft, dass sie nicht mitbekommen haben, wie Choi sich entfernt hat, um die Gegend ein wenig zu inspizieren. Er ruft wieder. Es klingt verzweifelt schmerzhaft. Alle rennen in die Richtung der Rufe, denn sehen können sie ihn nicht.

Da liegt er, in einer kleinen Senke, mitten in einem Feld voller Brennnesseln und hält die Hände nach einer rettenden Hand ausstreckend in die Luft. Ushlaran nimmt einen starken Ast, der einen Meter von Choi entfernt liegt und hält ihn seinem Freund hin. Er greift danach und lässt sich hochziehen, heraus aus den brennenden Nesseln.

„Oh, alles brennt und kribbelt“, jammert er. „Eben stand ich noch auf diesem Felsen und schaute mir die Gegend hier an und sah den Tempel schon förmlich vor mir. Im nächsten Moment lag ich mitten in diesen sich arg wehrenden Pflänzchen. Ich hatte nicht gesehen, dass es auf der anderen Seite des Felsens tiefer wird, dass die Brennnesseln hier sehr hoch gewachsen waren. Diese Nesselsorte ist sehr selten bei uns und ausgerechnet in die muss ich reinfallen. Oh, es fühlt sich an, als wäre das Feuer an mir!“ Er sieht unglücklich aus. Seine Arme, Hände und die Hälfte seines Gesichtes, seine Beine bis zur kurzen Hose, alles ist stark gerötet.

„Ich hatte da vorn ein kleines Schlammloch gesehen, komm mit dorthin!“, sagt Rosuran, und alle gehen rasch ein paar Schritte wieder zurück. Rosuran nimmt etwas Schlamm auf und verteilt es auf den Stellen in Chois Gesicht.

„Das wird im Gesicht gleich besser werden, diese Tonerde hier war genau am richtigen Ort. In kurzer Zeit werden die anderen Rötungen ebenfalls abklingen, hab Geduld.“, sagt Jaskula mild und legte ihm eine Fingerspitze auf eine gerötete Stelle, eine andere auf eine unbetroffene, schließt die Augen und summt eine kurze Zeit. Choi entspannt sich sichtlich. Nach einer Weile ist Choi ruhig und lächelt wieder:

„Meine Haut ist sehr empfindlich und reagiert sensibel auf kleinste Veränderungen. Das hat sie jetzt richtig geschockt. Und mich auch. Ich hatte meinen Blick in den Lüften und nicht geschaut, welchen Schritt ich als nächstes nehme. Ich habe sie jetzt alle völlig verknickt. Ich glaube, die Brennnesseln haben damit auch nicht gerechnet, deswegen haben sie sich gleich alle so heftig gewehrt! Das tun sie sonst nie…“

„Höchstwahrscheinlich dachten sie, ein Stück vom Himmel fiele ihnen auf ihre Blättchen…“, lacht Ushlaran. „Und, Choi, was meinst du zu diesem Ort, nach deinen speziellen Erfahrungen?“

„Es ist eindeutig ein guter Ort für Heilung. Hier wachsen die richtigen Pflanzen, viele Heilpflanzen, es ist unglaublich! Nicht nur die überaus kraftvollen Brennnesseln – schau dich einmal um!“

Er dreht sich im Kreis und zeigt dabei in alle Richtungen. Beinahe wäre er wieder hingefallen.

„Wunderbar, dich nehmen wir jetzt an die Hand und gehen ganz vorsichtig wieder zurück“. Jaskula nimmt die schon langsam zu trockenen beginnende Tonerde großzügig ab, dafür hat sie selbst nun einen erdigen Streifen quer über die Stirn. Es sagt jedoch niemand etwas, denn alle sind diesen Anblick bei ihr gewohnt. Sie pflegt sich stets nur draußen aufzuhalten, hat auch stets in der Erde etwas zu wühlen und dabei immer irgendwo Erde hängen. Es ist höchstens verwunderlich, wenn das Gesicht einmal frei von Erde ist; dann fehlt etwas an ihr…

Jaskula nimmt Chois Hand, welches ihn sofort wieder die Röte ins Gesicht steigen lässt. Er sieht lustig aus mit leicht gerötetem, mit Tonklümpchen beklebten Gesicht. Dazu Jaskula mit ihrem Streifen über die Stirn. Alle müssen lachen, als sie Choi ansehen. Er selbst dann auch. Er ist so, wie er ist, eine Seele von Mensch.

„Nun segnen wir diesen Ort als den Ort für den Bau unseres neuen Tempels. Danke Ushlaran, das ist eine ausgesprochen gute Wahl!“

 

Salana, Burgon und Kyr sind gleich nach dem allgemeinen Teil des Heilpflanzenunterrichts zum Unterricht im Wesen der Kristalle gegangen. Gimra gehört normalerweise auch dazu. Da sie heute mit Hanaskea auf den Feldern ist, hat sie Salana ihren Lernkristall mitgegeben, der den Unterricht aufzeichnet.

Als sie in den Unterrichtsraum kommen steht in der Mitte ein Kristall. Das sind sie schon gewohnt, denn Elieanor hat zuvor den Kristall mit der Aufgabe programmiert, die die Novizen an diesem Nachmittag lösen sollen. Elieanor ist Hohepriesterin und gehört zum Rat von Cambolia. Somit kann sie für ganz Cambolia und allen dazugehörigen Inseln je nach dem entsprechenden Wissensstand der Novizen die Lehrkristalle über den großen Hauptkristall, dem Zentralspeicher von allen, programmieren und von dort aus auch verteilen. Per Teleportation kann sie auch jederzeit zur anderen Novizengruppe reisen. Momentan betreut sie fünf Novizengruppen gleichzeitig. Diesen Kristall hat sie schon am Morgen als Erstes hingestellt, da dies der Tempelbezirk ist, in dem sie auch wohnt.

Die Novizen sollen heute einen Raum zur Heilung von innerer Unruhe einrichten. Sie skizzieren zuerst den Aufbau der Kristalle, d.h. Salana skizziert und bringt ihre Idee des Farbenspiels noch mit ein. Burgon läuft gleich los, um die großen Kristalle herbeizuholen, die nur per Teleportation verschoben werden können. Nicht jeder kann und darf diese hochsensiblen Datenträger verschieben. Burgon weiß, wie er sich verhalten soll.

In der großen Halle, aus welcher sie zwölf etwa kniehohe Kristalle bräuchten, stellt er sich zunächst in die Mitte. Er begrüßt sie und trägt ihnen per Gedankenübertragung ihre Aufgabe vor und dass sie zwölf Kristalle dafür benötigen. Er wird zu genau sechs Kristallen geleitet, die bereit sind für die Übungsaufgabe.

Nach kurzer Überlegung stellen sie fest, dass die Kraft der Heilsteine in dieser Größe absolut ausreicht. Mehr wäre von den Energien her in diesem relativ kleinen Raum nicht tragbar gewesen. Salana programmiert sie so, dass sie je nach Gefühlslage in der passenden Farbe leuchten. Da die Kristalle in regelmäßigen Abständen in die Sonne zum Aufladen gestellt werden, können sie deren Energie speichern und auch bei Bedarf als Licht abgeben. Abends kann man in allen Häusern solche leuchtenden Kristalle erblicken, die Licht spenden – natürlich auch stets in den gewünschten Farben.

Die drei planen zusammen ein Frequenzhaus zu jeder Farbe, ein Stockwerk mit entsprechenden Steinkreisen und Klängen. Wenn sie dies genauer durchdacht und konkretisiert haben, will Salana dies dem Rat von Cambolia vortragen. Da es von hohem Wert für die Allgemeinheit ist, würde diesem Projekt mit Sicherheit zugestimmt werden. Als Nächstes wollen sie noch Ushlaran fragen, ob er als künftiger Architekt das Haus nach ihren Vorstellungen konstruieren kann. Zur Ortsbestimmung wollen sie noch Choi mit einbeziehen. Wunderbar, in einem Pool mit solch unterschiedlichen Talenten zu lernen!

Nun sind sie noch mit der Nachmittagsaufgabe beschäftigt. Die zu heilende Person soll inmitten des Steinkreises liegen. Was jetzt noch fehlt, ist Musik. Kyr ist in seinem Element – er versteht sich auf Klänge aller Art und schlägt vor, zarte Klänge aus hauchdünnen Kristallschalen zu der Heilzeremonie zu spielen. Auch kann er, je nach Bedürfnis, seine Stimme zur Heilung einsetzen. Er hat schon, wenn er redet, eine äußerst angenehme Stimme. Man hört ihm einfach gern zu. Wenn er dann singt oder einfach nur tönt, scheint es, als ginge ein Zauber von seiner Stimme auf alles über. Er kann mit seiner Stimme das tiefste Innere berühren.

Salana ist diejenige, die mit den Personen die Vorbesprechung durchführen, die Hände nach Bedarf auflegen und besprechen wird. Jetzt ist ihr Raum zur inneren Heilung in sich stimmig. Sicher wird sich Gimra als Erste in den Kristallkreis legen wollen…

Elieanor lächelt zufrieden, als sie das Resultat begutachtet.

Auch Aleyna schaut neugierig um die Ecke. Sie hat den Nachmittag über, nach dem allgemeinen Teil der Heilpflanzenkunde, trainiert. Zusammen mit vier Novizinnen aus Nachbartempeln studiert sie Tänze ein. Es sind eher einzelne Tanzabläufe, die sie trainieren. Die Ausgestaltung eines ganzen Tanzes ist ihnen selbst überlassen. Zur großen Freude aller führen sie diese Tänze auf fast allen größeren Feierlichkeiten auf. Hin und wieder integrieren sie Tanzelemente für alle. Diese brauchen sie nur kurz zu erklären und schon ist die Tanzfläche voll.

Die meisten bewegen sich gern, tanzen mit Freude, essen gern zusammen, manche erzählen gern Geschichten, andere hören gern zu, einige singen gern – das heißt alle feiern gern und oft zusammen. Sie finden viele Gelegenheiten, um zu feiern: Geburtstage, Vollmond, nach allen Jahreskreiszeremonien, Regen nach längerer Trockenheit, Sonne nach längerem Regen, Ausbildungsbeginn, Ausbildungsende, Tag des Dankes. Am liebsten draußen unter freiem Himmel, mit einer Feuerstelle in der Mitte.

 

Bleibt noch von Burgon zu erzählen, was dieser an diesem Nachmittag nach dem allgemeinen Heilpflanzenunterricht unternimmt. Er ist über die Energielinien zu dem vom Tempel etwas entfernten Baum der Erkenntnis, zu Lucifer gereist und sitzt nun am Fuße des Baumes und lehnt an seinen Stamm.

Ein Mal im Monat reist dort jeder Tempelschüler hin. Fragen tauchen immer auf, von ganz allein. Es ist wichtig, dass sie allein reisen, und wenn einmal doch mehrere zum gleichen Zeitpunkt dorthin wollen, dann geschieht dies in absolutem Schweigen. Jeder konzentriert sich auf sich und auf Lucifer.

Burgon hat seit seiner langen sehr schwierigen Phase mit seinem Vater, der gleichzeitig sein Lehrer war, immer wieder aufkommende Fragen bezüglich des Sinns dieser schwierigen Zeit. Während dieser Zeit hatte er diesen Baum allerdings nicht ein einziges Mal besucht. Zudem fragt er sich, warum nicht sein Vater ihn hierhin geschickt hatte, gerade weil es solch eine schwierige Zeit gewesen war.

Er hatte ihm sogar davon abgeraten! Wie soll er das nur verstehen? Dort zu sitzen, Fragen zu stellen und in tiefer Meditation offen für Erkenntnisse zu sein, das hätte ihm, ja, ihnen beiden, doch so viel helfen können!

Er hat verstanden, dass er mit seinen sehr starken Fähigkeiten in einem unpassenden Moment auch sehr viel Schaden hätte anrichten können. Er hat verstanden, dass, wenn Gefühle das Handeln beherrschen, es sehr leicht sein kann, dass man gerade die magischen Fähigkeiten sehr schnell missbrauchen kann. Aber dies kann auch bei allen anderen Berufungen sein, die mit Menschen zu tun haben, vor allem Berufungen zum Heilen. Wie steht es um das Wissen der Wirkungsweisen von Kräutern, zudem, wenn man sie selbst zubereitet? Wie steht es um den Einsatz der Stimme, Farben, Musik, ja, gar der Kristalle, wie hochsensibel ist all dieses Wissen?

Doch er ist der Einzige von seinen Freunden, der die Schattenseite erfahren hat, oder soll er sagen: durfte?

Die anderen sind absolut und ohne Zweifel beseelt, etwas Gutes zu tun, aus reinem Herzen. Er jedoch, er hat die Erfahrung mit seinem Vater, der aus weiser Voraussicht oder gar aus Angst oder, was er noch viel schwieriger zu verstehen findet, aus Neid gehandelt hatte. Vielleicht wollte er ihn davor bewahren, seine Macht, da er noch klein war, ungeahnt zu missbrauchen. Oder fühlte er sich seinem Sohn nicht gewachsen, konnte ihn nicht einschätzen, da es eine derartige Kraft in einer Person bislang noch nie gegeben hatte? Oder, diesen Gedanken hat er immer und immer versucht zu verdrängen, er konnte es nicht ertragen, dass sein Sohn schon von klein an über stärkere Fähigkeiten verfügte als er selbst, welche er sich mühsam angeeignet hatte und längst noch nicht perfekt waren.

Und genau das ist es, was ihn heute zu dem Baum der Erkenntnis führte. Wie soll er damit umgehen, dass es dunkle Seiten seines Vaters waren, die ihn an seine eigenen Grenzen gebracht haben. Er weiß nur, dass er ihm auch sehr dankbar für die innere Demut ist, die er so erlangt hat, denn so weiß er, dass er stets reinen Herzens handeln wird. Während er so nachdenkt, spürt er bereits, wie er auf den Weg des Verzeihens geführt wird, der Weg, der ihm helfen wird, über diese Phase seines Lebens nicht mehr grübeln zu müssen, sondern sie zu nehmen, wie sie ist. Er redet mit seinem Vater nicht viel über seinen Unterricht. Er spürt nun, da sein Gemüt sich besänftigt, dass er bald seinem Vater die innere Hand reichen können und das Eis zum Schmelzen bringen wird, das sich seither ein wenig aufgebaut hat.

Er weiß nun auch, wie dankbar er seinen Freunden ist, die ihn unterstützt haben, die für ihn da waren und sind. Die an ihn glauben, sodass er zu seinem eigenen Glauben zurückfinden konnte. Er kann diese Freundschaften nun von tiefster Seele schätzen lernen. Insbesondere Aleyna ist er dankbar, die seinen inneren Kampf bemerkte, fühlte, und die ihm stets einfühlsam zur Seite steht. Und da ist noch etwas, das über Dank und Freundschaft hinausgeht: Eine tiefe menschliche Verbundenheit, Liebe. Aleyna hat ihn in dem Moment gehalten, da er fallen wollte. Immer hat er ihre liebevollen, kraftgebenden Blicke vor sich, wenn er nicht weiter weiß – ja, das ist Liebe. Er lächelt. Der Baum zeigt seine Wirkung.

 

 

Das Hauptessen und auch gleichzeitig das gemeinsame Essen mit der Familie ist, wenn es nicht etwas zum Feiern gibt, zum frühen Abend, genau so, dass die Sonnenuntergangszeremonie in Ruhe danach abgehalten werden kann. Zu dieser Zeit gehen jetzt alle Novizen nach Hause, helfen mit, wenn es noch ein paar Handgriffe zu erledigen gibt. Die Ausbildung der Novizen hört auch zu Hause nicht auf. Die Entscheidung für den Weg des Meisters und darüber hinaus geschieht in dem Bewusstsein, dass die innere Einstellung, die sie nach und nach gewinnen, nicht einfach an einer Haustür abzustellen ist. So übernehmen sie, wenn alle zusammen am Tisch sitzen, die Segnung des Essens. Das ist verbunden mit einer kurzen Ruhe, Besinnung und Dank. Dann wird fröhlich gegessen und erzählt, über die Erlebnisse des Tages.

Der Tag endet für die Novizen mit dem Sonnenuntergangsritual, welches sie heute im Tempel durchführen. Dazu gehen sie hoch auf den überdachten Tempelturm, von wo sie einen traumhaften Rundum-Blick haben. Wenn das Wetter unangenehm ist, halten sie beide Zeremonien dort oben ab, morgens und abends. Drei Mal in einer Jahressequenz gehen sie auch zum Sonnenuntergangsritual ans Meer. Dazu müssen sie quer über die Landzunge zur anderen Seite gehen und planen dann auch den Nachmittagsunterricht dort sowie das gemeinsame Essen. Oft kommen auch die Familien dorthin und es gibt ein großes gemeinsames Picknick am Strand mit einer abschließenden gemeinsamen Sonnenuntergangszeremonie.

Das Sonnenuntergangsritual ist schlicht. Dennoch ist es wichtig, um den Tag abzurunden, indem man noch einmal in sich schaut. Heute sind ausnahmsweise nicht Aleyna und Burgon die Ritualsleiter, sondern Hanaskea und Kyr. Alle freuen sich darauf, denn Kyr wird singen. Sie stehen dem Westen zugewandt, der untergehenden Sonne.

Hanaskea und Kyr stehen vor ihnen und entzünden eine Abendräucherung. Hanaskea beginnt mit leisen Trommelrhythmen. Kyr beginnt zunächst ganz leise zu summen, sodass man ihn kaum hört. Man kann spüren, wie sich jede Aufmerksamkeit in diesem Raum auf seine Stimme konzentriert. Dann nimmt er Hanaskeas Hand. Vor lauter Hingabe verpassen die anderen ganz den Einsatz in den gemeinsamen Sprechgesang, sodass Hanaskea und Kyr den Vers erst einmal allein singen. Keiner hat bislang Hanaskea singen gehört. Sie hat stets abgestritten, überhaupt einen Ton treffen zu können, aber jetzt, plötzlich, zusammen mit Kyr, singt sie. Eine zarte Stimme, zu ihrem Wesen passend, weich und schön. Kyr, einfühlsam wie er ist, passt sich sofort ihrer Stimme an. Eine perfekte Harmonie entsteht – alle starren, staunen, sind ergriffen. Nachdem die beiden den Vers nun schon zum dritten Mal allein gesungen haben, werden nun alle anderen von den beiden Priesterlehrern aufgefordert beziehungsweise aus ihrer Trance wachgerufen und alle stimmen gemeinsam in den Sprechgesang ein:

Kraft der Sonne, des Feuers, wir danken dir.

Wir danken den Kräften der Erde, des Wassers und der Luft

für diesen unser Leben bereichernden Tag.

Möge Luna in der Nacht unsere Begleiterin sein,

uns schöne Träume schicken und

besonders den Kindern den Weg

in ihrem Schlaf beleuchten.“

Kyr und Hanaskea drehen sich zu den anderen um und sprechen:

„Gesegnet seien euer Schlaf und eure Träume.“

Sie verneigen sich einander. Doch bevor sich alle vor innerer Aufregung wegen dieses wundervollen Gesang-Duos Luft machen und aufdrehen können, geben Tanobakt und Elieanor noch eine Zeit der inneren Ruhe vor. So beruhigen sich die inneren Gemüter wieder. Für kurze Zeit. Sie sind eben noch relativ jung, eben noch nicht ganz erwachsen und über die ungestüme Zeit noch nicht ganz hinweg. Kaum, dass sie aus dem Tempel sind, reden natürlich sofort alle bunt durcheinander und belagern die beiden Sänger.

Seit sie gesungen haben, halten sie sich an der Hand. Eine tiefe Verbindung umgibt die beiden, die ihre gegenseitige Sympathie bis zum heutigen Tag nicht ein einziges Mal offen gezeigt haben. Alle freuen sich mit ihnen. Alle fangen an zu singen, sogar Choi stimmt ein, laut – und völlig falsch. Er bemerkt es, als Salana ihn anschaut und dabei leicht ihren Kopf wiegt, was einfach so ihre Eigenart ist, wenn sie nachdenkt oder sich still freut, und verstummt augenblicklich. Aber sie sagt sofort und lächelt ihn dabei liebevoll an:

„Sing, wir singen alle, ist doch egal, wie’s klingt. Ist doch schön!“

Dann nimmt sie seine Hand und geht singend mit ihm, neben ihm weiter. Choi aber scheint das Herz stehen geblieben zu sein. Bis zu Salanas Haus bringt er keinen Ton mehr heraus. Obgleich sich schon alle verabschiedet haben, lässt er Salanas Hand nicht los und läuft wie ferngesteuert neben ihr her.

„Oh, bin ich glücklich“, bringt er dann endlich über seine Lippen und lacht. Salana lacht ebenfalls, und sie wackelt dabei unmerklich ein wenig mit ihrem Kopf:

„Ich werde mit dir bestimmt das lustigste Leben auf Cambolia führen!“

Auf der Brücke vor dem Tempel stehen nur noch zwei – Burgon und Aleyna.

„Ich glaube, Kyr hat uns alle verzaubert“, lächelt Aleyna. Beide sehen sich lange in die Augen.

„Wollen wir noch einmal nach den Katzen im Tempel schauen?“, fragt Burgon mit zarter Stimme.

„Oh ja, gern“, sagt Aleyna sanft. Die beiden gehen eng nebeneinander über den Tempelvorplatz, an der Mondphasen-Sonnenuhr vorbei, die drei Stufen hoch. Auf der obersten Stufe ist es endlich auch um diese beiden geschehen. Sie stehen, sehen sich in die Augen, umarmen und küssen sich, lange.

Sie merken nicht, wie die Katzen gemächlich aus dem Tempel kommen und sich zu ihnen gesellen. Sie lieben diese Energie, die Energie der Liebenden, umhüllt von dem süßlich-herben Duft der Abendräucherung.

 

 

[1M  MESOPOTAMIEN] Sprechender Ton

 

Rollen der Hauptfiguren in diesem Kapitel

[Salana] Sa-La-Na – Geschichtenerzähler (Geliebter von Encheduanna-Kyr und Vater von Aleyh-Ana)

[Choi] Sho-Oi – Heilerin bei den Aussätzigen

[Aleyna] Aleyh-Ana – Priesterschülerin von Encheduanna-Kyr, Tochter des Elieanor-Naram-Sin, Nichte von Bur-Gon (wahre Tochter von Encheduanna-Kyr und Sa-La-Na)
[Burgon] Bur-Gon– Händler zwischen den Himmelsrichtungen, Tochter: Ro-Sur-Ana, Nichte: Aleyh-Ana

[Hanaskea] Hanash-Kera – Köchin im Tempel von Encheduanna-Kyr

[Kyr]Encheduanna-Kyr– Entu-Priesterin (höchstes Priesteramt) im Tempel der Stadt Ur, Tochter von Rosuran-Sargon

[Gimra] Gi-Em-Ra – Töpferin Q^!AQQ!Q!Q!QQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQQ!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!SWWWWW““ X^       ^^     ^11xaw22222xx22v v2v22d [1]

[Ushlaran] Ushlaran-Lugal-Ane – Statthalter von Ur

[Elieanor]Elieanor-Naram-Sin – Enkel/Thronfolger nach den Söhnen von Rosuran-Sargon, Tochter: Aleyh-Ana  

[Tanobakt] Tano-Bak-Tu – oberster Stadt- und Landschaftsplaner in Ur

[Jaskula] Iah-Sku-La – Tempel-Oberaufseher von Encheduanna-Kyr in Ur

[Rosuran] 1. Rosuran-Sargon – König von Akkad und Sumer, Vater von Encheduanna-Kyr
2. Ro-Sur-Ana – Tochter des Händlers Bur-Gon, Priesterschülerin im Tempel von Encheduanna-Kyr

 

Gottheiten

Innana Göttin der Liebe und des Krieges, Göttin des Morgensterns und des Abendsterns, Göttin der Fruchtbarkeit

Nanna Mondgott (=Sin)

Ningal Muttergöttin

Schamasch Sonnengott, Gott der Wahrheit, Gerechtigkeit und des Rechts

An Himmelsgott  u.v.m.

 

Orte

Ur / Uruk / Eridu / Fluss Euphrat

Zeit

ca. 2270 v.u.Z. in der Zeit von Enecheduanna, Tochter des Großkönigs Sargon von Akkad, unter der Herrschaft von Naram-Sin, dem Enkel von Sargon von Akkad.

 

 

Aus einer großen Schale steigt der aromatisch duftende Rauch einer Morgenräucherung mit Myrrhe und Zedernholz auf und umhüllt den Vorplatz der prächtigen Tempelanlage. In den Räucherungen sieht die Bevölkerung von Ur ein Zeichen der Erleichterung, ein Zeichen dafür, dass in ihre Stadt wieder Normalität einkehren darf. Die erhabene Encheduanna-Kyr[2] ist wieder zurück in ihrem Tempel, dem Sitz des Stadt- und Mondgottes Nanna, im Norden der Stadt Ur, am großen Fluss Euphrat gelegen, nahe zum großen Meer.

Über ein halbes Jahr war sie im Exil wegen eines aufständischen Herrschers, des rebellischen Statthalters von Ur, Ushlaran-Lugal-Ane.

Draußen, weit vor die Stadt in die Wüste wurde sie vertrieben, enthoben ihres hohen Amtes. Dort, bei den Aussätzigen lebte sie, krank, dem Tode nahe. Er nahm sie gegen ihren Willen, sie, Encheduanna-Kyr, die Gemahlin des Mondgottes Nanna, sie, die Entu-Priesterin, dieHohepriesterin, die das höchste religiöse Amt der Stadt innehatte, im Egipar[3]von Ur, welcher das Heiligtum von Ningal, der Großen Göttin, ist. Dieser Tempel war von der Großen Göttin selbst geweiht.

Nie wird sie diese Schreckensszenarien vergessen, doch nie wird sie je über ihre tiefsten Verletzungen sprechen.

Sie verschloss sie in ihr tiefstes Inneres, die Schreie, die plötzlich überall zu hören waren und das drohende Unheil ankündigten, das wie Donner und Blitz mit roher Gewalt über sie herfiel, ohne die geringste Chance eines Auswegs, der Flucht. Wie er plötzlich vor ihr stand, sie schlug, sie festhielt, nach unten drückte, sich den Weg in sie verschaffte und den erbärmlichen Saft in sie ergoss, sich aufrichtete, mit einem zufriedenen Lächeln in seinem kahl geschorenen Kopf, was eigentlich nur Priestern vorbehalten war, und die Axt hob und zuschlagen wollte.

Da, in diesem Moment, trafen sich ihre hasserfüllten Augen. Da plötzlich sah er, dass an ihr irgendetwas war, irgendetwas war an ihr. Er starrte in ihre tiefblauen Augen, und er zuckte innerlich zusammen; ein kurzes Aufblitzen von Reue, ein Erkennen und nicht zuordnen Können, kurze Panik. Unerwartet wandte er sich ab und ging. Kurz vor der Tür rief er nur: „Zu den Aussätzigen!“, und war verschwunden.

„Lachen ist Medizin“, pflegte sie stets zu sagen. Es war weg. Ihr Lachen. Es würde zurückkommen, irgendwann, wenn mehr Zeit verstrichen war, wer weiß. Auch Zeit konnte heilen.

Seine Augen, diesen besessenen Blick seiner braunen Augen, in diesem Gesicht, diesem geschorenen Kopf, diese Sekunden der hasserfüllten Stille, in der er taumelte. Auch sie taumelte. Für einen Funken Zeit dachte sie, ihn zu kennen… Nein, niemals, unentschuldbar, nicht sie! Ein Gottesurteil würde ihn für sie richten. Gedemütigt war sie, aber nicht gebrochen, das hatte er nicht geschafft.

Sie hätte sich vor ihm, diesem niederen Statthalter Ushlaran-Lugal-Ane von Ur, diesem Möchtegerngottkönig und seinem künstlich emporgehobenen Gott niederknien sollen. Für ihn sollte sie ihre Göttin verleugnen, entthronen, niemals! Und – sie sollte das Erbe ihres Vaters verraten, ihres Vaters Rosuran-Sargon, der als erster König ein Großreich erschaffen hatte. Er war tot und sein Nachfolger war bereits an der Macht, sein Enkel, der jetzige König Elieanor-Naram-Sin.Auch wenn sie die gräulichen Machenschaften ihres Neffen nicht guthieß.

Sie sollte sich entscheiden, unmöglich, nicht gegen das Erbe ihres Vaters! Unmöglich gegen ihre Göttin, Innana, die Göttin der Liebe und des Krieges!

Zerrissen war sie, dennoch klar in ihrer Position, auch wenn es ihr Leben gekostet hätte. Doch nicht genug des Unglücks, so war da noch dieses miteifernde Volk draußen vor dem Tempel – schreiende Weiber und Männer mit laut aufeinanderschlagenden Stöcken und hassverzerrten Gesichtern. Sie, die nichts wussten von den Göttern, die nur sich selbst kannten und einem jeden hinterherkrochen, der ihnen Reichtum versprach. Reichtum, der nie fließen würde! Doch das konnte es nicht verstehen, dieses Volk. Es lässt sich immer wieder von neuem blenden und lernt einfach nichts dazu. Aber trotz allem, dem Volk konnte sie verzeihen, sie liebte es.

Sie alle erwarteten damals von ihr, dass sie als Priesterin sich gegen ihre Göttin Innana, die Göttin der Liebe und des Krieges, stellte, sie verraten, sie entmachten sollte, nur um ihm zu dienen, ihm zu Füßen zu kriechen, ihm, Ushlaran-Lugal-Ane und seinem Mondgott Nanna, der ihm die Macht verliehen hatte, solch Niederes zu tun. Nanna, der Mondgott, der Ushlaran-Lugal-Ane autorisiert haben soll, welch infames Urteil, das nie endgültigen Status hatte!

Ushlaran-Lugal-Ane hatte kriegerische Erfolge gegen Elieanor-Naram-Sin, den Schützling Innanas, ihren Neffen. Und sie, Encheduanna-Kyr, sollte die Machenschaften von Ushlaran-Lugal-Ane, diesem erbärmlichen Statthalter,legitimieren. Unmöglich!

Ushlaran-Lugal-Ane wollte sich selbst seinem Gott Nanna, dem Stadtgott von Ur, gleichstellen, ihm ebenbürtig, unantastbar. Das war absolut unmöglich für sie! Das konnte sie nicht unterstützen. Er, ein Gottkönig, ha! Nein, niemals!

Das genaue Gegenteil war der Fall, war die Wahrheit. Das Urteil des Himmelsgottes An persönlich, sein Urteilsspruch, autorisierte nämlich sie, Encheduanna-Kyr, die Entu-Priesterin, dass sie gegen Ushlaran-Lugal-Ane vorgehen musste. Alle Macht in einer Hand – unmöglich für sie!

Es war ihre Aufgabe, solches zu verhindern.

Die Priester allein waren es, die zwischen den Göttern, den Königen und den Menschen als Mittler berufen waren, geweiht waren. Sie war auch die Entu-Priesterin des Mondgottes Nanna! Er, Ushlaran-Lugal-Ane, wollte auch dies zerstören, ein Mensch mit niedersten Instinkten ohne jede Sensibilität für das Gleichgewicht, das die Priester hielten. Dieser Mensch wollte einen höheren Status als sie, dieser Mensch wollte selbst mit dem Mondgott verschmelzen, sich über alle Götter erheben, und sie sollte dann nur ihm als dem Mondgott allein dienen, ihm, einem niederen Manne. Niemals!

Doch Nanna, der Mondgott, dem sie so lange gedient hatte, dessen geweihte Gemahlin sie war, er hatte nichts unternommen, um den anmaßenden Machenschaften Ushlaran-Lugal-Anes Einhalt zu gebieten. Er hatte tatenlos zugesehen. Er unterstützte damit Ushlaran-Lugal-Ane in seinem Wahnsinn, seiner Machtbesessenheit, und wandte sich gegen sie.

Und sie – sie wandte sich ab von ihm, von dem Mondgott.

In ihrem Exil, weit draußen in der Wüste, erflehte sie in endlosen Gebeten die Hilfe Innanas, der Göttin der Liebe und des Krieges, in diesem Streit nach Recht und Gerechtigkeit zu entscheiden und ein endgültiges Urteil zu fällen. Sie schrieb eine einzigartige Hymne an die Götter, an die Menschen, an Innana.

So kam die Wende: Elieanor-Naram-Sin, ihr Neffe, schlug die Revolte des wahnsinnigen Ushlaran-Lugal-Ane nieder und sie, Encheduanna-Kyr, die Entu-Priesterin, durfte wieder zurückkehren, zurück nach Ur, zurück in ihr Amt. Die Tür des Himmels hatte sich für sie wieder geöffnet. Die Götter hießen sie wieder willkommen.

Encheduanna-Kyr hatte es geschafft, die große Göttin Innana, ihre große Schutzgöttin, mit ihren Hymnen zu überzeugen, mit ihrem Wort und vielen Kulthandlungen ausschließlich ihr zu Ehren. Mit diesem eisernen Willen drängte sie Innana, das Urteil des Himmelsgottes An zu bewahrheiten und damit das Urteil Nannas zu revidieren. Alle Revoltierenden sollten vernichtet werden. Ushlaran-Lugal-Ane wurde mit dem Tode bestraft, der Kahlköpfige wurde geköpft; allein das Vergehen an ihr war schwerwiegend, denn sie war als Entu-Priesterin die heilige Ehefrau des Gottes, die geachtet und geehrt werden musste. Mondgott Nanna wurde aufgefordert, die Herrschaft Innanas anzuerkennen, sodass durch die Versöhnung der beiden Götter – die Versöhnung von Nanna und InnanaInnana in ihrer Stadt Ur wieder anerkannt war. Das göttliche Gleichgewicht war wiederhergestellt. Im Himmel und auf Erden.

 

 

Nun ist Encheduanna-Kyr wieder zurück und bald, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist, würde sie anfangen, das alles zu verarbeiten. Sie hat ihre Harfe. Sie hat ihre Stimme. Sie hat kraftvolle und wirkungsvolle Worte. Und sie hat die Position, die es ihr erlaubt, dies alles auszudrücken, fast alles. Das würde sie tun.

Unweit des Tempels bei den Königsgräbern steht Encheduanna-Kyr vor der Grabanlage ihres Vaters, dem Kiang, wie sie sagen, dem Ort, an dem man die Toten trinken lässt, vor dessen in Dorit gehauenem Bildwerk. An dem sehr harten Gestein Dorit hatte der Steinbildhauer ganze Arbeit geleistet und eine nahezu naturnahe Abbildung ihres Vaters Rosuran-Sargon geschaffen. Nicht wie früher in schlichten Formen war er gehauen. Seine Augen, die geschwungenen Augenbrauen, seine fast grüblerisch wirkende Stirn, seine markante Nase und sein hoheitlich gelockter Bart waren wesentlich feiner umgesetzt.

Sein Gesicht wie auch seine ganze Haltung gewannen dadurch deutlich mehr an Ausdruck. Fein ausgearbeitet war sein langes Obergewand, das über die linke Schulter fiel, teils an den Rändern mit Quasten verziert. Die rechte muskulöse Schulter blieb frei, denn das Gewand wurde wie ein Rock getragen, dessen Ansatz kurz unterhalb der Brust mit einer Borte verziert war. So steht ihr Vater fast in Lebensgröße vor ihr, Rosuran-Sargon, der einstige Gott-König des großen Reiches von Akkad und Sumer.

Zwischen ihnen steht ein Opferaltar, auf welchen sie nun ihre Opfergaben darbringt. In eine Schale füllt sie Wasser als Trankopfer. In eine breite Schale mit Sand und glühendem Schilfrohr gibt sie Myrrhe und Weihrauch hinein. Sie wartet einen Augenblick, bis der würzig-herbe Geruch die Luft erfüllt.

In einem Monat schon beginnt das neue Jahr und am Abend vor dem Neujahrsfest, dem Akitu-Fest[4], dem Fest der Gerstenaussaat, würde sie das große Opfer-Ritual vollziehen. Dann wird sie wieder hier sein und das rituelle Trankopfer darbieten. Dafür war bereits vertikal eine Röhre in das Grab eingelassen, die der Aufnahme des Trankopfers diente. Dann würde sie ihm neben Wasser auch Gerstenbier bringen.

Das Trankopfer war die wichtigste Gabe für die Toten, denn sie gingen davon aus, dass es kein frisches Wasser im tristen und freudlosen Jenseits gab, dem Haus des Staubes, wie sie die trockene, staubige und dornige Unterwelt auch bezeichneten. Die Toten mit ihrem Totendurst waren angewiesen auf die rituellen Spenden zu ihrem Andenken.

Es ist Morgen und die rituellen Morgenopfer, die täglich frischen Blumen- und Trankopfer an ihre Schutzgöttin Innana, der Göttin der Liebe und des Krieges, und auch an Schamasch, den Sonnengott, hatte sie bereits zu Sonnenaufgang dargereicht, als seine ersten Strahlen einen neuen Tag ankündigten. Schamasch ist Richter über Erde und Unterwelt, denn er sieht alles, was oben und unten geschieht, da er tagsüber auf einem Boot am Himmel segelt und in der Nacht auf der gegenüberliegenden Seite in der Unterwelt. Er ist der Gott der Wahrheit, Gerechtigkeit und des Rechts und wird auch in diesen Themen um Rat und Unterstützung angerufen.

Viele Tage hatte Encheduanna-Kyr im Tempel mit allen zusammen aufgeräumt und alles wieder, soweit es vorhanden und nicht geraubt oder zerstört worden war, in den ursprünglichen Zustand versetzt.

Zehn ihrer getreuen Dienerinnen waren verschwunden, verschleppt, gegen ihren Willen. Wo immer sie jetzt sein mögen, Innana, bitte, möge es ihnen gut gehen.

Ihr Oberaufseher war sofort erschienen, als man ihm von ihrer Rückkehr berichtete. Er, Iah-Sku-La, der schon zu den engsten Vertrauten ihres Vaters zählte, der als Leibwächter und Lehrer seit ihrer Kindheit an ihrer Seite war; er war mehr ihr Vater als ihr leiblicher Vater.

Ihr Vater war der König, der König eines Großreiches und auch ihr König. Sie, Encheduanna-Kyr, hatte eine Funktion für den König. Als Vater war er für sie in weiter Ferne, aber Iah-Sku-La war immer da, wenn sie ihn brauchte. Er kümmerte sich um sie mit Leib und Seele, und er war es auch, der sie, als Ushlaran-Lugal-Anes Truppen den Tempel stürmten, verteidigte mit all seinen Kräften. Doch Iah-Sku-La war nicht mehr der Jüngste und nicht ausdauernd und auch nicht zum Kampfe geboren und ausgebildet. Er kam zu spät, mit ihr war Ushlaran-Lugal-Ane schon fertig, aber, er war gekommen. Fürdie beiden sabbernden Gehilfen Ushlaran-Lugal-Anes war es ein leichtes Spiel und sie schlugen den alten Mann schnell nieder, laut lachend und spuckten auf ihn, als er dalag, reglos, in einem See aus Blut. Das war das letzte, was sie von ihm gesehen hatte, das letzte, was sie von ihm in Erinnerung hatte. Ein Bild, das sie beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte.

„Nein! Nanna, es kann nicht sein! Nein! So nicht, nicht er! Er war wie ein Vater zu mir! Es darf nicht sein, ich glaube es nicht! Hilf ihm! Hilf mir! Ich flehe dich an!“, hatte sie geschrien und war danach zusammengebrochen. Wochenlang hatte sie hohes Fieber. Ab und an wachte sie auf, nahm schemenhaft wahr, dass sie in einer einfachen Schilfhütte lag. Es war unerträglich heiß. Aber es kümmerte sich jemand um sie. Eine Frau pflegte sie, deren Gesicht sie nie zu sehen bekam. Ihr ganzer Körper war umwickelt mit zerrissenen Tüchern, dreckig, alt, alles hing an ihr herunter und sie roch. Wie eine Bettlerin. Aber eine, die man dazu verdammt hatte, so wie sie, denn ihre Bewegungen waren nicht wie die einfacher Frauen, sondern anmutig und ruhig, und ihre Stimme war sanft.

Aus irgendeinem Grund hatte sie Vertrauen zu der so widersprüchlichen Alten. Wenn sie sich aufrichtete, schien sie sogar recht groß zu sein, wenn sie ging, sah es fast schlaksig aus, denn sie schien unter all den Tüchern sehr schlank oder gar dünn zu sein, aber dennoch irgendwie von graziler Haltung. Auch wenn sie sonst ein recht ungepflegtes Äußeres hatte, ihre Hände waren stets mit sauberen Stoffbändern umwickelt. Das Einzige, was sie direkt von ihr sah, waren die dunklen fransigen Haare, die unter dem Kopftuch heraushingen, und die aus den Stoffbändern herausschauenden Fingerspitzen, die sie streichelten, die ihr kühle Tücher auflegten, die ihr heißen Tee mit frischen, meist bitteren Kräutern brachten und klares Wasser und Getreidebrei. Woher die Frau das nahm, sie wusste es nicht. Nur einmal sah sie ihre dunkelbraunen Augen, wie der scheue Blick einer Gazelle. Als Encheduanna-Kyr sich nach langer Zeit wieder erholt hatte und sie sich bei der Alten von Herzen bedanken wollte, hatte sie nichts, was sie ihr geben konnte, außer ihrem tiefen und aufrichtigen Dank. Das war das Mindeste, was sie tun konnte, doch die Frau war verschwunden. Spurlos. Sie hatte überall gefragt, im ganzen erbärmlichen Lager, in jeder wackeligen Schilfhütte. Keiner kannte sie, keiner hatte sie gesehen. Nur ein kleiner Junge, der sagte, das sei die alte Sho-oi. Von Ninive, hätte sie gesagt, das war sehr weit weg.

Aber Iah-Sku-La lebte! Innana, die große Göttin der Liebe und des Krieges, hatte ihr Flehen erhört. Der liebenswürdige Alte musste sich beim Gehen auf einen Stock stützen, aber der Kopf war klar, klarer als je zuvor. Ansonsten sah er aus wie sie ihn kannte, mit seinen feinen weißen Haaren und seinem dünnen Bärtchen, seiner sonnengegerbten Haut, die verriet, dass er viel draußen war. Er schlief sogar draußen, im Tempel draußen.

Innana hatte sie beide erhört. Innana hatte ihr geholfen. Und für Innana baute sie alles wieder auf. Als Dank. Für ihrer beider Leben.

Heute endlich konnte der gewohnte Ablauf weitergehen, fast als wäre nichts geschehen; fast, mit einigen kleinen Änderungen.

 

Nun steht Encheduanna-Kyr hier am Kiang ihres Vaters,gereinigt und frisch gekleidet, ohne die leiseste Spur ihrer Erlebnisse aus den letzten Wochen. In ihrer wollenen, fein gewebten Priesterinnenrobe… Schön und stolz und rein.

Sie erhebt die Arme gen Himmel und betet:

„Mein Vater, Großer König Rosuran-Sargon, in den Himmel aufgestiegener Gott, göttlicher König, Schöpfer des Großreiches von Akkad mit Sumer. Du erobertest die Welt zwischen dem oberen und dem unteren Meer. Du besiegtest das obere Land, wo der Gott Dagon dir den Zugang zu den Schätzen von Mari, Ebla und Jarmuti bis zum Zedernwald mit seinem kostbaren Holz und dem Silberberg erlaubte. Mehr als 50 Ensi hattest du unterworfen, sie, die großen Statthalter der Stadtgottheiten, die obersten Priester, so wie ich.Ein größeres Reich hatte es bis dahin noch nie gegeben. Du hattest die Kontrolle über Gebiete mit den wichtigsten Bodenschätzen und Handelsrouten entlang der großen Flüsse Euphrat und Tigris. Du bautest eine prächtige Stadt aus dem Nichts, Akkad, und diese Stadt wurde zum Zentrum deines Reiches, und in ihrem Zentrum bautest du den Tempel für Innana, denn sie liebte dich.

Groß waren deine Ziele, groß dein Erfolg, lange regiertest du, und immer warst du unterwegs, um Aufstände niederzuschlagen. Die Grenzen deines Reiches dehnten sich immer weiter aus. Unermesslich lang waren sie, schwer zu bewachen und zu kontrollieren. Gewaltig war der Weg, sie zu vereinen, zu einem Reich zusammenzuführen, die vielen Völker. Du hast sie alle vereint! Nicht immer war deine Idee willkommen und kaum war eine Schlacht geschlagen, musstest du weiterziehen, um am anderen Ende unseres Reiches neue Aufstände zu zerschlagen und Unmut einzudämmen.

Allein durch dich übernahmen sie Kleidung, Bewaffnung und auch deine Kriegstechnik. Akkad, dein Großreich, mit dir als einzigem Herrscher, einem Gott-König. Viele Beamte hattest du unter dir, um das Land zu verwalten. Manche Regeln hattest du übernommen, viele kamen durch dich dazu. Es galt dein Gesetz für unser Zusammenleben mit diesen verschiedenen, neuen Menschen in unserem Land. Du hast unsere Kulturen zu einer erhabenen großen Kultur vereint.

Wir übernahmen die Schrift der Sumerer, die nun zu unserem Reich gehörten. Alle Gesetze wurden auf Tontafeln geschrieben. Wir hatten eine Schrift und eine Sprache. Unsere akkadische Sprache[5] wurde bald überall gesprochen, einheitlich. Somit konnten wir einen geregelten und überaus erfolgreichen Fernhandel und vor allem auch Seehandel betreiben mit Ländern wie Ägypten und der Indus-Kultur. Streng warst du. Für dein großes Ziel kämpftest du wie ein Löwe, unermüdlich und stark. Selbst die Löwen hast du bezwungen auf deinen Jagden.

Deine Stärke hast du mir mitgegeben mit deinem Blut, so konnte ich das letzte halbe Jahr überstehen. Mit einem eisernen Willen und der Kraft im Rücken, nicht zu zerbrechen, trotz der Schmach, die man mir angetan hatte. Schwäche zeigte ich nur in einem einzigen Moment, als ich meinen eigenen Eingebungen nicht mehr traute.

Daher befragte ich einen Wahrsagepriester, wie du es stets hieltest vor all deinen Feldzügen, doch wie konnte ich nur… Er opferte ein Lamm, bereitete die Leber in der Nacht vor und las aus den Eindrücken in der Leber in der Morgendämmerung meine Zukunft. Trotz der Löcher in der rechten Seite der Leber zeigte er über die Leber und erzählte mir ganz ruhig, dass ich nichts zu befürchten hätte, dass alles besser aussehen würde als bisher und dass meine Persönlichkeit noch stärker werden würde, da ich mich durch nichts entmutigen ließe und stets nach vorn schaute. Keine Warnung vor einer unmittelbar bevorstehenden Gefahr, allein die Tatsache, dass ich eine Unsicherheit in mir spürte, war für mich das Warnzeichen, das ich selbst nicht erkannt hatte oder vielleicht nicht wahrhaben wollte.

Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl, er ging auch nicht nach den vorgegebenen Regeln vor, wie es sonst üblich war und deutete auch nicht nach der Form der übrigen Eingeweide. Meine kurze Schwäche überdeckte ich mit Hochmut und Selbstüberschätzung – so konnte ich natürlich weder klar sehen noch sofort reagieren.

Ich habe daraus gelernt, und habe im Exil den Fluch, der kurz nach der Opferschau über mich herkam, mit vielen Ritualen wieder von mir genommen und habe eine neue Entscheidung der Götter erbeten.

In den weiteren Punkten hatte der Wahrsagepriester recht, dass alles besser aussehen würde als zuvor. Das wird es, wenn alles wieder aufgeräumt, repariert und erneuert sein wird. Und – ich bin stärker, innerlich. Ja. Ich bin stärker als zuvor. Es ist nicht der Wille nach Macht über Land und Mensch und noch mehr Land und noch mehr Mensch, den ich von dir, großer König und Vater, übernommen habe – nein, mich durchfließt eine andere Art von Macht.

Meine Macht ist meine Aufgabe, den Göttern zu dienen, mit Leib und Seele und für die Menschen da zu sein, die meine Hilfe brauchen oder die Unterstützung der Götter, sei es wegen Krankheit oder Hunger, einer unerklärlichen Traurigkeit oder einer scheinbar ausweglosen Situation. Da bin ich die Mittlerin zwischen Menschen und Göttern.

Deine Tochter ist zurück, ich, Encheduanna-Kyr, die Entu-Priesterin von Ur. Meine Schändung ist ohne Folgen. Rache, Trauer und Wut sind mit der Hitze der Wüste verdunstet und ich baue alles wieder auf. Meine geheimen Kammern haben sie nicht gefunden, nur meine Harfe und die vielen kostbaren Truhen mit Gewändern und Schmuckstücken der Tempelpriesterinnen nahmen sie mit. Und die große Statue des Mondgottes Nanna.

Nanna, mit welchem du mich nach dem Tod der alten Entu-Priesterin am dritten Tag der Einweihungszeremonie vermählt hast.

Oh, großer König Rosuran-Sargon, mein Vater, lange schon hattest du meine Zukunft beschlossen. Nach Jahren der Probe und Vorbereitung im Kloster, fern von dir, fern von meinen Geschwistern, fern von meiner Mutter, fern von meiner Familie, wurde ich in die Familie der Götter eingeführt und erlangte die rituelle Reinheit. Für dich und für ihn zog ich in den Tempel des Mondgottes Nanna. Nach allen Feierlichkeiten für meine Einführung als neue Entu-Priesterin. Die Feierlichkeiten hatten mit dem heiligen Festmahl und der Verkündung meiner Aufnahme in den Haushalt des Göttertempels begonnen. Am zweiten Tag, dem Tag des Schicksals der Naditum[6], salbten die Tempeldienerinnen nach dem Scheren meinen Kopf mit Salböl und bekleideten mein Haupt mit der heiligen Kopfinsignie, einem Diadem, und meinen Körper mit einem weißen Wollgewand, meinem Brautkleid.

Ich war fortan ihre neue Herrin. Am dritten Tag dann zog ich mit all meinem häuslichen Mobiliar für dich, allein für dich, mein Vater, großer König Rosuran-Sargon, in die Wohnung des Mondgottes Nanna, dem großen Tempel der Stadt Ur. Der Ritus der Heiligen Hochzeit bestätigte die Übergabe an den Gott. Als geweihte Tochter verbrachte ich fortan mein ganzes Leben als verheiratete Göttergattin in den Heiligtümern, im Tempel, im Egipar.

Um dein Herrschaftsgebiet zu festigen, erklärtest du mich zuvor schon zur Naditum-Priesterin des Himmelsgottes An in Uruk, der Liebes- und Kriegsgöttin Innana in Uruk und des Mondgottes Nanna in Ur. Somit hattest du mich in zwei der wichtigsten Städte eingesetzt, Ur und Uruk, Städte in einem Gebiet, welches du kurz zuvor erobert hattest. 

Als Entu-Priesterin, die oberste Priesterin, war ich Inhaberin eines für dich strategisch wichtigen Amtes. So übte ich großen Einfluss auf die Stadt- und Tempelbehörden aus und war dir damit in hohem Maße dienlich.

 

Große Aufgaben verbanden sich mit diesen höchsten Positionen, und ich festigte die Bindung des Volkes mit meinen Gaben, mit meinen Hymnen, mit meinen Hymnen an alle wichtigen Städte deines großen Reiches, im Süden Eridu bis in den Norden mit Akkad, Sippar und Esnunna.

Aber ich sage dir, großer Vater, ich habe mich abgewandt von Nanna, dem Mondgott.

Impressum

Verlag: BookRix GmbH & Co. KG

Tag der Veröffentlichung: 29.11.2013
ISBN: 978-3-7309-6541-2

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /