Cover

Albtraum oder Realität

"Alexander, wo bist du? Ich werde dich finden!" flüsterte eine raue Stimme langsam, doch es hallte durch den feuchten, leeren Keller wider. Außer Atem stand ich hinter einer offenen Tür und versuchte so gut ich konnte den Atem anzuhalten. Ich hörte jeden einzelnen Schritt auf dem glitschigen Boden, er kam immer näher, als würde er wissen wo ich mich versteckte. Plötzlich wurde alles Schwarz und ich fuhr in die Höhe. Schweißgebadet saß ich in meinem Bett, genauso keuchend wie in meinem Traum. Meine Freundin lag neben mir ohne meinen Stress zu bemerken. Leise stieg ich vom Bett und machte mich auf den Weg zur Küche um Kaffee aufzusetzen. Der laute Ton des Kaffeekochers weckte auch unseren schneeweißen Akita Leika. Mit einem Gähnen kam sie auf mich zu und setzte sich mit ihrem müden Blick neben mich.

"Du bekommst dein Frühstück gleich meine Große." Während Leika genüsslich ihr Futter schlemmte, richtete ich auch das Frühstück für mich und meine Freundin an. Es war Sonntagmorgen und das war dieser Teil der Woche, den wir gemeinsam am meisten genießen, deshalb sind wir beide normalerweise auch recht früh munter an diesem entspannten letzten Tag jeder Woche. Besonders der heutige Tag sollte einer der schönsten unseres Lebens sein, denn wir hatten einen Tisch in unserem Lieblingsrestaurant reserviert und ich hatte schon vor einigen Wochen Verlobungsringe für uns erstanden, mit denen ich sie heute Abend überraschen wollte. Doch mittlerweile ist es kurz vor neun Uhr und ich sitze alleine an unserem kleinen Eck-Küchentisch. Also beschloss ich meiner Freundin das Frühstück ans Bett zu bringen, immerhin sollte das ein wundervoller Tag werden. Kurzerhand entschied ich mich dazu, da ein perfekter Tag auch schon wunderbar beginnen sollte, meiner Traumfrau den Antrag sofort zu machen. So leise wie ich konnte begab ich mich zu der Kiste im Wohnzimmer, in der wir das Spielzeug unserer Leika aufbewahrten. Als hätte sie mein Ziel riechen können takelte mir jene auch schon hinterher. Mit dem noch immer heißen Kaffee, einem Croissant und den Ringen in einer Samtschachtel öffnete ich langsam die Schlafzimmertür und stellte das Tablette auf den Beistelltisch neben dem Bett. Ich versuchte meine Freundin mit einem Kuss auf die Wange zu wecken, doch darauf reagierte sie nicht.

"Monika." Zärtlich strich ich ihre braunen Stirnfransen zur Seite und sprach sie mit sanftem Ton an. Als sie aber auch auf das hin nicht munter wurde begann ich mir Gedanken zu machen. Erst jetzt bemerkte ich, dass ihr Puls nur noch sehr schwach war und versuchte ihren Atem zu hören, doch vergebens. Ich sprang auf, als hätte mich etwas in eine meiner Pobacken gestochen, und eilte durch die Wohnung, verzweifelt auf der Suche nach dem Telefon.

„Alex?“ meine zwanzigjährige Schwägerin kam in ihrem Herbstkleid, mit ihrem beigen Mantel über den Arm gehängt, in Eile auf mich zu. Ich nahm sie fest in den Arm und es dauerte einige Momente bis wir uns wieder lösten.

„Wie geht es ihr?“ Bevor ich antworten konnte mischte sich eine fremde Stimme in unser Gespräch.

„Sind Sie eine Angehörige?“ Ein großer Mann mit Brille stand im weißen Kittel hinter Viktoria und wartete auf ihre Antwort, doch sie drehte sich nur zu ihm und starrte ihn erschüttert an.

„Sie ist die Schwester. Können sie uns jetzt bitte sagen wie es ihr geht?“ Der Arzt würdigte mich nur eines kurzen Blickes und wandte sich dann wieder an Monikas Schwester.

„Ich schlage vor wir setzen uns erstmal.“ Er deutete auf die vier zusammenhängenden Sessel neben uns. Ich setzte mich neben Veronika, die meine Hand zerquetschen würde, hätten ihre zierlichen Hände mehr Kraft.

„Wir haben ihre Schwester in ein künstliches Koma versetzt, anscheinend leidet sie schon länger an einer Herzkrankheit.“

„Unser Vater ist an Herzleiden gestorben.“ Veronikas Stimme zitterte und war in dieser niedrigen Lautstärkte, in der sie mühevoll die Worte herausbrachte, nur sehr schwer zu verstehen.

„Ihr Zustand ist kritisch, aber natürlich geben wir Ihnen umgehend Bescheid, sobald sich ihr Zustand verändert. Für den Moment ist es wohl das Beste wenn Sie sich zu Hause ein wenig ausruhen.“ Er reichte ihr ein Taschentuch und kehrte sich anschließend mir zu.

„Fühlen Sie sich in der Lage die junge Dame nach Hause zu bringen oder soll ich Ihnen beiden ein Taxi bestellen?“

„Nicht nötig, danke Herr Doktor.“ Der Arzt nickte mir zu und erhob sich von dem Holzstuhl der Notaufnahme.

„Kann ich sie sehen?“ Viktorias Worte hielten den Arzt auf.

„Selbstverständlich, allerdings kann ich Ihnen nicht sagen ob Ihre Schwester sie auch wahrnehmen kann. Er brachte uns zu dem Zimmer, wo wir uns ans Bett von Monika setzten und noch lange in Stille blieben. Meine Träume hielten mich letzte Nacht lange wach, ich war kurz davor einzunicken. Jetzt sitze ich hier in dieser Stille und sehe meine wunderschöne Freundin reglos vor mir liegen, meine Augen fielen langsam zu und ich hatte das Gefühl wieder in einen Traum zu versinken.

Weg zum Glück

Der Fernseher zeigt einen der berühmtesten Filme von Bud Spencer und Terence Hill, während ich einige Übungen mache, um mich auch an diesem Tag fit zu halten, obwohl mein Fitness Club geschlossen hat. Das Wetter an diesem Sonntag ist wunderbar und bei schönem Wetter verspüre ich jedes Mal dieses unendliche Gefühl der Motivation in mir. Es war noch früh am Vormittag, der Tag war noch lang und der beste Weg in ihn zu starten war ein Lauf draußen im Grünen, an der frischen Luft. Ich suche meinen grauen Jogginganzug heraus und schlüpfe in meine schwarzen Nike Laufschuhe. Ich binde mir meinen Pulsmesser um und stecke mir Kopfhörer in die Ohren. Ich klopfe an die Tür meines Mitbewohners und hoffe auf eine Reaktion, doch von drinnen kommt keine Antwort. Ich gehe nach draußen und nach ein paar Dehnübungen laufe ich los in Richtung Stadtpark. Nicht viele Leute waren unterwegs, zum größten Teil Pensionisten, die meist sehr früh munter waren, selbst an den Wochenenden. Ich laufe so schnell ich kann, ich habe beim Laufen immer das Gefühl, als würde ich meinen ganzen Stress einfach heraus schwitzen. In der Mitte des Parks steht ein rundes Café in wunderschönem Ambiente. Auch hier ist zu dieser recht frühen Stunde noch nicht viel los, doch mein Geschick lässt mich genau in den einen Tisch laufen, der besetzt war. Sofort drehe ich mich um und vor mir sitzt eine wunderschöne, junge Frau mit braunen Haaren in schwarzem Oberteil mit weißer Jacke und olivgrünem Rock.

„Du mein Güte, es tut mir leid, beim Laufen bin ich immer völlig in Gedanken versunken.“ Durch das Stolpern über eines der Tischbeine habe ich jenen um ein paar Zentimeter verrückt und dadurch die Kaffeetasse umgekippt.

„Nein, schon gut, warum setze ich mich auch auf den Tisch der ganz außen steht.“ Die junge Frau schaut mich mit ihren großen, braunen Augen von unten herauf an. „Ich bin Alexander, darf ich Sie zum Frühstück einladen? Das ist das Mindeste was ich tun kann.“ Sie reicht mir ihre Hand und ich spüre ihre zärtliche Haut an meiner. „Monika.“ Sie kniff ihre Augen zusammen und zeigt auf mich. „Ich traue mich wetten ein Sportler wie Sie hat beim Laufen kein Geld bei sich."

Natürlich habe ich daran nicht gedacht bevor ich sie zum Essen einlud. Sie entnimmt meinem Gesichtsausdruck meine Antwort auf ihre Bemerkung.

„Ich mache Ihnen einen Vorschlag, ich verzeihe Ihnen, dass Sie mich um meinen Kaffee gebracht haben und lasse Sie weiter Ihren Sport treiben ohne ihn zu bezahlen und dafür führen Sie mich heute Abend in das nette italienische Restaurant zwei Straßen weiter aus.“ Nicht weit entfernt ertönt ein Geräusch, ich drehe mich zum naheliegenden Teich, im Augenwinkel sehe ich ein Schmunzeln in ihrem Gesicht und drehe mich wieder zu ihr.

„Um halb sieben erwarte ich Sie vor dem Lokal.“ Ich jogge wieder los und mache schon nach ein paar Metern wieder halt. Ich hatte Glück, denn ein guter Freund von mir war hier Kellner und hatte auch an diesem Tag Dienst.

„Basti! Tu mir einen Gefallen und bring der hübschen Lady auf dem Tisch dort doch noch einen Kaffee. Ich bringe dir das Geld heute Nachmittag vorbei.“ Ich werfe der Frau noch ein letztes Lächeln zu und laufe anschließend weiter in Richtung meiner Wohnung.

Eine neue Familie

 

Die Tür zu unserer Wohnung ließ sich nur schwer aufsperren, aber das war nichts Neues, mittlerweile wohnen wir seit drei Jahren zusammen und haben die Tür noch nie anders erlebt. Ich nahm Viktoria ihren Mantel ab und hing sie gemeinsam mit meiner Jacke an die Garderobe, die im sowieso schon so schmalen Flur an der Wand stand. Ich betrachtete die jüngere Schwester meiner Freundin besorgt.

„Du siehst durstig aus, was willst du denn trinken?“ Sie sah mich mit müdem Blick und ihren verweinten Augen an, sogar ihre Lippen waren von den vielen Tränen im Krankenhaus ganz ausgetrocknet.

„Monika hat doch sicherlich noch immer eine riesige Ansammlung von Teesorten, nicht wahr?“ Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie ihre Schwester heute noch bester kannte als ich. Obwohl das ja auch nicht wirklich verwunderlich war, immerhin hatten sie siebzehn Jahre lang im selben Haus gelebt. Ich lächelte Viktoria zu und ging durch die rechte Tür in die Küche, während sie noch damit kämpfte ihre Stiefel auszuziehen.

„Welchen Tee willst du? Wir haben alles.“ Auch Leika stapfte jetzt schön langsam vom gegenüberliegenden Schlafzimmer in die Küche und beobachtet mich mit ihren großen glänzenden Augen, wie ich die Lade mit den unzähligen Teepackungen durchsuchte.

„Einer ihrer Entspannungstees wäre mir am liebsten.“ Nun lehnte Viktoria am Türrahmen und lächelte mir zu, genauso wie Monika es immer tat. Unglaublich wie ähnlich sie sich sahen, sie hatten dieses wunderschöne Lächeln beide von ihrer Großmutter geerbt. Ich sah die nette alte Frau vor mir, wie sie mir zulächelte als ich sie vor zweieinhalb Jahren kennenlernte. Bis jetzt kannte ich sie nur als sehr fröhliche und lebenslustige Dame, wie man es in ihrem hohen Alter nicht mehr erwarten würde. Sogar mich hatte sie vom ersten Tag an so überfürsorglich behandelt gehabt, als wäre ich ihr eigener Enkel gewesen, ich konnte mir kaum vorstellen wie sie auf die tragische Nachricht reagieren wird, dass eine ihrer Enkelinnen im Spital im Koma lag.

„Sie wird wieder aufwachen, ich glaube daran.“ Mit wässrigen Augen schloss ich die Küchenlade und sah meine Schwägerin besorgt an. Eigentlich sollte ich mich um sie kümmern und ihr beistehen und nicht umgekehrt, aber Viktoria war eine sehr starke junge Frau und ich war froh jemanden bei mir zu haben, der genauso um Monika bangte wie ich es tat. Leika gähnte neben uns und setzte sich vor ihre Futterschüssel, die links vom Esstisch stand. „Wisst ihr was ihr Beiden, lassen wir das mit dem Tee und essen etwas Gutes. Ich kenne da ein kleines nettes Lokal wo auch brave Hunde etwas Leckeres bekommen.“ Meine Hündin sah Viktoria an als könnte sie verstehen was sie sagte und tappte auch sofort hinaus ins Vorzimmer.

 

Das Wetter passte perfekt zu unserer Stimmung, es wurde über Mittag sehr trüb und auf Leikas Fell sammelten sich schon klitzekleine Wassertröpfchen. Weit war das kleine Restaurant nicht entfernt, es lag direkt unter dem Gemeindebau, in dem Viktoria seit einem Jahr mit einer anderen Studentin lebte. Leika wollte es sich schon am erstbesten Tischgemütlich machen, aber das ging gegen den Plan meiner Schwägerin.

„Leika, bei dem Wetter ist es doch viel zu kalt hier draußen, komm schon, steh wieder auf.“ Langsam rappelte sie sich auf und schlenderte durch die Tür, die ich ihr und Viktoria aufhielt. Bevor Viktoria jedoch Leika hinterher durch die Tür in das kleine, antik wirkende Lokal folgen konnte, drangen schrille Töne aus ihrer Jackentasche. Sie zog ihr altes Schiebehandy heraus, betrachtete das Display und sah besorgt zu mir auf.

„Mein Onkel.“ Ich legte ihr meine Hand auf die Schulter und ging schon vor zu dem Tisch, der an einer Wand nahe der Theke stand, den sich die Hündin gelegt hat. Meine Freundin und ihre Schwester haben nur noch wenige Angehörige. Ihre Eltern sind nicht mehr am Leben seit Monika 18 Jahre alt gewesen war. Fast die ganze Familie war gemeinsam auf Urlaub gewesen, die beiden Schwestern, ihre Eltern und der Bruder ihrer Mutter. Doch am 11. Jänner, an Monikas Geburtstag, waren die Schwestern gemeinsam mit ihrem Onkel Gernot in die Stadt einkaufen gefahren, während ihre Mutter und ihr Vater ihre Zeit auf der Piste verbrachten. Gegen die Mittagszeit, hatten sie in einem Radio, der leise im Restaurant lief, gehört, dass in ihrem Urlaubsort gerade eine Lawine ausgelöst worden war. Zuerst hatten sie sich dabei nichts gedacht, doch als später die Polizei bei Monika angerufen hatte war es ihr sofort klar.

Und jetzt musste Viktoria ihrem Onkel die Nachricht überbringen, dass er vielleicht nicht nur seine Schwester viel zu jung verloren hatte, sondern vielleicht auch seine Nichte viel zu jung von uns gehen musste. „Er kommt gleich vorbei.“ Viktoria hängte ihren Mantel auf den zweiten Sessel und setzte sich auf den Stuhl, der mir gegenüber stand.

 

Nach dem mageren verspäteten Mittagessen mit dem Onkel und der Schwester meiner Freundin, saßen wir alle beisammen im Wohnzimmer von Viktoria, auf ihrem schwarzen Ledersofa, das fast zu eng für uns drei war. Leika lag rechts von uns vor der Balkontür und beobachte zwei Maisen, wie sie sich draußen in einem Vogelhäuschen vor dem leichten Regen versteckten. Das Wetter wurde tagsüber immer schlechter und mit dem Wetter auch unsere Stimmung. Wir hatten beim Mittagessen nur wenig miteinander geredet und auch beim Kaffee trinken bei Viktoria entwickelte sich kein richtiges Gesprächsthema. Jedes Mal wenn irgendjemand eine Konversation einleitete, endete diese beim Thema Monika und in unseren Gesichtern verbreiteten sich müde Blicke. Plötzlich riss ein Blitz uns alle aus den Gedanken. Es war schon später Nachmittag und draußen war es schon dunkler als es war, wie wir in die Wohnung gekommen waren. Der Blitz erhellte den ganzen Raum und nur kurze Zeit später ertönte ein lauter, dröhnender Donner. Viktoria massierte sich mit ihren Zeige- und Mittelfingern die Schläfen.

„Sagt man nicht, dass umso lauter der Donner ist, umso näher ist das Gewitter?“ Gernot schüttelte den Kopf und drehte sich zu seiner Nichte.

„Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Eigentlich kann man die Entfernung eines Gewitters an dem Zeitabstand zwischen Blitz und Donner messen.“ Meine Cousine sprang auf und ging zur Vitrine, die gegenüber von der Couch, neben dem Fernseher stand und nahm drei Weingläser aus heraus.

„Ich halte das nicht mehr aus. Moni würde sicher nicht wollen, dass ihre Familie hier stumm nebeneinander sitzt und auf der Couch versauert. Ich habe noch den Pokerkoffer bei mir, den ich mir mit ihr gemeinsam gekauft habe, als sie in diesem einen Kasino kellnerte.“

Ich konnte mich noch gut an das Kasino erinnern. Nachdem ich Monika in dem Café im Park kennengelernt hatte und mit ihr beim Italiener gewesen war, musste sie im Kasino kellnern. Damals hatte sie aber niemandem außer ihrer Schwester von dem Job erzählt, weil er ihr, aus einem mir unerfindlichen Grund, peinlich gewesen war. Auch mir hatte sie nichts davon erzählt, als wir uns nach dem Abendessen verabschiedet hatten. Ich hatte ihr einen Kuss auf die linke und einen auf die rechte Wange gegeben und sie stieg in ein Taxi. Unmittelbar danach hatte ich mein Telefon in meiner linken Hosentasche vibrieren gespürt, einer meiner besten Freunde wollte sein Glück im Kasino auf die Probe stellen. Dort hatte ich sie in schwarzem Rock, weißer Bluse unter einem schwarzen ärmellosen Blazer und hochgesteckter Frisur wiedergesehen.

Meine Schwägerin knallte eine Rotweinflasche auf den Tisch.

„Ihr werdet hier heute sowieso nicht mehr rauskommen bei dem Wetter.“ Gernot und ich sahen beim Fenster hinaus, durch meine Erinnerung habe ich nicht mitbekommen, dass es mittlerweile wie aus Kübeln schüttete. Auch der Onkel meiner Freundin sah verwundert aus.

„Meine Mitbewohnerin schläft heute sowieso bei ihrem Freund, also könnt ihr einfach hier übernachten.“ Als wir uns wieder vom Fenster abwandten war Viktoria verschwunden, noch bevor wir ihr antworten konnten. Von irgendwo erklang eine Frauenstimme.

„Macht jemand in der Zwischenzeit den Wein auf?“ Gleichzeitig lehnten Gernot und ich uns nach vorne.

„Mach du auf, du bist noch jünger und kräftiger.“ Er lachte mich an und auch ich musste lachen, zum ersten Mal seit Monika im Spital lag. Ich begann den Wein in die Gläser zu füllen und da kam auch schon Viktoria wieder mit zerzauster Frisur durch die Tür.

„Ich hab ihn gefunden, er war ganz hinten an der Wand unter meinem Bett.“ Sie packte die Pokerkarten und die Chips aus und teilte sie auf. Wir spielten bis spät in die Nacht und hatten jede Menge Spaß. Es gab einige Momente an denen ich das Gefühl hatte, dass wir alle für kurze Zeit Monikas Situation vergaßen. Es gab einige Momente an denen ihre Familie mich so behandelte, als gehörte ich auch dazu.

Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich geliebt. Ich hatte zuvor nie eine Familie gehabt, meine Mutter war bei meiner Geburt gestorben und ich war in ein Pflegeheim mit Hunderten von anderen Kindern gekommen, denn es gab keine anderen Gehörigen meiner Mutter und auch keine andere Familie wollte mich adoptieren. Mit den Kindern im Heim jedoch war ich nie auf einer Wellenlänge gewesen, so hatte ich immer viel Zeit zum Lesen und mich anderweitig zu beschäftigen. Anfangs war ich recht traurig darüber gewesen, dass meine einzige Beschäftigung mit mir selbst war, aber umso älter ich wurde, umso mehr hatte sich das Viele Informationen in mich fressen in der Kindheit bezahlt gemacht. Ich war schlauer als andere Kinder gewesen und das hatte mir viele Türen im Leben geöffnet. So kam ich auch zu meinem Studium und auch das fiel mir von Beginn an leichter als den anderen Studenten. Daher konnte ich auch mit kleineren Nebenjobs, wie zum Beispiel ein Aushilfsjob in dem Café im Stadtpark, ein bisschen Geld verdienen.

 

„Okay ich bin müde, ich gehe dann ins Bett glaube ich.“ Viktoria streckte sich und stand von der Couch auf.

„Onkel Gernot kannst du das Klappbett aus der Abstellkammer holen?“ Sie sah ihn bittend an.

„Natürlich. Schläfst du auf der Couch Alex?“ Ich nickte Gernot zu und anschließend richteten wir gemeinsam das Wohnzimmer zum Schlafen her. Ich lag noch lange da und grübelte über Monika und was passieren würde, wenn sie es nicht überstand. Als ob Leika meine Trauer spüren würde, kam sie zu mir und legte sich zu mir auf die ausgezogene Couch. Mit der Wärme meiner Hündin an meinen Füßen konnte ich nach einem langen Abend endlich einschlafen.

Impressum

Texte: by Katrina Ryder (katrina.ryder@gmx.at)
Tag der Veröffentlichung: 16.12.2014

Alle Rechte vorbehalten

Nächste Seite
Seite 1 /