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Das Krümmelmonster darf nicht mehr krümmeln

 

Langsam nähere ich mich einer grünen Wiese und genieße die Sonnenstrahlen. Von weitem sehe ich eine Figur, die ich schon als Kind geliebt habe. Doch diese liegt gekrümmt im Gras, als würde sie trauern. Sie schluchzt sogar. Das ist aber doch nicht das Monster, über das ich so viele Jahre lang gelacht habe. Ich gehe auf die Figur zu, knie mich daneben und streichele sie sanft. Das Krümelmonster fängt an zu sprechen und ich verstehe es auch wenn es so nicht zu hören ist:

„Ach Roland, die Welt ist so traurig! Stell dir vor, die Leute, die mich erfunden haben, verbieten mir Ernie seine Kekse wegzunehmen. Sie sagen, ich solle unbedingt jetzt Äpfel essen und den Kindern ein gutes Beispiel sein. Selbst den kleinen Ernie haben sie schon verrückt gemacht. Ich kann ihm jetzt gar keine Kekse mehr wegnehmen, weil er nur noch Äpfel ist. Und das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Kinder - im Kindergarten dürfen die Kleinen nur noch Obst und Gemüse essen und wenn sie dann den Kindergarten verlassen, rennen sie sofort über die Straße und holen sich am Kiosk Schokolade, Lutscher, Kekse und Bonbons. So werde ich demnächst auch reagieren! Es ist doch klar, dass man vor lauter Obst und Gemüse einfach Heißhunger auf zuckerhaltige Speisen bekommt. Mein Körper wird jeden Tag schlaffer, ich bekomme jeden Tag Weinkrämpfe und fühle mich total deprimiert. Meine ganze Psyche kommt durcheinander, denn ich bin völlig fertig und so sind es auch die Kinder. Und stelle dir nun vor, dass die Kinder mich gar nicht mehr sehen möchten. Sie finden es echt blöd, dass ich vor der Flimmerkiste mit ein paar Äpfeln herum hüpfe und der blöde Erni dann noch eine Birne isst, einen Apfel oder Salate. Früher war ich jedoch sehr interessant für die Kinder. Denn früher hat Ernie immer frische Kekse bekommen, meistens vom Bernd, und versucht, sie ganz alleine zu essen. Ihr wisst ja ganz genau, was dann passiert ist:

Dann kam ich oft langsam von hinten an geschlichen und habe Ernie seinen Keks weggenommen und den habe ich sofort gegessen. Schließlich klagte er dem Bernd sein Leid. Immer wieder konnte ich Kekse klauen und die Kinder freuten sich so sehr darauf. Und jetzt? Jetzt passiert nichts mehr. Ich muss mir sogar überlegen, wie ich eine Alternative schaffe. Deshalb werde ich mich morgen mit Ernie und Bert treffen. Ich finde es nämlich sehr wichtig, dass die Kinder wieder Spaß am Essen bekommen. Kinder müssen lustvolles Essen auch lernen. Natürlich sollte dieses Essen zudem gesund sein, aber man darf doch nicht so sehr übertreiben. Das ist doch typisch an Erwachsenen: Sie übertreiben, sie ängstigen andere Leute, sie intervenieren permanent. Dazu fühle ich mich aber nicht berufen. Allen sage ich ganz deutlich: wenn ich nicht mehr das normale Krümelmonster sein darf, dann sollt ihr auf mich verzichten.“

Die Betrübnis vom Monster konnte ich einwandfrei verstehen. Allmählich überkam mich ein sehr beklemmendes Gefühl. Soll plötzlich alles, was früher richtig war, heute gar nicht mehr gelten? - Gab es vielleicht einen Mittelweg, sodass man beidem gerecht werden konnte. Eines wollte ich auf keinen Fall, nämlich Krümel so leiden zu sehen. Dass er sehr litt, war ganz klar.

 

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Texte: Roland Jalowietzki
Bildmaterialien: Pixabay
Tag der Veröffentlichung: 26.06.2015

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