Traurig stand ich an meinem Fenster und sah in dichtes Schneetreiben. Die Flocken wirbelten herum und bildeten einen undurchdringlichen Schleier. Nicht einmal die Lichterketten am Haus meiner Nachbarin waren zu erkennen. Normalerweise liebe ich den Schnee. Gibt es schöneres, als wenn hässliche Flecken unter einer weißen Decke verschwinden oder wenn der ständige Lärm draußen von den Kristallen verschluckt wird und somit eine angenehme Ruhe entsteht. Aber diesmal? Diesmal zerstörte diese weiße Pracht meinen sehnlichsten Wunsch nach einen wunderschönen Heiligen Abend mit meinem Ehemann Peter. Es wäre unser erster gemeinsamer Weihnachtsabend gewesen. Wir beide hatten uns letztes Sylvester kennen gelernt. Schon nach wenigen Tagen war für uns klar, dass wir einfach zusammen gehören. Bereits zwei Monate später zogen wir zusammen und im November heirateten wir. Und nun wollten wir erstmals gemeinsam Weihnachten feiern. Wir hatten uns schon ausgemalt wie wir aneinander gekuschelt auf unserem Sofa sitzen, die Kaffeebecher mit duftendem Glühwein gefüllt und mit Blick auf den festlich dekorierten Weihnachtsbaum. Es wäre so schön gewesen wenn…ja wenn kein Schneesturm aufgekommen wäre. Peter ist nämlich Pilot und eigentlich wäre er heute Mittag mit seiner Maschine in München gelandet und somit abends hier gewesen. Leider zwang ihn dichtes Schneetreiben statt München den Stuttgarter Flughafen anzufliegen und dort muss er nun warten, bis er das Passagierflugzeug nach München weiterfliegen kann. Tränen stahlen sich in meine Augen und ich wandte mich von dem Fenster ab. Ich machte mir in der Küche heißen Kakao, füllte ihn in meinen Kaffeebecher und ging damit zurück ins Wohnzimmer. Mit einem Kissen von der Couch ging ich zum Weihnachtsbaum, legte das Kissen auf dem Boden und setzte mich darauf. Unter dem Baum befand sich mein Weihnachtsgeschenk für Peter. Die Idee dazu kam mir vor ein paar Monaten, als wir gemeinsam alte Fotoalben betrachteten. Es waren Bilder von früheren Weihnachtsfesten darunter und obwohl sie Peter in den verschiedensten Altersstufen zeigten, hatten sie doch eines gemeinsam. Auf allen Bildern verlief unter dem Weihnachtsbaum ein Bahngleis herum, auf welchem sich ein kleiner Zug befand. Als ich Peter darauf ansprach erzählte er mir mit strahlenden Augen von dieser Blecheisenbahn. Sie gehörte schon seinem Vater und jedes Jahr wurde sie an Weihnachten aufgebaut und sein Vater setzte sich jeden Abend zu Peter auf dem Boden und las ihm eine Geschichte vor, während der Zug unermüdlich seine Kreise zog. An Heilig Dreikönig wurde die Eisenbahn wieder säuberlich zerlegt, in Samttücher gewickelt und weg gepackt. Bis zum nächsten Weihnachtsfest lagerte das Ganze dann in einer Holzkiste auf dem Dachboden. Als ich nachfragte, wo dieser Zug denn nun sei, erzählte mir Peter, dass es, als er ca. 16 Jahre alt war, einen kleinen Hausbrand gegeben hatte, bei dem untere anderem auch ein Teil des Dachbodens vernichtet wurde und dadurch auch die Eisenbahn. Während Peter dies erzählte, traten ihm Tränen in die Augen und genau in diesem Augenblick war die Idee entstanden so eine Eisenbahn zu kaufen. Doch das war nicht so einfach wie gedacht. Monatelang suchte ich im Internet, bis ich endlich den richtigen Zug fand. Doch eines Tages hatte ich ihn gefunden. Und nun liegen vor mir die, um den Tannenbaum herum gebauten, Gleise und auf ihnen steht der Blechspielzeugzug „Orient Express“. Der Zug besteht aus einer Dampflok mit Schlüsselantrieb, einem Tender und einem Personenwagen, genauso wie auf den Bildern. Ich nahm die Dampflok hoch und zog sie mit einem kleinen Schlüssel auf. Danach setzte ich sie zurück auf die Gleise und hängte die Wagen an. Kaum ließ ich das Spielzeug los, bewegte es sich mit einem leisen Schnurren vorwärts. Ich war derartig fasziniert dass ich gar nicht mitbekam, wie sich leise die Wohnzimmertür öffnete. Erst als ich lautes Luftholen hörte, bemerkte ich dass ich nicht mehr alleine war. Bereits während ich mich umdrehte, jubelte ich, sprang auf und hing schon wenige Sekunden später an Peters Hals. Er war es….er war es wirklich und wahrhaftig. Noch während Peter und ich fest umschlungen dastanden, erzählte mir Peter, dass sein Freund und Kollege Michael von seiner unplanmäßigen Landung in Stuttgart erfahren hatte. Kurzerhand hat sich dieser dann mit dem Flugkoordinator in Verbindung gesetzt, fuhr auf eigene Kosten mit dem Schnellzug nach Stuttgart und hat Peter abgelöst. Daraufhin nahm Peter einen Leihwagen und fuhr zu mir. Und nun konnten wir beide unseren ersten Weihnachtsabend genießen, doch wir saßen nicht auf dem Sofa sondern beide auf dem Boden und zogen die Dampflok auf. Peter nahm meine Hand und meinte:“Das ist mein schönstes Weihnachten und mein schönstes Geschenk“ doch ich wiedersprach: „ Das schönste Geschenk hat uns dein Kollege Michael gemacht. Hätte er nicht selbstlos den Flug von Stuttgart übernommen, wären wir nicht gemeinsam hier“ Peter stimmte mir zu und wir stellten gemeinsam fest „Das beste Geschenk ist Selbstlosigkeit“
Tag der Veröffentlichung: 07.12.2012
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